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[Bd. 1 S. 40]
Karl der Große, 742 - 814, von Martin Lintzel

Bronzestatuette von Karl dem Großen.
[48a]      Karl der Große,
Bronzestatuette des 9. Jahrh.

(das Pferd aus dem 16. Jahrh.),
Paris, Museum Carnavalet.

[Bildquelle: Giraudon, Paris.]
In Karl dem Großen hat die Geschichte des fränkischen Reiches und der karolingischen Dynastie ihren Gipfel erreicht, einen Gipfel, auf den in den nächsten Jahrhunderten die Völker und Könige des Abendlandes wie auf ein Ziel ihrer Sehnsucht zurückblickten. Nicht bloß, daß Karl als Feldherr und Staatsmann der hervorragendste Vertreter seines Hauses und seines Stammes war, durch ihn erhielten die Bestrebungen der vergangenen Jahrhunderte ihre höchste Vollendung, und durch ihn hat das Jahrtausend, das ihm folgte, die tiefsten Einflüsse empfangen.

Wenn man die geschichtliche Bedeutung von Karls Persönlichkeit ermessen will, so wird man zunächst einen Blick auf den Weg werfen müssen, den die Entwicklung seines Staates und seines Volkes bis zu seiner Zeit genommen hatte.

Das fränkische Reich war eine Gründung des fränkischen Stammes. Von den Ufern des Niederrheins aus hatte er in den Jahrhunderten, als das römische Imperium im Westen zusammenbrach, sich allmählich über die nördlichen und nordöstlichen Gebiete Galliens ausgebreitet und diese Gebiete germanisiert. Um die Wende des fünften und sechsten Jahrhunderts eroberte er dann in raschem Ansturm den übriggebliebenen Teil des Landes. Außerdem aber wurden um diese Zeit die meisten germanischen Stämme im Osten, im heutigen Deutschland, unterworfen, die Thüringer, die Schwaben, die Bayern. Das Reich, das auf diese Weise zustande kam, war ein germanisches-romanisches Reich. Germanische und romanische Elemente standen sich in seiner Bevölkerung, in seiner staatlichen Verfassung und in seiner Kultur gegenüber; die Herrschaft im Staate jedoch führten die germanischen Franken. Sie haben das Reich geschaffen und erhalten; mit ihrer Schöpfung konnte sich keine andere germanische Reichsgründung der Völkerwanderungszeit an Macht und Umfang messen. Es ist, wenn man von den angelsächsischen Staatengründungen absieht, das einzige der germanischen Reiche auf römischem Boden gewesen, das auf die Dauer Bestand gehabt hat.

Das Herrscherhaus, unter dem die Franken ihre Eroberungspolitik getrieben haben, das Haus der Merowinger, ist bekanntlich in der nächsten Zeit, etwa seit der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts, in Unfähigkeit und Schwäche versunken. Die Zügel des Staates schleiften am Boden, sein Untergang schien in den wilden Kämpfen einer zügellosen Aristokratie untereinander und gegen die Krone bevorzustehen. Die Randgebiete des Reiches im Osten und Westen gingen verloren. [41] Bayern, Schwaben und Thüringen, dazu Aquitanien machten sich wieder fast völlig selbständig. Außerdem aber zerfiel, von allen Absplitterungen im einzelnen und im kleinen abgesehen, das fränkische Reich damals mehr und mehr in zwei große Teile: Austrasien und Neustrien; Austrasien, die östliche Reichshälfte, die vor allem von Germanen besiedelt war, Neustrien, das westliche Gebiet, in dem vor allem Romanen saßen. Beide Teile des Reiches bekämpften sich und suchten über einander die Oberhand zu gewinnen. Schließlich siegte mit der Schlacht von Testry im Jahre 687 Austrasien, der germanische Osten. Die Führer der austrasischen Länder aber waren die Karolinger.

Die Karolinger haben von jetzt an das Reich regiert, zunächst als Hausmeier, d. h. als leitende Minister der merowingischen Schattenkönige. Sie begannen, den verfallenden Staat zu ordnen und ihm seine frühere Ausdehnung und Macht zurückzugeben.

Die Zerrüttung im Innern fand ein Ende; vor allem Karl Martell hat die Aristokratie gebändigt. Die Beamten des Königs, die Grafen, wurden aus Vertretern von Adelsinteressen wieder zu Organen der staatlichen Verwaltung. Mit Hilfe des Lehnswesens wurde der Adel zu Botmäßigkeit und Treue gegenüber der Spitze des Staates zurückgeführt. Außerdem aber haben die Karolinger, besonders Karl Martells Söhne, Karlmann und Pippin, wieder Ordnung in der Kirche geschaffen. Die Kirche war in dieser Zeit, da sie dem Staat sozusagen als Staatskirche noch völlig zur Verfügung stand, mit ihrer Organisation, ihrem Reichtum und ihrer Macht über die Seelen eine der wichtigsten Stützen der Regierung. Unter den Merowingern hatte sie sich in völliger Auflösung befunden. Jetzt wurde sie mit Hilfe der Angelsachsen reformiert und wieder zu einem schlagkräftigen Instrument der königlichen Politik ausgestaltet.

Die angelsächsische Reform hat bekanntlich das Antlitz der fränkischen Kirche nach Rom gewandt. Sie wurde der moralischen und dogmatischen Autorität der Kurie unterstellt. Zur selben Zeit aber hat die karolingische Dynastie die moralische Autorität des Papstes auch für eine rein staatliche Angelegenheit angerufen. Als Pippin im Winter 751/52 den letzten Merowinger stürzte und sich selbst zum König machte, hat er den Staatsstreich vom Papst sanktionieren lassen. Auf seine Zustimmung gestützt bestieg er den Thron; die Kurie gab die moralische Garantie und zugleich die religiöse Weihe für das neue Königtum.

Das Bündnis mit dem Papst hat die auswärtige Politik der Karolinger in wichtigen Punkten direkt oder indirekt beeinflußt. Als Bundesgenosse der Kurie ist Pippin in Italien erschienen und hat in zwei Feldzügen den werdenden Kirchenstaat gegen die Langobarden verteidigt und wenigstens vorläufig gesichert: der Papst legitimierte Pippins Königtum, Pippin deckte die päpstliche Herrschaft in Italien. Außerdem schützte er die von der Kurie gebilligten und geförderten Missionsversuche der Angelsachsen in Sachsen und kam im Zusammenhang damit dazu, in einigen Gauen das Christentum und fränkische Herrschaft einzuführen.

[42] Aber auch unabhängig von derartigen mehr oder weniger wirksamen kurialen Einflüssen hatte die Festigung des Frankenreichs unter den Karolingern zu einer neuen erfolgreichen Außenpolitik geführt. Unter Karl Martell hat sich das Reich als Vormacht des Abendlandes im Kampf gegen die Araber bewährt und die romanischen und germanischen Völker Europas in der Schlacht von Poitiers vor dem Islam gerettet. Unter Karl Martell und seinen Söhnen wurden außerdem die von den Merowingern verlorenen Randgebiete zum größten Teil zurückgewonnen. Karl Martell hat Thüringen wieder an das Reich gekettet und dazu das bis dain freie Friesland unterworfen; zu Pippins und Karlemanns Zeit wurde die Abhängigkeit Schwabens wiederhergestellt; Bayern wieder zu erobern gelang freilich noch nicht; unter Pippin machte es sich nach einer vorübergehenden Unterwerfung wieder selbständig; und auch die schweren Kämpfe Pippins um Aquitanien konnten wohl im wesentlichen das Land unterjochen, aber doch noch keinen endgültigen Abschluß herbeiführen.

Als Pippin im Jahre 768 starb, war der Umfang des Merowingerreiches beinahe wiedergewonnen, der Staat im Innern auf eine neue Grundlage gestellt, die neue Dynastie gefestigt und zugleich der fränkischen Politik die neue Richtung auf Italien gegeben. Auf allen Gebieten waren Erfolge errungen und neue Wege eingeschlagen. Aber es ist doch keine Frage, daß die meisten dieser Wege noch nicht gesichert und zu Ende gegangen waren. Aquitanien war noch nicht völlig unterworfen, Bayern war wieder frei, die Eroberung Sachsens war kaum begonnen, und auch die Lage in Italien war trotz der großen Erfolge Pippins noch unklar und in der Schwebe.

Pippin hinterließ zwei Söhne; den etwa sechsundzwanzigjährigen Karl und den ungefähr zwanzigjährigen Karlmann. Entsprechend den Gepflogenheiten, die bereits unter den Merowingern gegolten, und die auch Karl Martell befolgt hatte, wurde das Reich geteilt; Karl erhielt die nördlich, Karlmann die südliche Hälfte. Die Reichsteilungen hatten schon unter den Merowingern meist zu Kämpfen der Teile gegeneinander geführt. Dies Schauspiel wiederholte sich jetzt. Die beiden Brüder standen sich offenbar von Kindheit an schlecht, und als sie nun Herrscher geworden waren, drohte jeden Augenblick der Bruderkampf zwischen ihnen auszubrechen.

Die Zwistigkeiten im Innern mußten die Machtstellung des fränkischen Reiches nach außen lähmen. Aquitanien, das Pippin anscheinend unter seine beiden Söhne geteilt hatte, schüttelte die noch nicht ganz gesicherte fränkische Herrschaft wieder ab. Karl zog allein gegen den aquitanischen Herzog zu Felde und vollendete allein die Unterwerfung des Landes. Das unterworfene Aquitanien aber behielt er für sich. Seinen Bruder schloß er vom Besitz aus. Im übrigen verstand er es, die anderen europäischen Mächte, die dem Frankenreich feindlich gegenüberstanden, in seine Interessen zu ziehen und ihre Feindschaft gegen die Franken gegen Karlmann auszunutzen.

[43] Unter der Vermittlung seiner Mutter Bertha knüpfte Karl freundliche Beziehungen zum Bayernherzog Tassilo an und trat in Verbindung mit dem langobardischen Hof in Pavia; er heiratete sogar eine Tochter des Langobardenkönigs Desiderius. Das Ziel dieser Bündnisse war die Einkreisung Karlmanns. Nur die Kurie, die alte Gegnerin der Langobarden, hielt zunächst zu Karlmann. Aber bald wurde die ihm freundliche Partei in Rom von den Langobarden unterdrückt. Von allen Seiten war sein Reich umstellt; er war matt gesetzt, ehe es zum Schlagen kam. In diesem Augenblick, bevor der Kampf ausbrach, ist Karlmann im November 771 gestorben. Seine unmündigen Söhne wurden von Karl entthront. In wenigen Tagen hat er das Reich seines Bruders in Besitz genommen.

Mit Karlmanns Tod hatten die Bündnisse, die Karl zu seiner Bekämpfung geschlossen hatte, ihren Sinn verloren. Vom Standpunkt der gesamtfränkischen Politik waren sie sinnlos und unnatürlich. So hat sie Karl, als er König des ganzen Reiches geworden war, wieder gelöst. Die Tochter des Desiderius wurde verstoßen, die fränkische, langobardenfeindliche Partei an der Kurie bekam wieder die Oberhand. Karl schwenkte in die politische Bahnen seines Vaters ein.

Die Fronten wechselten mit einem Schlage; die bisherigen Freunde Karls wurden seine Feinde. Mit ihnen aber trat die Witwe Karlmanns in Beziehung. Sie floh mit ihren Kindern zum Langobardenkönig, und Desiderius forderte den Papst auf, die Söhne Karlmanns zu fränkischen Königen zu salben. Der Usurpation Karls sollte das Wort des Heiligen Vaters, dem das karolingische Königtum seine Weihe verdankte, entgegengestellt werden.

Aber Papst Hadrian I., der im Februar 772 als Freund der Franken den Stuhl Petri bestiegen hatte, lehnte ab; er rief Karl gegen die Langobarden zu Hilfe, und der König unternahm den Feldzug zur Unterstützung des Papstes und zur Sicherung seiner Alleinherrschaft im Frankenreich. Das langobardische Heer wurde durch eine geschickte Umgehung zum Rückzug gezwungen und mit seinem König in Pavia eingeschlossen. Als sich im Sommer 774 Desiderius ergab, schickte Karl ihn ebenso wie Karlmanns Witwe und ihre Söhne in fränkische Klöster. Was Pippin begonnen hatte, führte er zu Ende. Er hat zwar das Langobardenreich nicht eigentlich dem Frankenreich angegliedert, aber er hat es durch Personalunion mit ihm vereinigt, indem er den Titel eines Königs der Langobarden annahm.

Einen Aufstand, der zwei Jahre später gegen seine Herrschaft in Italien ausbrach, unterdrückte Karl ohne Mühe und benutzte die Gelegenheit, seine Stellung noch mehr zu festigen, indem er jetzt fränkische Grafen im Lande einsetzte. Im Jahre 781 hat er dann seinen Sohn Pippin als Unterkönig im langobardischen Reich bestellt, womit freilich nur ein sehr bescheidenes Maß von Selbständigkeit verbunden war.

Die karolingische Herrschaft in Italien umfaßte als ihren südlichen Bezirk das Herzogtum Spoleto. Das langobardische Herzogtum Benevent befreite sich [44] nach dem Sturze des Desiderius von jeder Oberherrschaft; eigentlich annektiert wurde es von Karl auch später nicht. Aber nach langwierigen Auseinandersetzungen wurde es schließlich doch auf die Stufe eines Klientelstaates herabgedrückt.

Die Eroberung Nord- und Mittelitaliens veränderte das Verhältnis des fränkischen Reiches zum Papsttum vollkommen. Die letzten Konsequenzen aus der neuen Lage im Süden der Alpen wurden aber erst nach mehr als einem Vierteljahrhundert gezogen, nachdem sich die Machtstellung Karls auch im Norden grundlegend gewandelt und vergrößert hatte.

Das bedeutendste Staatswesen, das im achten Jahrhundert im Raume des heutigen Norddeutschland bestand, war das der Sachsen. Der sächsische Stamm hatte noch bis zu dieser Zeit die alte Freiheit und den alten Götterglauben gegenüber dem Frankenreich und dem Christentum bewahrt. Aber bereits Pippin hatte einige sächsische Gaue zwischen Unstrut und Bode unterworfen. Und die seit dem Ende des siebenten Jahrhunderts wirkende angelsächsische Mission hatte trotz vieler Rückschläge und Mißerfolge wenigstens beim sächsischen Adel Sympathien gefunden. Karl hat die Unterwerfung und Christianisierung Sachsens vollendet.

Schon vor dem Ausbruch des Kampfes gegen die Langobarden hat Karl, im Jahre 772, seinen ersten Feldzug gegen die Sachsen unternommen. Von da an hat er mit kürzeren oder längeren Unterbrechungen bis zum Jahre 804 gegen sie gekämpft. Aber die Unterwerfung Sachsens, seine Eingliederung in das fränkische Reich, war doch tatsächlich schon früher erreicht, sie war bereits im Jahre 785, ja schon 782, vollzogen.

Im Jahre 772 leisteten die Sachsen Karl allgemein gehaltene Eide und stellten Geiseln. 775 verstanden sie sich zu einer Art vasallitischer Huldigung. 776 und 777 versprachen sie die Einführung des Christentums und Gehorsam gegen die Befehle des König; sie setzten dafür Vermögens- und Freiheitsrechte zum Pfande. 779 und 780 wurden die vorangegangenen Abmachungen bestätigt. 782 ward die fränkische Grafschaftsverfassung in Sachsen eingeführt und damit das Land zu einem Bestandteil des fränkischen Reiches gemacht.

Diese Zugeständnisse und Erfolge hat Karl offenbar ohne große Anstrengungen erreicht; er ist in seiner Auseinandersetzung mit den Sachsen bis zum Jahre 782 weniger mit militärischen als mit politischen und diplomatischen Mitteln vorgegangen. Gewiß, er hat auch von 772 bis 782 gegen sie zu kämpfen gehabt, aber die Kämpfe waren nicht schwer, und die Zahl der Verträge und Friedensschlüsse, die er mit ihnen schloß, hat die Zahl der Feldzüge und Gefechte bei weiten überwogen. Andererseits haben sich freilich die Sachsen auch gegen ihn erhoben und die eben geschlossenen Verträge wieder rückgängig zu machen versucht, um dann, sobald ein fränkisches Heer im Lande erschien, sich von neuem zur Unterwerfung zu verstehen.

Dies merkwürdige Hin und Her und die raschen Erfolge Karls hatten ihren Grund in den ständischen Gegensätzen und Kämpfen in Sachsen. Es bestand dort [45] eine Adelsherrschaft, die durch die drohende Revolution der beiden unteren Stände, der Frilinge und Liten, unter ihrem Führer Widukind erschüttert wurde. Um seine Machtstellung zu retten, suchte der Adel Anlehnung bei auswärtigen Mächten. Karl verständigte sich mit ihm. Er garantierte ihm seine Herrschaft über die unteren Stände und erhöhte sogar noch seine soziale Stellung und seine Rechte. Als er Grafen in Sachsen einsetzte, nahm er sie aus den Reihen des Adels. Seine Hilfe aber ließ er sich in immer schärferen Bedingungen mit dem Verzicht auf die Freiheit und Souveränität des sächsischen Staatswesens bezahlen.

Gegen das Bündnis des Adels mit Karl waren die unteren Stände in Sachsen trotz aller Abwehrversuche bis zum Jahr 782 im wesentlichen machtlos. Erst als in diesem Jahre die Politik des Adels ihre letzten Folgen gezeigt hatte und die sächsische Freiheit geopfert war, nahm die Aufstandsbewegung ein größeres Maß an. Im Herbst 782 wurde ein fränkisches Korps am Süntel vernichtet. Freilich wurde auch jetzt der sächsische Adel der Empörung rasch Herr. Als Karl im Lande erschien, war sie bereits niedergeschlagen und Widukind zu den Dänen entflohen. Karl ließ sich bei Verden an der Aller vom Adel die niedergeworfenen Gegner – angeblich 4500 – ausliefern und ließ sie als Hochverräter hinrichten.

Das Verdener Blutbad wirkte wie ein Fanal. Es gab der Partei Widukinds das entscheidende Übergewicht über den frankenfreundlichen Adel. Erst jetzt begann die schwerste Zeit des Krieges. Die Sachsen stellten sich 783 Karl in zwei großen Feldschlachten; die eine bei Detmold blieb unentschieden, in der andren, an der Hase, wurde das sächsische Heer vollständig geschlagen. Aber trotzdem ging der Kampf noch zwei Jahre weiter. Karl ließ Sachsen nach allen Seiten verwüsten und außerdem sein Heer – eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Maßregel – im Lande überwintern. Endlich im Jahre 785 wurde die Ruhe wiederhergestellt. Sachsen kehrte in die Botmäßigkeit des fränkischen Königs zurück; Widukind kam an den französischen Hof nach Attigny und ließ sich taufen. Sachsen war vollständig unterworfen.

Sieben Jahre später ist es freilich noch einmal zu Kämpfen gekommen. Die nördlichen Gaue Sachsens in Holstein und an der unteren Elbe empörten sich. Aber dieser Aufstand hatte nur lokale Bedeutung. Der weitaus größte Teil des Landes war nicht daran beteiligt, ja er hat schließlich sogar im Jahre 802 an einem Feldzug zur Unterdrückung der nordsächsischen Gebiete teilgenommen. Trotzdem waren die Kämpfe, die Karl hier zu bestehen hatte, außerordentlich schwer, und er hat, um den Widerstand der Nordsachsen zu brechen, zu den härtesten Mitteln gegriffen. Er ließ Tausende von Einwohnern aus der Heimat wegführen und auf fränkischem Boden ansiedeln; ihr Land gab er teils an treue Sachsen, teils an Franken, teils aber auch, im Osten Holsteins, an die slawischen Abodriten.

Sachsenherzog Widukind, Grabplatte.
[56a]      Sachsenherzog Widukind.
Grabplatte in der Kirche von Enger,
12. Jahrh.

[Bildquelle: Baumann, Bielefeld.]
Es ist immer tragisch und erschütternd, wenn der Widerstand eines freien Volkes von einem übermächtigen Eroberer niedergeworfen wird, und die vielen Tragödien der Art, die gerade zwischen den deutschen Stämmen und in der deutschen Geschichte [46] gespielt haben, sind besonders schmerzlich. Unsere Sympathien sind auf der Seite der unterjochten Sachsen und ihres Herzogs Widukind, der – so wenig die Geschichte von ihm weiß – fast zum mythischen Symbol germanischen Freiheitswillens geworden ist. Aber das ändert nichts daran, daß die Geschichte nicht Widukind, sondern seinem Gegner Karl recht gegeben hat: Karl, dem der Sachsenherzog selbst recht gab, indem er sich an seinem Hoflager taufen ließ. Ehe Karl die Sachsen bezwang, waren sie auf dem Wege, ihre eigene Entwicklung zu gehen, die sie vermutlich weit abgeführt hätte von den übrigen im heutigen Deutschland sitzenden Stämmen: sie standen Dänen und Angelsachsen näher als Franken und Bayern. Aber selbst wenn man von dieser Vermutung und dieser Wahrscheinlichkeit absieht, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß Karl sie durch ihre Eingliederung in das fränkische Reich mit den anderen deutschen Stämmen zusammenführte, und daß er damit die Grundlage geschaffen hat, auf der sich in den folgenden Jahrhunderten die Geschichte des deutschen Volkes entwickelte.

Eine ähnliche Bedeutung hatte die Unterwerfung Bayerns. Im Jahre 774 war das Langobardenreich, im Jahre 785 Sachsen unterworfen. Nur Bayern hatte als einziger germanischer Stamm auf dem Festland sich noch der Herrschaft des Frankenkönigs entzogen. Der bayrische Herzog Tassilo war ein Schwiegersohn des Langobardenkönigs Desiderius. Und von altersher stand Bayern in den engsten freundschaftlichen Beziehungen zum Hof von Pavia. Karl hatte sich mit Desiderius und Tassilo gegen Karlmann verbündet; als er mit Desiderius brach, zerrissen auch die Fäden nach Bayern. Aber Karls rascher Sieg in Italien verhinderte ein Eingreifen Tassilos. Auch während seines Vorgehens in Sachsen hat Karl es immer verstanden, den Bayernherzog aus dem Spiel zu halten. Aber als der König mit der Unterwerfung Sachsens freie Hand bekommen hatte, da ging er daran, die aus Pippins Tagen datierende Rechnung mit Bayern zu begleichen.

Als Karl gegen die Langobarden zog, erschien er als Bundesgenosse des Papstes in Italien; als er die heidnischen Sachsen besiegte und christianisierte, vertrat er neben dem fränkischen Imperialismus die Interessen der christlichen Kirche. Im Langobardenkrieg wie im Sachsenkrieg war in den Augen der Christenheit, d. h. der Welt, das Recht auf seiner Seite. Auch als er gegen den christlichen Tassilo zog, hat er es verstanden, sich ins Recht, den Gegner ins Unrecht zu setzen. Schon 781 mußte Tassilo unter dem Druck der Kurie und des Königs ihm in Worms huldigen. 787 wurde er dann als Empörer mit der Exkommunikation bedroht. Nach einem konzentrischen Angriff dreier fränkischer Heere unterwarf er sich auf dem Lechfelde. Im nächsten Jahre wurde er in Ingelheim unter der etwas fragwürdigen Anklage, er habe mit den Avaren konspiriert, und wegen seines Abfalls von Pippin zum Tode verurteilt. Karl begnadigte ihn zwar; aber der Herzog verschwand wie einst Desiderius mt seiner Familie im Kloster; sein Herzogtum wurde ein unmittelbarer Bestandteil des fränkischen Reiches, von fränkischen Grafen verwaltet.

[47] Mit der Unterwerfung Bayerns hatte Karls Reich überall die Grenze des Germanentums gegen das Slawentum im Osten erreicht; es wurde damit zum Grenzhüter der germanischen Länder gegen die Slawen. Die Sachsen hatten sich vorher nur mit geringem Erfolg mit den Slawen auseinandergesetzt. Die bayrischen Herzöge hatten zwar in den slawischen Alpenländern bereits mit größeren Ergebnissen kolonisiert und christianisiert. Überall wurde aber jetzt die Macht des fränkischen Reiches gegen die Slawen ins Feld geführt, und damit wurden Erfolge erzielt, die weit größer waren, als sie die einzelnen Stämme, auf sich gestellt, jemals erringen konnten. Von Bayern aus drangen Germanisierung und Christianisierung nach Kärnten, Krain und in die Ostmark, das heutige Österreich wurde damals dem Slawentum abgewonnen. Das Avarenreich, die Gründung eines ural-altaischen Volkes in den Ebenen an Donau und Theiß, wurde in schweren Kämpfen, die sich bis nach 800 hinzogen, vernichtet. Außerdem aber wurden in diesen Jahren und Jahrzehnten die Slawenstämme an der Ostgrenze des Reiches von der Ostsee bis zum Adriatischen Meer in ein Abhängigkeitsverhältnis zum fränkischen König gebracht. Sie wurden nicht eigentlich Reichsangehörige, sie wurden auch nicht Christen. Sie traten, ähnlich wie der Herzog von Benevent, in ein Klientelverhältnis zum Frankenkönig. Das fränkische Reich wurde gewissermaßen mit einem Vorgelände abhängiger Staaten versehen, deren Feindschaft gegen das Reich gebrochen war, und die seine Grenzen sichern halfen.

Ähnlich wie im Osten gegen die Slawen, wandte sich Karl im Südwesten gegen die Araber. Sein Großvater Karl Martell hatte sie bei Poitiers geschlagen. In langen Kämpfen, die noch die Zeit Pippins erfüllten, waren sie dann aus Südgallien herausgedrängt worden. Karl ging über die Pyrenäen zum Angriff gegen sie vor. Er versuchte in den Wirren, die das Kalifat von Cordova erschütterten, im nördlichen Spanien Fuß zu fassen. Zunächst schien es ihm nicht zu gelingen. Ein Feldzug im Jahre 778 scheiterte im wesentlichen; damals wurde die Nachhut des fränkischen Heeres unter dem sagenberühmten Markgrafen Roland von den Basken vernichtet. Aber in der folgenden Zeit hat es Karl in zähem Vordringen verstanden, die fränkische Macht über die Pyrenäen zu schieben. Von Aquitanien aus, das Karl 781 seinem jüngsten Sohn Ludwig als Unterkönigtum übertrug, wurde die spanische Mark gegründet, die sich schließlich teilweise bis zum Ebro erstreckte. Außerdem traten die christlichen Königreiche in Nordspanien, die Reste der alten Westgotenherrschaft, in ein Freundschaftsverhältnis zum Frankenkönig.

Als sich das achte Jahrhundert seinem Ende näherte, hatte Karl alle christlichen Völker des abendländischen Festlandes unter seiner Herrschaft vereinigt; d. h. die Christenheit, die im Papst ihr geistliches Oberhaupt verehrte, hatte im Frankenkönig ein politisches Oberhaupt erhalten. Karl war wie der Papst, wenn von Haus aus auch auf einem anderen Gebiete, der Herr der Christenheit.

Die Kurie hatte durch die angelsächsische Reform der fränkischen Kirche und [48] dadurch, daß Pippin sie als Schiedsrichter zwischen seinen Ansprüchen und denen der Merowinger anrief, eine gewaltige Autorität im Frankenreich gewonnen. Sie hatte versucht, das junge fränkische Königtum auch politisch für sich auszunutzen, indem sie es gegen die Langobarden gebrauchte und mit seinen Waffen die Gründung des Kirchenstaates vollzog. Wohin die letzten Ziele der Kurie zu Pippins Zeit gingen, zeigte die Fälschung der Konstantinischen Schenkung, in der sie sozusagen ihr Programm niederlegte. Danach hatte Konstantin der Große zugunsten des Papstes auf den Westen verzichtet; der Papst war gewissermaßen Kaiser des Abendlandes geworden. Wie wenig dieser Gedanke für die Kurie eine leere Phantasterei war, zeigt sich darin, daß die Päpste den Karolingern den Titel und die Stellung eines Patricius Romanorum verliehen – eine Verleihung, die dem Recht nach nur vom Kaiser erfolgen konnte.

Aber die päpstlichen Ansprüche wurden rasch zurückgedrängt. Schon daß die Kurie die Unterstützung Pippins gegen die Langobarden immer wieder brauchte, machte sie, die den fränkischen König zu lenken hoffte, auch von ihm abhängig. Als dann Karl König der Langobarden wurde, verschob sich die Situation weiter und gründlich zu ungunsten des Papstes. Der Frankenkönig rückte in die Stellung des Langobardenkönigs ein, er stand vor den Toren Roms; und die Franken waren als Nachbarn des Papstes nicht angenehmer und nicht ungefährlicher als die Langobarden; gegen sie aber gab es keine Bundesgenossen mehr im Abendlande aufzubieten. Der Papst hatte sich seinerzeit von Pippin seine territorialen Ansprüche in der sogenannten Pippinschen Schenkung garantieren lassen. Karl hat die Schenkung seines Vaters bestätigt. Aber das änderte nichts daran, daß er dem Papst nur gab, was ihm beliebte, und daß der junge Kirchenstaat völlig in Abhängigkeit von ihm geriet.

Schon ehe unter Pippin die fränkische Kirche die Autorität des Papstes anerkennen lernte, hatte in seinem Auftrage Bonifaz Bayern reformiert und das bayrische Herzogtum und die bayrische Kirche in das engste Verhältnis zu Rom gebracht. Im Auftrage der Kurie begannen die Angelsachsen auch die Missionierung Sachsens. In Bayern stand dem Papst somit ein selbständiger Bundesgenosse zur Verfügung, der sich in dem europäischen Kräftespiel (ähnlich wie die Angelsachsen) verwerten ließ; in Sachsen konnte man hoffen, ihn zu gewinnen. Welche Möglichkeiten hier drohten, zeigte sich schon zu Anfang der vierziger Jahre, als Pippin gegen Bayern einschritt. Der Papst protestierte; die Selbständigkeit Bayerns und seiner Landeskirche sollte erhalten bleiben; und so sehr der Kurie ursprünglich an einer Unterstützung der Angelsachsen in Sachsen lag – als Karl daran ging, die Sachsen seinem Reich und der fränkischen Kirche zu unterwerfen, hielt sich der Papst völlig zurück; ihm lag, wie meist, an der Existenz möglichst vieler selbständiger Landeskirchen, die sich gegeneinander ausspielen ließen. Seine Wünsche und Hoffnungen in dieser Richtung wurden durch Karl zerschlagen. Indem er Sachsen und Bayern an sich zog, schränkte er die päpstliche Politik in [49] ihrer Entfaltungs- und Manövrierfähigkeit auch im Norden der Alpen wesentlich ein.

Aber noch etwas anderes. Trotz der moralischen und dogmatischen Autorität, die das Papsttum seit der Mitte des achten Jahrhunderts in der fränkischen Kirche erlangt hatte, vermochte es dort eine eigentliche politische, vor allem eine staatsrechtliche Autorität nicht zu gewinnen. Der König setzte weiter wie früher die Bischöfe ein und ab, er berief und lenkte die Synoden, kurz, er verfügte völlig über die Kirche. So war es auch unter Karl. Aber er ging über diesen Zustand noch hinaus. Die moralische und dogmatische Autorität, die bisher der Papst besessen, beanspruchte er für sich selbst. In einem Brief Karls an die Kurie heißt es, seines Amtes sei es, die Kirche Christi vor den Heiden und Ungläubigen zu beschirmen und im Inneren durch die Erkenntnis des katholischen Glaubens zu festigen; das Amt des Papstes sei, mit zu Gott erhobenen Händen gleich Moses die Streitmacht des Königs zu unterstützen. Das bedeutet: der König regiert die Kirche, er wacht auch über ihren Glauben, dem Papst bleibt nichts weiter zu tun, als den Segen Gottes auf ihn herabzuflehen. Tatsächlich hat Karl nicht bloß die politische Haltung der Kurie bestimmt, er und seine Hoftheologen schrieben dem Papst, obgleich man mitunter auch von ihm Ratschläge erbat und annahm, seine Stellung in den Fragen des Kultus, ja geradezu des Dogmas vor.

Karl fand beim Papst trotz gelegentlicher Ausflüchte und Proteste weder auf staatlich-politischem noch auf kirchlich-dogmatischen Gebiet ernstlichen Widerstand; das Übergewicht der fränkischen Macht war zu groß und zu entschieden. Aber gegen das Vordringen der Franken in der Kirche erhob sich hinter dem Papst eine andere Macht: der Basileus, der römische Kaiser in Konstantinopel.

Das römische Reich wurde bekanntlich schon seit Jahrhunderten von Konstantinopel aus regiert. Aber es bestand nicht nur im Osten, sondern auch noch immer im Abendlande. Ihm gehörten große Teile Italiens an, die die Langobarden nicht zu erobern vermochten; vor allem unterstand ihm staatsrechtlich Rom mit dem Kirchenstaat: der Papst war Untertan des Kaisers in Konstantinopel.

Aber noch mehr: wenn auch die Beziehungen zwischen östlicher und westlicher Kirche längst fragwürdig geworden und das Schisma sozusagen ständig im Ausbrechen war, versuchte man doch auch immer wieder, die Kirchengemeinschaft zu erhalten und zu erneuern. In dieser Kirche aber, die Rom und Konstantinopel umfaßte, rivalisierte der Kaiser mit dem Papst um die Herrschaft. So unklar und umstritten hier die Dinge waren, der Kaiser fühlte sich als Herr der ganzen Kirche in fast demselben Maße, in dem es der Papst für sich beanspruchte und im Westen bisher auch war. Die kirchenherrschaftliche Stellung des Kaisers aber – etwa in der Berufung und Leitung ökumenischer Konzilien – war durch eine lange Tradition wenn nicht gesichert, so doch begründet, ähnlich der Stellung des Papstes. Papst und Kaiser waren trotz ihrer Rivalität untereinander bisher die Herren der [50] allgemeinen Kirche gewesen – der Frankenkönig mußte im Raum dieser Kirche ihnen gegenüber als Usurpator erscheinen.

Karl war in Italien auf die Macht- und Interessensphäre des römisch-griechischen Reiches gestoßen; er drang mit seinem Anspruch auf Herrschaft über den Papst auch in die kirchenpolitische Machtsphäre des Kaisers vor. Man intrigierte in Konstantinopel sowohl gegen das Vordringen der Franken in Italien wie gegen das Abgleiten der Kurie in den fränkischen Machtbezirk. Spannungen zwischen Karl und dem Kaiser wechselten ab mit Ausgleichsversuchen. Im Jahre 787 aber kam es zum Bruch.

In diesem Jahre berief der Kaiser ein ökumenisches Konzil nach Nicaea. Zur Verhandlung stand die Frage nach der Stellung der Bilder im kirchlichen Kultus. Sie hatte die Kirche, besonders des Ostens, seit vielen Jahrzehnten erschüttert. Das Konzil nun fällte im Beisein päpstlicher Legaten und unter nachträglicher Zustimmung des Papstes eine Entscheidung, die für die gesamte Kirche verbindlich sein sollte – ohne daß der fränkische König und sein Episkopat vertreten waren oder gefragt wurden. Darauf ließ Karl von seinen Theologen eine Streitschrift, die Libri Karolini, ausarbeiten, die sich in der schärfsten Form gegen Nicaea, gegen das römische Kaisertum und gegen seine Ansprüche und seine Stellung in der Kirche wandte. Er berief im Jahre 794 eine fränkische Synode nach Frankfurt, die im Sinne der Libri Karolini das Konzil von Nicaea und das Kaisertum verdammte. Vom Papst wurde verlangt, gleichfalls die Beschlüsse von Nicaea aufzuheben und den Basileus zu exkommunizieren: er sollte von der Seite Konstantinopels auf die fränkische Seite gezwungen werden.

Wie diese Auseinandersetzung endete, wissen wir nicht. Im Jahre 795 ist Papst Hadrian I. gestorben. Mit der Wahl, die nun erfolgte, schien das, was Hadrian der Kurie den Franken gegenüber an Selbständigkeit noch bewahrt hatte, völlig dahin zu sein. Gewählt wurde von der fränkischen Partei Leo III., der von Anfang an im Gegensatz zu den Römern und zu Byzanz stand, und der darum völlig auf das Wohlwollen des Frankenkönigs angewiesen war.

Im Jahre 799 wurde Leo von seinen römischen Gegnern überfallen und gefangengesetzt; er floh bald ins Frankenreich und rief Karls Hilfe an. Auch seine Gegner wandten sich mit schweren Anschuldigungen gegen ihn an den König. Karl setzte eine Untersuchungskommission ein und erschien dann im nächsten Jahre selbst in Rom. Die Untersuchung fand damit ein Ende, daß der Papst sich am 24. Dezember 800 durch einen Eid von den Anklagen, die gegen ihn erhoben waren, reinigte.

Am nächsten Tag, am 25. Dezember, hat Leo III. in der Peterskirche nach der Messe Karl eine Krone aufgesetzt, während die Anwesenden dem König als Kaiser akklamierten. Nach römischem Reichsrecht war damit eine Kaiserwahl vollzogen. Karl war zum Kaiser des römischen Reiches d. h. zum Gegenkaiser gegen den in Byzanz residierenden Basileus (damals die Kaiserin Irene) erhoben worden.

[51] Wir wissen, daß Karl von der Handlung des Papstes überrascht wurde. Er hat erklärt, wenn er von dem Vorhaben Leos gewußt hätte, so hätte er die Peterskirche trotz des Weihnachtstages nicht betreten. Er hat auch den Kaisertitel in den nächsten Monaten noch nicht geführt; und auf das Abenteuer, als Gegenkaiser gegen den Basileus aufzutreten, hat er sich nicht eingelassen. Aber er hat doch im Frühjahr 801 den Kaisertitel angenommen. Er gab indessen dem Titel einen anderen Inhalt, als er im ersten Augenblick hatte. Er teilte sich mit Konstantinopel in die Kaiserwürde; er beschränkte sein Kaisertum auf den Westen, und für dies westliche Kaisertum hat er dann nach langen Verhandlungen auch die Anerkennung des Ostens erlangt.

Kaiserpfalz zu Ingelheim.
[53]      Kaiserpfalz Karls des Großen zu Ingelheim am Rhein.
Rekonstruktion von Prof. Rauch, Gießen.

[Bildquelle: Georg Massias, Berlin.]

Das Gebiet von Karls Kaiserreich beschränkte sich zunächst auf Rom und die unmittelbar zu Rom gehörigen Gebiete; die Stadt des Papstes wurde aus dem Staat des Basileus gelöst und dem neuen Kaiser unterstellt. Karl hatte der Kurie gegenüber die Stellung gewonnen, die bisher der Kaiser in Konstantinopel besessen hatte. Es war die Konsequenz aus der Lage in Rom, die Leo gezogen hatte: er überlieferte sich und Rom völlig den Franken, um sich halten zu können. Die Tendenzen der Konstantinischen Schenkung waren längst erledigt. Jetzt war auch die Streitfrage, um die nach dem Konzil von Nicaea und auf dem Konzil von Frankfurt gekämpft war, zu Karls Gunsten entschieden. Das Regiment, das der Frankenkönig in der Kirche bisher tatsächlich geführt hatte, war durch den Namen des Kaisers bestätigt und legitimiert.

In dem Zeitpunkt, in dem Karl zum Kaiser erhoben wurde, war im wesentlichen die Ausdehnung und der Ausbau seines Reiches nach außen abgeschlossen; die Kaiserkrönung, oder vielmehr die Annahme des Kaisertitels, bildet gewissermaßen den Schlußstein in dem Gebäude der auswärtigen Politik des Frankenkönigs. Die vierzehn Jahre, die danach dem Kaiser noch blieben, hat er vor allem zum Ausbau seines Reiches nach innen verwandt. Selbstverständlich ist dieser Ausbau nach innen von Anfang an neben der siegreichen äußeren Entwicklung einhergegangen. Aber die letzten vierzehn Jahre Karls waren im ganzen von Ruhe und Frieden erfüllt, und in ihnen konnte sich seine Wirksamkeit nach innen besonders entfalten.

Das Reich Karls umfaßte germanische und romanische Völker, ein buntes Gemisch von Völkern und Stämmen mit eigener Sprache, eigenem Recht und eigenen Sitten. Karls innere Politik hat versucht und verstanden, die Klammern, die diese Völker in seinem Reich zusammengeführt hatten und zusammenhielten, zu verstärken.

Die Kirche wurde von ihm im Sinne der unter seinem Vater eingeleiteten Reformen weiter gefördert; kirchliches und christliches Leben sollte alle Glieder des Reiches erfassen und mit einem christlichen Gemeinschaftsbewußtsein, sozusagen Reichsbewußtsein, erfüllen. Dem dienten Karls Bestrebungen zur Hebung der Sittlichkeit und der Bildung im Klerus, seine Bemühungen, die Zucht und die [52] Lehren der Kirche dem Volke nahezubringen und verständlich zu machen. Die Diener der Kirche waren Diener des Königs. Indem ihre Fähigkeiten und ihre Zuverlässigkeit gehoben wurden, wurde mit der Verwaltung der Kirche zugleich die des Reiches gebessert. Indem Karl dafür sorgte, daß der Glaube an die Lehren der Kirche im Volk Eingang fand und gestärkt wurde, stärkte er die Machtstellung der Kirche im Volk und damit zugleich die Stellung des Königs, des Herrn der Kirche.

Den Möglichkeiten der eigentlich staatlichen, weltlichen Verwaltung waren in Karls Weltreich engere Schranken gesetzt als den Einwirkungen der Kirche. Es ist das Schicksal aller mittelalterlicher Staaten, die an Naturalwirtschaft und Lehnswesen gebunden sind, daß der Staat gewissermaßen an der Oberfläche bleibt, daß der Einfluß der staatlichen Spitze nicht in die Tiefe dringt und nur einen Teil des Untertanenverbandes erfaßt. Der Staat des Lehnswesens ist pyramidenförmig gestuft; die Untertanen sind in verschiedene voneinander abhängige Schichten gestaffelt, und unmittelbar steht der König nur mit der obersten dieser Schichten in Verbindung – die Befehle und Gesetze der Krone müssen vielfache Filterungen durchmachen, ehe sie den letzten der Untertanen erreichen. Die Aristokratie spielt infolgedessen in den Lehnsstaaten überall eine große, entscheidende Rolle, und je größer das Gebiet des Lehnsstaates ist, umso größer ist die Gefahr, daß er partikularen Sonderbildungen der Aristokratie zum Opfer fällt.

Im Rahmen dieser Situation hat Karl Erstaunliches geleistet. Eine ungewöhnlich umfassende Gesetzgebung beschäftigte sich mit allen Angelegenheiten der Untertanen und suchte so tief wie möglich zu dringen. Es gab kaum einen Zweig des Lebens, um den sich Karls Gesetzgebung nicht kümmerte: Heerwesen, Wirtschaft, Maß, Münze, alles wurde fast bürokratisch geregelt. Die Gewohnheitsrechte der einzelnen Stämme wurden aufgezeichnet. Die unteren Klassen wurden gegen die höheren geschützt, der freie Bauernstand, so gut es ging, gegen den Adel gesichert, auf Gerechtigkeit der Rechtsprechung und der Richter gedrungen. Das Funktionieren der staatlichen Verwaltung, die in erster Linie auf der Grafschaftsverfassung beruhte, wurde durch eine jährliche Kontrolle, durch die Königsboten überwacht. Und wenn die Klagen über die Mängel der Verwaltung und über die Übergriffe der Aristokratie auch unter Karl nicht verstummten, so ist es doch ein Zeichen für die Erfolge, die seine innere Politik hatte, daß die Ruhe des Reiches im Innern während seiner Regierung bis auf zwei Verschwörungsversuche gegen ihn nie gestört worden ist.

Die kirchliche und weltliche Verwaltung Karls bewegte sich im Grunde in den Bahnen, die von seinen Vorgängern gegangen und vorgezeichnet waren. Karls Maßnahmen unterschieden sich davon nur durch ihre größere Intensität und Energie und durch ihre größeren Erfolge. Neu an seinen Regierungsmaßnahmen dagegen waren seine eigentlich kulturellen Bestrebungen.

Es war vorhin schon die Rede davon, daß Karl die Bildung der Geistlichkeit [53] und damit ihre Brauchbarkeit zu heben versuchte. Aber auch davon abgesehen sorgte Karl für das Aufblühen der Kultur, für Kunst und Wissenschaft. Er rief, um seine Bestrebungen zu verwirklichen, Gelehrte und Künstler aus aller Welt ins Frankenreich. Seine Versuche und Erfolge sind unter dem wenig glücklichen Namen der karolingischen Renaissance bekannt. Es handelte sich dabei natürlich nicht um eine Erweckung des Altertums im Sinne der Renaissance. Aber es handelte sich darum, gewisse, besonders formale Kulturgüter des Altertums und der Spätantike den Menschen des achten Jahrhunderts wieder ins Bewußtsein zu rufen, wobei die Grundhaltung stets christlich war und blieb.

Die Kultur- und Staatssprache des fränkischen Reiches war seit alters das Lateinische. Karl ließ die gänzlich verwilderte lateinische Sprache und ebenso die Schrift säubern und glätten. Die Schriftsteller des Altertums und der Spätantike wurden jetzt überall abgeschrieben. Daneben aber erhob sich auch eine eigene lateinische Literatur und Poesie und Geschichtschreibung. Die Baukunst erfuhr nach spätantiken

Marmorner Kaiserstuhl.
[48b]    Marmorner Kaiserstuhl Karls d. Gr.
im Aachener Münster.

[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin.]
Mustern eine Belebung. Wenn dieser Kultur im ganzen auch ein gewisser Treibhauscharakter anhaftet, so ist sie doch in dem bedeutend, was sie vom Altertum gerettet und konserviert hat, und vor allem als Vorbereitung für die Zukunft. Die mittelalterliche Kultur ist ohne die karolingische kaum vorstellbar, und von dieser Kultur selbst wird man trotz all ihrer Mängel beim Anblick des Aachener Münsters etwa, das Karl bauen ließ, nicht klein denken.

Wichtiger vielleicht noch als die sogenannte karolingische Renaissance waren die kulturellen Bestrebungen Karls, die sich auf das Germanische bezogen. Karl [54] ist hier, vielleicht angeregt durch die Angelsachsen, Wege gegangen, an die auf dem germanischen Festland vor ihm noch niemand gedacht hatte. Er hat die germanischen Heldenlieder aufschreiben und sammeln lassen; eine fränkische Edda war im Entstehen. Er hat Winden und Monaten deutsche Namen gegeben und hat sogar die Abfassung einer deutschen Grammatik angeregt. Was Karl hier geschaffen und geplant hat, ist durch die Gleichgültigkeit und den Unverstand der folgenden Generationen wieder verlorengegangen; sein Verdienst wird dadurch nicht geschmälert; wenn das, was er erschuf, erhalten geblieben wäre, so würden wir ihm das meiste verdanken, was wir über das deutsche Altertum wissen.

Karl hat, wie er im Interesse der Kirche und der Reichsverwaltung auf die Reinigung der lateinischen Sprache drang, auch auf die Schaffung einer fränkischen Hochsprache hingewirkt, die neben und über allen deutschen Dialekten verstanden werden sollte. Seinen künstlerischen und wissenschaftlichen Bestrebungen lag sicher tiefes Verständnis und Interesse für diese Dinge zugrunde. Aber auch die Politik dürfte ein wesentliches Wort mitgesprochen haben. So gut wie kirchlicher Kultus und christliches Bewußtsein die verschiedenen Teile des Reiches zur Einheit zusammenführen sollte, so gut waren die kulturellen Bestrebungen der Krone ein Mittel, ihr Ansehen und ihren geistigen Einfluß und damit ihre Macht zu heben.

In Karls Staat und in seiner Regierung, in seinen politischen und in seinen kulturellen Bestrebungen treten antike, romanische, christliche und germanische Elemente nebeneinander hervor. Sie alle hat der Kaiser bei der Bildung und Ausgestaltung seines Reiches verwertet. Antike Staatsanschauung und Bildungselemente sind in reichem Maße wirksam gewesen. Sein offizielles Ethos, seine staatliche Ideologie aber erhielt Karls Reich aus dem Christentum, – aus einem Christentum selbstverständlich, wie es die Zeit verstand. Wir wissen durch Karls Biographen Einhard, daß der Kaiser sich gern aus Augustins Civitas Dei vorlesen ließ. Sein Staat sollte ein christlicher Staat sein; nach den Lehren des Christentums sollte er sich ausrichten. Der Gott der Christen war die letzte und höchste Autorität, der Karl sich für all sein persönliches und staatliches Handeln verantwortlich fühlte. Die Substanz jedoch, die seinen Staat schuf und beherrschte, war germanisch. Karl war Germane, und die herrschende Schicht in seinem Reich wurde von Germanen gebildet. Das Zentrum des Reiches war Austrasien, das alte Frankenland, die Gegend an Rhein, Maas und Mosel. Während unter den Merowingern und noch unter Pippin Paris mehr und mehr zur Residenz geworden war, verlegte sie Karl nach dem Osten, nach Aachen; dort lag der Mittelpunkt seines Königtums und seines Kaisertums. Germanisches Blut und germanischer Geist empfingen die Überlieferungen der Antike und des Christentums und bildeten sie in ihrer Art und Haltung gemäß weiter. Bezeichnend für diesen Prozeß ist die Entwicklung, die das Kaisertum unter Karl durchgemacht hat. Er hatte es in Rom empfangen. Aber als er seinen Sohn Ludwig – den einzigen, [55] der damals noch am Leben war – im Jahre 813 zum Kaiser machte, da hat er ohne Mitwirkung der Römer und des Papstes ihm selbst in Aachen unter der Zustimmung des fränkischen Volkes die Krone aufgesetzt.


Karl hatte, wie man nach Messungen an seinem Skelett festgestellt hat, eine Größe von 191 Zentimeter. Im übrigen hat uns Einhard sein Bild beschrieben. Sein Körper maß die siebenfache Länge seines Fußes; er erschien, obgleich sich im Alter eine gewisse Breite und Fülle einstellte, ebenmäßig gebaut. Sein Kopf war über der Stirn gerundet; er hatte große, lebhafte Augen, die Nase war etwas zu lang, der Nacken war ein wenig fleischig; seine Stimme war klar, aber verhältnismäßig hoch. Er erhielt sich seinen Körper trotz der ungeheuren Anstrengungen, die er ihm zumutete, bis ins Alter gesund; nur in seinen letzten Jahren hatte er öfters unter Fieber zu leiden und hinkte (anscheinend infolge eines Schlaganfalls) auf der linken Seite. Er war ein ausgezeichneter Reiter und Schwimmer. Während er im Trinken mäßig war, aß er gern und viel – besonders Braten – und liebte das Fasten wenig. Karl war viermal vermählt und hatte (womit er übrigens nicht sehr von der Sitte seiner Zeit und des germanischen Adels abwich) mehrere Konkubinen. Seine Kinder, sowohl die ehelichen wie die unehelichen, liebte er zärtlich; er hatte sie ständig um sich. Von seinen Töchtern wollte er sich nicht trennen und ließ nicht zu, daß sie sich verheirateten. Die Folge waren allerhand Liebschaften der kaiserlichen Prinzessinnen, ihr Ruf war nicht gerade gut. Karls Hofhaltung war einfach und patriarchalisch; die Töchter spannen und machten Wollarbeiten. Karl trug fränkische Kleidung; nur zweimal legte er auf Wunsch des Papstes in Rom römische Gewänder an. Er sprach fränkisch und lateinisch; er verstand auch griechisch. Noch im Alter versuchte er schreiben zu lernen; unter seinem Kopfkissen hatte er die Schreibtafel liegen, auf der er sich übte, wenn er nicht schlafen konnte.

Karl war im Grunde eine sinnliche und leidenschaftliche Natur. Die Sittenrichter der folgenden Zeit hatten viel an ihm auszusetzen. Im Zorn konnte er sich zu Härte und Grausamkeit hinreißen lassen, List und Verstellung spielten in seiner Politik zweifellos eine Rolle. Aber in seinem Charakter treten auch Güte und Wohlwollen hervor; seine Freigebigkeit war größer, als es seiner Umgebung manchmal nützlich schien. Entscheidend an seinem Bilde ist die trotz aller Leidenschaftlichkeit maßvolle, gebändigte Geschlossenheit seiner Persönlichkeit, die Magnanimitas, wie Einhard es ausgedrückt, die innere Größe. Jede Seite seines Wesens erscheint gleichmäßig ausgebildet. Er hat einen Blick für das Kleinste wie für das Größte. Auf jedem Gebiet versucht er Meister zu sein und die ganze Welt zu erfassen. Wie er in die Einzelheiten von Kunst und Wissenschaft mit unermüdlicher Wißbegierde einzudringen versuchte, so durchdrang sein Wille zur Macht ganz Europa. Aber auch dieser Wille zur Macht wirkte gleichmäßig und reifte allmählich. In Karls Politik wie in seiner Strategie war das bezeichnendste [56] Manöver die Umfassung; er umklammerte den Gegner und schloß ihn ein, ob er ihn nun auf dem Schlachtfeld umzingelte, oder ob er ihm in der Politik im Rücken oder im eigenen Lande Gegner erweckte, mit denen im Bunde er ihn dann erdrückte. Karl hat nicht eigentlich überraschende, in weite Ferne dringende Eroberungszüge unternommen; in allmählicher Entwicklung hat er sein Reich in den Bahnen erweitert und ausgestaltet, die seine Vorfahren gewiesen hatten. Er unterwarf sich die Welt, indem er ihr Gesetze und Ordnungen gab; man hat ihn den Lykurg der Germanen genannt. Dabei lag etwas Konservatives in seiner Politik. So sehr er das Abendland umgestaltet hat, ein eigentlicher Revolutionär ist er nicht gewesen. Wie er in seiner Kleidung und seiner Hofhaltung an der Sitte der Väter festhielt, so knüpfte er auch in der Politik an das Vorhandene und Überlieferte an; er brachte die Kräfte, die er vorfand, zum Wachsen und Reifen, er gestaltete ihre Ansätze aus; er war weniger ein großer Neuerer als ein großer Vollender und damit doch einer der schöpferischsten Geister der Weltgeschichte.

Karl lebte im Bewußtsein seiner Zeit als der Große, und so hat er auch in der Geschichte fortgelebt. Aber es ist eigentümlich: seine Gestalt hat wohl Anerkennung, ja Bewunderung, aber, wenigstens in der neueren Zeit, selten eigentlich Begeisterung und noch weniger Liebe geweckt und gefunden. Unter den Großen der Weltgeschichte gehört er zu denen, deren Größe wir zwar respektieren, ohne daß sie uns eigentlich ergreift und mitreißt. Worin hat das seinen Grund? Vielleicht liegt es daran, daß Karls Größe wohl einen Zug von Erhabenheit, zugleich aber auch von Unnahbarkeit trägt. Gerade das Gleichmäßige, Gebändigte in seiner Gestalt verscheucht die Liebe. Dieser Gestalt scheint die Romantik, und noch mehr, ihr scheint die Tragik zu fehlen; gleichmäßig nach allen Seiten ausgreifend, ist Karl ohne ernsthafte Krisen und Rückschläge von Erfolg zu Erfolg geschritten; die Leiden und Qualen, die sonst der Größe folgen, scheinen ihm erspart geblieben zu sein. Die Leiden und Qualen aber, die er selbst nicht erlitt, hat er anderen auferlegt: Karls Gestalt sehen wir auf dem düsteren Hintergrund der Tragödien des Desiderius und des Tassilo und vor allem Widukinds und der Sachsen. Aber auch Karls Werk war trotz aller Erfolge von Tragik überschattet. Noch bei seinen Lebzeiten starben seine beiden fähigsten ältesten Söhne, und er mußte seine Schöpfung in den Händen eines unfähigen Nachfolgers zurücklassen. Nach seinem Tode ist sie allmählich vergangen. Die Stellung, die er der Monarchie gewonnen hatte, verfiel; Kirche und Adel entwanden sich der Herrschaft der Krone. Das christlich-germanisch-romanische Weltreich Karls brach auseinander. Aus ihm entwickelten sich schließlich der deutsche und der französische Staat des Mittelalters. In beiden Staaten aber lebte das, was Karl geschaffen hatte, weiter – in dem einen mehr in einer germanischen, in dem anderen mehr in einer romanischen Entwicklung. Wie er durch die Zusammenfassung aller germanischen Stämme des Festlandes die Vorbedingung für die Entstehung des deutschen Reiches und der deutschen Nation gegeben hatte, so hat er der staatlichen und kulturellen Entwicklung des Mittel- [57] alters die entscheidende Richtung gewiesen. Sein Staat blieb das Ideal, nach dem sich die folgenden Jahrhunderte zu formen versuchten, und seine Gestalt blieb das Vorbild aller Herrscher des abendländischen Mittelalters. Die etwas kühle Reserve, mit der wir sie meist betrachten, fehlte damals: Karl erschien als der Typus des echten Herrschers schlechthin; noch Jahrhunderte hindurch war das höchste Lob, das man für einen König fand, ein Vergleich mit Karl dem Großen. Während er aber in Frankreich als das Vorbild des Ritters und Kreuzfahrers fortlebte, war er dem deutschen Mittelalter der große Gesetzgeber, auf den Maß und Recht zurückgehen; und es ist bezeichnend, daß gerade die deutsche Überlieferung damit sein Wesen besser getroffen hat als jede andere.

Am 28. Januar 814 ist Karl in Aachen gestorben; er wurde in dem von ihm erbauten Münster beigesetzt.




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz