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[Bd. 1 S. 58]
Otto der Große, 912 - 973, von Gerd Tellenbach

Ottos Sieg über Berengar II.
Kaiser Otto I.: Ottos Sieg über Berengar II.
Illustration aus der "Weltchronik
des Bischofs Otto von Freising," ca. 1200.
[Nach wikipedia.org.]
Es ist für die Geschichte und die innere Prägung des deutschen Volkes von dauernder Bedeutung, daß es als erstes von den Völkern des abendländischen Kulturkreises sich selbst vollendete und daß es als erstes die Führer- und Herrenstellung in Europa errang. Beides geschah in den Tagen Kaiser Ottos des Großen, der dabei wie kein anderer schöpferisch tätig war und unser künftiges Schicksal gestaltete.

Die Entstehung des deutschen Volkes ist ein lange währender, vielfach in Dunkel gehüllter geschichtlicher Vorgang. Unter den Einwirkungen des Christentums und spätantiker Überlieferungsströme bildete sich in karolingischer Zeit aus dem Westgermanischen das Deutsche heraus. Wann ein – zunächst gewiß nicht allzuklares – gemeindeutsches Bewußtsein hervortrat, läßt sich kaum sagen. Ob es zur Bildung eines deutschen Staates kommen werde, war jedenfalls noch das ganze neunte Jahrhundert hindurch, trotz verheißungsvoller Ansätze, unentschieden, denn es war noch unsicher, ob nicht bei Sachsen, Bayern, Schwaben und Franken das Gefühl ihrer Verschiedenheit stärker sei als das ihrer Gemeinsamkeit. Erst als mit dem Tode des letzten ostfränkischen Karolingers die dynastische Klammer wegfiel, die bis dahin die deutschen Stämme zusammengehalten hatte, da erwies sich das junge deutsche Gemeinschaftsbewußtsein doch als stark genug, um selbständig einen ganz neuartigen Staat zu begründen. In das Jahr 911 fällt recht eigentlich die Geburt des deutschen Reiches.

Die fränkische Staatsgewalt, der die Deutschen bis dahin unterstanden hatten, war ihrer Herkunft und ihrem Grundcharakter nach germanisch. Die Merowinger aber richteten als Kriegsherren ihre Gewalt über andere germanische Stämme und über Romanen auf. Die innige Verbindung mit dem fränkischen Stamm löste sich, das fränkische Königtum war nur noch dem Namen nach in germanischer Weise Königtum über einen Stamm, in Wirklichkeit beherrschte es mehrere. Es erhielt ferner unter dem Einfluß der merowingischen Siege und durch das geschulte obrigkeitsstaatliche Denken der neuen romanischen Untertanen einen viel stärker herrschaftlichen Charakter. Am augenfälligsten äußerte sich das bei der Thronfolge im Zurücktreten des Volkswahlrechtes und in der alleinigen Herrschaft des Erbrechtes, das dahin führte, daß Merowinger wie Karolinger ihre Reiche rücksichtslos unter ihre Söhne zu teilen pflegten, als wären sie ihre privaten Besitzungen. Die Karolinger, vor allem Karl der Große, hatten den [59] Versuch gemacht, den fränkischen Staat noch strenger zentralistisch zu organisieren. Alle Staatsgewalt, alles politische Leben sollte vom König ausgehen, Gericht, Heereswesen und Verwaltung ausschließlich von Beamten des Königs, Grafen und Königsboten, wahrgenommen werden. Während sich nun im romanischen Westen diese Absichten verwirklichen ließen, wehrte sich im Osten die germanische Art gegen die zentralistische, abstrakt-mechanische Staatskonstruktion. Dort bedurfte man kleiner, konkreter, eigenwurzeliger und eigenberechtigter politischer Bildungen. So erhielt sich das Volksgericht neben dem Grafengericht des Königs, es behauptete sich vor allem der Stamm als wesentlichster politischer Verband. Und als gar das karolingische Königtum schwach wurde und sich seinen vornehmsten Aufgaben, der Friedewahrung im Inneren durch das Gericht und der Verteidigung gegen den äußeren Feinde im Kriege nicht mehr gewachsen zeigte, da erstand auf volksrechtlicher Grundlage das Stammesherzogtum zu neuem Leben.

Indem die Herzöge der Franken Sachsen, Bayern und Alemannen sich verbündeten, entstand ein neuer Staat. Dieser Bund ist das junge deutsche Reich, und gewissermaßen die einzige Bundeseinrichtung ist ein Königtum nach fränkischem Muster. Ein Königtum dieser Art hatten die Stämme ursprünglich nicht gekannt und auch nicht bei sich entwickelt. Sie übernahmen vielmehr etwas, was sie im großfränkischen Reich kennengelernt hatten; die dort empfangene Schulung im staatlichen Denken und die dort gewonnene politische Zucht erwies sich als fruchtbringend. Allein dadurch unterschied sich das neue Königtum von dem fränkischen wesentlich, daß eine Teilung der Gewalt unter verschiedenen Erben niemals versucht worden ist. Im übrigen aber blieb es zunächst noch unentschieden, ob für die Verfassung des Reiches der Wille der verbündeten Stammeshäupter oder derjenige des gemeinsamen Königs ausschlaggebend sei, ob eine starke, dem karolingischen Vorbild entsprechende Zentralgewalt oder der neue Partikularismus den Staat tragen solle. Noch war überhaupt das Einigungswerk nicht in Sicherheit. Konrad I. überspannte die ihm zugebilligte Gewalt; er erlitt Schiffbruch. Unter seinen Mißerfolgen war es der bedenklichste, daß Sachsen sich wieder abzulösen begann. So war es die einzige glückliche Tat des ersten Königs, daß er dem sächsischen Herzog seine Nachfolge zuwandte. Heinrich I. blieb auch als König vor allem Herzog seines eigenen Stammes und behauptete damit eine sicher Grundlage seiner Macht. Er hat den fränkischen Charakter seines Königtums nicht betont und auf die ihm angetragene Krönung und Salbung verzichtet. Für ihn kam es zunächst darauf an, wenigstens den losen Zusammenhang der Stämme zu behaupten. War er selbst doch nur von Franken und Sachsen gewählt worden, während der schwäbische Herzog gleichgültig beiseite stand und der bayrische sich von den Seinen gar hatte zum König wählen lassen. Heinrich hat mißtrauisch gegen die eigenen Erfolgsmöglichkeiten, aber zäh, energisch und vorsichtig an der Hebung der Reichsgewalt gearbeitet. Durch klug-nüchterne Zugeständnisse [60] gewann er die Herzöge. Er begnügte sich vorerst mit einer formalen Anerkennung und gab dem Bayernherzog Arnulf gar ein höchst wichtiges Recht, die Einsetzung der Bischöfe und Reichsäbte seines Landes, preis. Durch bedachte Anspannung und Ausnutzung der wenigen Königsrechte, durch die Gewinnung des zwischen Deutschland und Frankreich hin und her schwankenden Lothringens und durch seine siegreichen Kriege gegen Slawen und Ungarn hat er die königliche Autorität wesentlich gekräftigt.

Sein Sohn Otto I., der auf Heinrichs Empfehlung 936 von den Fürsten zum König gewählt wurde, brach mit der genügsamen Politik seines Vaters. Er lenkte von vornherein in die Bahnen karolingisch-imperialer Tradition zurück. Schon die Feierlichkeiten beim Regierungsantritt waren programmatisch. In Aachen, der damals wieder hoch gepriesenen Stadt Karls des Großen, versammelten sich die Herzöge und Fürsten des Reiches zur Wahl; wieder thronte der von geweihter Hand gesalbte und durch die Krone kirchlich geheiligte König auf Karls marmornem Kaiserstuhl. Dem großen Frankenkaiser strebte der junge König nach. Seine Herrschermacht galt es ihm zu erneuern und nach seinem Vorbild zunächst einmal dem vom König geleiteten Einheitsstaat zum Siege zu verhelfen gegen die Sonderbestrebungen der Herzöge. Schon schien er seinem Ziele nahe. Die stolzen Herzöge nämlich fanden sich bereit, dem neuen König Treue und Mannschaft zu geloben und beim prunkvollen Krönungsmahle die vornehmsten Hofämter zu versehen. Mochten sie damit vor aller Welt zeigen wollen, daß sie die ersten am Thron seien, in den Augen Ottos erschienen sie als Diener des Königs. In Wirklichkeit aber waren sie das in diesem Augenblick noch keineswegs; die Stellung des Herzogs wurde noch von der Auserwähltheit seines Geschlechtes und dem Willen des Stammes hergeleitet. Noch sollte es gewaltiger Mühen und glücklicher Siege bedürfen, bis der junge Herrscher seinem Königtum und seinem Reich die glänzende Gestalt gegeben haben würde, die ihm vorschwebte.

Otto war geboren im Jahre 912, also kurz nachdem die Grundlage des deutschen Staates geschaffen war. Den Namen erhielt er von seinem Großvater, der wenige Tage nach des Enkels Geburt starb. Der alte Herzog Otto war der Sohn Liudolfs, des Begründers des sächsischen Geschlechtes, der Liudolfinger. Otto hatte zusammen mit seinem älteren Bruder Bruno vom Vater die Führung des sächsischen Stammes ererbt. Nachdem Bruno in einer unglücklichen Schlacht gegen die Normannen an der Elbmündung gefallen war (880), sammelte Herzog Otto immer wieder die sächsischen Kräfte, wahrte die Ruhe im Inneren und drängte nach und nach die normannischen und slawischen Feinde zurück. Gerade die Taten der beiden liudolfingischen Brüder lassen die Entstehungsgründe des Stammesherzogtums im neunten Jahrhundert deutlich erkennen. Auch Herzog Ottos Sohn Heinrich, der erste König aus dem sächsischen Hause, ist im Kampf gegen die Slawen zum Manne geworden. Heinrich war tüchtig und klug, tatkräftig, zäh und nüchtern. Er heiratete zuerst die reiche Grafentochter Hatheburch, die früh verwitwet den [61] Schleier genommen hatte. Die Kirche betrachtete jedoch diese Ehe als nichtig, und Heinrich löste sie deshalb nach kurzem auf, behielt aber Hatheburchs Vermögen für ihren Sohn Thankmar zurück. Auch Mathilde, seine zweite Gemahlin, brachte ihm reichen Besitz zu. In der umsichtigen Verwaltung des Hausgutes wie in Regierungsangelegenheiten hat er selbstherrlich gewaltet. Es ist gewiß kein Zufall, daß zu seinen Lebzeiten von seiner zahlreichen Familie wenig die Rede ist. Wir haben uns Heinrich I. wohl als etwas eigenwilligen Hausherrn vorzustellen, der sich nicht gern etwas dreinreden ließ. Seinem Sohn und Nachfolger Otto hat er schwerlich in die Regierungsgeschäfte eingeweiht. Wir wissen fast nichts von Ottos Jugend. Er wird wie sein Vater in der harten Umwelt des Slawenkrieges groß geworden sein, schulmäßige Bildung ließ ihm Heinrich indessen nicht zuteil werden. Erst viel später lernte er lesen. Slawisch und Romanisch hat er wohl durch den Gebrauch sprechen gelernt, aber er bediente sich der Fremdsprachen selten; fast ausschließlich gebrauchte er seine heimische sächsische Mundart. Neben Otto und Thankmar wuchsen am Hofe Heinrichs vier jüngere Geschwister heran. Ottos Mutter, die Königin Mathilde, war eine bedeutende Frau. Ihre Herkunft führte sie auf den heldenhaften Herzog Widukind zurück. Sie unterschied sich in ihrem Wesen von dem nüchternen Gatten, besaß Phantasie und religiöse Begabung, war sich mit Stolz ihrer königlichen Majestät bewußt und liebte den prunkvollen Glanz ihrer Stellung.

Was uns die Zeitgenossen von der Persönlichkeit Ottos I. berichten, ist zu wenig, um uns eine wirklich allseitige und plastische Anschauung zu vermitteln. Innerlich war er offenbar seiner Mutter verwandter, körperlich soll er dem Vater geglichen haben. Seine Gestalt war stattlich, voll königlicher Würde. Die Haare trug er kurz geschnitten, sein Gesicht war rötlich, die glänzenden Augen blickten lebendig, ein langer Bart wallte auf die auffallend stark behaarte Brust herab. Sein Gang und seine Bewegungen waren rasch und zeugten von seinem lebhaften, ja leidenschaftlichen Temperament. Das Gefühlsleben war reich und warm. Schon mit sechzehn Jahren ergriff ihn heiße Liebe zu einer edlen, gefangenen Slawin. Der Verbindung mit ihr entstammt der illegitime Sohn Wilhelm, der spätere Erzbischof von Mainz. Kurz darauf (929) geschah es, daß König Heinrich für den frühreifen Sohn am englischen Hofe um die Prinzessin Edgitha anhielt, Ottos milde, fromme und sehr geliebte erste Gattin, die Mutter seiner Kinder Liudolf und Liutgard. Wie gegen seine Angehörigen zeigte er sich warmherzig gegen seine Freunde. Wenn er wohl auch im Zorne aufwallte, so verzieh er doch leicht und trug nichts nach. Seinem jüngeren Bruder Heinrich, der ihn mehrmals des Thrones und gar des Lebens berauben wollte, hat er trotzdem seine Gnade immer wieder geschenkt, bis er schließlich doch an ihm den treusten Freund und Mitkämpfer gewann. Neben so merkwürdiger Milde und Großherzigkeit finden wir gegenüber auswärtigen Feinden ungemein harte Grausamkeit. Einst ließ Otto nach siegreichem Kampfe siebenhundert Slawen enthaupten; die in der [62] Lechfeldschlacht gefangenen Ungarn wurden gehängt; aufrührerische Römer ließ er hinrichten, verstümmeln oder verschicken.

Der inneren Bewegtheit seines Wesens entspricht es, daß Otto Tag und Nacht mit seinen Gedanken und Plänen beschäftigt war. Er schlief wenig, sprach oft im Schlaf und hatte viele Träume, die ihm auch noch im wachen Zustand zu denken gaben und gelegentlich seine Entscheidungen mitbeeinflußt haben sollen. Darin zeigt sich seine lebhafte Phantasie, an sich eine gefährliche Gabe für den Herrscher eines großen Reiches, die Otto zusammen mit seiner Art, impulsiv zu handeln, besonders in den ersten Jahren seiner Regierung, manchen Mißerfolg einbrachte. Aber sie macht sich auch fruchtbar in seiner Herrschertätigkeit bemerkbar. Mit ihr hängt der große Schwung zusammen, der Otto eigen war, und sie war es, die ihn große und glänzende Ziele in der Zukunft erschauen ließ. Vor allem aber war sie mit großen Regenteneigenschaften verbunden: ungestümer Tapferkeit, unermüdlichem Fleiß, zäher Beharrlichkeit und sicherem Selbstgefühl. Trotz vieler Rückschläge hat er stets unverrückbar an den großen Linien seiner Politik festgehalten. Nie erwies er sich königlicher als im Unglück. Die Geschichtsschreiber preisen einmütig, wie fest und unerschrocken er in den Stürmen der Jahre 939 und 953 gestanden habe, die ihm nach menschlichem Ermessen den Thron kosten oder wenigstens starke Einbußen bringen mußten; wie er in majestätischer Würde aufrecht geblieben sei, als könne ihm keine Not etwas anhaben. Als einst aus seinem Lager vor Breisach viele seiner Anhänger zu fliehen begannen, nahte sich ihm ein mächtiger Graf und forderte ihm einen Preis für seine Treue ab. Mit so stolzer Sicherheit wies ihn der König zurück, daß der Graf beschämt um Verzeihung bat. Was war es, was Otto so fest in sich selbst ruhen ließ? Es war wohl die letzte Entschlossenheit, seine Ehre als König und Mann unangetastet zu bewahren, welches Schicksal ihm immer daraus erwachsen mochte. Diese Stellung zu Ehre und Schicksal kennen wir ja als Grundzug des germanischen Wesens. Mit dem stolzen germanischen Gehorsam gegen das Schicksal verband sich bei Otto die christliche Demut gegen die Fügung Gottes. Angst oder Verzagtheit erschien ihm als Mißtrauen gegen Gott. Es war bei Otto mehr als bloß äußerliche, kirchliche Ergebenheit, wenn er sich in seinen Nöten oder auch beim Empfang einer Siegesnachricht vor der heiligen Lanze zum Gebet niederwarf, wenn er stets sich durch Fasten auf das Tragen der Krone vorbereitete. Die theokratischen Lehren von der Stellung des Königs waren für ihn nicht bloß Überlieferung, nein, er empfand sich wirklich als Werkzeug Gottes und seine Herrschaft als Gottesdienst. Und darin wurzeln ganz besonders seine Überzeugung von seiner geheiligten Hoheit und seine gebietende Haltung.

Der hohe Flug seiner Gedanken, seine kühnen Pläne und Ansprüche und die aus Ehrgefühl und majestätischer Würde hervorgehende Selbstherrlichkeit und Schroffheit brachten dem jungen Herrscher schon bald erbitterte Feindschaften ein. Zuerst hatte er mit Bayern Schwierigkeiten, wo Herzog Arnulf 937 starb und [63] seine Söhne, die der Bayernstamm sich zu Herzögen erkor, pochend auf ihre Selbständigkeit, dem König sogar die Huldigung verweigerten. Nach kurzem gelang es Otto jedoch, die jungen Herzöge zu vertreiben und den Bruder Arnulfs, Berchthold, zum Herzog zu machen. Es war ein schöner Erfolg, zumal Otto für das Reich das Recht auf Besetzung der bayrischen Bistümer, das sein Vater dem Herzog hatte überlassen müssen, zurückgewann. Aber von anderer Seite zogen neue Unwetterwolken herauf. Otto hatte Eberhard von Franken, den Bruder Konrads I., der seinem Vater einst die Insignien des Reiches überbracht hatte, wegen Friedensbruches unnachsichtig bestraft. Nicht weniger fühlte sich Giselbert von Lothringen, der Schwager des Königs, durch Ottos herrisches Auftreten gekränkt. Dazu kamen schwere Zwistigkeiten in der königlichen Familie. Ottos älterer Stiefbruder Thankmar glaubte ungerecht zurückgesetzt worden zu sei und sammelte eine beträchtliche Gruppe unzufriedener sächsischer Adliger um sich. Die Königin Mathilde hätte gern ihren jüngeren Sohn Heinrich, einen schönen, glänzend begabten, dem Vater ähnlichen jungen Mann, der ihr Liebling war, auf dem Thron gesehen. Ihre von byzantinischem Brauch beeinflußte Meinung, in Heinrich, den sie als Königin geboren, fließe das edlere Blut, hatte den Gatten nicht überzeugt. Mochte er Ottos größere Eignung erkannt haben oder ihm der bei seinem Tode höchstens sechzehnjährige Heinrich für die Krone zu jung erscheinen, er hielt an Otto als seinem Nachfolger fest. Aber der Mutter fiel es nicht schwer, dem ehrgeizigen jüngeren Sohn die Überzeugung von seinem besseren Recht beizubringen. So kam es nacheinander zu zwei Aufständen gegen Otto. Den ersten, zu dem sich Eberhard und Thankmar zusammenfanden, vermochte der König nach hartem Kampf niederzuschlagen. Thankmar fand dabei den Tod. Nach kurzer Zeit vereinigten sich aber der bald begnadigte Herzog Eberhard, Prinz Heinrich und Giselbert von Lothringen. Giselbert erkannte, daß Otto wirklich Herr über Lothringen sein wollte, während der westfränkische Karolinger Ludwig IV. in Kämpfe mit seinen großen Vasallen verstrickt war und ihm ein milder Herr werden zu wollen schien. Und da es des Lothringers Politik war, zwischen den beiden Reichen sich selbst eine möglichst weitgehende Selbständigkeit zu verschaffen, so wandte er sich wieder einmal dem König von Frankreich zu, erkannte seine Oberhoheit an und gewann für sich und seine Verbündeten dessen Hilfe. Otto geriet in bitterste Not. Aber das Glück kam seiner Standhaftigkeit zu Hilfe. Es gelang seinen getreuesten Helfern, die beiden Herzöge Giselbert und Eberhard bei Andernach zu überfallen und nach kurzem Gefecht zu überwältigen (939); dieser fiel, jener ertrank auf der Flucht in den Fluten des Rheines. Es half dem König von Frankreich nichts, daß er durch Heirat mit Giselberts Witwe Gerberga, Heinrichs I. ältester Tochter, sich neue Ansprüche auf Lothringen zu sichern suchte, und auch Heinrich mußte sich dem Bruder unterwerfen. Ein letzter Versuch des Prinzen, durch einen finsteren Mordplan zu seinem Ziel zu kommen, mißlang. Alle Wirren und Anfechtungen dieser Jahre endigten mit dem glänzenden Siege Ottos.

[64] Erst damals wurde die Einigung der deutschen Stämme endgültig und erhielt der deutsche Staat die Festigkeit, die ihm vorher infolge von Absplitterungs- und Absonderungsbestrebungen der Herzöge noch gefehlt hatte. Und da erst ein starker Staat einem Volk inneren und äußeren Halt und Dauer zu geben vermag, so fand die deutsche Nation in Ottos ersten Regierungsjahren ihre Vollendung und empfing zugleich die Grundlage zu weiterer Entwicklung. Ferner fiel die Entscheidung über die Gestalt der Reichsverfassung. Die Absicht, die Otto durch seine Krönungsfeier angekündigt hatte, nämlich sein Königtum nach fränkischem Vorbild auszugestalten, hatte er erreicht. Nicht die Gesamtheit der Herzöge, sondern der König war nun unbestrittener Träger des Reiches. Otto konnte auf Grund seiner Erfolge über vier von den fünf Herzogtümern verfügen. Waren die Herzöge im neunten Jahrhundert durch den Willen des Volkes unabhängig vom König emporgekommen, so wurden sie jetzt straff der königlichen Gewalt untergeordnet. Das eigenständige Volksrecht wurde zugunsten des Königsrechtes zurückgedrängt. Dem König stand nun die Einsetzung des Herzoges zu, er wurde sein Lehnsherr, während die Stammeswahl, die man noch beibehielt, fast alles Gewicht verlor. Allein Otto dachte gar nicht daran, die Stammesorganisation zugunsten der Reichseinheit überhaupt aufzuheben. Die Stämme waren dazu viel zu urwüchsige, natürliche und kräftige Bildungen; die Herzöge waren, da der König nicht überall in seinem weiten Reiche sein konnte, auch für ihn selbst unentbehrlich, und das Herzogsamt blieb in der Reichspolitik ein wichtiger Faktor, zumal da es leicht einen starken Rückhalt beim Stammesvolk gewinnen konnte. So war Otto eifrig darauf bedacht, seine Stellung durch Einsetzung zuverlässiger Herzöge zu festigen. Sachsen und Franken behielt er in seiner eigenen Hand. Lothringen gab er dem Salier Konrad dem Roten, der Ottos Tochter Liutgard heiratete, Bayern erhielt Ottos Bruder Heinrich, der sich mit Herzog Arnulfs Tochter Judith vermählt hatte, und Liudolf heiratete die Tochter Herzog Hermanns von Schwaben und wurde dessen Nachfolger. So kamen alle Herzogtümer an Mitglieder der königlichen Familie. Außerdem schuf Otto in dem Pfalzgrafen ein Gegengewicht gegen das Stammesherzogtum. Es hatte die Aufgabe, die königlichen Interessen in den Herzogtümern wahrzunehmen, besonders hinsichtlich der Krongüter und der Rechtspflege.

Otto blieb sich trotz allem mit Recht bewußt, daß in den Herzogtümern ihrer ganzen Herkunft und Art nach partikularistische Kräfte lebten. Wollte er dem Königtum und damit dem Reich größere Festigkeit geben, so konnte er sich nicht allein auf die Herzöge stützen, mochten sie noch so sehr von der Zentralgewalt abhängig sein. Karl der Große hatte seine Macht auf eine zahlreiche, treu ergebene Beamtenschaft gestützt, besonders auf die Grafen. Diese aber hatten im neunten und zehnten Jahrhundert durch die Entfaltung des Lehnsrechtes viel Selbständigkeit erlangt, eine Entwicklung, die nicht mehr rückgängig zu machen war. Diese Säule des karolingischen Reiches war infolgedessen allein nicht mehr [65] tragfähig. Völlig unversehrt war hingegen die andere Stütze der karolingischen Verfassung, die Reichskirche. Der König erschien dem früheren Mittelalter als geheiligte Person, gleichsam als Stellvertreter Christi, und die Königsweihe galt als Sakrament. Und so wurde dem König eine beherrschende Stellung auch in der Kirche seines Landes zugebilligt. Man fand nichts dabei, daß er leitend an Synoden teilnahm, in die inneren Fragen der Kirche eingriff und vor allem die Bischöfe bestellte. Die Bischöfe und Reichsäbte, die über riesigen Grundbesitz und in ihren Vasallen über ansehnliche militärische Kräfte verfügten, dienten dem Reich schon längst durch Entsendung von Kontingenten zur Reichsheerfahrt, wirtschaftliche Leistungen für den Haushalt des Königs und Erfüllung politischer Missionen. Otto der Große überwies der Reichskirche weitere Besitzungen, machte sie unabhängig von Herzögen und Grafen und stattete sie mit staatlichen Rechten aus. Nicht nur die Gerichtsbarkeit und die öffentliche Zwangsgewalt über die Leute, die auf Kirchengut wohnten, billigte er ihr zu, er begann sogar Bischöfen und Äbten Grafschaften und Grafschaftsteile anzuvertrauen. Das waren alles keineswegs uneigennützige Gaben, vielmehr bereicherte er die geistlichen Fürsten, weil er sie kraft seines Ernennungsrechtes viel fester in der Hand hatte als die erblichen Inhaber von Grafschaften. Er hat die Kirche noch stärker zum Staatsdienst herangezogen, als es früher üblich gewesen war. Die Folge war die innige Verquickung von Staat und Kirche, die für beider Verfassung im hohen Mittelalter bezeichnend ist, und die zu den gewaltigen Kämpfen des elften und zwölften Jahrhunderts geführt hat. Die Kirche wurde seit Otto der tragende Pfeiler des deutschen Königtums und blieb es, wenn auch seit dem elften Jahrhundert stark brüchig, bis tief in die Stauferzeit hinein.

Neben den Kämpfen um die Einigung und innere Festigung des Reiches beschäftigte Otto von Beginn seiner Regierung an die Sorge um die Sicherung der Nord- und Ostgrenzen. Wohl hatte sein Vater erfolgreich gegen Ungarn, Slawen und Dänen gekämpft, aber immer noch waren die Grenzlande den Heimsuchungen durch die wilden Feinde preisgegeben. Die einzigen von ihnen, die eine feste und einigermaßen entwickelte staatliche Ordnung besaßen, waren die Dänen und Böhmen. Der Friede mit Dänemark, den Heinrich I. durch seinen Sieg über Gorm den Alten geschaffen hatte, erwies sich zunächst als haltbar. Böhmen hingegen konnte erst 951 die einstige Oberhoheit wieder aufgezwungen werden. Die übrigen Slawen im Osten und Südosten, erst recht aber die Ungarn, waren schwer zu treffen. Sie bewohnten unzugängliche, wald- und sumpfreiche Länder, sie waren zum Teil noch in Bewegung und zerfielen in viele größere und kleinere Stämme, die erst eine sehr primitive staatliche und wirtschaftliche Kultur besaßen. Leicht waren sie zu Raubzügen in die dünn besiedelten deutschen Grenzlandschaften bereit; drang eine deutsche Strafexpedition bei ihnen ein, so zogen sie sich gewöhnlich in ihre Schlupfwinkel zurück, und es blieb den Deutschen nur übrig, ihre kümmerlichen Wohnstätten zu zerstören, die bald wiederhergestellt waren. [66] Die Organisation des Grenzschutzes, die Karl der Große geschaffen hatte, war in den Stürmen des neunten Jahrhunderts zusammengebrochen. Bayern, Thüringer und Sachsen erwehrten sich mit Mühe und unter großen Verlusten der andrängenden Feinde. Otto der Große hat selbst in mehreren Feldzügen die Gegner zurückgedrängt, vor allem aber das

Markgraf Gero, Herzog der Ostmark.
[56b]  Markgraf Gero, Herzog der Ostmark.
Siegel im Staatsarchiv Zerbst.

[Bildquelle: Körner, Zerbst i. A.]
karolingische Grenzsystem reorganisiert. Er schuf mehrere Marken und hatte bei der Auswahl der Männer, denen er die Kriege im Osten anvertraute, eine überaus glückliche Hand. Hermann Billung, der später Herzog in Ostsachsen wurde, führte den Kampf gegen die Obotriten in Mecklenburg, der kriegsgewaltige Markgraf Gero, der Stifter von Gernrode, erhielt die Mark zwischen Saale und Elbe und dehnte von dort aus die deutsche Herrschaft über die meisten slawischen Völkerschaften zwischen Elbe und Oder aus. So riesig wurde sein Markengebiet, daß es Otto nach Geros Tod (968) unter sechs Markgrafen aufteilte.

Während Deutschland durch Otto den Großen geeint, befriedet und im Osten leidlich gesichert worden war, fand das übrige Europa noch nicht aus der Unordnung und Zersetztheit der späten Karolingerzeit heraus. In Frankreich erhob 936 eine der sich gegenseitig befehdenden Adelsparteien den Karolinger Ludwig IV., den Sohn Karls des Einfältigen, auf den Thron. Da Ludwig sich von den Königsmachern nicht leiten lassen, sondern selbst Herr des Landes sein wollte, einigte sich bald die bisher verfeindete Aristokratie zum Widerstand gegen ihn. Ihr Haupt, der mächtige Kapetinger Hugo von Franzien, nahm Fühlung mit König Otto, der sich durch Ludwigs Ansprüche auf Lothringen und sein Zusammenwirken mit den deutschen Rebellen bedroht fühlte. Zur Bestätigung dieses Bündnisses heiratete Hugo Ottos jüngste Schwester Hadewig. Nach wenigen Jahren änderte sich indessen die Parteiengruppierung. Ludwig, vermählt mit Ottos Schwester Gerberga, geriet in große Bedrängnis, verzichtete auf Lothringen und gewann die Hilfe seines Schwagers gegen die übermächtigen Vasallen. Otto gewährte ihm militärische und moralische Unterstützung. Auf einer Reichssynode zu Ingelheim (948) erschien der König und brachte seine Klagen gegen Hugo vor, dem bei Strafe der Exkommunikation Unterwerfung anbefohlen wurde. Später gelang es Otto, seine beiden Schwäger zu versöhnen. Der deutsche Einfluß in Frankreich war vielleicht nie so groß wie in den späteren Jahren Ottos. Ludwig IV. und Hugo starben früh (954 und 956), und da beherrschten Frankreich Gerberga und Hadewig, die Schwestern des deutschen Königs, und ihr vornehmster Berater war ihr jüngerer Bruder, Erzbischof Bruno von Köln, ein deutscher Prinz.

Von dauernderer Bedeutung war, was im Südwesten erreicht wurde. Dort hatten sich im späteren neunten Jahrhundert zwei Reiche gebildet: Hochburgund und das arelatische Reich von Niederburgund. Diese beiden Länder wurden immer wieder in die wüsten Wirren des benachbarten, unbeschreiblicher Anarchie verfallenen Italien hineingezogen. Schließlich war es dem Grafen Hugo von Vienne gelungen, wenn auch nicht die italienischen Dinge zu ordnen, so doch für sich selbst [67] eine dauernde Machtstellung zu erringen. Als 937 Rudolf von Hochburgund, der auch einmal König von Italien gewesen war, gestorben war, hoffte Hugo, er könne Hochburgund hinzugewinnen. Er eilte über die Alpen, heiratete Rudolfs Witwe und verlobte dessen sechsjährige Tochter Adelheid mit seinem jungen Sohn Lothar. Doch Otto griff ein; er übernahm die Vormundschaft über den kleinen Thronfolger Konrad und errichtete damit ein deutsches Protektorat über Burgund, das einst zur Angliederung an das Reich führen sollte. Da Niederburgund nach Hugos Tod (948) mit Hochburgund vereinigt wurde, war Frankreich der Weg nach Italien verlegt. Wichtiger war es, daß nun das Deutschtum in der Schweiz gegen den vordringenden romanischen Einfluß gesichert war. Burgund hatte damals in Europa geradezu eine Schlüsselstellung. Durch die Begründung des deutschen Einflusses in diesem Lande wurde das Vorwiegen des Germanentums in Europa für Jahrhunderte mitbegründet.

Otto brachte seine burgundische Politik das erstemal in nähere Berührung mit Italien. Seinem Gegner, Hugo von Italien, war es bald darauf gelungen, sich eines gefährlichen Nebenbuhlers zu erwehren, des mächtigen Markgrafen Berengar von Ivrea, der 941 als Vertriebener nach Deutschland kam. Nach einigen Jahren aber wandte sich das Blatt: Berengar kehrte nach Italien zurück, Hugos Macht stürzte zusammen, er selbst starb in seiner burgundischen Heimat, während sein Sohn Lothar, der unter Berengars Bevormundung noch König geblieben war, in Italien einen frühen Tod fand. Nun wurden Berengar und sein Sohn Adalbert Könige von Italien, Lothars Witwe Adelheid, als einzige Erbin der vorigen Herrscherfamilie, wurde des Königsschatzes und dann der Freiheit beraubt. Doch in abenteuerlicher Flucht gelang es der jungen Fürstin, nach dem festen Reggio zu entfliehen, sie vereinigte ihre Bitten mit denen vieler italienischer Grafen und Bischöfe, die stürmisch vom deutschen König ein Eingreifen in Italien verlangten. Otto willfahrte ihnen. Oberitalien war längst die auswärtige Interessensphäre der beiden süddeutschen Herzogtümer gewesen, wie die Slawenlande die der Sachsen und Thüringer. Schon mehrere Herzöge von Bayern und Schwaben hatten in Italien gefochten. Nun mochten Liudolf von Schwaben und Heinrich von Bayern einen Machtzuwachs für sich erhoffen und setzten sich deshalb wohl für das Unternehmen ein. Sogleich machte sich zwischen beiden eine Rivalität bemerkbar. Liudolf, in der Absicht, seinem Oheim zuvorzukommen, zog mit ungenügenden Kräften ohne Wissen des Vaters voraus, konnte aber keine Erfolge erreichen. Aber nicht allein das Drängen Adelheids, der italienischen Großen, der süddeutschen Herzöge bewogen Otto, nach Italien zu ziehen. Bereits Heinrich I. wird glaubwürdig die Absicht zugeschrieben, nach Rom zu gehen. Nur Krankheit und Tod sollen ihn daran gehindert haben. Er wie sein Sohn fühlten sich nachweislich als Nachfolger der karolingischen Könige und Kaiser. Das Bild des karolingischen Reiches lebte in ihnen als herrliches Ziel, wenn auch ihr realpolitischer Sinn sie davor schützte, Unmögliches zu erstreben. Aber schon in [68] Burgund hatte Otto als Erbe der Karolinger eingegriffen, in der gleichen Eigenschaft bemächtigte er sich der Herrschaft über Italien (952). Ohne gekrönt zu sein, nannte er sich gelegentlich "König der Franken und Langobarden", was er nur nach dem Vorbild Karls des Großen getan haben kann, weil der Titel "König der Langobarden" längst außer Übung gekommen war. Nur zur Festigung seiner Herrschaft reichte er Adelheid, der schönen und staatsklugen Witwe Lothars, die Hand zur Ehe. Wie sehr er sich in den Bahnen seines großen Vorgängers bewegte, erkennen wir daraus, daß er Erzbischof Friedrich von Mainz nach Rom sandte, um mit Papst Agapet II. wegen der Kaiserkrönung zu verhandeln. Aber Rom und die Kurie waren damals beherrscht von dem politisch klugen Senator Alberich, der seine Selbständigkeit kraftvoll verteidigte und die Einmischung eines Fremden nicht wünschte. So wurde Ottos Begehren abgeschlagen, und er kehrte nach etwa sechsmonatiger Abwesenheit nach Deutschland zurück.

Der siegreiche Feldzug nach Italien führte noch zu keinem dauernden Gewinn, sondern brachte über Deutschland gefährliche Wirrnisse. Die Rivalität zwischen Liudolf und Heinrich verursachte eine Entfremdung zwischen Vater und Sohn, da niemand damals so sehr des Königs Gunst genoß wie Heinrich von Bayern. Dem Sohne gesellte sich der Schwiegersohn zu. Konrad von Lothringen, mit der Aufgabe betraut, König Berengar völlig niederzuwerfen, schloß mit diesem statt dessen einen Vertrag, nachdem Berengar Italien von Otto zu Lehen nehmen sollte. Otto verwarf diese Abmachung und bewilligte Berengar die Königsherrschaft über Italien erst, nachdem er Friaul und die Mark Verona zugunsten Bayerns abgetrennt hatte. Verärgert näherte sich Konrad seinem Schwager, beide schmiedeten ein Komplott gegen Heinrich und preßten dem König, den sie vor Ostern 953 in Mainz mit überlegenem Gefolge überraschten, Zugeständnisse gegen seinen Bruder ab. Kaum freigekommen, widerrief sie der König. Es entbrannten wilde Kämpfe. Die Aufrührer gewannen zahlreiche Anhänger in Franken, Schwaben, Sachsen und besonders in Bayern, wo Heinrich sich durch seine hochfahrende Art verhaßt gemacht hatte. Die inneren Streitigkeiten der Jahre 953/954 gehen nicht wie die früheren um die Einigkeit des Reiches oder um die Entscheidung zwischen königlicher Macht und herzoglicher Autonomie, sondern um den Einfluß der höchststehenden Männer beim König. Aber Otto geriet durch die kriegerischen Erfolge der Rebellen wieder in so große Bedrängnis, daß es seiner ganzen Standhaftigkeit und seines festen Gottvertrauens bedurfte, um sich zu behaupten. Da kam ihm ein furchtbares Unglück zu Hilfe, das über Deutschland hereinbrach. Die Ungarn überfielen im Jahre 954 in riesigen Schwärmen grausam mordend, brennend und raubend die deutschen Lande. Die übergroße Not führte zu einem plötzlichen Stimmungsumschwung. Allenthalben begriff man die Notwendigkeit der Einigung zu gemeinsamem Widerstand. Viele der Aufständischen fanden zum König zurück, selbst Konrad von Lothringen unterwarf sich auf einer Tagung zu Langenzenn bei Nürnberg. Nur Liudolf verharrte noch in seinem Trotz und [69] demütigte sich erst, nachdem sein Versuch, Regensburg gegen die königlichen Truppen zu verteidigen, gescheitert war. Die beiden Herzöge verloren ihre Ämter. Die Verwaltung Lothringens wurde Ottos Bruder, Bruno von Köln, übertragen, Schwaben erhielt Burchard, ein Sproß des alten Herzogsgeschlechtes, der sich durch Heirat mit Hadwig, der Tochter Herzog Heinrichs, dem königlichen Hause verband.

Bitter nötig war die Wiederherstellung des inneren Friedens und die Zusammenraffung aller Kräfte zur Abwehr der fürchterlichen Ungarngefahr gewesen. Durch die leichte Beute des Vorjahres verlockt, kamen die Ungarn 955 in noch größeren Massen und überfluteten Süddeutschland bis zum Schwarzwald hin. Nur Augsburg gelang es dem ebenso kriegstüchtigen wie frommmen Bischof Ulrich gegen die Angriffe der wilden Reiterscharen zu halten. Ihm eilte der König mit allen Truppen, die er hatte zusammenziehen können, zur Hilfe heran. Die Deutschen waren an Zahl dem Feinde weit unterlegen. Ihre Stimmung war ernst. Am 10. August 955 kam es auf dem Lechfeld zur Schlacht. Konrad der Rote mit fränkischen Rittern entschied den deutschen Sieg, die Ungarn wurden in der Schlacht und auf der Flucht mit erbitterter Grausamkeit niedergeschlagen. Die Lechfeldschlacht ist eines der ganz wenigen kriegerischen Ereignisse im Mittelalter, denen weltgeschichtliche Bedeutung zukommt. Die Ungarn waren seit dem Ende des neunten Jahrhunderts die fürchterlichste Geißel Europas gewesen. Nach Ottos Sieg war ihre ungestüme Kraft gebrochen. Die Zeit ihrer großen Angriffe war vorbei. Sie wurden seßhaft, kamen zur Gründung eines bedeutenden Staatswesens und fanden den Anschluß an das Christentum und die westliche Kultur.

Während Otto die Ungarn niederwarf, erhoben sich die slawischen Stämme zwischen unterer Elbe und Ostsee und bedrohten das deutsche Land. Wenige Wochen nach dem Ungarnsieg stand Otto schon im Gebiet der Obotriten im heutigen Mecklenburg und strafte nach gefährlichen Kämpfen die Slawen mit blutiger Strenge. Diese Siege haben Ottos Ansehen in Deutschland und im ganzen Abendlande mächtig gesteigert. Hatte er doch nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze christlich-abendländische Kulturwelt Entscheidendes geleistet. Denn die Bekämpfung und Gewinnung der Heiden galt als gemeinsame Angelegenheit aller, die sich zum Reiche Christi und der Kirche rechneten. Es lebt in dieser Anschauung christlich umgebildet der römische Reichsgedanke fort. Hatte man es für die Mission des Römers gehalten, menschliche Gesittung und Kultur zu verteidigen und über den Erdkreis auszudehnen und die wilden Völker zurückzudämmen, so galt es als dringlichste Aufgabe des christlichen Imperiums, die Kirche zu verteidigen, den christlichen Glauben zu verbreiten und die unkultivierten Heidenvölker zu bezähmen. Allen christlichen Königen wurde dies zur Pflicht gemacht. Keiner hatte sie so herrlich erfüllt wie Otto der Große. War ja doch die Ostgrenze damals die Grenze der abendländischen Kulturwelt überhaupt, nicht bloß die des deutschen Reiches. Sie hatte Otto verteidigt, weit vorgeschoben und gesichert. [70] Außerdem war er eifrig darauf bedacht, in friedlicher Weise den östlichen Gebieten zu bringen: Christentum, Kultur, Deutschtum, was in jener Zeit ein und dasselbe bedeutete. Das Mittel dazu war neben der Errichtung von Marken hauptsächlich die Gründung von Bistümern. Drei hatte Otto bereits im Norden gestiftet: Ripen, Schleswig, Aarhus, zwei im Osten: Brandenburg und Havelberg; vor der Schlacht auf dem Lechfeld hatte er dem Tagesheiligen Laurentius ein Bistum in Merseburg gelobt, und längst plante er eine große Metropole für den slawischen Osten mit dem Sitz in Magdeburg. Doch bis in seine letzten Lebensjahre währte es, bis er diesen Wunsch erfüllt sah. Otto hatte durch seine Siege, seine Marken- und Bistumsgründungen alles für den deutschen Osten getan, was möglich war. Zu einer weiteren Durchdringung jener riesigen Gebiete fehlten damals völlig die deutschen Kolonisatoren, da Altdeutschland selbst ja noch recht dünn besiedelt war.

In der Mitte der fünfziger Jahre erlitt Otto durch mehrere Todesfälle in seinem Familienkreise herbe Verluste. Während der Gatte gegen den Vater in Waffen stand, starb die junge Herzogin Liutgard. Konrad der Rote selbst fand den Tod in der Lechfeldschlacht. Heinrich von Bayern starb an einer Wunde, die er einst in einem Gefecht gegen den Bruder empfangen haben soll. Die beiden ersten Söhne der Adelheid starben als ganz kleine Kinder, erst der dritte, Otto, blieb leben. Liudolf hatte der König 956 nach Italien gesandt, da Berengar sich als tyrannischer Herrscher und ungetreuer Lehnsmann erwies. Vielleicht sollte Liudolf Unterkönig in Italien werden. Allein diesem Plane machte Liudolfs Tod (957) ein Ende. Auch Berengar erhob sich bald wieder und trieb sein Unwesen weiter. Trotz des Drängens der italienische Emigranten, trotzdem in Deutschland tiefster Friede herrschte, hat sich Otto doch noch mehrere Jahre von Italien ferngehalten. Was ihn schließlich zum abermaligen Eingreifen veranlaßte, war ein Hilferuf des Papstes. In Rom hatten sich die Verhältnisse gewandelt. Der große Alberich hatte sterbend den Römern den Schwur abgenommen, nach dem Tode des Papstes seinen Sohn Oktavian auf den Heiligen Stuhl zu erheben. Es spricht für das Ansehen Alberichs, daß dieser Eid von den wankelmütigen Römern gehalten wurde. So wurde Oktavian 955 als Johann XII. Papst. Er war ein mutwilliger und sittenloser junger Mann, der das reiche Erbe seines Vaters an Macht und Autorität bald verwirtschaftet hatte. Er wurde von römischen Widersachern bedrängt, König Berengar bedrohte den Kirchenstaat, den zu Alberichs Zeiten niemand anzugreifen gewagt hatte. So suchte er Hilfe gegen die nahen Feinde bei dem mächtigen König des fernen deutschen Reiches. Otto leistete seiner Bitte Folge. Er überschritt mit einem großen Heer die Alpen, vertrieb Berengar, der sich mit den Seinen in einige feste Burgen warf, und stand Ende Januar 962 vor Rom. Am 2. Februar fand der feierliche Einzug statt, und Otto erhielt in der Peterskirche durch Johann XII. die Kaiserkrone, die er elf Jahre zuvor vergeblich erstrebt hatte.

Mit dem Kaisertum verband sich damals keineswegs ein universaler Herrschaftsanspruch. Der Kaiser war ein Erster unter Gleichen. Nur einen ideellen Vorrang verlieh die Kaiserkrone [71] ihrem Träger vor allen Königen der Christenheit. Otto war durch seine Macht und durch seine herrlichen Siege über die Heiden ihrer würdiger als irgendein anderer. Der reale Inhalt des Kaisertums war einmal die Schutzherrschaft über die römische Kirche, zum andern die Souveränität über den Kirchenstaat und gewisse mittel- und süditalienische Gebiete. Diese Rechtsstellung fand ihren Niederschlag in einem großen Privileg, das Otto nach Art der Karolinger und unter Zugrundelegung früherer Urkunden zugunsten den römischen Kirche ausstellen ließ. Er bestätigte dem Papst alle Güter und Hoheitsrechte des heiligen Petrus, wobei allerdings vieles aufgezählt wurde, was die römische Kirche nie besessen hatte. Im zweiten Teil der Urkunde wurden die Rechte des Kaisers bei der Verwaltung und Rechtsprechung im Kirchenstaate und vor allem bei der Erhebung der Päpste umrissen. Die Papstwahl sollte frei sein, vor der Weihe aber die Genehmigung des Kaisers eingeholt und vom Erwählten ein Treuversprechen abgelegt werden.

Zwischen Kaiser und Papst herrschte von vornherein Mißtrauen. Otto soll seinem Schwertträger befohlen haben, ihn sogar in der Peterskirche mit gezogener Waffe zu decken. Wie recht er hatte, zeigte sich, als er nach knapp zweiwöchigem Aufenthalt Rom verließ, um Berengars Burgen zu brechen. Sogleich begann Johann, der wegen des energischen Auftretens des Kaisers ängstlich und enttäuscht war, gegen Otto zu konspirieren. Mit Berengars Sohn Adalbert, mit den Griechen, ja mit den Ungarn knüpfte er Verbindungen an. Schließlich mußte Otto einschreiten. Er ließ Johann, der auch wegen seiner sittlichen Verworfenheit heftig angeklagt wurde, absetzen und einen würdigen Mann zum Papste wählen. Wie Otto schließlich die letzten Anhänger Berengars besiegte und Italien Ordnung und Recht zu bringen versuchte, braucht nicht im einzelnen geschildert zu werden. Das Land an eine ruhige, stetige und kraftvolle Herrschaft zu gewöhnen, war nicht leicht. In Oberitalien war sein Mühen von Erfolg gekrönt. Er hinterließ es beruhigt und befriedet seinen Nachfolgern zum Heil für die lange so schwer heimgesuchte Bevölkerung.

Aus dem Besitz des langobardischen Reiches und des Kirchenstaates ergab sich für Otto die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der anderen Großmacht, die an Italien beteiligt war: mit Byzanz. Durch diplomatische Schritte suchte er vom östlichen Kaiserhof die Anerkennung seines Kaisertums und seiner italienischen Herrschaft zu erlangen. Außerdem schlug er die Vermählung seines Sohnes mit einer purpurgeborenen byzantinischen Prinzessin vor. Er ließ Otto II., dessen Königswahl er schon früher von den Fürsten erlangt hatte, nach Italien kommen und Weihnachten 967 in Ravenna zum Kaiser krönen, um seine Ebenbürtigkeit darzutun und die Kaiserwürde seinem Hause zu sichern. Der griechische Kaiser aber, Nikephoros Phokas, machte seine Zustimmung zu Ottos Vorschlägen von unerfüllbaren Bedingungen abhängig. Nicht nur die Wiederherstellung der griechischen Herrschaft

Otto II. und Theophano.
[64b]      Otto II., Sohn Otto d. Gr.,
und seine Gemahlin Theophano.

Byzantinisches Elfenbeinrelief, 10. Jahrh.,
Paris, Museum Cluny.
über die zum Reich gehörigen langobardischen Fürstentümer Süditaliens, sondern auch über Rom und Ravenna [72] scheint er verlangt zu haben. Um einen Druck auszuüben, marschierte Otto in Apulien und Kalabrien ein. Aber er konnte die Griechen, die sich in die Städte und festen Plätze zurückgezogen, nicht vertreiben. Da kam Otto eine Revolte im Kaiserpalast in Konstantinopel zu Hilfe. Nikephoros wurde Ende 969 ermordet, und der neue Kaiser, Johannes Tzimiskes, zeigte sich zur Verständigung bereit. Es kam zum Frieden auf Grund der früheren Vorschläge Ottos. Des Kaisers Erfolg fand seinen äußeren Ausdruck in der Vermählung Otto II. mit der schönen, hochgebildeten, vielbewunderten Prinzessin Theophano, die zu Ostern 972 in der Peterskirche gefeiert wurde.

Vom Herbst 961 bis zum Sommer 972 hat sich Otto mit nur anderthalbjähriger Unterbrechung in Italien aufgehalten. In Deutschland herrschten unterdessen Frieden und Ordnung, obgleich der Tod den Kaiser in dieser Zeit der zuverlässigsten Stützen seiner Regierung beraubt hatte: 965 waren Erzbischof Bruno von Köln und Markgraf Gero, 968 die alte Königin Mathilde und Erzbischof Wilhelm von Mainz gestorben. Otto

Otto der Große mit dem Modell des Magdeburger Doms.
[56b]   Otto der Große mit dem Modell
des Magdeburger Doms.

Elfenbeinrelief, um 970.
Seitenstetten, Stiftssammlung.
hat auch von Italien aus die deutschen Angelegenheiten nicht vernachlässigt. Am meisten am Herzen lag ihm das Magdeburger Gründungswerk. Aber so sehr er sich um das Zustandekommen bemühte, immer wieder traf er auf Widerstand. Erst 968 konnte unter Mitwirkung Papst Johanns XIII. das neue Erzbistum ins Leben treten. Zum ersten Erzbischof wurde Abt Adalbert von Weißenburg ernannt, der durch eine Missionsreise nach Rußland ein guter Kenner der Ostfragen geworden war. Ganz das, was Otto ursprünglich geplant hatte, war Magdeburg nicht geworden, nämlich nicht die Missionszentrale für den grenzenlosen Osten. In die sechziger Jahre des zehnten Jahrhunderts fallen nämlich für die Geschichte des europäischen Ostens überaus wichtige Ereignisse. Herzog Mesco schuf damals das polnische Reich und gründete, vielleicht im Einverständnis mit Johann XIII., in Polen ein polnisches Bistum, das jedoch nicht Magdeburg unterstellt wurde. So waren die Deutschen nicht mehr konkurrenzlos in der Missionierung des Ostens, und man mußte sich mit der Neugründung bestimmter Bistümer, nämlich in Merseburg, Zeitz und Meißen, begnügen, die außer Havelberg und Brandenburg dem neuen Erzbischof unterstellt wurden. Noch eine weitere, für die Ausbreitung des Deutschtums hochwichtige Gründung gelang Otto nach seiner Rückkehr aus Italien. Zusammen mit Boleslav II. von Böhmen stiftete er 973 das Bistum Prag. Daß die Neugründung Mainz untergeben wurde, läßt den schon damals innigeren Zusammenhang Böhmens mit dem Reiche erkennen.

973 feierte Otto mit der Kaiserin Adelheid und seinen Kindern das Osterfest in Quedlinburg. Es war eine überaus glänzende Versammlung. Aus allen Weltsgegenden fanden sich Gesandtschaften ein, um der Macht des abendländischen Kaisers zu huldigen. Boleslav von Böhmen und wahrscheinlich auch Mesco von Polen erschienen selbst und brachten ihrem Oberherrn reiche Geschenke dar. Der König von Dänemark sandte einen Zins. Mehrere ungarische und bulgarische [73] Große trafen ein, wohl um wegen der Einführung des Christentums sich mit dem Kaiser zu beraten. Boten der Römer und Beneventaner waren da, und auch Gesandte aus Byzanz, Rußland und gar dem nordafrikanischen Fatimidenreich erschienen am Kaiserhof. Es war der letzte Höhepunkt in Ottos reichem Leben. Wenige Wochen später, am 7. Mai 973, verschied er plötzlich in Memleben. In dem von ihm mit so viel Liebe erbauten Dom zu Magdeburg fand er seine Grabstätte.

Kaiser Otto I., dem man seit der Lechfeldschlacht immer häufiger den Beinamen "der Große" beilegte, hat die deutschen Stämme endgültig geeint. Er begann ein Regierungssystem, das viele Generationen beibehielten, er errichtete das Protektorat des deutschen Königs über Burgund und seine Herrschaft über Nord- und Mittelitalien und erwarb die Kaiserkrone, er schuf die Grundlagen für die Ausdehnung des Deutschtums im Osten, und unter seiner Führung errang das deutsche Reich für Jahrhunderte die Hegemonie im christlichen Abendland. Diese Vormacht war nicht bloß auf militärische Überlegenheit, sondern auch auf sittliche und geistige Kraft gegründet. Unter dem Schutz der sächsischen Dynastie entfaltete sich in Deutschland ein geistiges und künstlerisches Leben von einer Lebendigkeit und Urwüchsigkeit, die man sonst in Europa im zehnten Jahrhundert nicht fand. Damals schrieb der sächsische Mönch Widukind von Corvei eine Geschichte seines Heimatstammes, die durch ihre

Stiftskirche in Gernrode.
[75]      Stiftskirche in Gernrode,
begonnen von Markgraf Gero 961,
vollendet unter Otto II.

[Bildquelle: Georg Fritz, Berlin.]
Frische und Kraft den Leser fesselt, und Roswita, die berühmte Dichterin von Gandersheim, beschrieb in Versen die Regierungstaten ihres Kaisers und bemühte sich gar, den von ihr bewunderten Dichtungen der heidnischen Römer christliche Dramen anzureihen. Und dann braucht man sich bloß daran zu erinnern, daß damals der monumentale, recht eigentlich deutsche Baustil entstand, den man den "romanischen" nennt. Wenn auch aus frühottonischer Zeit nur wenige große Bauwerke in der ursprünglichen Gestalt erhalten sind, wie die Klosterkirche von Gernrode, die uns eine unmittelbare Anschauung von jener Werdezeit des neuen Stils vermitteln können, so kennen wir doch von einzelnen Bauteilen her, durch die Erforschung der alten Grundmauern und durch Rückschlüsse, die mächtige Gestaltungskraft der Generation Ottos des Großen, die mit den ererbten technischen Mitteln und den überkommenen künstlerischen Formen die klaren, fest in sich ruhenden, noch etwas schweren, aber doch schon mit wachsendem Empfinden gegliederten und edel geschmückten Bauten schuf, aus denen uns die deutsche Art so sehr anzusprechen scheint.

Reiterstandbild Ottos des Großen.
[64a]      Reiterstandbild Ottos des Großen
in Magdeburg, 13. Jahrh.

[Bildquelle: Rudolf Hatzold, Magdeburg.]
Das Ergebnis von Ottos Regierung erscheint danach glänzend genug. Und doch haben wir Neueren schwer um ein Verständnis seiner Persönlichkeit und seiner Politik zu ringen, da er es doch war, der das deutsche Volk den Weg nach Rom führte, den viele für einen Weg in deutsche Not, Zersplitterung und Schwäche halten. Man hat dabei oft den Fehler gemacht, Ottos Italienpolitik herauszulösen und für sich allein zu beurteilen. Man kann aber nur dann zu einem zutreffenden und sinnvollen Urteil kommen, wenn man die geschichtlichen Schicksale [74] Deutschlands in jener Zeit zusammen sieht. Das zehnte Jahrhundert kannte noch kein nationales Bewußtsein. Noch nicht einmal irgendeine eigene Tradition gab es, in der das junge deutsche Reich ruhte. Es waren neue Wege zu finden. Und da hätte sich Otto nun gewiß auf Deutschland beschränken und Italien meiden können. Aber – das muß man sich vor Augen halten – ebenso nahe hätte es gelegen, sich im wesentlichen auf Sachsen zu beschränken, wie Heinrich I., der ja noch als König seinen berühmten Vertrag mit den Ungarn bloß für sein eigenes Stammesgebiet abschloß und die übrigen preisgab. Besaß nicht ein deutsches Stammesgebiet fast die Größe eines normalen Staates im zehnten Jahrhundert wie England, Dänemark, Frankreich oder Burgund? Daß Otto sich nicht dafür entschied, liegt an seinem königlichen Sinn für Größe und Macht, der ihn zu engerem Anschluß an die fränkisch-karolingische Tradition trieb. Sie führte ihn zur Beschränkung der herzoglichen und zur mächtigen Steigerung der königlichen Gewalt, aber sie führte ihn auch weiter nach Italien und Rom. Das einzige, was Otto von dieser Bahn hätte zurückhalten können, wäre wohl das Vorhandensein eines einigermaßen legitimen und starken Herrschers in Italien gewesen. Denn auch Frankreich und Burgund hatten ja zum Karolingerreich gehört, und trotzdem machte Otto nicht den Versuch, die dortigen Könige zu beseitigen. Er war überhaupt kein herrschsüchtiger Eroberer, der daran dachte, alle erreichbaren Länder zu bezwingen. Das Imperium, das er gründete, war nicht einmal echt universal, sondern eine Realunion von Deutschland und Italien, die sich später noch auf Burgund ausdehnte, und man darf die Italienpolitik nicht schlechthin universal nennen. Wirklich universal war das, was Otto mit seinen Sachsen im Osten ausrichtete. Denn der Kampf gegen die Heiden und die Ausbreitung des Christentums waren gemeinsame Ziele der gesamten Christenheit. Wirklich universalen Charakter hatte ferner das Kaisertum, insofern sein ideeller Kern der Schutz der universalen römischen Kirche war.

Man darf das Drängen der mittelalterlichen Deutschen nach Italien sich nicht durch einzelne Vorteile hervorgerufen denken, sondern kann es nur durch große historische Mächte erklären. Den König und besonders die Süddeutschen zog das schwache und zerklüftete Italien an, weil sie die Stärkeren waren und ihren Tatendrang auswirken mußten und wollten. Und alle Deutschen zusammen strebten nach Rom, weil sie ihr christliches Lebensgefühl zum Dienst am Gottesstaat auf Erden trieb, den sie wie nirgends am Grabe des Apostelfürsten zu Rom dargestellt fanden. Denn das dürfen wir nicht vergessen: während die Schwaben und Bayern schwerlich zu dauernden Kriegen in Mecklenburg und Pommern hätten bewogen werden können, sind die Sachsen und Lothringer und alle anderen Deutschen ganz selbstverständlich mit über die Alpen gezogen. Es gab kein Reichsunternehmen, das so sehr allen Deutschen gemeinsam war wie die Romfahrt. Und nichts hat die deutschen Stämme mehr geeinigt als diese gemeinsame Aufgabe, die sie über sich selbst hinausführte. Wenn man auch oft allzu einfach und oberflächlich die Kaiserpolitik für alles Unhold unserer [75] Geschichte verantwortlich macht, statt den tieferen Gründen dafür nachzuspüren, die im deutschen Volkscharakter und manchen anderen Schicksalsmächten liegen, so hat doch der Weg, den Otto der Große Deutschland führte, unstreitig bittere Verluste und schwere Opfer gekostet. Aber wo hat es Macht, Größe und Heldentum gegeben ohne Opfer? Und wer es wagt, von einem anderen Gang unserer Geschichte zu träumen, mag sich umsehen, ob er in der Weltgeschichte irgendwo eine ähnlich glänzende Reihe von hohen Herrschergestalten findet wie im deutschen Mittelalter. Wir dürfen uns in ruhigem Stolze Ottos des Großen und seiner Enkel als der Unsrigen freuen und wollen – handelnd und schaffend – das auf uns nehmen, was unsere Geschichte und schenkt und auferlegt.




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz