[Bd. 3 S. 140]
Schinkel Mit dem Namen Schinkel verbindet sich die Vorstellung der vornehmsten Bauwerke des alten Berlin, aber darüber hinaus ist er in den hundert Jahren seit des Künstlers Tode zu einem Begriff geworden, der eine Überzeugung von baumeisterlichem Schaffen überhaupt umfaßt – vergleichbar dem Namen Bramantes. In den kunstpolitischen Wirren der Gegenwart tönt er bisweilen wie ein Kampfruf. Für den, der ihn mit Ehrfurcht nennt, bedeutet er ein Bekenntnis zu einer bestimmten Haltung zum Werk und zur Welt. Daß dem so ist, erscheint merkwürdig, weil Schinkel in einer Zeit zu wirken bestimmt war, in der sich die schöpferischen Kräfte unseres Volkes den Bereichen der Dichtung, Musik und Philosophie zugewandt hatten, die bildnerische Begabung einen weniger ergiebigen Boden fand. Daß Schinkels Gestirn nicht nur als eine eigentümliche Größe in seiner Umwelt leuchtet, vielmehr lebenspendende Strahlen von ihm ausgehen, ist merkwürdig vor allem auch darum, weil sich in seinen berühmtesten Werken eine Gestaltungsweise verkörpert, die mit in die Ferne zurückgewendeter Sicht einer unter ganz anderen Voraussetzungen geprägten Gesetzlichkeit nachstrebt. Freilich wäre es irrig, zu meinen, dieser "Klassizismus" erschöpfe sich in einem abgeleiteten Formenkanon, derart, daß alle zeitliche Bedingtheit aufgehoben sei und die völkische Eigenart sich verflüchtigt habe. Auch damals blieb, wenn auch weniger merkbar als im Barock, die den europäischen Ländern eigentümliche Grundhaltung wirksam. Italien stellt sich anders zum Erbe der Antike als der Norden. Ein Bau in Frankreich hat ein anderes Gesicht als in England oder bei uns. Dies besagt, daß man um 1800 nicht wurzellos einem übernationalen Bildungsideal nachhing, sondern den eingeborenen Kräften von Rasse und Land verpflichtet blieb. Ja, innerhalb Deutschlands läßt sich auch jetzt noch etwas von jener Sonderart beobachten, die süd- und norddeutsche Bauweise über alle Wandlungen der "Stile" hinweg unterscheidet. Die weniger ausgesprochene Körperlichkeit niederdeutscher Gebäude gegenüber dem volleren und gewichtigeren Volumen Süddeutschlands, die flächige Zurückhaltung der Schauseiten, die das Auge mit leiseren Dingen beschäftigen als die kräftiger auftretenden Gestalten im süddeutschen Stadtraum: [141] diese grundsätzliche Anschauung übernahm Schinkel als ein Erbteil des mütterlichen Bodens, nicht nur dort, wo er das feingliedrige Relief des märkischen Ziegelbaus weiterbildete. Auch in den Werken, die der Antike ihre Formen entliehen, handelte es sich nicht um ein bloßes Bildungserlebnis. Denn daß es die hellenische Gestaltungsweise ist, die Schinkel in Bann schlug, erklärt sich letztlich aus seinem norddeutschen Geblüt, gewiß auch aus seiner persönlichen Veranlagung. Was ihn zum Griechentum hinzog und ihn insonderheit im jonischen Stil wahlverwandt berührte, das war das durchgliederte Wachstum, der zugleich zarte und genaue Charakter. Weder im schweren Gefüge des Dorischen noch in der dekorativen Pracht der Spätzeit konnte Schinkels Natur den ihr gemäßen Ausdruck sehen. So begreift sich, daß er sich anders aussprechen mußte als seine süddeutschen Zeitgenossen, der Alemanne Weinbrenner und der in München heimisch gewordene Klenze. Sie folgten der pralleren Plastik, der freieren Entfaltung der römischen Antike und blieben damit dem süddeutschen Grundgefühl verhaftet, ebenso wie Schinkel dem des norddeutschen Raumes. Aber nicht die gefühlsmäßige Wahl der formalen Mittel macht seine Bedeutung aus. Wesentlicher ist, wie er sich ihrer bediente. Die eigentümliche Größe seiner Leistung aber beruht darauf, wie seine baumeisterliche Phantasie, frei von dogmatischer Bindung, jegliche Aufgabe als ein neues Problem erfaßte und zu einer gegenwartsnahen, durch Zweck und Standort bedingten Lösung führte. Die Annahme liegt nahe, in der glücklichen Verbindung von praktischer Veranlagung und ideellem Trachten, die ihn auszeichnet, eine Mitgift seines Elternhauses zu sehen. Der 1781 in Neuruppin Geborene hatte väterlicherseits Pastoren zu Vorfahren, seine Mutter stammte aus einer in Pommern ansässigen Kaufmannsfamilie. Die Lehrmeister, die Schinkel in dem früh von ihm erwählten Berufe fand, förderten seine angeborene Begabung: David Gilly, das Haupt der Berliner Bauschule, in der Praxis bewährt und von sicherem Geschmack, unterwies ihn in den technischen Grundlagen (Sammlung nützlicher Aufsätze, die Baukunst betreffend ist der bezeichnende Titel einer von ihm herausgegebenen Zeitschrift). Sein genialer Sohn Friedrich Gilly weckte in dem Schüler den Sinn für Baugedanken, die über das "Nützliche" hinaus eine Idealgestalt zu verwirklichen streben. Schon bevor Schinkel diesem frühvollendeten Lehrer begegnete, war ihm Gillys großartiger Entwurf zum Friedrichsdenkmal (1797) zum entscheidenden Erlebnis geworden.
Der Wache folgte einige Jahre später ein umfänglicherer und schwierigerer Staatsauftrag: das Schauspielhaus. Die Berliner hatten das alte Theater, das 1817 abgebrannt war, wegen seines futteralartigen Gehäuses den "Koffer" getauft. Schinkel erhob seinen Bau, der neben vielerlei Raumforderungen auch einen Musiksaal aufzunehmen hatte, zu einer ganz neuen Reichhaltigkeit der Erscheinung. Hellenische Form bestimmt das geregelte Gefüge. Die Idee aber, die dem Ganzen Gestalt gibt, war Schinkels Eigentum, erwachsen aus einer natürlichen Beziehung zur klassischen Haltung und einem sicheren Instinkt für die besonderen Bedingungen, die der Zweck des Gebäudes und seine Lage zwischen den beiden Kuppelkirchen auf dem Gendarmenmarkt stellte. Als 1821 bei der Weihe des Hauses Goethes "Iphigenie" auf der Bühne erschien, mußten die Zuschauer spüren, daß sich hier etwas Seltenes ereignete: Architektur und Dichtung der Gegenwart in wunderbarer Harmonie zusammenklangen.
Eine besondere Gabe Schinkels bei diesem wie anderen seiner Werke war die, einen Bau bis in jede Einzelheit durchzubilden. Er besaß ein musikalisches Empfinden dafür, wo die Betonungen im Satzbau einer Wand zu liegen haben, und welches Maß an Schwingung einem Profil an der gegebenen Stelle zukommt. Mit einem Feingefühl ohnegleichen wußte er die architektonischen Gliederungen nach Art und Grad in das rechte Verhältnis zur Gesamterscheinung zu bringen. Das gleiche gilt von seinem Verhalten zum Ornament. Er war in einer Anschauung aufgewachsen, die für schmückende Form wenig übrig hatte, ja, die ihr Verdienst gegenüber der vorhergehenden Zeit darin sah, daß sie zu einer reinen, "sachlichen" Architektur vorgedrungen sei. Schinkel hat das Glück gehabt, durch diese strenge Schule gegangen zu sein. Aber die Verbindlichkeit und Anmut seiner Natur empfand alsbald auch die Gefahr des Nüchternen und Kargen, in die ein harter "Dorismus" zu geraten drohte. Darum hat er das Gesicht seiner Häuser durch Bildwerke und Relieffüllung belebt und bereichert, wo er fühlte, daß solcher Schmuck sich dem Wachstum des Gebauten mit Notwendigkeit zuordne. An der Durchführung des Schauspielhauses gereift, war es Schinkel beschieden, in den zwanziger Jahren auf der Höhe seines Lebens sein vollkommenstes Werk zu errichten: den Museumsbau. Schon die Wahl des Platzes, der dem Sumpfboden des Spreebettes abzugewinnen war, ist Schinkels Verdienst. Er, der immer darauf bedacht war, ein Gebäude nicht als selbstherrliches Individuum aufzufassen, sondern in den stadträumlichen oder landschaftlichen Zusammenhang einzufügen, gab damit dem "Lustgarten" einen raumbildenden Abschluß. Was uns an diesem Bau heute im Gegenspiel des Gelagerten und Aufsteigenden beglückt, als sei es "non murato, ma veramente nato", hat er gegen ein Hofrätliches Gutachten [143] erkämpfen müssen, das sich gegen die hohen Säulen über dem Sockelgeschoß und gegen die Freitreppe aussprach. "Aus der Übung des Gefühls sowohl als des Scharfsinns" – so bemerkte Schinkel einmal – "geht am Ende ein Takt der Seele hervor, der das Richtige in einer Aufgabe erfaßt und hinzustellen vermag." Was es damit auf sich hat, wird auch dem Grobsichtigen anschaulich durch den Vergleich des Museums mit dem Dom, dem taktlosen Nachbarn von der Jahrhundertneige. Die Richtung des Platzes auf den Schinkelbau und seine Freitreppe, die bei Massenaufzügen unserer Tage eine neue lebendige Bedeutung gewann, hat der Dom nicht abzulenken vermocht. Und die neuerdings durchgeführte Umwandlung der Platzfläche ist der "Einfachheit und Würde", durch die Schinkel zu wirken wünschte, förderlich geworden.
Dem gemessenen Gleichgewicht des Äußeren entsprachen Anordnung und Charakter der Räume, die den gerundeten Kuppelraum umschließen. Spätere Museumsbauten haben sich die entwickeltere Praxis zunutze gemacht, an phantasievoller Gehaltenheit und Tiefe der Empfindung kann sich keiner mit Schinkels Leistung messen. Vor allem auch nicht in der für dieses Thema wesentlichen Frage, wie es mit dem Verhältnis des architektonischen Rahmens zum Inhalt bestellt ist. Schinkel sah sich – und das ist für die Beurteilung seines Werkes ebenso wichtig wie für die Erkenntnis der geistigen Lage der Zeit – hier vor einer auch gegenständlich neuen Aufgabe. Was bis dahin in Galerieen und Kunstkammern der Fürsten für den Genuß Einzelner gesammelt wurde, das sollte jetzt der Allgemeinheit zugute kommen. Das Museum war nicht das einzige neuartige Bauverlangen, das die emporsteigenden Kräfte des neuen "bürgerlichen" Zeitalters dem Architekten stellten. Das von der heranwachsenden Großstadt geforderte Mietshaus, Fabrikbauten, Kaufhäuser, Verwaltungsgebäude waren weitere Aufgaben, für die es galt, eine zweckmäßige Form zu finden. Baumeister geringeren Ranges haben sich [144] damit begnügt, den neuen Inhalt in alte Schläuche zu füllen, mit der Tempelfront und landläufigen Rezepten der Symmetrie ihr Werk zu bestreiten. Für Schinkel aber war es ein besonderes Anliegen, die Gestalt eines Baues mit seiner Zweckbestimmung in Einklang zu bringen. Und während andere die Säule nach Belieben benutzten (und benutzen), hat Schinkel sie nur dort aufgenommen, wo sie ihm innerlich berechtigt erschien, dort wo sie in einem statischen Zusammenhang ihre Funktion erfüllt. Er hatte von ihrer Wesensart eine zu hohe Meinung, als daß er sie zu einer Allerweltsmagd herabwürdigte. Was nun aber einen Mann mit dem architektonischen Gewissen Schinkels zutiefst berühren mußte, war die hellsichtige Erkenntnis, daß die zeitbewegenden Mächte die seit Jahrhunderten überlieferungsstarken Grundlagen der Baukunst zu erschüttern drohten. Auch in diesem Betracht gewinnt der Museumsbau als Gefäß eines neuen Inhalts sinnbildliche Bedeutung. Im Barock war der Sammler bei der Wahl seiner Gegenstände unbekümmert und naiv einem einseitigen starken Empfinden gefolgt. Jetzt begann sich das Auge für das Verschiedenartigste zu öffnen. Dürer und Raffael, Correggio und Van Eyck traten als gleichberechtigte Größen nebeneinander. Man entdeckte und bewunderte die deutschen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts, ohne doch die klassischen Meister Italiens zu entthronen. Aus dem Boden der durch alle Weiten schweifenden Romantik stieg eine bis dahin unbekannte Empfänglichkeit für gegensätzliche geschichtliche Bereiche hervor. Die Historie wurde zu einer für die Wissenschaft fruchtbaren, für die Kunst bedrohlichen Macht. Zumal der Baukunst ist sie zum Schicksal geworden. Der neue Zustand hingebender Rückschau in die Vergangenheit traf zusammen mit den Ansprüchen neuer Bauaufgaben, überdies mit dem Auftauchen neuer Baustoffe, vor allem des Eisens, und mit den oft zweifelhaften Möglichkeiten, die die maschinelle Herstellung der Materialien mit sich bringt. Die Frage, in welchem "Stil" man bauen solle, wurde zu einem bedrängenden Problem. Auch Schinkel hat sich ihm nicht entzogen. Ja, er hat sich wie kein zweiter Baumeister seiner Zeit um eine Lösung, um einen Weg ins Freie bemüht – mit einem dringlichen Ernst, der an Dürers Auseinandersetzung mit der italienischen Renaissance erinnert. Er war sich bewußt, was für jetzt und für die Zukunft auf dem Spiele stand. So ausgeglichen und in sich vollendet seine steingewordenen Meisterwerke sich darstellen, ihr Architekt war ein von Spannungen erfüllter, nicht in kanonischen Bezirken befriedeter Geist. Vor allem war es sein starker Wirklichkeitssinn, der erkannte, daß aus der Welt der klassischen Formen nicht für jede neuartige Bauforderung der Gegenwart die gemäßen Mittel erwuchsen. Was ihn in seiner Jugend gelegentlich zur Gotik trieb, darf freilich mehr als ein schwärmerischer Ausflug ins Zauberland der Romantik gedeutet werden, zu dem ihn die vaterländische Hochstimmung verführte. Denkt man sich den gotischen Entwurf zum Mausoleum für die Königin Luise (1810) und den Dom, den er [145] 1815 als Denkmal der Befreiungskriege auf dem Leipziger Platz plante, in die Wirklichkeit übersetzt, so verlieren sie den poetischen Reiz ihrer bildmäßigen Existenz. Sie waren mehr geträumt als baumeisterlich durchdacht. Schinkel selbst mag später froh gewesen sein, daß diese Phantasien nicht zur Ausführung kamen. Die Werdersche Kirche, 1830 auf Wunsch des Königs in gotischen Formen errichtet, stellte er unter dem Eindruck englischer Bauten, die er auf einer Studienreise kennengelernt hatte, in nüchterner Strenge auf den Boden der Wirklichkeit.
Gleichwohl will es scheinen, als habe über seinen Bemühungen um eine Erneuerung dieses Stils kein glücklicher Stern gestanden. Wird jemand dem Schloß Babelsberg (1834 für den Prinzen Wilhelm erbaut) den Vorzug geben vor Charlottenhof bei Potsdam, dem "Kasino" im Glienicker Park oder seinen sonst klassisch geformten Herrensitzen und Landhäusern? Und ebenso verhält es sich mit Schinkels Entwürfen zu Denkmälern der Zeitgeschichte. Das Monument, das die Waffengefährten von 1813 dem General Scharnhorst auf dem Invalidenfriedhof errichten ließen, sagt in seiner militärischen Ernsthaftigkeit und Würde unserem Empfinden mehr als die gotische Turmspitze auf dem Kreuzberg, die freilich Schinkels ursprünglichen Gedanken für ein Denkmal der Befreiungskriege nur verkümmert wiedergibt. Wo man im vorigen Jahrhundert der Gotik als Formvorbild gefolgt ist, hat es sich als wenig lebenskräftig erwiesen. Die gefühlvolle Zuneigung zu diesem Gewächs nordischen Bodens hat nicht vermocht, den Erneuerungsversuchen den Charakter von etwas Künstlichem zu nehmen. Sie entsprachen mehr einer gedanklichen Vorstellung als einem naiven sinnlichen Lebensgefühl. Sie stellten sich vor allem außerhalb jedes Zusammenhangs mit der unmittelbaren Überlieferung, ein klassizistischer Bau aber blieb trotz verwandelter Gestalt mit seinen Vorgängern in geselliger Fühlung. Schinkel war – das zeigen seine nicht von bauherrlicher Forderung beeinflußten Entwürfe – sich bewußt, daß aus der gotischen Formenquelle allein kein Heil zu erwarten sei. Wohl aber hat er in der gotischen Struktur ein Gestaltungsmittel erkannt, dem für die zweckbestimmte Durchgliederung neuzeitlicher Bauaufgaben Bedeutung zukam. Die mittelalterliche Konstruktion mit klassischer Anschauung von Körper- und Flächengestaltung zu verbinden, das schien ihm eine fruchtbare Möglichkeit. Schon 1811 hat er sich in einem Bauprogramm "für eine Verschmelzung beider entgegengesetzter Prinzipe (Mittelalter und Antike) zu einer Synthesis der Kunst" ausgesprochen. Immer wieder tauchte dann dieser Wunschtraum bei ihm auf. In der Bauakademie (1831) hat er ihn zu verwirklichen getrachtet. Man fühlt sich bei der Idee, die diesem Gebäude zugrunde liegt, an Vergleichbares aus anderen geistigen Bezirken der Zeit erinnert: an die Vermählung von Helena und Faust, an das von Denkern und Dichtern wiederholt ausgesprochene Verlangen, "Heidnisches" und "Vaterländisches", "Klassisches" und "Romantisches" (worunter das Gotische zu verstehen ist) miteinander zu vereinen. Auch mag hier [146] die scherzhaft-ernste Bemerkung Goethes einen Platz haben: "Märkische Rübchen schmecken gut, am besten gemischt mit Kastanien. Und diese beiden edeln Früchte wachsen weit auseinander." Jedenfalls stand Schinkel mit seinen Bemühungen um eine "Synthese" nicht außerhalb der Zeit, und es gibt eine Anzahl von Entwürfen, in denen er die Gefahr des Ideologischen zu überwinden wußte und zu einer Durchdringung des Gegensätzlichen gelangt ist. Vielleicht erschließt sich hier die Richtung seines Strebens, durch die er am stärksten auf die nach ihm kommende Entwicklung gewirkt hat und – recht verstanden – vermag das, was ihm als wünschenswertes Ziel vorschwebte, auch noch den Architekten unserer Tage denkwürdig und förderlich sein. Das meiste dieser Pläne blieb auf dem Papier und liegt als Zeugnis grüblerischen Schöpfersinns im Schinkel-Museum, das seinen Nachlaß in unvergleichlicher Vollständigkeit bewahrt. Neben den Fragen um die Weiterbildung von
"Jedes Kunstwerk muß ein ganz neues Element bei sich haben, auch wenn es im Charakter eines bekannten schönen Styls gearbeitet ist; ohne dies neue Element kann es weder für den Schöpfer noch für den Beschauer ein wahres Interesse erzeugen." Zu dieser theoretischen Forderung Schinkels steht seine baumeisterliche Leistung nicht in Widerspruch. Darum sind auch diejenigen seiner Werke, die eindeutig griechischer Formgesetzlichkeit folgen, wie Schauspielhaus und Museum, von atmendem Leben erfüllt – während Bauten anderer Architekten der Zeit trotz gleichgerichteter historischer Formentreue starr und schemenhaft wirken. Darum auch zeigt sich in seinen Entwürfen klassischen Stils, wenn man sie in ihrer zeitlichen Folge vergleichend überblickt, ein Sichwandeln der Auffassung. Nicht ein Fortschreiten zu größerer archäologischer "Richtigkeit": die Pläne zum Kaiserschloß Orianda, das er kurz vor seinem Ende auf der Krim zu bauen hoffte, stehen der Antike nicht näher als das Schauspielhaus. Auch ist es nicht bloß die natürliche Entwicklung, die aus einer freieren Beherrschung der künstlerischen Mittel folgt. Wenn sich ein Schinkelsches Werk der Mannesjahre von dem seines Alters unterscheidet, so liegt das vielmehr daran, daß sein innerer Zustand sich gewandelt hat, ein anderes Lebensgefühl ihn bewegt. Schinkels Arbeiten nach der Verschiedenartigkeit ihrer Formensprache zu sondern, ist ein oberflächliches Verfahren. Schon der Umstand, daß formal Gegensätzliches gleichzeitig nebeneinander entstand und in der zeitlichen Folge keine Entwicklung vom "Gotischen" zum "Klassischen" oder umgekehrt besteht, lehrt, wie wenig man damit dem Kern seiner Baugedanken, dem innersten Trieb seines künstlerischen Schaffens nahe kommt. Unser Schulwissen um die "Stile" trübt [147] den Blick für das den Schinkelschen Werken Gemeinsame. Einen Eklektiker kann ihn nur jemand nennen, der gewohnt ist, einen Bau auf die Wahl der Formen hin zu beurteilen und nicht auf die architektonische Gestalt. Mag der Geschichtskundige ein Schinkelsches Gebäude als "hellenisch", "gotisch" oder sonstwie bezeichnen, sie tragen alle unverwechselbar das Gepräge des einen Geistes, der sie ersann. Das Verbindende liegt im Ausdruck einer klassischen Grundhaltung, sofern man darunter nicht bloß eine bestimmte Stilrichtung versteht. Was in diesem Betracht sein bildnerisches Werk aussagt, bestätigen die Aufzeichnungen, in denen er sich mit Worten über Weg und Ziel seines Strebens auszusprechen versuchte. Nicht bloß dort, wo er insonderheit auf die griechische Kunst als Quelle hinweist, so in Sätzen wie diese: "Das Studium der klassischen Kunst ist für die höhere sittliche Ausbildung des Menschen unerläßlich... sie bringt allein Harmonie in die gesamte Bildung eines Menschen, der einer späteren Zeit angehört." Schinkels tiefer Zuneigung zum Klassischen schlechthin entspricht seine Forderung nach "Einfachheit und Verständlichkeit", die für ihn notwendigste Bedingungen waren, nach dem "Dauernden und Beständigen", nach dem "Natürlichen" im Gegensatz zum "Erkünstelten": "Die Architektur ist die Fortsetzung der Natur in ihrer konstruktiven Tätigkeit". Dagegen wehrte er sich gegen das "Phantastische, Gewaltsame und Gesuchte", gegen die "beunruhigenden Dunkelheiten", in die die romantischen Kräfte der Zeit ihn, den Beweglichen und für ihre befruchtenden Triebe nicht Unempfänglichen, zu locken versuchten. Wenn er sein Schiff immer wieder dem Klassischen zulenkte, so geschah das nicht aus bloß ästhetischem Wohlgefallen, sondern aus der Überzeugung, daß solcher Gestaltung eine sittliche Kraft innewohne: "Ein Werk der Architektur, das streng sich in seiner eigenen Vernunft bewegt, wird auch zurückwirken auf die darinnen Lebenden, sie regelnd und leitend." Er erträumt sich einen dem religiösen Kult geweihten Bau, in dem das Volk sich versammelt, aber keine Lehren der Moral empfängt, sondern "die Würdigkeit des Raumes stimmt jeden, sich still in sich selbst zu vollenden". In diesem Glauben berührte er sich mit Goethe, der in einer Vision seines Alters sich vergegenwärtigt, wie Orpheus durch seine Musik eine Stadt harmonisch aufbaut: "...Die Bürger eines solchen Gemeinwesens fühlen sich in einem ideellen Zustand: ohne Reflexion, ohne nach dem Ursprung zu fragen, werden sie des höchsten sittlichen und religiösen Genusses teilhaftig." "Der Architekt ist seinem Begriff nach der Veredler aller menschlichen Verhältnisse." Solch hoher Auffassung von seinem Beruf bewußt, hat Schinkel sich der verpflichtenden Aufgabe gegenüber seinem Land und Volk unterzogen. Weil er mit prophetischem Blick die Gefahren erkannte, die der Baukunst und dem Kunsthandwerk drohten, hat er alles daran gesetzt, eine entwicklungsfähige Grundlage zu schaffen. Aus einer Dürer vergleichbaren, reformatorischen Gesinnung ist er gegen Ende seines Lebens darangegangen, in einem Lehrbuch seine Gedanken [148] über die "Gesetzlichkeit in der Baukunst" und den "Anteil des Gefühles" zusammenzufassen. Es kam nicht mehr zur Vollendung. Eine Denkschrift, die er zur Reform des Kunstunterrichts vorlegte, enthält Forderungen, die in unseren Tagen aufs neue aufgetaucht sind. So wenn er wünschte, daß eine Kunstakademie als eine große Staatswerkstatt betrachtet und der klassenweise Unterricht in einzelnen Fächern durch Werkstattgemeinden ersetzt werde. Alle Anweisung solle dahin zielen, die Gegenstände in ihrer Ganzheit zu erfassen. Auszugehen aber sei – und das mag heute als zeitgebundene Anschauung gelten – vom menschlichen Körper und der griechischen Baukunst. Er selbst hat kein Lehramt innegehabt, aber groß war die Zahl derer, die von ihm ihre Richtung empfingen und in seinem Sinne zu wirken strebten. Kaum jemals ist einem Architekten ein so weitreichender Einfluß auf das gesamte Bauwesen seines Landes vergönnt gewesen wie ihm. Noch zwanzig Jahre nach seinem Tode (1841) konnte sein Neuruppiner Landsmann Theodor Fontane schreiben: "In der Welt Schinkelscher Formen leben wir noch. Seine Schule blüht und durchdringt unser Leben." Wenn er selber dem architektonischen Gesicht Preußens über alle Provinzen und in den verschiedensten Baugattungen Züge seiner Wesensart aufzuprägen vermochte, so war das mit dadurch bedingt, daß er ein Menschenalter hindurch in der staatlichen Bauverwaltung, der Ober-Bau-Deputation, eine leitende Stellung innehatte. Der phantasiebeflügelte Künstler war – welch Wunder der Natur! – auch ein vorzüglicher Verwaltungsbeamter. Von dieser Seite seiner Tätigkeit geben die Gutachten über Bauvorhaben und die Berichte seiner Dienstreisen einen ungefähren Begriff. Über seinen Anteil an Entwürfen von anderer Hand und an denkmalpflegerischen Aufgaben wird erst die bevorstehende Herausgabe eines Quellenwerks zureichend unterrichten. Schinkel hat sich zeitlebens diesen weitgespannten Pflichten unterzogen, wie er es in seinem Diensteid als Geheimer Oberbauassessor 1810 gelobte: "Alles dasjenige mit unermüdetem Fleiß und unbefleckter Treue zu erfüllen, was vermöge der Königlichen Instruktion und überhaupt mir zu tun, zu beobachten und zu verrichten oblieget." Aber der Gewissenhafte hat schwer unter der Bürde des Amtes gelitten. "Meiner Ansicht nach", heißt es in einem Gesuch um Entlastung, "halte ich es für pflichtwidrig, mehr scheinen zu wollen als ich bin... Mit Bekümmernis fühle ich, daß ich... innerlich zerrissen werde durch Arbeiten, zu denen ich die Zeit meiner eigentlichen Bestimmung entziehen muß." Er hat durchgehalten, bis seine Kräfte aufgezehrt waren und das Leben des Sechzigjährigen in geistiger Umnachtung verlosch. Patriae inserviendo consumptus. Nicht bloß auf die Baukunst erstreckte sich Schinkels fruchtbarer Einfluß. Kunsthandwerker aller Art haben sich von seinen Entwürfen genährt: die Möbeltischler, die Bauplastiker, die Fabrikanten von Gläsern, Öfen, Tapeten und [149] Damaststoffen. "Schinkelmöbel" und "Schinkelrahmen" wurden zu einem Gattungsbegriff. Auch die Gestalt eines ebenso kleinen wie denkwürdigen Symbols verdankt die Nation ihm: das Eiserne Kreuz.
Sein starkes Naturgefühl – in seinen Reisebriefen nehmen Naturschilderungen oft mehr Raum ein als die Eindrücke von Kunstwerken – führte ihn zur Landschaftsmalerei. Ihr hat er über die Notjahre hinaus aus innerem Bedürfnis seine Mußestunden gewidmet. Gäbe es von ihm nichts anderes als seine Bilder, sie würden dank ihrer durchgeistigten Haltung und empfundenen Durchbildung [150] diesem Maler einen hohen Rang sichern. Eine neue Wegrichtung, wie in seinem eigentlichen Beruf, hat er freilich nicht eingeschlagen. Aber die ihm in besonderem Maße eigene Fähigkeit, ein Bauwerk als Gewächs der landschaftlichen Umwelt aufzufassen, hat ihm eine Reihe eigentümlicher Bildgedanken eingegeben.
Seine malerische Phantasie ist vor allem von der großen Kunst C. D. Friedrichs befruchtet und beschwingt worden. Die romantische Stimmung, der sich der junge Schinkel in seinen Gemälden hingab, mag auch der Umgang mit den Dichterfreunden Achim von Arnim und Clemens Brentano genährt haben. Wie aber auf die gotischen Entwürfe dieser Jahre der Bau des Museums folgte, so ist das große Gemälde "Die Blüte Griechenlands" (lange Zeit verschollen, jetzt im Schinkel-Museum) Zeugnis seiner gewandelten Anschauung, ein Dank an die klassische Kunst nach der Rückkehr von seiner zweiten Italienreise (1825). Griechenland selbst hat er ebensowenig zu Gesicht bekommen wie Goethe und Winckelmann. Aus dem bescheidenen Nebenwerk liebhabermäßiger Beschäftigung spricht wie aus Schinkels großen Werken der Baukunst der volle Einsatz einer bedeutenden Persönlichkeit. Der Erfolg, der diesem Manne über die Grenzen seines Landes hinaus vergönnt war, beruht nicht zuletzt auf seinen menschlichen Eigenschaften. Man kann bei Schinkel an ein Wort von Adolph Menzel denken: "Das Talent ist die Eins, der Charakter sind die Nullen." Was die Besten der Zeit ihm vertrauen ließ, das war die Reinheit seiner Gesinnung, der "Takt der Seele", das Unaufdringliche, jedem Effekt widerstrebende Auftreten eines innerlich bewegten, an Triebkräften reichen Daseins. Ein Charisma war ihm eigen, dem sich keiner entziehen konnte. Seine Untergebenen verehrten ihn ebenso wie seine Bauherren: der märkische Adel, die Standesherren und das Königshaus, insonderheit der für Kunst ungewöhnlich begabte Kronprinz, der spätere Friedrich Wilhelm IV. Nicht anders empfanden die Männer der Geistesaristokratie: Wilhelm von Humboldt, der dem jungen Schinkel frühe den Weg geebnet hat und ihm später den Umbau seines Schlößchens Tegel anvertraute, der Jurist Savigny, der Feldmarschall Gneisenau, den auch auf den Kriegszügen die Liebe zu Schinkels Bildern begleitete, und nicht zuletzt Goethe. Wiederholt hat er sich des Schinkelschen Besuchs in Weimar erfreut und nahm aus der Ferne an dem ihm geistesverwandten Wirken des Freundes seines Zelter Anteil. Aus den Stimmen der Mitlebenden steigt das nämliche Bild des Menschen auf wie aus seinen Briefen, Tagebüchern und Aphorismen. Das gleiche, das sich auch in seinem künstlerischen Werke spiegelt. Aber in diesem Werke offenbart sich wesentlich mehr noch als der Ausdruck eines lauteren Charakters und echter Humanität. Die geschichtliche Bedeutung der Schinkelschen Leistung und die lebenzeugende Kraft, die von ihr noch heute ausgeht, sind das Geheimnis des Genius. Ihm verdanken wir, daß die vornehmste Zeit in der Geistesgeschichte der preußischen Hauptstadt, eine Zeit arm an materiellen Mitteln, erstaunlich reich an geistigen Werten, daß das Berlin Wilhelm von Humboldts uns sinnvoll gestaltet vor Augen steht.
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