[Bd. 2 S. 581]
Die Blücher, ein altes mecklenburgisches Geschlecht, dessen Name im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts auftaucht, saßen in Mecklenburg, Holstein, Dänemark und Pommern, reich an Kriegstaten und Landbesitz. Des Junkers Vater freilich war nicht gesegnet mit Glücksgütern. Er lebte mit den zahlreichen Seinen in einem engen Hause in der Hansestadt Rostock von einer kargen Rente des Schweriner Herzogs, nachdem er als Rittmeister den hessen-kasselschen Dienst quittiert hatte. Die jungen Söhne versuchten alle das Soldatenhandwerk, in mecklenburgischen, preußischen oder dänischen Diensten, wie es sich gerade ergab. Der Übertritt von der einen auf die andere Seite war keine Schande, und es war das Natürlichste von der Welt, daß der Junker von Blücher von den Schweden, zu denen er mehr durch Zufall als durch wohlüberlegte Absicht gekommen war, zu den Preußen hinüberwechselte. Blücher hatte keinen Grund, seinen Schritt zu bereuen. Noch 1760 wurde er Leutnant und schon ein Jahr darauf Premierleutnant – er war erst neunzehn Jahre. Sein Regiment blieb zunächst auf dem "schwedischen" Kriegsschauplatz, bis der Schwede vom Kampf abließ. Dann wurde es in Mitteldeutschland eingesetzt, unter dem Oberbefehl des Prinzen Heinrich und unter Seydlitz. Unter des großen Friedrich Augen zu fechten, war dagegen Blücher nicht vergönnt. Es gibt ein Bild des zwanzigjährigen Blücher in der reichverzierten schwarzen Uniform der Belling-Husaren, schlank und aufrecht, die schmucke Pelzjacke leicht über die Schulter geworfen, die hohe Filzmütze mit dem Totengerippe neben sich; die Gesichtszüge, auch in der konventionellen Haltung, sind scharf, beherrscht von einer vorspringenden Nase; nicht ohne Ähnlichkeit im ganzen mit dem Antlitz, das uns aus den Bildern des Marschalls geläufig ist; selbstbewußt und stolz, ein Mann, der sich an seinem Platz weiß. Als dann König Friedrich endlich seiner Feinde Herr geworden und einen Frieden zustande brachte, nahm das Kriegsleben ein Ende. Auch Blücher wird wie sein [582] Oberst zum lieben Vater im Himmel gebetet haben, er möge bald wieder "einen gelinden Krieg" bescheren. Denn was sollte ein Soldat wie Blücher im Friedensquartier? Es zeigte sich bald: Spiel, hohes Spiel, Frauen, Jagd, Händel – denn der Säbel saß ihm gar locker – waren der Inhalt dieser Friedenszeit in Hinterpommern. Es war schon eine Hoffnung, als es im Zusammenhang mit der ersten Teilung Polens 1770 an die polnische Grenze ging. Aber die Lockerung der Disziplin im besetzten Gebiet hatte mancherlei üble Folgen. Das Regiment zog sich des Königs Ungnade zu. Auch Blücher selbst machte sich mißliebig. So wurde eine freiwerdende Schwadron, die Blücher hätte zufallen müssen, einem eingeschobenen Premierleutnant übergeben. Er verlangt seinen Abschied, und in der Regimentsliste vom Januar 1773 findet sich der Vermerk, daß der Rittmeister von Blücher "kassiert" worden. Die polnischen Jahre brachten indessen Blücher die Frau. Deren Vater gab die Möglichkeit zum Aufbau einer landwirtschaftlichen Existenz. Alle Versuche, die Wiederindienststellung zu erwirken, führten nicht zum Erfolg. Friedrich korrigierte sich nicht leicht. Erst nach dessen Tode trat Blücher als Major wieder ein. Noch 1787 sieht es nach Krieg aus, aber es wird nur ein militärischer Spaziergang nach Holland. Aber dann wetterleuchtet es in Frankreich: Revolution und Intervention; jetzt wird der Soldat auf seine Kosten kommen. Blücher, als Husarenoberst in der Armee des Herzogs von Braunschweig, tut sich überall hervor: ein zweiter Zieten. In den Feldzügen von 1793 und 1794 bringt sein Regiment allein 4000 Gefangene ein, 1500 Pferde, 5 Fahnen und 11 Geschütze, ohne selber nennenswerte Verluste zu erleiden. Nach dem Basler Frieden von 1795 steht Blücher in Ostfriesland. Widrige Geldverhältnisse – seine Spielleidenschaft war auch im Feldzuge nicht zu kurz gekommen – ließen ihn trübe in die Zukunft schauen. Jetzt, wo es galt, sich wieder in geordnete Verhältnisse hineinzufinden, spürte er, durch die Anstrengungen des Krieges geschwächt, empfindlich den Verlust seiner Frau, die 1791 gestorben war. Nach einem vergeblichen Versuch, durch eine Geldheirat sich zu rangieren, heiratete der Dreiundfünfzigjährige die 22jährige Amalie von Colomb, die ihm als "sein liebes Malchen" bis zu seinem Tode zur Seite gestanden hat. Ein Jahr nur währte der Aufenthalt in Emden, dann rief ihn der Dienst in die rheinischen Provinzen Preußens und nach Münster, dessen Einverleibung in den preußischen Staat er im Jahre 1802 durchführte. Im katholischen Münsterlande waren die "lutherischen" Preußen nicht gern gesehen, aber der General Blücher gewann auch hier eine gewisse Volkstümlichkeit, die seinen dienstlichen Obliegenheiten von Nutzen war. Seine Einfachheit und Natürlichkeit machten ihn bald zum erklärten Liebling namentlich der mittleren und unteren Stände. Mit dem zurückhaltenden Adel wußte er ebenfalls vortrefflich umzugehen. Er tat, als merke er von der Abneigung gegen die "Prüssen" gar nichts, war lustig, arglos und zuvorkommend gegen jedermann. Gegen die Damen der vornehmen Gesellschaft konnte [583] er, wenn er wollte, von einer gewinnenden Galanterie sein. Aber er zog oft ihrer Gesellschaft den Umgang mit Schauspielerinnen und Damen auch zweifelhaften Schlages vor. Mit jugendlicher Frische gab er sich auch derben Freuden hin. Trinkgelage sind an der Tagesordnung. Maßhalten gab es nicht. Immer wieder trieb es ihn an den Spieltisch; er konnte keine Karten liegen sehen. Er gewann viel und verlor mehr; ihm machte es nichts – wenn er nur spielen konnte. Die Schulden häuften sich. Doch zeigte das Leben Blüchers in Münster auch andere Züge. Hier war es, wo Blücher dem Freimaurerorden, dem er seit 1782 angehörte, seine lebhafte Teilnahme zuwandte. Er ist ihm, dessen Bedeutung für die Geschichte jenes Zeitabschnittes wesentlich ist, zeitlebens treu geblieben. Es liegt auf der Hand, daß die Zugehörigkeit zu dem Bunde ihm Türen öffnete, die ihm sonst verschlossen geblieben wären. Unvermindert galt sein Eifer dem Wohl seiner Truppen. Er sorgte für sie mit väterlicher Hingabe und erwarb sich ihre Zuneigung. Er glaubte an ihre alte Schlagfertigkeit und sehnte die Möglichkeit herbei, sie erneut zu erproben. Sie schien da zu sein. 1803 begann der Krieg zwischen England und Frankreich von neuem. Indessen blieb Preußen neutral, auch als 1805 Österreich und Rußland in den Krieg gegen Napoleon eintraten. Es hielt am Frieden fest – bis es nach Napoleons Sieg bei Austerlitz zu spät erkannte, daß es zu den Besiegten gehörte. Die drohende Gefahr eines plötzlichen Überfalles ließ Blücher in Friedrich Wilhelm III. dringen loszuschlagen, wie er schon lange vor Austerlitz zur Aufgabe der Neutralität geraten hatte. Am 25. Juli 1806 schreibt er, in seiner wunderlichen Orthographie, seinem König: "Jeder tag früher wo wihr Frankreich den Krieg erklären – ist der größte gewin vor Eurer Königl. Majestadt, den mit ieder Stunde befestiget der französische Kaiser sein ansehen, seinen einfluß – seine usurpirte Sterke mehr. Führen Euer Königl. majestad nur selbst unsre brave armee, die von den Wunsch glüht – die franzosen zu bekrigen und die Menschheit an diese Reuber zu rächen... Nur eine glücklige Schlacht – und wir haben allirte, gelld und Resourcen von allen orten und Enden Europens ... Wir werden die Schönen, ehrenvollen Zeitten Friedrichs des Großen und des großen Churfürsten wieder empohr blühen – werden unser Vaterland, werden den Namen Preußen wider geehrt – und unsere armee wider gefürchtet und geehrt sehen." Aber alle Hoffnungen wurden bei Jena und Auerstädt zu Boden geworfen. In dem Hin und Her der Niederlage und des Rückzuges zeichnete sich Blücher, dem der König den letzten Einsatz der Reserven verweigert hatte, als einer der Tapfersten und Kühnsten aus. Er sammelte versprengte Truppen um sich, gewann die Handlungsfreiheit wieder und konnte sich der Umklammerung durch die Franzosen entziehen. Aber in der völligen Verwirrung aller übrigen Truppenteile und bei der Widerstandslosigkeit der preußischen Festungen blieb der kühne Zug nach Lübeck, der unsägliches Elend über die Stadt brachte, ohne Erfolg; nach [584] verzweifeltem Straßenkampf mußte sich das ausgehungerte und erschöpfte Korps Blücher gefangengeben. Scharnhorst hatte Blücher auf diesem Zuge begleitet, um ihn fortan nicht wieder zu verlassen. Auch der Oberst von Yorck focht mit seinen Jägern in Lübeck. Der Besiegte von Lübeck, mochten ihn auch die unglücklichen Bewohner dieser Stadt verwünschen, erweckte höchste Bewunderung. Seine Tat, inmitten der allgemeinen Verzagtheit, erwies, daß noch der Mut nicht gänzlich aus dem Heere Friedrichs des Großen gewichen war. Aus der Gefangenschaft, die er, auch von seinen Gegnern geehrt, in Hamburg verbrachte, wurde er im April 1807 durch Austausch befreit. Der Weg zur preußischen Armee führte über das französische Hauptquartier: Napoleon wünschte in Schloß Finkenstein den berühmten General zu sehen, der von den Franzosen als eine Art Sehenswürdigkeit angestaunt wurde. Napoleon, der durch Blücher auf Friedrich Wilhelm im Sinne eines Sonderfriedens und einer Trennung von den Russen einwirken wollte, verstand es, ihn zu beeindrucken: "Hört, Kinder! Das ist ein verfluchter Kerl; er war so scharmant, daß ich gar nicht an einen Haß gegen ihn dachte", hat er zu seinen Begleitern geäußert. Aber von Freundschaft mit Frankreich wollte er nichts wissen, auch nicht, als er im russischen Hauptquartier die Lauheit der Verbündeten kennenlernen mußte. Mit 30 000 Mann, machte er sich anheischig, werde er die Franzosen an die Oder zurückwerfen. Politisch setzte er seine Hoffnung auf Stein, den der König im Januar 1807 von sich gestoßen hatte, dessen Rückkehr aber Blücher voraussah. In Münster hatten beide unter einem Dache gewohnt. Er schrieb ihm: "Ihnen, mein verehrter Freund, beschwöre ich, zu uns zu kommen, so ballde sie verlangt werden, waß gewiß geschehen wird; sind wihr (er hatte vorher von Hardenberg und Schön gesprochen) durch ihnen versterckt, so sollen uns die noch übrigen an geist und leib kranken Faultihre keinen Schritt Terain mehr streitig machen..." Aber Blücher erhielt weder 30 000 Mann, noch war Steins Stunde schon gekommen. Er erhielt vielmehr Befehl, im schwedischen Vorpommern ein Heer aufzustellen, das im Verein mit schwedischen Truppen von Westen her Hilfe leisten sollte. Aber bevor sich die Schweden zur Aufgabe ihrer Neutralität entschließen konnten, kam es zum Tilsiter Frieden. Alle Aussicht auf baldige Änderung der Lage war dahin. "Ihr Brief kostet mich heiße Tränen!" schrieb Blücher auf die Nachricht vom Friedensschluß an Hardenberg. "Was wird aus uns werden? Möge der Herr von Kalckreuth mit seinem Frieden in die Hölle gehen!" Aber er wollte an die Zukunft glauben. "Der deutsche Mut schläft nur, sein Erwachen wird fürchterlich sein." Vorerst saß er mit seinen Truppen im hintersten Pommern, ein gefesselter Held, im Herzen die Hoffnung auf Krieg. Die Luft dieses unechten Friedens machte ihn krank, körperlich und geistig. Seine Freunde hatten es nicht leicht mit dem Alten, den die Besten liebten und der sich Todesahnungen hingab. Aber der [585] patriotische Wille, der in ihm loderte, half über alle Trübungen des Geistes und Erschlaffung des Körpers hinweg. Es war nicht nur ein Fieberwahn, wenn er seiner Umgebung schilderte, wie es künftig in der Welt kommen müsse, wenn er selbst mit Heeresmacht den französischen Kaiser stürzen, Deutschland befreien und den König in sein Land zurückführen werde. "Napoleon muß herunter, und ich werde helfen; eh das nicht geschehen ist, will ich nicht sterben." Er glaubte fest an seinen hohen Beruf und dessen nahe Erfüllung. Mochten auch seine Gegner beim König gegen ihn intrigieren, seine Freunde hielten um so treuer zu ihm. Scharnhorst schrieb: "Ew. Exzellenz Brief hat mir unbeschreibliche Freude gemacht; alle sagen und alle schreiben, und ich sehe es aus Ihrem eigenen Schreiben, daß der Geist nichts gelitten. Sie sind unser Anführer und Held, und müßten Sie auf der Sänfte uns vor- und nachgetragen werden, nur mit Ihnen ist Entschlossenheit und Glück." Wohl zog sich die Krankheit noch über Monate hin, aber er ging verjüngt aus der Krise hervor. Im April 1809, wieder völlig im Besitz seiner Kräfte und seiner Heiterkeit, schreibt er an den Grafen Goltz, der im Feldzug sein Adjutant gewesen war: "Von meiner unglücklichen Krankheit bin ich so geheilt, daß ich weit gesunder bin, wie ich nie war; ich habe solchen appetit zum Essen, daß ich mich alle Augenblicke den Magen verderbe, und ob ich gleich wie ein Scelett war, so habe ich doch schon so zugenommen, daß ich stärker wie zuvor bin. Übrigens geht wieder alles nach alter Weise, des Morgens treibe ich meine Geschäfte und dann genieße ich unter Freude das Leben; Cartte biege ich nach alter Weise. Um mich habe ich lauter guhte Menschen." Es kam die Zeit, in der Österreich den Kampf gegen Napoleon wieder aufnahm. Napoleon focht, nicht sehr mit Glück, in Spanien, die Zeit schien günstig. Die Tiroler stehen auf, Schill führt von Berlin seine Reiter zu kühnem Handstreich gegen den Feind. Auch Blücher hält die Stunde für gekommen. Er wendet sich an den König, erhält aber scharfe Verweise. Auf seine Forderung, ihn zu verabschieden, antwortet der König jedoch mit Beförderung. "Noch gebe ich eine kleine Frist", lesen wir in einem Briefe, "ordnet es sich dann nicht, so gehe ich... Trage Fesseln, wer da will, ich nicht." Nach der Niederlage von Aspern schien Napoleons Unüberwindlichkeit dahin. Wagram hielt Blücher für einen Scheinerfolg. Wieder drang er in den König, den Österreichern zu Hilfe zu kommen. Der Brief ist vom 18. Juni 1809: "Genehmigen E. K. M., daß ich mit einem Corps Ihrer Truppen über die Elbe gehen darf, so bürge ich mit meinem Kopf dafür, daß ich die von uns getrennten Provinzen wieder in Besitz nehme. Findet mein Vorschlag nicht den allerhöchsten Beifall, so habe ich mein Herz erleichtert und mein Abscheu, fremde Fesseln zu tragen, dargetan. Ich bin frei geboren und muß auch so sterben." Abermals wies ihn der König ab, und Österreich war einen Waffenstillstand eingegangen. Noch war die Zeit nicht gekommen. Aber dann zerbrach die unnatürliche Freundschaft zwischen Napoleon und Alexander, die 1808 zu Erfurt aller Welt kundgetan war. Von neuem bestürmte Blücher den König. [586] Er hatte die Freude, zu sehen, daß der König Anstalten machte, die Rüstungen zu beschleunigen. Aber als sie in gutem Fortgehen waren, wurde der rasche Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und Frankreich zur Gewißheit. Nun forderte Napoleon von Preußen die klare Entscheidung, für oder wider ihn. Die anfänglich feste Sprache Preußens verwandelte sich wieder in Nachgeben. Die Rüstungen sollten aufhören; Blücher kehrte sich nicht daran. Die Franzosen verlangten die Abberufung des Generals, und am 11. November 1811 empfing Blücher seinen Abschied. In Preußen befahl Napoleon. Bald trat Preußen in aller Form in die Gefolgschaft des französischen Kaisers. Während Napoleon mit seinen Heersäulen nach Rußland marschierte, Meile um Meile, lebte der entlassene General von Blücher, den das Schicksal bestimmte, an des Kaisers Sturz so großen Anteil zu nehmen, in Breslau und vertrieb sich die Zeit, so gut es ging, mit Spiel und Wein, die er beide liebte. Die Freunde, die zahlreich die preußische Armee verließen und nach Rußland gingen, nahmen ihren Weg über sein Haus. Die ängstlichen Gemüter mieden ihn und sonderten sich von ihm ab, der nicht abließ, die "verbündeten" Franzosen zu verwünschen. Mit dem Strom der Rußlandfahrer kam auch Arndt nach Breslau. Ihm danken wir ein prächtiges Bildnis des siebzigjährigen Blücher; kein Maler hätte es besser vermocht, ihn zu schildern. "Trotz seines Alters", so beginnt er, "trug er eine herrliche Gestalt, groß und schnell, mit den schönsten, rundesten Gliedern vom Kopf bis zum Fuß, seine Arme, Beine und Schenkel noch fast wie eines Jünglings scharf und fest gezeichnet. Am meisten erstaunte sein Gesicht. Er hatte zwei verschiedene Welten, die selbst bei Scherz und Spaß, welchen er sich frisch und soldatisch mit jedem ergab, ihre Farben nicht wechselten: auf Stirn, Nase und in den Augen konnten Götter wohnen, um Kinn und Mund trieben die gewöhnlichen Sterblichen ihr Wesen. Daß ich es sage: in jener oberen Region war nicht allein Schönheit und Hoheit ausgedrückt, sondern auch eine tiefe Schwermut, die ich der schwarzdunklen Augen wegen, die der finstern Meeresbläue glichen, fast eine Meerschwermut nennen möchte; denn wie freundlich diese Augen auch zu lachen und zu winken verstanden, sie verdunkelten sich oft auch plötzlich zu einem fürchterlichen Ernst und Zorn. Mund und Kinn aber gaben einen ganz andern Eindruck, obgleich in den äußeren Formen mit den oberen Teilen des Gesichts in Übereinstimmung. Hier saß immer die Husarenlist gesammelt, deren Zügenspiel bisweilen sogar bis in die Augen hinauflief, und etwas wie von einem Marder, der auf seinen Fang lauscht." Blücher sah die Erfolge Napoleons, sah sein unaufhörliches Vorrücken in das weite Rußland, an seinen Sieg hat er nicht geglaubt. Und hätte der Kaiser mit seinen Heeren den Erdball umspannt, Blüchers Glaube an die Vergeltung hätte dennoch standgehalten. Es war wie eine Besessenheit in ihm. Dann kündeten die Flammen in Moskau, daß sich das Schicksal wenden wollte. [587] "Mich juckts in alle Finger, den Säbel zu ergreifen. Wenn es jetzt nich Sr. Majestät unseres Königs und aller übrigen deutschen Fürsten und der ganzen Nation Fürnehmen ist, alles Schelmfranzosenzeug mitsammt dem Bonaparte und all seinem ganzen Anhang vom deutschen Boden weg zu vertillgen: so scheint mich, daß kein deutscher Mann mehr des deutschen Namens werth sei. Jetzo ist es wiederum die Zeit zu duhn, was ich schon Anno 9 angerathen, nämlich die ganze Nation zu den Waffen anzurufen, und wann die Fürsten nicht wollen und sich dem entgegensetzen, sie sammt dem Bonaparte wegzujagen. Denn nicht nur Preußen allein, sondern das ganze deutsche Vaterland muß wiederum heraufgebracht und die Nation hergestellt werden." So lautet ein Brief Blüchers an Scharnhorst vom 5. Januar 1813, geschrieben nach dem Bekanntwerden der Yorckschen Konvention von Tauroggen vom 30. Dezember 1812. Nun war die Stunde der Abrechnung und der Vergeltung da, nun galt es zu handeln. Noch freilich zögerte in Berlin der König, gegen Ende Januar entwich er nach Breslau – der Hauptstadt der einzigen Provinz, die von Franzosen frei war. Die preußischen Regimenter, soweit sie nicht als Hilfstruppen Napoleons den Zug nach Rußland mitgemacht und jetzt unter Yorck an der Seite der Russen den weichenden Franzosen folgten, zogen sich nach Schlesien. Und als der König zur Bildung freiwilliger Jägerbataillone aufrief, da eilte die junge Mannschaft der Nation nach Breslau, um die Waffen gegen Frankreich zu ergreifen. Das Schillersche Reiterlied klang ihnen voran. Die allgemeine Wehrpflicht, von Blücher lange gefordert, wurde zum Gesetz, das Zauberwort Landwehr belebte die Herzen der Mutigen und siegte auch über die Zweifler. Noch immer aber fehlte das erlösende Wort des Königs. Blücher wollte sofort losschlagen, die fliehenden Franzosen nicht erst zu Atem kommen lassen. "Alles aufsitzen und los auf die Franzosen wie das heilige Donnerwetter", war seine Losung. War die Öffentlichkeit noch im unklaren, ihm wurde bald bekannt, daß ein preußischer Abgesandter im russischen Hauptquartier über ein Bündnis unterhandelte. Am Tage, an dem der Abschluß in Kalisch zustande kam (28. Februar 1813), gab ihm der König den Befehl über die preußischen Truppen in Schlesien. Der 17. März, denkwürdig in der deutschen Geschichte, ist der Tag des "Aufrufs an mein Volk". Am selben Tage rückten die Truppen aus Breslau aus, zehn Tage später stand Blücher in Dresden. In Breslau, dem Hauptquartier des Königs, hatten sich alle Träger großer Namen versammelt – als Abgesandter Alexanders, an dessen Hofe er seit Ausbruch des russisch-französischen Krieges gelebt, war Stein gekommen, der löwenstolze Mann, der unerbittliche Hasser des Korsen, der mit vulkanischer Energie die schwankenden Kräfte des Zaren fortriß; Gneisenau war aus England herbeigeeilt und gesellte sich Scharnhorst bei; Clausewitz, Grolman und Boyen waren in Tätigkeit. Ein stattliches Hauptquartier, eine unvergleichliche Fülle [588] kühner Gesinnung und hochfliegenden Mutes. Es war jedoch gesorgt, daß in diesem Bilde die Schatten nicht fehlten. Der Eintracht der Hochgesinnten stehen schwächliche Intrigen gegenüber, Kleinmut und Zagheit suchen kühnen Entschlüssen entgegenzuwirken. Gegen Blücher namentlich richtete sich ihr Treiben. Doch war ihr Einfluß dahin. Scharnhorst vor allem stand zu Blücher, und es gelang ihm, den kühnen Alten, dem auch Alexander wohlgesinnt war, auf den Platz zu bringen, den allein er füllen konnte. Der König von Preußen besaß keinen General, der Blücher gleichwertig gewesen wäre. Wohl mochte es Klügere geben als diesen Draufgänger und Haudegen, wohl mochten sich manche finden, die ihm an Feldherrnfähigkeiten überlegen waren, gewiß gab es auch Männer in Preußens Heer, die Blücher an sittlicher Kraft und Gewalt überragten. Aber es war niemand, der mehr als er die Herzen der Truppen und des Volkes gewonnen und mit Hoffnung erfüllt hätte – er, der sich aus dem Zusammenbruch von 1806 so sehr erhoben hatte, der als Opfer Napoleons 1811 in die Verbannung gegangen war. Er war der volkstümlichste Soldat in Preußen. Er wurde der stärkste, als sich seinem rauhen Heldentum Scharnhorsts Besonnenheit verband. Scharnhorst und Gneisenau zur Seite, führte er nun die Preußen ins Feld. "Jedwedes Herz", heißt es in einem Brief Gneisenaus, "ist hochgestimmt. Mein munterer Feldherr ist neu begeistert. Scharnhorst leitet uns! An der Spitze der Brigaden und Regimenter sind tüchtige Leute. Der Soldat ist schlagfertig und erbittert." Am 2. Mai kreuzten die Verbündeten zum erstenmal die Waffen mit Napoleon. Unglückliche Anordnungen des russischen Oberbefehlshabers führten zu einem Mißerfolg. Die Russen verlangten den Rückzug, Blücher, selber durch drei Kugeln leicht verwundet, hatte vor allem des auf den Tod verwundeten Scharnhorst Abgang zu beklagen. Wie bei Auerstädt glaubte er, durch einen Reiterangriff den Sieg noch erringen zu können. Aber seine Kühnheit drang nicht durch. Am anderen Morgen zog das verbündete Heer in wahrhaft kriegerischer Haltung von dem ehrenvoll behaupteten Schlachtfelde. Blücher, der den nachteiligen Eindruck einer rückgängigen Bewegung bei den Soldaten nicht wollte aufkommen lassen, hielt hier die folgende musterhafte Anrede: "Der König (hier nahm er feierlich zum Gruß die Mütze ab) läßt sich bei euch bedanken, daß ihr euch gestern so brav geschlagen habt; nun haben uns die Franzosen kennengelernt, und sie werden sich besinnen, bis sie uns wieder angreifen; Pulver und Blei haben wir verschossen, und nun gehen wir nach Dresden, um uns frisches zu holen, wer das retirieren nennt, ist ein Hundsfott!"
Das russische Hauptquartier hielt indes die Meinung fest, daß man Waffenruhe brauche. Schwere Spannungen bedrohten das Einvernehmen der Verbündeten. Da kam ihnen Napoleon zu Hilfe. Auf österreichische Vermittlung nahm er einen Waffenstillstand an (4. Juni). Trotz seiner Siege brauchte auch Napoleon die Ruhepause, vertraute für den Augenblick mehr seinem diplomatischen Geschick als dem Glück der Waffen. Aber nach Ablauf des Waffenstillstandes am 12. August trat Österreich gegen Napoleon in den Krieg. Blücher erhielt die Führung der aus Preußen und Russen bestehenden Schlesischen Armee. Neben der Nordarmee unter Bernadotte, dem adoptierten Kronprinzen von Schweden, der Böhmischen Armee unter Schwarzenberg war ihr eine geringe Rolle zugedacht. Aber Blücher wird seine Rolle selbst bestimmen. Für den genialen Gneisenau, der nun an des toten Scharnhorst Stelle gerückt war, empfand Blücher herzliche Zuneigung. Als nach den Kriegen allzu eifrige Lobredner Blüchers Leistungen in den Himmel hoben, verwies er sie, der nie sich überschätzt hatte: "Was ist es, das ihr rühmt? Es war meine Verwegenheit, Gneisenaus Besonnenheit und Gottes Barmherzigkeit." Und in fröhlicher Tafelrunde hat er wohl, das lustige Treiben der Gäste überbietend und doch in tiefem Ernst, verkündet, er vermöge seinen eigenen Kopf zu küssen, und ist dann auf Gneisenau zugeschritten und hat des Freundes Stirn geküßt. Den militärischen Fähigkeiten seiner Helfer vertraute Blücher vollauf. Die Generäle, die ihm unterstellt waren, Yorck und die Russen Langeron und Sacken, mußten erst gewonnen werden. Yorck, ein kühner Soldat, aber ein knorriger Charakter, verbittert und leicht aufbrausend, hielt nicht viel von Blüchers Feldherrnkunst und stellte sich höher, sah mit Neid auf den herrischen Gneisenau, der Blücher die Hand führte, und grollte als dessen Schützer auch dem Alten. Von den Russen glaubte sich Langeron mehr als Aufpasser für Blücher bestellt denn ihm untergeben. Nur Sacken stand ihm unbefangen gegenüber.
Für den Befehlshaber der Schlesischen Armee war mit dem Siege auch die unbedingte Autorität gegenüber seinen Korpsführern sichergestellt. An die kritisierenden Generäle dachte er wohl, als er am Abend der Schlacht müde und matt [590] in sein Hauptquartier ritt und zu Gneisenau äußerte: "Die Schlacht hätten wir gewonnen, das kann uns niemand abstreiten; nun soll mich man verlangen, wie wir es anfangen werden, den Leuten begreiflich zu machen, wie wir alles so klug angestellt haben." Für seine Truppen, die nun Schlesien befreit hatten, gab es keine Ruhe. "Blücher will immer nur vorwärts und hält mich für zu behutsam; Langeron und Yorck zerren mich wieder zurück und halten mich für einen verwegenen Unbesonnenen", schreibt Gneisenau zwei Tage nach der Schlacht. Die Franzosen wichen nach Sachsen hin zurück. Im Anfang September stellte wieder Napoleon sich der Schlesischen Armee in den Weg. Es kam einer Niederlage fast gleich, wenn es ihm nicht gelang, Blücher zu fassen. "Napoleon ist in die Tinte", jubelte der Alte in einem Brief an seine Frau, die über den unaufhörlichen Krieg sich verdrossen zeigte. "Weg mit die Grillen, es wird alles gut werden, der Himmel zeigt sich uns so heiter." Bei Wartenburg entschloß sich Blücher am 3. Oktober, über die Elbe zu gehen. Als die Russen erschienen, hatten Yorcks Preußen schon Wartenburg gestürmt und die Franzosen nach schwerem Ringen geworfen. Am Abend verkündete der Klang der gedämpften Trommeln, wie gut die französischen Kugeln getroffen hatten. Märsche und Truppenbewegungen, Vorhutgefechte und Überfälle füllen die Zeit aus, die uns noch von der Leipziger Schlacht trennt. An Stelle des unsicheren Zusammenwirkens mit dem zögernden Bernadotte erstrebte Blücher die Verbindung mit Schwarzenberg, dessen Heeresmassen von Süden auf Leipzig rückten. An dem Ausgang der Leipziger Schlacht wurde Blüchers Anteil entscheidend. "Unsre Monarchen, daß heißt der ostreichsche, der Russische kaiser und unser könig haben mich", schreibt Blücher an einen Freund, "auf öffentligen markte gedankt, Alexander drückte mich ans Hertz." Friedrich Wilhelm ernannte in Leipzig Blücher zum Feldmarschall. "Durch wiederholte Siege", sagte der König in seinem Schreiben, "mehren Sie Ihre Verdienste um den Staat schneller, als ich mit den Beweisen meiner Dankbarkeit Ihnen zu folgen vermag." Seiner Frau Feldmarschallin kündigt der Alte, weit entfernt von aller Überheblichkeit und in rührender Einfalt, ein paar Tage nach Leipzig seine Beförderung an: "...Aus den Einlagen wirst Du das mehrere ersehen, als Frau Feldmarschallin mußt Du nun anständig leben, und sei nur nicht geizig und laß Dich was abgehen; ich kriege nun doch ein ansehnliches Gehalt, aber wir haben leider zwei Monate alle kein Gehalt gekriegt, weil von Berlin nichts zu uns kommen konnte. Mit die Ordens weiß ich mich nun kein Rat mehr; ich bin wie ein alt Kutschpferd behangen." Die Verfolgung des Feindes verbot für die Truppen und ihren gefeierten General jede Ruhepause. Die Verfolger blieben Napoleon auf den Fersen. Aber er entkam über den Rhein. [591] Anfang November war Blücher mit seinen Truppen in Gießen. Seine Absicht, Napoleon unverzüglich zu folgen, wurde an den widerstreitenden Interessen der Verbündeten zuschanden. Nur in Stein, dem Berater und Lenker des Zaren, hatte Blücher einen unerschütterten Bundesgenossen. Beider Ansehen und ihr kräftiges Wort tat viel und trieb unablässig an zu endlichem Entschluß. Aber den eigentlichen Anstoß zur Überwindung aller Bedenklichkeiten gab Napoleons hochmütiger Trotz. Die Friedensverhandlungen, die man ihm anbot, schlug er aus und nützte die Pause für Rüstungen. Er wollte nur Zeit gewinnen und weiterkämpfen. Die Verbündeten mußten sich wohl oder übel zum Handeln entschließen. Drei Heergruppen wurden
In der Neujahrsnacht des Jahres 1814 ging Blücher bei Caub über den Rhein. Vom Feinde fast unbehelligt, gelangte sein Heer gegen Ende Januar bis in die Gegend von Brienne. Acht Tage noch, und man konnte vor Paris stehen. Dafür war freilich nötig, daß auch die anderen Heere, namentlich das Schwarzenbergsche, ihren Vormarsch fortsetzten. Aber hier sammelten sich alle furchtsamen und zurückhaltenden Kräfte, verbanden sich mit den Zwiespältigkeiten der hohen Politik, die den Sieg kaum ernstlich wollte. Inzwischen hatte Napoleon ein Heer gerüstet und warf sich Blücher als dem gefährlichsten Gegner in den Weg. Am Tag vor dem Angriff, am 28. Januar, schreibt dieser an seinen Freund Vincke: "In diesen augenblick stehe ich gleichsahm im angesicht des Feindes. Die Stunde scheint nun gekommen zu sein, wo alles entschieden wird, soll die sache guht Führ die Menschheit werden, so müßten wihr nach Paris..."
Am 14. Februar rückte unvermutet Napoleon mit überlegenen Kavalleriemassen gegen Blücher an, nachdem er vorausziehende Abteilungen des im Marsche auseinandergezogenen Heeres vorher einzeln geschlagen hatte. Das Blüchersche Heer geriet in die Enge, wurde, da es eine Schlacht nicht wagen konnte, zum Rückzug gezwungen und erlitt dabei große Verluste; Blücher selber und sein Stab kamen in eine bedenkliche Lage, in der sogar dem unerschrockenen Haudegen der [592] Boden unter den Füßen zu heiß wurde. Er hat an diesem Tage, wie es sein Adjutant Nostiz bekundet, den Tod gesucht. Nie sonst hat sich Blücher eine solche Blöße gegeben. Furcht für sich kannte er nicht, und er hatte für jeden eine tiefe Verachtung, der sie zeigte. Aber an diesem sorgenvollen Abend, an dem er den eisigen Flügelschlag des Schicksals so deutlich verspürt, war er einen Augenblick irre geworden an der Zuversicht, mit der er sonst an den gnädigen Schutz der Vorsehung glaubte. Er mag an das Grauen dieser Stunden nicht gedacht haben, wenn er später einmal geäußert hat: er habe nie, auch in der größten Gefahr nicht, den Gedanken gehabt, er könnte je das Opfer einer Kugel werden, er hätte sonst wohl so gut wie mancher andere einmal den Kopf verloren. Freilich schüttelte er die Beklommenheit dieses todeswilligen Augenblickes, dessen Menschlichkeit uns ans Herz greift, rasch von sich ab und war wieder der alte, "der den Hundsfott in seinem Busen zu verstecken weiß". In der Überzeugung, daß das Blüchersche Heer vernichtet sei, hatte der Feind von der Verfolgung abgelassen. Aber diese geschlagenen Truppen bewiesen schon damals, daß auch besiegte Soldaten wieder siegen können, wenn sie an ihren Sieg glauben. Und von ihrem Marschall Vorwärts übertrug sich auf sie unaufhörlich dieser Glaube. Nur einen Augenblick war er schwach gewesen. Als er von Châlons aus, wo er seine Korps zusammenzog, an Hardenberg, nicht ohne einen Ton des Vorwurfs gegen das Hauptheer, über die letzten Ereignisse berichtet, denkt er schon an nichts mehr als an Schlagen. Das Hauptheer stand noch immer unbeweglich. Dem anmarschierenden Napoleon sandte Schwarzenberg ein Friedensangebot entgegen, zog sich, als er abgewiesen, vor ihm zurück und verlangte, als er einem Angriff Napoleons kaum noch ausweichen konnte, des eben geschlagenen Blücher Hilfe. Der zögerte keinen Augenblick. Aber nicht zu einer Schlacht, wie er glaubte, nur zur Deckung seines Rückzuges rief ihn Schwarzenberg und verstrickte ihn in nutzlose Kämpfe. Im Blücherschen Heer wurde der Verdacht laut, daß man es gerufen habe, um es in einen allgemeinen Rückzug mit fortzureißen, der den Krieg beenden sollte. Da warf der Oberst von Grolman den Gedanken hin, sich abermals von Schwarzenberg zu trennen, nordwärts zu marschieren, die von Holland unter Bülow heranziehenden Truppen aufzunehmen und vereint von neuem auf Paris zu gehen. Die mit diesem Zuge eröffneten Operationen führten zu den schweren Kämpfen um Laon, die Napoleon bewiesen, daß er das verstärkte Schlesische Heer nicht schlagen, geschweige vernichten konnte. Er mußte Blücher in seiner für Paris so bedrohlichen Stellung zurücklassen. Hätte die Schlesische Armee die abziehenden Truppen Napoleons verfolgt, sie hätte ihn überrannt. Aber von Laon aus blieb der Kaiser unbehindert. Sein Gegner schien plötzlich seine Tatkraft eingebüßt zu haben. Was war geschehen? [593] Mit der Ankunft Bülows hatte sich im Blücherschen Hauptquartier die Anschauung Bahn gebrochen, mit Rücksicht auf die preußische Stellung auf dem bevorstehenden Friedenskongreß dürfe sich das Heer nicht weiter aufreiben. Man wollte dem Staate eine schlagfertige Armee bewahren. Auch Gneisenau verschloß sich dieser Ansicht nicht. Ging von solchen Erwägungen eine Lähmung des Angriffswillens aus, so konnten sie sich doch nur Geltung verschaffen, weil das sonst so frische Vorwärts des Feldherrn verstummt war. Blücher war an einem widrigen Augenleiden erkrankt, das seinen Aufenthalt in einem dunklen Zimmer nötig machte. Wie solche Anfälle auf seinen Körper stets auch seine geistige Energie auf das empfindlichste geschwächt hatten, so geschah es auch hier. Hätte man es sonst nicht gewußt, hier zeigte es sich, was dieser alte Mann für sein Heer bedeutete. Wo seine Kraft versiegte, da war auch die Armee gelähmt. Untätig blieb man in Laon stehen, sorgsam das Geheimnis der Krankheit Blüchers hütend. "Ebenso, wie man einst der Armee", schreibt Nostiz, "den Tod ihres Feldherrn Cid verschwieg, ebenso waren die Folgen zu fürchten, welche die Entfernung des Feldmarschalls in diesem Augenblick notwendig haben mußte. Er nur war eine Bürgschaft für die Einheit im Handeln; seine Taten und der erlangte Ruhm hatten ihn so hoch in der Meinung gestellt, daß er nie Gegenstand der Eifersucht oder der beleidigenden Eigenliebe irgendeines Unterfeldherren werden konnte." Mochte wohl auch die eigentliche Leitung des Heeres bei Gneisenau liegen, für sich besaß er doch nicht das uneingeschränkte Ansehen, das der alte Feldherr genoß. Jetzt vermochte er sich vor den Generälen, denen Blüchers Zustand nicht verborgen bleiben konnte, kaum zu behaupten. Napoleon erwog, durch einen Marsch in den Rücken der Verbündeten diese zur Umkehr zu zwingen. Aber sowohl die Blüchersche Armee wie Schwarzenberg zogen ohne Rücksicht auf Napoleons Pläne nach Paris. Dieser, in Gewaltmärschen den feindlichen Heeren nachgeeilt, erfuhr zwei Meilen vor seiner Hauptstadt deren Übergabe an den Feind. Am 31. März hielten die Verbündeten ihren Einzug in die bezwungene Metropole, von der für die Welt soviel Unglück ausgegangen war. Blücher, der die Kämpfe vor Paris vom Wagen aus, immer noch nicht wiederhergestellt, geleitet und beobachtet hatte, nahm an diesem Einzug nicht teil; in der Gesellschaft seiner Adjutanten verlebte er einsam und sehr leidend diesen Tag, den wesentlich er herbeigeführt, in seinem Quartier auf dem Montmartre; erst am folgenden Morgen bezog er in aller Stille eine Wohnung in der Stadt. "Wer auf den Zusammenhang der Kriegsbegebenheiten zurückschaut", heißt es bei Varnhagen, "der kann nicht im Zweifel sein, daß dieses Ergebnis ohne Blücher und ohne das Schlesische Heer nie gekommen wäre. In Blücher und seinem Heer war der Kern des ganzen Krieges, die eigentliche Kraft, welche dem Feind immer die Spitze bot, die ihn schlug, der er erlag. Erst nachdem Blücher alle seine Mitkämpfer in das Feuer seines 'Vorwärts' gezogen, wich die Franzosen- [594] herrschaft zertrümmert aus Deutschland, erst nachdem alle in seinem Sinne und seine Bahn eingegangen, lag in Frankreich Napoleons Macht zerbrochen." In der verhältnismäßigen Ruhe des Aufenthaltes in Paris ließen die Leiden des kranken Feldherrn bald nach, sein ursprünglich kräftiger Körper, dem auch das Alter nichts anhaben konnte, siegte über alle Krankheit. Er nahm von Paris auf, was ihm behagte; viel Aufmerksamkeit wurde ihm zuteil; zumal die Engländer fühlten sich von seiner Erscheinung angezogen. Ihren Feldherrn Wellington, der von Spanien aus gegen Napoleon vorgerückt war, traf Blücher hier zuerst.
Am 3. Juni endlich, nachdem am 30. Mai der Friede, den Blücher nicht billigte, geschlossen war, war er auf der Reise. Von Boulogne aus schreibt er seiner Frau: "HErtzens libe Frau. Endlig und endlig bin ich auß Paris und hier ans mehr angekommen, muß aber noch zwei Tage warten, bis der könig komt, um mit ihm nach England über zu gehen, gestern habe ich bei den HErtzog von Klarentz auf das linien Schiff Imprenable gegessen; noch bin ich taub von allen Kanonedonner und bay nah gestört von alle Ehrenbezeugungen, wen daß so fohrt geht, so werde ich in England verrückt. Die Engelender komm hier zu Hunderten, um mich zu sehen, und iedem muß ich die Hand geben und die Damen machen mich förmlich die Cour. es ist das nerrischste Volk, was ich kenne." Was England an Ehrungen zu vergeben hatte, wurde Blücher zuteil. Nichts blieb ihm erspart. Als man ihn in Oxford zum Doktor machte, fand er die Sache sehr spaßhaft und sagte mit listigem Schmunzeln: "Nu, wenn ich Doktor werden soll, so müssen sie den Gneisenau wenigstens zum Apotheker machen, denn wir zwei gehören einmal zusammen!" Die Begeisterung, die ihn umrauschte, schwächte sich in all den Tagen nicht ab. Unaufhörlich bekundete sich die Zuneigung der Massen. Von London aus schreibt er an seine Frau: "libes malchen, gestern bin ich in Engeland gelandet, aber ich begreiffe es nicht, daß ich noch lebe, daß Volk hat mich beinahe zerrissen. man hat mich die Pferde ausgespannt und mich getragen. so bin ich nach london gekommen. wider meinen willen bin ich vor den Regenten sein Schloß gebracht; von ihm den Regenten bin ich Empfangen, wie ich es nicht beschreiben kann. er hink mich am dunkelblauen bande sein Portrait, waß sehr Reich mit Brillianten besetzt wahr, um den Halß und sagte: glauben sie, daß sie keinen treuern Freund auf Erden haben wie mich. ich logire bei ihm. nun muß ich [595] dich bekannt machen, daß trotz allen widerstreben mich der könig den morgen, wie wihr nach Englande gingen zum Fürsten ernannte mit dem nahmen Fürst Blücher von der Wahlstadt; meine söhne sind graffen Blücher von Wahlstadt. daß Fürstentuhm erhallte ich in Schlesien, allwo ein kloster war, daß Wahlstadt heißt. nach meinem tode erhelst du auf lebenszeit eine Pension, daß du als Fürstin leben kanst. Dein bruder ist bey mich und grüßt; er ist Zeuge von allen dehm, was mit mich vorgeht. daß volk trägt mich auf henden; ich darf mich nicht sehen lassen, so machen sie ein geschrey und sind gleich 10 000 zusammen. in mondierung darf ich gahr nicht erscheinen. nun lebe wohl, ich kan nicht mehr Schreiben, den ich bin völlig betäubt. unter 10 tage kann ich hier nicht loß und dan gehe ich nach Holland und will so ballde möglich zu dich. lebenslang dein dich HErtzlich libender Blücher."
"Haben die Engländer eine Flotte im Mittelländischen Meere?" fragte Blücher am frühen Morgen des 9. März den großbritannischen Gesandten, den er mit der [596] Nachricht von Napoleons Landung in Frankreich aus dem Schlaf aufstörte. "Wir müssen wieder von vorn anfangen, und daran sind die Engländer schuld!" Gneisenau hatte in der Nacht diese Meldung in das Blüchersche Haus gebracht. Mit Nostiz, der auch im Frieden auf seinem Adjutantenposten geblieben war, hatte er den Fürsten sogleich geweckt. Sein Gesicht glänzte vor Freude, als er hörte, was geschehen war. "Das ist das größte Glück, das Preußen begegnen konnte", sagte er, "nun fängt der Krieg von neuem an, und die Armee wird alle in Wien begangenen Fehler wieder gutmachen." Seinen Abschied zu nehmen, daran dachte er jetzt nicht mehr. Für ihn stand es fest, daß er wieder ins Feld ziehen werde. Das Volk jauchzte ihm zu. Viele zweifelten, ob er in seinem Alter, nach so glückvollbrachten Taten und so reich erlangtem Ruhm diesen nochmals dem ungewissen Spiel des Krieges aussetzen werde; allein solche Bedenklichkeiten waren seiner Seele fern. Auch der König hielt an ihm fest. Er gab ihm den Oberbefehl über die am Niederrhein zu errichtende Armee. Gneisenau wurde wieder neben ihn gestellt. In den Niederlanden stand außer dem preußischen Heere Blüchers eine englisch-deutsche Armee unter Wellington kriegsbereit. Aber Österreicher und Russen sammelten sich nur langsam. Im Anfang Juni schrieb Blücher an seine Frau: "...In Zeit von höchstens zehn Tagen wird die Büchse wohl losgehn und wir nach Frankreich hineingehn. Bonaparte greift uns nicht an, davor könnten wir hier noch ein Jahr stehn, seine Angelegenheiten stehn so brillant nicht." Er hatte sich geirrt. Napoleon mußte handeln. Mit überraschender Schnelligkeit warf sich der Kaiser unvermutet auf seine Gegner und fiel mit seinem Heere in Belgien ein. Am 15. Juni kreuzte er mit der preußischen Vorhut die Waffen und drängte sie zurück. Am 16. Juni stand das preußische Hauptheer, das noch nicht alle Korps zusammengezogen hatte, ihm bei Ligny gegenüber. Die Franzosen waren an Zahl überlegen, Blücher rechnete auf Wellingtons Wort, der ihm Hilfe zugesagt hatte, aber die Engländer blieben aus. Mit großen Verlusten erlagen schließlich die Preußen der Übermacht. Blücher selbst, im Getümmel der Schlacht fast gefangen, hatte die Führung des Heeres aus der Hand verloren. Gneisenaus Feldherrnkunst rettete die geschlagene Armee; in einem glänzend durchgeführten Rückzug zog er sich an Wellingtons Heer heran. Gneisenau hat später gesagt: "Glauben Sie denn, daß einer von uns den Alten im Heere hätte ersetzen können?" Er wußte, was er an dessen 'Vorwärts' hatte. Es war eine halbe Armee wert. Am frühen Morgen des 17. Juni brach Blücher nach Wavre auf, das den Truppen von Gneisenau als Sammelpunkt aufgegeben war. Sein Erscheinen bei den marschierenden Abteilungen, sein frischer Zuspruch weckte überall frischen Mut. Das waren keine geschlagenen Truppen. Sie waren geworfen worden, aber ihre Zuversicht war nicht gebrochen. "Wir haben Schläge gekriegt, wir müssen es wieder ausbessern", hatte der Alte zu Gneisenau gesagt, als sie sich in der Nacht [597] wiedersahen. So dachten auch die Regimenter, die eines Geistes mit ihrem Feldherrn waren. Wellington hatte sich inzwischen auf Waterloo zurückgezogen, um Brüssel zu decken. Er wollte eine Schlacht annehmen, wenn ihm die Preußen wenigstens mit einem Korps zu Hilfe kämen. Die geschlagenen Preußen sagten Wellington, dessen Ausbleiben ihre Niederlage verursacht, ihre Hilfsbereitschaft zu. Und sie hielten Wort. Die Nacht brach schon herein, als Blücher und Wellington auf der Höhe von Belle-Alliance zusammentrafen und einander als Sieger begrüßten.
An den König wandte er sich warnend und mahnend am 24. Juni: "Ich bitte nur alleruntertänigst, die Diplomatiker anzuweisen, daß sie nicht wieder das verlieren, was der Soldat mit seinem Blute errungen hat. Dieser Augenblick ist der einzige und letzte, um Deutschland gegen Frankreich zu sichern. E. M. werden als Gründer von Deutschlands Sicherheit verehrt werden, und auch wir werden die Früchte unserer Anstrengungen genießen, wenn wir nicht mehr nötig haben, immer mit gezücktem Schwerte dazustehn." Der schnelle Vormarsch in Frankreich mit nicht sehr großen Truppenkräften war nicht ganz unbedenklich. Viele Abteilungen mußten zurückbleiben, um die befestigten Plätze einzuschließen. Aber Wellington wie Blücher wollten so rasch wie möglich Paris nehmen und damit den Krieg beenden. Sie zogen auf Paris. Als eine Abordnung der provisorischen Regierung bei Blücher erschien, hatte der Marschall unter den Bedingungen des Friedens auch die Auslieferung Napoleons genannt. Er war entschlossen, die von den Großmächten über ihn verhängte Acht zu vollziehen. Er und seine Umgebung hatten sich in einen persönlichen Haß gegen Napoleon hineingesteigert, der keine Grenzen kannte. Blücher sah mitunter in ihm so etwas wie das Böse schlechthin. Am 27. Juni schrieb er von Compiègne aus, wohin das Hauptquartier inzwischen vorgerückt war, an seine Frau: "Es ist möglich und höchstwahrscheinlich, daß Bonaparte mich und Lord Wellington ausgeliefert wird. Ich werde wohl nicht klüger handeln können, als ihm totschießen lassen; es geschieht die Menschheit dadurch ein Dienst. In Paris hat ihm alles verlassen, und er wird gehaßt und verachtet." Am Abend des 29. Juni bereits standen die Preußen vor den Toren von Paris. Noch waren die Franzosen zu stark, als daß es Blücher allein möglich gewesen wäre, die Stadt zu bezwingen. Wellington war zwei Tagesmärsche zurück. Blüchers Versuch, Napoleon in Malmaison aufheben zu lassen, mißlang. Der gestürzte Kaiser war bereits an die Küste geeilt, sich nach Amerika zu retten. Daß Napoleon entkommen war, beleidigte Blücher tief. Er hielt Europa nicht für gesichert, solange der Ruhestörer lebte. Auch gegen Paris und sein wankelmütiges Volk hat Blücher gewettert. Man solle es rund herum in Brand stecken und es vom Erdboden vertilgen. "Wie oft", rief er aus, "wollt ihr das Nest denn noch belagern?" Doch solche Ausbrüche rächenden Zornes, die wir nicht wörtlich [598] zu nehmen haben, wechselten ab mit friedlichen Stimmungen. "Gott sei gedankt!" heißt es in dem Brief an seine Frau, der den Waffenstillstand meldet, "das Blutvergießen wird aufhören!" Aber den Franzosen sah er nichts nach. Hundert Millionen Franken Kriegssteuer forderte er und Bekleidung und Sold für sein Heer.
Eines lag ihm besonders am Herzen: er wollte die Jena-Brücke zerstört sehen. Talleyrand, der in allen Sätteln gerechte, protestierte als Minister Ludwigs XVIII. gegen dieses Unternehmen. Blücher lehnte den Einspruch schroff ab: "Die Brücke wird gesprengt, und ich wünsche, Herr von Talleyrand setzte sich vorher drauf." Bevor ein vergeblicher Versuch erneuert werden konnte, trafen am 10. Juli die verbündeten Monarchen in Paris ein. Die Brücke blieb erhalten, nur ihr Name verschwand. Nun ist es mit Blüchers Herrschaft zu Ende. Die Diplomaten haben wieder das Wort. Sie werden ihm Ärger genug bereiten, die eigenen wie die fremden. Weder Österreicher noch Russen konnten ihm den raschen Erfolg verzeihen.
Am 29. September, als der Abschluß des Friedens nahe gekommen war, erschien Blücher noch einmal in Paris, und im Anfang Oktober, nachdem die Monarchen abgereist, trat auch er den Rückmarsch an. Seine Krankheit hatte ihn wieder ergriffen, ähnliche Erscheinungen wie im März 1814 und damals in Pommern traten auf. Er sah wieder Gespenster am hellen Tage. Langsam nur geht die Reise voran. Überall ist er der Mittelpunkt patriotischer Feiern. In seinen Dankreden fehlte kaum einmal der Hinweis auf das Unzulängliche des Friedens. Als er in Koblenz Joseph Görres begegnete, der gleich ihm in seinem Rheinischen Merkur gegen die Bedingungen des Pariser Friedens kämpfte, ermunterte er ihn: "Schreiben Sie nur immer zu, gegen wen es auch sei, ich nehme alles auf mich. Wenn es nur wahr ist, mögen Sie alles drucken – aber wahr muß es sein!" Er ahnte nicht, daß wenige Jahre später die deutschen Fürsten auch die Wahrheit unter Strafe stellen würden. [599=Faksimile] [600] Von Frankfurt brach er im Januar nach Berlin auf; krank und leidend langte er am 21., einem Sonntage, an. Sein Zustand zwang ihn, sich die ihm zugedachten Ehrungen zu verbitten. Der Sieger von Belle-Alliance kehrte heim als ein kranker Mann. Noch blieben ihm fünf Jahre zu leben. Er erholte sich von den Strapazen der Kriege, aber er wußte sich nicht zu schonen. Auf Vorhaltungen des Arztes pflegte er zu antworten: "Wenig Schlaf schadet nicht, denn sonst würden die Nachtwächter nicht so alt werden!" Am 12. September 1819 endete sein Leben.
In den trüben Zeiten, die in Deutschland anhoben, in diesem Deutschland der Metternichschen Restauration, der Demagogenriecherei und der Verdächtigung jeder freimütigen Vaterlandsliebe, wog der Verlust dieses Mannes doppelt schwer. Als Stein, der rheinische Reichsritter, den das Mißtrauen eines Königs und die Eitelkeit eines Ministers zur Untätigkeit verdammt hatten, die Kunde davon erhielt, rief er aus: "Man kann nichts Gescheuteres tun, als daß man sich auch auf ein Ohr legt und stirbt!"
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