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Nikolsburg und Prag 1866

Der Friede von 1866 bietet in jeder Hinsicht ein anderes Bild als der zwei Jahre früher geschlossene. Fanden wir das Kennzeichen der Verhandlungen von 1864 darin, daß sie bis zuletzt ohne eingestandenes Ziel geführt wurden, und daß es gelang, fremde Einmischung im Voraus fernzuhalten, so trifft 1866 keines von beiden zu. Hier war im allgemeinen schon vor Beginn des Krieges ein Ziel offen aufgesteckt worden, die Lösung der deutschen Frage im preußischen Sinn; doch bevor es erreicht war, griff Frankreich in die Verhandlungen ein, Bismarck war nicht mehr allein Herr des Spiels.

Am 3. Juli war die vereinigte österreichisch-sächsische Armee bei Königgrätz geschlagen worden. Zwei Tage später erhielt König Wilhelm ein Telegramm des Kaisers Napoleon: "Die so raschen und glänzenden Erfolge Eurer Majestät haben Ergebnisse gezeitigt, die mich nötigen, aus meiner Rolle vollständiger Zurückhaltung herauszutreten... Ich kenne die hochherzige Gesinnung Eurer Majestät und Ihr herzliches Vertrauen zu mir zu gut, um nicht zu glauben, daß Sie Ihrerseits... mit Genugtuung die Anstrengungen aufnehmen werden, die ich zu machen bereit bin, um Ihren Staaten und Europa den kostbaren Vorzug des Friedens wiederzugeben."

Das war in der Form eine Vermittlung, "Mediation", in der Sache war es Intervention. Daß der Wortlaut des Telegramms noch am 5. Juli im Moniteur veröffentlicht wurde, schloß jeden Zweifel aus. Napoleon trat als Schiedsrichter zwischen die Kämpfenden. Frankreich stand wieder einmal an der Spitze Europas. So faßte es auch die Pariser Öffentlichkeit auf: Illumination, Straßenkundgebung, steigende Kurse.

König Wilhelm war empört. "Unglaublich!" war sein erster Ausruf. Auch Bismarck empfand den Schritt des Kaisers als eine arge Durchkreuzung seiner Pläne. Zu seinen Vertrauten, Keudell und Abeken, sagte er "in ernstem Ton": "Nach einigen Jahren wird Louis voraussichtlich diese Parteinahme gegen uns bedauern; sie kann ihm teuer zu stehen kommen." Aber wie die Dinge lagen, waren König [24] und Minister darin einig, daß man die französische Vermittlung grundsätzlich annehmen müsse. Damit war es von vornherein entschieden, daß das Ergebnis der Friedensverhandlungen im besten Fall ein Kompromiß sein würde. So ist es denn auch gekommen. Der Vorfriede von Nikolsburg (26. Juli), der in Prag (23. August) zum endgültigen Frieden wurde, deckt sich nicht mit dem, was Bismarck erreicht haben würde, wenn er ihn ohne französische Vermittlung hätte schließen können, er enthält weniger und enthält anderes, als ursprünglich beabsichtigt war. Daß die Abweichungen nicht unerträglich und das Ziel im wesentlichen dennoch erreicht wurde, war der unvergleichlichen Meisterschaft zu danken, mit der Bismarck die Verhandlungen unter den schwierigsten äußeren Umständen zu führen verstand.

Wer heute diese Dinge studiert, hat allen Grund, Napoleon dankbar zu sein. Der Umweg über Paris, den die Verhandlungen infolge seiner Vermittlung nehmen mußten, bewirkte, daß sie schriftlich geführt wurden, in stetem Gedankenaustausch zwischen dem Minister, seinem Botschafter und dem Kaiser der Franzosen. So sind wir in der glücklichen Lage, sie Schritt für Schritt verfolgen zu können. Daß dabei auch zwischen Bismarck und dem König eine Meinungsverschiedenheit auftrat und der Minister seinen Willen in einem Kampf nach zwei Fronten vertreten mußte, gibt der Geschichte des Friedensschlusses von 1866 einen besonderen Reiz und macht sie doppelt lehrreich. Das Richtige ist hier sozusagen in einem kontradiktorischen Verfahren gefunden worden, dem die Nachwelt zuhören darf.

Den Verlauf der Verhandlungen im einzelnen darzustellen, wäre noch immer der Mühe wert, obwohl sie im allgemeinen für bekannt gelten. Denn was man herkömmlicherweise von ihnen erzählt, ist nicht alles richtig. Die Legende hat bereits ihren Schleier um sie gewoben, eine Legende, deren Urheber allerdings niemand Geringeres ist als Bismarck selbst. Jedermann kennt das fesselnde Kapitel "Nikolsburg" in den Gedanken und Erinnerungen. Es beherrscht heute die Vorstellungen der meisten von dem Geschehenen und bildet die Grundlage des herkömmlichen Urteils über den Charakter und die Bedeutung des Friedensschlusses. Da liest man, der unpolitische Siegesrausch der Militärs, von dem auch der König angesteckt worden sei, und die ebenso unpolitische wie kleinliche Annexionslust des Herrschers hätten den Minister, der als der einzige sich von staatsmännischen Erwägungen habe leiten lassen, zum Abschiedsgesuch genötigt und ihm für einen Augenblick sogar Selbstmordgedanken eingegeben, bis das Eingreifen des Kronprinzen den König bewogen habe, sich unter bitterem Schelten über seinen Ministerpräsidenten, der ihn "vor dem Feind im Stich lasse", über "sauren Apfel" und "schmachvollen Frieden" dem Willen [25] seines Beraters zu fügen.1 Das Bild, das diese eindrucksvolle Erzählung erweckt, wird sich vielleicht nie ganz fortwischen lassen, obwohl es sich gegenüber den Akten, die Sybel in der Begründung des Deutschen Reiches mitteilt, als Wahrheit und Dichtung erweist, als eine jener Umgestaltungen, die eine lebhaft fortarbeitende Phantasie im Laufe der Zeit an den eignen Erinnerungen unbewußt vorzunehmen pflegt. Richtig ist daran nur, daß zwischen König und Minister eine tiefe Meinungsverschiedenheit bestand und daß Bismarck in seiner leidenschaftlichen und reizbaren Art, überdies von schmerzhafter Krankheit geplagt, darüber für einen Augenblick in eine fast verzweifelte Stimmung geriet. In der Erinnerung hat sich ihm auch das mit der Zeit immer mehr gesteigert und vergrößert, bis er schließlich glaubte, in Nikolsburg seinen Abschied angeboten zu haben, während er in Wirklichkeit erklärt hatte, daß er "jede von Eurer Majestät befohlene Bedingung in den Verhandlungen pflichtmäßig vertreten werde", und seinem alten Herrn einen Zorn gegen ihn andichtete, den er nie gehegt, und Äußerungen in den Mund legte, die er nie getan hat.2 Man kann, wenn man für sein Urteil eine feste tatsächliche Unterlage gewinnen will, nichts Besseres tun, als die Erzählung der Gedanken und Erinnerungen als Geschichtsquelle zunächst beiseite legen, mag sie auch ein Meisterstück der Memoirenliteratur sein.3

[26] Die Episode von Nikolsburg ist aber keineswegs der einzige und auch nicht der gefährlichste Irrtum, der die Vorstellungen von den damals geführten Verhandlungen beherrscht. Wir werden bald größere und folgenschwerere kennen lernen.



Was hatte Bismarck erstrebt, welches war das Ziel, das er sich gesteckt hatte, als er den Krieg gegen Österreich herbeiführte? Denn daß er den Krieg – um es banal auszudrücken – "gemacht" habe, weil er ihn für notwendig hielt, wird heute wohl niemand mehr bestreiten, und wer es etwa doch bezweifeln wollte, den braucht man nur an Moltkes Urteil zu erinnern: "Es war ein im Kabinett als notwendig erkannter, längst beabsichtigter und ruhig vorbereiteter Kampf." Das Kriegsziel wird zum erstenmal genannt im geheimen Bündnisvertrag mit Italien vom 8. April 1866. Da wird es als casus foederis bezeichnet, "daß die Unterhandlungen, welche S. M. der König von Preußen mit den anderen deutschen Regierungen in Absicht auf eine den Bedürfnissen der deutschen Nation entsprechende Reform der Bundesverfassung eröffnet hat, scheitern sollten und infolgedessen S. Majestät in die Lage käme, die Waffen zu ergreifen, um seine Vorschläge zur Geltung zu bringen". Der Inhalt dieser Vorschläge ist dann nach und nach an die Öffentlichkeit getreten in den Anträgen, die Preußen am Bundestag stellte, zuerst am 9. April auf Berufung eines deutschen Parlaments, dann am 10. Juni auf Ausschluß Österreichs aus dem Deutschen Bunde, Schaffung einer ständigen Volksvertretung beim Bundestag, Teilung der Landmacht des Bundes in eine Nordarmee unter preußischem und eine Südarmee unter bayerischem Oberbefehl, und dauernde vertragliche Regelung des Verhältnisses zu den deutschen Landesteilen Österreichs. Dies war das Kriegsziel, zu dem Preußen sich vor der Öffentlichkeit von Anfang an bekannte.

Es ist nicht erreicht worden. Was der Krieg brachte, war etwas anderes als das, weswegen er angeblich unternommen worden war. Geblieben ist nur der Ausschluß Österreichs; alles weitere ist weggefallen und durch anderes ersetzt. Statt des reformierten gesamtdeutschen Bundes ein bloß norddeutscher Bund mit einem norddeutschen Parlament [27] zur Seite; kein festes vertragliches Verhältnis zu Österreich; keine bayerische "Südarmee"; dafür aber die Einverleibung von Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt am Main in das Königreich Preußen. Der Unterschied springt in die Augen. Wenn wirklich das, was Bismarck vor dem Kriege als seine Absicht aufgestellt hatte, sein wahres und sein ganzes Kriegsziel gewesen war, so müßte man urteilen, daß er es aufgegeben und durch ein wesentlich anderes ersetzt hat, und da nicht anzunehmen ist, daß er dies aus freien Stücken und ohne dringende Nötigung getan haben würde, so bliebe der Schluß unvermeidlich, daß ein anderer ihn dazu gezwungen hat. Dieser Schluß ist gezogen worden, er beherrscht sogar die heute üblichen Darstellungen der Ereignisse und das Urteil über sie, das in klassischer Form zuerst Heinrich von Sybel geprägt hat. "Preußen," sagt dieser, "hatte den Krieg begonnen zum Zwecke der Bundesreform, zur Behauptung Schleswig-Holsteins, ohne einen Gedanken an weitere Annexionen. Napoleon ist es gewesen, welcher durch seinen Widerspruch gegen die deutsche Einheit Bismarck genötigt hat, für jetzt auf andere Weise, durch Verstärkung der preußischen Hausmacht, dem Könige die für Deutschlands Interessen erforderliche Machtstellung zu geben."

Sybels Werk ist unter persönlicher Zensur Bismarcks geschrieben. Man darf also in den angeführten Sätzen eine Selbstbeurteilung des Fürsten erblicken. In der Tat hat er schon ziemlich früh angefangen, in mündlichen Äußerungen, öffentlich und privatim, die Urheberschaft an den Annexionen von 1866 von sich auf andere abzuwälzen. Nur gab er dabei gelegentlich der Sache auch eine andere Wendung als sein Historiograph: nicht Napoleon sei es gewesen, sondern der König, der ihn gezwungen habe, zu annektieren. "Ich hätte," sagte er wohl, "am liebsten alle Annexionen vermieden, aber mein alter Herr war so hungrig geworden!"4 Wieder ein andermal war die öffentliche Meinung schuld gewesen. Ein Augenzeuge erzählt mir, daß der Fürst beim Empfang einer Abordnung aus dem Nassauischen gesagt hat, er habe 1866 das Land nur darum nehmen müssen, weil die Bevölkerung ihn angefleht habe, sie vom Herzog und seinen Jägern zu erlösen.

Die Glaubwürdigkeit dieser Äußerungen wäre entschieden größer, wenn in ihnen der Sündenbock nicht so oft wechselte. Im Ernst kann doch nur die Version in Betracht kommen, die bei Sybel niedergelegt ist, und es ist nur eine seltsame Paradoxie, wenn man gelegentlich mit großer Gelehrsamkeit den Nachweis zu führen versucht hat, daß in der Tat [28] nur der König Bismarck genötigt habe, seine Politik idealer Selbstlosigkeit mit einer solchen selbstsüchtiger Eroberungslust zu vertauschen. So etwas richtet sich selbst und beweist nur, daß der Sinn für Menschenart bisweilen in demselben Grade abnimmt, wie die Gelehrsamkeit wächst.

Aber auch die Auffassung Sybel-Bismarcks läßt sich nicht halten. Wir brauchen uns dabei gar nicht auf psychologische und allgemeinpolitische Erwägungen einzulassen, die zwar nahe genug liegen, aber immer nur beschränkte Beweiskraft haben. Akten und andere gleichzeitige Zeugnisse lehren übereinstimmend, daß Bismarck die deutsche Gesamteinheit 1866 noch nicht gewollt, also auch keinen Ersatz für sie zu suchen nötig gehabt, daß er dagegen von Anfang an gewisse Gebietserwerbungen für Preußen ins Auge gefaßt und gerade auf sie während der Verhandlungen stets das größte Gewicht gelegt hat. Mit einem Wort: Bismarck selbst ist der Vater des Norddeutschen Bundes mit der aus ihm entstehenden vorläufigen Zweiteilung Deutschlands, und er ist ebenso auch der Vater der Annexionen. Wenn ihm Napoleon das Spiel in gewisser Hinsicht gestört hat, so nicht, indem er ihn zu annektieren nötigte, sondern – neben anderem – indem er ihn hinderte, mehr zu annektieren.

Daß diese Sätze richtig sind, kann man sogar aus Sybels eigner Darstellung erkennen, in der schon die benutzten Akten mit dem abgegebenen Urteil in Widerspruch stehen. Noch deutlicher wird das freilich, wenn man den gesamten Schriftwechsel vor Augen hat. Wir heben hier nur die wesentlichen Hauptpunkte heraus. Das erste ist eine telegraphische Anweisung an den Botschafter in Paris vom 8. Juli (von Sybel nicht erwähnt): das Friedensprogramm gehe nicht erheblich über die Bundesreformvorschläge hinaus, indessen werde einiger Unterschied in der Behandlung von Gegnern und Anhängern unvermeidlich sein; ferner würde man Kriegsentschädigung und Sicherstellung der ungarischen Verfassung fordern. Das war sehr allgemein gehalten; man kann darin die späteren Annexionen angedeutet finden, oder auch nicht. Worin diese Unbestimmtheit ihren Grund hatte, werden wir gleich sehen. Tags darauf (9. Juli) kommt in einer längeren Instruktion die Erläuterung. Voran steht hier als erster Punkt und "für alle Beteiligten zweckmäßigste Lösung, wenn sie sich ohne Abtretung andern preußischen Gebiets erreichen ließe", die Einverleibung von Sachsen, Hannover und Hessen in Preußen. Einen neuen Krieg aber sei das doch nicht wert. "Eine hinreichend günstige Bundesreform" würde auch genügen; das, worauf es ankomme, sei "die Disposition über die Kräfte Norddeutschlands", also ein Norddeutscher Bund, in dem die bisherigen Gegner Sachsen, Hannover und Hessen entweder ungünstigere [29] Bedingungen betreffs ihrer Militärhoheit auf sich nehmen, oder einen Teil ihres Gebiets, den Leipziger Kreis, Ostfriesland, dazu das Erbrecht auf Braunschweig hergeben müßten. Auch von einem Austausch von Oberhessen gegen Hanau ist die Rede. Die Annexion der Elbherzogtümer wird als selbstverständlich hingestellt. Der Botschafter solle mit dem Kaiser alle Möglichkeiten sondierend durchsprechen und zu erfahren suchen, welche außerdeutschen Kompensationen dieser haben wolle, um das Maximum der Annexionen gutheißen zu können. Tags darauf eilt eine Nachschrift nach Paris. Der Botschafter soll nicht die unbedingte Alternative, entweder volle Annexionen oder Bundesreform ohne Annexionen, stellen, sondern eine Kombination von beiden, Bundesreform mit teilweisen Annexionen, offen lassen und daran festhalten, "daß jede volle Annexion, die ohne Abtretung preußischen Gebiets erlangt werden kann, besser ist als die halbe auf dem Reformwege."

Man muß alle diese Sätze in ihr Gegenteil umdeuten, um behaupten zu können, daß hier nicht das große Annexionsprogramm – ganz Sachsen, Hannover, Hessen neben Schleswig-Holstein – als das wünschenswerteste und in erster Linie zu erstrebende Ziel hingestellt wird, auf das man nur verzichten will, wenn es ohne Krieg oder Abtretung preußischen Bodens nicht zu erreichen ist. Und wenn man nicht das Ganze haben kann, dann wenigstens einen Teil, womöglich ganze Staaten, keine bloßen Teilstücke.

Ausdrücklich bezeichnet Bismarck dies alles auch als seine persönliche Meinung. "Meinerseits – sagt er – finde ich den Unterschied zwischen einer uns hinreichend günstigen Bundesreform und dem unmittelbaren Erwerb jener Länder nicht groß genug, um deswegen das Schicksal der Monarchie aufs Spiel zu setzen." Und später: ein definitiver königlicher Entschluß sei ihm noch nicht bekannt; der König denke übrigens an Thronwechsel in Hannover, Kurhessen, Meiningen, an eine böhmische Grenzregulierung, an Ersatz der Kriegskosten, vielleicht auch an Sicherung der ungarischen Konstitution. Für jeden, der die Sprache des Hofes kennt, bedeutet dies: der König will etwas ganz anderes als ich, aber ich gedenke ihn zu meiner Ansicht zu bekehren. Nun wissen wir, warum die erste telegraphische Weisung sich so unbestimmt ausdrückte!

Es kann also gar kein Zweifel sein, daß das Programm für die Friedensbedingungen von Bismarck ganz persönlich herrührt. Er hat den Annexionsplan zuerst aufgestellt.

Hat er das getan unter dem Zwang der französischen Einmischung, als Ersatz für die deutsche Einheit? Auch dies nicht. Denn in der Instruktion vom 9./10. Juli wird ja an der Reform des Bundes als [30] einer zweiten Möglichkeit festgehalten, vor der aber die große Annexion an sich den Vorzug verdienen würde. Freilich soll sich diese Reform jetzt nur noch auf Norddeutschland beziehen; aber daß diese Beschränkung eine Folge des französischen Dazwischentretens sei, wird nirgends angedeutet, sogar das Gegenteil offen ausgesprochen. Man lese es bei Sybel (Bd. 5, S. 250) nach: "Er spreche, bemerkte hier Bismarck, das Wort Norddeutscher Bund ganz unbedenklich aus, weil er es, wenn die uns nötige Konsolidierung des Bundes gewonnen werden solle, zurzeit noch für unmöglich halte, auch Süddeutschland noch hineinzuziehen. Es sei also, um unserer Schöpfung diejenige Begrenzung zu geben, welche ihr eine feste Verschmelzung sichert, gerade der jetzige Augenblick günstig, wo die Unmöglichkeit vorliege, die Vertretung Süddeutschlands unsererseits zum Parlament zu berufen." Wer kann da noch im Zweifel sein? Bismarck will im Jahre 1866 die Süddeutschen noch gar nicht haben, weil der Bund erst fest zusammenwachsen soll und sie dabei stören würden. Er hat die Gesamteinheit damals noch nicht erstrebt, also auch nicht auf sie verzichten können, noch weniger einen Ersatz für sie zu suchen gebraucht.

Dafür liegen auch sonst Anzeichen genug vor. Es war gewiß tendenziöse Übertreibung dabei, wenn er vor dem Krieg den Franzosen gegenüber erklärte, die Südstaaten, das "deutsche Kalabrien", wolle er Österreich überliefern, und wenn er noch in Nikolsburg erklärte, Preußen begehre nichts weiter, als Süddeutschland seinem Schicksal zu überlassen und jede Gemeinschaft mit ihm aufzugeben. Aber daß ein Kern von Wahrheit darin steckte, ist doch nicht zu bestreiten. Bismarck scheute eine zu rasche Verbindung mit dem Süden, er zog es vor, zunächst einmal den Norden fest zusammenzufassen und an die preußische Führung zu gewöhnen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Gesprächsweise hat er selbst auf den konfessionellen Unterschied hingewiesen: dem "vorwiegend protestantischen" Norden stand in seiner Vorstellung sehr bezeichnenderweise der vorwiegend katholische Süden gegenüber. Ergänzend darf man an die Machtverteilung erinnern: nördlich des Mains ließ sich das territoriale Übergewicht Preußens leicht durch Annexionen unerschütterlich sicherstellen, im Süden hatte man es mit zwei großen Königreichen von starkem dynastischem und Stammesgefühl und ausgesprochener Feindseligkeit zu tun, die sich nicht amputieren ließen und mit denen ein enges Verhältnis unmittelbar nach dem Kriege einzugehen ein Wagnis war. So dachte auch Bismarck nicht allein. Max Duncker, unstreitig der klügste Kopf unter den preußischen Politikern, stimmte ihm durchaus zu; er warnte davor, durch Aufnahme des Südens in den Bund "das trojanische Pferd in die Mauern Ilions zu ziehen".

[31] Daß Bismarck vor dem Kriege dennoch den gesamtdeutschen Bund als seinen Plan hinstellte, bedarf eigentlich keiner Erklärung. Etwas anderes konnte er gar nicht tun, wenn er darauf ausging, die Sympathien des Volkes zu gewinnen; und daß es ihm mit den Anträgen beim Bundestag vom 11. Mai und 10. Juni um nichts anderes zu tun war, bedarf keines Beweises. Was er am 23. April zu Duncker über den Antrag auf ein deutsches Parlament sagte – er sei dazu bestimmt, die Mittelstaaten von der Verbindung mit Österreich abzuhalten – das gilt nicht weniger von der ganzen damaligen Bundesreform. Insbesondere der Antrag auf Teilung des Oberbefehls über die Bundestruppen zwischen Preußen und Bayern kann unmöglich jemals seine wahre Meinung enthalten haben. Das hätte geheißen, die Spaltung Deutschlands verewigen, nicht seiner Einigung vorarbeiten. Alle diese Anträge wurden gestellt, um das Schußfeld gegen Österreich diplomatisch frei zu machen. Sie sollten auf das Volk wirken, auf Bayern, auch auf Napoleon, von dem Bismarck wußte, daß er ein preußisches Gesamtdeutschland nicht dulden würde und einem deutschen Volksparlament schon mit Rücksicht auf seine eigene Vergangenheit nicht widersprechen konnte. Und sie konnten ruhig gestellt werden, weil man wußte, daß sie nicht würden angenommen werden. Kam es dann zum Kriege, so war man nicht mehr an sie gebunden. In ihnen wurde also das wahre Kriegsziel mehr verhüllt als gezeigt. Dieses lag zwar in der gleichen Richtung, aber es sah anders aus.

Was der Beginn der Verhandlungen zeigt, wird durch ihren weiteren Verlauf bestätigt. Der Botschafter in Paris, Graf Robert von der Goltz, in dessen Händen vorzugsweise das Geschäft ruhte, erhielt seine Instruktionen so spät, daß er die Absichten seiner Regierung erraten und die entscheidenden Schritte ziemlich nach Augenmaß und auf eigene Verantwortung tun mußte. So ist es nicht zu verwundern, daß er, trotz seiner seltenen Fähigkeiten, gerade in einem wesentlichen Punkt es seinem Vorgesetzten nicht zu Danke gemacht hat und sich eine Rüge holte, gegen die er sich dann in einer eingehenden Darstellung seiner Tätigkeit zu verteidigen suchte.5 Dieser Punkt aber betrifft – die Annexionen!

Im Besitz der Instruktionen vom 8. und 10. Juli hatte Goltz Unterredungen mit Napoleon gepflogen, deren Ergebnis war, daß er selbst die Friedensbedingungen formulierte, die der Kaiser dann als seinen Vermittlungsvorschlag in Wien überreichen ließ. In diesem Entwurf nun – der denn auch die Grundlage der Nikolsburger Friedens- [32] urkunde geworden ist – nahm Goltz die Annexionen nicht ausdrücklich auf, er begnügte sich, bei seinen Abmachungen mit Napoleon in einer allgemeinen Wendung die Tür zu ihnen offen zu halten, weil ihm die erhaltenen Weisungen in dieser Hinsicht zu wenig bestimmt schienen und er fürchtete, wenn er die höchsten Ansprüche Bismarcks geltend mache, auf Ablehnung oder auf unerfüllbare Kompensationswünsche zu stoßen. Bismarck war hierüber sehr ungehalten. "Die schon früher erwähnten Annexionen," schrieb er, "sind eine Notwendigkeit geworden, wenn das preußische Volk befriedigt werden soll." Und: "Die Hauptsache für uns ist im gegenwärtigen Augenblick die Annexion von drei bis vier Millionen norddeutscher Einwohner." Er erklärte deshalb den Entwurf als nicht genügend und bestand entschieden darauf, daß auch die Annexionen gegenüber Napoleon völlig sichergestellt würden: er sollte sie nicht nur billigen, sondern unterstützen.

Wer hiernach noch einen Zweifel hegt, daß das ursprüngliche Programm, mit dem Bismarck in den Krieg gezogen war, auf Bildung eines norddeutschen Bundes unter preußischer Militärhoheit und Einverleibung eines beträchtlichen Teiles norddeutschen Gebiets in Preußen lautete, der wird wohl durch zwei eigene Zeugnisse Bismarcks überzeugt werden. Das eine ist eine Bemerkung im preußischen Abgeordnetenhaus am 12. Dezember 1866. Der Abgeordnete Waldeck hatte bezweifelt, ob der Ministerpräsident "ein so großes Preußen, wie es jetzt ist", wirklich schon vor dem Kriege erstrebt habe. Bismarck antwortete ihm: "Was das Maß der Annexion betrifft, so hing das wesentlich von dem Maße der Siege und von der Konstellation der europäischen Mächte in dem Augenblick der Entscheidung ab, es entzog sich also der diplomatischen Berechnung. Daß es im Falle des Sieges ganz ohne Annexion abgehen würde, das habe ich allerdings nicht geglaubt." Das andere Zeugnis ist ein Gespräch, das Bismarck am 4. Juli, dem Tage nach der Schlacht bei Königgrätz, mit dem Kronprinzen führte. Der dabei anwesende General v. Stosch berichtet darüber unverkennbar auf Grund einer Tagebuchnotiz. Auf die Frage des Kronprinzen, "welche Resultate er nunmehr vom Kriege fordere", entwickelte Bismarck "wundervoll klar und anregend" die Friedensbedingungen, die er zu stellen gedachte: "Ausschluß Österreichs aus Deutschland; Einigung des wesentlich protestantischen Norddeutschlands als Etappe zur großen Einheit; außer dem König von Sachsen sollte kein Souverän gestrichen werden, Hessen und Hannover nur so weit verkleinert, wie zur geschlossenen Verbindung unserer Ost- und Westprovinzen notwendig." Ein vollgültigeres Zeugnis über das, was Bismarck wirklich im Sinne hatte, läßt sich schwer denken. Mit dem Erben der Krone, der jeden Tag zur Regierung gelangen konnte, Ver- [33] steck zu spielen, hatte keinen Sinn, am wenigsten im damaligen Augenblick, wo der Minister, im Besitz des ersten großen Erfolges, daran ging, mit dem Prinzen, der bisher sein Gegner gewesen war, der nicht nur seine innere Politik aufs schärfste verurteilt, sondern auch dem Kriege gegen Österreich widersprochen hatte, Frieden und Versöhnung zu schließen. Das Gespräch war eine "Aussprache" in aller Form; da konnte nur Offenheit etwas nützen. Es bedarf auch keiner Erörterung, daß das, was der Minister dem Kronprinzen vortrug, ihm nicht erst auf dem Schlachtfeld von Königgrätz eingefallen sein kann.

Wir dürfen also mit aller Bestimmtheit feststellen: Bismarcks ursprüngliches Kriegsziel im Jahre 1866 war die Gründung des Norddeutschen Bundes und die Annexion von Sachsen nebst Teilen von Hannover und Hessen (Schleswig-Holstein verstand sich von selbst). Wenn in der Instruktion für Goltz ganz Hessen und Hannover genannt waren, so war dies eben ein Maximum, auf dem man nicht unbedingt zu bestehen brauchte. Seine "Maximalforderung" nennt Bismarck selbst es in einer Depesche nach Petersburg, die wir noch kennen lernen werden. Was er dem Kronprinzen sagte, war sein Mindestprogramm.

Daß dabei die Annexion von Sachsen an erster Stelle stand, ist nur natürlich. Sie war ja ein alter Wunsch des brandenburgisch-preußischen Staates, Friedrich der Große hatte sie in einem politischen Testament seinen Nachfolgern ans Herz gelegt, auf dem Wiener Kongreß hatte man lange darum gekämpft. Die geographische Lage forderte förmlich dazu heraus, und zudem hatte das Königreich unter der Leitung Beusts, die alte Rivalität der Wettiner gegen die Hohenzollern steigernd, in besonders feindseliger und gehässiger Weise die preußische Politik bekämpft. Nichts war natürlicher, als wenn es nach der Niederlage auf dem Schlachtfeld von der Karte verschwand. Es ist umgekehrt gekommen; der Friede von Nikolsburg hat Sachsen für immer gerettet. Statt dessen mußten nun ganz Hannover, Kurhessen und Nassau daran glauben, und die freie Stadt Frankfurt teilte ihr Schicksal. Diese Abwandlung war die Folge von Napoleons Einschreiten, eine keineswegs notwendige, vielleicht nicht einmal beabsichtigte Folge, aber herbeigeführt durch das Zusammenwirken verschiedener Umstände.



Napoleons Politik in den Monaten, die dem Ausbruch des deutschen Krieges vorausgingen, ist ein Muster von Unaufrichtigkeit, Begehrlichkeit und Feigheit. Man muß bis in die wüsten Zeiten der italienischen Renaissance, in die Welt der Machiavelli, Lodovico Moro und Clemens' VII. zurückgehen, um Ähnlichem in der Geschichte der Diplo- [34] matie zu begegnen. Die Erfahrungen des italienischen Krieges hatten den Kaiser von dem Gedanken abgeschreckt, zur Erreichung seiner Ziele noch einmal selbst zum Schwerte zu greifen. Daß die Rüstung Frankreichs für eine kriegerische Politik ungenügend und daß er selbst kein Feldherr sei, davon hatte er sich im Feldzug von 1859 überzeugt. Er wußte auch, daß die französische Gesellschaft unkriegerisch geworden war und die Erhaltung des Friedens wünschte. Wenn er trotzdem nicht darauf verzichten mochte, seinen Lieblingsgedanken, Italien frei bis zur Adria, verwirklicht zu sehen, und wenn er nicht darauf verzichten konnte, den historischen Zielen sich zu nähern, an denen die französische Nation hing, dem Erwerb Belgiens und des linken Rheinufers, so blieb ihm dafür nur der Weg, auftauchende Verwicklungen diplomatisch auszubeuten. Die Rolle des Schiedsrichters in Europa wollte er weiter spielen, auch das Benefiz dafür einstreichen, die Kosten der Aufführung aber sollten die Mitspieler tragen. Eine bessere Gelegenheit dafür konnte es nicht geben, als einen preußisch-österreichischen Zusammenstoß. Längst schon lauerte er darauf, und als diese Möglichkeit seit Beginn des Jahres 1866 deutlich am Horizont auftauchte, da legte er eifrig Hand an, den Ausbruch zu beschleunigen. Auf jede Art ermutigte er Preußen zum Losschlagen, versicherte es nachdrücklich seiner Freundschaft und Sympathien und führte ihm selbst den italienischen Bundesgenossen zu. Wiederholten Versuchen von preußischer Seite, im voraus zu einer festen Verständigung zu gelangen, wich er jedoch immer aus, dagegen verhandelte er zu gleicher Zeit im geheimen auch mit Österreich und schloß mit ihm einen schriftlichen Vertrag. Hier verpflichtete er sich, bei einem preußisch-österreichischen Kriege neutral zu bleiben und Italien ebenfalls zur Neutralität zu bestimmen, während Österreich versprach, im Falle eines Sieges Venetien an Frankreich abzutreten, im übrigen den bestehenden Zustand in Italien unangetastet zu lassen und sich über eine neue Regelung der Verhältnisse in Deutschland mit Frankreich zu verständigen.6

Die Erklärung für dieses rätselhafte Spiel lag in dem festen Glauben des Kaisers an einen Sieg der österreichischen Waffen, einem Glauben, in dem fast ganz Frankreich und die übrige Welt mit ihm einig waren. Für diesen sicher erwarteten Fall gedachte er als deus ex machina dazwischen zu treten, den preußischen Staat zu retten, das Gleichgewicht wieder herzustellen und sich selbst dabei gebührend be- [35] zahlt zu machen. So hatte er den Geheimvertrag mit Österreich ganz offen nicht darauf angelegt, die künftige Ordnung der Dinge im voraus festzusetzen, sondern im Gegenteil sich die Gelegenheit zum Einschreiten und zur Regelung der Verhältnisse nach seinem Ermessen offen zu halten.

Der Vertrag mit Österreich wurde am 9. Juni abgeschlossen, am 12. unterzeichnet. Am gleichen 12. Juni ließ der Kaiser im Gesetzgebenden Körper eine Botschaft verlesen, ein Manifest an Frankreich und die Welt, worin er scheinbar offen verkündigte, was Frankreich angesichts des bevorstehenden Krieges erstrebe: für Preußen festeren territorialen Zusammenhang und größere Macht in Norddeutschland; für die deutschen Mittelstaaten engere Verbindung, machtvollere Organisation und größere Bedeutung; für Österreich Fortdauer seiner bisherigen Stellung in Deutschland; für Italien den Erwerb von Venetien; für Frankreich Gebietserwerbungen nur (!) in dem Falle, daß eine andere Großmacht die bestehenden Grenzen verschieben und die Anwohner Frankreichs die Vereinigung mit ihm wünschen sollten. Frankreich habe kein anderes Interesse, als das Gleichgewicht in Europa erhalten und das in Italien begonnene Werk vollendet zu sehen. Hierfür genüge sein moralisches Ansehen. "Wir haben von den beteiligten Höfen die Versicherung, daß ohne unsere Zustimmung keine Frage gelöst werden soll, bei der unser Interesse im Spiel ist. Bleiben wir also völlig neutral in der Hoffnung auf einen Zusammenschluß der Völker zum Besten der Zivilisation, der Freiheit und des Fortschritts, im Vertrauen auf unser Recht und im ruhigen Bewußtsein unserer Kraft." In die Sprache des Alltags übersetzt, bedeuteten diese hochgeschwungenen Sätze: Frankreich glaubt in der bevorstehenden Krisis die Entscheidung ohne Schwertstreich, lediglich durch diplomatisches Eingreifen fällen und so seine Pläne ausführen zu können. Diese Pläne aber gehen im allgemeinen auf preußische Hegemonie in Norddeutschland unter entsprechender Umgestaltung des preußischen Staatsgebietes; Bildung eines Bundes der deutschen Mittelstaaten, d. h. der süddeutschen Staaten – man sieht den Rheinbund Napoleons I. durchschimmern; fortdauernder Einfluß Österreichs auf die deutschen Angelegenheiten; Abtretung Venetiens an Italien; endlich für Frankreich Kompensationen an der Ostgrenze unter Benutzung des beliebten Plebiszits.

Das waren die großen Umrisse; die Füllung des Bildes konnte man sich verschieden denken. "Der Kaiser – so hat ein französischer Diplomat, der es wissen mußte, bald nachher gesagt – der Kaiser wollte Preußen einige Schlachten verlieren lassen, dann aber intervenieren und Deutschland nach seiner Phantasie einrichten." Die kaiserliche Phantasie war immer sehr fruchtbar, sobald es sich um die Verteilung von [36] Ländern und Völkern handelte. Es ist heute kaum zu sagen, welche der vielen Kombinationen, die in den Tuilerien umherschwebten, schließlich zur Verwirklichung ausgesucht worden wäre. Man dachte wohl, daß das siegreiche Österreich sich für die Aufgabe Venetiens an Schlesien schadlos halten, Preußen als Ersatz dafür andere norddeutsche Territorien erwerben und die Rheinlande ganz oder teilweise abtreten könnte, die dann entweder mit Frankreich vereinigt oder als neues Königreich Westfalen dem König Leopold von Belgien zufallen würden, während Belgien selbst französisch werden sollte. Auch von einer Vergrößerung der süddeutschen Königreiche durch die Länder einiger zu mediatisierenden Fürsten war die Rede. Man hatte die Auswahl und konnte nach Umständen verfahren! Die Hauptsache war, daß der Krieg ausbrach, Preußen geschlagen wurde und Napoleon freie Hand bekam, "Deutschland nach seiner Phantasie einzurichten".

Es war ein schöner Plan, schlau und fein berechnet; ein gutes.Geschäft, das nichts kostete. Nur ein Fehler war in der Rechnung: die Voraussetzung war falsch. Wider alles Erwarten wurde Österreich geschlagen. Preußen siegte, und zwar so gründlich, daß man voraussehen konnte, es werde demnächst in der Lage sein, den Frieden zu diktieren. Wenn Napoleon jetzt das Spiel nicht aufgeben wollte – und das durfte er nicht nach der pompösen Ankündigung vom 12. Juni –, so war er genötigt, seine ganze Aufstellung herumzuwerfen und mit verwandter Front zu schlagen. Gegen ein siegreiches Österreich hatte er einschreiten wollen, nun sollte er es gegen das siegreiche Preußen tun. Das war doppelt schwierig, weil er sich eine schriftliche Rückendeckung nur gegen Österreich verschafft hatte. Von Preußen besaß er nur mündliche Versicherungen, die zwar oft wiederholt worden waren, aber doch schwer sich in bestimmte Verpflichtungen umsetzen ließen. Nur durch Festigkeit des Auftretens konnte man da ersetzen, was einem an verbrieften Ansprüchen abging.

Gerade dafür aber fehlten bei Napoleon damals alle Voraussetzungen. Die Ansichten seiner Ratgeber widersprachen einander. Auf der einen Seite drängte der Minister des Auswärtigen, Drouyn de l'Huys, unterstützt von dem Botschafter in Wien, Herzog von Gramont, beide preußenfeindlich gesinnt und lebhaft unterstützt von der Kaiserin, zu entschlossenem Vorgehen im Sinne des bisherigen Programms, auf der anderen warnten die persönlichen Vertrauten des Kaisers, sein Vetter Jerome, die Minister Rouher und Lavalette, vor einem Konflikt mit Preußen und Italien, der den Kaiser in unlösbaren Widerspruch gegen seine eigene Vergangenheit gesetzt haben würde. Napoleon selbst, früh gealtert, rasch verbraucht, dazu noch im Augenblick von schmerzhaftem Leiden gequält, besaß weder die Klar- [37] heit des Geistes noch die Festigkeit des Willens, um Herr der Lage zu bleiben. Er wurde das Werkzeug seiner Umgebung, und seine Politik bewegte sich von jetzt an in lauter Widersprüchen.

Schon am 1. Juli hatte Österreich, nach den ersten unglücklichen Schlägen in Böhmen, die Vermittlung Frankreichs angerufen und als Preis dafür die Abtretung Venetiens angeboten. Noch schwankte der Kaiser, da kam die Nachricht von Königgrätz. Unter ihrem Eindruck siegten die Kaiserin und Drouyn, die der österreichische Botschafter, Fürst Metternich, geschickt zu benutzen verstand. Das österreichische Gesuch wurde angenommen, das uns schon bekannte Telegramm an König Wilhelm abgeschickt und gleichzeitig dem König von Italien Venetien als französisches Geschenk angeboten. Der erwartete Erfolg war, daß Preußen sogleich Waffenstillstand schließe und Italien die Waffen niederlege. Aber das Gegenteil trat ein. Preußen nahm zwar die angebotene Vermittlung dankend an, ließ sich aber in seinen militärischen Operationen nicht aufhalten, und die Italiener, bei denen damals noch das Ehrgefühl der Gewinnsucht die Wage hielt, wiesen den gnädigen Antrag als ehrenrührige Zumutung mit Entrüstung zurück; eine Schweinerei (porcheria) nannte ihn der aufrechte Visconti-Venosta. Sie beantworteten ihn mit dem Einmarsch in das von den Österreichern geräumte Venetien.

Nun hätte Napoleon fest auftreten und seiner Vermittlung durch Drohung mit den Waffen den nötigen Nachdruck geben müssen. Aber darauf wartete die Welt vergeblich. Nicht das kleinste Anzeichen, daß er zum Ernst der Tat entschlossen sei, unterstützte seine Forderungen; er beschränkte sich auf Worte. Was ihn zurückhielt, war einmal die Furcht vor der Notwendigkeit, gegen seinen Schützling Italien Gewalt anzuwenden, vor allem aber die klare Erkenntnis, daß Frankreich völlig ungerüstet war. Drouyn de l'Huys hatte gut verlangen, daß sofort 100 000 Mann an die Ostgrenze geworfen würden; Gramont mochte in beredten Worten von der Erhabenheit des Augenblicks und der Gunst der Gelegenheit predigen, die nie wiederkehren würde: vom Rhein bis Berlin ständen keine 15 000 Soldaten, ein Krieg auf zwei Fronten sei für Preußen ganz undenkbar, Bismarck lasse nicht einmal den Gedanken daran aufkommen, mit einer ganz gefahrlosen Demonstration, der Entsendung eines Armeekorps an den Rhein, könne der Kaiser den Frieden diktieren und ohne Schwertstreich die Rheinlande gewinnen. Solche Ratschläge mußten dem Kaiser als kindliche Naivetäten erscheinen, da er nur zu gut wußte, daß ihm nicht einmal das Gramontsche eine Armeekorps für die geforderte Demonstration zur Verfügung stand, von den 100 000 Mann, die Drouyn auf dem Papier aufmarschieren ließ, ganz zu schweigen.

[38] Er hatte sich vollständig vergaloppiert. Große Politik hatte er begonnen, sie zweimal ostentativ angekündigt, und hatte doch nicht die Mittel, sie durchzuführen. Mit jedem Tage kam ihm das klarer zum Bewußtsein. Von Einflüssen seiner Umgebung hatte er sich im entscheidenden Augenblick in eine Richtung drängen lassen, die seinem eigensten Wollen widersprach. Nur ein paar Tage behaupteten sie das Feld; dann, da die Verlegenheit wuchs, die Welt immer noch vergeblich auf den Erfolg seiner erhabenen Geste wartete und die Lächerlichkeit sich zu melden begann, kam der seelische Rückschlag. "Erschüttert, ja fast gebrochen" fand ihn am 11. Juli der preußische Botschafter, dem er nun eine offene Beichte ablegte. Er gestand, sich die Folgen nicht gehörig überlegt und einen großen Fehler gemacht zu haben. Er fürchtete, einer tiefen Demütigung ausgesetzt zu sein, und bat förmlich, ihm schleunigst aus dieser peinlichen Lage zu helfen.7 Tags darauf gestand auch Drouyn de l'Huys dem Fürsten Metternich, der Kaiser sei entschlossen, nicht in den Krieg einzugreifen.

Hätte es keine Entfernungen gegeben oder die Technik der Verkehrsmittel damals schon auf der Höhe gestanden, wo sie heute steht, so wäre an diesem 11. Juli, spätestens am Tage darauf, der Grund für den Friedensschluß gelegt worden im Sinne der uns bekannten Höchstforderungen, die Bismarck in der Anweisung an den Botschafter vom 9. Juli aufgestellt hatte: Norddeutscher Bund, Annexion von Sachsen, Hannover, Kurhessen und Schleswig-Holstein. Napoleon hätte in der Verfassung, in der er sich befand, alles bewilligt, um nur sagen zu können, sein Eingreifen habe dem Krieg binnen weniger Tage ein Ziel gesetzt. Sogar die erstrebten Kompensationen für Frankreich ließ er fallen. Als der Botschafter das Gespräch darauf brachte, um seine Wünsche zu erfahren, ging er kaum darauf ein: er verlange nichts, es sei am Ende besser, auf alle Vorteile für Frankreich zu verzichten. Das Eisen war heiß, man konnte es schmieden.

Aber Graf Goltz hatte keinen Hammer zur Hand.8 Er besaß als Instruktion nichts weiter als das orakelhafte Telegramm vom 8. Juli, daß das preußische Friedensprogramm nicht erheblich über die Bundesreformvorschläge hinausgehe. Erst am folgenden Tage erhielt er die ausführliche Belehrung vom 9. Juli, und nun war der psychologische Moment verpaßt. Dazu kam, daß die neue Anweisung auch noch die unbedingte Klarheit und Präzision vermissen ließ, die dem Botschafter ein Recht gegeben hätte, bestimmte Bedingungen mit aller Entschieden- [39] heit zu stellen. Er sollte ja nur alle Möglichkeiten "sondierend durchsprechen"! Um den Unstern voll zu machen, war auch die Nachschrift vom 10. Juli noch nicht in seinen Händen, als er am 13. Juli die entscheidende Unterredung mit Napoleon führte, auf Grund deren er die Friedensbedingungen aufsetzte, ohne der Annexionen ausdrücklich zu gedenken, so daß Bismarck den Entwurf für ungenügend erklärte. Er mußte also auf ausdrückliche Weisung die Verhandlung fast von vorne beginnen, um zu erreichen, daß Napoleon auch die Annexionen nicht nur geschehen lasse, sondern ausdrücklich anerkenne und unterstütze. Inzwischen hatte der Kaiser sich wieder etwas gefaßt, und die Einflüsse seiner Umgebung hatten Zeit und Gelegenheit, wieder auf ihn zu wirken. Er war nicht mehr so haltlos wie zu Anfang, er besann sich auf frühere Wünsche und Entwürfe.

Aber nicht nur die verspätete Verständigung zwischen dem Hauptquartier und Paris hat die Verhandlungen beeinflußt. Es kommt hinzu die persönliche Auffassung des Botschafters, der in solcher Lage ziemlich weiter Spielraum blieb und die sich mit der Auffassung Bismarcks nicht ganz deckte. Graf Robert von der Goltz war unstreitig einer der fähigsten Diplomaten, die Preußen gehabt hat. Er hat auch bei diesem Anlaß ein großes Maß von Klugheit, Gewandtheit und Geistesgegenwart bewiesen. Aber ganz ist er doch der Gefahr nicht entgangen, die jeder Botschafter läuft, wenn er sich auf seinem Posten wohlfühlt und in seinen Wirkungskreis eingelebt hat, der Gefahr, sich zu sehr in die Auffassung der Gegenseite hineinzudenken. In seinen Berichten entwickelt er ein so mitfühlendes Verständnis für die Lage und die Bedürfnisse Napoleons, daß es manchmal den Eindruck macht, als sei er der Vertreter des Kaisers der Franzosen gegenüber Preußen. Man kann die fast verzweifelte Lage, in die sich Napoleon gebracht hatte, nicht beredter schildern, als er es tut. "Erleichtern wir es dem Kaiser," schreibt er am 11. Juli, "aus seiner peinlichen Lage herauszukommen, so wird er uns ewig dankbar sein." (Bismarck setzt zu dem "ewig" am Rand zwei Fragezeichen.) Am gleichen Tage hatte er telegraphiert (bei Sybel nicht benutzt): "Wenn wir mäßige Bedingungen vorschlagen, bewahren wir den Kaiser vor einer schweren Demütigung, sichern uns faktisch seine Allianz (Bismarck dazu: wie lange?); andernfalls wird er unvermeidlich (Bismarck setzt ein Fragezeichen) in einen unnatürlichen Krieg gegen uns und Italien hineingetrieben." Von der Ungeduld des Kaisers ist Goltz vollständig angesteckt; er bittet sogar um "telegraphische Ermächtigung im Sinne des Vorstehenden, insbesondere auch um Ermäßigung der danach etwa zu weit gehenden Bedingungen, welche unterwegs sind. Ich kann nicht genug die äußerste Mäßigung und eine zeitraubende Rückfrage ausschließende Präzision anraten, um [40] nicht alle politischen Resultate der bisherigen militärischen Erfolge zu gefährden. Der Kaiser muß (Bismarck macht ein Fragezeichen) schnell aus einer unhaltbaren Lage herauszukommen suchen; in welcher Richtung, hängt von unseren Vorschlägen ab."

Keine Frage, der Graf war nervös geworden. Er sah die Lage gefährlicher an, als sie war; er fürchtete ernstlich, wenn man den Kaiser zu lange warten lasse, könnten die feindlichen Einflüsse – Drouyn, die Kaiserin, Metternich – wieder die Oberhand gewinnen. So berichtete er am 11. Juli: "Für den Augenblick ist er (Napoleon) uns gewonnen. Er kann aber in jedem folgenden Augenblick umschlagen, wenn wir ihm die Stellung zu sehr erschweren." Dann "können wir unversehens im Kriege mit Frankreich stehen, denn plötzliche Schwenkungen entsprechen seiner jetzigen Stimmung, und in der Tat kann er nicht lange in seiner jetzigen schiefen Lage bleiben." Er wiederholt am 18. Juli, er habe den Kaiser von gefährlichen Entschlüssen zurückhalten müssen, die darum nicht weniger möglich, weil auch für ihn selbst gefahrvoll geworden wären. Kurz, er fürchtete ernstlich den Krieg. Darin täuschte er sich. Die militärischen Dinge waren ihm fremd, er besaß über die Kriegsbereitschaft Frankreichs kein Urteil. Das wußte er selbst und bat deswegen um Rücksendung des Militärbevollmächtigten v. Loë, der als Flügeladjutant seit Kriegsbeginn im Großen Hauptquartier weilte, da ihm dessen Stellvertreter, Oberst v. Cohausen, nicht genügte. Bismarck unterstützte den Wunsch, aber vergeblich. Loë selbst, der begreiflicherweise lieber auf dem Kriegsschauplatz bleiben wollte, erklärte seine Anwesenheit in Paris für überflüssig, und die Rücksendung unterblieb. Sie wäre wohl auch in jedem Falle zu spät gekommen. So geschah es, daß der Botschafter die Kriegsgefahr von Anfang bis zuletzt entschieden überschätzte. Krieg – das können wir mit Bestimmtheit sagen – hätte Napoleon nicht geführt, weil er ihn nicht führen konnte.

Dazu kam aber wohl auch noch als letztes Moment, daß Graf Goltz persönlich auf die Annexionen weniger Wert legte. Er sah im Ausschluß Österreichs aus Deutschland so sehr die Hauptsache, daß er, wenn dieser gewonnen war, das Ziel des Krieges für erreicht hielt. So schreibt er am 11. Juli: "Mir scheint unbedingt nötig, auf dem Ausschluß Österreichs aus dem Bunde zu bestehen; in allem übrigen können wir höchst versöhnlich sein; es ergibt sich später von selbst." Und am gleichen Tage telegraphisch: "Meines Erachtens liegt im Ausschluß Österreichs alles." Daraus erklärt es sich, daß er in die Friedensbedingungen, trotz der Fügsamkeit, die Napoleon in der vorausgehenden Unterredung bewiesen hatte, die Annexionen nicht ausdrücklich aufnahm. Gerade darin aber entfernte er sich von der Auffassung seines [41] Chefs. Bismarcks Antwort auf die vorhin zitierte Meinung des Botschafters sind die Worte, die wir ebenfalls schon kennen: "Die Hauptsache für uns ist im gegenwärtigen Augenblick die Annexion von drei bis vier Millionen norddeutscher Einwohner." Und zu dem Satze, daß im Ausschluß Österreichs alles liege, wirft Bismarck die Randbemerkung hin: "?? S. M.? zur Not, aber –."

Nur noch um die Frage der Annexionen drehen sich die letzten Verhandlungen in Paris. Über alles andere war man einig. Was der Kaiser vor allem wünschte, die Einigung Gesamtdeutschlands unter preußischer Führung zu verhüten, das war ihm zum voraus bewilligt. Ebenso leicht erlangte er das Zugeständnis, daß Süddeutschland eine völkerrechtlich selbständige Staatengruppe mit eigener Auslandspolitik bilden könne. Man hat über beides gar nicht erst zu unterhandeln brauchen. Ebenso leicht gestand Napoleon zu, was die Gegenseite als erstes forderte, den Ausschluß Österreichs aus Deutschland. Aber die Annexionen! Über sie waren die Meinungen im französischen Lager selbst geteilt. Napoleon zeigte sich entgegenkommend, fast gleichgültig, stellte keinerlei Forderungen oder Bedingungen. Auf seinen ursprünglichen Gedanken, den König von Sachsen als selbständigen Fürsten in die Rheinprovinz zu versetzen, oder Sachsen mit dem süddeutschen Staatenbund zu vereinigen, kam er nicht wieder zurück, als er auf Widerspruch stieß. Er sah in all dem, wie Goltz berichtete, nur "Details, welche ihm gleichgültig und durch welche die jetzt schwebenden Verhandlungen nicht zu stören wären. Wir könnten nachher immer noch in Norddeutschland annektieren, wenn es auch ratsam wäre, dies mit Maß zu tun". Anders Drouyn. Als dieser Bismarcks Annexionsprogramm erfuhr, meinte er sofort: das sei etwas Neues, das sei "nicht Föderation, sondern Unifikation". Der Bund bekäme einen ganz anderen Charakter, "wenn neben dem mächtigen Preußen fast nur ganz kleine Fürsten denselben bildeten, als wenn letztere in den Mittelstaaten einen gewissen Halt hätten." Er traf damit sicherlich den Kernpunkt der Frage.

Graf Goltz hatte nach wie vor den Eindruck, daß ein zu starkes Betonen der Annexionsfrage bedenklich sei. Er hat sie entschieden nicht sehr herzhaft vertreten. Er bewies sogar ein über das Gewöhnliche hinausgehendes Maß von Verständnis für den anderen Teil, indem er dem Kaiser Kompensationen nicht nur nahelegte, sondern solche, auch wo sie nicht gefordert wurden, geradezu empfahl. So kommt er mehrfach von sich aus auf die Abtretung von Landau zu sprechen, für die er geltend macht, daß der Platz von Ludwig XIV. bis 1815 zu Frankreich gehört habe.

Endlich aber, unter dem beständigen Drängen seines Chefs, er- [42] reichte er sein Ziel. Am 22. Juli, 2 Uhr nachmittags, konnte er telegraphieren: "Der Kaiser ermächtigt mich, Euer Exzellenz zu melden, daß er bei den Friedensverhandlungen nicht allein der Annektierung von vier Millionen Norddeutschen nicht widersprechen, sondern dieselbe als billig anerkennen und empfehlen wird. Er wünscht Schonung von Sachsen, hält Annektierung von Kurhessen, Hannover und nördlichem Teil vom Großherzogtum Hessen für zweckmäßig, scheint aber letzteres durch Rheinbayern entschädigen zu wollen."

Dieses Telegramm, das noch am gleichen Tage über Berlin und Wien in Nikolsburg eintraf, ist für die Verhandlungen entscheidend geworden, nicht der ausführliche Bericht, den Sybel wiedergibt, der aber erst in Bismarcks Hände gelangte, als die Würfel gefallen waren. Es wurde denn auch sofort, am 24. Juli, an die Botschafter in Petersburg und London weiter telegraphiert, zur Benutzung bei den dortigen Regierungen.

Aber auch Bismarck selbst hat in diesen kritischen Tagen nicht ganz die unentwegte Haltung eingenommen, wie es nach Sybels stilisierender Darstellung scheinen könnte. Ihn störte sehr, daß in der Nacht vom 11. zum 12. Juli der französische Botschafter Benedetti bei ihm erschien, um sich ebenfalls der Vermittlung zu widmen. Benedetti war in Wirklichkeit ganz ohne Weisung, aber Bismarck glaubte ihm das nicht, und da jener in übrigens unverbindlichen Besprechungen den Annexionswünschen ziemlich entschieden entgegentrat, wurde Bismarck dazu geführt, den französischen Widerstand gegen seine Pläne für stärker zu halten, als er in Wirklichkeit war. Er hat dem gegenüber nicht nur den vergeblichen Versuch gemacht, durch einen unoffiziellen Vermittler, den Baron Herring, in direkte Fühlung mit Österreich zu treten, wobei er – so wertvoll wäre es ihm gewesen, die französische Mediation los zu werden – sich bereit zeigte, Österreich die Hegemonie über Süddeutschland vertragsmäßig einzuräumen.9 Er hat auch in seinen Aufträgen an Goltz eine merkwürdige Biegsamkeit der Gedanken gezeigt.

So telegraphierte er schon am 14. Juli, abends, aus Benedettis Konversationen habe er den Eindruck, daß man in Paris wegen Annexion von Kurhessen und Hannover wenig Schwierigkeiten machen würde, in bezug auf letzteres vielleicht in der Voraussicht, daß England und Rußland dagegen sein würden, desto mehr aber gegen Annexion von Sachsen. Er fand, mit Kurhessen, Hannover, den Elbherzogtümern und fester militärischer Organisation von Norddeutschland könne man zu- [43] frieden sein: ebenso aber auch andererseits mit Sachsen, Kurhessen und von Hannover nur Ostfriesland und Osnabrück. Er bittet den Botschafter, einstweilen an dieser Basis, namentlich der erstgenannten, festzuhalten. Tags darauf: Aus Benedettis Reden gehe hervor, daß Napoleon Österreichisch-Schlesien, Kurhessen, Hannover und selbständigen engen norddeutschen Bund zugestehen wolle. Dies Resultat halte er für genügend, habe aber verlangt, daß der Kaiser darüber irgendeine persönliche Zusicherung gebe. "Bekommen wir Hessen und entweder Hannover oder Sachsen oder die Hälfte von jedem der beiden letzteren und eine Grenzregulierung gegen Österreich, deren Gesamtergebnis geringer als Österreichisch-Schlesien sein kann, und norddeutschen Bund, so kann der Friede in 24 Stunden abgeschlossen sein, und zwar ausschließlich durch französische Vermittlung. Will Frankreich, statt die Pflichten der übernommenen Mediation zu erfüllen, uns an England und Rußland verweisen, so ist für uns der direkte Weg dahin kürzer und offen." Da war nun unverkennbar auch Bismarck nervös geworden! "Es muß nicht ganz leicht gewesen sein, nach so kaleidoskopisch wechselnden Weisungen die Verhandlungen zu führen.



Wir mußten diese Vorgänge etwas näher ins Auge fassen, um festzustellen, welches Gewicht der Minister gerade auf die Annexionen gelegt hat. Der Gesamteindruck ist, daß es ihm nicht auf bestimmte Gebiete ankommt, sondern auf einen Erwerb von gewissem Umfang: drei bis vier Millionen Norddeutscher mehr für Preußen, das erscheint ihm für den Augenblick, wie er selbst sagt, als "die Hauptsache". Wo sie gefunden werden können, ist eine Frage zweiter Ordnung. Man kann ganz Sachsen nehmen oder einen Teil, ganz Hannover oder nur die Hälfte usw. Sogar Österreichisch-Schlesien käme in Betracht oder ein kleineres Stück des Kaiserstaates, wenn nur die Summe drei bis vier Millionen Einwohner ausmacht. Es bedarf auch kaum einer Erläuterung, wie richtig dieser Gedanke war. Wenn ein Staat daran geht, einen neuen Bund mit anderen Staaten zu bilden, in dem er selbst die unbedingte Vorherrschaft besitzen soll, so muß er sein eigenes Übergewicht vor allem sicherstellen. Ein anderes Mittel dazu als Vergrößerung des Gebiets und der Kopfzahl seiner Einwohner hat noch niemand gefunden und wird nicht gefunden werden, solange die Menschen ihre Art nicht ändern. Nur ein entsprechend vergrößertes Preußen war imstande, den Norddeutschen Bund zu schaffen, der den Kern der künftigen deutschen Gesamteinheit bilden sollte. Wir sind heute, da der Gedanke der Reichseinheit bei uns alles andere überwiegt, leicht in Gefahr, die Schwierigkeiten zu unterschätzen, mit denen die Gründung im Anfang zu kämpfen hatte. Wir können uns nur schwer hinein- [44] denken in einen Zustand, wo der Staat, der das Einheitswerk in die Hand nahm, bei fast allen anderen deutschen Staaten auf mehr oder weniger zähen und erbitterten, oft gehässigen Widerstand stieß. Seit Preußen seinen deutschen Beruf entdeckt hatte, besaß es die entschlossene Gegnerschaft sämtlicher größeren deutschen Höfe und Regierungen mit einziger Ausnahme Badens. In den Bevölkerungen lebte noch der dynastische Partikularismus in einer Stärke, von der wir heute nichts mehr wissen. Unter solchen Umständen die entstehende nationalpolitische Einheit lediglich auf Ideen und Verträge zu gründen, wäre eine Träumerei gewesen, die man allenfalls einem Radowitz, aber niemals einem Bismarck zutrauen kann. Es beweist darum auch nur, wie unreif das politische Denken bei der Generation von 1870 war, wenn Sybel es so darstellt, als hätte Bismarck für das Aufgeben der deutschen Gesamteinheit Ersatz gesucht in einer Verstärkung der preußischen Hausmacht. Dieser Verstärkung der Hausmacht bedurfte es unter allen Umständen, schon der Norddeutsche Bund konnte ohne sie nicht lebensfähig gemacht werden. Daß auch Bismarck nicht anders dachte, bezeugt er zum Überfluß selbst. In seinem Telegramm an Goltz vom 20. Juli erklärt er, daß er die Annexionen "neben der Reform als Bedürfnis ansehe, weil sonst Sachsen, Hannover für ein intimes Verhältnis zu groß blieben".10 Sie sollten in seinen Augen das Rückgrat des Norddeutschen Bundes sein, sie wären erst recht unentbehrlich gewesen, wenn der Bund auch Süddeutschland umfaßt hätte.

Darum ist es auch ebenso ausgeschlossen, daß Bismarck auf die Gebietsabtretungen so großes Gewicht gelegt habe nicht aus eigenem Antrieb, sondern aus Rücksicht auf den König. Einige Wendungen in seinen Äußerungen können allerdings diesen Eindruck erwecken. So z. B., wenn es in der eben angeführten Depesche heißt: "Der König schlägt die Bedeutung eines norddeutschen Bundes geringer an als ich, und legt demgemäß vor allem Wert auf Annexionen... Er hat... geäußert, er werde lieber abdanken, als ohne bedeutenden Ländererwerb für Preußen zurückkehren." Aber daß in diesem Punkt ein Gegensatz zwischen Herr und Diener bestanden habe, wird schon durch den Zwischensatz ausgeschlossen: "Annexionen, die ich allerdings neben der Reform als Bedürfnis ansehe." Daß Bismarck den König so stark ins Vordertreffen schiebt, hatte hier, wie jedesmal, wenn es geschah, seinen besonderen Sinn. Schon der kluge französische Diplomat Rothan, dessen vor- [45] treffliches Buch über die französische Politik im Jahre 1866 noch heute unentbehrlich ist (es erschien 1879), macht gelegentlich die Bemerkung, der König von Preußen erscheine im diplomatischen Schriftenwechsel dieser Jahre immer nur dann, wenn Bismarck für seine politischen Zwecke sich veranlaßt sehe, ein unübersteigbares Hindernis geltend zu machen. Das ist vollkommen richtig. "Seine Majestät" oder "der König" – das ist für Bismarck die Kanzleiformel, die er anwendet, wenn er unerbittlich sein will. Dazu hatte er gegenüber dem Grafen Goltz in der Frage der Annexionen besonderen Anlaß, denn Goltz dachte darüber, wie wir wissen, nicht ganz so wie sein Chef. Um ihm die Möglichkeit, die Annexionen zurücktreten zu lassen oder zu vertagen, ein für alle Male abzuschneiden, warf Bismarck den Namen des Königs in die Wagschale. Er hatte doppelten Grund, diesen letzten Trumpf nicht zu sparen, denn er selbst hatte ja, wie wir schon wissen, in seiner Weisung vom 9. Juli dem Botschafter verraten, daß der König das große Annexionsprogramm ursprünglich nicht geteilt hatte. Darum hieß es jetzt: ich will die Annexionen durchaus, aber der König will sie noch viel mehr. Und darum telegraphierte er noch am 24. Juli: "S. M. der König befehlen mir nach wiederholtem Vortrag,11 die von dem Kaiser der Franzosen gemachten Vorschläge als für den Frieden nicht ausreichend, wohl aber als annehmbar zu bezeichnen, um als Grundlage eines Waffenstillstands zu dienen." Der Grund war immer derselbe: in den Vorschlägen Napoleons (die Goltz aufgesetzt hatte) fehlten die Annexionen! Wenn man also überhaupt einen Gegner der Annexionen finden will, so war dies der Graf Goltz, der sie wenigstens nicht so lebhaft vertrat, wie Bismarck wünschte.



Darum ist es aber doch richtig, daß auch zwischen dem König und seinem Minister eine Verschiedenheit der Meinungen bestand. Sie waren in ihren Ansichten zu Anfang ganz auseinander gegangen. Während Bismarck schon am 4. Juli, noch bevor von der französischen Vermittlung etwas ruchbar sein konnte, dem Kronprinzen das bekannte Programm entwickelte: Norddeutscher Bund als Etappe zur Gesamteinheit, Annexion von ganz Sachsen und Teilen von Hannover und Kurhessen, beantwortete der König Tags darauf, als Napoleons Telegramm eintraf, die Frage: "Was fordern wir?" in folgender Weise: Annexion von Schleswig-Holstein, Suprematie über ganz Deutschland, Ersatz der Kriegskosten, Abdankung der feindlichen deutschen Fürsten zugunsten ihrer Thronfolger, Abtretung eines böhmischen Grenzstrichs, Ostfrieslands, der Erbansprüche auf Braunschweig. Drei Tage [46] später ist dazu noch die Garantie für die ungarische Verfassung gekommen. Dann fehlen alle Äußerungen bis in die letzten entscheidenden Tage zu Nikolsburg. Es ist üblich geworden, zu behaupten, daß die wachsenden militärischen Erfolge beim König auch den Appetit nach Annexionen geweckt hätten, bis er schließlich mit dem, was sein Minister verlangte, nicht mehr zufrieden gewesen sei und insbesondere auf dem Erwerb österreichischen Gebietes bestanden habe. Wie Sybel sagt (Bd. 5, S. 276): Da ihn Bismarck bewogen habe, auf die Hegemonie über ganz Deutschland zu verzichten, hätten sich seine Annexionswünsche erweitert. Einige Stücke Böhmens, die sächsischen Kreise Leipzig und Bautzen, die althohenzollerschen Lande Ansbach und Bayreuth, Ostfriesland und die Anwartschaft auf Braunschweig, dazu etwas von Kurhessen – das wäre sein Programm gewesen, bei dem jeder Hauptgegner etwas hätte hergeben müssen, um die Eßlust des Siegers zu befriedigen. Diese Stelle bei Sybel – das darf betont werden – hat aber keine aktenmäßige Grundlage. Ob sie auf Rekonstruktion oder auf mündlichen Mitteilungen Bismarcks beruht, ist die Frage. Für das zweite spricht, daß die Erzählung in den Gedanken und Erinnerungen ähnlich lautet.12 Man kann aber weiter feststellen, daß Bismarck dieses "gemischte" Annexionsprogramm nicht durchweg bekämpft hat, wie er später glauben machen wollte.13 Seine Weisung an Goltz vom 15. Juli (oben S. 43) und eine noch zu erwähnende Mitteilung an den Botschafter in Petersburg berühren sich ziemlich nahe mit ihm. Wie dem auch sein mag, es läßt sich wirklich nicht behaupten, daß der Speisezettel, den der König entwarf, einen größeren Appetit verrate als der Bismarckische. Dort viele kleine, leichte Gerichte, hier neben ein paar kleineren Stücken wenigstens eine große pièce de résistance, wenn möglich sogar deren drei. War hier einer von beiden gemäßigter, so war es sicher der König. Denn, ohne die Quadratmeilen zu zählen, wer wollte leugnen, daß es eine viel radikalere Operation war, einen ganzen Staat, vielleicht gar drei, verschwinden zu lassen, als fünf Gegnern je ein Stückchen Land wegzunehmen?

Aber die Frage nach dem Mehr oder Weniger hat überhaupt keine Rolle gespielt. Denn nicht über ihr hat sich die Differenz zwischen König und Minister so sehr zugespitzt, daß es fast zum Bruch gekommen wäre, als die Verhandlungen mit den Österreichern in Nikolsburg ihren Anfang genommen hatten und die preußischen Forderungen endgültig [47] formuliert werden sollten, sondern über ganz etwas anderem. Die knappen Aufzeichnungen des Generals von Stosch zeigen am deutlichsten, daß die Meinungsverschiedenheit nicht etwa den Umfang, sondern die Art der Annexionen betraf. Dem König widerstrebte es, ganze deutsche Fürstenhäuser zu entthronen, er hätte lieber jedem der Gegner, gleichsam als verdiente Strafe, etwas abgefordert, sie alle aber als Staaten weiter bestehen lassen. Insbesondere daß Sachsen, in dem er den Anstifter des Krieges sah, unverkürzt aus dem Handel hervorgehen solle, wollte ihm nicht in den Sinn. Noch weiter gingen die Wege des Königs und Bismarcks auseinander in bezug auf die Behandlung Österreichs. Beim König hatte vor allem das militärische Ehrgefühl das Wort. Er hatte den Gegner entscheidend geschlagen, er war im Begriff, ihn vollständig zu Boden zu werfen. Es schien ihm fast eine Pflicht gegen sein Volk und sein Heer, den Sieg möglichst offenkundig zu machen und dem Besiegten einen entsprechenden Preis in Land und Geld abzufordern. Österreich hatte sich darein gefunden, sich aus Deutschland ganz zurückzuziehen, es wollte insbesondere Norddeutschland Preußen überlassen. Dagegen hatte es als erste Vorbedingung für die Unterhandlungen aufgestellt, daß es außer Venetien nichts abzutreten brauche. Es erhob zudem die Forderung nach unverkürzter Erhaltung Sachsens. Napoleon hatte sich den ersten Punkt angeeignet und unterstützte wenigstens den zweiten, er "wünschte" die Schonung Sachsens. Bestand Preußen auf der Abtretung von österreichischem oder sächsischem Gebiet, so ging der Krieg weiter, und man mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß dann auch Frankreich eingriff. Der König war geneigt, es darauf ankommen zu lassen, und die Stimmung in der Armee stand ungeteilt auf seiner Seite.14 Ihre gewiegtesten Führer fürchteten die französische Einmischung nicht im geringsten. Sie waren darin einig, daß man auch nach zwei Fronten erfolgreich kämpfen könne, denn sie wußten genau, wie wenig kriegsbereit Napoleon war. Im Frühjahr, als es sich darum handelte, ohne schriftliche Zusicherung von Napoleon den Krieg zu wagen, hatte der Pariser Militärbevollmächtigte, Oberstleutnant v. Loë, eigens dazu nach Berlin berufen, rund- [48] weg erklärt, Frankreich sei derzeit nicht in der Lage, mit bedeutenden Kräften aufzutreten. Das hatte damals den Ausschlag gegeben. Am 7. Juli, zwei Tage nach dem Eintreffen des französischen Vermittlungsangebots, fand im Großen Hauptquartier wieder eine entscheidende Beratung statt, wobei Moltke die Frage an Loë richtete, ob er heute über die Unzulänglichkeit der französischen Streitkräfte noch ebenso urteilen würde wie im März. Und als Loë das bejahte, meinte Moltke, er würde raten, auf Wien zu marschieren ohne Rücksicht auf die Haltung Napoleons. Loë erläuterte sein Votum gleich darauf dahin: "Die französische Armee sei in ihrer jetzigen Verfassung auf Wochen außerstande, die Fortsetzung unserer Operationen auf Wien ernstlich zu gefährden."

Auch darüber konnte man im Hauptquartier nicht im unklaren sein, daß in Frankreich für ein kriegerisches Einschreiten keinerlei Vorbereitungen getroffen wurden. Vom militärischen Standpunkt aus lag also kein Grund vor, aus Rücksicht auf Frankreich Zugeständnisse an Österreich zu machen. Dagegen konnte die Fortsetzung des Krieges den Führern der Armee in jedem Falle nur lieb sein, weil sie den Marsch auf Wien und den Einzug in die feindliche Hauptstadt gebracht hätte. Einen sichtbareren Beweis des Sieges kann es nicht geben, und eine siegreiche Armee wird und muß immer wünschen, diesen Beweis vor den Augen der Welt zu erbringen. Auch konnte man finden, daß die Haltung des geschlagenen Österreich, dessen Truppen nach dem Zeugnis ihrer eigenen Generale nicht mehr angreifen konnten, zu seiner wirklichen Lage nicht recht paßte. Es hatte um Friedensvermittlung gebeten, bitten müssen, und scheute sich doch nicht, Bedingungen zu stellen. Preußen dagegen, das aller menschlichen Berechnung nach binnen weniger Wochen, vielleicht Tage, in der Lage sein konnte, den Frieden zu diktieren, Preußen sollte sich Bedingungen vorschreiben lassen! Man braucht sich das nur anschaulich zu machen, um die Haltung des Königs und der Armee zu verstehen. Empfand doch sogar der friedliche Abeken im Grunde nicht anders! Er schrieb seiner Frau am 20. Juli aus Nikolsburg: "Manchmal reizt es mich, zu wünschen, daß Österreich ganz unnachgiebig sein möge, und daß wir noch triumphierend in Wien einziehen und die schwarzweiße Fahne vom hohen Rathausturm (den man bei ganz klarem Wetter von hier aus sehen soll) und von der Hofburg in Wien herabwallen sehen möchten." Noch nach der Unterzeichnung des Friedens meinte er: "Ich kann nicht leugnen, daß ich die von Wien nach hier führende Chaussee... mit einigem Herzweh entlang blicke; mir selbst liegt nichts daran, nach Wien zu kommen, aber ich hätte gern unsere braven Truppen darauf vorwärts marschieren sehen und hätte ihnen den Triumph gegönnt, in Wien einzuziehen."

[49] Man darf solche Denkweise nicht als Gefühlsschwelgerei gering schätzen. Es hatte einen guten Sinn, wenn der Generaladjutant v. Boyen sagte: daß der Friede zu Wien geschlossen werde, sei "doch mehr als eine bloße Eitelkeitssache und hätte eine große historische und politische Bedeutung." Die vollständige Überlegenheit Preußens über Österreich wäre damit kundgetan gewesen, und vielleicht mehr: in Ungarn wäre voraussichtlich der Aufstand ausgebrochen, und ob und wie die Habsburgische Monarchie diese Krisis überstanden haben würde, wer vermag das zu sagen? Es war also nicht nur militärischer Ehrenkomment, der den Einzug in Wien und einen Frieden gleichsam auf Gnade oder Ungnade fordern ließ, es war auch das Bedürfnis, den politischen Triumph zu vollenden.

Hier war es, wo Bismarck dem König widersprach. Man kann nicht annehmen, daß er solchen Gedanken, wie wir sie eben entwickelten, unzugänglich gewesen wäre; aber er schüttelte sie ab. Er forderte den Friedensschluß, wie ihn Österreich zugestehen wollte, ohne eigene Gebietsabtretung, mit geringer Kriegsentschädigung, unter völliger Schonung Sachsens. Wir besitzen die kurze Denkschrift, in der er am 24. Juli seinen abweichenden Standpunkt dem König gegenüber noch einmal darlegt, eines der großen Meisterstücke, die sein Geist geschaffen hat, meisterhaft auch in der Geschicklichkeit, mit der er den eigentlichen Kern des Streites umgeht und etwas anderes in den Mittelpunkt stellt. Wir haben – darin gipfelt seine beredte Beweisführung – mit dem Ausschluß Österreichs, der Annexion von Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen usw., der militärischen Unterordnung Sachsens mehr erreicht, als wir uns bei Beginn des Krieges vornehmen konnten. Es wäre ein politischer Fehler, das ganze Resultat um einiger Quadratmeilen oder weniger Millionen Kriegsentschädigung willen in Frage zu stellen und es von dem ungewissen Kriegsglück und der Einmischung des Auslandes abhängig zu machen. Mit ernsten Worten hob er die unberechenbare Wichtigkeit der Entscheidung und das Gefühl seiner eigenen Verantwortlichkeit hervor, erklärte sich aber zugleich bereit, auch einen anderen Standpunkt bei den Verhandlungen auf Befehl pflichtmäßig zu vertreten.

Der König traf in seiner Erwiderung den schwachen Punkt dieser Deduktion ganz richtig: eben darauf komme es an, wieviel man an Geld oder Land erlangen könne, ohne das Ganze aufs Spiel zu setzen. Er bemerkte: "Daß außer der Erhaltung Sachsens auch noch dessen Integrité zugesichert wird, ist mir sehr schwer geworden, weil Sachsen der Hauptanstifter des Krieges gewesen ist und nun ungeschmälert aus demselben hervorgeht." Aber im übrigen erklärte er sich Punkt für Punkt mit wiederholtem "Einverstanden" oder "Richtig" für überwun- [50] den. Zu Bismarcks Worten über die Größe des Errungenen meinte auch er, es sei ein Resultat, das nie vorherzusehen gewesen, aber bei einem europäischen Kongreß, selbst wenn es erreicht würde, problematisch bliebe; was wohl nur besagen kann: der Wert des Erreichten würde sinken, wenn es nicht mehr ohne fremde Teilnahme, ganz aus eigner Kraft und freiem Willen, gewonnen wäre. Zum Schluß, wo Bismarck sich bereit erklärte, auch die Meinung des Königs pflichtmäßig zu vertreten, faßte der König seinen Standpunkt in dem Satz zusammen, der die ganze Schwere des Entschlusses nachfühlen läßt, den er sich abrang: "Wenn trotz dieser pflichtmäßigen Vertretung vom Besiegten nicht das zu erlangen ist, was Armee und Land zu erwarten berechtigt sind, d. h. eine starke Kriegskostenentschädigung von Österreich als dem Hauptfeind, oder Landerwerb in einigem in die Augen springendem Umfange, ohne das Hauptziel (s. vorher) zu gefährden, so muß der Sieger vor den Toren Wiens in diesen sauren Apfel beißen und der Nachwelt das Gericht dieserhalb überlassen!"

Bismarck hatte gesiegt. Er brauchte jetzt nur noch, gemäß den eben angeführten Worten des Königs, in der Schlußverhandlung den formellen Versuch zu machen, die Umwandlung eines Teiles der Kriegskostenzahlung in eine Landabtretung zu erlangen, was die Österreicher sogleich rundweg ablehnten, – und der Friede war geschlossen. So geschah es. Vom 24. Juli datiert die schriftliche Erklärung des Königs, am 26. wurde der Vertrag über den Vorfrieden unterzeichnet. Österreich schied aus dem deutschen Bunde aus, der damit aufgelöst war, und überließ es Preußen, die Verhältnisse in Norddeutschland nach seinem Willen zu regeln, sofern nur das Königreich Sachsen in seinem Gebietsumfang ungeschmälert blieb. Daraufhin sind Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt a. M. einverleibt und im Laufe der nächsten Wochen mit den übrigbleibenden norddeutschen Staaten die Verträge geschlossen worden, die Preußen die Verfügung über die militärischen Kräfte Deutschlands bis zum Main einräumten.



Das Ziel, das Bismarck sich ursprünglich gesteckt hatte, war das nicht mehr; die Umstände hatten es verschoben. Die Annexionsstücke, die er sich vorgenommen, waren vertauscht. Was hat ihn bewogen, diese Wendung vorzunehmen?

Wir wissen, daß er einer Abtretung von einigem österreichischen Gebiet nicht grundsätzlich entgegen war, da er sie in einer Weisung an Goltz vom 15. Juli selbst ins Auge faßte. Wir wissen, daß er ebensowenig grundsätzlich nur die Annexion ganzer Staatsgebiete zulassen wollte; er hat sie zwar bevorzugt, aber daneben auch die Beschneidung aller Gegner als einen möglichen Weg bezeichnet. Worauf es ihm [51] dagegen sehr ankam, war, die fremde Einmischung fernzuhalten, und es ist üblich, ihm eine große Besorgnis vor Frankreich und dem Zweifrontenkrieg als hauptsächlichen Beweggrund unterzulegen. Auch diese Ansicht kann sich auf sein eigenes wiederholtes Zeugnis berufen. Es ist zwar nicht immer sehr vollwichtig. Leicht zu widerlegen ist z. B., was er im deutschen Reichstag am 16. Januar 1874 über die Gefahr des französischen Angriffs gesagt hat: "Wenn Frankreich auch damals sehr wenig Truppen hatte, so hätte doch ein geringer Zusatz von französischen Truppen damals hingereicht, um aus den zahlreichen süddeutschen Truppenmassen, die ein sehr gutes, nur nicht organisiertes Material darboten, eine recht tüchtige Armee zu machen, die uns sofort in die Lage gebracht hätte, sofort Berlin zu decken und alle unsere Erfolge im Osten aufzugeben.15" Das ist militärisch ein Unding und politisch mehr als zweifelhaft. Wie sollte ein französisches Kommando aus den wenig zu fürchtenden württembergischen und bayerischen Regimentern über Nacht eine formidable Armee machen?

Auch wissen wir, daß Bismarck selbst bestimmt darauf zählte, ein französisches Einschreiten würde Preußen sofort die tätigen Sympathien der Süddeutschen verschaffen. Am 21. August sagte er zu Bernhardi: "Unfehlbar würden sich uns selbst die süddeutschen Staaten angeschlossen haben, wenn Frankreich einschritt, und die Einheit Deutschlands würde dadurch herbeigeführt worden sein." Wir sehen sogar, daß er diese Erwartung gegenüber Napoleon auf Vorschuß verwertete, indem er ihm drohen ließ, den Reichsgedanken von 1849 aufzugreifen und die deutsche Volksleidenschaft zu entfesseln, und wir haben allen Grund zu der Annahme, daß diese Rechnung ihn nicht täuschte. Es ist ferner positiv unrichtig, wenn er in späteren Jahren behauptet hat, er habe sich zur Nachgiebigkeit gegen Österreich sofort entschlossen, als Moltke ihm sagte, im Falle eines französischen Angriffs werde man hinter die Elbe zurückgehen und sich zunächst mit aller Kraft gegen Frankreich wenden müssen.16 Moltke hat, wie wir sahen, genau den entgegengesetzten Plan verfochten, sich zunächst um Frankreich gar nicht zu kümmern und auf Wien zu marschieren. Dort konnte man längst angelangt sein, ehe die Franzosen die Möglichkeit hatten, am Rhein aufzutreten, und die Einnahme Wiens [52] hätte, wie die Dinge lagen, fast sicher den Zusammenbruch für Österreich gebracht, so daß es militärisch bis auf weiteres nicht mehr zu fürchten war. Es ist auch schwer zu glauben, daß zur Wendung gegen Frankreich die Hilfe Italiens unbedingt nötig gewesen wäre, wie Bismarck bald nachher zu Bernhardi bemerkte. Die militärischen Autoritäten haben die Dinge sicher nicht so gesehen. Sie alle waren bereit, den Doppelkrieg auf sich zu nehmen, dessen Aussichten sie durchaus günstig beurteilten. Daß die Frucht des Sieges in diesem Falle die fertige deutsche Einheit sein würde, erwartete, wie wir hörten, Bismarck selbst. Warum nun griff er nicht danach? Beurteilte er im Gegensatz zu den Militärs die Aussichten weniger günstig, fürchtete er ernstlich die französische Intervention?

Keineswegs.17 Was ihn bewog, seine Forderungen zu mäßigen, war etwas anderes. Einmal der sehr natürliche Gedanke an die Unsicherheit des Kriegsglücks im allgemeinen. Auch ein Kampf, der mit den besten Aussichten begonnen wird, kann durch Ungunst des Schicksals, durch Zufälle und unvorhergesehene Umstände einen anderen Gang nehmen, als erwartet werden durfte. Zu diesem Wagnis, das jeder Krieg, auch der scheinbar sicherste, bedeutet, stand der Gewinn in keinem Verhältnis. Denn wir wissen ja bestimmt, daß Bismarck auch die deutsche Einheit, die er selbst als das Ergebnis eines Sieges über Frankreich voraussah, damals noch nicht wollte. Dafür sah sein Scharfblick eine andere Wolke heraufziehen, die vielleicht nicht für den Augenblick, aber sicher für die Zukunft eine wirkliche und ernste Gefahr in sich barg. Sie kam nicht von Westen, sondern von Osten, es war die drohende Einmischung Rußlands.

In seinen späteren Äußerungen hat Bismarck das allerdings ganz übergangen, gewiß mit Absicht und Berechnung. In die Tonart der Beziehungen zu Petersburg, wie er sie von 1867 bis 1879 und dann wieder seit 1884 wünschte und pflegte, hätte diese Wahrheit einen Mißklang gebracht. Darum ist es aber nicht weniger die Wahrheit. Schon in der abschließenden Denkschrift an den König vom 24. Juli tritt es ganz deutlich hervor, welches Gewicht er der künftig zu erwartenden Haltung Rußlands beilegte. Diese Haltung aber war von Anfang an nichts weniger als wohlwollend gewesen, sie war gerade im entscheidenden Augenblick im Begriff, sich in offene Feindseligkeit zu verwandeln.

[53] Bismarcks sicherer Instinkt hatte das schon gespürt, noch ehe es deutlich hervortrat. Die Tatsache, daß Rußland gegen die Auflösung des deutschen Bundes protestiert hatte, verriet schon einiges, der Glückwunsch, den der Zar dem Kaiser von Österreich nach dem Siege bei Custozza (29. Juni) durch besonderen Gesandten schickte, paßte dazu. Um mit dem russischen Hofe nähere Fühlung zu gewinnen, wurde am 8. Juli, kaum daß die französische Mediation wirksam geworden war, der Flügeladjutant v. Schweinitz nach Petersburg gesandt, der auf das preußische Friedensprogramm vorbereiten und die Russen sondieren sollte. Bismarck konnte nicht wissen, daß Rußland bereits mit allem Nachdruck in Paris ein gemeinsames Einschreiten mit Frankreich und England und einen europäischen Kongreß angeregt hatte. Napoleon hatte das am 7. Juli abgelehnt, und die russischen Sympathien für Preußen waren dadurch nicht gesteigert worden. Schweinitz stieß in Petersburg auf große Zurückhaltung. "Der Kaiser," so telegraphierte er am 13. Juli, "will sich erst in drei Tagen aussprechen. Er scheint persönlich norddeutschen Bundesstaat Annexionen vorziehen zu wollen und kein großes Gewicht auf seinen Protest gegen Bundestag-Auflösung zu legen." Tags darauf meldete der Botschafter Graf Redern, Österreich habe die guten Dienste Rußlands für den Fall der Friedensverhandlungen angerufen und Gortschakow habe geantwortet, er erwarte eine Aufforderung dazu von allen kriegführenden Mächten. Nun telegraphierte Bismarck am 17. Juli an Graf Redern eine Skizze der preußischen Forderungen. "Wir verlangen von Österreich keine weitere Abtretung als einzelne Grenzregulierungen für Schlesien. Aber wir bedürfen einer gesicherten Stellung in Norddeutschland durch Herstellung eines territorialen Zusammenhangs durch Territorialerwerb und eine feste militärische Organisation. Wir müssen diejenigen, welche uns feindlich gegenüberstanden, anders behandeln als unsere Freunde. Unsere nach Paris gestellte Maximalforderung begreift die Annexion der uns feindlichen Länder bis zur Gothaischen Grenze und Mainmündung nebst Kriegskosten von Süddeutschland. Gegen Herrn Benedetti habe ich mündlich angedeutet, daß wir mit je der Hälfte von Sachsen und Hannover und mit Kurhessen ohne Hanau zufrieden wären. Er will uns lieber Hannover ganz und von Sachsen nichts als Kriegsentschädigung gewähren. In bezug auf den Komplex Hanau, Nassau, Frankfurt a. M., Oberhessen wird sich Ausgleichung finden lassen, die Trennung zwischen Nord und Süd herstellt und den Sympathien Rußlands für Darmstadt Rechnung trägt. Hat Rußland eigene Wünsche oder Gedanken an Kompensationen? Sondieren Sie Fürst Gortschakow höchst vorsichtig und teilen Sie dies Telegramm an Schweinitz mit zur Benutzung beim [54] Kaiser."18 Drei Tage später, am 20. Juli, lief ein ausführlicher Bericht des Botschafters (vom 15. Juli) ein. Gortschakow hatte gefunden, man dürfte jetzt etwas von den Friedensbedingungen verlauten lassen, hatte sich sonst aber ganz zugeknöpft verhalten. Als der Botschafter ihm die Annexion von Hannover und Kurhessen als Notwendigkeit mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung bezeichnete, hatte er zuerst geschwiegen. Dann endlich hatte er angefangen, vom europäischen Gleichgewicht zu sprechen: Rußland sei nicht allein, es müsse seine Haltung derjenigen Frankreichs und Englands anpassen.

Hüllten die Regierenden sich in Schweigen, so sprach die russische Presse um so lauter. In der führenden Zeitung Golos erschien am 6./18. Juli ein ganz wilder Artikel: man dürfe nicht dulden, daß Preußen die Schlüssel der Ostsee in die Hand nehme, und ein Militärstaat von 30 Millionen werde. Dreimal habe Rußland den preußischen Staat gerettet, 1762, 1807 und 1813. Preußen sei Rußlands Schöpfung, es verdanke ihm seine Wiederherstellung als Großmacht auf dem Wiener Kongreß, niemals aber habe es zum Danke dafür etwas geleistet. Ob es immer Rußlands Verbündeter bleiben, ob es nicht vielmehr seine Hand nach den Ostseeprovinzen und den Teilen Polens ausstrecken werde, die Friedrich der Große schon besessen habe?

Endlich, am 24. Juli, fiel auch die Maske, die das wahre Antlitz der russischen Regierung verhüllt hatte. Ein eigenhändiger Brief Kaiser Alexanders an den König und ein Telegramm des Grafen Redern über eine Unterredung mit Gortschakow ließen keinen Zweifel mehr, wohin man zu steuern gedachte. Der Kaiser äußerte sich sehr besorgt über die preußischen Eroberungspläne, und Gortschakow hatte erklärt, die schwebenden Fragen interessierten ganz Europa und könnten nicht ohne die Zustimmung Europas erledigt werden. Gleichzeitig wurde aus Berlin gemeldet, der russische Botschafter halte es im Interesse der Verständigung mit dem russischen Kabinett für sehr wünschenswert, daß wir gegen letzteres genau und umständlich unsere Wünsche und Anforderungen zum Friedensschluß aussprechen, da bisher darüber nur unbestimmte Andeutungen gemacht worden seien. Der Botschafter wurde [55] bald noch zudringlicher. Indem er die russische Kongreßforderung einbrachte, erklärte er in höchst anzüglicher Weise, die Nachricht von der Kontribution der Stadt Frankfurt halte er für einen schlechten Witz, denn er traue dem König die Handlungsweise eines Straßenräubers nicht zu. Auch in Paris wurden erneute Schritte getan, um Frankreich zu gemeinsamem Vorgehen zu bewegen.

Ohne die unmittelbare Gefahr zu überschätzen, die in dieser neuen Einmischung des Auslands lag, war doch unverkennbar, daß die Dinge damit in ein neues Licht rückten. Rußland war zwar ebenso wenig kriegsbereit wie Frankreich, und der Plan eines europäischen Kongresses hatte auch nicht gerade die besten Aussichten, weil England sich ihm schwerlich angeschlossen haben würde. Schon seit einiger Zeit berichtete Graf Bernstorff aus London, die höhere Gesellschaft sei zwar noch immer "ganz entsetzlich österreichisch gesinnt", die Preußen würden bei Hofe kaum beachtet, der Prinz von Wales ignoriere den Botschafter einen ganzen Abend; aber in den unterrichteten Kreisen vollziehe sich ein Umschwung. Aus den privaten Äußerungen und öffentlichen Reden sowohl der konservativen Minister wie der liberalen Oppositionsführer gehe gleichmäßig hervor, daß England uns nicht stören werde. Der Minister Lord Stanley hatte schon am 13. Juli durchblicken lassen, daß er die Stärkung Deutschlands durch Zusammenfassung der militärischen Kräfte und diplomatischen Vertretung in der Hand Preußens wünschenswert finde. Ebenso äußerte sich Lord Russell, der Führer der Liberalen: er habe durchaus nichts dagegen, daß Preußen sich Sachsen, Kurhessen und Hannover vollständig einverleibe und die Suprematie bis zum Main erlange. Am 20. Juli sprachen im Oberhaus Lord Derby, im Unterhaus Stanley im gleichen Sinne: die Errichtung einer starken, kompakten Macht im Norden Deutschlands sei weder ein Nachteil noch eine Drohung für England, wie immer sie von anderen Mächten aufgefaßt werden könnte. Und die Sprecher der Opposition, Gladstone an der Spitze, stimmten zu. Alle redeten sie der Bildung eines starken norddeutschen Staates das Wort. Insbesondere die Annexion Hannovers ließ die Engländer vollkommen gleichgültig. Auch der englische Botschafter in Petersburg hatte zu Gortschakow gesagt, England sei froh, Hannover für immer los zu sein. Mit Recht durfte Graf Bernstorff am 19. Juli nach einer Unterredung mit Stanley telegraphieren: "Um Englands willen können wir tun, was wir wollen."19 Am 25. durfte er sogar berichten: "Das ganze Unterhaus, mit ein [56] paar höchst vereinzelten Ausnahmen, ist jetzt für Preußen und gegen Österreich, welches durch die Abtretung Venetiens an Frankreich sich selbst den Todesstoß in der Meinung der Engländer gegeben habe, und je größer und vollständiger die Einigung, je stärker und mächtiger das neue deutsche Reich wird, desto lieber wird man es hier sehen."

Das war gewiß alles sehr erfreulich, aber tätigen Beistand gegenüber einer vereinigten russisch-französischen Intervention durfte man darum doch von England ebensowenig erwarten wie von Italien, das gegen Frankreich niemals mitgegangen wäre. Es bestand also immerhin die Gefahr, daß Frankreich und Rußland sich zusammentaten. Bisher war es gelungen, sie auseinander zu halten. Wenn sie nun ernstlich drohten, einander die Hände zu reichen, so hätte das auch im günstigsten Falle eine nicht leicht zu überwindende Hemmung gebracht, vielleicht große Anstrengungen nötig gemacht, den Abschluß sehr verzögert und, was das Gefährlichste war, das erst im Entstehen begriffene Deutschland schon im voraus mit einer feindseligen Verbindung seiner beiden Nachbarn in Ost und West belastet.

Der letzte und entscheidende Grund aber, weswegen Bismarck die Fortsetzung des Krieges gegen Österreich so entschieden bekämpfte, war ein anderer, wenn er auch in seinen amtlichen Äußerungen gerade diesen Hauptgrund niemals erwähnt: Österreich durfte nicht zugrunde gerichtet, es durfte überhaupt nicht ernstlich geschwächt werden, weil Österreich das unentbehrliche Gegengewicht gegen die russische Übermacht an der preußisch-deutschen Ostgrenze bildete. Der Gedanke ist uns heute so geläufig, daß es Wasser in den Ozean schütten hieße, wollten wir darüber nur ein Wort verlieren. Aber welche Genialität des politischen Scharfblicks gehörte dazu, ihn auf dem Schlachtfeld von Königgrätz zu fassen und auszusprechen! Daß Bismarck das nur in vertrautem Gespräche tat und tun durfte, zeigt seine kühne Originalität vollends deutlich. Hätte er ihn öffentlich oder etwa amtlich seinem Herrn gegenüber geltend gemacht, man hätte ihn gar nicht verstanden, wahrscheinlich wieder einmal für toll gehalten. Österreich, der alte Erbfeind, Gegengewicht gegen Rußland, den alten, treuen Freund und Schützer der preußischen Monarchie! Österreich notwendig für den Orient, wo Preußen ja gar keine Interessen hatte! Bismarck tat wirklich gut, sein volles Herz zu wahren und der Menge nicht zu sagen, was er wußte. Nur ein Auserwählter, wie etwa der General v. Stosch, mochte es hören, und auch er notiert die Äußerung mit einer Kühle, der man ein leises Verwundern anzumerken glaubt. Wie sagt doch der Philosoph? "Der Wahrheit ist ein kurzer Siegestag beschieden zwischen der Zeit, da sie als paradox verlacht, und der andern, da sie als trivial gering geschätzt wird."

[57] Heute wird man die Behauptung nicht mehr paradox finden, daß die österreichisch-ungarische Monarchie niemals einen größeren Freund gehabt hat als Bismarck, und daß dieser Freund ihr nie einen größeren Dienst geleistet hat, als in dem Augenblick, wo er sie im Kriege besiegt hatte. Daß Bismarck sich das künftige Verhältnis Deutschlands zu seiner ehemaligen Vormacht in der Gestalt eines festen und dauernden Vertrages dachte, der jede Gegnerschaft ausschloß, das darf wohl als ausgemacht gelten. Das stand ja schon in seinem Programm, ehe der Krieg begann, und um das gleiche hat er dreizehn Jahre später sich bemüht. Daß er es nicht erreichte, ist eine der wenigen Unvollständigkeiten in seinem Werk, aber zugleich eine Aufgabe und Forderung für seine Nachfolger. Wenn aber so etwas überhaupt möglich sein sollte, dann durfte Österreich 1866 weder gedemütigt noch geschwächt werden. Sollte es einmal Deutschlands Bundesgenosse werden, so mußten die psychischen und materiellen Voraussetzungen dafür erhalten bleiben. Eine Fortsetzung des Krieges aber hätte beide zerstört. Wir haben das schon oben berührt. Weitere Siege der preußischen Waffen hätten die Macht Österreichs ebenso geschwächt wie seinen Groll, sein Rachebedürfnis gestärkt, wenn es ihm überhaupt noch gelungen wäre, als Großmacht aus diesem Kriege hervorzugehen. Denn kam es einmal zum Äußersten, brach in Ungarn der Aufstand aus, dann – wie Bismarck selbst anderthalb Jahre später zu Karl Schurz sagte – "war ein Zurückweichen nicht mehr denkbar. Ein Paktieren mit Österreich war außer Frage. Österreich mußte zerstört werden." Aber selbst im günstigsten Fall, selbst wenn es die Krisis überstand, konnte es für das werdende Deutschland nur noch als Gegner in Betracht kommen. Ganz abgesehen davon, wie sehr das die Vereinigung des Nordens mit dem Süden erschwert haben würde, wo die Teilnahme für Österreich stark und echt war, – es gab dann für das neue Deutschland keine wirklich freie auswärtige Politik mehr. Seine unglückliche geographische Lage wäre ihm zum Fluch geworden. Es wäre in demütigende Abhängigkeit von Frankreich oder Rußland geraten, deren jedes seine kaum verhehlten Absichten auf deutsches Gebiet hegte, und gegenüber einer Vereinigung dieser beiden Mächte wäre es wehrlos gewesen. So darf man wohl sagen: die ganze auswärtige Politik des Deutschen Reiches beruht darauf, daß Österreich 1866 als Großmacht ohne wirkliche Schädigung seiner materiellen Kräfte und ohne unheilbare Schädigung seines Selbstgefühls aus dem Kriege hervorging, daß es bündnisfähig in jedem Sinne blieb.

Dem Manne, der das mit der Intuition des Genies erkannte, muß der Gedanke, wieviel hier durch schwächere Einsicht verdorben zu werden drohte, in der Tat die Nerven zum Zerreißen gespannt haben. Man [58] versteht, daß es eine schwere Krise gab, und dankt dem Schicksal, daß es durch den beruhigenden Einfluß des Kronprinzen und – was auch nicht ganz ohne Bedeutung gewesen sein wird – durch ein Unwohlsein des Königs, das ihn weich und nachdenklich stimmte, dem großen Staatsmann den Sieg verschafft hat. Es ist schwer auszudenken, wie sonst das Schicksal der deutschen Nation sich gestaltet haben würde.



Der Friede von Nikolsburg war nur mit Österreich geschlossen. Er ließ wohl für die Regelung der deutschen Dinge freie Hand und behielt nur die Integrität des Königreichs Sachsen vor, aber diese Regelung, d. h. der Norddeutsche Bund und die Annexionen, mußten erst durchgesetzt werden. Immer noch drohte die Gefahr störender Einmischung des Auslandes. Zwischen Lipp' und Kelchesrand konnte leicht der Wein verschüttet werden, wenn die Hand des Trinkenden nicht sicher und vorsichtig blieb. Das Schicksal des Vertrages von San Stefano, von Europa zerrissen zu werden, hätte auch dem Frieden von Nikolsburg widerfahren können. Zumal der russische Einspruch konnte bedenkliche Folgen haben. In aller Form stellten die russischen Vertreter in Berlin, London und Paris am 26. Juli das Begehren, daß die deutschen Verhältnisse, durch europäischen Vertrag geschaffen, nicht ohne Teilnahme aller Mächte geändert würden. Und Alexander II. zeigte den bedrohten deutschen Dynastien, die sich schutzflehend um seinen Thron drängten, eine Wärme des Mitgefühls, die mindestens auffällig war. Gegenüber dem Gesandten des Königs von Hannover erging er sich in empörten und despektierlichen Äußerungen über seinen Oheim. "Ein König von Preußen, der seine Krone vom Tische des Herrn genommen und sich jetzt an die Spitze der Revolution stellt, der in seinem hohen Alter alle Prinzipien seiner besseren Jahre verleugnet – es ist unerhört!" Zugleich aber meldete jetzt Napoleon, was er bisher nicht getan, seinen Anspruch auf Kompensationen an für die Vergrößerung Preußens.

Wir müssen es uns versagen, dem meisterhaften Spiel zu folgen, mit dem Bismarck sich nach der einen wie nach der anderen Seite dieser Eingriffe zu erwehren verstand. Der Kongreßplan machte keine Schwierigkeiten; er fiel schon durch die ablehnende Antwort Englands. Worauf es jetzt ankam, war immer noch das eine: die Verbindung von Rußland und Frankreich zu verhindern. Zu diesem Zweck kam Bismarck den französischen Wünschen scheinbar entgegen, wie er sie schon in der ganzen vorausgehenden Zeit beständig ermutigt hatte. Sein Gedanke war damals zweifellos, daß Napoleon sich mit Preußen in fester Allianz verbinden und, gestützt darauf, Belgien sich aneignen solle. Wiederholt sind er sowohl wie seine Vertrauten, Keudell u. a., in den Besprechungen mit Benedetti ganz offen mit diesem Vorschlag hervorgetreten. Er hat [59] später den Kaiser mit verächtlichem Tadel bedacht, daß er nicht gewagt habe, Belgien zu besetzen, sich mit Preußen Rücken an Rücken zu stellen und es darauf ankommen zu lassen, ob England ihn angriffe. Er hat aber auch, da Napoleon auf die belgischen Aussichten zunächst nicht einging, den Absichten des Kaisers auf Stücke des linksrheinischen Deutschland keineswegs eine schroffe Ablehnung entgegengesetzt. Er hat die Franzosen vielmehr – natürlich ohne sich im mindesten zu verpflichten – stets in dem Glauben gelassen, daß sie von Preußen in Frieden und Freundschaft etwas bekommen würden. So ist es zu begreifen, daß Napoleon den russischen Antrag auf gemeinsames Vorgehen ablehnte: er glaubte, wenn er allein bliebe, mit Preußen das bessere Geschäft zu machen, und er fühlte sich dabei seiner Sache so sicher, daß er es verschmähte, sich irgendwelche Zusicherungen oder Bürgschaften im voraus geben zu lassen. Er hielt es für völlig ausreichend, wenn er – wie Goltz am 27. Juli schrieb – in seiner Eigenschaft als Vermittler nichts verlangte, auch keinen Druck ausübte, sondern einzig und allein auf das Billigkeitsgefühl des Königs zählte. Dies so sehr, daß er sich von seiner Umgebung dazu treiben ließ, in aller Form die Abtretung der bayerischen Rheinpfalz nebst Rheinhessen und Mainz zu fordern, was denn freilich alsbald eine runde Ablehnung erfuhr.

Der günstige Augenblick war versäumt, denn inzwischen hatte Bismarck mit Petersburg die Verständigung gefunden, die es ihm erlaubte, Frankreich den Rücken zu kehren. Auf die ersten Äußerungen von russischer Seite hatte er zunächst ziemlich grobes Geschütz aufgefahren: man habe den Krieg mit Gefahr des eigenen Daseins führen müssen, man könne jetzt nicht die Früchte des Sieges von den Beschlüssen eines Kongresses abhängig machen. Offen drohte er damit, die volle nationale Kraft Deutschlands und der angrenzenden Länder (in Petersburg konnte man darunter das Wort "Polen" lesen) zum Widerstand zu entfesseln. "Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden." Zugleich aber waren die Wünsche des Zaren bei den Friedensschlüssen mit den Südstaaten tunlichst berücksichtigt worden – der Verzicht auf Oberhessen ohne jeden anderweitigen Ersatz war die Folge davon –, Edwin von Manteuffel war nach Petersburg gegangen und hatte den Kaiser beruhigt, Gortschakow gewonnen durch die Aussicht auf Unterstützung der russischen Wünsche im Orient. Eine Verständigung zwischen Rußland und Frankreich war jetzt nicht mehr zu fürchten. So konnte man endlich auch mit Napoleon deutsch reden: nicht einen Fußbreit deutscher Erde sollte er bekommen!

Aber nicht dies allein. Sein Begehren wurde nicht nur abgelehnt, es mußte dem diabolisch gewandten Gegenspieler noch dazu dienen, ihm einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Der zurückprallende Pfeil [60] wurde auf die Brust des Schützen gelenkt. Mit dem französischen Begehren nach Mainz und dem Rhein in der Hand war es Bismarck nicht mehr schwer, die deutschen Südstaaten zum Abschluß geheimer Schutz- und Trutzbündnisse zu bewegen, die ihre Heeresmacht bei einem künftigen Krieg unter preußischen Oberbefehl stellten. Wir erinnern uns, daß Napoleon von Anfang an auf nichts so viel Gewicht gelegt hatte, wie darauf, daß die preußische Hegemonie die Mainlinie nicht überschreite. Ihm zuliebe mußte in den Nikolsburger Frieden ein Satz aufgenommen werden, der den Südstaaten den Abschluß eines besonderen Bundes offen ließ und die volle völkerrechtliche Unabhängigkeit zusprach. Nun bewog sie die Kenntnis der französischen Rheinwünsche leicht, gegen diese Gefahr bei Preußen Schutz zu suchen. Freiwillig verzichteten sie insgeheim auf das Recht, das ihnen öffentlich zugestanden war, und ordneten auch ihre Macht für den Fall internationaler Verwicklungen der preußischen Führung unter. Als am 23. August in Prag der endgültige Friede unterzeichnet wurde, da war erreicht, was Bismarck am 4. Juli dem Kronprinzen als erstes Kriegsziel bezeichnet hatte: die Einigung Norddeutschlands unter preußischer Führung als Etappe zur großen Einheit.

Nur in einem Punkte deckte sich das Erreichte nicht mit dem Erstrebten: die Einverleibung des Königreichs Sachsen war aufgegeben. Dies ist die praktische Folge der französischen Einmischung gewesen; sie hat indirekt Bismarck veranlaßt, auf Sachsen zu verzichten und in ganz Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt dafür Ersatz zu suchen. Für völlig gleichgültig darf man diesen Tausch nicht halten. Durch die Einverleibung Sachsens wären manche inneren Angelegenheiten – man denke z. B. an die Frage der Verkehrswege – wesentlich vereinfacht worden. Auch die Abtretung des Leipziger Kreises, die König Wilhelm so dringend wünschte, hatte unter diesem Gesichtspunkt einen sehr realen Wert. Daß der welfische Groll einen Windthorst an die Spitze der mächtigsten Oppositionspartei führen würde, konnte damals freilich niemand wissen, eine Wirkung des durch Napoleon erzwungenen Tausches ist es aber doch gewesen. Aber was will das besagen gegenüber dem übrigen! Bismarck und der König hatten wohl recht, wenn sie fanden, es sei mehr, als man vor dem Kriege hätte erwarten dürfen.

Es wurde erreicht wesentlich dank der Mäßigung, die Bismarck im entscheidenden Augenblick bewies und zu der er auch seinen König zu bestimmen wußte. Ob bei Fortsetzung des Krieges so viel behauptet worden, ob man namentlich nicht genötigt gewesen wäre, den Nachbarn in West und Ost einen Preis zu zahlen, wird immer eine Frage bleiben. Das ist es, was den Nikolsburger Frieden so sehr auszeichnet, daß er die Möglichkeit schuf, die inneren Verhältnisse Deutschlands, die bis [61] dahin seit Jahrhunderten eine europäische Angelegenheit gewesen waren, in der Hauptsache ganz als deutsche Angelegenheit zu ordnen. Zum ersten Male hatte nicht das Ausland die Entscheidung gegeben, und die Rücksicht, die man ihm bewiesen, war nicht über das Maß dessen hinausgegangen, was ein Staat, der nichts weniger als ein Robinson auf einsamer Insel ist, seinen Nachbarn einräumen muß und einräumen darf. Dies war die reife Frucht des Maßhaltens.

Wenn man nun aber unter dem Eindruck dieser einen Seite der Vorgänge an Bismarcks Kunst des Friedenschließens in neuerer Zeit nichts anderes zu rühmen pflegt, als die Mäßigung, insbesondere den Verzicht auf Annexion feindlichen Staatsgebietes, so darf dem gegenüber wohl einmal daran erinnert werden, daß die Friedensverträge von 1866 auch eine andere Seite haben. Der Mäßigung gegenüber Österreich halten die Annexionen in Norddeutschland die Wage. So zurückhaltend Bismarck dort auftrat, so rücksichtslos griff er hier zu, von Anfang an entschlossen, wenigstens so viel zu nehmen, wie er brauchte, und darüber hinaus so viel, wie er bekommen konnte. Wohl hat er selbst das später nicht mehr wahr haben wollen. Es kam die Zeit, wo Deutschland nach seiner Meinung genug hatte, wo es "saturiert" war und ihm alles daran lag, die Welt von seiner völligen Saturiertheit zu überzeugen. Da hätte er gern auch den Ursprung der preußischen Reichsmacht, die großen Eroberungen, insbesondere die von 1866, in Vergessenheit gebracht, und da das nicht anging, suchte er wenigstens seinen persönlichen Anteil daran zu verringern, indem er anderen die Schuld gab. Man ist ihm darin in Deutschland nur zu gläubig gefolgt. Es paßte zu der ganzen Stimmung friedfertiger Genügsamkeit, die die große Mehrheit des deutsches Volkes seit 1871 lange Zeit beherrschte. Es ist Zeit, diesen Irrtum aufzugeben und Bismarck gegen Bismarck in Schutz zu nehmen. Seine Taten sind stärker als seine Erinnerungen, und auch seine Worte aus der Zeit des Handelns zeugen gegen das Bild, das er sich rückschauend von den Dingen gemacht und mit seiner überwältigenden Autorität auch anderen einzuprägen verstanden hat.

Die Zeitgenossen haben in dem Verfahren Bismarcks alles andere als bescheidene Mäßigung gesehen. Ihnen kam es vor, als wenn die Erde bebte. Eine Ära der Umwälzungen schien angebrochen. Unter diesem Eindruck entließ Alexander II. den hannöverschen Gesandten mit den Worten: "Nichts bleibt mir übrig, als der innige Wunsch, daß die gesellschaftliche Ordnung und der Friede Europas nicht durch die Folgen der eben überstandenen Krisis erschüttert würden." Und er selbst, der Urheber alles Geschehens? Hören wir nur, wie er dem preußischen Volke das Erreichte am Tage nach dem Friedensschluß [62] darstellen ließ! Es ist der Mühe wert, den prachtvollen Aufsatz in Erinnerung zu bringen, in dem die offiziöse Provinzial-Correspondenz am 29. August 1866 die Ergebnisse des Krieges zusammenfaßte. Das ist heute besonders am Platze, wo manche Kreise unseres Volkes den gesunden Sinn für Machtfragen so sehr verloren haben. Sie mögen hören, wie unser größter Staatsmann seine eigenen Taten und größten Erfolge selbst beurteilt hat.

"Dreierlei große und wichtige Erfolge hat Preußen davongetragen: Preußen für sich allein hat eine Ausdehnung erhalten, die es ihm gestattet, seine Stellung als Großmacht in jeder Beziehung leichter und nachdrucksvoller als bisher geltend zu machen; Preußen vereinigt ganz Norddeutschland bis an den Main durch einen engen militärischen und politischen Bund zu einer tatkräftigen deutschen Macht; Preußen ist die alleinige leitende Großmacht in Deutschland geworden... Preußens eigene und unmittelbare Erweiterung... ist für sich allein schon so erheblich, wie eine solche in der wunderbar glücklichen Geschichte Preußens noch niemals mit einem Schlage durchgeführt worden ist. Durch die Einverleibung von Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt a. M. usw. erlangt Preußen, welches seither eine Ausdehnung von etwa 5100 Quadratmeilen und eine Bevölkerung von etwa 19 300 000 Seelen besaß, einen Zuwachs von nahezu 1300 Quadratmeilen mit etwa 4 500 000 Einwohnern, also mit einem Male beinahe den vierten Teil seines gesamten bisherigen Besitzstandes: das eigene preußische Gebiet steigt auf 6400 Quadratmeilen, die Bevölkerung auf 23 800 000 Seelen. Vergleicht man diesen Erfolg unserer siegreichen Kriegführung mit den Ergebnissen früherer Kriege, so tritt schon hierbei hervor, daß die gegenwärtigen politischen Errungenschaften hinter dem Glanze der kriegerischen Taten nicht zurückgeblieben sind." Der Große Kurfürst habe in 48 Regierungsjahren und zahlreichen Kriegen nur 500 Quadratmeilen und ½ Million, Friedrich der Große in den Schlesischen Kriegen nur 688 Quadratmeilen mit etwa 1 Million Einwohnern gewonnen, die Freiheitskriege mit ihren gewaltigen Anstrengungen hätten sogar 561 Quadratmeilen weniger gebracht, als der Länderbestand im Jahre 1806 betragen hatte. "Die jetzigen Eroberungen aber gehen nicht bloß an Größe... weit über alle früheren Eroberungen der größten Zeit Preußens hinaus, der Wert und die Bedeutung derselben werden durch die Lage und Beschaffenheit der erworbenen Länder noch unvergleichlich erhöht. Alles, was der Neid und die Eifersucht der übrigen Staaten vor 50 Jahren an Preußen gesündigt hatte, ist durch die jetzigen Eroberungen gutgemacht. Um Preußens Stellung zu erschweren, hatte man ihm auf dem Wiener Kongreß ein Gebiet in zwei getrennten Teilen ohne jeden unmittelbaren Zusammenhang angewiesen, [63] mitten dazwischen liegend Hannover, Kurhessen usw. Jetzt hat Preußen diese Länder... in sich aufgenommen und bildet nunmehr ein bestimmt abgerundetes, fest verbundenes Ländergebiet, wie alle übrigen europäischen Großstaaten. Um Preußen ferner an der längst erstrebten Entwicklung als Seemacht zu hindern, hatten die Mächte auf dem Wiener Kongreß das von Friedrich dem Großen erworbene schöne Ostfriesland an der Nordsee mit Hannover vereinigt und statt dessen Preußen mit Binnenland entschädigt. Jetzt hat Preußen nicht nur das alte Land an der Nordseeküste, sondern fast das ganze norddeutsche Küstenland von Schleswig-Holstein bis nach Holland hin erworben... So hat denn der preußische Staat, solange er besteht, noch niemals eine so bedeutende und in jeder Beziehung wichtige Vergrößerung erhalten, wie durch den letzten Feldzug. Während Preußen seine durch Friedrich den Großen geschaffene Stellung als Großmacht bisher nur durch die äußerste Anspannung aller Volkskräfte aufrecht erhalten konnte, hat es jetzt durch die Ausfüllung und Abrundung seines Ländergebiets in Nord- und Mitteldeutschland erst die wahrhaft naturgemäße Grundlage einer Großmacht an Land und Leuten gewonnen."



Fassen wir die Eindrücke zusammen, die das unübertreffliche Spiel des großen Meisters hinterläßt. Nichts drängt sich dabei mehr auf als die seltene Vereinigung von Klarheit im Erkennen und Festigkeit im Verfolgen des Zieles mit größter Biegsamkeit in der Wahl der Wege, die "Elastizität des Gedankens und eiserne Kraft des Willens", die Abeken, sein ständiger Mitarbeiter in diesen Tagen, an ihm so sehr bewunderte. Niemals wohl sind Hauptsachen und Nebendinge schärfer unterschieden und sicherer gegeneinander abgewogen worden. Preußen zum Herrn von Norddeutschland zu machen, ihm zugleich den Weg an die Spitze Gesamtdeutschlands zu öffnen, das ist das Ziel, das unbedingt erreicht werden muß. Mancherlei Wege führen dahin. Einverleibung aller norddeutschen Mittelstaaten wäre der geradeste gewesen, aber auch mit einem Teil von gewissem Umfang kann man sich begnügen. Um eines möglichen Mehrgewinns das schon Erreichte aufs Spiel zu setzen, wäre verfehlt. Wo die einzuverleibenden Stücke zu wählen sind, ist Nebensache, man nimmt sie, wo man sie findet, in Sachsen, in Hannover, in Hessen oder anderswo. Aber sie müssen so geschnitten werden, daß nicht zwei starke Königreiche neben Preußen in Norddeutschland bestehen bleiben.

Das ist die Anforderung des Augenblicks, jedermann verständlich. Darüber hinaus aber dringt Bismarcks Seherblick in die ferne Zukunft, wohin ihm nur wenige zu folgen vermögen. Der Friede soll die Ära der Rivalität mit Österreich schließen und eine neue Ära der Versöhnung [64] und dauernden Verbindung eröffnen. Dies ist das zweite Hauptstück, nicht minder wichtig als das erste. Keines darf um des anderen willen geschädigt werden, und am Ende wird eins durch das andere gefördert. Weitgehende Schonung der eigenen Interessen erlaubt es Österreich, den Norden Deutschlands sogleich, und für später sogar ganz Deutschland Preußen zu überlassen; und umgekehrt, da Preußen in Norddeutschland seine Rechnung findet, kann es Österreich die Schonung gewähren, die für spätere Verbindung die Grundlage bildet. So zeigt der Friedensschluß von 1866 das volle Gepräge bismarckischen Geistes: nüchterne Berechnung im Verein mit schöpferischer Phantasie.



Es fehlte nicht an Kritikern, die mit dem Erfolg unzufrieden waren. Zwar die hohen Militärs, für die der Minister während der Verhandlungen "Questenberg im Lager" gewesen war, haben sich bald beruhigt und das Geschehene dankbar anerkannt. Der König selbst dankte seinem Minister gerührt und erhoben mit Tränen und Umarmung. In den breiten Schichten der Armee empfand man anders. "Ich kann nicht sagen, daß ich bei Offizieren oder Soldaten erfreute Gesichter gesehen hätte," bemerkt Louis Schneider. In diesen Kreisen hatte man viel mehr erwartet: König Wilhelm Kaiser von Deutschland, der König von Sachsen nach Böhmen versetzt, das ganze Sachsen mit Preußen vereinigt, Prinz Friedrich Karl König von Ungarn, das Elsaß und Lothringen von Frankreich zurückgefordert usw. – das waren etwa die populären Kriegsziele im Heere. Zweifellos war, was daran einen vernünftigen Sinn hatte, damals auch möglich. Aber gerade darin bewies Bismarck seine ganze Überlegenheit, daß er erkannte, wie sehr hier weniger mehr bedeutete. Die deutsche Einheit, die Kaiserwürde – man hätte sie sogleich haben können; aber man gewann sie künftig sicherer und besser, wenn man für jetzt noch auf sie verzichtete. Was der Prager Frieden säte, mußte nur Zeit haben, zu keimen und zu reifen, dann war die Ernte um so reicher.

Aber noch eine andere Aussaat ist damals gestreut worden, die ebenso sicher aufgehen und ihre Frucht tragen mußte, eine bittere und doch heilsame Frucht: den Krieg mit Frankreich.

Der Friede von Nikolsburg und Prag war eine Niederlage der französischen Politik. Was hatte Napoleon im Juni als ihre Ziele verkündigt? Einen starken, unabhängigen Süddeutschen Staatenbund, Erhaltung von Österreichs Macht in Deutschland, Kompensationen für Frankreich. Nichts von dem war erreicht. Die süddeutschen Staaten hatten sich in die Gefolgschaft Preußens begeben – allerdings nur insgeheim, aber man wußte es bald in Paris –, Österreich war ganz aus Deutschland ausgeschieden, und Frankreich war bei der Umwälzung der [65] Machtverhältnisse leer ausgegangen. Es machte freilich gute Miene zum bösen Spiel. Ein neues Manifest verkündigte am 11. September, daß der Verzicht auf alles Erstrebte den rechten und wahren Gewinn bedeute. Aber die französische Nation las darin nur das Bekenntnis, daß die Trauben zu hoch gehangen hatten, um für süß zu gelten. Nicht lange währte es, so sah man Napoleon daran gehen, die kriegerische Rüstung zu schaffen, deren Fehlen seine Politik in der Stunde der Entscheidung gelähmt hatte, um bei erster Gelegenheit das Versäumte nachzuholen. Es war entschieden, daß Frankreich und Deutschland Gegner seien und über kurz oder lang miteinander Krieg führen würden.

Einer wenigstens hat seine Stimme erhoben, um eindringlich davor zu warnen. Graf v. d. Goltz sah schon am 27. Juli voraus, was kommen würde. Auf das wärmste befürwortete er, dem Kaiser Luxemburg und Landau als Kompensation zu überlassen. In Luxemburg wünschte die Bevölkerung sehr, französisch zu werden, und Landau sei es früher lange Zeit gewesen. Durch diese Abtretung würde man Napoleons Stellung befestigen und einen späteren Krieg verhüten, zu dem die öffentliche Meinung und die Militärs bereits drängten.

Bismarck hat gewußt, was er tat, als er diesen Rat verwarf und auch das kleine Schmerzensgeld – die "kleinen Spesen", wie er es später nannte – abschlug, womit Napoleon höchst wahrscheinlich sich begnügt haben würde. Er hat, als es ihm gleich darauf doch noch gelang, die kaiserlichen Wünsche auf Belgien abzulenken, auch diese Verhandlung nur so weit fortgeführt, bis er den schriftlichen Beweis der französischen Begehrlichkeit in Händen hatte, den er nur bekannt zu machen brauchte, um die napoleonische Politik gegenüber England unrettbar bloßzustellen. Es war klar: so vorsichtig er den Kaiser bis dahin behandelt hatte, so erwünscht ihm in früheren Stadien eine Verständigung mit Frankreich gewesen wäre, jetzt wollte er sie nicht mehr, jetzt ließ er es auf den Konflikt ankommen. Schon die Friedensschlüsse hatte er auf Kosten Frankreichs und im geheimen gegen Frankreich gemacht. Die Dinge sollten sich weiter entwickeln in ihrer natürlichen Konsequenz. Louis sollte, wie er schon am ersten Tage gedroht hatte, seine Einmischung teuer bezahlen, dem Gallier sollte der Streich vergolten werden.

Das lag in der Natur der Dinge, die allerdings in der Seele des handelnden Staatsmannes oft die Gestalt persönlicher Gefühle und Leidenschaften annehmen. Eine deutsche Gesamteinheit, ein deutsches Reich konnten nicht anders als gegen Frankreich entstehen. Und sie sollten entstehen – das war ja der tiefere Sinn des Prager Friedens. Ganz offen sprach und schrieb man jetzt davon. Die Provinzial-Korrespondenz schloß ihren Aufsatz vom 29. August mit dem Satze: [66] "Größer und wichtiger noch als die Ausdehnung des preußischen Staates selber ist die Befestigung und Erhöhung der preußischen Machtstellung in Deutschland und damit zugleich der nationalen Macht des deutschen Vaterlandes." Sie fuhr in ihren Betrachtungen am 5. September fort unter der Überschrift: "Was Preußen für Deutschland errungen hat" und erklärte hier ganz offen, der Krieg, "zur Lösung der deutschen Frage in nationalem Geist und Sinn" geführt, sei "ein Entscheidungskampf über die Geschicke Deutschlands" gewesen. "Der alte ohnmächtige deutsche Bund ist vernichtet, und auf den Trümmern desselben ist zunächst ein norddeutscher Bund unter Preußens militärischer und politischer Führung gegründet." Zunächst! – So wurde das kommende Deutsche Reich öffentlich angekündigt und seine Macht und Größe schon halbwegs vorweggenommen.

Auch Bismarck nahm jetzt kein Blatt mehr vor den Mund. Wie oft und nachdrücklich hatte er vor und während des Krieges versichert, Preußens Ehrgeiz beschränke sich auf Norddeutschland! Als nun am 12. September der ewige Nörgler Rudolf Virchow ihm im Abgeordnetenhause vorhielt, er habe zu wenig erreicht, "die so kühn begonnene Politik nicht entschlossen fortgeführt, sondern sei immer mehr in die Verwicklungen der Kabinettspolitik geraten" – da antwortete er: "Wir sind nicht am Ziel unserer Politik, wir sind am Anfang derselben, und Sie tun uns unrecht, wenn Sie das Vorliegende als etwas Fertiges, Abgeschlossenes behandeln."

Der Abschluß mußte auf französischen Widerstand stoßen. Das war unvermeidlich und war gut. Denn nur im Kampf mit Frankreich und auf Kosten von Frankreich konnte Deutschland seine volle Einheit und das Geeinte die Grenzen erhalten, deren es bedurfte. Mit anderen Worten: für die Sicherheit und Festigkeit eines Deutschen Reiches war der Besitz von Elsaß und Lothringen unentbehrlich; sollte es entstehen, so mußten diese Länder erobert werden. So lag, wie Erich Marcks gesagt hat, in 1866 bereits 1870 beschlossen. Aus den Prager Frieden mußte der deutsch-französische Krieg entstehen.

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1Dieselbe Erzählung in verschärfter Form soll Bismarck schon 1869 dem sächsischen Minister v. Friesen vorgetragen haben (s. dessen Erinnerungen, Bd. 3 S. 82ff.). Es fällt auf, wie außerordentlich unzuverlässig das Meiste ist, was dieser Gewährsmann von Bismarck gehört hat. Die Absicht ist meist, und so auch hier, nicht schwer zu erkennen. ...zurück...

2Daß er in Nikolsburg seinen Abschied angeboten, hat Bismarck schon 1867 gemeint. Man vgl. Oncken, Bennigsen, Bd. 2 S. 31 und Bluntschli, Denkwürdigkeiten, Bd. 3 S. 200. ...zurück...

3Die Fehler sind scharfsinnig aufgedeckt worden von Max Lenz, Deutsche Rundschau, Bd. 100 S. 109ff. Um die Erzählung zu retten, hat Wilhelm Busch (in der Historischen Zeitschrift, Bd. 92 S. 418ff.) die Vermutung aufgestellt, daß es im Juli 1866 zwei Konflikte statt eines gegeben habe, von deren einem, dem zweiten (23. Juli), die Akten bei Sybel reden, während bei Bismarck damit die Erinnerung an einen früheren schärferen (19. Juli), zusammenfließe. Das ist an sich schon sehr unwahrscheinlich und wird durch die Akten vollständig widerlegt, in die ich dank der Zuvorkommenheit des Herrn Unterstaatssekretärs Dr. Zimmermann Einblick erhalten habe. Was bei der ersten, sehr kurzen Meinungsverschiedenheit (übrigens um den 16. Juli) wirklich vorfiel, erzählt Keudell S. 297. – Wie unzuverlässig Bismarcks Erzählungen oft sind, zeigen in anschaulicher Weise die Zusammenstellungen bei Robert Pahncke, Bismarcks Parallelerzählungen zu den Gedanken und Erinnerungen (1914). Es ging ihm wohl, wie es allen geht, die gute Erzähler sind: die Wahrheit mußte mitunter die Kosten der Wirkung bestreiten. Man tut Unrecht, seine gelegentlichen Erzählungen als geschichtliche Dokumente zu behandeln. Es darf hier im allgemeinen daran erinnert werden, daß Bismarcks Gedanken und Erinnerungen als Geschichtsquelle schon darum nur mit größter Vorsicht zu benutzen sind, weil sie in ganz unfertigem Zustand das Licht der Welt erblickt haben. Der Fürst hat sich nicht mehr die Mühe genommen, das, was nach seinen zwanglosen Plaudereien stenographiert war, nach den Akten und anderem Material zu kontrollieren. Ihn interessierten die zwei ersten Teile augenscheinlich nur sehr mäßig, und was ihm die Hauptsache war, ist garnicht veröffentlicht worden. So erklären sich die handgreiflichen Abweichungen von der Wirklichkeit, deren stärkste allerdings im Kapitel "Nikolsburg" sich finden, wo auf die Darstellung Sybels in Fußnoten Bezug genommen wird, während die eigene Erzählung mit ihr garnicht zu vereinigen ist. Man vergleiche dazu M. Busch, Some secret pages, Bd. 3 S. 351 ff. ...zurück...

4Die Äußerung wird von verschiedenen Seiten überliefert. Sie klingt so bismarckisch, daß man sie wohl für echt halten darf. ...zurück...

5Sybel hat das lange und interessante Aktenstück, vom 23. Juli datiert, nicht verwertet. ...zurück...

6Da die in Deutschland gebräuchlichen Darstellungen den Inhalt des Vertrages falsch wiedergeben, so mag hier ausdrücklich erwähnt werden, daß der Text gedruckt ist bei Ollivier, L'empire libéral, Bd. 8 S. 180ff. Die Nichtigkeit wird von österreichischer Seite bestätigt durch E. v. Plener, Erinnerungen, Bd. 1 S. 83. ...zurück...

7Ähnlich sprach er sich noch am 18. Juli gegen Goltz aus: "Er sei allerdings drauf und dran gewesen düpiert zu werden; denn man habe ihn mit der Zession Venetiens und der Mediation engagieren und in eine aktive Allianz mit Österreich hineinziehen wollen. Er habe noch gerade zu rechter Zeit angehalten." ...zurück...

8Das Folgende nach seiner Rechtfertigung vom 23. Juli. ...zurück...

9Daß dieses Anerbieten völlig ernst gemeint war, darf man nicht für so ausgemacht halten, wie gemeinhin geschieht. Herring war ohne Vollmacht, und was er sagte, konnte jeden Augenblick verleugnet werden, wenn der nächste Zweck erreicht war, Österreich und Frankreich auseinander zu bringen. ...zurück...

10Sybel hat von diesem Satz gewiß nicht ohne Absicht die zweite Hälfte unterdrückt (Bd. 5, S. 289). Vollständig, aber fehlerhaft, ist die von den Österreichern aufgefangene Depesche zuerst in dem österreichischen Generalstabswerk (Österreichs Kämpfe, Bd. 4, S. 149) gedruckt, berichtigt bei v. Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866, Bd. 2, S. 676. ...zurück...

11Diese drei Worte sind Zusatz von Bismarck zu Abekens Konzept. ...zurück...

12Ähnlich hat Bismarck schon 1877 gesprochen, Busch, Some secret pages, Bd. 2, S. 466 (höchst anfechtbar) und sonst. ...zurück...

13So etwa bei Mittnacht, Erinnerungen an Bismarck, Neue Folge, S. 40: "er habe den Standpunkt vertreten: entweder ganz oder gar nicht." ...zurück...

14Man hat oft gefragt, wer wohl die hohen militärischen Stellen gewesen sein mögen, die den König in seiner Auffassung bestärkten. Den eigentlichen Urheber hat man nicht gefunden. Ein Teilnehmer, der General der Infanterie z. D. von Blume, hat mir auf meine Frage danach geantwortet: "Es war nicht einer, es waren alle. Wir dachten damals alle so, ich auch." – Daß Roon insbesondere zu Bismarck gegen Moltke u. a. gestanden sei, wie man wohl behauptet hat, ist positiv falsch. – Was Bismarck dem sächsischen Minister v. Friesen 1869 erzählt haben soll (Friesens Erinnerungen Bd. 3, S. 82ff.), er habe den König vor Nikolsburg 14 Tage nicht gesehen, und der König sei infolge davon und durch "ausschließlichen Umgang mit höheren Militärs" "gänzlich verändert" geworden, ist Jagdgeschichte. ...zurück...

15Ähnlich in den Gedanken und Erinnerungen, Bd. 1, S. 34 und schon 1869 zum sächsischen Minister v. Friesen (siehe dessen Erinnerungen, Bd. 3, S. 81). Die hier wiedergegebene Erzählung wimmelt von tatsächlichen Irrtümern. Bismarck verfolgt in ihr, wie auch in der Reichstagsrede den Zweck, seine Verbindung mit den ungarischen Revolutionären zu rechtfertigen, die ihm so oft vorgeworfen wurde. ...zurück...

16So zuerst angedeutet 1868 gegenüber Karl Schurz (Süddeutsche Monatshefte, Jahrgang XI, S. 365), dann in den Gedanken und Erinnerungen und 1895 mündlich gegenüber v. Lettow-Vorbeck. ...zurück...

17Bismarck ist über die Tatsachen, auf die Moltke, Roon u. a. ihr Urteil über die französische Schwäche gründeten, sicher ebenso unterrichtet gewesen, wie über ihre Ansicht selbst. Er äußert sich denn auch in den kritischen Tagen nirgends wirklich besorgt, nicht einmal merklich beunruhigt, wohl aber gelegentlich durchaus zuversichtlich, wie z. B. am 16. Juli zu Stosch: "Napoleon zeige Respekt vor unseren militärischen Qualitäten und werde sich hüten, ohne Zwang aus dem eigenen Lager Krieg mit uns zu beginnen". ...zurück...

18Der Anblick des Konzeptes lehrt, welche Wichtigkeit der Depesche zukam. Abekens Entwurf ist in ungewöhnlicher Weise von Bismarck umgestaltet. Es hieß da z. B.: "Hannover hätten wir ein Recht zu fordern; wir können uns mit Ostfriesland und Osnabrück begnügen, wenn wir durch Erwerb von Sachsen unsere Grenzen aus der Nähe unserer Hauptstadt weg nach dem Gebirge zu verlegen. Die Wichtigkeit dieses Besitzes hat der Feldzug gezeigt. Wir können die Mittelstaaten in Norddeutschland keinesfalls so groß lassen, daß die ernste Gefahr, die uns diesmal bedroht hatte, im Rücken und Herzen unserer Landsleute sich wiederholte. Die kleinen Staaten in Norddeutschland hindern uns wenig, wenn fest organisiertes Bündnis, daneben freieres Verhältnis zu Süddeutschland und Österreich." Alles dies ist der Streichung anheimgefallen. ...zurück...

19In diesem Punkte hätte also Bismarck in seiner Denkschrift an den König vom 24. Juli die Lage bedenklicher geschildert, als sie war, wenn er schrieb, in England sei zwar die öffentliche Meinung Preußen günstig, nicht aber die Regierung. ...zurück...

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Bismarcks Friedensschlüsse
Dr. Johannes Haller