SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[Bd. 5 S. 182]
Gottfried Schadow und Christian Rauch, 1764-1850 bzw. 1777-1857, von Paul Ortwin Rave

Johann Gottfried Schadow.
Johann Gottfried Schadow.
Detail, Gemälde von Julius Hübner, 1832.
[Nach wikipedia.org.]
Nach einer Äußerung Goethes, vielleicht nur halb als Lob gemeint, beherrschte eine "grenzenlose Marmortätigkeit" das Kunstleben in Berlin. Das war dem Wirken namentlich zweier Männer zu danken: Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch. Schon das mag uns berechtigen, sie beide in einem Atem zu nennen, so verschieden auch ihre Lebenspfade waren und so unterschiedlich wir ihre Kunst empfinden; aber gemeinsam war ihnen beiden vor allem die Aufgabe, in dem erst seit kurzem auch der Kunst erschlossenen Preußen die noch recht ungefesteten Wege einer landeseigenen Bildnerei weiter, ja zu einer neuen Höhe zu führen.

Der Name Andreas Schlüter bezeichnet uns einen ersten künstlerischen Aufschwung, wie er stolzer und prächtiger sich in Preußen weder zuvor noch nachmals ereignet hat. Mit der Thronbesteigung des Soldatenkönigs erfolgte der jähe Absturz. Sein bewußter, einseitiger, ja fast barbarischer Verzicht auf Entfaltung eines höfischen Lebens erklärt sich durch den Willen, daß der Staat alles bedeuten solle. Friedrich der Große fand den verlorengegangenen Ausgleich wieder. Aber die Kunst, die er in der Jugend bevorzugte, war nicht dem eigenen Boden entsprossen. Dafür wuchs dem alternden König ein junges Geschlecht von Künstlern zu, namentlich Baumeistern, die nun zum erstenmal in der Kunstgeschichte Preußens so etwas wie eine Überlieferung anbahnten und in dem vergleichsweise bildarmen Siedelland des nordostdeutschen Raumes wurzelechte Kunst schufen. Will man von einem preußischen Stil sprechen, muß man die Zeit um 1800 als seine Blüte bezeichnen. Niemals vorher oder nachher ist in Preußen das Herbe so natürlich und das Schlichte künstlerisch so richtig erschienen, niemals Armut so adlig und Sachlichkeit ein solcher Vorzug gewesen.

Die Voraussetzungen von Herkunft und Ausbildung, unter denen Schadow und Rauch in diese Umwelt hineinwuchsen, waren bei beiden keineswegs gleich. Ein echter Märker, ja gebürtiger Berliner der eine, der andere ein Zugereister aus dem kleinen Fürstentum Waldeck. Beide von Jugend an wohl leidenschaftlich Künstlerischem zugetan, doch nur dem Berliner war Werkstattluft zu atmen von früh auf vergönnt, wogegen sich Rauch durch äußere Widerstände schwer hindurchringen mußte. So verlief auch ihr Leben weiterhin, obwohl sie jahrzehntelang in derselben Stadt nebeneinander wirkten, nicht eigentlich in gleicher Bahn, vielmehr, auch ihrem Altersunterschied von etwa einem Dutzend Jahren entsprechend, [183] gewissermaßen in zwei sich folgenden Wellenbergen: In der Blütezeit Schadows war Rauch noch nichts oder doch nicht viel, und als er dann mit seinen Hauptwerken hervorzutreten begann, ebbte das Schaffen des anderen ab. Als beide um die Mitte des Jahrhunderts starben, stand Rauch bewundert auf der Höhe seines Ruhmes, nicht nur im Lande Preußen, während der andere fast als vergessen gelten konnte. Vom alten Schadow selbst rührt das halb verzichtende, halb wehmütige Scherzwort her, sein Ruhm sei in Rauch aufgegangen.

Schon beim jungen Schadow wäre, wenn auch noch nicht von Ruhm, so doch von einer gewissen Berühmtheit zu berichten. Er war, Sohn eines ehrsamen Schneidermeisters, wegen seiner Begabung früh in das französisch parlierende und kinderreiche Haus des Hofbildhauers Tassaert und bald auch in die Hofbildhauerwerkstatt aufgenommen, ließ aber wegen einer Liebesheirat – wie er späterhin beichtete – "fahren des Meisters Gunst, Pension und sonstige Aussichten und eilte nach Rom" (1785). Ein verwegenes Abenteuer, das auch künstlerisch nicht ohne Folgen blieb. In Rom begegnete ihm die Welt der Antike, und gerade der unverdorbene Wirklichkeitssinn des jungen Märkers mußte von dem echt Plastischen antiker Skulptur getroffen und geformt werden. Das "Gemein-Natürliche", mit dem die französisch ausgerichtete Bildnerei jener Jahrzehnte so glänzend zu überraschen vermochte, sagte dem kritisch Lernenden nun kaum mehr zu, ob es nun die Biederkeit Tassaerts war oder das zopfige Ungelenk Trippels, dem er sich in Rom zunächst anschloß, oder selbst die beseelte Bildniskunst Houdons, dessen Vorzüge zu bemerken er noch nicht reif genug gewesen sein mag. Das schlicht und einfach Natürliche war es, was sein blutvoll empfindendes Herz nun bewundern wollte und was er außer in antiken Werken bei einem gleichzeitigen Meister fand, bei dem wenig älteren Antonio Canova.

Der Tod Friedrichs des Großen war für die damalige Welt ein bewegendes Ereignis, vor allem für die Künstlerschaft, da nunmehr dem Toten ein Denkmal zu setzen der allgemeine Gedanke war. Auch Schadow beteiligte sich an einem Wettbewerb, wie Canova und der Schweizer Trippel. Galt es doch, gleichsam ein Gegenstück zu schaffen zu Schlüters Reiterbild des Großen Kurfürsten. Fast wäre eine der größten nationalen Kunstaufgaben einem Ausländer zugefallen, aber auch dem Preußen Schadow war sie nicht beschieden, obwohl er vielfache und sehr verschiedene Vorschläge ersonnen hat, vom kühl-sachlichen Entwurf bis zu einem fast noch im barocken Schwung übersteigert pathetischen. Wer schließlich nach vielfältigem Hin und Her, ein halbes Jahrhundert später, das Heroon errichten sollte, Christian Rauch, lebte damals als ein zehnjähriger Knabe in Arolsen.

Friedrich Wilhelm II.
[192b]      Johann Gottfried Schadow:
Friedrich Wilhelm II.
Marmorbüste, um 1795. Berlin, Schloß.
Der Nachfolger des großen Königs war Friedrich Wilhelm II., ein Mann von Geschmack und Freund der schönen Künste, der die Stimmen seiner Zeit wohl verstand und neue Kräfte heranzog, die eine abgelaufene Epoche abzulösen bereitstanden. Das Bauwesen erfuhr einen außerordentlichen Aufschwung. Der Thronerbe, der wie so viele Hohenzollern eine Leidenschaft für das Bauen betätigt hatte, [184] berief so tüchtige und feine Architekten wie Erdmannsdorff aus Dessau, Langhans aus Breslau und David Gilly aus Stettin. Die leitenden Männer in Berlin, an erster Stelle der treffliche Minister von Heinitz, waren nun auch auf ihren in Rom lebenden Landsmann aufmerksam geworden und holten ihn zurück, und da auch Tassaert starb, konnte Schadow im Alter von dreiundzwanzig Jahren dessen künstlerische Erbschaft antreten. Er hat mit dem ihm anvertrauten Pfunde hundertfach gewuchert: mit spielender Überlegenheit dirigierte er einen

Johann Gottfried Schadow.
Johann Gottfried Schadow.
Tonbüste, Selbstbildnis, um 1790.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 247.]

Lithographie von Friedrich Georg Weitsch, 1795.
[184a]      Johann Gottfried Schadow.
Lithographie, Friedrich Georg Weitsch, 1795.
umfänglichen Werkstattbetrieb und wurde den verschiedensten Anforderungen mit dem sieghaften Selbstgefühl der Jugend gerecht. Nach diesem beispiellos schnellen Aufstieg begannen die künstlerisch glücklichsten und ertragreichsten Jahre Gottfried Schadows.

Nur von seinen bedeutenderen Arbeiten kann hier berichtet werden. Unerwähnt im einzelnen müssen die vielen Aufträge bleiben, die ihm aus den Kreisen des Bürgertums und Adels zuflossen, wie die kleineren künstlerischen Aufgaben, die er sich etwa selbst stellte, auch die Anforderungen, die laufend nebenher von Behörden wie dem Hofbauamt oder der Porzellan-Manufaktur an die Werkstätte gelangten. Die Menge der Bildnisbüsten, Grabmäler, Tafelaufsätze und von allerlei ziermäßig an Häusern und Brücken, in Gärten und Sälen verwandtem Bildwerk ist fast unübersehbar, aber stets, wenn Schadow als Urheber genannt wird, erfreut die Frische der Erfindung und der Gestaltung, das gleichsam natürliche Leben des Kunstwerkes.

Aus allem ragt das Grabmal des Grafen von der Mark hervor (entstanden 1788–1791). Dieser war im kindlichen Alter von achteinhalb Jahren gestorben, heiß geliebt und tief betrauert von seinen Eltern, dem König Friedrich Wilhelm II. und der Gräfin Lichtenau. Des Künstlers Entwurf klärte sich von der ersten Eingebung rasch zur ausgewogenen Ruhe des ausgeführten Aufbaus: ein Marmorsarg frei vor der Wand stehend, zeigt an den Seiten in flachem Bildwerk auf den Tod Bezügliches; auf dem Deckel ein Polster als Ruhelager des Knaben, welcher, in leichten traumverklärten Schlummer versunken, ein Abbild kindlichen Lebens, mit Waffen noch spielend, nichts ahnt von den drei Parzen, die droben beieinandersitzen, vom Halbrund des Aufbaus gefaßt, und seinen Lebensfaden zerreißen.

Grabmal des Grafen von der Mark.
[192a]      Johann Gottfried Schadow: Grabmal des Grafen von der Mark, 1791.
Berlin, Dorotheenstädtische Kirche.

[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin.]

Gerade dieses verschiedene Tun, das Walten der Schicksalsgöttinnen über der Unschuld des schlafenden Kindes, verleiht dem Werk jene gehaltvolle, fast dichterische Spannung, in deren Bann sich noch jeder Beschauer unwiderstehlich gezogen fühlt. Das Marmorweiß der Gestalten hebt sich ab von verschiedenfarbigem dunkleren Gestein, wodurch ihre Natürlichkeit und Lebensnähe zu erhöhter Wirkung gelangen – so wenig dies im Sinne eines strengen Klassizismus war und so wenig dies Werk mit gleichzeitigen etwa eines Canova gemein hat. Welch ein Gegensatz aber auch zu den späteren Grabmälern Rauchs in ihrer starren Feierlichkeit! Aus wie anderer künstlerischer Empfindung schuf Schadow seinen anmutvollen, noch vom Hauche warmen Lebens beseelten Knaben und schuf Rauch die in künstlich [185] schöner Haltung, doch in unerweckbar versteinertem Todesschlaf liegenden Gestalten bei ähnlichen Aufgaben.

Obgleich sich das Grabmal heute noch an Ort und Stelle befindet, in der (durch einen Neubau ersetzten) Kirche der Berliner Dorotheenstadt, für die es von Anfang an geplant war, so wird es doch, "das schönste deutsche Grabmal", selten von einem Kunstfreund aufgesucht und gesehen. Tausende dagegen sehen täglich, ohne wohl freilich an den Urheber zu denken, das Viergespann auf dem Brandenburger Tor. Es gehört zu der Gattung öffentlich aufgestellter Werke, durch die nach dem königlichen Willen die Residenz "embelliert" werden sollte; kaum eines steht noch davon im raschlebigen Berlin am alten Platze. Mit Recht gilt das von dem älteren Langhans errichtete Brandenburger Tor als das Wahrzeichen sogar noch der Weltstadt. Der Baumeister hat damals auch im allgemeinen die Idee des bildnerischen Schmuckes angegeben, der unter Schadows Leitung in der Hofbildhauerwerkstatt ausgeführt wurde: mancherlei in Sandstein zu hauendes Flachbildwerk, zwei Sitzbilder antiker Gottheiten (besonders ausdrucksvoll und lebendig gelang die jugendlich-kräftige Gestalt des Mars) und die bekrönende Quadriga, vier prachtvolle Rosse, fast noch antiker Art, gezügelt von der groß und aufrecht im Kampfwagen stehenden Göttin mit dem Siegeszeichen in der hocherhobenen Rechten. 1794 wurde die Gruppe vollendet, ausgeführt nicht in dem so selten geübten und fast unbekannt gewordenen Erzguß, sondern über Holzmodellen in Kupferblech getrieben, musterhaft, wie der Augenschein lehrt. Ihren besonderen Ruhm verdankt sie dem Umstand, als sie auf Napoleons Geheiß nach Paris entführt war, daß die Preußen sie im Triumph zurückholten und wieder aufstellten, nach Schinkels Entwurf bereichert um das Eiserne Kreuz im Lorbeerkranz als Siegeszeichen.

Die Quadriga des Brandenburger Tores.
Berlin, 7.7.1991: Die Quadriga des Brandenburger Tores, das von Johann Gottfried Schadow konzipierte kupferne Kunstwerk der Siegesgöttin mit Pferdegespann, wurde nach umfangreicher Restaurierung im Berliner Museum für Verkehr und Technik feierlich enthüllt.
Nach schweren Beschädigungen in der Silvesternacht 1989/1990 waren aufwendige Restaurierungsarbeiten erforderlich geworden, die mehr als 200 000 DM kosteten.
Zum 200. Geburtstag des Brandenburger Tores am 6.8.1991 wird die 1789 in Auftrag gegebene und 1794 fertiggestellte Quadriga wieder an ihrem alten Platz auf dem Brandenburger Tor sein.
[Foto: Bundesarchiv_B_145_Bild-F088693-0001, nach wikipedia.org.]

Daß in Berlin die Kunst des Bronzegusses (weniger von Geschützrohren als von Denkmälern) nicht mehr verstanden wurde, verdroß namentlich Heinitz, den rastlos um die Förderung der Künste bemühten Minister. Ihm ist es zu danken, daß Schadow, als nun von neuem Pläne und ein Wettbewerb für das Denkmal Friedrichs des Großen erwogen wurden, auf Reisen geschickt ward, um jenes Verfahren kennenzulernen. In den nordischen Königsstädten waren in den letzten Jahren Reiterbilder und andere Kunstarbeiten gegossen worden; so begab sich Schadow nach Kopenhagen und Stockholm und machte von dort aus schnell entschlossen einen Abstecher nach Petersburg, eine Seereise durch die finnischen Schären, die ihm fast das Leben gekostet hätte. Überall halfen dem jungen Meister sein geschulter Blick und rasches Erfassen, sein großstädtisch gewandtes Auftreten und die vielfachen Sprachkenntnisse, der unverbrauchte Lebens- und Wagemut, der trockene Humor und die unverwüstliche Gesundheit. Mit manchen neugewonnenen Einsichten kehrte er zurück und nahm in Berlin seine Tätigkeit wieder auf.

Zieten-Denkmal von Gottfried Schadow.
Zieten-Denkmal von Gottfried Schadow.
Bronzenachguss (1999)
der Marmorstatue von 1794.
[Nach wikipedia.org.]

Gebhard Leberecht von Blücher.
Gebhard Leberecht von Blücher.
Standbild aus grün bronziertem Gips
von Johann Gottfried Schadow.
Berlin, National-Galerie.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 224.]

Friedrich der Große.
Gottfried Schadow:
Friedrich der Große.
Marmorstatue in Stettin.
[Nach Blog Pommerscher Greif e.V..]

Johann Wolfgang von Goethe.
Johann Wolfgang von Goethe.
Marmorbüste von Gottfried Schadow,
1821–1822. Berlin, National-Galerie.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 209.]

Friedrich Gilly.
Friedrich Gilly.
Marmorbüste von Gottfried Schadow, 1801.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 249.]

Die Prinzessinnengruppe.
Gottfried Schadow:
Die Prinzessinnengruppe:
Die Skulptur zeigt die preußische Kronprinzessin und spätere Königin Luise zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Friederike.
Gipsausführung von 1795 in der Friedrichswerderschen Kirche, Berlin.
[Nach wikipedia.org.]
Wenn auch das Schicksal nicht ihm, sondern Rauch vergönnt hat, das Nationaldenkmal des großen Preußenkönigs zu schaffen, so konnte er doch an einigen Beispielen zeigen, worin er Neues in der Bildnerei seiner Zeit erstrebte. Es gab Stand- [186] bilder von Fürsten oder Feldherren in Berlin, vielfach in barocken Posen, meist in antikrömischer Tracht, doch wahrhaft künstlerischen Ranges nur die von Schlüters Meisterhand. Als der Reitergeneral Zieten, der hochbetagt im selben Jahre wie sein König gestorben war, durch ein Denkmal geehrt werden sollte, stand Schadow zum erstenmal vor der schweren Aufgabe, einen ebenso unscheinbaren und häßlichen wie charaktervollen Mann in die Reihe der Helden zu stellen. Überraschend gut gelang ihm die Absicht, indem er Zieten nicht äußerlich heroisierte, sondern so zeigte, wie er wirklich gewesen und wie ihn jedermann kannte, mit allem Zubehör einer verzwickten, malerisch wirkenden Uniform, den Dolman um die Schulter, die Pelzmütze auf dem Kopf. Gleichwohl steht er nicht vor uns wie eine Puppe aus dem Zeughaus, sondern durch bildnerische Klärung, Vereinfachung und Verdichtung als ganzer Kerl, echt und männlich, wirklich der "Ahnherr aller Husaren". 1794 wurde das Standbild auf dem Wilhelmplatz aufgestellt (1857 durch einen Erzguß ersetzt, heute im Kaiser-Friedrich-Museum). Ganz ähnlich verhielt sich Schadow, als bald danach der Fürst von Dessau, der sich, seine Söhne und Soldaten einst dem preußischen Nachbarn verschrieben hatte, durch ein Standbild, ebenfalls wie das Zietens in Marmor, verewigt werden sollte: auch hier entstand der Mann, wie er war, in seiner Zeittracht, das treffliche Rauhbein und doch ein Feldherr, ganz und gar der Alte Dessauer. Vom ursprünglichen Aufstellungsort im Lustgarten wurde es 1828 auf den Wilhelmplatz gebracht, 1859 durch Erzguß ersetzt und befindet sich heute im Kaiser-Friedrich-Museum. Auch als die pommerschen Stände von Schadow ein Bild Friedrichs des Großen für Stettin begehrt hatten, wurde ebenfalls hier das Natürliche der Erscheinung gepaart mit der Würde des Königs, der alltägliche Soldatenrock umrahmt vom fürstlichen Hermelinmantel, Bildnistreue mit herrscherlicher Gebärde vereint. Enthüllt wurde das Denkmal am 10. Oktober 1793.

Dergleichen Standbilder bedeuteten damals mehr als etwa eine ganze Siegesallee hundert Jahre später. Es gab schließlich doch nur einen Mann im Lande, der so etwas zu schaffen vermochte. Wir sind heute – aus vielerlei Gründen – leicht geneigt, ein Denkmal auf der Straße zu übersehen oder es nicht zur hohen Kunst zu rechnen. Zu Schadows Zeit wurde jedes einzelne in Wort und Schrift und Bild beschrieben und gefeiert, lebte und wucherte fort in den verschiedenartigsten Nachbildungen, fast den Heiligenbildern des Mittelalters vergleichbar. Auf uns heute wirkt dagegen ein bescheideneres Werk, eine schlichte Bildnisbüste etwa, oft stärker und unmittelbarer, und gerade wenn man an Schadow denkt, steht vor unserem Auge sogleich eine Reihe jener lebensvollen Köpfe in Marmor oder Erz, in gebranntem Ton oder Stuck oder gar nur in Gips, die man, einmal gesehen, nicht mehr vergißt. Da sind liebreizende Köpfchen junger Frauen und Mädchen, deren lächelnder Rokoko-Charme festgehalten wurde; da ist die Überlegenheit des einen oder anderen Denkerkopfes aus jener Epoche, als die Aufklärung in Berlin ihren Übergang fand in das goldene Zeitalter unseres Schrifttums; da wurde ein Urbild [187] jugendstolzer Geistigkeit in dem edlen Antlitz des Baumeisters Friedrich Gilly bewahrt oder auch die mit genüßlichen wie gutherzigen Zügen vermischte massige Erscheinung des derzeitigen Staatsoberhauptes, des "dicken Wilhelm aus Kanonenland".

In jenen Jahren, so erzählt Schadow in seinem Erinnerungsbuch, das er im Alter nach Tagebuchvermerken verfaßt hat und 1849 unter dem Titel Kunstwerke [188] und Kunstansichten in Druck gab (ein unerschöpfliches, leider nicht immer ganz zuverlässiges Quellenwerk für sein Wirken und das künstlerische Leben seiner Zeit), in jenen Jahren "hatte sich in Berlin ein Zauber verbreitet, welcher über alle Stände ausging, durch das Erscheinen der hohen Schwestern, Gemahlinnen der Söhne des Königs... Es entstanden Parteien, welcher von beiden der Vorrang an Schönheit zukomme". In einem der glücklichsten Einfälle des Künstlers setzte er sich über jene Parteien hinweg und schuf das Doppelstandbild der beiden jungen Frauen (Gipsmodell 1795, Ausführung in Marmor 1796–1797). Geschwisterlich lehnen sie aneinander. Die ältere, gereiftere Kronprinzessin erscheint selbstsicher, stolz und schön, die jüngere, lebhaftere, mit schmiegsamer Bewegung, lieblich, hold und keck, jede auf die andere angewiesen im Stützen, Halten, Umschlingen, eine Gruppe, wie sie kaum einheitlicher gedacht werden kann, auch nie inniger und anmutvoller in der Plastik gebildet worden ist. Mit wieviel seelischer Wärme, tiefster Einsicht und hohem Künstlertum die Gruppe geschaffen wurde, auch sie hat das für Schadows gesamtes Werk so eigenartige Schicksal geteilt, fast ein Jahrhundert lang wenn auch nicht wie so manches andere verschollen, so doch vergessen zu sein. Selbst daß eine der beiden Dargestellten bald als Königin Luise dem deutschen Volke eine der liebsten Gestalten wurde, kam leider dieser ihrer besten Bildnisdarstellung nicht zugut. Die allgemeine Vorstellung vom Leidensweg der hohen Frau belebte sich leichter im Anblick der hingestreckten Toten des Charlottenburger Grabmals, der ersten bedeutenden Arbeit von Rauch.


Christian Rauch.
[184b]      Christian Rauch.
Photographie, ca. 1856.
Der Weg des jungen Künstlers Christian Rauch bis zu dieser im Anfang seines Lebenswerkes stehenden Leistung von Rang war nicht so selbstverständlich und vom Glück begünstigt gewesen wie der Schadows. Wohl hatte sich bei ihm auch früh der Bildnertrieb geregt. Sein Waldecker Fürst, bei dem der Vater Rauch in Diensten stand, wollte ihm wohl, patriarchalisch waren die Verhältnisse in dem kleinen Arolsen. Es war Rauch vergönnt, bei dem Bildhauer Christian Ruhl in Kassel zu lernen, und er trug wohl nicht mehr und nicht weniger davon, als was ein junger und begabter Mensch in einer Bildhauerwerkstatt um 1800, einer jener zahlreichen in den kleineren deutschen Fürstenstädten, erlernen konnte. Aber als sich nun der Zwanzigjährige nach Berlin wandte, mußte er sich jahrelang damit abfinden, am Hofe Kammerdiener eben der Königin zu sein, deren Gestalt und geliebtes Antlitz er einst verewigen sollte. Zwar vermochte er sich nebenher künstlerischen Arbeiten zu widmen, war auch Schüler an der Akademie unter Schadow, aber die volle Freiheit errang er erst durch den schließlich bewilligten Urlaub nach Rom (1804).

Rom bedeutete für Rauch viel mehr als für Schadow. Für diesen war es eine Ausflucht in Ungebundenheit und Unabhängigkeit gewesen, Rauch sollte es heiß erstrebtes Ziel sein, Erfüllung seiner Wünsche und der Schlüssel entscheidender Erkenntnisse. Aber auch das künstlerische Rom war in den zwanzig Jahren zwischen [189] beider Aufenthalt ein anderes geworden. Winckelmanns nachhaltige Wirkung schien jetzt erst den Höhepunkt erreicht zu haben. Die Antike galt mehr denn je als unbedingtes Vorbild und zwang auch die Plastik in die Regeln strenger Formlogik. Was von gutem nordischem Stamm damals in der südlichen Sonne der Reife entgegenging, wie Rauch oder der fast gleichzeitig mit ihm angekommene Isländer Thorvaldsen, fand einen Mittelpunkt in Wilhelm von Humboldt. Dieser, so mächtig wie nur je ein Humanist von der Idee und der Erscheinung des Caput mundi getroffen, hatte im Süden jene Blutfülle erhalten, nach der sein Verstand lange getrachtet, und glaubte so dem Kreis von Künstlern und Gelehrten am Beispiel des unerschöpflichen Themas Rom eine Ahnung von ewigen Normen der Kunst vermitteln zu dürfen.

Friedrich Wilhelm III.
[192c]      Christian Rauch:
Friedrich Wilhelm III.
Marmorbüste, 1811. Rogau, W. von Rother.

[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin.]
Humboldt war es auch, der half, daß der Auftrag zum Grabmal der Königin Luise (†1810) dem Künstlerfreunde zukam. Friedrich Wilhelm III., ein sparsamer, von Natur karger und gehemmter Regent, stand namentlich den Bezirken der Kunst fremd und unerschlossen, daher auch unentschlossen gegenüber. Aber die tiefe Liebe zu seiner Gemahlin bewog ihn zu Außerordentlichem. Er sandte den Bildhauer abermals nach Italien, damit er das Werk in den Steinbrüchen Carraras eigenhändig in Marmor vollende, dasselbe, das dann in dem kleinen Grabhaus des Charlottenburger Parkes aufgestellt wurde und noch heute Tausende anzieht. Wie auf einem Lager erscheint die Entschlafene gebettet, in lang fließendem schlichtem Gewande, die Füße leicht gekreuzt, die Arme sanft verschlungen, das Haupt leise zur Seite geneigt, ein Bild des Friedens und der Ruhe, ein Werk von maßvoller Einfalt, edler Gestaltung und auf das feinste durchdacht. Jahrzehnte später hat Rauch

Grabdenkmal für Königin Luise von Preußen.
Grabdenkmal für Königin Luise von Preußen
von Christian Rauch.
[Nach koenigin-luise.com.]
auch seinen König im weißen starren Marmorschlaf neben jenen Sarkophag gebettet, den dritten Friedrich Wilhelm (†1840), in Uniform und Mantel, streng und gerade, noch im Tode ein Gardeoffizier vom Scheitel bis zur Sohle, das steingewordene preußische Pflichtbewußtsein.

Als nach den Befreiungskriegen, die dem König sein Land und dem Lande die Freiheit wiedergegeben hatten, bald der Wunsch entstand, das Gedächtnis der ruhmvollen Führer zu ehren, schien Rauch der

Denkmal für Gerhard von Scharnhorst.
Denkmal für Gerhard von Scharnhorst
von Christian Rauch, 1822.
[Bildquelle leider unbekannt.]

Gebhard Leberecht von Blücher.
Denkmal für Gebhard Leberecht von Blücher
in Berlin. Von Christian Rauch, 1826.
[© BrokenSphere / Wikimedia Commons.]
rechte Mann zu sein, die Heldenbilder zu schaffen. Der vor Prag gefallene Scharnhorst wie auch Bülow, der kurz nach Ende des Krieges gestorben war, sollten wie in antiker Kämpferehrung ihre Bildsäulen erhalten, zu seiten der Neuen Wache, die Schinkel soeben zu errichten im Begriff war. Dieser bevorzugte Standort hat, in wirkungsvollem Gegensatz des schönen hellen Marmors zu dem ernsten Wachgebäude (heute Ehrenmal des Weltkrieges), von je ihre Lebendigkeit gesteigert. Bülow steht da wie in spannungsvollem Augenblick vor dem Entschluß zur Tat, Scharnhorst gesammelt und nachdenklich, als "strategischer Soldatenprofessor" (nach Rauchs Ausdruck), jeder in Vollendung das Bild hoher Männlichkeit. Es ist für Rauchs Richtung lehrreich, zu beobachten, wie er, im Gegensatz zu Schadow, die Erscheinung der preußischen Generale in ihrer knapp sitzenden soldatischen Kleidung [190] durch einen antikischen Mantelwurf mehr ins Allgemeingültige zu heben und zu steigern versucht hat.

Selbst bei einer so volkstümlichen Gestalt wie Blücher muß die Figur von reichlichen und schwungvoll in Falten geworfenen Stoffmassen umhüllt werden. Zweimal war Rauch vor die Aufgabe gestellt, des Feldmarschalls Standbild zu schaffen; so ersann er ihn einmal für Breslau, stürmisch vorschreitend, wie im Aufbruch, da hier der Freiheitskrieg angegangen (entworfen 1819, enthüllt 1827), und einmal für Berlin, in der Haltung und mit der herrischen Gebärde des Siegers einen Fuß auf das eroberte Haubitzenrohr gestemmt (entworfen 1819, enthüllt 1826). Die Ausführung geschah beide Male in Bronze, bei dem Berliner war sogar auch und zum ersten Male der ganze Sockel aus gegossenen Bronzetafeln. Fast noch mehr als das hoch entrückte Bildnis wurden stets und werden diese Sockelplatten betrachtet, deren reizvolle Darstellungen von Rauchs plaudernder Erzählergabe, mit bestem Sinn für Verteilung der Massen, gestaltet worden sind. In dem frischen Erfassen und Darstellen von Vorgängen des Soldatenlebens und aus der Wirklichkeit des Feldzuges folgt Rauch hier mit Glück Wegen, die Schadow (beim Tauentzien-Grabmal für Breslau und sonst) angebahnt hatte.

Schadow wurde unterdes, so ist es offenbar, mehr und mehr von seinem natürlichen Wege abgedrängt. Auch er sollte ein Blücherdenkmal schaffen, das die mecklenburgischen Stände in seiner Vaterstadt Rostock zu errichten wünschten. Unglücklicherweise wurde Goethe mit der künstlerischen Leitung dieser Angelegenheit betraut. Zwischen dem schon gereifteren Dichter und dem noch jugendlichen Künstler waren früher Mißverständnisse vorgekommen. Goethe hatte einst das Kunsttreiben in Berlin als prosaisch hingestellt und eine Zurückweisung aus des Angegriffenen Feder lesen müssen. "Und war er damals", sagt Schadow trocken, "dergleichen Dreistigkeiten nicht gewohnt." Schadows Sinnenwärme lehnte alles Abstrakte ab, es gebe keine schöne, ideale Menschheit, wohl aber vorzüglich schöne Menschen. "Wer einen Menschen macht oder bildet, der mache einen Mann oder ein Weib, und zwar von bestimmtem Charakter, so schön er wolle, nur daß man genau seine Individualität kenne und seine Meinung und Bestimmung wisse." So hatte er sich ausgedrückt. Nun erwies sich beim Blücherdenkmal Goethes Rat, wiewohl in ausgesöhnter Stimmung erteilt, mehr hemmend als fördernd.

Denkmal zu Ehren Marin Luthers.
Denkmal zu Ehren Martin Luthers
auf dem Marktplatz zu Wittenberg.
Von Johann Gottfried Schadow,
1821 enthüllt.
[Nach kulturreise-ideen.de.]
Der Bildhauer befolgte diese Vorschläge, die vor allem die Bekleidung des Helden so seltsam erscheinen lassen: über einer ziemlich allgemein gehaltenen soldatischen Tracht trägt der brave Mecklenburger wie Herkules eine Löwenhaut, deren Rachen auf seiner Brust das Heft bildet. In dem vom Künstler geprägten Ausruf "Dichtung und Wahrheit!" sollte nicht nur das eine Werk gekennzeichnet werden, es deutet auch die leise Bitterkeit an, die das Dreinreden beim Schaffenden zu erzeugen imstande ist. Ein zweites größeres Werk Schadows aus diesen späteren Jahren, das Erzbild Luthers für Wittenberg (vollendet 1821), stand ebenfalls unter nicht sehr [191] glücklichen Sternen. Der Meister zog vor, zu entsagen und sich weise zu bescheiden auf das, was er in einem dreiundeinhalbes Jahrzehnt langen ununterbrochenen Wirken als Direktor der Akademie zu leisten berufen war, anregend und fördernd, unermüdlich und unverwüstlich, ein Kauz und Original, als "der alte Schadow" keinem Berliner unbekannt, dabei skeptisch, witzig und als Mensch dem Lauf dieser Welt überlegen.

Christian Daniel Rauch.
Christian Daniel Rauch.
Marmorstandbild von Friedrich Drake, 1874.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 280.]
Wie anders Rauch, der, seit den Tagen der Jugend an Hofluft gewöhnt, durch den Umgang in Rom geschliffen, durch den Erfolg seiner ersten Werke in jeder Hinsicht gehoben, sich in einem Kreis äußerst gebildeter Männer bewegte und in seiner Werkstatt einer stetig sich mehrenden Zahl von Gehilfen und Schülern zu befehlen hatte, sich stolz und gemessen trug und edel aussah, das schöne Haupthaar in Silberlocken wallend, angetan mit einem riesigen gelbseidenen Kragenmantel, wahrlich ein Gott des Biedermeiers! Zu ihm bewegte sich die vornehme Welt und verlangte die Bildnisbüste, der König, die Prinzen und die Hofstaaten, hoher und einfacher Landadel, Staatsmänner, Gelehrte, Dichter und Künstler. Es entstand eine Galerie von Bildnissen der Zeit ohnegleichen. Bei jedem einzelnen mühte sich Rauch, das Wahrnehmbare zu großen, gut geschnittenen und gefügten Formen zu klären, auszugleichen, aber ohne dabei flau zu verklären oder allgemein zu werden. Vielmehr sollte die menschliche Wesenheit des Betreffenden charaktervoll gehoben werden, bedeutend erscheinen, auch durch den zartesten Schmelz des feinkörnigen Marmors spürbar bleiben. Diese glänzende Oberflächenbehandlung war ein Hauptruhm der Rauchschen Marmorwerkstatt, und nur ihr vom Meister mit Umsicht geleiteter Betrieb konnte so zahlreichen Bestellungen genügen.

Denkmal für König Max Joseph von Bayern.
Denkmal für König Max Joseph von Bayern.
Von Christian Rauch, 1825-35.
[Nach wikipedia.org.]

Friedrich Wilhelm III. von Preußen.
Große Aufträge gelangten nun auch vielfach von weit her nach Berlin. Der kunstbegeisterte Bayernkönig Ludwig I. bat Rauch noch im Jahre der Thronbesteigung (1825), das Denkmal seines Vaters Maximilian Josef für München zu übernehmen. Ähnlich wie das Blüchers erhebt es sich als reich verzierter Bronze-Unterbau mit der in einen weiten Mantel gehüllten Gestalt des Königs, der von seinem Sessel herunter die verfassungstreue Schwurhand halb wie im Gruß zum Volk hin hebt. In die leider nicht genug beachteten Sockelplatten hat der Bildner viel Zeit- und Stadt-Bezügliches hineingebannt, teils sinnbildlich, teils wirklichkeitsnah, im ganzen ein Ausdruck für die bildungsfrohe Zeit, als welche wir die des späten Goethe kennen, eine Zeit, die Kunstwerke oft mehr lesen und deuten wollte, als schauend genießen. Und doch hat Rauch auch hier das feinste Empfinden für Maßverhältnis und Massenverteilung bewiesen.

Die Stadtväter von Nürnberg wollten ihrem größten Sohne ein Gedächtnis weihen, auch hier erhielt Rauch den Auftrag und hat versucht, die Verehrung für Dürers Kunst in der würdig und aufrecht dastehenden Gestalt mit der gerafften Künstlerschaube auszudrücken. Für den Dom zu Posen fertigte er das Doppelstandbild der ritterlichen Vorkämpfer des Christentums in Polen, [192] Miecislaus und Boleslaus, in mittelalterlicher Tracht mit Kreuz und Schwert. In langem Predigertalar steht der fromme Francke, zwei Knäblein zur Seite, im Hofe des Hallischen Waisenhauses. Mancher Plan freilich geriet nicht zur Ausführung, wie das Goethebild für Frankfurt, das Goethe-Schiller-Denkmal für Weimar (das Rauchs Schüler Rietschel in glänzend durchgeführter tüchtigster Wirklichkeitstreue schuf), die Königsgruppe für die Kölner Rheinbrücke, von manchem Geringeren nicht zu reden.

Kranzwerfende Viktoria.
Kranzwerfende Viktoria.
Marmorstatue von Christian Rauch.
[Nach wikipedia.org.]

Hans von Diebitsch (Sabalkansky).
Dergleichen oft im Zeitkostüm verlangte Aufgaben bedeuteten für den Bildhauer keineswegs immer eine reine Freude. Seine so sehr auf das Ideale gestimmte und nach der Antike ausgerichtete Kunstauffassung sah in der Bildung der nackten menschlichen Gestalt das eigentliche Ziel, was auch viele kleine, oft recht reizvolle Entwürfe seiner Hand beweisen. Aber nur einmal ist ihm eine größere Aufgabe dieser Gattung geworden, als er im Auftrag König Ludwigs die Viktorien für die Walhalla bei Regensburg schaffen durfte. Wenn er sie auch auf des Königs Wunsch reichlicher bekleiden mußte, als ihm lieb war, so hat er hier doch die schönste Erfüllung seines Sehnens gefunden, Werke im Geiste der Antike zu schaffen. In kunstvoller Abwandlung des einen Themas, recht treffend mit den sechs Strophen eines Siegesgesanges verglichen, hat Rauch, dessen Leben mit dem in Unglück und Glanz wechselnden Schicksal Preußens verknüpft war, die Göttin des Sieges gestaltet mit dem verschiedenen Ausdruck von zuwartender Teilnahme, von Feier, Jubel und Trauer. Sosehr die Form entlehnt sein mag, dem Gehalt und der Stimmung nach sind sie ein Werk der deutschen Romantik. Nach zwölfjähriger Arbeit konnte die Welt bei der Einweihung der Walhalla im Oktober 1842 die schönen Gestalten bewundern, im Innern von Klenzes Tempelbau, zwischen den Bildnisbüsten der Großen Deutschen wie im Begriff, die Kränze des Sieges und die Zweige des Ruhmes an die unter ihnen Weilenden zu verteilen.

Ein anderer heißer Herzenswunsch hat den Bildhauer sein Leben lang beschäftigt: das Denkmal für Friedrich den Großen zu schaffen. Schon dem Knaben hat eine Marmorbüste des Königs von Trippel im Schloß zu Arolsen den ersten bewegenden Kunsteindruck gegeben. Ein eigenes Kapitel über die Vorgeschichte wäre zu schreiben, wie seit dem Tode des Königs die Denkmals-Idee ein halbes Jahrhundert lang die besten Künstler der Nation in Atem gehalten hat, einen Gilly und Schinkel nicht weniger als Schadow und Rauch. Den Weg, den Rauch mit mancherlei Versuchen dabei gegangen ist, zeigt eine Reihe kleiner Entwürfe in Gips. Jedermann kennt die Lösung, wie sich am (damaligen) Anfang der Straße Unter den Linden auf hocherhobenem Unterbau das Reiterbild erhebt. Den in den früheren Denkmälern (für Blücher und Max Josef) schon anklingenden Kunstgedanken, die Bedeutung des Sockels nicht nur durch sinnbildlichen Schmuck, sondern durch geschichtlich getreue Darstellungen zu erhöhen, hat Rauch hier, dem Drängen des Zeitgeschmacks nachgebend, auf die Spitze [193] treiben müssen: der Sockel ist rings umgeben von der Umwelt Friedrichs, lebensgroß und lebenswahr, die ganze Generalität der drei Schlesischen Kriege zu Fuß und zu Pferd und an der vierten Seite, neben so viel Kriegerischem und Soldatischem selbst für den Bildner wohltuend und erleichternd, als "Schlußgruppe der monumentalen Gesellschaft von Heldenzöpfen", die Zivilpersonen, unter ihnen Lessing und Kant im Gespräch, wie sie sich allerdings im Leben leider nie begegnet sind. Der Grundstein des Denkmals wurde, noch unter Schinkels tätiger Mitwirkung und wenige Tage vor dem Tode Friedrich Wilhelms III., am 1. Juni 1840 gelegt; die feierliche Enthüllung fand am 2. Mai 1852 statt.

Denkmal Friedrichs des Großen.
[192d]      Christian Rauch: Denkmal Friedrichs des Großen in Berlin. 1840–1851.
[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin.]

Rauch muß aus einem außerordentlichen bildnerischen Grundgefühl heraus gestaltet haben, um ein dergleichen umfangreiches Bronzegebäude von Anfang an bis zur letzten Durchführung auszudenken und aufzustellen, ohne sich viel mit Zeichnungen beholfen zu haben. Er war überhaupt kein guter Zeichner, sondern griff – mit dem Gedanken an Marmor oder Erz – stets lieber gleich in die Tonmasse, darin fast einseitig genial zu nennen. Dadurch unterscheidet er sich noch am meisten von Schadow.

Bildnis des Hawaiiers Harry Maitey.
Bildnis des Hawaiiers Harry Maitey
von Gottfried Schadow, 1824.
[Nach wikipedia.org.]
Bei Schadow überwiegt die Lust am Zeichnerischen in manchen seiner Lebenszeiten jene an plastischer Arbeit, ja im Alter herrscht sie ausschließlich, als der Künstler sich ausgedehnten wissenschaftlichen Untersuchungen über den Körperbau widmete. Er hat sich lange mit solcherlei Studien befaßt. Schon früh boten ihm die durch die napoleonischen Heerzüge auftauchenden fremden Kriegsvölker ergiebigen Stoff der Beobachtung, aber auch einzelne etwa als Zauberkünstler auftretende Exoten oder Juden, Zwerge und Riesen vermaß er genau, um die Gesetze menschlicher Köperverhältnisse und Gesichtsbildung zu ergründen. Weil "das, was dem Künstler zustatten kommen soll, mehr handgreiflich als abstrakt dargeboten werden muß", faßte er seine Wissenschaft in drei großen Veröffentlichungen zusammen und ließ nacheinander die Atlanten dazu erscheinen: Lehre von den Knochen und Muskeln (1830), Polyclet oder von den Maßen der Menschen nach dem Geschlecht und Alter (1834) und National-Physiognomien oder Beobachtungen über den Unterschied der Gesichtszüge und die äußere Gestaltung des Kopfes (1835). Neben diesem theoretischen Niederschlag von Schadows
Federzeichnung von Gottfried Schadow.
[187]      Aufforderung Schadows an die Mitglieder des Vereins Berliner Künstler, einen Beitrag für die Armenkasse zu leisten.
Federzeichnung von Gottfried Schadow.
Berlin, National-Galerie.

Weibliches Bildnis.
Weibliches Bildnis
von Gottfried Schadow, o.J.
[Nach wikipedia.org.]
Zeichenkunst findet sich mancherlei Graphisches, was wir als Gelegenheitsarbeit ansprechen möchten, wie die Folge von Radierungen, die das Tänzerpaar Vigano zeigt (1796), die inhaltlich nicht völlig verständlichen Spottbilder auf Logenbrüder und die überlegenen Verhöhnungen Napoleons. Versuche im Steindruck ("Luthers Bildsäule" 1825, "Berliner Witze" 1827 ff.) und in anderen Verfahren dagegen sind mäßig und lassen den ganzen Bereich von Schadows Graphik wohl als zu gewichtig genommen erscheinen, wohingegen eine Durchsicht der Zeichnungen seiner Hand reichlich entschädigt, Kinder einer geistvollen Laune, die er dem Papiere anvertraute. Da zeichnete er immer wieder in flotten Rötelskizzen die lieben Verwandten und den Kreis der Familienbekanntschaft [194] oder, scharf mit der Feder umrissen, Professoren, Hofleute, Schauspieler, Menschen aus dem Volk in scherzhafter Übertreibung so gut wie als höchst getreuen Rechenschaftsbericht, stets treffsicher in lebendigster Charakterisierung, hingeschriebene Gedanken wie fleißige Vorarbeiten zu den eigenen Werken, auch zu Hunderten Akte nach dem nackten Modell, Übersetzungen aus der Antike oder nach künstlerischen Erzeugnissen der Söhne und Freunde, ein unerschöpflicher und ungehobener Schatz.

Auch das gehört zur Geschichte des Nachruhms von Schadow und Rauch. Nicht einmal der Kenner vermag Schadows Werk, sowohl das bildnerische wie das zeichnerische, ganz zu übersehen, indes für Rauch, bald nach seinem Tode, ein eigenes Museum begründet wurde, in dem der gesamte Nachlaß des Meisters, liebevoll verwahrt und vermehrt, und seitdem jedermann zugänglich ist. Und so war auch die Wirkung beider. Indes die zeichnenden Künste Schadows wie im geheimen eine Fortsetzung in der Klarheit Krügers und in der Eindringlichkeit Menzels fanden, hat Rauchs Großplastik eine im späteren neunzehnten Jahrhundert nicht immer erfreuliche Nachfolge gezeitigt, freilich dem Bildnis in der Plastik auf lange Zeit hin eine ziemlich gleichmäßige Höhe gesichert. Aber man kann nicht sagen, daß Goethes Erwartung sich überall erfüllt habe, die er in einem Brief an Schadow (bei Gelegenheit der Verhandlungen über das Blücherdenkmal) zum Ausdruck gab: daß nur allein von der Plastik die bildende Kunst in Deutschland ihr Heil zu erwarten hätte. Dafür sind Schadow wie Rauch viel zu sehr vereinzelte Begabungen gewesen, die wohl Schüler, aber keine Nachfolger gleichen Ranges gehabt haben. Die "grenzenlose Marmortätigkeit" war doch auf die Dauer mehr in die Breite als in die Höhe gegangen und hat in einem gründungstüchtigen Zeitalter einen üppig ins Kraut geschossenen Denkmalsbetrieb hervorgebracht, an den nur noch selten strengere künstlerische Maßstäbe gelegt werden können. Besinnung und Umkehr (in der Zeit der letzten Jahrhundertwende) konnten nur wieder von der Einsicht einzelner ausgehen und von der Kraft einzelner durchgeführt werden – ein Vorgang wie hundert Jahre zuvor, für den wir Leben und Leistung der beiden Bildhauer Schadow und Rauch als beispielhaft werten dürfen.




Alphabetische Inhaltsübersicht
Hermann von Salza Hermann von Salza Hermann von Salza alphabetische Inhaltsübersicht der Biographien Gerhard von Scharnhorst Gerhard von Scharnhorst Gerhard von Scharnhorst


Chronologische
Inhaltsübersicht
Jean Paul Friedrich Richter Jean Paul Friedrich Richter Jean Paul Friedrich Richter chronologische Inhaltsübersicht der Biographien Wilhelm von Humboldt Wilhelm von Humboldt Wilhelm von Humboldt


Originalgetreue Inhaltsübersicht
Leopold von Buch Leopold von Buch Leopold von Buch Inhaltsübersicht der Biographien in Reihenfolge des Originals Moritz von Schwind Moritz von Schwind Moritz von Schwind





Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz