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[Bd. 1 S. 76]
Kaiser Heinrich IV, 1050 - 1106, von Karl Hampe

Zeichnung aus der Weltchronik des Ekkehard von Aura.
Kaiser Heinrich IV.
Zeichnung aus der Weltchronik
des Ekkehard von Aura. 1113/14.
Cambridge, Corpus Christi College.
Heinrich IV. gehört zu den Schicksalsgestalten der deutschen Geschichte in zwiefacher Hinsicht: einmal, weil sich während seiner Regierung der verhängnisvolle Umschwung vollzog, der Deutschland der von Heinrich III. noch behaupteten weltlich-kirchlichen Führung des Abendlandes beraubte; sodann, weil die Zickzackkurve seines tragischen, aber auf ein hohes Ziel gerichteten Lebenskampfes als ein Sinnbild gelten darf für die jähen Wechselfälle im Schicksalsgang unseres in seiner europäischen Mittellage ebenso begünstigten wie bedrohten, um seine Einheit schwer ringenden Volkes. In einer knappen biographischen Skizze gilt es diese Wellenberge und ‑täler durch eindrucksvolle Bilder zu kennzeichnen und zugleich die durchgehende Richtung auf die Behauptung einer starken, sozial wirkenden Einheitsherrschaft zu betonen.

Noch nicht sechsjährig, stand Heinrich schon am Sterbebett seines ganz vorzeitig hinscheidenden Vaters und wurde nunmehr selbst regierender Beherrscher eines Riesenreiches, wenn auch zunächst unter der Regentschaft seiner Mutter, der Aquitanierin Agnes, der nur noch eine kurze Zeit der befreundete Papst Viktor II. ratend zur Seite trat. Das Wort des Kardinals Humbert: "Von diesem Knäblein als König können wir auf lange Zeiten hin gar keine Herrschaftsrückführung erwarten!" kennzeichnet die Stimmung, aus der man bald allenthalben rücksichtslos zur Selbsthilfe auf Kosten des Königtums griff. Vornehmlich die Papstkirche drängte stürmisch aus der Spannung heraus, in der man sich befunden hatte, solange die auf Loslösung aus weltlicher Abhängigkeit gerichtete Reformbewegung von einem priesterlich frommen Kaiser gelenkt wurde, der doch die Herrschaft über die Kirche nur um so straffer in der Hand behalten wollte. Der revolutionäre Umschwung, der sich unter Ausnützung der schwachen Reichsregentschaft damals vollzog, hat die Zukunft des jungen Königs zentnerschwer belastet. Auf Grund einer neuen Wahlordnung befreite sich das Papsttum trotz eines dem Sohne Heinrichs III. noch persönlich zugestandenen Einflußrechts tatsächlich aus der kaiserlichen Abhängigkeit und schuf sich in ganz Italien bundesgenössischen Rückhalt: im Süden durch die in Reichsrechte eingreifende Vasallenschaft des Normannenherzogs Robert Guiscard, in Mittelitalien durch Verbindung mit dem toskanisch-lothringischen Hause, dessen Hauptvertreterin bald die Großgräfin Mathilde mit ihrem weit in die Lombardei hineinreichenden Besitz werden sollte, im Norden durch die kirchlich-aufrührerische [77] Volksbewegung der Mailänder Pataria, die den reichstreuen lombardischen Episkopat in Schach hielt.

Die zwischen kirchlicher Ergebenheit und der Wahrung des Kaiserrechts schwankende Kaiserin ließ sich plötzlich und widerwillig im Schlepptau der italienischen Reformgegner zum offenen Kampf gegen die Kurie und zur Aufstellung eines Gegenpapstes fortreißen, ohne doch kraftvoll für diese Politik einzutreten. Diese widerspruchsvolle Schwäche führte zu einer Verschwörung geistlicher und weltlicher Fürsten gegen sie. Als sie um Ostern 1062 mit ihrem Sohne in der damals auf einer Rheininsel gelegenen Pfalz Kaiserswerth weilte, lockte Erzbischof Anno von Köln den elfjährigen König auf sein Schiff und fuhr eilends mit ihm davon. Schon damals zeigte Heinrich seinen selbstbewußten Stolz, indem er sich, um der Überrumpelung zu entgehen, in den Strom stürzte. Jedoch gerettet, blieb er in den Händen der fürstlichen Machthaber, die nun an Stelle der Kaiserin die Regierung bestimmten und mit neuer Schwenkung einen Ausgleich mit der Kurie erstrebten. Dieser mochte unter den obwaltenden Verhältnisse notwendig sein, war aber durch Preisgabe des Gegenpapstes und des Kaiserrechts bei sehr fadenscheiniger Wahrung des fürstliche Ansehens eine schwere Niederlage des Reiches.

Und sie führte nicht zu innerer Kräftesammlung. Die Zersplitterung wurde ärger als vorher. Mit der herrischen Asketennatur Annos rang sein großzügiger, ausgreifend ehrgeiziger Rivale Erzbischof Adalbert von Bremen um den maßgebenden Einfluß. Von uneigennütziger Hingabe an die Krone war weder hier noch dort die Rede. Grundeigentum und Hoheitsrechte des jungen Königs, der das widerwillig gutheißen mußte, sind damals von Bischöfen und weltlichen Großen förmlich ausgeplündert worden. Welchen Eindruck mußte dies alles auf den hochgemuten Knaben machen! Das Salierblut in seinen Adern trieb ihn, sich aus solcher Schmach emporzuarbeiten, sobald er die Hände frei bekam. Der Haß gegen die Gewalttäter von Kaiserswerth führte den mündig gewordenen Vierzehnjährigen an die Seite des freier gesinnten Erzbischofs Adalbert, der freilich in dieser Verbindung die bremischen Belange so rücksichtslos und hochfahrend wahrnahm, daß der übermächtige Druck seiner vereinigten Gegner auf dem Treburer Reichstag von 1066 den widerstrebenden König zur Preisgabe und Entfernung Adalberts zwang; später sollte er noch einmal kurz vor seinem Tode (1072) an Heinrichs Seite treten. Auch in anderer Hinsicht spürte dieser, daß seiner Handlungsfreiheit Schranken gesetzt waren. Die politische Vermählung mit der ihm schon vom Vater als Braut bestimmten Turiner Markgrafentochter Berta hätte er in seinem Drang nach Ungebundenheit bald gern rückgängig gemacht; doch vor dem fürstlichen und päpstlichen Widerspruch wich er zurück, um dann das Verhältnis zur Gattin später doch freundlicher zu gestalten. Je mehr er sich nun dem Mannesalter näherte, desto mehr machten die alten Ratgeber neuen Elementen Platz, die sich neben den Geistlichen der Kanzlei auch aus weltlichen Herren und Dienst- [78] mannen zusammensetzten. Diese Helfer haben wechselnd sicherlich starken Einfluß auf die Reichspolitik geübt, die aber jetzt doch ganz überwiegend das Gepräge der persönlichen Wesensart des Herrschers gewann. Nur ist es bei der keineswegs geradlinigen, sondern höchst verwickelten, von Leidenschaften hin und her geworfenen Natur Heinrichs und bei den Verzerrungen seines Bildes um erbitterten Parteikampf nicht eben leicht, seine Wesensart eindeutig zu erfassen.

Das Einnehmende seiner hohen Gestalt wurde durch Gaben, die auch die Gegner anerkannten, wie frühreifen Scharfsinn und wirksame Redegabe, unterstützt. Auch an sorgfältiger Vorbildung, Beherrschung des Lateinischen, Sinn für Musik und Baukunst fehlte es nicht. Mit der Vollendung und Ausstattung des Speyerer Doms wird sein Name stets ehrenvoll verbunden bleiben. Der kirchlich-ethischen Grundrichtung seines Vaters stand sein innerstes Wesen doch fern, und die bitteren Erfahrungen des Knaben im Kreise selbstsüchtiger Ausbeuter hatten wohl Königsstolz und Gefühl für die geschändete Würde des Reiches, aber auch Rachsucht, List und Verstellung emporgezüchtet, die ihn nach anfänglichen Übereilungen und Verkennungen bald zwar zum vielgewandten, durch Spaltung der Gegner oft glänzend erfolgreichen Diplomaten und Unterhändler machten, auf die Dauer jedoch nicht ohne Grund das Vertrauen zu seiner Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit erschütterten. Zu ruhiger Ausgeglichenheit hat ihn das von entsetzlichen Schicksalsschlägen durchzuckte Leben nie gelangen lassen. Überschwang und Verzweiflung wechselten jäh miteinander, aber stets folgte neues Emporraffen. Und da bleibt doch bewunderungswürdig, mit welch zäher Unermüdlichkeit Heinrich den von vornherein wenig aussichtsvollen Riesenkampf für die Gerechtsame des Königtums, für Ehre und Einheit des Reiches durchgekämpft hat: stets mit Einsatz seiner ganzen Person, in Dutzenden von Schlachten, für die ihn die Natur kaum bestimmt hatte, sich tummelnd, schwerste Demütigungen nicht scheuend, wenn sie der Sache dienten, gegenüber dem Eigennutz der Großen durch Friedensförderung und sozialen Ausgleich das Volk gewinnend. "Bei allen Mißgeschicken", muß selbst ein gehässiger Gegner zugestehen, "bewahrte er stets einen königlichen Sinn; er wollte lieber sterben als unterliegen."

Jede Wiederherstellung der Königsmacht mußte mit der Wiedereinbringung des verschleuderten Kronbesitzes beginnen. Da kamen vor allem die von den Ottonen übernommenen Lande um den Harz, um Heinrichs Geburtsort Goslar mit der neuen Kaiserpfalz in Betracht. Die dortigen Verluste waren natürlich nur im Widerstreit mit den Aneignern zurückzugewinnen. Der gefährlichste Gegner war der staatsmännisch und strategisch bedeutende Sachse Otto von Northeim, von der Kaiserin Agnes zum Herzog von Bayern erhoben, als Mittäter von Kaiserswerth dem König längst verhaßt. Es war wohl ein abgekartetes Spiel, daß ihn ein Ankläger eines Mordplanes gegen den König beschuldigte. Als er sich dem gerichtlichen Zweikampf entzog, wurde er durch Aberkennung seines Herzogtums mattgesetzt, der ihm verbündete Sohn des Sachsenherzogs in Haft gehalten. [79] Nachdem so die Hauptwidersacher beseitigt waren, machte sich Heinrich mit stürmischer Hast und Durchbrechung des den Sachsen verbrieften Sonderrechts an die Einziehung angemaßter Güter und ihre Sicherung durch Anlage von Burgen, als deren Besatzung er süddeutsche Ritter verwendete. So richtig das Ziel gewählt war, so verhängnisvoll wirkten Übereilung, Rechtsbruch und Unterschätzung des sächsischen Eigenwillens. Sie führten 1073 zur bewaffneten Erhebung des Stammes unter Führung Ottos von Northeim. Auf der Harzburg von den Aufständischen überrascht, konnte sich Heinrich ihren drohenden Forderungen nur durch nächtliche Flucht entziehen, sah sich aber gleichwohl inmitten des fast allgemeinen Widerstrebens und Mißtrauens der Fürsten in überaus mißliche Lage versetzt.

Und nun griff auch die Kurie mit verschärften Reformbestrebungen ein. Den Maßregelungen seiner Bischöfe hatte der König eine Weile untätig, vielleicht nicht ohne Schadenfreude zugesehen. Schon aber wagte man es, einige seiner Räte mit Bann zu bedrohen, weil am Hofe nicht auf die "Simonie", die Zahlung für Erteilung geistlicher Würden, Verzicht geleistet wurde. Bei einem Wechsel in dem wichtigen Mailänder Erzbistum wurde bereits offen das gewohnte Einsetzungsrecht des Königs bestritten. Solche Bestrebungen gewannen dann noch ganz andere Kraft, als am 22. April 1073 der Mann auf den Stuhl Petri gehoben wurde, der schon seit vielen Jahren als Kardinal Hildebrand die Fäden dieser Kirchenpolitik in seiner Hand gehabt hatte und nun als Papst Gregor VII. ungehemmt auf deren letzte Ziele zuschritt. Mit ihm trat dem jungen König eine Figur von weltgeschichtlicher Größe entgegen, ein Mann von streng geschlossener Weltanschauung, mystischen Antrieben, kühner Folgerichtigkeit und dämonisch-stürmischem Temperament, gewillt, das irdische Gottesreich unter päpstlicher Leitung rücksichtslos zur Wirklichkeit zu gestalten. Welche Gegensätze mußten da aufeinanderprallen! Der vielerfahrene Fünfziger und der noch ungereifte Jüngling; der das Bestehende umstürzende derbe Bauernsohn von urwüchsiger, ungebrochener Wucht und der [80] auf Vergangenes zurückgreifende Dynastensprößling von verwickelter, innerlich zerrissener Natur. Der eine von mächtiger Zeitwoge, die er lenkte, doch auch vorwärts getragen; der andere ihr mit Zähigkeit seine Brust bietend, oft überflutet, stets wieder auftauchend, schließlich wohl ein Stück zurückgetrieben, doch noch immer kämpfend. Über das Persönliche hinaus ein Zusammenstoß der römischrechtlich begründeten "Justitia" des heiligen Petrus mit dem aus germanischen Anschauungen erwachsenen Gewohnheitsrecht des deutschen Königtums!

Zunächst kannte weder Heinrich die ganze Durchbruchskraft des Papstes noch Gregor die letzten Ziele des Königs. Eine Verbindung der Kurie mit dessen Gegnern mochte doch den jungen Manne, auf den man auch durch seine Mutter wiederholt einen Druck im kirchlichen Sinne ausübte, zum Nachgeben bringen. In dieser mißlichen Lage hat Heinrich zum erstenmal durch persönliche Demütigung seine Gegner zu spalten gesucht, indem er durch ein Schreiben von schrankenloser Unterwürfigkeit dem Papste die Zuversicht stärkte, mit dem Salier zu friedlichem Ausgleich zu kommen, und ihn einstweilen von einer Einmischung in Deutschland fernhielt. Dort freilich schloß sich der Kreis der sächsischen und süddeutschen Gegner der königlichen Wiederherstellungspolitik immer beengender zusammen. Man suchte Heinrich sogar durch das von ihm gegen den Northeimer angewandte Mittel der Mordanklage nun selbst zu vernichten. Aus solcher Stickluft gewann er wieder freieren Atem, als er in den wirtschaftlich und kulturell fortgeschrittensten Gebieten des rheinischen Westens von den ersten Regungen des bürgerlichen Befreiungskampfes gegen die bischöflichen Stadtherren berührt und von den Wormsern jubelnd in ihre Mauern aufgenommen wurde. Waren es auch noch mehr Zukunftsmöglichkeiten als Gegenwartswerte, die sich da zeigten, so konnte solch Druckmittel immerhin die Bischöfe daran mahnen, daß sie in ihrer fürstlichen Stellung doch schließlich auf die Krone angewiesen waren. Eine Anzahl von ihnen unterstützte denn auch den König, als er Anfang 1074 trotz der Winterkälte einen Vorstoß ins sächsische Gebiet wagte. Da aber die Überraschung mißlang, mußte er mit den an Zahl überlegenen Aufständischen Verhandlungen beginnen und schloß mit ihnen zur Verstimmung der daran unbeteiligten süddeutschen Herzöge wirklich den Frieden von Gerstungen, der zwar der Krone ihren Besitz verbürgte, aber den Rebellen Straflosigkeit, Wahrung ihres Rechts und Schleifung der neuen Burgen zugestand, also immerhin kein geringer Preis, mit dem er die Trennung seiner deutschen Gegner erkaufte. Daher nahm er die von den sächsischen Bauern bei der Niederlegung der Harzburg begangenen grabschändenden Frevel zum Anlaß neuer Schwenkung und Stimmungsmache gegen die Sachsen, trat ihnen unter Teilnahme nun auch der süddeutschen Herzöge 1075 an der Spitze eines stattlichen Reichsheeres entgegen, schlug sie bei Homburg an der Unstrut entscheidend aufs Haupt und erzwang ihre Unterwerfung auf Gnade und Ungnade. Es war ein Augenblick des Triumphes, den Heinrich im Überschwang [81] jugendlichen Stolzes voll auszunutzen gewillt war. Die eingezogenen Güter der gefangenen sächsischen Großen mehrten noch den Kronbesitz, mit dem Wiederaufbau der Burgen schien dem Königtum der Machtkern im Herzen Deutschlands gesichert, man dachte an eine Romfahrt zur Kaiserkrönung.

Das war nicht die Stimmung, wie sie Gregor zur demütigen Unterwerfung des Saliers unter die immer stürmischer erhobenen kirchlichen Reformforderungen brauchte. Eben hatte diesen die römische Fastensynode die letzte Hülle abgestreift, indem sie ein verschärftes Verbot der Laieninvestitur erließ, das seiner Wirkung nach nicht viel weniger bedeutete, als die Reichsgewalt an ihrer Hauptwurzel abzusägen. Denn darauf beruhte ja seit den Tagen Ottos des Großen das deutsche Regierungssystem, daß man die in den herzoglichen Sondergewalten gipfelnden Stämme durch die festgeschlossene Bischofskirche als abhängiges Organ des Königtums zur Einheit zusammenzwang. Dem Könige die Besetzung der Bistümer und Reichsabteien aus der Hand nehmen – so begreiflich diese Forderung vom Standpunkt kirchlicher Befreiung aus der Weltlichkeit sein mochte – hieß ihm die Auswahl der wichtigsten Reichsbeamten entziehen. Eine Erschütterung seiner Ansprüche an das Reichskirchengut aber stellte geradezu die Unterhaltsmittel der Zentralgewalt in Frage. Kein deutscher Herrscher, der sich für die Zukunft des Reiches verantwortlich fühlte, konnte diesen Beschluß ruhig hinnehmen. So drängten die Dinge notwendig zum Bruch.

Seit dem Herbst 1075 bemühte sich Heinrich, wie der Papst bemerkte, nicht mehr, "seine Taten mit seinen Worten in Einklang zu bringen". Er griff in die italienischen Bistumsbesetzungen, selbst in dem vielumstrittenen Mailand, ein. Wenn er seinen Gegner Otto von Northeim nicht nur aus der Haft entließ, sondern in gewagter Wendung sogar zum Vertrauensmann gewann, so verrät das bereits ein Umschwenken der Front, die sichere Rückendeckung brauchte gegen Süden. Gregor wollte wissen, woran er sei. Um die Jahreswende machte er einen letzten Versuch, den König durch Drohung mit Bann und Absetzung einzuschüchtern oder ihn zum Angriff herauszufordern; mündlich ließ er diesem "Ultimatum" schneidende Worte über sittliche Verfehlungen Heinrichs hinzufügen. Dieser nahm den Fehdehandschuh auf. Noch im Januar 1076 versammelte er seine durch Gefährdung ihrer reichsfürstlichen Stellung und harte Zuchtmaßnahmen Gregors ganz überwiegend auf seine Seite gedrängten Bischöfe zum Nationalkonzil in Worms. Verleumderische Anklagen eines vom Papst abtrünnigen Kardinals, der Gergor der gesetzlosen Erhebung und gar geheimer Buhlschaft mit seiner Anhängerin Gräfin Mathilde von Tuszien bezichtigte, steigerten die Erregung. So ließ man sich gleich zum Äußersten fortreißen. Anstatt mit Festigkeit das königliche Gewohnheitsrecht der Investitur zu verteidigen und eine Herabminderung des kirchlichen Gebotes zu verlangen, was den Papst mindestens zum Angreifer gestempelt hätte, erklärte man, Gregor sei infolge der unregelmäßigen Wahl nie rechtmäßiger Papst gewesen, und schritt zur förmlichen Widersage, die jenen nach [82] dreijähriger Amtsführung schwerlich entrechten konnte und ihn in den Augen der Welt aus einem Angreifer zum unschuldige Überfallenen machte. Neben diesem Absagebrief der deutschen Bischöfe, denen sich bald auch die norditalienischen anschlossen, ging ein Schreiben Heinrichs nach Rom an "Hildebrand, nicht mehr den Papst, sondern den falschen Mönch", das nach Vorbringung der Beschuldigungen wirkungsvoll endet: "Du also, durch den Urteilsspruch aller unserer Bischöfe und der unsrigen verdammt, steige herab! Verlasse den angemaßten apostolischen Sitz! Ein anderer besteige den Thron des seligen Petrus, der nicht unter der Hülle heiliger Satzung Gewalttat verbergen, sondern die unverfälschte Lehre des seligen Petrus lehren möge. Wir, Heinrich, König von Gottes Gnaden, mit allen unsern Bischöfen sagen Dir: steige herab, steige herab, der du in Ewigkeit verdammt sein sollst."

[80c]
Absagebrief König Heinrichs IV. an Papst Gregor VII.
vom 24. Januar 1076.

  [Abschrift bzw. Übersetzung folgen dem Faksimile.]

Absagebrief König Heinrichs IV. an Papst Gregor VII.
[80c]      Absagebrief König Heinrichs IV. an Papst Gregor VII. vom 24. Januar 1076.
Das Faksimile gibt eine Seite des sog. "Codex Udalrici", einer Bamberger Briefsammlung, in einer dem 12. Jahrhundert angehörenden Handschrift der Wiener Nationalbibliothek wieder.      [Vergrößern]

[80a] Abschrift:
H[einricus] non usurpative, sed pia Dei ordinatione rex Hildebrando iam non apostolico, sed falso monacho.

Hanc talem pro confusione tua salutationem promeruisti, qui nullum in ecclesia ordinem preteristi quem confusionis non honoris, maledictionis non benedictionis participem non feceris. Ut enim de multis pauca et egregia loquamur, rectores sanctę ecclesie, videlicet archiepiscopos, episcopos, presbiteros, non modo non tangere, sicut christos Domini, timuisti, quin sicut servos, nescientes quid faciat dominus eorum, sub pedibus tuis calcasti. In quorum conculcatione tibi favorem ab ore vulgi comparasti. Quos omnes nihil scire, te autem solum omnia nosse iudicasti, qua utique scientia non ad ędificationem, sed ad destructionem uti studuisti; ut iure hoc beatum Gregorium, cuius nomen tibi usurpasti, de te prophetasse credamus sic dicentem: 'Ex affluentia subiectorum plerumque animus prelati extollitur et estimat se plus omnibus nosse, cum se videt plus omnibus posse.' Et nos quidem hec omnia sustinuimus, dum apostolicę sedis honorem servare studuimus. Sed tu humilitatem nostram timorem fore intellexisti ideoque et in ipsam regiam potestam nobis a Deo concessam exurgere non timuisti, quam te nobis auferre ausus es minari: quasi nos a te regnum susceperimus, quasi in tua et non in Dei manu sit vel regnum vel imperium. Qui dominus noster Iesus Christus nos ad regnum, te non vocavit ad sacerdotium. Tu enim [his] gradibus ascendisti: scilicet astutia, quod monachica abhominatur professio, [pecuniam], pecunia favorem, favore ferrum, ferro sedem pacis adisti, et de sede pacis pacem turbasti, dum subditos in prelatos armasti, dum episcopos nostros a Deo vocatos tu non vocatus spernendos docuisti, dum laicis ministerium eorum super sacerdotes usurpasti, ut ipsi deponant vel condempnant quos ipsi a manu Dei per impositionem manuum episcopalium docendi acceperant. Me quoque, qui licet indignus inter christos ad regnum sum unctus, tetigisti, quem sanctorum patrum traditio soli Deo iudicandum docuit nec pro aliquo crimine, nisi a fide quod absit exorbitaverim, deponendum asseruit; cum etiam Iulianum apostatam prudentia sanctorum patrum non sibi sed soli Deo iudicandum deponendumque commiderit. Ipse quoque verus papa beatus Petrus clamat: 'Deum timete, regem honorificate'. Tu autem, qui Deum non times, in me constitutum eius inhonoras. Unde beatus Paulus, ubi angelo de celo, alia si predicaverit, non pepercit, te quoque in terris alia predicantem [non] excepit. Ait enim: 'Si quis vel ego vel angelus et cęlo preter id quod euangelizatum est vobis euangelizaverit, anathema sit'. Tu ergo hoc anathemate et omnium episcoporum nostrorum iudicio et nostro dampnatus descende, vendicatam sedem apostolicam relinque; alius in solium beati Petri ascendat, qui nullam violentiam belli [religione palliet], sed beati Petri sana[m] doceat doctrinam. Ego H[einricus] Dei gratia rex cum omnibus episcopis nostris tibi dicimus: Descende, descende, per secula damnande!

[80b] Übersetzung:
"Heinrich, nicht durch Anmaßung, sondern durch Gottes heilige Einsetzung König, an Hildebrand, nicht mehr den Papst, sondern den falschen Mönch.

Solchen Gruß hast Du zu Deiner Schmach verdient, der Du keinen Stand in der Kirche verschont, sondern über jeden Beschimpfung statt Ehre, und Fluch statt Segen gebracht hast. Denn um von vielem nur weniges und das Bedeutendste anzuführen: die Vorsteher der heiligen Kirche, nämlich die Erzbischöfe, Bischöfe und Priester, die Gesalbten des Herrn, hast Du Dich nicht nur nicht gescheut anzutasten, sondern wie Knechte, die nicht wissen, was ihr Herr tut, hast Du sie mit Füßen getreten. Durch ihre Beschimpfung hast du Dir Beifall im Munde des Volkes verschafft. Sie alle, meintest Du, wüßten nichts, Du aber wüßtest alles. Diese Wissenschaft aber hast Du nicht zur Erbauung, sondern zur Zerstörung anzuwenden Dich bemüht, so daß wir mit Recht glauben, der heilige Gregor, dessen Namen Du Dir angemaßt hast, habe von Dir prophezeit, als er sagte: 'Durch Überfluß an Untergebenen wird meistenteils der Sinn des Vorgesetzten zum Hochmut verleitet, so daß er glaubt, mehr als alle zu wissen, wenn er sieht, daß er mehr als alle durchzusetzen vermag.' Und wir nun haben dies alles ertragen, indem wir die Ehre des apostolischen Stuhles zu wahren suchten. Aber Du hieltest unsere Demut für Furcht und hast Dich deshalb auch nicht gescheut, gegen die königliche Gewalt selber, die uns von Gott verliehen ist, Dich zu erheben, und Du hast die Drohung gewagt, daß Du sie uns nehmen würdest, als wenn wir von Dir das Reich empfangen hätten, als wenn in Deiner und nicht in Gottes Hand Königtum oder Kaisertum gelegen sei. Dieser unser Herr Jesus Christus hat uns zur Königsherrschaft, Dich aber nicht zum Priesteramt berufen. Denn auf folgende Stufen bist Du emporgestiegen: Durch List nämlich hast Du, obwohl dies dem Mönchsgelübde ganz zuwider ist, Geld, durch Geld Gunst, durch Gunst die Gewalt des Schwertes erlangt. Mit dem Schwert aber bist Du dann dem Sitze des Friedens genaht und hast von dem Sitze des Friedens den Frieden vertrieben, indem Du die Untergebenen gegen ihre Vorgesetzten bewaffnet hast, indem Du sie unsere von Gott berufenen Bischöfe – Du, der nicht Berufene – zu verachten gelehrt hast, indem Du den Priestern ihr Amt entrissen und es in die Hände der Laien gegeben hast, daß sie jene absetzen oder verdammen, die sie selber von der Hand Gottes durch die Weihe der Bischöfe zu ihrer Belehrung empfangen hatten. Mich auch, der ich, wenn auch unwürdig, unter den Gesalbten des Herrn zum Königtum gesalbt bin, hast Du angerührt, der doch, wie die Überlieferung der heiligen Väter lehrt, allein von Gott zu richten ist und, wie sie ausdrücklich erklärt, für kein Verbrechen, außer für Abirrung vom Glauben, was ferne von uns sei, abgesetzt werden darf. Denn selbst Julian den Abtrünnigen maßte die Klugheit der heiligen Väter sich nicht an zu richten und abzusetzen, sondern überließ ihn Gott allein. Ruft doch der wahre Papst selbst, der heilige Petrus, aus: 'Fürchtet Gott, ehret den König.' Du aber, der Du Gott nicht fürchtest, entehrst mich, den von ihm Eingesetzten. Darum hat auch der heilige Paulus da, wo er des Engels vom Himmel nicht schonte, wenn er anders predigte, auch Dich nicht ausgenommen, der Du auf Erden anderes lehrst. Denn er sagt: 'Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen, anders als wir euch gepredigt haben, der sei verflucht.' Du also, durch diesen Fluch und durch den Urteilsspruch aller unserer Bischöfe und den unsrigen Verdammter, steige herab, verlaß den angemaßten apostolischen Stuhl. Ein anderer besteige den Thron des heiligen Petrus, der nicht Gewalt hinter angeblicher Frömmigkeit verstecke, sondern die reine Lehre des heiligen Petrus verkünde. Ich Heinrich, von Gottes Gnaden König, mit allen meinen Bischöfen sage Dir: Steige herab, steige herab, Du durch Jahrhunderte zu Verdammender!"

 
Diesen Schlag beantwortete Gregor sofort mit dem stärksten Gegenschlage. In der Form eines Gebets an den Apostelfürsten Petrus verkündete er auf der römischen Fastensynode über Heinrich im Beisein von dessen Mutter den Bann, widersagte ihm die Leitung des Reiches und entband seine Untertanen vom Treueid – ein unerhörter, weltbewegender Akt, der das bisherige Verhältnis von Kaisertum und Papsttum völlig auf den Kopf stellte!

Vergleicht man das Kräftemaß der beiden Gegner, so fehlte es auf Gregors Seite gewiß nicht an Gefährdung, nicht nur durch die deutsche Kirche, in der auch die beweibten niederen Geistlichen infolge der starren kanonischen Zölibatsforderung in Aufruhr geraten waren, sondern fast noch mehr durch ungünstige Gestaltung der norditalienischen, römischen und südnormannischen Verhältnisse, sowie durch Spannungen mit den Königen Frankreichs und Englands. Indes die ganze Wucht der fortschreitenden Reformidee, die Heinrich nicht zu würdigen verstand, und die Mystik der gefestigten, seelenbeherrschenden Kirche wirkte dem durch den Bann plötzlich aus aller Gemeinschaft ausgeschlossenen Salier entgegen, dessen scheinbare Macht durch hundert heimliche, mühsam niedergehaltene Feindschaften unterhöhlt war. Die Widersage gegen den Papst blieb doch ein Fetzen Pergament, wenn nicht dessen Absetzung in Rom selbst mit Heeresgewalt erzwungen werden konnte. Das aber verboten die unsicheren Zustände Deutschlands, wo unter Berufung auf das nach germanischer Vorstellung gegen tyrannische Willkür erlaubte Widerstandsrecht alsbald der Abfall um sich griff. Die aus der Geiselhaft entkommenden sächsischen Großen riefen ihr Volk erneut zu den Waffen, der Northeimer, der Heinrichs Vertrauen mit Verrat vergalt, trat an ihre Spitze, die süddeutschen Herzöge schlossen sich mit ihnen zusammen. Im Oktober sollte in Trebur gemeinsam über die Sache des Reiches die Entscheidung getroffen, wohl gar zur Wahl eines neuen Königs geschritten werden. Inzwischen begannen Abkehr und Lauheit auch in den Reihen der Bischöfe, die Gregor durch ein geschickt abgestuftes System strenger und milder Zuchtmittel auf seine Seite zu ziehen wußte. Noch hatte er nicht alle Hoffnung auf Unterwerfung des Saliers aufgegeben, als er seine Legaten nach Trebur entsandte.

[83] Heinrich, der mit Truppenmacht am linken Rheinufer bei Oppenheim lagerte, dachte zwar noch nicht ernstlich an Nachgiebigkeit, versuchte aber noch einmal den Ring seiner Gegner zu sprengen, indem er den Legaten demütigende Zusicherungen, darunter Entlassung seiner gebannten Räte und vorläufige Enthaltung von den Regierungsgeschäften, machte, an den Papst aber ein Entschuldigungsschreiben richtete, das mit dem Eingeständnis seiner Verfehlungen das Versprechen von Genugtuung und Gehorsam verband. Wenn er freilich am Schluß auch Gregor eine Reinigung von den gegen ihn erhobenen Anklagen zumutete, so scheint er das in noch ungebrochenem Stolze wider das Abkommen hinzugefügt zu haben, machte es dadurch aber seinen fürstlichen Gegnern, die Heinrichs Absetzung nach einjähriger Bannung planten, um so leichter, seine Verständigung mit dem Papste zu durchkreuzen und bei diesem mit der Einladung zu einem Augsburger Reichstage Gehör zu finden, auf dem er in ihre Streitsache mit dem König das Urteil sprechen sollte. Damit würde die Vereinigung seiner kirchlichen und weltlichen Gegner, die er hatte vermeiden wollen, sich in bedrohlicher Form vollzogen haben. Diese Aussicht trieb Heinrich aus der lähmenden Isolierung in Speyer, in die ihn der pestartig wirkende Bann versetzt hatte, heraus zu dem schweren, aber rettenden Entschlusse, dem Papst nach Italien entgegenzueilen, um von ihm persönlich durch volle kirchliche Buße die befreiende Absolution zu ertrotzen.

Bei strenger Winterkälte zog er mit seiner Gemahlin, dem zweijährigen Söhnchen Konrad und geringer Begleitung über den Mont Cenis in die Lombardei. Dort enttäuschte er die kriegerischen Hoffnungen seiner Anhänger und erschien friedlich vor der im Besitz der Gräfin Mathilde befindlichen Apenninenburg Canossa, in die sich der bereits nordwärts reisende Papst erschreckt zurückgezogen hatte. Dort hat Heinrich nun nicht, wie man es sich früher wohl vorstellte, im Burghof drei Tage mit nackten Füßen auf Eis und Schnee gestanden, aber eine wirkliche Kirchenbuße mit Beten und Fasten hat er tatsächlich jene Zeit hindurch auf sich genommen und sich wohl auch in Büßertracht, Einlaß heischend, vor dem Burgtor gezeigt. Obwohl starke religiöse Erregungen bei dem Vorgang sicher nicht gefehlt haben, war es doch auch nicht so, daß bei Gregor schließlich priesterliche Pflicht über Kirchenpolitik den Sieg davongetragen hätte. Vielmehr: als die dem Salier verwandte Gräfin am 28. Januar 1077 dem schon Verzweifelnden die Zulassung erwirkte, glaubte sich der päpstliche Politiker in den vorausgegangenen Verhandlungen durchaus gesichert zu haben. Denn Heinrich verpflichtete sich durch Eid der anwesenden Reichsfürsten, in seinem Streit mit den deutschen Gegnern die Entscheidung Gregors anzuerkennen und dessen Reise nach Deutschland weder selbst noch durch seine Anhänger zu gefährden. Als ihn darauf der Papst vom Banne löste und ihm das Abendmahl erteilte, bedeutete das lediglich die Wiederaufnahme in den Schoß der Kirche, keineswegs die Wiederanerkennung als König. Darüber sollte erst das Augsburger Schiedsgericht entscheiden, das dem Papste den ungeheuren Vorteil bot, die Parteien gegeneinander auszuspielen [84] und durch die eine auf die andere zugunsten der kirchenpolitischen Zugeständnisse zu drücken. Eben deshalb wurde auch wohl über diese jetzt noch keine feste Abmachung getroffen. Ein Mantuaner Konzil, auf dem darüber weiter verhandelt werden sollte, kam nicht zustande, denn auf dem Weg dorthin sah sich Gregor durch Feindseligkeiten der lombardischen Bischöfe zur Umkehr und im Sommer durch Unruhen in Rom zur Heimreise bewogen. So war jenes Schiedsgericht hinausgeschoben, wurde aber als Wunschbild vom Papste auch fernerhin festgehalten.

Ob Heinrich an jenen Hemmnissen mittelbar beteiligt war, läßt sich natürlich nicht feststellen. Sein Bestreben in den nächsten Jahren, die Kurie immer wieder mit trügerischen Hoffnungen hinzuhalten, spricht entschieden dafür, daß es ihm mit der tief demütigenden Anerkennung eines päpstlichen Schiedsgerichts in innerpolitischen Reichsangelegenheiten von vornherein nicht voller Ernst war. Er mußte sich selbst um solchen Preis von der lähmenden Bannwirkung befreien. Durch eine augenfällige Demütigung vor dem Kirchenhaupte, die zwar nicht mit modernem Maßstab gemessen werden darf, aber auch damals als unerhört empfunden wurde und auf die seit Heinrichs III. Tod vollzogene Wandlung des Verhältnisses von Kaisertum und Papsttum das Siegel drückte, erreichte er einen unleugbaren taktischen Vorteil, der ihm die Möglichkeit zu neuem Aufstieg bot. Zugleich war er durch bittere Erfahrungen gereift; mit Canossa schloß die Kette schwerer Mißgriffe ab, an die er noch selbst durch Hast und Überschwang die letzten Glieder gefügt hatte. Als er schon um Ostern nach Deutschland zurückkehrte, mochten sich seine Gegner vor ihm in acht nehmen.

Rudolf von Rheinfelden.
[88d]      Rudolf von Rheinfelden,
Herzog von Schwaben.

Gegenkönig Heinrichs IV.
Bronzene Grabplatte im Dom zu Merseburg,
Ende 11. Jahrh.

[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin.]
Diese hatten sich, verstimmt über die Bannlösung, die ihnen Rechtsboden und Agitationsmittel entzog, zu selbständigem Vorgehen entschlossen und den ehrgeizigen Schwabenherzog Rudolf von Rheinfelden zum Gegenkönig erhoben. Als Preis dafür zahlte dieser den Fürsten den Verzicht auf die Erblichkeit der Krone; vom Zugeständnis der freien Bischofswahl mit der nur noch formellen königlichen Investitur nach der Weihe erhoffte er die Gunst der Kurie, die indes dem so entfachten Bürgerkriege zunächst abwartend zusah, da sie den deutschen Zwiespalt für das erhoffte Schiedsgericht brauchte.

Im Felde war der Salier, der den Kampf sofort durch Absetzung der drei süddeutschen Herzöge eröffnete, den überlegenen Feindesheeren zwar nicht ganz gewachsen. Aber die damalige Art des Kriegswesens ließ es da überhaupt zu keiner endgültigen Entscheidung kommen, und trotz mancher Schlappe gelang es Heinrich immerhin, die beiden Hauptherde des Aufstands, Sachsen und Schwaben, getrennt zu halten und sich durch die Verbindung zwischen den Rheinlanden und dem deutschen Südosten die innere Front zu wahren. Seine Erfolge lagen auf diplomatischem Gebiet. Seiner Kunst des Hinhaltens, der Verstellung und Bestechung, durch die er sogar einen päpstlichen Legaten in seinen heimlichen Dienst zu ziehen wußte, ist es gelungen, einen Gegner wie Gregor drei Jahre hindurch [85] regelrecht an der Nase herumzuführen und durch das Trugbild des immer wieder hinausgeschobenen Schiedsgerichts von der offenen Unterstützung seiner Feinde so lange abzuhalten, bis durch Zerwürfnisse der Gegner die königliche Sache wieder in sichtbarem Aufstieg war.

Erst auf der Fastensynode von 1080 hatte sich der Papst von Heinrichs Falschheit und Ungehorsam so weit überzeugt, daß er in leidenschaftlicher Erregung über ihn zum zweitenmal Bann und Absetzung verhängte, während Rudolf als rechtmäßiger König anerkannt wurde. Nun, wo ihm die Fata Morgana des Schiedsgerichts entschwand, kannte er nur noch das Ziel der Vernichtung des Saliers und rechnete mit solcher Gewißheit auf ein rasches Einschreiten des Apostelfürsten selbst, daß er am Ostermontag von der Kanzel der Peterskirche in prophetischem Tone Heinrichs Untergang bis zum ersten August des Jahres voraussagte, widrigenfalls man ihm, dem Papst, künftighin nichts mehr zu glauben brauche! Eigenartig genug sollte das Schicksal bald über diese Prophetie verfügen.

Durch die abstumpfende Wirkung jeder Wiederholung hatte der zweite Bann nicht mehr die Wirkung des ersten. Die Frieden begehrenden Massen waren enttäuscht über diese neue Kriegserklärung. Durch weitere Beschlüsse der Fastensynode sahen sich die weltlichen Großen in ihrer Verfügung über ihre Eigenkirchen, die Bischöfe in dem Reste ihrer Selbständigkeit der Kurie gegenüber bedroht. So fühlte sich Heinrich stark genug, um auf einer von deutschen und italienischen Bischöfen reich besuchten Synode zu Brixen nicht nur erneut die Absetzung Gregors zu verkünden, sondern über die früheren Wormser Beschlüsse hinaus in dem bedeutenden Erzbischof Wibert von Ravenna einen Gegenpapst aufzustellen. So spaltete sich im Reiche nun auch die kirchliche Welt in zwei Lager, und allenthalben begannen wibertistische Prälaten mit gregorianischen zu streiten. Und in Deutschland besserte sich Heinrichs Lage durch einen unverhofften Glücksfall. Nicht er war es, der nach Gregors Voraussage den Untergang fand, sondern der ihm als Feldherr überlegene Gegenkönig Rudolf erlag nach einem neuen Siege noch im Herbst seinen Kampfeswunden. Daß dem Rebellen gerade die rechte Schwurhand abgehauen war, verstärkte noch den Eindruck des Gottesgerichts. Das prächtige Grabmal im Merseburger Dom mochte ihm der Salier immerhin gönnen, soll es ihm doch den witzigen Stoßseufzer entlockt haben: "Ach, wenn doch alle meine Feinde so ehrenvoll bestattet lägen!" Da ein neues Gegenkönigtum erst nach langen Bemühungen und in der Person nicht etwa des fähigen Northeimers, sondern in der des unbedeutenden Grafen Hermann von Salm zustande kam, so gewann Heinrich freie Bahn, um endlich über die Alpen zum Angriff gegen seinen päpstlichen Hauptgegner vorzugehen.

Gregors Lage war äußerst mißlich. Wohl hatte er im Süden die Irrungen mit dem Normannenherzog Robert Guiscard beigelegt. Dieser ungefüge Vasall bewirkte jedoch durch seine eigenen Eroberungspläne gegen Byzanz nur, daß der griechische Kaiser sich mit König Heinrich zusammenschloß und ihn mit Hilfs- [86] geldern unterstützte. Sicherer Verlaß war für den Papst nur auf seine stets opferbereite Helferin Gräfin Mathilde; den deutschen Vormarsch gegen Rom konnte auch sie nicht hemmen. Viermal hat Heinrich in den folgenden Jahren die Mauern der Ewigen Stadt berannt, indem er bei Beginn der Sommerhitze die weitere Einschließung stets dem Gegenpapst mit seinen italienischen Truppen überließ. Auf dem rechten Tiberufer behauptete sich Gregor seit 1083 nur in der Engelsburg, wollte aber, nachdem der Plan, durch eine aus beiden Lagern zu beschickende römische Synode eine Entscheidung des langen Streites herbeizuführen, an Heinrichs Mißtrauen gescheitert war, von keiner Versöhnung mit dem Salier ohne dessen vorherige öffentlichen Bußleistung wissen. Dazu verstand sich der in siegreichem Fortschreiten begriffene Herrscher nicht noch einmal.

Nun aber wuchs der Abfall von dem als Störer des ersehnten Friedens betrachteten Papst. Nicht weniger als dreizehn Kardinäle sagte sich von ihm los. Die Römer aber öffneten Heinrich Anfang 1084 die Tore zu triumphierendem Einzug. Eine von ihm in die Peterskirche berufene Synode bestätigte Gregors Absetzung und die Wahl Wiberts, der als Klemens III. inthroniert wurde. Dieser hat dann am Ostersonntag an Heinrich und seiner Gemahlin Berta die Kaiserkrönung vollzogen. Noch hielt sich Gregor in der Engelsburg, und endlich kam der Entsatz durch ein gewaltiges Normannenheer Guiscards, dem die Deutschen vorsichtig nach Norden auswichen. Indes dieser Rückschlag bedeutete nicht allzuviel. Denn die entsetzliche Plünderung und Verwüstung der Stadt durch die Normannen weckte einen derartigen Groll der Bürger auch gegen Gregor, daß an dessen Verweilen in Rom beim Abzug der Befreier nicht zu denken war und der Gegenpapst dort schon vor Ende des Jahres wieder seinen Sitz nehmen konnte. Gregor selbst ist am 25. Mai 1085 in Salerno, in seiner geistigen Energie ungebrochen, aber gleichwohl, wie seine letzten Worte verraten, im bitteren Gefühl der Verkennung und Niederlage gestorben.

In Heinrich mußte diese Kunde ein Gefühl höchsten Triumphes wecken. Mit dem Hinscheiden seines Hauptgegners mochte er hoffen, endgültig die Oberhand erlangt zu haben, und die Wahl des milden Benediktinerabtes Desiderius von Montecassino, der sich, wie der letzte kaiserfreundliche Papst, Viktor III. nannte, schien in der Tat den Weg zur Versöhnung frei zu machen. Heinrich konnte im Schmuck der Kaiserkrone nach Deutschland zurückkehren, um auch dort seine Sache weiter zu stärken. Die kriegerischen Unruhen, unter denen allenthalben das Volk litt, suchte er einzudämmen, indem er für das ganze Reich den Gottesfrieden verkündete, der nach französischem Vorbild außer den hohen Festzeiten auch die Passionstage jeder Woche von Mittwoch abend bis Montag früh unter kirchlichen Strafandrohungen für Fehden stillegte. Gewann er sich dadurch die Zuneigung der Massen, so begann nun endlich auch die Zersetzung des festesten Blockes seiner Feinde in Sachsen, indem er die Mehrzahl der dortigen Großen unter Anerkennung ihrer alten Rechte auf seine Seite zu ziehen wußte. Dann entfachte [87] freilich eine verschärfte Wiederaufnahme seiner mitteldeutschen Güterpolitik aufs neue unter Führung des Markgrafen Ekbert von Meißen allgemeinen Aufruhr. Schließlich aber rang der Kaiser sich auch aus diesen Wirren wieder empor. Der wachsenden Kriegsmüdigkeit kam seine kirchliche Duldung der gregorianischen Bischöfe, wenn sie ihn nur politisch anerkannten, entgegen. Das Jahr 1088 brachte das Erlöschen des sächsischen Aufstandes und durch zufälligen Tod Hermanns von Salm auch das Ende des Gegenkönigtums, während Heinrich schon vorher durch Königskrönung seines Sohnes Konrad seinem Hause den Thron gesichert hatte.

Der Kaiser, damals im besten Mannesalter, stand auf der vollen Höhe seiner Erfolge. Er hatte seine Sache nicht nur durch glänzende Diplomatie und kriegerische Zähigkeit trotz der widrigsten Verhältnisse durchgehalten, sondern den Kampf durch bedeutende Publizisten, die wenigstens in Deutschland den gregorianischen eher überlegen waren, auch mit geistigen Waffen eindrucksvoll geführt. Wäre er damals gestorben, so würde man von einer zwar wirrenreichen und durch manche Fehler des jugendlichen Herrschers getrübten, aber schließlich doch zur Höhe aufsteigenden Regierung sprechen. Nun aber trat ihm seit 1088 ein vielleicht noch gefährlicherer Widersacher als Gregor auf dem päpstlichen Stuhle in Gestalt des Nordfranzosen Urban II. entgegen, der es verstand, da, wo die gewöhnlichen Mittel versagten, selbst den Acheron gegen den Kaiser zu bewegen und ihn in furchtbare Schicksalsbande zu verstricken. In der kirchlichen Richtung mit seinem großen Vorgänger vollkommen einig, wich der schwungvolle Aristokrat in seiner gewandten Taktik von der derben, aufreizenden Härte des Bauernsohnes Hildebrand vorteilhaft ab. In der Verfolgung des Hauptziels unbeirrbar und da in den Mitteln noch weniger wählerisch als Gregor, wußte Urban sich der jeweiligen Lage geschmeidiger anzupassen und durch Verbindung von Klarheit und Zähigkeit seine Pläne schrittweise durchzusetzen.

Zunächst galt es, das Papsttum aus dem Machttiefstande der normannischen Verbannung emporzuheben. Als sichere Grundlage sollte ihm dabei die straff organisierte romanische Welt dienen, als Helfer gegen den noch zu sehr im Weltlichen verhafteten Episkopat das Mönchtum. Der Umschwung vollzog sich natürlich nicht mit einem Schlage; selbst Rom konnte den Wibertisten erst nach Jahren entrissen werden. Allmählich aber begannen sich deren Reihen unter den Reichsbischöfen zu lichten. Die kirchliche Anerkennung wußte das Papsttum Urbans sich doch in Deutschland ganz überwiegend zu sichern. Politisch setzte es den Hebel gegen den Salier zunächst in Italien an. Es gelang Urban, eine feste Verbindung herzustellen zwischen den von Toscana bis weit in die Lombardei hineinreichenden Besitzungen des Hauses Canossa mit den noch im Widerstand gegen Heinrich verharrenden bayrischen Gebieten des Herzogs Welf, indem er die rein politische Vermählung von dessen erst siebzehnjährigem gleichnamigem Sohne mit der dreiundvierzig Jahre alten Gräfin Mathilde vermittelte. Diese gefährliche Macht- [88] vereinigung, die ihm leicht den Verkehr über Alpen und Apennin unterbinden konnte, trieb den Kaiser im Frühjahr 1090 zu neuen Kämpfen nach Italien. Anfangs verliefen diese für ihn durchaus erfolgreich. Das Gebiet bis zum Apennin wurde besetzt, Mathilde beinahe durch ihre eigenen Vasallen zum Nachgeben gezwungen, der Papst abermals zu den Normannen vertrieben. Die seltsame Stockung in den Unternehmungen, die nach einem mißlungenen Handstreich auf Canossa Ende 1092 eintrat, erklärt sich wohl nur, wenn man annimmt, daß Heinrich schon damals oder bald darauf die Kunde von der Gegenmine erreichte, die seine Feinde inzwischen bis in das Innere seiner Familie hinein gegraben hatten.

Unter Einfluß der Gräfin Mathilde und kirchlichen Einwirkungen sagte sich sein eigener Sohn Konrad von dem gebannten Vater los und ließ sich in Mailand zum König der Lombarden krönen. Man erwäge, was das für Heinrich bedeutete: Bruch der gesicherten dynastischen Folge, Losreißung Norditaliens, wo ein erster lombardischer Städtebund in Fühlung mit Welf und Mathilde die Alpenpässe für jeden Truppennachschub sperrte, während ein Teil des italienische Reichsheeres zu Konrad überging und ein neuer Aufschwung der Patria der Mailänder Kirche bald völlig das Rückgrat brach. Bei einer späteren Zusammenkunft Konrads mit dem Papste trat Urbans Ziel klar zutage. Indem der junge König seine Abhängigkeit von der Kurie, wenn auch nicht in aller Form als Vasall, so doch tatsächlich deutlich genug bekundete, sollte das, was Gregor von dem Vater nicht erreicht hatte: die Beugung des salischen Herrscherhauses unter den päpstlichen Willen, in dem Sohne zur Tat werden. Es galt nur noch, das Ansehen des Kaisers vollends zu untergraben. Dazu suchte man ein weiteres Zerwürfnis in seiner Familie auszunützen. Heinrich hatte nach dem Tode seiner ersten Gemahlin mit Praxedis, einer Tochter des russischen Großfürsten von Kiew, eine zweite Ehe geschlossen, die sich als unheilvoll erwies. Wegen Ehebruchs gefangengesetzt, entkam Praxedis mit Hilfe der Päpstlichen und stellte sich ihnen mit den widerlichsten verleumderischen Anklagen gegen ihren Gemahl zur Verfügung. Auf dem 1095 unter Urbans Leitung tagenden Konzil von Piacenza wurden diese ohne Untersuchung als gerecht anerkannt. So sehr hatten sich in dem immer wilderen Kampfe die moralischen Begriffe getrübt! Eine Flut von Unflat, von der Kurie gelenkt oder doch genutzt, sollte über dem Kaiser zusammenschlagen und die Ehre seines Namens vernichten.

Es gibt Dinge, gegen die man nicht ankämpfen kann. Dreißig Jahre hatte Heinrich gerungen, um das Königsrecht dereinst unversehrt seinem Sohne zu hinterlassen. Wenn dieser selbst ihm verräterisch in den Arm fiel, wozu dann noch weiterer Kampf? Man versteht es, daß der Vater jetzt zum erstenmal in Ermattung die Waffe sinken ließ. Nach einer Nachricht soll er sie in Verzweiflung gegen sich gekehrt haben und nur von den Seinigen, die hinzukamen, am Selbstmord gehindert sein. Aber auch wenn er sich bald wieder aufraffte, so war er in dem veronesischen Winkel, in den er sich hatte zurückziehen müssen, doch tatsächlich von [89] allen Hilfsmitteln abgeschnitten. Wie aus einem Kerkerfenster mußte er untätig in der Ferne den Strom der Ereignisse vorbeiziehen sehen, die ihn nicht nur der Herrschaft über Italien beraubten, sondern auch in einer gewaltigen Bewegung das Kaisertum von der Führung der abendländisch-christlichen Angelegenheiten herabstürzten, die es noch unter Heinrich III. tatsächlich ausgeübt hatte.

Der erste Kreuzzug kommt hier nur in seinen Rückwirkungen in Betracht. Indem er um Urban II., der die Losung der Befreiung des Heiligen Grabes ausgegeben hatte, in einem Begeisterungssturm ohnegleichen die Ritterschaft der ganzen romanischen Welt scharte und für alle augenfällig machte, daß die höchsten Belange der Christenheim von Rom vertreten wurde, war die Stellung des gregorianischen Papsttums gegen die Wibertisten, die immer mehr den Boden unter den Füßen verloren, auch nach Urbans Tode (1099) über jeden Zweifel gesichert. Deutschland war unmittelbar nur durch den Anteil der halbromanischen Lothringer, den Durchzug der Kreuzfahrer und ihre Judenmetzeleien in den rheinischen Städten berührt worden. An dem Parteiengegensatz wurde also nichts Wesentliches geändert.

Immerhin war die Ablenkung der Geister dem Kaiser nicht schlechthin ungünstig. Endlich fand er auch eine Brücke zur Rückkehr. Die unnatürliche Ehe des jungen Welf mit Mathilde ging als unvollzogen auseinander, weil sich die Erbschaftshoffnungen des Welfenhauses nicht erfüllten. Um so eher konnte Heinrich mit diesem zur Aussöhnung gelangen, die ihm 1097 die Alpen öffnete. Italien freilich mußte er einstweilen verloren geben; mit dem Tode Wiberts (1100) sollte dort auch das Gegenpapsttum völlig zusammenbrechen. In Deutschland aber suchte er doch unter Verzicht auf die frühere Güterpolitik und unter mancherlei Zugeständnissen an die im Bürgerkriege an Macht emporgestiegenen Fürsten das Wesentlichste der königlichen

Heinrich IV. zwischen seinen Söhnen Heinrich und Konrad.
[88c]      Heinrich IV. zwischen
seinen Söhnen Heinrich und Konrad

(unten drei Bischöfe). Miniatur, um 1105.
Krakau, Domkapitel.
Gerechtsame zu erhalten. Es war da kein geringer Erfolg, daß er durch Hofgerichtsspruch die Absetzung seines abtrünnigen, aber vom Papste anerkannten Sohnes Konrad erreichte und dann bei den Fürsten Wahl und Krönung seines zweiten Sohnes Heinrich durchsetzte, den er durch die moralische Bindung eines Sicherheitseides von den Bahnen des Älteren fernzuhalten hoffte. Der kirchliche Friede war allerdings auch von dem neuen Papste Paschalis II., der an geistiger Energie und diplomatischem Geschick weit hinter Urban zurückstand, nicht zu erlangen; diese Wunde am Reichskörper blieb trotz weitgehender Anerbietungen Heinrichs offen. Indes, wie Paschalis als Papst allgemein anerkannt wurde, so auf politischem Gebiete trotz des Bannes doch auch der Salier als Kaiser. Gewiß war der Plan einer durchgreifenden Herstellung der alten Zentralgewalt an dem vordringenden Widerstand von Kirche und Hochadel gescheitert. Das Königtum hatte seine Pflöcke zurückstecken müssen. Daß man sich aber den fünfzigjährigen Herrscher trotz aller Schicksalsschläge nicht als gebrochenen, untätigen Greis vorstellen darf, erhellt allein schon aus seinem Streben, für das Königtum neue soziale Machtgrundlagen zu gewinnen.

[90] Aus der Sehnsucht der in allen Kriegsläuften am schwersten betroffenen Massen war immer stärker die Idee eines allgemeinen Rechtsfriedens erwachsen, die in dem bisherigen Gottesfrieden doch nur unvollkommen verwirklicht war. Auf dem Mainzer Reichstage von 1103 machte sich Heinrich zu ihrem Anwalt, indem er einen Frieden verkündete, der auf vier volle Jahre im ganzen Reich mit Hilfe der Territorialgewalten durchgeführt werden sollte. Sozialpolitisch bedeutsam war, daß in den dafür erlassenen Friedensordnungen neue Strafrechtsbestimmungen Platz fanden, die für schwere Vergehen die gleichen Leibes- und Todesstrafen für Freie und Unfreie festsetzten, und daß damit Maßnahmen gegen die Feudalisierung der hohen Gerichte Hand in Hand gingen. Deutlich wurde die Absicht erkennbar, die Bürger und Bauern in ihrer friedlichen Erwerbstätigkeit zu schützen, dem kriegerischen Adel aber seine Nahrungsquellen, soweit sie in Raub und Erpressung bestanden, zu verstopfen und ihn von der gerichtlichen Seite her straffer in das Staatsgefüge einzugliedern. Folgerichtig fortgesetzt, mußten der Krone daraus Verbreiterung ihrer sozialen Basis und Stärkung ihrer gerichtlichen Befugnisse erwachsen. In den Adelskreisen entstand dadurch freilich neue Unzufriedenheit. Zusammen mit der kirchlichen Gegnerschaft bereitete das den Boden für den Abfall auch des zweiten Sohnes Heinrich, der dem Kaiser am Ende seines Lebens noch die furchtbarste aller Prüfungen brachte.

Heinrich V. hat sich späterhin als ein so scharfsichtiger und kühler Rechner erwiesen, daß man ihn schon damals schwerlich, wie seinen inzwischen verstorbenen Bruder Konrad, nur als schwachen oder kirchlich beeindruckten Verführten wird auffassen dürfen. In der Besorgnis, ein neuer Zusammenschluß von Papstkirche und Hochadel möchte dem Vater und zugleich auch ihm selbst die Krone kosten, hat er den moralisch vermessenen, aber politisch durchdachten Versuch gemacht, selbst an die Spitze der Unzufriedenen zu treten, als Feind des gebannten Vaters mühelos, auch ohne grundsätzliche Zugeständnisse, die päpstliche Anerkennung zu erlangen und sich so auf Kosten des Vaters die Krone zu sichern. Der Gehorsamseid, durch den der Kaiser die Treue dieses Sohnes hatte binden wollen, mochte, als Demütigung empfunden, eher gegenteilig gewirkt haben. Den Eidbruch gegen einen Gebannten stellte die Kirche als Verdienst hin, der Groll des Adels bot Aussicht auf kriegstüchtigen Anhang. Gegen Ende 1104 entwich der junge König heimlich vom Hofe und erhob in Gemeinschaft mit Unzufriedenen aus dem bayrischen Adel die Fahne des Aufruhrs.

Der Vater geriet dadurch in eine wahrhaft entsetzliche Lage. Für wen hatte er ein Menschenalter lang gekämpft, wenn dieser letzte Sohn ihn zwang, seine Hand zum vernichtenden Schlage gegen seine eigene Dynastie, mit welcher Macht und Ehre des Königtums verknüpft waren, zu erheben? So war es nicht nur menschlich begreiflich, sondern auch politisch geboten, vor einem Waffengange alle Mittel zur Umstimmung und Versöhnung des Abtrünnigen zu versuchen. Er tat es in erschöpfender Weise, selbst bis zu dem Angebot einer Teilung der Herrschaft, ohne [91] Rücksicht darauf, daß während der Verhandlungen der Aufstand Luft zur Ausbreitung gewann; denn man sollte, wie er eindrucksvoll erklärte, im Reiche klar erkennen, "daß es nicht unser Wille und unsere Schuld ist, wenn wir am Ende unfreiwillig gezwungen werden, gegen jene vorzugehen, und dann Unheil, Elend und Volksvernichtung daraus erwachsen." Inzwischen aber konnte sich der Sohn von Bayern nach Sachsen wenden, wo er an der Seite des mit dem Kaiser verfeindeten Erzbischofs von Mainz eine schwer angreifbare Stellung gewann. Ohne für seine Person den Verzicht auf die Laieninvestitur offen auszusprechen, fand er sofort Unterstützung und Segen des Papstes. Und nun wurden allenthalben, weit über Sachsen hinaus, alte Gegnerschaften gegen den Kaiser zu neuem Brande geschürt.

Heinrich IV. und sein Sohn Heinrich am Regen.
[91]      Heinrich IV. und sein Sohn Heinrich am Regen.
Zeichnung in der Chronik Ottos von Freising. 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts.
Jena, Universitätsbibliothek.

Endlich hatte sich dieser von der Unentrinnbarkeit des Kampfes überzeugt. Nachdem ein Vorstoß der Aufständischen auf Mainz abgewehrt war, rückte er dem Sohne, der sich nach Bayern zurückzog, plötzlich in Eilmärschen nach, verband sich mit den Truppen des Böhmenherzogs und des Markgrafen von Österreich und suchte am Flusse Regen die Entscheidung. Da gelang es der Gegenpartei, eben den Böhmen und Österreicher zum Verrat zu verführen. Ihrem Abschwenken folgte eine allgemeine Auflösung des kaiserlichen Heeres. Heinrich selbst flüchtete, wohl um die Verfolger zu täuschen, nicht nach Westen, sondern ostwärts nach Böhmen zu. Das Schicksal hatte gegen ihn entschieden, und mancher andere hätte nun wohl das Spiel aufgegeben. Er aber legte noch einmal eine Probe seiner zähen Unermüdlichkeit ab, als er von Böhmen her durch das feindliche Sachsen an den Rhein zurückeilte. Den durch Bestechung bewerkstelligten Stromübergang des [92] Sohnes auf Speyer zu, wo der väterliche Schatz lag, konnte er dann doch nicht mehr verhindern. Von Hunger und Anstrengung erschöpft, mußte er sich bei dem wachsenden Abfall rheinabwärts nach Köln wenden.

Der Sohn berief nun zur Entscheidung der Thronfrage auf Ende 1105 einen Reichstag nach Mainz; um jedoch das persönliche Auftreten des Kaisers dort, wo er noch immer starken Anhang hatte, zu verhindern, zog er ihm nordwärts entgegen. Da kam es denn auf einer persönlichen Zusammenkunft bei Koblenz zu einer beispiellosen Überlistung des Vaters durch den Sohn, der sich in Eiden und Liebesbeteuerungen überbot und als seinen einzigen Wunsch die Aussöhnung des Kaisers mit der Kirche bezeichnete. Durch Zusage sicheren Geleits nach Mainz wußte er den Vater um den Schutz seiner Kriegsmannen zu bringen. Schon halb mit Gewalt führte er ihn dann von Bingen die Nahe aufwärts nach der Burg Böckelheim, damit er dort über Weihnachten verweile, während er selbst in Mainz die kaiserliche Sache treulich wie seine eigene führen wolle. Als das Burgtor sich schloß, war Heinrich der Gefangene seines Sohnes. An die Überlistung schloß sich die Vergewaltigung. Nachdem man durch Drohungen von dem Kaiser die Auslieferung der Reichsinsignien erlangt hatte, folgten in Ingelheim im Beisein eines päpstlichen Legaten noch weitere erschütternde Auftritte. Vergebens warf sich Heinrich seinem eigenen Sohne zu Füßen. Man erpreßte von ihm eine nach außen hin freiwillige Abdankungserklärung, die den Verzicht auf sämtliche Reichsbesitzungen in sich schloß, und mutete ihm zu, für die Bannlösung, deren Vollzug der Legat freilich dem Papst vorbehielt, ein vorher aufgesetztes Sündenbekenntnis zu verlesen, das ihn moralisch vernichtet hätte. Dazu war der Kaiser, der mit seiner Forderung eines unparteiischen Gerichts kein Gehör fand, selbst in dieser entsetzlichen Lage nicht zu bewegen. Während man ihn dann in Ingelheim als Privatmann in leichter Haft zurückließ, fand in Mainz unter bestätigender Mitwirkung des Legaten die feierliche Regierungsübernahme durch Heinrich V. statt.

Aber die Lebenskraft des Kaisers war trotz aller Aufregungen noch nicht gebrochen. Er entwich aus Ingelheim und entfaltete zum letztenmal seine seltene Kunst, eine anscheinend unrettbare Sache wieder aufzurichten. Ob eine neue Entfesselung des Kampfes jetzt noch dem Reiche frommen konnte, mag man billig bezweifeln. Vom menschlichen Standpunkt aber ist es zu begreifen, daß Heinrich, in dem bis in jede Fiber hinein die Empörung über die ihm und der Krone angetane Schmach kochte, Freiheit und Leben zu sichern suchte. Und konnte er von diesem Sohne eine hinreichende Vertretung des Königsrechts erwarten? Indem er sich über Köln nach Lüttich wandte, suchte er unterwegs durch eine barfuß

Heinrich IV. bittet um Fürsprache beim Papst.
[88b]      Heinrich IV. (kniend)
bittet die Gräfin Mathilde von Tuszien
und den Abt Hugo von Cluny
um Fürsprache bei Papst Gregor VII.
Miniatur, 1114. Rom, Vatikanische Bibliothek.

[Bildquelle: Sansaini, Rom.]
zurückgelegte Pilgerfahrt nach Aachen seine Bußfertigkeit aller Welt zu offenbaren und die Verweigerung der Bannlösung als ungerechtfertigt zu erweisen. In Niederlothringen gelang es ihm in der Tat, Truppen zusammenzubringen. Durch höchst wirkungsvoll gestaltete Agitationsbriefe über die letzten Vorgänge [93] an abendländische Herrscher und Fürsten suchte er die Weltmeinung für sich zu gewinnen, und seinen Paten, den Abt Hugo von Cluny, bat er inständig, die Aussöhnung mit der Kurie zu vermitteln, auch jetzt noch mit dem Zusatz "vorbehaltlich unserer Ehre".

Als Heinrich V. gegen diesen noch immer unverächtlichen Gegner nach Niederlothringen eilte, mußte er nach einer Schlappe an der Maas zurückweichen, verlor Zeit und Kraft an einer vergeblichen Belagerung des kaisertreuen Köln, rückte nach erfolglosen Verhandlungen dem Vater abermals entgegen, eine Entscheidung im offenen Felde stand unmittelbar bevor – da ist der Kaiser in Lüttich am 7. August 1106 allen weiteren Kämpfen durch den Tod entrückt worden. Sterbend sandte er Schwert und Ring dem Sohne, erbat für seine Anhänger Verzeihung und für sich selbst eine Begräbnisstätte im Dom zu Speyer. Die ist dann freilich erst nach unduldsamen Aussperrungen dem gebannten Toten zuteil geworden, als auch der Sohn in neuen Kampf mit der Kurie geraten war. Reichsten Ersatz aber boten in Lüttich wie in Speyer die Äußerungen der Anhänglichkeit und Verehrung des niederen Volkes, wie sie uns kaum für einen anderen Herrscher jener Zeiten berichtet werden.

Krypta des Doms zu Speyer.
[88a]      Krypta des Doms zu Speyer.
Grabstätte Heinrichs IV. und anderer deutscher Kaiser. Mitte 11. Jahrh.

[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin.]

Sieht man von den Regungen tiefen Mitgefühls ab, die dies schicksalsvolle Menschenleben auslöst, und fragt nur nach dem, was er für Deutschland, dessen Wohl mit dem der Krone eng verknüpft war, erstrebt und geleistet hat, so wird man ihm die Anerkennung nicht versagen, daß er unermüdlich mit dem vollen Einsatz seiner Person für Königsrecht und Reichsehre gekämpft hat. Der Kirche gegenüber blieb er zwar nicht Sieger, aber er hat die auf Oberherrschaft zielenden Ansprüche des Papsttums erfolgreich zurückgewiesen, das Investiturrecht noch unversehrt in die Hände des Sohnes gelegt und die Starrheit der kirchlichen Forderungen durch zähen Widerstand immerhin so weit geschwächt, daß der Nachfolger leichteren Stand hatte und das ottonische Regierungssystem sich, wenn auch mit erheblicher Abwandlung, noch ein weiteres Jahrhundert behaupten konnte. Auf der anderen Seite hat er das Einheit verbürgende Königsrecht auch den deutschen Sondergewalten gegenüber verteidigt, ist allerdings durch das Eingreifen der Kirche an dem erstrebten Wiederaufbau gehindert und in dem jahrzehntelangen Bürgerkriege zu manchem Zugeständnis an die Selbständigkeit der Fürsten gezwungen worden. Aber auch da hat er den Boden nicht verlassen, auf dem in besseren Zeiten eine Rückbildung der königlichen Rechte – etwa mit Hilfe der aufstrebenden Stände: Reichsdienstmannschaft und Bürgertum – hätte erfolgen können. So darf man Heinrich IV. zwar nicht nach seinen Erfolgen, wohl auch nicht nach seinen Charaktereigenschaften, die, verwickelt und widerspruchsvoll, sich nicht zu dem fortreißenden Wesen des wahren Helden zusammenfügen wollten und die staatsmännische Einsicht öfters durch Leidenschaften verdunkelten, wohl aber nach Talent und Streben den bedeutenderen Herrschern des deutschen Mittelalters an die Seite stellen.




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz