[Bd. 5 S. 182]
Der Name Andreas Schlüter bezeichnet uns einen ersten künstlerischen Aufschwung, wie er stolzer und prächtiger sich in Preußen weder zuvor noch nachmals ereignet hat. Mit der Thronbesteigung des Soldatenkönigs erfolgte der jähe Absturz. Sein bewußter, einseitiger, ja fast barbarischer Verzicht auf Entfaltung eines höfischen Lebens erklärt sich durch den Willen, daß der Staat alles bedeuten solle. Friedrich der Große fand den verlorengegangenen Ausgleich wieder. Aber die Kunst, die er in der Jugend bevorzugte, war nicht dem eigenen Boden entsprossen. Dafür wuchs dem alternden König ein junges Geschlecht von Künstlern zu, namentlich Baumeistern, die nun zum erstenmal in der Kunstgeschichte Preußens so etwas wie eine Überlieferung anbahnten und in dem vergleichsweise bildarmen Siedelland des nordostdeutschen Raumes wurzelechte Kunst schufen. Will man von einem preußischen Stil sprechen, muß man die Zeit um 1800 als seine Blüte bezeichnen. Niemals vorher oder nachher ist in Preußen das Herbe so natürlich und das Schlichte künstlerisch so richtig erschienen, niemals Armut so adlig und Sachlichkeit ein solcher Vorzug gewesen. Die Voraussetzungen von Herkunft und Ausbildung, unter denen Schadow und Rauch in diese Umwelt hineinwuchsen, waren bei beiden keineswegs gleich. Ein echter Märker, ja gebürtiger Berliner der eine, der andere ein Zugereister aus dem kleinen Fürstentum Waldeck. Beide von Jugend an wohl leidenschaftlich Künstlerischem zugetan, doch nur dem Berliner war Werkstattluft zu atmen von früh auf vergönnt, wogegen sich Rauch durch äußere Widerstände schwer hindurchringen mußte. So verlief auch ihr Leben weiterhin, obwohl sie jahrzehntelang in derselben Stadt nebeneinander wirkten, nicht eigentlich in gleicher Bahn, vielmehr, auch ihrem Altersunterschied von etwa einem Dutzend Jahren entsprechend, [183] gewissermaßen in zwei sich folgenden Wellenbergen: In der Blütezeit Schadows war Rauch noch nichts oder doch nicht viel, und als er dann mit seinen Hauptwerken hervorzutreten begann, ebbte das Schaffen des anderen ab. Als beide um die Mitte des Jahrhunderts starben, stand Rauch bewundert auf der Höhe seines Ruhmes, nicht nur im Lande Preußen, während der andere fast als vergessen gelten konnte. Vom alten Schadow selbst rührt das halb verzichtende, halb wehmütige Scherzwort her, sein Ruhm sei in Rauch aufgegangen. Schon beim jungen Schadow wäre, wenn auch noch nicht von Ruhm, so doch von einer gewissen Berühmtheit zu berichten. Er war, Sohn eines ehrsamen Schneidermeisters, wegen seiner Begabung früh in das französisch parlierende und kinderreiche Haus des Hofbildhauers Tassaert und bald auch in die Hofbildhauerwerkstatt aufgenommen, ließ aber wegen einer Liebesheirat – wie er späterhin beichtete – "fahren des Meisters Gunst, Pension und sonstige Aussichten und eilte nach Rom" (1785). Ein verwegenes Abenteuer, das auch künstlerisch nicht ohne Folgen blieb. In Rom begegnete ihm die Welt der Antike, und gerade der unverdorbene Wirklichkeitssinn des jungen Märkers mußte von dem echt Plastischen antiker Skulptur getroffen und geformt werden. Das "Gemein-Natürliche", mit dem die französisch ausgerichtete Bildnerei jener Jahrzehnte so glänzend zu überraschen vermochte, sagte dem kritisch Lernenden nun kaum mehr zu, ob es nun die Biederkeit Tassaerts war oder das zopfige Ungelenk Trippels, dem er sich in Rom zunächst anschloß, oder selbst die beseelte Bildniskunst Houdons, dessen Vorzüge zu bemerken er noch nicht reif genug gewesen sein mag. Das schlicht und einfach Natürliche war es, was sein blutvoll empfindendes Herz nun bewundern wollte und was er außer in antiken Werken bei einem gleichzeitigen Meister fand, bei dem wenig älteren Antonio Canova. Der Tod Friedrichs des Großen war für die damalige Welt ein bewegendes Ereignis, vor allem für die Künstlerschaft, da nunmehr dem Toten ein Denkmal zu setzen der allgemeine Gedanke war. Auch Schadow beteiligte sich an einem Wettbewerb, wie Canova und der Schweizer Trippel. Galt es doch, gleichsam ein Gegenstück zu schaffen zu Schlüters Reiterbild des Großen Kurfürsten. Fast wäre eine der größten nationalen Kunstaufgaben einem Ausländer zugefallen, aber auch dem Preußen Schadow war sie nicht beschieden, obwohl er vielfache und sehr verschiedene Vorschläge ersonnen hat, vom kühl-sachlichen Entwurf bis zu einem fast noch im barocken Schwung übersteigert pathetischen. Wer schließlich nach vielfältigem Hin und Her, ein halbes Jahrhundert später, das Heroon errichten sollte, Christian Rauch, lebte damals als ein zehnjähriger Knabe in Arolsen.
Nur von seinen bedeutenderen Arbeiten kann hier berichtet werden. Unerwähnt im einzelnen müssen die vielen Aufträge bleiben, die ihm aus den Kreisen des Bürgertums und Adels zuflossen, wie die kleineren künstlerischen Aufgaben, die er sich etwa selbst stellte, auch die Anforderungen, die laufend nebenher von Behörden wie dem Hofbauamt oder der Porzellan-Manufaktur an die Werkstätte gelangten. Die Menge der Bildnisbüsten, Grabmäler, Tafelaufsätze und von allerlei ziermäßig an Häusern und Brücken, in Gärten und Sälen verwandtem Bildwerk ist fast unübersehbar, aber stets, wenn Schadow als Urheber genannt wird, erfreut die Frische der Erfindung und der Gestaltung, das gleichsam natürliche Leben des Kunstwerkes. Aus allem ragt das Grabmal des Grafen von der Mark hervor (entstanden 1788–1791). Dieser war im kindlichen Alter von achteinhalb Jahren gestorben, heiß geliebt und tief betrauert von seinen Eltern, dem König Friedrich Wilhelm II. und der Gräfin Lichtenau. Des Künstlers Entwurf klärte sich von der ersten Eingebung rasch zur ausgewogenen Ruhe des ausgeführten Aufbaus: ein Marmorsarg frei vor der Wand stehend, zeigt an den Seiten in flachem Bildwerk auf den Tod Bezügliches; auf dem Deckel ein Polster als Ruhelager des Knaben, welcher, in leichten traumverklärten Schlummer versunken, ein Abbild kindlichen Lebens, mit Waffen noch spielend, nichts ahnt von den drei Parzen, die droben beieinandersitzen, vom Halbrund des Aufbaus gefaßt, und seinen Lebensfaden zerreißen.
Gerade dieses verschiedene Tun, das Walten der Schicksalsgöttinnen über der Unschuld des schlafenden Kindes, verleiht dem Werk jene gehaltvolle, fast dichterische Spannung, in deren Bann sich noch jeder Beschauer unwiderstehlich gezogen fühlt. Das Marmorweiß der Gestalten hebt sich ab von verschiedenfarbigem dunkleren Gestein, wodurch ihre Natürlichkeit und Lebensnähe zu erhöhter Wirkung gelangen – so wenig dies im Sinne eines strengen Klassizismus war und so wenig dies Werk mit gleichzeitigen etwa eines Canova gemein hat. Welch ein Gegensatz aber auch zu den späteren Grabmälern Rauchs in ihrer starren Feierlichkeit! Aus wie anderer künstlerischer Empfindung schuf Schadow seinen anmutvollen, noch vom Hauche warmen Lebens beseelten Knaben und schuf Rauch die in künstlich [185] schöner Haltung, doch in unerweckbar versteinertem Todesschlaf liegenden Gestalten bei ähnlichen Aufgaben. Obgleich sich das Grabmal heute noch an Ort und Stelle befindet, in der (durch einen Neubau ersetzten) Kirche der Berliner Dorotheenstadt, für die es von Anfang an geplant war, so wird es doch, "das schönste deutsche Grabmal", selten von einem Kunstfreund aufgesucht und gesehen. Tausende dagegen sehen täglich, ohne wohl freilich an den Urheber zu denken, das Viergespann auf dem Brandenburger Tor. Es gehört zu der Gattung öffentlich aufgestellter Werke, durch die nach dem königlichen Willen die Residenz "embelliert" werden sollte; kaum eines steht noch davon im raschlebigen Berlin am alten Platze. Mit Recht gilt das von dem älteren Langhans errichtete Brandenburger Tor als das Wahrzeichen sogar noch der Weltstadt. Der Baumeister hat damals auch im allgemeinen die Idee des bildnerischen Schmuckes angegeben, der unter Schadows Leitung in der Hofbildhauerwerkstatt ausgeführt wurde: mancherlei in Sandstein zu hauendes Flachbildwerk, zwei Sitzbilder antiker Gottheiten (besonders ausdrucksvoll und lebendig gelang die jugendlich-kräftige Gestalt des Mars) und die bekrönende Quadriga, vier prachtvolle Rosse, fast noch antiker Art, gezügelt von der groß und aufrecht im Kampfwagen stehenden Göttin mit dem Siegeszeichen in der hocherhobenen Rechten. 1794 wurde die Gruppe vollendet, ausgeführt nicht in dem so selten geübten und fast unbekannt gewordenen Erzguß, sondern über Holzmodellen in Kupferblech getrieben, musterhaft, wie der Augenschein lehrt. Ihren besonderen Ruhm verdankt sie dem Umstand, als sie auf Napoleons Geheiß nach Paris entführt war, daß die Preußen sie im Triumph zurückholten und wieder aufstellten, nach Schinkels Entwurf bereichert um das Eiserne Kreuz im Lorbeerkranz als Siegeszeichen.
Daß in Berlin die Kunst des Bronzegusses (weniger von Geschützrohren als von Denkmälern) nicht mehr verstanden wurde, verdroß namentlich Heinitz, den rastlos um die Förderung der Künste bemühten Minister. Ihm ist es zu danken, daß Schadow, als nun von neuem Pläne und ein Wettbewerb für das Denkmal Friedrichs des Großen erwogen wurden, auf Reisen geschickt ward, um jenes Verfahren kennenzulernen. In den nordischen Königsstädten waren in den letzten Jahren Reiterbilder und andere Kunstarbeiten gegossen worden; so begab sich Schadow nach Kopenhagen und Stockholm und machte von dort aus schnell entschlossen einen Abstecher nach Petersburg, eine Seereise durch die finnischen Schären, die ihm fast das Leben gekostet hätte. Überall halfen dem jungen Meister sein geschulter Blick und rasches Erfassen, sein großstädtisch gewandtes Auftreten und die vielfachen Sprachkenntnisse, der unverbrauchte Lebens- und Wagemut, der trockene Humor und die unverwüstliche Gesundheit. Mit manchen neugewonnenen Einsichten kehrte er zurück und nahm in Berlin seine Tätigkeit wieder auf.
Dergleichen Standbilder bedeuteten damals mehr als etwa eine ganze Siegesallee hundert Jahre später. Es gab schließlich doch nur einen Mann im Lande, der so etwas zu schaffen vermochte. Wir sind heute – aus vielerlei Gründen – leicht geneigt, ein Denkmal auf der Straße zu übersehen oder es nicht zur hohen Kunst zu rechnen. Zu Schadows Zeit wurde jedes einzelne in Wort und Schrift und Bild beschrieben und gefeiert, lebte und wucherte fort in den verschiedenartigsten Nachbildungen, fast den Heiligenbildern des Mittelalters vergleichbar. Auf uns heute wirkt dagegen ein bescheideneres Werk, eine schlichte Bildnisbüste etwa, oft stärker und unmittelbarer, und gerade wenn man an Schadow denkt, steht vor unserem Auge sogleich eine Reihe jener lebensvollen Köpfe in Marmor oder Erz, in gebranntem Ton oder Stuck oder gar nur in Gips, die man, einmal gesehen, nicht mehr vergißt. Da sind liebreizende Köpfchen junger Frauen und Mädchen, deren lächelnder Rokoko-Charme festgehalten wurde; da ist die Überlegenheit des einen oder anderen Denkerkopfes aus jener Epoche, als die Aufklärung in Berlin ihren Übergang fand in das goldene Zeitalter unseres Schrifttums; da wurde ein Urbild [187] jugendstolzer Geistigkeit in dem edlen Antlitz des Baumeisters Friedrich Gilly bewahrt oder auch die mit genüßlichen wie gutherzigen Zügen vermischte massige Erscheinung des derzeitigen Staatsoberhauptes, des "dicken Wilhelm aus Kanonenland". In jenen Jahren, so erzählt Schadow in seinem Erinnerungsbuch, das er im Alter nach Tagebuchvermerken verfaßt hat und 1849 unter dem Titel Kunstwerke [188] und Kunstansichten in Druck gab (ein unerschöpfliches, leider nicht immer ganz zuverlässiges Quellenwerk für sein Wirken und das künstlerische Leben seiner Zeit), in jenen Jahren "hatte sich in Berlin ein Zauber verbreitet, welcher über alle Stände ausging, durch das Erscheinen der hohen Schwestern, Gemahlinnen der Söhne des Königs... Es entstanden Parteien, welcher von beiden der Vorrang an Schönheit zukomme". In einem der glücklichsten Einfälle des Künstlers setzte er sich über jene Parteien hinweg und schuf das Doppelstandbild der beiden jungen Frauen (Gipsmodell 1795, Ausführung in Marmor 1796–1797). Geschwisterlich lehnen sie aneinander. Die ältere, gereiftere Kronprinzessin erscheint selbstsicher, stolz und schön, die jüngere, lebhaftere, mit schmiegsamer Bewegung, lieblich, hold und keck, jede auf die andere angewiesen im Stützen, Halten, Umschlingen, eine Gruppe, wie sie kaum einheitlicher gedacht werden kann, auch nie inniger und anmutvoller in der Plastik gebildet worden ist. Mit wieviel seelischer Wärme, tiefster Einsicht und hohem Künstlertum die Gruppe geschaffen wurde, auch sie hat das für Schadows gesamtes Werk so eigenartige Schicksal geteilt, fast ein Jahrhundert lang wenn auch nicht wie so manches andere verschollen, so doch vergessen zu sein. Selbst daß eine der beiden Dargestellten bald als Königin Luise dem deutschen Volke eine der liebsten Gestalten wurde, kam leider dieser ihrer besten Bildnisdarstellung nicht zugut. Die allgemeine Vorstellung vom Leidensweg der hohen Frau belebte sich leichter im Anblick der hingestreckten Toten des Charlottenburger Grabmals, der ersten bedeutenden Arbeit von Rauch.
Rom bedeutete für Rauch viel mehr als für Schadow. Für diesen war es eine Ausflucht in Ungebundenheit und Unabhängigkeit gewesen, Rauch sollte es heiß erstrebtes Ziel sein, Erfüllung seiner Wünsche und der Schlüssel entscheidender Erkenntnisse. Aber auch das künstlerische Rom war in den zwanzig Jahren zwischen [189] beider Aufenthalt ein anderes geworden. Winckelmanns nachhaltige Wirkung schien jetzt erst den Höhepunkt erreicht zu haben. Die Antike galt mehr denn je als unbedingtes Vorbild und zwang auch die Plastik in die Regeln strenger Formlogik. Was von gutem nordischem Stamm damals in der südlichen Sonne der Reife entgegenging, wie Rauch oder der fast gleichzeitig mit ihm angekommene Isländer Thorvaldsen, fand einen Mittelpunkt in Wilhelm von Humboldt. Dieser, so mächtig wie nur je ein Humanist von der Idee und der Erscheinung des Caput mundi getroffen, hatte im Süden jene Blutfülle erhalten, nach der sein Verstand lange getrachtet, und glaubte so dem Kreis von Künstlern und Gelehrten am Beispiel des unerschöpflichen Themas Rom eine Ahnung von ewigen Normen der Kunst vermitteln zu dürfen.
Als nach den Befreiungskriegen, die dem König sein Land und dem Lande die Freiheit wiedergegeben hatten, bald der Wunsch entstand, das Gedächtnis der ruhmvollen Führer zu ehren, schien Rauch der
Selbst bei einer so volkstümlichen Gestalt wie Blücher muß die Figur von reichlichen und schwungvoll in Falten geworfenen Stoffmassen umhüllt werden. Zweimal war Rauch vor die Aufgabe gestellt, des Feldmarschalls Standbild zu schaffen; so ersann er ihn einmal für Breslau, stürmisch vorschreitend, wie im Aufbruch, da hier der Freiheitskrieg angegangen (entworfen 1819, enthüllt 1827), und einmal für Berlin, in der Haltung und mit der herrischen Gebärde des Siegers einen Fuß auf das eroberte Haubitzenrohr gestemmt (entworfen 1819, enthüllt 1826). Die Ausführung geschah beide Male in Bronze, bei dem Berliner war sogar auch und zum ersten Male der ganze Sockel aus gegossenen Bronzetafeln. Fast noch mehr als das hoch entrückte Bildnis wurden stets und werden diese Sockelplatten betrachtet, deren reizvolle Darstellungen von Rauchs plaudernder Erzählergabe, mit bestem Sinn für Verteilung der Massen, gestaltet worden sind. In dem frischen Erfassen und Darstellen von Vorgängen des Soldatenlebens und aus der Wirklichkeit des Feldzuges folgt Rauch hier mit Glück Wegen, die Schadow (beim Tauentzien-Grabmal für Breslau und sonst) angebahnt hatte. Schadow wurde unterdes, so ist es offenbar, mehr und mehr von seinem natürlichen Wege abgedrängt. Auch er sollte ein Blücherdenkmal schaffen, das die mecklenburgischen Stände in seiner Vaterstadt Rostock zu errichten wünschten. Unglücklicherweise wurde Goethe mit der künstlerischen Leitung dieser Angelegenheit betraut. Zwischen dem schon gereifteren Dichter und dem noch jugendlichen Künstler waren früher Mißverständnisse vorgekommen. Goethe hatte einst das Kunsttreiben in Berlin als prosaisch hingestellt und eine Zurückweisung aus des Angegriffenen Feder lesen müssen. "Und war er damals", sagt Schadow trocken, "dergleichen Dreistigkeiten nicht gewohnt." Schadows Sinnenwärme lehnte alles Abstrakte ab, es gebe keine schöne, ideale Menschheit, wohl aber vorzüglich schöne Menschen. "Wer einen Menschen macht oder bildet, der mache einen Mann oder ein Weib, und zwar von bestimmtem Charakter, so schön er wolle, nur daß man genau seine Individualität kenne und seine Meinung und Bestimmung wisse." So hatte er sich ausgedrückt. Nun erwies sich beim Blücherdenkmal Goethes Rat, wiewohl in ausgesöhnter Stimmung erteilt, mehr hemmend als fördernd.
Die Stadtväter von Nürnberg wollten ihrem größten Sohne ein Gedächtnis weihen, auch hier erhielt Rauch den Auftrag und hat versucht, die Verehrung für Dürers Kunst in der würdig und aufrecht dastehenden Gestalt mit der gerafften Künstlerschaube auszudrücken. Für den Dom zu Posen fertigte er das Doppelstandbild der ritterlichen Vorkämpfer des Christentums in Polen, [192] Miecislaus und Boleslaus, in mittelalterlicher Tracht mit Kreuz und Schwert. In langem Predigertalar steht der fromme Francke, zwei Knäblein zur Seite, im Hofe des Hallischen Waisenhauses. Mancher Plan freilich geriet nicht zur Ausführung, wie das Goethebild für Frankfurt, das Goethe-Schiller-Denkmal für Weimar (das Rauchs Schüler Rietschel in glänzend durchgeführter tüchtigster Wirklichkeitstreue schuf), die Königsgruppe für die Kölner Rheinbrücke, von manchem Geringeren nicht zu reden.
Ein anderer heißer Herzenswunsch hat den Bildhauer sein Leben lang beschäftigt: das Denkmal für Friedrich den Großen zu schaffen. Schon dem Knaben hat eine Marmorbüste des Königs von Trippel im Schloß zu Arolsen den ersten bewegenden Kunsteindruck gegeben. Ein eigenes Kapitel über die Vorgeschichte wäre zu schreiben, wie seit dem Tode des Königs die Denkmals-Idee ein halbes Jahrhundert lang die besten Künstler der Nation in Atem gehalten hat, einen Gilly und Schinkel nicht weniger als Schadow und Rauch. Den Weg, den Rauch mit mancherlei Versuchen dabei gegangen ist, zeigt eine Reihe kleiner Entwürfe in Gips. Jedermann kennt die Lösung, wie sich am (damaligen) Anfang der Straße Unter den Linden auf hocherhobenem Unterbau das Reiterbild erhebt. Den in den früheren Denkmälern (für Blücher und Max Josef) schon anklingenden Kunstgedanken, die Bedeutung des Sockels nicht nur durch sinnbildlichen Schmuck, sondern durch geschichtlich getreue Darstellungen zu erhöhen, hat Rauch hier, dem Drängen des Zeitgeschmacks nachgebend, auf die Spitze [193] treiben müssen: der Sockel ist rings umgeben von der Umwelt Friedrichs, lebensgroß und lebenswahr, die ganze Generalität der drei Schlesischen Kriege zu Fuß und zu Pferd und an der vierten Seite, neben so viel Kriegerischem und Soldatischem selbst für den Bildner wohltuend und erleichternd, als "Schlußgruppe der monumentalen Gesellschaft von Heldenzöpfen", die Zivilpersonen, unter ihnen Lessing und Kant im Gespräch, wie sie sich allerdings im Leben leider nie begegnet sind. Der Grundstein des Denkmals wurde, noch unter Schinkels tätiger Mitwirkung und wenige Tage vor dem Tode Friedrich Wilhelms III., am 1. Juni 1840 gelegt; die feierliche Enthüllung fand am 2. Mai 1852 statt.
Rauch muß aus einem außerordentlichen bildnerischen Grundgefühl heraus gestaltet haben, um ein dergleichen umfangreiches Bronzegebäude von Anfang an bis zur letzten Durchführung auszudenken und aufzustellen, ohne sich viel mit Zeichnungen beholfen zu haben. Er war überhaupt kein guter Zeichner, sondern griff – mit dem Gedanken an Marmor oder Erz – stets lieber gleich in die Tonmasse, darin fast einseitig genial zu nennen. Dadurch unterscheidet er sich noch am meisten von Schadow.
Auch das gehört zur Geschichte des Nachruhms von Schadow und Rauch. Nicht einmal der Kenner vermag Schadows Werk, sowohl das bildnerische wie das zeichnerische, ganz zu übersehen, indes für Rauch, bald nach seinem Tode, ein eigenes Museum begründet wurde, in dem der gesamte Nachlaß des Meisters, liebevoll verwahrt und vermehrt, und seitdem jedermann zugänglich ist. Und so war auch die Wirkung beider. Indes die zeichnenden Künste Schadows wie im geheimen eine Fortsetzung in der Klarheit Krügers und in der Eindringlichkeit Menzels fanden, hat Rauchs Großplastik eine im späteren neunzehnten Jahrhundert nicht immer erfreuliche Nachfolge gezeitigt, freilich dem Bildnis in der Plastik auf lange Zeit hin eine ziemlich gleichmäßige Höhe gesichert. Aber man kann nicht sagen, daß Goethes Erwartung sich überall erfüllt habe, die er in einem Brief an Schadow (bei Gelegenheit der Verhandlungen über das Blücherdenkmal) zum Ausdruck gab: daß nur allein von der Plastik die bildende Kunst in Deutschland ihr Heil zu erwarten hätte. Dafür sind Schadow wie Rauch viel zu sehr vereinzelte Begabungen gewesen, die wohl Schüler, aber keine Nachfolger gleichen Ranges gehabt haben. Die "grenzenlose Marmortätigkeit" war doch auf die Dauer mehr in die Breite als in die Höhe gegangen und hat in einem gründungstüchtigen Zeitalter einen üppig ins Kraut geschossenen Denkmalsbetrieb hervorgebracht, an den nur noch selten strengere künstlerische Maßstäbe gelegt werden können. Besinnung und Umkehr (in der Zeit der letzten Jahrhundertwende) konnten nur wieder von der Einsicht einzelner ausgehen und von der Kraft einzelner durchgeführt werden – ein Vorgang wie hundert Jahre zuvor, für den wir Leben und Leistung der beiden Bildhauer Schadow und Rauch als beispielhaft werten dürfen.
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