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[Bd. 2 S. 166]
Joseph II., 1741 - 1790, von Heinrich Kretschmayr

Joseph II. Gipsbüste von Franz Xaver Messerschmied.
Joseph II.
Gipsbüste von Franz Xaver Messerschmied.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 169.]
Im sechzehnten Jahrhundert ist mit einer Raschheit des Emporkommens, die für den Betrachter etwas nahezu Unwahrscheinliches an sich hat, in Vereinigung von spanischem Königtum, deutscher Kaiserkrone und erblicher Ländergewalt in Österreich, Ungarn und Böhmen das Haus Habsburg zu einer Weltmacht geworden. Im achtzehnten Jahrhundert sind um die Erbschaft des erst in Spanien und dann in Österreich ausgestorbenen Hauses zwei Weltkriege geführt und ist durch diese das politische Antlitz von Europa verändert worden. Spanien wurde aus einem Gegenland zu einem Nebenland von Frankreich, und Österreich aus der Verbindung mit Spanien gelöst, mit seinen drei Weltstellungen in Deutschland, Italien und an der Donau zu einer "nach dem Osten verschobenen Monarchie Karls des Großen" geworden, bettete sich tiefer als bisher in deutsche Aufgaben ein. Deutsches Reich und Land gegen den Westen zu verteidigen und deutsche Lebensform und Sprache in die Österreich umsäumende nichtdeutsche Umwelt hinauszutragen hatte sich als Doppelverpflichtung von der Stunde an ergeben, als den Habsburgern, seit drei Menschenaltern Trägern der Kaiserkrone, zum Erzherzogshut von Österreich die Königskronen von Böhmen und Ungarn zugewachsen waren. Als aber im achtzehnten Jahrhundert nach dem Kriege um das spanische Erbe, der das Haus Österreich an Land und Geltung reicher machte und nicht ärmer, auch der Krieg um dieses österreichische Erbe, wenn nicht ohne Opfer, so in Ehren überstanden war, stellte sich die Aufgabe, im kulturbedürftigen und geistig widerstandsschwachen Osten dem deutschen Geiste gleichsam ein Kolonialreich zu schaffen, in verstärktem Maße und mit ganz anderem Gewicht ein. Gewiß, der Verlust von Schlesien, mit dem die Erhaltung der Erbschaft der Väter hatte bezahlt werden müssen, lastete schwer auf Herrschern und Staatsmännern. Maria Theresia, die das Staatsvereinheitlichungswerk ihrer Zentralverwaltung besonders auch um der Wiedereroberung Schlesiens willen eingeleitet hatte, empfand es als Leid ihres Lebens, daß ihr Haus die "Obermacht" in Deutschland verloren habe und daß dort Preußen zur Gegenmacht aufsteige. Der Gedanke drängte sich auf, sich, wenn nicht durch den Rückgewinn von Schlesien, so durch anderen deutschen Landgewinn, im besonderen von Bayern, Ersatz für geminderte Geltung zu schaffen und damit die noch nicht entscheidend beantwortete Frage der Vormacht in Deutschland nochmals aufzuwerfen. Andererseits drängte gerade der Verlust von Schlesien, wie früher [167] die Lösung aus der Verbindung mit Spanien, Österreich einer gesteigerten Tätigkeit im südosteuropäischen Raume nach Politik und Kultur zu.

Das Herrschergefühl der Maria Theresia kam Gedanken dieser Art durchaus entgegen. Es waren nicht nur Worte, wenn sie sich in ihren Denkschriften und anderenorts ihrer Länder erste und allgemeine Mutter nannte, und ihre Verwaltungsorganisation war nicht nur als außenpolitisches Geltungsmittel, sondern auch als ein um seiner selbst willen geschaffenes Mittel der Einheit des Staates und der Erhebung der allgemeinen Lebensformen gedacht. Mögen die Verstandessätze der Aufklärung kaum an ihr noch vom Glauben an die hergebrachten Ordnungen erfülltes Herz gerührt haben, sie hat doch die Überordnung des Trägers der Krone als des durch Gott und Vernunft gesetzten Führers über das verworrene Kräftespiel der eigenwilligen Stände und Gruppen und die dieser Krone aus ihrer Herrschgewalt erwachsende Verpflichtung zur sorglichen Pflege der allgemeinen Wohlfahrt zu ihrem Gedanken und zu ihrer Empfindung gemacht. Wie hätte aber in einem so gedachten Gemeinwesen nicht die Pflege des Deutschtums und der deutschen Sprache als einer politischen Vereinheitlicherin und einer Lebenserheberin Platz finden sollen, auf daß durch sie der Geist der Reichstreue in Heer und Verwaltung, Kunst und Schule bis an die letzten Grenzen hinausgetragen werde?

Von diesen Meinungen und Gedanken war die Jugend des Mannes umspielt, der im Hochsommer 1765 seinem Vater Kaiser Franz dem Ersten in der deutschen Kaiserkrone und in der Mitregentschaft der Habsburgischen Erblande folgte. Das geistige Erbteil des Vaters, dem, was man auch gegen seine lässige Art, seiner Würden zu walten, vorbringen mag, doch immer eine historischer Größe freilich entbehrende menschliche Vortrefflichkeit eignet, scheint gering, er ist vielmehr, nur um mehrere Grade härter und kälter, der Sohn seiner Mutter Maria Theresia: Kaiser Joseph der Zweite. Als er, der ersehnte männliche Erbe, am 13. März 1741 zur Welt kam, glaubten in der politischen Not jener dunklen Tage die Leute für gewiß, daß die Kaiserkrone, nach der sich so viele Hände streckten, nunmehr dem Hause Österreichs nicht verlorengehen werde. In der Tat, im Frühjahr 1764 wird Joseph ohne ernstliche Gegenwirkungen zum römischen König gewählt und gekrönt werden, wird diese Wahl bedeuten, daß der große Friedrich, siegreich für sich, im Reiche besiegt worden sei, und durch die Beschreibung Goethes in "Dichtung und Wahrheit" eine Art von volkstümlicher Unsterblichkeit gewinnen.

Ein schwer zu behandelndes Kind, störrisch und hochmütig, ohne Geschick und Gründlichkeit erzogen, aber aus sich selbst heraus lernbegierig, freilich "ohne die Geduld, sich zu unterrichten", ohne Sinn für Spiel und Fröhlichkeit, nach eigenem Worte alles fürchtend, was Fest heißt, hat Joseph seine Gedanken frühzeitig scharf und deutlich zu fassen und auszudrücken gelernt. Als Zwanzigjähriger überraschte er den eben neu eingerichteten Staatsrat in der ersten seiner vielen Denkschriften, in denen er den unruhigen, gedankenüberfüllten Geist zu entlasten und irgendwie zu bändigen versuchte, mit einem Programm seiner Herrscheraufgaben, das er, ein [168] wenig romantisch und ein wenig bescheiden, "Träumereien" nannte. Es enthält das Rüstzeug des "Despotisme lié" des Jahrhunderts: Volksbeglückung und Herrscherverantwortlichkeit, Ständeausgleichung in Beseitigung der hergebrachten Sonderrechte und Machtzentralisation, Verbürgerlichung der Gesellschaft und absolute Krongewalt; der Herrscher ist der Diener des Staates, aber auch der Beauftragte und Vollstrecker des Staatswillens durch die Gnade Gottes und das Recht der Vernunft. Als er, Kaiser und Mitregent der Mutter geworden, seine Träume in die Wirklichkeit zu übersetzen unternehmen wollte, mußte er freilich wahrnehmen, daß ihm die Wege in sie verbaut waren. Denn seine Mutter Maria Theresia und der Kanzler Kaunitz, denen zur Seite er in sein Herrscheramt eintrat, hatten ihren sehr ausgesprochenen Willen, und der junge Herr mußte sich in eine Politik zu dreien finden oder verzichten, Politik zu machen. Er beklagte bitter, daß die Mutter ihm "munter" in seine Gedanken und Reformen "dreinschneide". Im Grunde wollten sie wohl, Mutter und Sohn, das gleiche: die fürsorgliche und zugleich gebieterische Betreuung des Staates durch den Herrscher über die eigensüchtigen ständischen Gewalten weltlichen und geistigen Charakters hinweg. Aber wenn es nicht die Verschiedenheit des Zieles war, die sie trennte, so war es die Verschiedenheit der Meinung über den rechten Weg dazu. Was die Mutter aus weiblicher Zartheit wollte, suchte der Sohn aus kalter Überlegung.

Der Mutter war der Staat eine lebendige Gemeinschaft wohlwollend zu ihrer Zufriedenheit zu lenkender Menschen, dem Sohne der harte Pflichten- und Aufgabenapparat, der unter monarchischer Führung hart in Gang gehaltene Maschinenstaat, in den die Menschenwillen und Menschenkräfte ohne Rücksichtnahmen eingefügt werden. Die religiöse Frau, die ganz Wirklichkeit und Natürlichkeit war, stand gegen den Gedankenmenschen, der die Gegebenheiten der lebendigen Gemeinschaft geistreich ersonnenen Formeln unterwerfen wollte. Sie achtete die Unwägbarkeiten des Lebens und übte die Ehrfurcht vor den historischen Gewordenheiten; er band sich an die Regeltreue einer Art von Staatsphilosophie und an eine geschichtlos fertiggemachte Rechtsdogmatik. So war kein Ende der Mißverständnisse und der Klagen, daß man einander nicht verstünde. Maria Theresia, niemals von dem Leid um den verlorenen Gemahl genesen, der so viel leichter zu behandeln und zu bereden war als nun der Sohn, hat die unauflösbaren Auffassungsgegensätze zu diesem mit dem fast völligen Verluste der Heiterkeit, wenn auch nicht der Geschlossenheit ihrer einfachen Seele bezahlt. Kaunitz aber, nach Programm und Weltanschauung dem Kaiser geistesverwandt und zumeist nur in Einzelmeinungen ihm entgegengesetzt, war ihm kein Helfer und Freund. Was sie beide auseinanderhielt, mehr noch als Mutter und Sohn, war der Unterschied zwischen Alter und Jugend. Der kunstverständige Seigneur des Ancien régime, der seine Kräfte in dem furchtbaren Siebenjährigen Kriege ausgegeben hatte und jene letzte Entschlossenheit vermissen ließ, die wahrhaft große Menschen kennzeichnet, stand gegen den jugendlich rücksichtslos anstürmenden [169] Monarchen, der ein fast schon bürgerliches Gesellschaftsideal im Herzen trug. Man kann wahrnehmen, daß die Kaiserin, den beiden Männern in ihrer Weltanschauung fern, eher zwischen ihnen beiden vermittelt hat als etwa der alte Freund und Kanzler zwischen ihr und dem Kaiser, und man mag verwunderlich finden, daß bei diesem Kampfe der Generationen, Temperamente und Anschauungen überhaupt eine leidliche Einheit in der hohen Politik sich bewahren ließ. Der Kaiser sah sich dabei oft überwunden, behauptete sich manchmal, war selten siegreich. Seiner Anklagen gegen das System der Mutter war kein Ende. Diese wieder fand die zugegebenen Mängel ihres Systems weniger schädlich als das vom Kaiser empfohlene fortwährende Herumprobieren in den obersten Regierungsgrundsätzen. Joseph gesteht, daß er nicht bloß, um zu lernen, sondern fast mehr noch, um den heimischen Gegensätzlichkeiten zu entgehen, in diesen Mitregentschaftsjahren immer wieder auf Reisen gegangen sei, in seine weitgedehnten Erblande, nach Deutschland, Frankreich, Rußland. Die wahre Alleinherrschaft, nach der ihn verlangte, hat er auch, Kaunitz gegenüber, nach dem Tode der Mutter nicht üben können; immer waren ihm, um ein Bismarckwort zu gebrauchen, die Schachfiguren, mit denen er spielen wollte, festgenagelt.


Der unruhvolle Drang nach irgendwelchen hohen Preisen, der den jungen Herrscher erfüllte und vorwärtstrieb, hat sich in seiner Regentschaftszeit anders als in seinen Alleinherrschaftsjahren mehr auf dem Felde der äußeren als der inneren Politik kundgegeben. Man wird dem Kaiser nachsagen dürfen, daß er allezeit als Ausgestalter des Heeres sich betätigt und die Armee durch die Einführung des Aushebungssystems vom Söldnerheer zum Volksheer umzuwandeln begonnen habe, und die im Zuge der großen, mit Eifer und Interesse verfolgten Gesetzgebungsarbeiten im Januar 1776 gegen den Willen der Mutter durchgesetzte Abschaffung der Folter lobt sein Andenken für jeden Menschenfreund. Aber die äußere Politik, in der keine Weltanschauungsgegensätze zu bekämpfen und überwinden waren, bot den von dem Kanzler eher genährten als eingedämmten Fürstenehrgeiz Josephs zunächst reichere Möglichkeiten dar. Er wollte in ihr den drei Weltstellungen des Reiches Rechnung tragen: in Deutschland mit dem Gewinn von Bayern, in Italien mit der Verkleinerung oder Eingliederung des Staates von Venedig,

Begrüßung Friedrichs des Großen und Josephs II. im Schloß zu Neiße.
[171]      Begrüßung Friedrichs des Großen und Josephs II. im Schloß zu Neiße.
Holzschnitt von Adolph Menzel aus Kuglers "Geschichte Friedrichs des Großen", 1840.

[Bildquelle: E. A. Seemann Verlag, Leipzig.]
im Osten zusammen mit Rußland mit Balkaneroberungen. Glaubte er wirklich, anders als die Mutter, sich mit König Friedrich gütlich vergleichen zu können? Maria Theresia hat den König niemals gesehen, niemals sehen wollen. Joseph suchte ihn auf. Im August 1769, zu Neiße in Schlesien, versicherte er Friedrich, es gebe für Österreich kein Schlesien mehr. Aber König Friedrich glaubte ihm nicht. Er fand ihn liebenswürdig und aufgeklärt, aber auch ehrgeizig; man wisse nicht, ob er es auf Venedig, Lothringen oder Bayern abgesehen habe. Als sie sich zum zweitenmal im September 1770 in Mährisch-Neustadt sahen, [170] konnten sie sich immerhin über ihre Beteiligung an der von Rußland her drohenden Aufteilung des polnischen Staates verständigen. Zwei Jahre später trug diese Vereinbarung ihre Früchte. Rußland hatte sich in die unteren Donauländer eindrängen und damit eine Aufteilung der Türkei einleiten wollen. Die erste Teilung Polens, welche der österreichischen Monarchie die Königreiche Galizien und Lodomerien einbrachte, lenkte Rußland sehr im Sinne von Österreich von der Donau ab. Die Kaiserin stimmte schweren Herzens zu. Für Joseph war die polnische Teilung ebenso wie die drei Jahre später auf Grundlage anfechtbarer Rechtsgründe vorgenommene Einverleibung der bisher türkischen Bukowina nur eine Frage des europäischen Mächtegleichgewichts. Wenige Jahre nachdem er mit König Friedrich verbindliche und bewundernde Worte getauscht, griff er, erfüllt von einem schon bei Prinz Eugen vorhandenen Verlangen, auf Bayern, um es ganz oder teilweise an Österreich zu bringen, diesem so die alte Geltung im Reich zurückzugewinnen und ihm die Durchdringung seiner österreichischen Länder mit dem Deutschtum zu erleichtern. Aber Friedrich fand, dieser Kaiser, der die Rechte seiner Kaiserkrone so viel bestimmter festhielt und zu mehren unternahm als die Mutter, laste schwer auf seinen Schultern, und fiel ihm in den Arm. Ein allerdings nicht ernstlich durchgekämpfter Erbfolgekrieg um Bayern, dessen Kurfürst sich nicht ungern mit dem Kaiser verglichen hätte, endete im Mai 1779 mit einem Verzicht auf den aussichtsvollen Gedanken und mit dem kleinen Landgewinn des bayrischen Innviertels. Die Kaiserin war gleichwohl des hergestellten Friedens froh; sie fand, sie beschließe damit "glorios" ihre Laufbahn. Im November 1780 ist sie gestorben.

Die Fragen der Außenpolitik blieben, als Joseph nun in die Alleinregierung eintrat, die sie waren; sie hießen Frankreich, Rußland, Deutschland. Gegen Frankreich, das er besucht und aufmerksam und gründlich durchfahren hatte, war der Kaiser gleich dem Vater immer schlecht gestimmt; hatte es ihnen, den Lothringern, doch das Land der Väter weggenommen. Mochte dort Kaunitz seines diplomatischen Amtes walten. Das Bündnis beider Reiche vom Mai 1756 lockerte sich auf. Joseph hatte keine Freude an dieser französischen Allianz, die der Stolz von Kaunitz und auch der Mutter war. Er fand für besser, sich Rußlands zu versichern, von Frankreich frei zu werden und dem gefürchteten Gegenspieler in Berlin, dem Verbündeten Rußlands vom April 1764 her, einen Hauptstein aus dem Brett zu nehmen. Es ist ihm gelungen, auf einer noch bei Lebzeiten der Mutter unternommenen Reise nach Rußland die offenbar von seiner Person gefangengenommene Zarin Katharina zur Wiedererneuerung des Bündnisses von Österreich und Rußland zu veranlassen, ohne daß das Bündnis mit Frankreich sich auflöste. Aber Frankreich war längst kein Bundesgenosse mehr. Es hatte im Bayrischen Kriege jede Bundeshilfe verweigert; es schützte Holland und schloß mit ihm Vertrag und Bündnis, als Kaiser Joseph die holländische Scheldesperre, die ihm sein belgisches Antwerpen verdarb, aufzubrechen versuchte, und zwang ihn, [171] sich diesen lebenswichtigen Anspruch mit Geld abkaufen zu lassen; es freute sich, weit entfernt, die kaiserliche Balkanpolitik irgendwie zu fördern, daß dort Österreich anders als Rußland "nur ein winziges Stück von der türkischen Pastete bekam", und der König von Preußen hatte seine rührige Partei in Paris.

Geriet so dem Kaiser das politische Spiel im Westen durchaus nicht gut, so blieb es in Italien, das ein Land des geringsten Widerstandes gewesen wäre, beim bloßen Pläneschmieden. Würde in Deutschland etwas gelingen? Österreich hatte, was es auch an Schwierigkeiten gab, Bündnis mit Frankreich und mit Rußland. England war in Amerika gründlich beschäftigt. Wie einsam war es um König Friedrich! Er empfand es wohl. Er wußte freilich auch, daß die Wiederkehr [172] der politischen Konstellation von 1756 nicht die Gefahren von damals barg. Als Kaiser Joseph zum zweiten Male nach Bayern griff, der Kurfürst Karl Theodor das ihm zu Tausch angebotene vollunabhängige Belgien anzunehmen sich bereit zeigte, leistete er entschlossenen Widerstand. Er rief im Sommer 1785 die Reichsstände, Katholiken und Protestanten zu einem Fürstenbunde gegen den Kaiser auf und hatte die Genugtuung, zu sehen, daß außer Köln und Trier, Hessen-Darmstadt und Württemberg alle seinem Rufe folgten. Er wußte, daß von Rußland nur Worte, von Frankreich gar nichts oder gar Feindseligkeit gegen den Kaiser eingesetzt werden würde. Es war wieder einmal ein Sieg der alten "Deutschen Libertär" über die kaiserliche Reichsgewalt, und eine gesamtdeutsch gerichtete Betrachtung wird diese "erste Verwirklichung des kleindeutschen Programms" nicht anders als unerfreulich empfinden können. Der Kaiser versuchte es noch mit einer kühnen Frontwendung in seiner deutschen Politik.

Ein Jahr nach dem Fürstenbunde starb König Friedrich. Sollte, fragte sich Joseph, das Gegenspiel von Österreich und Preußen sich nun nicht in ein Bündnis verkehren lassen? Vereint könnten beide Mächte, die einer Religion und einer Sprache gehörten, die Friedenswärter von Europa werden. Der zukunftsvolle Gedanke brach sich alsbald an dem leidenschaftlichen Widerstande des Kanzlers, der sich in einem wahren Belsazarbrief gegen diese Sünde an allem heiligen Herkommen zur Wehr setzte, und die Eile, mit der Joseph ihn fallen ließ, möchte annehmen lassen, daß er ihm nur eine flüchtig ergriffene Augenblickseingebung, wie er selbst bald nachher gesagt hat, nur eine Schimäre gewesen ist. Bald werden Preußen und Österreich wieder drohend gegeneinander stehen. Den "großen Plan" des Preußenministers Hertzberg, Galizien an Polen zurückzugeben, auf daß dieses Westpreußen an Preußen abtrete, und dafür die Donaufürstentümer an Österreich zu nehmen, hat Joseph nicht anhören wollen. Auch die Beredungen deutscher Kirchenfürsten über eine deutsche Nationalkirche, die ihm doch nach dem Sinne sein mußten, haben ihn teilnahmslos gelassen. Er war der deutschen Pläne müde.

Noch einmal, wenn auch nicht ohne Gefühl für die Widersprüche und Gefahren, die sich damit verbanden, und ohne Lust, das im Jahre 1787 bei nochmaligem Besuch erneuerte Russenbündnis, wie Kaunitz wollte, zu einem Angriff auf Preußen auszunützen, wandte er sich den Fragen des nahen Orientes zu. Er zögerte nicht, als mit der Kriegserklärung der Türkei an Rußland im August 1787 der Bündnisfall gegeben war, Rußland zur Seite in den Krieg einzutreten, aus dem er sich kostbaren Landgewinn, Westbalkanland oder Unterdonauland, und Beschwörung der wachsenden Unruhe in seinen Ländern versprach. Der Kanzler, in der Besorgnis, nur ja nicht etwa bei einer Teilung der Türkei zu kurz zu kommen und Rußlands gegen Preußen nicht mehr sicher zu sein, hielt den Kaiser nicht ab, sondern drängte ihn über die Bundespflichten hinaus in den Strauß hinein. Mag Joseph in seiner Unruhe das politische Gespinst seines Ministers zuweilen verwirrt haben, es war doch nicht seine, sondern die um jeden Preis [173] gegen Preußen gerichtete Politik von Kaunitz, die hier zu Fall kam, und mit Unrecht hat die öffentliche Meinung den Kaiser mit der Schuld an der russischen Unheilspolitik beladen, für welche die Hauptverantwortung sein Kanzler tragen muß. Denn der Krieg blieb trotz einer Eroberung von Belgrad durch Feldmarschall Laudon im Oktober 1789 militärisch ergebnislos, isolierte diplomatisch das Reich in Europa und belud es mit kaum erträglichen Schuldenlasten. Der Kaiser aber bezahlte die Teilnahme daran mit dem Preis seines damals schon durch Krankheit schwer angegriffenen Lebens. Sterbend mühte er sich noch, von Norden und Süden, von Preußen und der Türkei, und zugleich im Innern von Ungarn und Belgien her bedroht, den Griffen der drohenden Zange zu entrinnen, der dann sein Bruder Leopold in klug abgeschlossenem Vertrage die Greifer zerbrechen wird.


Ging so das außenpolitische Spiel in allen drei Weltstellungen seines Reiches für den Kaiser verloren, so brannte es auch im Innern des Reiches nach langem Schwelen lichterloh auf. Hier aber, im Bereiche der inneren Politik, die er sich, zumal seit dem Heimgang der Mutter, als seine besondere Domäne, in die der Kanzler so gut wie nicht hinübergriff, vorbehalten hat, muß Kaiser Joseph, mögen auch seine Berater für die Werke seiner Reformen mitverantwortlich sein, in anderem Maße als für die äußere Politik die Verantwortung tragen. Um seiner inneren Reformen willen lebt er als einer der vornehmsten Vertreter des aufgeklärten Absolutismus fort. Gut vorgebildet und viel gereist, war er mit den Staatstheorien der Zeit und mit der Natur von Land und Leuten in seinem vielgestalteten Reiche von Jugend auf vertraut. Ob er seine Theorien sich angelesen oder selbständig ausgedacht hat, mag strittig bleiben; daß er in ihrer Durchführung sich übereilte und vergriff, ist allgemein zugegeben. Das Ziel war der durch Heer, Diplomatie und Beamtenschaft zu Verwaltungseinheit, Kircheneinheit, Rechtseinheit, Wirtschaftseinheit, Spracheinheit lückenlos zusammengefaßte Staat, vor dem alle Sondergewalten zu verschwinden hatten und dem der Herrscher, aus einer Staatsinkarnation zu einer Staatsinstitution geworden, pflichtgemäß vorzeichnete, was sein sei. Wege und Richtungen dazu haben ihm Friedrich und Maria Theresia gewiesen. Aber hatte die Kaiserin die reichlich vorhandenen Widerstände gegen die neue Staatsform noch behutsam angefaßt und auf die staatsrechtlichen und nationalen Traditionen und Sonderansprüche der einzelnen Reichsteile ihre Rücksichten genommen, Joseph wollte keine Behutsamkeit üben. Hatte sie die Verwaltungszusammenfassung ihrer Länder auf Österreich und Böhmen beschränkt und eine allfällige engere Eingliederung der anderen Gebiete, zumal Ungarns, der Zeit überlassen, so war Joseph eine derartige Halbvollendung der Staatszentralisation ein kaum erträglicher Gedanke. Er wollte das Staatsvereinheitlichungswerk politisch durch die Einrichtung eines von ihm persönlich geleiteten allmächtigen Kabinetts bekrönt sehen. Aber wenn er zur Vorbereitung [174] gleichsam neben einer möglichst alle Verwaltung in Österreich und Böhmen besorgenden "vereinigten Hofstelle" eine ebenso geartete Zentralisation der ungarischen Geschäfte in der ungarischen Hofkanzlei versuchte, so sündigte er gegen jeden Wirklichkeitssinn, denn es war klar, daß die Vereinigung der ungarischen Stellen an einem Platze die althergebrachte Abneigung der Ungarn, sich in ein größeres System einordnen zu lassen, verstärken mußte.

Lustbarkeiten vor dem Römer in Frankfurt am Main.
[176b]      Lustbarkeiten vor dem Römer in Frankfurt am Main
anläßlich der Krönung Kaiser Josephs II. am 3. April 1764.
Gemälde aus der Werkstatt von Meytens.
Wien, Schloß Schönbrunn.
Immerhin war die Hoheitsgewalt der Staatsbehörden in den Ländern in weiterem Ansteigen und schob sich der Staat immer tiefer und breiter in alle Bereiche bisher eigenständigen Lebens hinein. Aber hatte Maria Theresia die historischen Stände, wenn gebunden, so doch bestehen lassen, so achtete sie Joseph für nicht mehr als "Bauernbälle auf einer Opernbühne". Nur allein mit der deutschen Kaiserkrone ließ er sich krönen. Nirgends ließ er sich huldigen. Die heilige Krone von Ungarn ließ er in die Wiener Schatzkammer bringen. Die ungarischen Komitate sollten gleich den österreichischen Kreisämtern staatliche Sprengel werden und durch acht übergeordnete Regierungsbezirke ersetzt oder doch überbaut werden. Der Kaiser hatte keinen Sinn für irgendeine Art von Selbstbestimmungsrecht und Autonomie, nicht der Länder, nicht der Gemeinden und der hohen Schulen, erst recht nicht der mächtigsten dieser Autonomien, der Kirche.

Mit dem Worte Josephinismus verbindet sich über allen anderen Vorstellungen, die sich dabei einstellen, die von dem Verhältnis von Kirche und Staat im Sinne des Vortrittes des Staates und der Einordnung der Kirche in die Staatsgewalt. Der Kaiser verfuhr dabei nicht durchaus als Neuerer. Schon Maria Theresia hatte bei aller persönlichen Frömmigkeit ihre Monarchenrechte in Kirchensachen mit jener sehr wohl vereinbar gefunden. Joseph verfuhr auch nicht als Freigeist. Der Papst selbst hat ihn den besten Katholiken genannt. Aber er verfuhr, wie er zum Unterschied von der Mutter auch sonst verfuhr. Er verlangte, ohne daß darum seine Kirchenerlasse etwa planmäßig vorbereitet worden wären, grundsätzlich, was die Mutter tatsächlich ausgeübt hatte. Er wollte sich in keiner Weise gegen die katholische Kirche, soweit sie Glaubenslehre und Seelsorge pflegte, gebrauchen lassen. Kircheneinheit war ihm vielmehr eine kostbare Förderung der Staatseinheit. "Die Aufrechterhaltung der alleinseligmachenden Kirche bleibt Seiner Majestät teuerste Pflicht und angelegentlichste Sorgfalt." Das vielgerühmte Toleranzpatent vom 13. Oktober 1781 bedeutet keine kirchliche Gleichstellung der Bekenntnisse, denn nur der "dominanten" Religion des Katholizismus wurde das Recht der öffentlichen gottesdienstlichen Übung gegeben. Aber für die staatsbürgerlichen Rechte sollte das Bekenntnis nichts mehr zu bedeuten haben. Die Kirche sollte dem Staate hier keine Schwierigkeiten bereiten dürfen, ihre Organe sollten vielmehr selbst staatlichen Charakter erhalten. Der Kaiser nahm das oberste Aufsichtsrecht des Staates über die Kirchenverwaltung, die Erziehung der Geistlichen rücksichtslos wahr; er durchschnitt die Verbindungen nach Rom, ließ die Berufungen nach dorthin untersagen, band die Verkündigung päpstlicher Erlasse [175] an die staatliche Erlaubnis. Papst Pius der Sechste rang sich den Entschluß ab, der Empörung des Staates in dem bisher kirchengetreuesten der großen Reiche mit einer Reise nach Wien, einem "verkehrten Canossa", zu begegnen, dachte an Berufung einer Kirchenversammlung nach Frankreich. Der Kaiser entzog sich dem im Frühjahr 1782 abgestatteten Besuche nicht, wie sein Kanzler ihm empfohlen hatte, aber er wich nicht um Haaresbreite aus den Linien seiner kirchlichen Politik, und auch bei seinem Gegenbesuch in Rom im Dezember 1783 hat ihn der Papst nicht anderen Sinnes machen können.

War schon Maria Theresia angesichts der oft wirklich unverhältnismäßig reichen Ausstattung kirchlicher Bruderschaften und Klöster, zumal im Gebiete der Lombardei, wo es dafür eine eigene Behörde gab, mit Klosteraufhebungen vorgegangen, so hat ihr Sohn nun an die vierhundert österreichische Klöster und ungefähr ebensoviel geistliche Bruderschaften erstmalig mit dem Novembererlasse 1781 aufgehoben, weil sie weder die Jugend erzogen, noch Schulen hielten, noch Kranke pflegten, sondern nur ein beschauliches Leben führten. Er hat den aus den gewonnenen Geldern eingerichteten Religionsfond vornehmlich zur Durchführung der umfassenden Neuregelung der Pfarren, derart, daß keine Ortschaft weiter als eine Stunde Weges von der Kirche liege, verwenden lassen. Allerlei religiöse Volksgepflogenheiten erschienen ihm unnütz, wenn nicht schädlich. War in allen diesen kirchlichen Angelegenheiten nur allzu vieles von Anfang an mit ungeschickten Händen und unnötiger Härte angefaßt worden, so war es, wie Katharina von Rußland wohl verstand, fast eine Torheit, durch einen Krieg gegen harmlose Herkommenheiten die Urtriebe der einfachen Menschen aufzureizen. Gerade in den kleinen Dingen hat sich der Kaiser am meisten vergriffen.

[176] Der neue Staat verlangte nach Rechtseinheit und Kircheneinheit. Der Kaiser hat der von der Mutter eingeleiteten Rechtsreform und Rechtsvereinheitlichung die ganze Lebhaftigkeit seines Geistes zugewendet. Wenn die Arbeiten zu einem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch unter ihm so wenig wie unter seiner Mutter zu Ende gediehen, so ist doch im Dezember 1787 dessen erster Teil fertiggebracht sowie im Januar ebendieses Jahres in Aufhebung der theresianischen Strafgerichtsordnungen ein neues Strafgesetz erlassen worden, das mit Aufhebung der Folter und Beschränkung der Todesstrafe auf äußerste Fälle die bittersten Härten des bisherigen Verfahrens beseitigte und dieses von feudaler Willkür zugunsten staatlicher Rechtspflege zu befreien begann, aber mit erschreckend grausamen Freiheitsstrafen doch viel mehr den Fanatismus des Verteidigers der beleidigten Staatsordnung als die verstehende Milde des Menschenfreundes kundgibt.

Eher noch als den Ehrentitel eines Rechtsreformers darf der Kaiser den eines Wirtschaftsförderers in Anspruch nehmen. Er ist auch hier nicht schlechtweg ein Programmatiker gewesen, war der Mann des gebietabschließenden, schützzöllnerischen, bis in alle Einzelheiten das Spiel der wirtschaftlichen Kräfte von oben herab zum Gleichgewicht ordnenden Merkantilismus ebenso wie der Mann der Physiokratie, dieses auf eine naturgesetzlich begründete bestmögliche wirtschaftliche Verfassung im Wege der besonderen Pflege der Landwirtschaft, aber auch schon im Wege einer Lastenbefreiung des Verkehrs und der Industrie gerichteten Systems. Er war Schutzzöllner nach außen und Feind des Zunftzwanges und der Binnenzölle nach innen. Es entsprach ihm, daß die Finanzverwaltung und Wirtschaftspolitik des Staates im Sinne eines rücksichtslosen Fiskalismus geführt wurde, und lange Jahre konnte dabei das schließlich durch den unglücklichen Türkenkrieg zerstörte Gleichgewicht im Staatshaushalt behauptet werden. Er war der Nachfahre und Erbe der Ideen seiner Mutter, als er mit dem Allerheiligentage 1781 das Werk der Bauernbefreiung verheißungsvoll eröffnete, das, wenn nicht die Freiheit des bäuerlichen Besitzes von der Grundherrschaft, so doch die Freiheit der

Holzstich nach 1835.
Kaiser Joseph II. führt den Pflug.
Holzstich nach 1835. [Nach wikipedia.org.]
bäuerlichen Person von deren Willen bedeutete, und setzte es mit umfassenden Steuervereinheitlichungsgesetzen wirksam und ertragreich fort. Das Bild, das den Kaiser hinter dem Pfluge zeigt, rühmt mit Recht die guten Werke, die er mit seiner vielbekämpften "vernichtenden physiokratischen Reform" als "Bauerngott" für Landwirtschaft und Landleute eröffnet und vollbracht hat.

Als feste Klammer sollte diesen hart zusammengefaßten Staat die Gemeinsamkeit der Sprache umspannen. Niemals standen die österreichischen Gesamtlande so sehr unter dem Zeichen einer Durchdringung mit deutscher Sprache als in diesen Tagen. Nachdem die kluge Mutter Österreich in ungeahntem Maße deutsch gemacht hatte und überall die deutsche Gesellschaftssprache in Geltung gekommen war, konnte der Versuch, die bisherige behutsame durch eine entschlossene Germanisation abzulösen, hoffnungsvoll erscheinen. Es war wieder die Staatsräson, nicht etwa ein Nationalismus, der diese Richtung wies. Joseph hat den lateinischen [177] Ländern Belgien und Mailand mit ihrer überlegenen Kultur die deutsche Sprache nicht auferlegen und auch in den Ländern geringerer Kulturen die Heimatfreude und Volkspflege durch sie nicht behindern, er hat nur ein naturnotwendiges Staatsbindemittel schaffen wollen. Er sagte, wenige Tage bevor er am 18. Mai 1784 für Ungarn und hernach über die Gesamtlande ausgedehnt die deutsche Sprache als Staatssprache anordnete, er würde für Ungarn die ungarische Sprache angeordnet haben, wenn diese von der Mehrheit der Bewohner dort gesprochen würde; das aber sei nicht der Fall. Er sagte am Tage selbst, er ordne die deutsche Sprache als Universalsprache seines Reiches an, denn er sei deutscher Kaiser, und demzufolge seien die übrigen Staaten, die er besitze, nur Provinzen. Man nimmt wahr, daß er nicht ohne Bedacht und Studium zu dem Erlasse gekommen ist. Und doch darf man sagen, daß Maria Theresia, indem sie in Ungarn die hergebrachte lateinische neben und über der deutschen Verwaltungssprache hatte bestehen lassen, der deutschen Sache förderlicher gehandelt hat als Kaiser Joseph durch seine ausschließliche Festlegung der deutschen Amtssprache.

Um so ersprießlicher war für das Deutschtum, was er auf anderem als politischem Felde unternommen hat. Er hat mit vielem Verständnis das seit Jahrzehnten eingerichtete, aber besonders unter ihm mit Eifer durchgeführte Werk der Besiedelung und Bestiftung seiner östlichen Lande mit deutschen Kolonisten und deutschen Schulen gepflegt, und wenn die Schule schon für seine Mutter ein Politikum, eine Staatserzieherin, gewesen ist, die Heranbildnerin gleichmäßig erzogener Untertanen, so erkannte er wohl, was sie auch durch die Verbreitung der deutschen Sprache für die Staatseinheit würde leisten können. Gewiß, er ist bei aller Fürsorge den Schulen, je höher, um so empfindlicher, ein oft

Die Josephinische ‘'Medico-Chirurgische Militär-Academie'‘ in Wien.
[175]      Die Josephinische "Medico-Chirurgische
Militär-Academie" in Wien.

Nach einem Stich von Carl Schütz.

[Bildquelle: Georg Massias, Berlin.]
rauher Herr gewesen, hat sie nur allzu sehr als Staatsdrillanstalten genommen und reichlich mit Zwang und Dürre beladen. Früchtereich war sein Walten darum doch, und zumal in der öffentlichen Gesundheitspflege liefen sein Sinn für das Staatswohl und seine rein menschliche Besorgtheit um die Kranken segensvoll zusammen. Die Gründung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien und die Erhebung der Wiener Medizinischen Schule sind unauflöslich mit seinem Namen verknüpft.

Das Josephinum.
Das Josephinum wurde 1784 von Kaiser Joseph II. als Akademie zur Ausbildung von Ärzten und Wundärzten für die Armee gegründet und 1785 eröffnet.
[Nach josephinum.ac.at.]

Der Kaiser hat wohl erkannt, wie zur Kolonisation und Schule auch die Kunst, im besonderen die darstellende Kunst, der die ganze Anlage seiner Völker entgegenkam, der deutschen Durchdringung seiner Lande förderlich sein müsse. Wenn er im März 1776 das Burgtheater aus einem französischen Komödienhaus in ein der deutschen Schriftsprache gewidmetes Nationaltheater umwandelte und wenn sich damit eine fruchtbare Scheidung zwischen diesem hochdeutschen und nur dem Worte des Dichters gegenüber den freien Einfällen des Schauspielers gehorchenden Burgtheater und dem der hergebrachten volkstümlichen Stegreif- und Dialektkomödie vorbehaltenen Kärtnertortheater ergab, so bedeutete das eine und das andere eine lebendige Tat für deutsche Sprache und deutsche Kunst. Joseph liebte im Grunde die Schriftsteller nicht; die Zensurbefreiung, die [178] er unternahm, blieb in der Mitte stehen, aber er hat das geschriebene Wort doch freier gemacht als bisher. Er hatte vollen Sinn für die hoch aufsteigende deutsche Musik; Mozart glaubte sich gewiß, daß der Kaiser an ihn glaube. Wenn Wien, weil Joseph zu kalt und Maria Theresia zu einfach dafür war, nicht die Geisteshauptstadt von Deutschland wurde und der Kaiser kein "Karl der Große der Wissenschaften", wie Klopstock ihn begrüßte, aus Wien gingen doch deutsche Sprache, deutsche Dichtung, deutsche Zeitung, deutsches Theater weit hinaus in die nichtdeutsche Welt ringsherum. Österreich wurde zum "Treuhänder deutscher Bildung" im russisch-deutschen Zwischenraum, und Kaiser Joseph mag heute noch bewegten Herzens bedankt sein für alles, was aus dieser deutschen Stadt mit der Fülle ihrer in langwährender politischer und geistiger Gemeinschaft mit nichtdeutschen Reichsgenossen gewonnenen Erfahrung und mit ihrer Kunst der Anpassung zugleich und Beharrung für das deutsche Volk an Geisteswerten wird gewonnen werden können.

Joseph der Zweite ist ein Sohn jener durch einen jahrhundertlangen Rationalisierungsprozeß vorbereiteten Verstandeskultur, deren Gipfelherrschaft als Aufklärung die geistige Gesamthaltung des Abendlandes durch mehr als ein Jahrhundert bestimmt und, einmal ganz Kritik, Auflösung, Verneinung, und dann wieder ganz Schöpferfreude, Gestaltungslust, Bejahung, den Verstandeserkenntnissen unermeßliche Künste der Weltverbesserung und Welterlösung zugetraut hat. Man dürfte dem Kaiser sowie seinem Kanzler einen Platz in Mitte dieser Geistesbewegung weisen, mochten auch ererbtes Fürstengefühl und Eroberungslust ihm den je später je stärker die Aufklärungszeit durchwaltenden Gedanken des Gleichgewichtes in Politik, Wirtschaft und Lebensform nur sehr bedingt annehmbar machen. Wie wenig scheint es am Platz, ihn nicht einen Aufklärer nennen zu wollen, weil ihm die schon einem anderen Staatsideal zudrängende Halbphilosophie des vorrevolutionären Frankreichs nicht nach dem Geschmack war, oder gar ihn einen Realpolitiker zu heißen, weil nicht alles, was er unternahm, aus vorher festgelegten Plänen hervorging und weil er auf Reisen und einsamen Wegen im Volks- und Weltgetriebe lebendige Einsichten suchte, die er dann doch nur als rationalistische Lehren für seine volksbeglückenden und zugleich volksbezwingenden Gedanken verwendete. Er gehört jener Art von freiheitsstolzen Menschen zu, die mit der unfehlbaren Rechenmaschine ihres Verstandes alles, was Leben heißt, in greifbare Formeln auflösen zu können vermeinen und durch deren Seele doch der Widerspruch der einmal abbauenden und einmal aufbauenden Aufklärung geht. Die weltverächterische Einsamkeit der absoluten Führergewalt des Fürsten will sich mit dem Drange nach Umbildung einer bisher zu Unrecht nach Ständen und Gruppen verkasteten Welt zu einer freien und darum glücklichen Gemeinschaft rechtlich und gesellschaftlich gleicher Individuen nicht auf einen Nenner bringen lassen. Dieser Widerspruch, der Joseph einmal als Despoten und einmal als Menschenfreund, einmal als Absolutisten und einmal als [179] Demokraten erscheinen läßt, löst sich aber unschwer in die Grundvorstellung auf, daß der Herrscher als Beauftragter Gottes und der Vernunft das moralische Gesetz in sich trage und ihm den Gehorsam zu versagen Sünde gegen Volkswohl und Weltgeist sei. So war er denn aus seinem halb aus den Gedanken anderer, halb aus eigenen Ideen heraus gestalteten Gedankengebäude durch nichts zu verdrängen, weil die allgemeine Wohlfahrt verbiete, es zu verlassen. Gegenvorstellungen konnten ihn nur erreichen, wenn man es fertigbrachte, sie ihn nicht merken zu lassen. Am ehesten war er durch die Erweckung der Furcht zu bestechen, ohne Geist zu erscheinen, und seine Mutter hatte ihn in einem der berühmtesten ihrer Briefe eine Geisteskokette genannt. Außerstande, aus der kalten Luft der Grundsätzlichkeiten in die warme Lebendigkeit persönlicher Einzelerlebnisse herabzusteigen, handhabte und vertrat er mit Hochmut, Hast und Härte sein System einer Weltordnung und war im übrigen den Verfechtern seiner Gedanken so wenig hold wie deren Gegnern, diesen wegen ihrer Einsichtslosigkeit, jenen wegen ihrer Liebedienerei.

Man wird kaum ein inneres Verhältnis zu Wissenschaft und Kunst bei ihm finden. Wie alles andere hatten auch sie dem Staate zu dienen. So entsprang auch sein Deutschtum erst dem Staatsverstande und dann dem Volksgefühle, und nationaler Gemütsbewegung, wie sie seine dem deutschen Geistesleben viel hilfloser als er gegenüberstehende Mutter ergreifen konnte, wird man bei Kaiser Joseph kaum begegnen. Ob er je auch nur eine Stunde zu etwas wie Freude an seinem Werk gekommen ist? Als Grundsatzmensch, der die Ergebnisse seiner Arbeit nicht erwarten wollte, hat er, schon aus Furcht, es könnten andere aus den dunklen Tiefen des Volkslebens aufsteigende Gedanken, es könnten die halbgeborenen Ideen der Menschenrechte und der Volkssouveränität ihm seine Königsidee verderben, nach König Friedrichs Wort so leicht den zweiten vor dem ersten Schritt getan, und alle heldenmütige Hingegebenheit an seine Sendung, alle bis zur Selbstaufopferung gesteigerte Arbeitsbegierde hat keinen Vater des Vaterlandes aus ihm machen können. Er hatte so gar nicht die österreichische Gabe, sich die Arbeit zum Genuß zu gestalten, nahm, was einer tat, immer nur kalt als Pflicht, die sich von selbst verstand; er hatte so wenig Liebe zu vergeben gegen seine Diener und seine Getreuen und seine Geschwister, war "der Schätzer der Menschen" in wohlgemeinten, aber herzenskalten Handlungen, war nur allzu oft der Mann der unliebenswürdig gespendeten Wohltaten und des rücksichtslosen Glückseligkeitsfanatismus, so wie er ihn verstand und er allein.

Würde ihm sein Werk allen Widerständen zu Trotz wenigstens in seinen Grundlinien gelingen? Es hing doch gutenteils davon ab, daß er kraftvoll und gesund genug bleiben werde, für Gedanken und Worte Taten zu setzen. Eben das war nicht der Fall. Er war in seiner Jugend wohlgebildet, fast stattlich gewesen; die strahlenden blauen Augen entzückten jedermann. Aber wie schon der Mutter der Ernst des Lebens allzu früh genaht war, so legte sich auch auf des Sohnes [180] Jugendfrische nur zu bald der Reif. Er hat sich von den Freuden der Welt wenig gegönnt. Ist jemals wahre Heiterkeit in seine Seele gekommen? Religion und Frauenliebe konnten ihm kein Trost des Lebens werden. Er hat seine beiden Gemahlinnen, die eine, Isabella von Parma, nach kurzem zärtlichem Eheglück, die andere, Josepha von Bayern, nach liebeleerem Beisammensein, früh verloren; das Töchterchen aus der ersten Ehe ist bald der Mutter nachgefolgt; sonst hatte keine Kinder. Die Frauen aber, was auch die Mutter um eine neue Ehe sich Mühe gab, haben ihm nichts mehr bedeutet.

Dem Vierzigjährigen gehorchte dann die bis zur Unvernunft mit Tätigkeit belastete Gesundheit nicht mehr. Als er im Herbst 1787 zum zweiten Besuch zur Zarin Katharina fuhr, war er schon lungenkrank. Ein Jahr später kehrte er als verlorener Mann aus dem Türkenkriege nach Hause zurück. Er wird nie wieder genesen. Und er hätte es so nötig gehabt, gesund zu sein. Überall in seinen Ländern, besonders aber dort, wo die Traditionen von Selbstverwaltung und adeligem Ständerecht von alters her lebhaft waren, in den belgischen Niederlanden und in Ungarn, kam eine Gegenbewegung auf, und schließlich brannte in aller Form der Aufruhr empor. Die Gedanken der Französischen Revolution, auswärtige

Joseph II. und sein Bruder Leopold.
[176a]    Joseph II. und sein Bruder Leopold von Toskana, der spätere Kaiser Leopold II. von Österreich. Kupferstich, 1775, nach dem Gemälde von Pompeo de Battoni.
[Bildquelle: Österreichische Lichtbildstelle, Wien.]
Agenten schürten das Feuer. Als ungarischer Thronanwärter und briefführender Minister machen Karl August von Weimar und Goethe etwas seltsame Figur. Die Belgier beraubten den Kaiser seiner Souveränität, die Ungarn erzwangen den Widerruf der ihnen auferlegten Ordnungen, die Rückgabe ihrer Krone. In den tiefsten Gründen seiner Gedankenwelt getroffen, von niemandem bedankt, hilflos und in Schmerzen an das Krankenlager gefesselt, durfte der sterbende Dulder sich mit traurigem Rechte den unseligsten der Sterblichen heißen. Er hatte Österreich wieder groß machen wollen in Deutschland und sah nur Preußen emporsteigen. Er hatte seine Lande zusammenbinden wollen und sah sie auseinanderfallen. Er hatte seinen Königsgedanken hochgehalten und sollte sich seinen Untertanen beugen. So ist in den Frühstunden des 20. Februar 1790, nachdem er in einem der allerletzten Briefe fast mit Zärtlichkeit den Staat und seine Ordnungen dem Bruder empfohlen, den er herbeirief und der ihn nicht mehr lebend antraf, Kaiser Joseph der Zweite, von kaum einem Worte der Freundlichkeit in die Ewigkeit begleitet, gestorben.


Die Geschichte, die der Erinnerung an Kaiser Joseph gerecht werden muß, gestaltet ein anderes Bild von ihm als die Legende, die sein Andenken preisend erhebt. So drängen sich bei Betrachtung seines Lebens und Werkes immer wieder die Fragen nach Schuld und Schicksal herauf. War wirklich nur er allein der Schmied seines Geschickes? Hätte er die Mißgeschicke der von seinem Kanzler so gutgeheißenen Russenpolitik, die Beladenheit mit dem deutschen Dualismus von Österreich und Preußen, den Hereinbruch der Ideen und der Tatsache der Französischen Revolution, die ganze Summe der Widersprüche und Gegenkräfte [181] innerhalb seiner Lande, die alle sein Werk stören und zerstören halfen, voraussehen, ändern, hindern können? Wäre der Nationalismus nicht auch ohne ihn über seine Lande gekommen? Hat es nicht einen tiefen Sinn, wenn Herder, der von ihm ein Vaterland, ein Gesetz und eine schöne Sprache für die Deutschen verlangte und erwartete, ihn als ein "Sühneopfer der Zeit" bemitleidet? Ist endlich nicht eine ganze Fülle von seinen Einrichtungen und Gedanken in Bestand und Wirksamkeit geblieben tief in das kommende Jahrhundert hinein und mittelbar bis heute? Er starb im Haß und stieg auf zur Verklärung.

Die Zeitgenossen sahen nur die Gewaltsamkeit seines Werkes und nicht die Reinheit der Gedanken, die ihn dazu trieben. Die schöpferische Volksphantasie der Nachwelt trug in das aus dem kalten Verstand geschaffene Werk die Wärme eigenen Empfindens hinein. Ihr bleibt Kaiser Joseph der hohe Herr, der den Pflug des freien Landmannes über die freie Ackererde geführt, der mit seinen gebieterischen Worten Recht und Unrecht bei hoch und niedrig gesondert, der das köstliche Gut der Glaubensduldung gebracht und dem deutschen Volke in Österreich hat geben wollen, was Gott ihm bestimmt hat.

Dieses Bild der Legende kann nicht das der richtenden Geschichte sein. Wird es aber nicht unverlöschbar in die Seelen der Nachlebenden geschrieben bleiben und soll es nicht auch den Geschichtschreiber mahnen, daß er stets der Gegebenheiten eingedenk bleibe, die diesen Kaiserbefreier unentrinnbar umfingen?




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz