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Der deutsche Volksboden und das deutsche
Volksrecht (Teil 2)
Österreich
Der deutsche Volksboden hat zwei große Ostländer: Ostelbien
und Österreich. Beides sind koloniale Siedlungsländer, die zur
Zeit, da das Vordringen des deutschen Volkstums im Mittelalter vor sich ging,
noch von Slawen bewohnt waren. Von Österreich kann man sagen,
daß es letzten Endes aus Böhmen gekommen ist. Böhmen ist
Bojoheim, das Land der Bojer. Die Bojer waren Kelten; nach ihnen nahmen
Germanen das Land ein, die Markomannen. Diese mußten aus
Böhmen weichen, weil das Innere von Böhmen offen war und sie
daher den berittenen Avaren nicht widerstehen konnten. Ihr Abzug ging nach
Westen über den Böhmerwald, und weil sie aus dem Bojerlande
hervorkamen, nannte man sie die Bojoaren oder Bajuvaren; daraus wurde dann
Bayern. Über diese Dinge wird in dem Kapitel über das
Sudetendeutschtum noch eingehender zu reden sein.
Der bayrische Stamm war es in der Hauptsache, der dann das heutige
Österreich geschaffen hat. Darin ist seine größte
volksgeschichtliche Tat zu erblicken. Die bayrischen Herzöge aus dem
Geschlecht der Agilolfinger, obwohl selbst im Kampfe mit dem Frankenreich um
ihre Unabhängigkeit, verstanden es, ihre Herrschaft weit nach Osten
auszudehnen. Der letzte Agilolfinger, Tassilo III., dem Karl der
Große wegen seiner wiederholten Aufstände des Herzogtum nahm,
beherrschte auch das heutige Ober- und Niederösterreich, samt einem Teil
von Steiermark und Kärnten, das damals unter dem Namen Karantanien
einen größeren Umfang hatte als später. Das Gebiet der
Ostalpen war von slawischen Stämmen auf geringer Kulturhöhe
dünn bewohnt. Mit der bayerischen Oberherrschaft kam auch die
Kolonisation durch den bayrischen Stamm, der sich in Tirol nach Süden,
über den Brenner und bis an das Herrschaftsgebiet der Langobarden
vorschob, nach Osten aber langsam die von Slawen bewohnten Tallandschaften
eindeutschte. Im ganzen hat dieser Vorgang Jahrhunderte, bis zum Ende des
Mittelalters, ja mit seinen Ausläufern bis in die neueste Zeit hinein
gedauert. Die Grundlagen für die Schaffung des deutschen Volksbodens in
den Ostalpen sind aber schon im frühen Mittelalter gelegt worden. Von
Anfang an ist das Werden Österreichs durch die Natur selbst vorgezeichnet
worden. Die Faltenkette der Ostalpen und die Böhmische Masse, die das
Widerlager bei der Erhebung der Alpen gebildet hat, treten von dort an, wo die
Donau die oberdeutsche Hochebene verläßt, auf eine lange Strecke
ganz nahe aneinander heran. Sie lassen aber zwischen sich einen Durchgang, das
Donautal, und dieses bildet hier die wichtigste Passagelandschaft in Mitteleuropa.
Bis zu ihrem Anfang bei Passau reicht Oberdeutschland; von Passau [23] bis Wien reicht
Österreich; hinter Österreich beginnt der Orient. Als die
bajuvarischen Siedler den Donaudurchgang besetzt hatten, begann damit ein
großes Stück europäischer Geschichte. Das anfängliche
Siedlungsgebiet wurde vorübergehend im Zeitalter der
Ungarnstürme, vom Beginn bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts,
wieder wüst; nach dem Siege Kaiser Ottos I.
über die Ungarn auf dem
Lechfelde (955) begegnen wir aber jenseits des Ennsflusses, d. h.
im heutigen Niederösterreich, von neuem einer bayrischen Ostmark. In
einer Urkunde vom Jahre 996 erscheint auch zum ersten Male, in der alten Form
"Ostarrichi", der Name Österreich. Damals besaßen
Markgrafen aus dem bayrischen Geschlecht der Babenberger das Land und
erweiterten es gegen Mähren und Ungarn bis an die Mündung der
March und bis an die Leitha. Ums Jahr 1000 n. Chr. ist der ganze
Donaudurchgang unbestritten deutscher Boden.
[36a]
Freistadt, Ober-Österreich.
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Wenn man von einem Lande in Europa sagen kann, daß seine Geschicke
durch seine geographische Lage bedingt worden sind, so ist es Österreich.
Nichts war natürlicher, als daß sich an dem Schlüsselpunkt der
großen Passagelandschaft, die zwischen den Alpen und den
böhmischen Gebirgen hindurchführt, ein politisches
Kräftezentrum bildete. Die Stelle, wo das geschehen mußte, lag dort,
wo die Donau zwischen den letzten Ausläufern der Alpen und den
beginnenden Vorhöhen der Karpathen in die ungarische Tiefebene
hinaustritt. Hier, im Wiener Becken, an der Vereinigung von March und
Donau, haben wir eine Gegend von höchster geopolitischer Bedeutung. Der
Alpen- und der Karpathenzug senken sich gegen das Wiener Becken herab,
schließen sich aber nicht unmittelbar aneinander, sondern die Vorposten
beider Gebirge bleiben noch ein kleines Stück von einander entfernt. Die so
gebildete Pforte, durch die die Donau hindurchfließt, ist das große
Völkertor von Inneneuropa. Nicht nur Böhmen und Mähren,
sondern auch die Ostalpentäler öffnen sich konzentrisch auf das
Stück des Donaulaufes oberhalb und unterhalb Wiens. Die Donau selbst
bildet den großen, strömenden Doppelweg auf der einen Seite nach
Oberdeutschland, auf der andern nach Ungarn, nach der Balkanhalbinsel und nach
dem Schwarzen Meere. Von Norden kommt an der March entlang der uralte
Handels- und Heerweg, der sich jenseits der mährischen Pforte, jener
Lücke zwischen dem Karpathischen und dem Sudetischen System, nach
Schlesien und nach Polen gabelt. Auch aus dem Inneren des böhmischen
Kessels kommt ein bequemer Weg über die tiefste Einsenkung in seiner
südlichen Umwallung und mündet auf Wien. Von besonderer
Wichtigkeit aber ist die lange Folge der Alpentäler und
Paßübergänge von Ponter fel (Pontebba) bis zum
Semmering, die in einer von Südwesten nach Nordosten gerichtete Folge
die oberitalienische Tiefebene und das Wiener Becken verbindet.
Es gibt in der ganzen östlichen Hälfte von Mitteleuropa keine
Ortslage, die vom Verkehr und deshalb auch von den großen politischen
Bewegungen so wenig umgangen werden kann, wie es bei Wien der Fall ist. An
Wien kann man ebenso [24] schwer seitwärts
vorbei, wie an Konstantinopel oder an Hamburg. Darin lagen von Anfang an die
Geschichte und das Schicksal nicht nur von Wien und Österreich, sondern
auch von einem großen Teil Europas beschlossen. Der Anfang der
politischen Machtbildung, zu der es kommen mußte, war damit gegeben,
daß Wien, weil es sich zu einem großen Verkehrsplatz entwickelte,
auch eine Quelle von Reichtum für die Fürsten wurde, die es
besaßen. Die ersten Babenberger hatten ihren Sitz noch in Melk a. d.
Donau, in der landschaftlich berühmten Wachau, wo sie das alte, in
späteren Jahrhunderten so machtvoll und glänzend ausgebaute
Melker Stift auf beherrschender Höhe über dem Strome
gründeten.
[16a]
Dürnstein a. d. Donau, Wachau.
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Der sechste Babenberger, Liutpold (Leopold) III., der von
1096 - 1136 regierte, erbaute auf dem Leopoldsberg bei Wien den
neuen Sitz des Geschlechts, denn inzwischen hatte sich Wien zum wichtigsten
Platz der Markgrafschaft entwickelt. Liutpold nahm in dem Streit zwischen Heinrich IV.
und seinem Sohne, dem späteren Kaiser
Heinrich V., Partei für den letzteren und wurde von diesem mit der
Hand seiner Schwester, der Kaisertochter Agnes, belohnt. Barbarossa erhob die
Markgrafschaft zum Herzogtum Österreich. Der Glanzpunkt der
babenbergischen Herrschaft lag am Anfang des 13. Jahrhunderts, unter
Leopold VI. Um die Zeit wurde auf österreichischem Boden das Nibelungenlied
gedichtet, nach der Meinung Delbrücks von keinem
anderen als von Walter von der Vogelweide. Die Pracht und der Glanz des
babenbergischen Österreich spiegelt sich in den ritterlichen Szenen des
Nibelungenliedes wider. Von hier reichte der Horizont gleichweit nach Westen
und Osten. Im Gefolge König Etzels, der mit seinen Vasallen die Donau
aufwärts durch Österreich der Krimhild entgegenzieht, reiten Russen
aus Kiew und ein Herzog Ramung aus Walachenland. Leopold herrschte
über Ober- und Niederösterreich und die Steiermark. Seine
Besitzungen reichten schon bis nach Krain. Sein Sohn Friedrich fiel 1246 im
Kampfe gegen den König Bela von Ungarn. Er war der letzte
Babenberger.
Nach dem Aussterben des babenbergischen Hauses schien sich von
Österreich aus eine Wendung der deutschen Geschichte anzubahnen, die,
wenn sie endgültig geblieben wäre, unabsehbare Folgen gehabt
hätte. Die österreichischen Stände wählten im Jahre
1251 auf dem Tage zu Trübensee bei Tulln a. d. Donau den Sohn
und Erben des böhmischen Königs, Ottokar, zum Herzog. Zwei Jahre
später wurde Ottokar auch König von Böhmen. Er war von
mütterlicher Seite nahe verwandt mit den Hohenstaufen, ein Enkel Friedrich Barbarossas,
und fühlte sich weit mehr als Fürst des
Deutschen Reiches und als Vertreter des abendländischen Rittertums, denn
als national-böhmischer Herrscher und Slawe. Böhmen war als
Königreich das vornehmste unter den Reichsländern. Der
Königshof in Prag war nicht minder ein glänzender deutscher
Ritter- und Sängerhof als der babenbergische in Wien. Der ungarische
König wollte Ottokar die Steiermark streitig machen, wurde aber
geschlagen und mußte das Land herausgeben. Durch ein Testament des
letzten Herzogs von Kärnten, Ulrich, gelangte Ottokar sogar noch in den
Besitz von Kärnten [25] und ganz Krain. Seine
Herrschaft erstreckte sich von den Kämmen der Sudeten und des
Erzgebirges bis ans Adriatische Meer. Wien und Prag waren zum ersten Male
Städte desselben Reiches. Hätte die Herrschaft der
böhmischen Przemysliden über Österreich, Wien und die
Ostalpenländer Dauer gewonnen, so wäre wohl die völlige
Germanisierung nicht nur des Herrscherhauses, sondern auch der beiden
slawischen Länder Böhmen und Mähren die Folge gewesen.
Die Gründung der Herrschaft Ottokars fällt in die Zeit des deutschen
Interregnums. Ottokar begehrte selbst die Krone des Reiches. Wäre er
Kaiser geworden, so hätte sich schon im 13. Jahrhundert der Zustand
herausgebildet, der anderthalb Jahrhunderte später eintrat: eine große
kaiserliche Hausmacht, die den ganzen Südosten des Reiches einnahm und
stark genug war, von sich aus große europäische Politik zu machen.
Es ist kaum anzunehmen, daß es einem auf Österreich und die
böhmischen Länder gestützten Herrscherhaus in der zweiten
Hälfte der Mittelalters besser gelungen wäre, eine einheitliche
Reichsgewalt wieder aufzurichten, als den Habsburgern im 15. und
16. Jahrhundert, aber mit der allmählichen Germanisierung der
Länder der böhmischen Krone wäre sicher auch das
geschlossene Vordringen der deutschen Siedlung durch Krain bis an die Adria
entschieden gewesen. Insofern ist es ein Irrtum, zu glauben, daß mit der
Niederlage Ottokars gegen Rudolf von Habsburg dem deutschen Volkstum und
dem deutschen Gedanken besser gedient war, als mit dem Siege des
Przemysliden.
Rudolf von Habsburg
wurde gewählt, weil er nicht, wie der
böhmische König, ein Fürst von gewaltigem Besitz und im
kräftigsten Mannesalter war, sondern ein mäßig
begüterter Graf in vorgerückten Jahren. Trotzdem gelang es ihm,
durch einen kurzen Feldzug Ottokar zum Verzicht auf Österreich und die
Alpenländer und zur Lehnshuldigung für Böhmen und
Mähren zu zwingen. Diese Nachgiebigkeit war jedoch von Ottokar nur
vorübergehend gemeint. Bald erneuerte er den Krieg, wurde aber von
Rudolf am 26. August 1278 in der Schlacht von Dürnkrut auf dem
Marchfelde, unweit von Wien, besiegt und verlor mit dem Kampfe auch das
Leben.
[32d]
Innsbruck, Hofkirche.
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Diese Schlacht auf dem Marchfelde bedeutet einen der großen
Wendepunkte in der deutschen Geschichte. Rudolf konnte Böhmen und
Mähren den Przemysliden nicht nehmen; die österreichischen
Länder aber waren nun erledigt, und aus ihnen wurde eine habsburgische
Hausmacht. Die Geschichte der österreichischen Habsburger von Albrecht,
dem Sohne Rudolfs, bis auf Maximilian, der durch seine Heirat mit Maria von
Burgund den Aufstieg des österreichischen Hauses zur Weltmacht
einleitete, ist ein verworrenes Kapitel, aus dem viel kleinlicher Streit, endlose
Erbteilungen und Wiedervereinigungen, Verluste gegen die kriegerischen
Nachbarn und schließlich die ruhmlose Langlebigkeit der "kaiserlichen
Schlafmütze", Friedrichs III., zu berichten wäre. Auch Tirol
kam während dieser Zeit an die Habsburger, denen nur die Besitzungen in
der Schweiz endgültig verlorengingen. Von den Tagen Maximilians bis
zum Untergang der habsburgischen Monarchie, also fast ein halbes
Jahr- [26] tausend, ist Wien eine
der Hauptstädte Europas gewesen, im politischen wie im geographischen
und kulturgeschichtlichen Sinn. Die Eindeutschung der Alpenländer, die in
den Haupttälern schon auf das frühe Mittelalter zurückging,
auf die ursprüngliche Kolonisation durch den bajuvarischen Stamm und die
Herrschaft der Babenberger, wurde langsam und auf friedlichem Wege fortgesetzt.
Eine Hauptarbeit taten dabei die geistlichen Stifte. Von ihnen ging die meiste
planmäßige Kulturarbeit aus, sofern sie deutsche Ansiedler
beriefen, die Wälder roden ließen und nicht nur Bauernstellen,
[44a]
Vordernberg, Steiermark.
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sondern auch Mühlen, Schmieden, Holzfällereien, Steinbrüche
und dergleichen anlegten und die primitiven slawischen Kleinbauern und
Berghirten in eine zugleich germanisierende und kultivierende Erziehungsarbeit
nahmen. An den Benennungen mancher Ortschaften in Steiermark und
Kärnten, wie an einzelnen Familiennamen, ist die ursprüngliche
slawische Unterschicht dieser Gebiete noch zu erkennen. Die Slawen in den
Ostalpen sind aber durch die Germanisierung nicht ausgerottet, sondern friedlich
aufgesogen worden. Ihr Blut fließt mit in der heutigen Bevölkerung
von Steiermark und Kärnten. Organisierte slawische Herrschaften,
Fürstentümer, Städte oder Burgen, hat es im Ostalpengebiet
niemals gegeben. Dazu waren die Slawen hier lange nicht genug fortgeschritten.
An der Südgrenze des jeweiligen deutschen Sprachgebiets ist die
Germanisierung immer weiter, wenn auch zuletzt nur noch sehr langsam,
fortgegangen, und erst nach dem geistigen Erwachen des Slawentums im
19. Jahrhundert ist sie ganz zum Stillstand gekommen. Den letzten
Versuch, sie systematisch und in großem Maßstabe weiter nach
Süden zu tragen, bildete die Ansiedlung von 300 fränkischen und
thüringischen Bauernfamilien ums Jahr 1305 durch einen Grafen von
Ortenburg bei Gottschee in Südkrain, nur noch einen kräftigen
[16b]
Groß-Reifling, Steiermark.
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Tagesmarsch über die Berge vom Adriatischen Meere entfernt. Gottschee
blieb aber eine bloße Sprachinsel. Vorgeschoben ins slawische
(slowenische) Gebiet von Südsteiermark lag seit Jahrhunderten eine Reihe
von deutschen Städten, wie Marburg, Cilli, Pettau und andere. In
Anlehnung an diese waren vielfach auch deutsche Bauerndörfer
erwachsen.
Es konnte nicht anders sein, als daß nach dem Aufstieg des habsburgischen
Hauses zu einer europäischen Großmacht die geographische Lage
Österreichs für die habsburgische Politik noch entschiedener
bestimmend wurde. Vor allen Dingen zeigten sich die Folgen der engen
natürlichen Verbindung zwischen Mähren und Böhmen auf
der einen, dem Donaudurchgang und dem Wiener Becken auf der anderen Seite.
Die mährische Kernlandschaft, die Marchebene, öffnet sich in voller
Breite auf Wien. Mähren und Böhmen aber hängen ihrerseits
untrennbar zusammen. Man hat daher mit Recht gesagt: Entweder muß
Österreich böhmisch sein oder Böhmen österreichisch.
Das erstere ist nur die kurze Zeit unter König Ottokar der Fall gewesen, das
zweite um so länger. 1526 fiel der Jagellone Ludwig II., König
von Ungarn und Böhmen, in der Schlacht bei Mohacs gegen den
türkischen Sultan Suleiman den Großen. Er war verheiratet mit
Maria, einer Schwester Kaiser Karls V.; seine [27] eigene Schwester Anna
war die Gemahlin von Karls jüngerem Bruder Ferdinand von
Österreich. Nach Ludwigs Tode kamen sowohl Böhmen als auch
Ungarn an Habsburg. Von Ungarn nahmen bald genug die Türken den
größten Teil ein. Suleiman drang bis Ofen vor, eroberte es und
machte es zum Sitz eines türkischen Paschas. Nur der Westen und Norden
Ungarns, sowie Kroatien, konnten gegen die Türken behauptet werden.
Schon bei Lebzeiten Karls V. war Ferdinand Regent in Österreich
und den Nebenländern. Im Dreißigjährigen Krieg gelang es den
Habsburgern nicht, die kaiserliche Gewalt im Reiche wieder
aufzurichten - vorübergehend, auf dem Höhepunkt der Erfolge Wallensteins,
waren sie nahe genug daran - aber die europäische
Stellung des habsburgischen Kaisertums blieb doch gewaltig und nahm auch
während des 17. und 18. Jahrhunderts trotz der zum Teil
verlustreichen Kriege mit Frankreich und Preußen im ganzen zu.
[48a]
Hallstatt im Salzkammergut. Friedhof.
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Die Zeit zwischen der Regierung Karls VI. und dem Tode Josefs II., die in der
Hauptsache die Epoche Maria Theresias und ihres Sohnes umfaßte, ist das
eigentliche österreichische Jahrhundert. Während dieser Periode lag
die Höhe der deutschen Kulturentwicklung in Österreich. Gut
verwaltet, vor Kriegsstürmen geschützt, im Genuß aller
Vorteile, die von der großen und glänzenden Residenz ausgingen, der
ersten Stadt Deutschlands, von einem begabten, für die Hervorbringung
aller Kulturgüter produktiv wie rezeptiv gleich aufgeschlossenen deutschen
Stamme bewohnt, leistete Österreich damals auf allen Gebieten
Hervorragendes. Natürlich erfolgte auch eine große Befruchtung
durch die vom Kaiserhaus nach Wien gezogenen fremden Kräfte.
Während im Westen und Norden Deutschlands nach dem
Dreißigjährigen Kriege die französische Kultur beherrschenden
Einfluß gewann, war das in Österreich weniger der Fall. Hier gingen
die stärkeren Wirkungen von Italien aus, wie vor allen Dingen die Baukunst
beweist. Prinz Eugen von
Savoyen-Carignan, von Geburt weniger Italiener als
Franzose, ist ein Beispiel dafür, wie der kaiserliche Dienst die großen
Talente auch aus dem Auslande anzog.
[32b]
Schloß Schönbrunn bei Wien.
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Nicht nur Wien, sondern auch die beiden
Erzherzogtümer Ober- und Niederösterreich, Steiermark, ja selbst
das entlegene und in den Alpen versteckte Kärnten, füllten sich mit
Bauwerken, geistlichen Stiften, Kirchen, Schlössern und
Staatsgebäuden in den Städten wie auf dem flachen Lande, von
einem Kunstwerk und einer soliden Pracht, denen man heute noch ansieht, wie
blühend damals die Verhältnisse Österreichs im Innern
gewesen sein müssen. Ein solches Aufblühen der Architektur, samt
der in diesem Zeitalter ihr vorzugsweise dienstbaren Bildhauerkunst, der Musik
und der Malerei, wie in dem theresianischen und josefinischen Österreich,
ist nur möglich, wo das gesamte Leben in einem starken Strome
einherflutet und eine Fülle von Anregungen und Motiven aus der
Nähe und Ferne bietet.
Bei alledem war Österreich ein lebendiges Stück Deutschland; das
österreichische Volkstum in seiner Blüte nicht minder als in seinem
Kern und in seinen Wurzeln [28] deutsch. Eine deutschere
Frau und einen deutscheren Mann als Maria Theresia und ihren Sohn Josef hat es
nicht gegeben, und dieselbe Deutschheit war bei den Prälaten in Stift Melk
oder in Admont, beim lustigen Wiener, beim schweren Tiroler Bauern oder beim
verwegenen Wildschützen in den Hochtälern Steiermarks zu
finden.
|
|
[44b]
Völs (Tirol), Bildsäule
[44b]
Klagenfurt, Landhaus.
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Die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in
den napoleonischen Kriegen und die Gründung des Deutschen Bundes, der
doch nur eine Art von Fortsetzung des alten Reiches war, änderten nichts
an der innerlichen wie an der verfassungsmäßigen
Zugehörigkeit Österreichs und der Österreicher zu
Deutschland. Gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist
Österreich in geistiger Beziehung so sehr ein Stück Deutschland wie
nur je. Der Deutsche Bund, so entfernt er in politischer Beziehung davon war, die
deutsche Einheit darzustellen oder anzustreben, umfaßte doch ein
Deutschland, das geistig und kulturell in demselben, wenn nicht in höherem
Sinne eine Einheit war, als das Heilige Römische Reich Deutscher Nation
in seinen letzten Tagen. Schon die Gemeinsamkeit der Freiheitskriege, in denen
schließlich zum ersten Male seit Jahrhunderten wieder alle Deutschen auf
derselben Seite gegen den fremden Unterdrücker
gefochten hatten - auch die Bayern, die Sachsen und die übrigen
Rheinbündler gingen ja zuletzt mit - schufen die Grundlage eines
wirklichen deutschen Einheitsgefühls. Von seinen politischen Zielen konnte
man es fortdrängen, von den geistigen aber nicht. Der Druck der inneren
Reaktion wurde in der Zeit zwischen 1815 und 1848 in Österreich so gut
empfunden wie in Preußen und den übrigen deutschen Staaten. Auch
die achtundvierziger Revolution war durchaus ein gemeinsames deutsches
Erlebnis.
Die österreichischen Schriftsteller, namentlich die Dramatiker, und ebenso
die großen Komponisten, lebten und wirkten für das gesamte
Deutschland. Was Wien im 18. Jahrhundert noch nicht gewesen war, das
wurde es, mindestens bis zu einem gewissen Grade, in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts: die Hauptstadt von Deutschland. Fast in allen
Kulturfragen, soweit solche sich unter der Herrschaft der Reaktion zur Geltung
bringen konnten, hatte es die Führung. Wenn die Bundestagsgesandten in
Frankfurt unter dem Vorsitz der "Präsidial-Macht" Österreich
beieinander waren, so bildeten sie formell zwar nur die Vertretung der deutschen
Regierungen von Österreich und Preußen bis Lippe und
Liechtenstein, aber es war doch das gesamte Deutschland, das auf dem
Frankfurter Bundestag als auf die Körperschaft sah, in der zum Ausdruck
kam, daß ein Deutschland existierte.
Der großdeutsche und kleindeutsche Gedanke stieß zum ersten Male
hart aufeinander, als das deutsche Parlament von 1848 in Frankfurt tagte. Damals
wurde aus der österreichischen Frage die deutsche Frage. Daß die
deutschen Länder Österreichs ein Stück Deutschlands waren,
das bezweifelte niemand, aber wenn aus dem nur zu lockeren Bunde ein deutsches
Reich werden sollte, so mußte jeder
nüch- [29] terne Politiker einsehen,
daß Österreich, zu dem noch ganz Ungarn und viele Millionen
slawischer und romanischer Untertanen gehörten, weder als Ganzes in das
deutsche Reich eintreten, noch sich mitten hindurch teilen und mit der einen
Hälfte Deutsches Reich, mit der andern Habsburgische Monarchie sein
konnte. Außerdem war leicht zu sehen, daß Berlin weder von Wien,
noch Wien von Berlin aus regiert werden konnte. Auch die Tschechen, die man
bis dahin stillschweigend mehr oder weniger als zum Bestand der deutschen
Länder Österreichs gehörig angesehen hatte, begannen sich
national zu regen. Bis dahin wäre es niemandem eingefallen zu bezweifeln,
daß Böhmen "in Deutschland" läge, was ja die
mittelalterlichen tschechischen Historiker, wie Cosmas und andere, selber
zugegeben hatten. Zum Frankfurter Parlament aber weigerten sich die Tschechen
Abgeordnete zu wählen. Ein deutsches Reich, sagten sie, ginge sie nichts
an, die seien keine Deutschen.
Diese österreichische Krisis hat siebzig Jahre gedauert, von 1848 bis 1918.
Sie verlief in drei Abschnitten: von 1848 bis zum Prager Frieden am 23. August
1866; vom Prager Frieden bis zum Abschluß des Bündnisses
zwischen Deutschland und Österreich am 7. Oktober 1879, das sich dann
bis zum Dreibund erweiterte; endlich von da an bis zum Zusammenbruch der
habsburgischen Macht im Weltkriege.
Während des ersten Abschnittes führte Österreich den Kampf
um die Vormacht in Deutschland mit politischen, d. h. diplomatischen
Mitteln. Dabei offenbarte sich erstens, daß der österreichische
Anspruch das entscheidende Hindernis für die deutsche Staatlichkeit war,
und zweitens, daß eine solche Staatlichkeit nur zustande kommen konnte,
wenn Österreich mit seinen nichtdeutschen Bestandteilen, die ihm keine
deutsche, sondern nur eine habsburgische Politik in Europa zu machen erlaubten,
zur Aufgabe seiner Teilhaberschaft am Deutschen Bunde genötigt wurde.
Mit anderen Worten: es war keine großdeutsche Lösung der
deutschen Einheitsfrage möglich, sondern nur eine kleindeutsche, so wie
sie Bismarck
1866 und 1870 hauptsächlich durch die Kraft der
preußischen Waffen verwirklichte. Damit aber war gesagt, daß das
Deutsche Reich, das am 18. Januar 1871 in der Spiegelgalerie des Schlosses von
Versailles ausgerufen wurde, nicht der nationale Staat der Deutschen war, so wie
Frankreich der Staat der Franzosen, England der Staat der Engländer,
Italien der Staat der Italiener, sondern nur ein nationalstaatlicher Torso.
Um die Entwicklung der deutschen Dinge zu verstehen, die zunächst bis
zum Jahre 1871 geführt hatten und dann ihren Weg weiter ging, muß
man vor allen Dingen gegenwärtig haben, daß die Bewegung, die sich
im deutschen Volke auf den nationalen Einheitsstaat hin richtete, in ihren
Wurzeln genau so elementar war (und es immer mehr wurde!), wie die nationalen
Bewegungen, die im 15., 17. und 19. Jahrhundert aus den übrigen
europäischen Völkern geschlossene, nationalstaatliche Gebilde
gemacht hatten. Es ist selbstverständlich, und nur ein politisch Blinder
könnte es bestreiten, daß auch dem deutschen Volke ein nationaler
Staat gebührt, der die Volksgrenzen, wenigstens soweit es sich um ein
zusammenhängendes Sied- [30] lungsgebiet handelt, in
seine Grenzen einschließt. Auf deutschem Boden aber wurde diese
Bewegung durch das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bunde
und die Errichtung des kleindeutschen Reiches von 1871 auf eine sehr
merkwürdige Weise unterbrochen. Auf der einen Seite nahm dieses Reich
einen so mächtigen und schnellen Aufschwung, daß nach außen
hin gar nicht der Eindruck entstand, als fehle ihm noch etwas zur
Vollständigkeit und nationalen Größe. Auf der andern Seite
gewannen die europäischen Verhältnisse durch die natürliche
und früher oder später unaufhaltsame Annäherung zwischen
Frankreich und Rußland, mit den beiden Kriegszielen
Elsaß-Lothringen und Konstantinopel, eine solche Gestalt, daß
Deutschland auf die Gewinnung mindestens eines starken Bundesgenossen
angewiesen war. Für jene Zeit galt in der Tat das Wort, das Bismarck
zugeschrieben wird: Wenn Österreich nicht da wäre, so
müßte man es erfinden! "Österreich" in diesem Sinne
bedeutete die österreichisch-ungarische Monarchie als staatliche
Zusammenfassung der Osthälfte von Mitteleuropa. Die
osteuropäische Landmasse war geeint im russischen Staat, dessen 150
Millionen Menschen dem autokratischen Willen des Zaren gehorchten und der in
Gestalt von Kongreßpolen noch eine nach Mitteleuropa hinein
vorgeschobene Bastion besaß. Wenn man sich vorstellt, daß unter
diesen Verhältnissen, bei der Unsicherheit des italienischen
Bundesgenossen im Dreibund, bei der zunehmenden Intimität zwischen
Frankreich und Rußland und bei dem allmählichen Emporkommen
des Gegensatzes zwischen Deutschland und England, der deutsche
Staatskörper zwar die deutsch-österreichischen Länder mit
umfaßt, die österreichisch-ungarische Großmacht aber nicht
existiert hätte, so hätte das so viel bedeutet wie ein sofortiges
Vordringen der russischen Macht bis an den Fuß der Ostalpen und bis an
das Adriatische Meer. Die kleineren Völkerstaaten an der unteren Donau
und am Balkan hätten nicht die Kraft gehabt, manche auch nicht den
Willen, sich dem zu widersetzen. Deutschland hätte an Einwohnerzahl
gewonnen - ein schwieriges Problem hätten dabei auf jeden Fall die
Tschechen gebildet - aber nicht so viel, um ohne Bundesgenossen den
vereinigten Gegnern gewachsen zu sein. Bismarcks fester Wille, beim
Abschluß des Friedens Österreich soweit zu schonen, daß es
sich nachher als Bundesgenosse für Deutschland gewinnen ließ, ist
daher verständlich. Ebenso verständlich war der Abschluß des
Dreibundes. Nachträglich läßt sich leicht behaupten, das
Bündnis mit Österreich habe das Setzen auf eine falsche Karte
bedeutet, da Österreich schon ein morsches, innerlich nicht mehr
zusammenhaltendes Gebilde gewesen sei. Österreich war nicht morscher
als Rußland, das ein Jahr früher auseinanderbrach als der Staat der
Habsburger und seine Wiederaufrichtung nur vornehmen konnte, weil keine
starke Macht in Europa es daran hinderte. Der Weltkrieg hätte bei besserer
politischer Führung ebensogut mit der Selbstbehauptung, d. h. mit
dem Siege Deutschlands und mit der Reorganisation des Habsburger Reiches auf
national-föderalistischer Grundlage enden können.
[31] Dadurch, daß das
Bismarcksche Reich einen so unerhörten Aufschwung nahm, verlor sich bei
der nächstfolgenden Generation in Deutschland, die an die Zeit vor 1866
keine Erinnerung mehr besaß und die für ihr Teil nichts zur
nationalen Größe zu entbehren glaubte, das Gefühl
dafür, daß der deutsche Nationalstaat ohne das deutsche Volkstum
Österreichs nicht vollständig war. Unwillkürlich betrachtete
man den Zustand, daß Österreich-Ungarn als der "treue
Bundesgenosse" an der Seite Deutschlands stand, im übrigen aber formell
"Ausland" bedeutete, als das Gegebene und Dauernde. Am Anfang des 19.
Jahrhunderts waren auch die deutsch-österreichischen Länder
für das reichsdeutsche Gefühl nicht mehr eigentlich Deutschland,
wenn auch ohne Frage "deutsches Land". In Österreich war es umgekehrt.
1866 überwog noch bei der Mehrheit der
Deutsch-Österreicher der Zorn gegen Preußen, das man als Urheber
des Bruderkrieges ansah. Je mehr aber späterhin die Bundesgenossenschaft
mit Deutschland erstarkte und je mehr im Habsburger Staat die Interessen der
Deutschen, hinter slawischen und madjarischen, zurücktreten
mußten, desto wärmer erinnerte man sich der gemeinsamen
Deutschheit mit den übrigen deutschen Stämmen und der
tausendjährigen Verbindung zu einem Reiche. Österreich war es, wo
der großdeutsche Gedanke im heutigen Sinne zu wachsen anfing und in
manchen Kreisen sogar eine Wendung gegen das Habsburgertum und die Idee des
österreichisch-ungarischen Gesamtstaates nahm. Der große deutsche
Körper und die offenkundige Tatsache, daß das deutsche Leben im
Reiche einen stärkeren Pulschlag und eine größere Zukunft
hatte als in Österreich, begannen ihre Anziehungskraft zu
äußern. Die Österreicher erinnerten sich zuerst, daß sie
Deutsche waren, deutsch ebensogut wie die Bayern, Schwaben, Franken, Sachsen,
Rheinländer, Brandenburger, Pommern, Preußen. Wohin diese
Bewegung geführt hätte, wenn der Weltkrieg zu einem
günstigeren Ende für die Mittelmächte gelangt wäre, als
es tatsächlich geschah, ist schwer zu sagen.
Der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie stellte im
Oktober 1918 die Deutschen in Österreich vor die Notwendigkeit, einen
neuen Staat zu gründen. Im Gegensatz zu den anderen Völkern des
habsburgischen Reiches hatten die Deutschen die Aufrichtung eines eigenen
nationalen Gemeinwesens weder geplant noch vorbereitet. Die Notwendigkeit traf
sie über Nacht. Unter den 14 Punkten Wilsons war auch "die autonome
Entwicklung der Nationen in Österreich" gefordert. Zu diesen
gehörten ohne Zweifel auch die Deutschen. Auch das
Selbstbestimmungsrecht war unter der Vorbedingung des Friedens genannt und
festgesetzt. Die 210 deutschen Volksvertreter des alten österreichischen
Abgeordnetenhauses (Reichsrates) konstituierten sich also als provisorische
Nationalversammlung. Diese beriet und beschloß die grundlegenden
Einrichtungen des Staates und schuf, nachdem Kaiser Karl auf jeden Anteil an den
Staatsgeschäften verzichtet und im voraus jede Entscheidung der
Nationalversammlung über die
zu- [32] künftige
Staatsform anerkannt hatte, am 12. November 1918 das Gesetz über die
Staats- und Regierungsform Deutsch-Österreichs. Seine ersten Artikel
lauten:
- Deutsch-Österreich ist eine demokratische
Republik.
- Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volk eingesetzt.
- Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der deutschen
Republik.
Damit war das neue Gemeinwesen, das die geschlossen lebenden Deutschen des
alten Österreich (einschließlich der Sudetendeutschen)
umfaßte, gegründet, und sein Wille war kundgegeben, dem
Deutschen Reiche als Teilstaat anzugehören. Im Februar 1919 wurde die
konstituierende Nationalversammlung gewählt, deren nächste
Aufgaben der Abschluß des Friedensvertrages und des Verfassungswerkes
waren. Im Innern bestand infolge der Hungerblockade eine ungeheure materielle Not.
Außenpolitisch kam alles auf die Friedensbedingungen an, auf deren
|
Feststellung infolge der Verhandlungsmethoden der Sieger Österreich bis
zuletzt so gut wie gar keinen Einfluß hatte. Der Besetzung der deutschen
Teile von Böhmen, Mähren und
Österreichisch-Schlesien durch die Tschechen, der faktischen Wegnahme
Südtirols und des Südens der Länder Kärnten und
Steiermark durch die Italiener und Jugoslawen stand Österreich wehrlos
und entwaffnet gegenüber. Die aus der Mitte des Volkes entstandenen
Gegenwehrversuche in Deutschböhmen und Sudetenland wurden durch die
Tschechen rasch unterdrückt; nur in Kärnten gelang es dem
aufopferungsvollen Widerstand der Kärntner Heimwehren, den Einbruch
jugoslawischer Banden über die Grenzen des Gebietes, das infolge der
späteren Abstimmung Österreich endgültig zufiel,
abzuwehren.
Der Diktatfriede von St. Germain zerstörte die Hoffnung auf eine
bevorstehende Vereinigung Deutsch-Österreichs mit dem Deutschen
Reiche, an dessen Nationalversammlung in Weimar schon österreichische
Abgesandte teilgenommen hatten. Der Anschluß wurde zwar nicht
verboten, aber Österreich die "Unabhängigkeit"
befohlen und deren
Aufgabe von dem einstimmigen Beschluß des Völkerbundrates
abhängig gemacht (Art. 88: "Die Unabhängigkeit Österreichs
ist unabänderlich, es sei denn, daß der Rat des Völkerbundes
einer Abänderung zustimmt. Daher übernimmt Österreich die
Verpflichtung, sich, außer mit Zustimmung des gedachten Rates, jeder
Handlung zu enthalten, die mittelbar oder unmittelbar oder auf irgend welchem
Wege, namentlich bis zu seiner Zulassung als Mitglied des Völkerbundes,
im Wege der Teilnahme an den Angelegenheiten einer anderen Macht seine
Unabhängigkeit gefährden könnte.") Eine analoge
Bestimmung über Österreich enthält der Friedensvertrag von
Versailles (Art. 80). Außerdem aber wurde
Deutsch-Österreich, das seither den Namen "Österreich" tragen
muß, damit die Fiktion der Schuld am Kriege und der Rechtsnachfolge
gegenüber dem alten Österreich hergestellt werde,
außerordentlich verkleinert. Weite Gebiete mit nicht weniger als rund vier
Millionen deutscher Einwohner, schon vorher mit Gewalt Fremdstaaten
unter- [33] worfen, kamen nun auch
vertraglich unter Fremdherrschaft:
Deutsch-Nordböhmen, der Böhmer Wald im südwestlichen
Böhmen, der Znaimer Kreis in Südmähren,
Deutsch-Nordmähren und Deutsch-Schlesien an die Tschechen,
Südtirol vom Brenner bis zur Salurner Klause und die südwestlichen
Teile Kärntens an die Italiener; das Steirische Unterland mit den
Städten Cilli, Marburg und Pettau an die Jugoslawen. Der einzige Gewinn
für Österreich und zugleich der einzige Erwerb deutschen Bodens
durch die Friedensverträge überhaupt war die Zuerkennung des
Burgenlandes, der westlichsten Komitate von Ungarn mit überwiegend
deutscher Bevölkerung, ausgenommen Stadt und Gebiet von
Ödenburg.
Mit dem Verbot des Anschlusses an Deutschland war das Hauptziel einer aktiven
auswärtigen Politik vorläufig gefallen. Der vollständige
Zusammenbruch der Währung führte allmählich, bis zum
Sommer 1922, zu Zuständen, bei denen alle Bande der Ordnung sich zu
lösen schienen. Schon sprach man allen Ernstes von einem Einmarsch der
Italiener oder Tschechen. Dem damaligen Bundeskansler Dr. Seipel war es
zu verdanken, daß im Herbst in Genf die sogenannte
Völkerbundanleihe für Österreich zustande kam und die
Währung stabilisiert werden konnte. Österreich mußte sich
für die Durchführung eines Reform- und Wiederaufbauprogramms
der Kontrolle des Völkerbundes durch einen Generalkommissar mit dem
Sitz in Wien unterwerfen, und überdies wurde seine
"Unabhängigkeit", d. h. das Verbot des Anschlusses an Deutschland,
in den Genfer Protokollen von neuem verankert.
In der Tat glückte die Sanierung in finanzieller Hinsicht. Wirtschaftlich
sind die Zustände noch überaus schwierig. Namentlich liegt die
Industrie des kleinen österreichischen Wirtschaftsgebietes infolge der
extremen Hochschutzzölle der Nachbarn furchtbar danieder. Im
Zusammenhang damit ist wiederholt die Idee einer neuaufzurichtenden, mindestens
wirtschaftlich engeren Verbindung der
österreichisch-ungarischen Nachfolgestaaten diskutiert worden,
unter dem Schlagwort einer "Donauföderation". Diese Pläne, die
vom Völkerbundkomitee den interessierten Staaten warm empfohlen
waren, mußten von vornherein an den entgegengesetzten Interessen der
Nachfolgestaaten scheitern. Um so deutlicher ist es geworden, daß von einer
wirtschaftlichen Gesundung Österreichs innerhalb seiner jetzigen Grenzen
überhaut nicht die Rede sein kann, sondern nur innerhalb eines
größeren Wirtschaftsgebietes - und als ein solches kommt nur
das Deutsche Reich in Frage. Im Jahre 1921 hatten die Tiroler und Salzburger auf
eigene Faust Abstimmungen über die Frage des Anschlusses
vorgenommen, mit dem Ergebnis, daß dort 98,6, hier 99 Prozent
Stimmen für den Anschluß gezählt wurden! Bei der Entente
war man so erschrocken und entrüstet, daß die Fortsetzung dieser
privaten Abstimmung in den übrigen österreichischen
Bundesländern verboten wurde. Die Wirtschaftsfragen haben aber den
europäischen Mächten Anlaß gegeben, sich wieder mehr mit
der österreichischen Frage zu beschäftigen. In England steht man
dem Gedanken der Einigung Öster- [34] reichs mit dem
Deutschen Reiche heute nicht mehr so ablehnend gegenüber. Frankreich
dagegen, die Tschechoslowakei und Italien sind ihm nach wie vor absolut
feindlich und kümmern sich nicht um die Zusage des freien
Selbstbestimmungsrechtes im Vorfriedensvertrage vom 5. November 1918.
Das deutsche Volk ist von dem Ziele, den Boden, den es geschlossen in
Mitteleuropa bewohnt, mit einer zusammenhängenden nationalstaatlichen
Grenze zu umziehen, scheinbar durch den Weltkrieg weit zurückgeworfen
worden. In Wahrheit aber hat der Weltkrieg die Bahn hierzu frei gemacht. Das
große Hindernis war die schwer lösbare Verkoppelung des
österreichischen Deutschtums mit den nichtdeutschen habsburgischen
Reichsteilen. Dies Hindernis ist beseitigt, und mehr als das: durch die Sieger im
Weltkrieg selbst ist das Zeichen aufgerichtet, in dem beide Teile des deutschen
Volkes, im Reiche und in Österreich, ihre Vereinigung vorbringen
können. Dieses Zeichen ist das auf der feindlichen Seite als ein
Grundprinzip des zu schließenden Friedens verkündete freie
Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Die österreichische Geschichte spiegelt sich seit vielen Jahrhunderten wider
in der Entwicklung der Stadt, die so lange die Hauptstadt und zugleich ein Symbol
des alten habsburgischen Gesamtstaates gewesen ist: Wien. An einem
natürlichen Verkehrsplatz von der unvergleichlichen Lage Wiens konnte
zweierlei entstehen: entweder die Hauptstadt der Osthälfte von
Mitteleuropa, mit Einbegriff der östlichen
Alpen- und der Sudetenländer, oder die
Ein- und Ausgangspforte für den Verkehr eines national und politisch
geeinigten Großdeutschland mit den Gebieten an der unteren Donau, am
Balkan und am Schwarzen Meer. Weil in Wien naturnotwendig ein Sammelpunkt
starker wirtschaftlicher und daher auch politischer Kräfte entstehen
mußte, und weil der Besitz des Donaudurchgangs zwischen den Alpen und
der von Gebirgen umschlossenen böhmischen Masse im Verein mit Wien
den Habsburgern von vornherein eine bedeutende Machtstellung in Deutschland
|
verlieh, konnte es geschehen, daß Österreich, ähnlich wie
Brandenburg-Preußen, zu einem besonderen Gebilde innerhalb des
mittelalterlichen deutschen Reiches wurde: dem Hausland und der
Machtgrundlage der Habsburger.
Dadurch, daß es den Habsburgern gelang, aus den
Alpen- und Donauländern ein großes Reich zu bilden und dessen
politische, wirtschaftliche und kulturelle Kräfte in dem einen Brennpunkt
Wien zu vereinigen, wurde Wien zwar ein starkes Kulturzentrum für
Deutschland, aber die großen wirtschaftlichen Kräfte, die sich in ihm
sammelten, arbeiteten nicht für Deutschland, sondern für
Österreich-Ungarn.
Wiens Rolle als Reichshauptstadt ist jedoch zuletzt daran gescheitert, daß es
nicht dauernd gelang, die Vielzahl auseinanderstrebender Nationalitäten,
die unter dem Zepter der Habsburger gesammelt waren, zusammenzuhalten. Die
künstliche doppelte Staatenbildung
"Österreich-Ungarn" schien eine Zeitlang als Hilfsmittel dazu geeignet. Sie
versagte aber schließlich, weil in das
österreichisch-ungarische [35] Staatsgebiet von allen
Seiten Nationalitäten hineinragten, deren Angehörige
außerhalb Österreich-Ungarns ein staatliches Eigendasein
besaßen: Rumänen, Serben, Italiener und nicht zuletzt Deutsche.
Auch die Polen konnten in gewissem Sinne dazu gerechnet werden. Als die
Schicksalsfrage für den habsburgischen Staat erwies sich die serbische.
Wäre es möglich gewesen - vielleicht war es auch weniger
eine Frage der Möglichkeit als der Einsicht und
Entschlußkraft - in Wien und in Budapest eine Politik zu machen,
durch die dem Serbentum die staatliche Vereinigung unter Habsburg, in einem
ähnlichen Verhältnis wie etwa Ungarn, als Ideal gezeigt wurde, statt
der Zersprengung Österreichs und Ungarns und der Errichtung des
Vereinigten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, so hätte
sich das Schicksal Europas anders gestaltet. Man wird aber zugeben
müssen, daß damit vielleicht auch die Trennung des
österreichischen Deutschtums vom Gesamtdeutschtum besiegelt gewesen
wäre!
Nachdem es anders gekommen ist, bleibt für die einstige habsburgische
Reichshauptstadt Wien nur die zweite natürliche Aufgabe übrig:
Deutschlands östliches Hamburg zu werden, das seine Aufgabe für
die Entwicklung des deutschen Ostverkehrs zukünftig ebenso
glänzend erfüllt, wie das Hamburg an der Nordsee die seinige
[16b]
Gallneukirchen, Ober-Österreich.
[28a]
Gmunden, Ober-Österreich.
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für den deutschen Überseeverkehr. Ist die unausbleibliche
Vereinigung zwischen dem Deutschen Reich und Österreich einmal
geschehen, so wird alles, was es an großen deutschen Verkehrsinteressen
mit dem europäischen Osten und Südosten gibt, seinen Sitz in Wien
aufschlagen.
Wien hat 2 Millionen Einwohner; alle österreichischen Länder,
Ober- und Niederösterreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und
Tirol, zusammen außerhalb der Hauptstadt haben nur wenig mehr als das
Doppelte, etwa 4½ Millionen. Darin spricht sich Wiens
frühere Stellung als Zentralpunkt einer europäischen
Großmacht aus; ebenso aber das verhältnismäßig geringe
materielle Schwergewicht der Ostalpenländer gegenüber dem
Donaudurchgang und seinem östlichen Schlüsselpunkt. Das
materielle Schwergewicht hat aber hier nichts zu tun mit dem volkhaften. An
Deutschtum, an deutscher Kraft und Tüchtigkeit steckt in der
Bevölkerung der Alpenländer ein ungeheures nationales Kapital. Es
ist nicht möglich, irgendwo auf dem gesamten Wohngebiet des deutschen
Volkes noch einmal 4½ Millionen Deutsche beieinander zu finden,
die reicher an Werten der Volkhaftigkeit wären als die Österreicher.
Ja, mehr als das: eine solche Verbindung von noch vorhandener elementarer
Verwobenheit mit der Natur, von Heimattreue, von
gefühlsmäßiger künstlerischer Aufgeschlossenheit und
Begabung wie in den deutschen Ostalpenländern, wohnt überhaupt
kein zweites Mal auf dem deutschen Volksboden. Man darf nicht
Österreich und Wien verwechseln. Wien dominiert wirtschaftlich und
verkehrspolitisch absolut; aber Wien ist nicht Österreich.
[32a]
Linz, Altstadt.
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|
[32a]
Hof aus Rossaz,
Wachau. |
[16c]
Steyr, Ober-Österreich.
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Österreich im ganzen läßt sich formal geographisch
charakterisieren als der Donaudurchgang plus einer Anzahl von
Alpentälern. Das Eigentümliche aber ist, [36] daß diese
Täler eigentlich alle ihre Zugänglichkeit erst von Wien her haben. An
der Donau gibt es nur einige mittlere Städte, wie Linz, Krems, allenfalls
noch Melk mit seinem berühmten Stift. Aller größerer Verkehr
zielt auf Wien und geht von Wien aus. Von den Zugängen, die sich direkt
aus dem Donautal in das Alpengebiet öffnen, reicht kein einziger weiter als
bis an den Fuß der hohen Zentralkette der Alpen, der Tauern. Der wirkliche
Zugang in das Herz der Ostalpen zeigt sich erst von Wien aus in
südöstlicher Richtung über den Semmering. Er zielt
zunächst auf Bruck, am Knie der Mur, wo diese ihre große
südwärts gerichtete Biegung macht. Von Bruck, das südlich
von der Zentralalpenkette liegt, geht der Verkehr in zwei Richtungen auseinander:
südlich murabwärts nach Graz, Marburg und Agram; westlich
muraufwärts nach Klagenfurt, Villach, Triest und Venedig. Graz, das doch
nur ein Zehntel der Einwohnerschaft von Wien hat, ist der einzige Ort in
Österreich, der allenfalls neben Wien eine Großstadt genannt werden
kann. Wiener Neustadt an der Semmeringstraße, Klagenfurt, die Hauptstadt
von Kärnten, Steyr an der Enns, die alte Stadt der Waffenschmiede und der
Gewehrfabrikation, Salzburg, Villach, selbst Innsbruck, sind nur
Mittelstädte, von denen keine einzige das erste Hunderttausend an
Einwohnern erreicht. Die meisten bleiben weit darunter. So berühmt
manche von ihnen durch ihre Geschichte, durch ihre Kulturdenkmäler und
durch die Schönheit ihrer Lage sind, so bedeuten sie doch wirtschaftlich
immer nur den Mittelpunkt eines beschränkten Talgebiets, und erst die
Zusammenfassung aller dieser Täler von Wien aus hat aus der ganzen
östlichen Alpenregion ein politische Gebilde von außerordentlicher
Stärke der innerlich zusammengehaltenen Kräfte gemacht. Man
denke an die Kraft und Leidenschaft, mit der sich die Volksbewegung in dem
entferntesten der österreichischen Länder, Tirol, im Jahre 1809 gegen
die Loslösung des Gebiets von Österreich erhob!
[32c]
Innsbruck, Goldenes Dachl.
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[32c]
Innsbruck,
Helbinghaus. |
Dieses ganze österreichische Volkstum, ohne Unterschied seiner innern
politische und kirchlichen Richtung, ist jetzt vereint in einem einzigen und
geschlossenen Begehren, und gegenüber dieser Bestimmtheit des
Volkswillens kommen Rücksichten zweiter Ordnung, wie konfessionelle
Sonderbedenken oder Zweifel über die Umstellung gewisser
österreichischer Industrien nicht in Betracht. Österreichs Zukunft
kann heute nicht mehr anders gedacht werden als Österreichs Anfang.
Österreich ist vor einem Jahrtausend entstanden als eine Ausstrahlung
deutscher Volkskraft und deutscher Kultur; Österreich ist nie etwas anderes
gewesen als deutscher Volks- und Kulturboden; Österreich will
wieder heim ins Reich!
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