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[Bd. 4 S. 584]
Albert Leo Schlageter, 1894 - 1923, von Paul Wentzcke

Albert Leo Schlageter, 1916.
[592a]      Albert Leo Schlageter
in feldgrauer Uniform, 1916.

[Bildquelle: Atlantic Photo-Gesellschaft, Berlin.]
Ein schlichtes Leben, dem Zufall, Wille und Schicksal eine besondere Weihe gaben, zieht an uns vorüber: Als sechstes Kind einer alteingesessenen, einfachen Bauernfamilie erblickte Albert Leo Schlageter das Licht der Welt. Schönau im Schwarzwald, ein regsames Landstädtchen im grünen Tal der Wiese, überragt von Bergen, deren Gipfel bereits die ferne Alpenkette grüßen, war seine Heimat. Aus dem Hütebuben wurde ein stämmiger, fleißiger Schüler, den Lehrer und Pfarrer, der Stolz des Vaters und die Hoffnung der Mutter zum Aufstieg in den geistlichen Stand bestimmt glaubten. Bürgerschule und Privatunterricht bereiten ihn für die Tertia des Freiburger Berthold-Gymnasiums vor; bis zur Prima gingen Ausbildung und Erziehung im Erzbischöflichen Konvikt ihren geregelten Gang. Wie für Aberjahrhunderte seiner Altersgenossen griff der Ausbruch des Weltkrieges auch in diese Laufbahn. Eine Not-Reifeprüfung leitete zum Eintritt in das heimische Feldartillerieregiment Nr. 76 über. Das Vaterland stellte die ersten und höchsten Anforderungen an den zum Manne gereiften Jüngling.

Als er im Frühjahr 1915 zur Front gerufen wurde, war der kühne Aufmarsch längst im Stellungskrieg erstarrt. Die Schlachtennamen Flandern und Champagne, Verdun, Somme und Artois bezeichneten die Brennpunkte der Entscheidung. Nach zweimaliger Verwundung drängt es den zum Offizier beförderten Kriegsfreiwilligen schnell wieder zur Truppe. Kühne Erkundungen sowie die Führung von Infanteriebegleitgeschützen brachten im Frühjahr 1918 die Erste Klasse des Eisernen Kreuzes. Um so schwerer traf den aufrechten Soldaten die Nachricht vom Zusammenbruch der Heimat; ein schmählicher Waffenstillstand folgte. Wie viele Hunderte von Kameraden führte Schlageter seine Batterie mit wehenden schwarz-weiß-roten Abzeichen geschlossen durch die von falschen Propheten aufgewiegelte rheinische Landschaft zurück. Ende Februar 1919 schied er aus dem Heeresdienst aus. Das Studium der katholischen Theologie, das er nach dem Wunsch von Eltern und Freunden zunächst annahm, konnte den unruhigen Geist nicht fesseln. Volkswirtschaftliche Vorlesungen blieben ein Notbehelf. Tiefere Anregung bot der Eintritt in die katholische Studentenverbindung "Falkenstein", in der der frohe und bescheidene Akademiker "herrliche Menschen" fand, bis aufs neue der Ruf zu den Waffen den Weg in die Zukunft jäh abschnitt. Der Krieg in Feindesland ward abgelöst vom letzten Kampf um die kargen Grenzen, die die siegreichen Gegner der Nation gelassen hatten. In Österreich wie im Deutschen Reiche focht das [585] geschlagene Heer gegen den Befehl des Staates aus eigenem Willen weiter. Diesem jüngsten und schwersten Abschnitt der deutschen Tragödie gibt Schlageters Name Sinn und Inhalt.


Die Hoffnung auf Frieden, der nach einem vierjährigen, unendlich blutigen Ringen Freiheit und Brot versprach, mußte bereits im November 1918 tiefster Enttäuschung weichen. Während in Berlin und in Wien neue Machthaber die Herrschaft übernahmen, setzten die Gegner im Westen, Osten und Süden den kaum unterbrochenen Vormarsch fort. Innerhalb des volksdeutschen Raumes hatten sich die Freistaaten der Tschechoslowakei und Polens gebildet. Südtirol und Sudetendeutschland waren verloren. In Steiermark kam der Einbruch südslawischer Scharen vor den Toren von Graz zum Stillstand, in Kärnten und in Schlesien entbrannte offener Kampf, in Posen und Westpreußen schlug die eigene preußische Regierung in blindem Glauben an den "guten Willen" der anderen dem schnell gebildeten Grenzschutz die Waffen aus der Hand. Während in den gleichen Wochen französische, belgische, britische und italienische Truppen das linksrheinische Land überschwemmten, Elsaß und Lothringen der dritten Republik einverleibt, die übrigen Abschnitte einschließlich der "Brückenköpfe" Köln, Koblenz, Mainz und Kehl für eine längere Besatzungsdauer eingerichtet wurden, setzte in den baltischen Provinzen der Krieg mit unverminderter Wucht aufs neue ein.

Auch hier, wo die britische Politik in Estland und Lettland schwache Pufferstaaten zwischen Rußland und Mitteleuropa zu errichten suchte, hatte das deutsche Heer unter dem Druck der Siegermächte den Rückzug angetreten. Unter der roten Fahne der proletarischen Revolution drängten bolschewistische Scharen über Reval und Dorpat, selbst über Riga und Mitau nach. Erst die aus Finnland zurückkehrenden Truppen des Generals von der Goltz boten einen festen Rückhalt. Um das Äußerste zu verhüten, rief die Berliner Regierung freiwillige Helfer auf. Lettland fügte das Versprechen hinzu, für die Ansiedlung der entlassenen deutschen Soldaten zu sorgen. Abenteuerlust, Pflichtgefühl und Sehnsucht nach eigener Scholle unterstützten in allen Gauen des Reiches die Werbung. Mit alten Getreuen eilte Schlageter dem Ostlande zu, in neuer Form die Tat des Deutschen Ritterordens aufzunehmen, Deutschland und Europa vor der Vernichtung zu bewahren.

Im Vorfrühling 1919 stand die von ihm übernommene Batterie im Verbande der "Deutschen Legion" bei Mitau bereit. Als Führer des Freikorps brach Freiherr von Medem, der später in wundervollen Worten die Einzelheiten dieses Unternehmens festgehalten hat, zur Befreiung von Riga vor. Am 22. Mai setzte sich zunächst ein kleiner, verlorener Trupp baltischer Landeswehr mit keckem Handstreich in den Besitz des wichtigsten Zugangs. Im gefährlichsten Augenblick erreichte die Batterie Schlageter die Dünabrücke. Ohne jede Deckung ward ein [586] Geschütz auf dem rechten Ufer in Stellung gebracht, auf kürzeste Entfernung der Gegenangriff der roten Truppen abgewiesen. Opfermut und Tatkraft des Schwarzwälder Bauernsohnes, der doch nur einer von vielen blieb, gaben bei der Errettung tausender deutscher Geiseln, die die Bolschewiken in den Kerkern der Stadt festgehalten hatten, den Ausschlag. Wenige Wochen danach ging dieser letzte Akt des großen Krieges zu Ende. Nur den Schutz der eigenen handelspolitischen Belange hatte Großbritannien in den Hafenstädten der Ostsee namens der "Sieger" gestattet. Mit dem Abschluß der Friedensverhandlungen mußte die Reichsregierung die Baltikumkämpfer zurückrufen. In den erlösten Ländern fühlte man sich aller Versprechungen gegen die Befreier ledig. Dem Waffenstillstand folgten die Diktate von Versailles und anderer Pariser Vororte. Die Grenzen des Staates aber und des volksdeutschen Raumes blieben weiteren Zugriffen offen. Für Kärnten und Burgenland, für Nordschleswig, Eupen-Malmedy und Saarland, für Oberschlesien, West- und Ostpreußen wurden Abstimmungen vorgesehen, die Besatzungszeiten der Rheinlande an unerfüllbare Bedingungen gebunden.

Für die Abwicklung dieser Verpflichtungen waren Ruhe im Lande sowie ein unbeugsamer Wille von Regierung und Volk, sich erneuten Auflagen um keinen Preis zu beugen, die wichtigste Voraussetzung. In beiden Fällen versagte der parlamentarische Staat. Bereits im März 1920, knapp zwei Monate nach dem Inkrafttreten des "Friedens", nahmen die in der Hauptstadt niedergeworfenen Kommunisten das Ringen um die Macht auf. Die Abwehr des Kapp-Putsches, in dem die Verteidiger des nationalen Wehrwillens allzu früh zum Angriff vorgingen, führte die Sozialdemokratie in eine zweifelhafte Neutralität. Vom Kölner "Brückenkopf" bis zur Lippe, wo lediglich die Festung Wesel den Vormarsch hemmte, regierte der rote Schrecken. Im ganzen Ruhrrevier, das die Kohlenlieferungen an die eigene Industrie sowie an die Siegerstaaten zur empfindlichsten Schlagader des Staates machte, wankte der Boden. Ein französisch-belgischer Handstreich auf Frankfurt und Hanau riegelte die Mainlinie ab. Noch einmal mußte man sich zur Werbung der abgedankten Soldaten bequemen. Noch einmal retteten die verhaßten Freikorps in Verbindung mit der schwachen Reichswehr das Reich. Auch Schlageter, der sich inzwischen im oberschlesischen Grenzschutz betätigt hatte, trat in die Reihe der Kämpfer. Bei Bottrop vor allem hat seine Brigade Löwenfeld den Aufruhr niedergeschlagen. Unmittelbar danach wurde sie aufgelöst. Bei der Erntehilfe auf pommerschen Gütern oder beim Schneeschaufeln in den Straßen Königsbergs setzte sich bei Mannschaft und Offizieren der Haß gegen die undankbaren Machthaber untilgbar fest. Ein neuer Erfolg in den hoch gefährdeten Ostmarken brachte Erlösung.

In Eupen-Malmedy, in Kärnten, Burgenland und Nordschleswig, insbesondere in Ostpreußen und in den kleinen von den "Siegern" freigegebenen Bezirken Westpreußens war die Abstimmung vollzogen worden. In allerschwerster Zeit hatten sich Millionen deutscher Volksgenossen zum deutschen Staate bekannt. [587] Neben dem Saarland, dessen Bewohner erst 1935 zur Entscheidung aufgerufen werden sollten, stand noch Oberschlesien aus. Stärker als in den besetzten Rheinlanden, wo die französischen Behörden alles zur Auflockerung nationaler Gesinnung aufboten, war dieses wichtigste Kohlenrevier des deutschen Ostens den ebenfalls von Frankreich unterstützten Überfällen polnischer Banden ausgeliefert. Vor allem das eigentliche Industriegebiet schien zum offenen Kampfplatz zu werden, trotzdem britische und italienische Abteilungen die Neutralität des französischen Oberkommissars gewährleisten sollten. Von deutscher Seite hatte zunächst lediglich eine schwache "Spezialpolizei" den Krieg im Dunkeln aufgenommen. Der Freischarenführer Heinz Hauenstein baute sie aus und gewann Schlageter für seine Arbeit. Unter vielen Einzelunternehmungen sei die Befreiung von siebzehn deutschen Landsleuten, die die internationale Aufsichtsbehörde im Gefängnis zu Kosel zur Abbeförderung nach Frankreich festhielt, genannt. Je näher die Entscheidung heranrückte, um so unverhohlener traten die Absichten der Regierungen von Paris und Warschau hervor, um so stärker wandte sich die Aufmerksamkeit auch im Reich dem südöstlichsten Grenzlande zu. Sogar der Handstreich, mit dem Frankreich just in denselben Wochen (8. März 1921) durch die Besetzung der "Ruhrhäfen" Düsseldorf und Duisburg den wichtigsten Wirtschaftsraum im Westen Rumpfdeutschlands abzuriegeln suchte, verschwand vor der in Oberschlesien drohenden Gefahr. Erst das Ergebnis des 20. März, an dem sich einschließlich der polnisch durchsetzten und von den Aufständischen völlig beherrschten Bezirke sechzig vom Hundert der abgegebenen Stimmen für den preußischen und deutschen Staat aussprachen, bedeutete eine Atempause. Polen und seinen französischen Schutzherrn enttäuschte dieses Zahlenverhältnis aufs schwerste. Bevor die Botschafterkonferenz der Siegerstaaten, die sich zur höchsten Behörde über die Mittelmächte aufgeworfen hatte, ihre Entscheidung fällte, sollte sie der Einfall bewaffneter Banden vor eine vollendete Tatsache stellen. In den ersten Maitagen 1921 gab der Polenführer Korfanty das Zeichen zum Angriff.

Die Reichsregierung stand vor schwerster Entscheidung. Die Annahme des Londoner Ultimatums, das auf viele Jahre hinaus die deutsche Wirtschaft lahm legte, hielt lediglich im Westen den weiteren Vormarsch aller "Alliierten" auf. Im Osten waren Einsatz der Reichswehr und eine amtliche Anerkennung des von der Bevölkerung geforderten Selbstschutzes, solange der Feind am Rhein, Main und Ruhr mitten im Lande stand, taktisch ausgeschlossen. Insgeheim nur ließ man die Verteidigung des Grenzlandes und die Werbung von Freiwilligen zu. Neben Studenten aus den reichsdeutschen Hochschulen traten Tiroler Scharfschützen, neben das bayrische Freikorps Oberland, das sich bereits bei der Niederwerfung der bolschewistischen Herrschaft in München und im Ruhrrevier mannigfach bewährt hatte, ostpreußische Landsleute. In einem eigenen Sturmbataillon "Heinz" sammelte Hauenstein alte und neue Gefolgsleute; Gefechte um Strebinow und Gogolin hielten die polnischen Aufständischen trotz der kaum getarnten französischen [588] Hilfe auf und leiteten zum Hauptschlag über. Am 22. Mai krönte die Erstürmung des Annaberges, der das oberschlesische Land und insbesondere die Verbindungsstrecke nach Breslau weithin beherrscht, das Werk.

Nach dem Erlebnis im Baltikum und im rheinisch-westfälischen Industriegebiet ging in Schlageters Leben und im Schicksal der Nation ein dritter Abschnitt zu Ende. Der Kampf um die Grenzen aber zog sich, ebenso wie das Ringen um die völkische Selbstbehauptung, immer weiter hin. Vom gleichen Ausgangspunkt der Frontkameradschaft näherten sich beide Bewegungen auf verschiedenen Wegen demselben Ziele. Das Jahr 1922 war der Vorbereitung dieses letzten Dramas gewidmet, im Frühjahr und Herbst 1923 lösten die Ereignisse an Ruhr und Rhein die Peripetie aus.

Lediglich für kurze Zeit gab die Versorgung der Kameraden engeren Freunden Hauensteins Arbeit und Brot. In bitterer Enttäuschung mußte der Grenzschutz sehen, daß wiederum jedes Opfer vergeblich gewesen war, daß die Siegerstaaten in völlig willkürlicher Auslegung des eigenen Diktats das befreite oberschlesische Land teilten, den polnischen Bundesgenossen den besten Anteil zuschoben. Wie die Mehrzahl seiner Mitkämpfer versuchte Schlageter, mit der Übernahme gelegentlicher Aufträge die Zeit freudloser Ruhe zu überwinden. Im Freistaat Danzig trat er in den Dienst einer deutschen, gegen polnische Übergriffe eingerichteten Nachrichtenstelle; als ein polnischer Steckbrief diese Aufgabe zerschlug, hielten geschäftliche Unternehmungen den abgedankten Kriegsleutnant über Wasser. Hatte ihn bislang der Kampf gegen den äußeren Feind gefesselt, so wandte er jetzt seine Teilnahme den Zuständen im Innern zu. Das Treiben der Parteien, das sich im Streit um Ministersessel, um Stellungen und Aufträge zu erschöpfen schien, der wirtschaftliche und geistigen Vernichtung des Mittelstandes ebensowenig wie den Erfüllungsforderungen Frankreichs und seiner Vasallen Widerstand zu leisten vermochte, widerte ihn an. Der Ruf Adolf Hitlers, der aus den früheren Freikorps, aus den Frontkämpfern und aus dem Grenzschutz seine besten Mitarbeiter gewann, fand sein offenes Ohr. Als im August 1922 die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei in Berlin-Kalkberge eine Ortsgruppe gründete, zeichnete sich Albert Leo Schlageter ein. Die Tagung in München, auf der am 28. Januar 1923 die ersten Standarten der Sturmabteilungen zum Kampf um ein neues Deutschland geweiht wurden, sah ihn zu den Füßen des Führers. Wenige Tage zuvor war die Fahne des Freikorps Hauenstein im Ruhrrevier entfaltet worden. Am 11. Januar hatte die "letzte Schlacht des Weltkrieges" begonnen. Aus der Tragödie des "Ruhrkampfes" erwuchs Schlageter das Ziel seines Lebens.

Eine gewaltige Streitmacht war aus dem "Sanktionsgebiet" von Düsseldorf und Duisburg in das Herz des deutschen Wirtschaftslebens eingerückt, um aus eigenem Recht wirtschaftliche Strafmaßnahmen wegen angeblicher Nichterfüllung des unerfüllbaren Versailler Diktates durchzuführen und gleichzeitig im Hinterlande die politische Ablösung des linken Rheinufers zu vollenden. Nach wenigen Wochen schloß eine scharf bewachte Binnengrenze dreieinhalb Millionen [589] Hektar deutschen Landes mit einer Bevölkerung von zehn Millionen vom Reiche ab. Die bewaffnete Abwehr nach Kärntner und Oberschlesischen Vorbildern war ausgeschlossen. Lediglich ein "passiver Widerstand" schien die Möglichkeit zu bieten, das Vorgehen der Besatzungstruppen und der unter ihrem Schutze stehenden Behörden zu lähmen. Die ersten Erfahrungen zeigten bereits, daß auch diese Einstellung einer ständigen "Aktivierung" durch gewaltsame Vorstöße bedurfte. Bergleute und Eisenbahner, Rheinschiffer und Hüttenarbeiter nahmen in selbstverständlicher Pflichterfüllung die Zerstörung wichtiger Anlagen in den eigenen Betrieben auf sich. Für die Außenarbeit trat aus dem unbesetzten Deutschland ein neuartiger Selbstschutz ein, dessen Bezeichnung als "Saboteure" erst eine spätere Zeit zum Ruhmestitel tapferer Einzelgänger erhob. Neben jüngeren Studenten, Kaufleuten und Arbeitern bildeten Angehörige der aufgelösten Freikorps den wichtigsten Kern. Gerade diese Zusammensetzung jedoch führte früh zu einem verderblichen Gegensatz zwischen den als Nationalisten verschrienen Grenzlandkämpfern, die in Berlin und Hamburg, in Sachsen, Thüringen und im Ruhrrevier der auflösenden Arbeit sozialdemokratischer und kommunistischer Hetzer mit den Waffen entgegengetreten waren, und den für die Arbeiterschaft maßgebenden Gewerkschaften. Der innere Zwiespalt im Reiche zermürbte die Front.

Albert Leo Schlageter.
Albert Leo Schlageter.
[Nach dhm.de.]
Ohne Zögern hatte sich Schlageter nach dem Parteitage in München der von Heinz Hauenstein aufgestellten "Organisation" aufs neue angeschlossen. Als "toller Draufgänger, klarer Kopf, besorgt um seine Untergebenen, so recht geeignet für unser Unternehmen" lebt er in ihren Erinnerungsblättern fort. Die Abwehr französischer Späher, die wenig erfreuliche Pflicht, deutsche Landsleute als Spitzel zu entlarven, das Einschmuggeln von Aufklärungsschriften und Sprengstoffen nahmen ihn Tag und Nacht in Anspruch. Die wichtigste Aufgabe blieb die Unterbrechung rückwärtiger Verbindungen, auf denen die an den Kohlenhalden und vor den Koksöfen des Reviers "erbeuteten" Schätze die französisch-belgische Schwerindustrie versorgte. Nach mancherlei ähnlichen Ersuchen wurde ein Anschlag auf die wichtige Eisenbahnstrecke zwischen Duisburg und Düsseldorf der Essener Gruppe zum Verhängnis. Die Sprengung selbst gelang. Erst später brachten das unvorsichtige Benehmen des Gruppenführers sowie der Verrat durch falsche Freunde die französischen Häscher auf die richtige Spur. Nachdem man in dem Koffer Schlageters wichtige Unterlagen gefunden hatte, nahm dieser in vorbildlicher Weise die ganze Schuld auf sich. Ein warnender Brief, den deutsche Beamte mit Lebensgefahr aus dem Untersuchungsgefängnis in Werden herauszubringen wußten, rettete die im unbesetzten Deutschland weilende Leitung vor dem gleichen Schicksal. Für die französischen Behörden war die Frage der Verantwortung schnell geklärt. Unter starker Bedeckung wurden die "Verbrecher" nach Düsseldorf in das Hauptquartier des Ruhrreviers übergeführt. Im Gefängnis in Düsseldorf-Derendorf nahm eine enge Zelle, die wenige Jahre danach zur nationalen Erinnerungsstätte werden sollte, den Haupttäter auf.

[590] Nach der Befreiung von Riga und dem Sturm auf den Annaberg hob das Schicksal Schlageter wiederum im Mai auf den letzten Höhepunkt seines Lebens. Am Fünften dieses Monats ging ihm und den Kameraden die Anklage wegen Geheimbündelei, Kundschaftsdienst für deutsche Sonderbehörden und andere Vergehen gegen die Sicherheit der Besatzungstruppen zu. Das engmaschige Netz der "Ordonnanzen", in das die französische Oberleitung seit 1920 die linksrheinischen Landschaften und ihre "Brückenköpfe", drei Jahre danach das Ruhrrevier verstrickt hatten, ließ kein Entkommen zu. Unter dem Schirm des Diktatfriedens war inmitten des Deutschen Reiches fremde Willkür wirksam geworden. Da die preußische Polizei auf höhere Anordnung einen Befreiungsversuch beherzter Freunde verhinderte, der Angeklagte selbst dringend bat, um seinetwillen nicht weitere Menschenleben aufs Spiel zu setzen, nahm das Verfahren seinen Lauf. Ohne die äußere Vorschrift zu verletzen, entzog der französische Staatsanwalt dem Beschuldigten jede Möglichkeit zu ernsthafter Verteidigung. In der Hauptverhandlung am 9. Mai gab Schlageter sein Vergehen zu. In einer Haltung, die selbst den Offiziersrichtern ehrenvolle Anerkennung anzwang, hörte er die Verkündigung des Todesurteils "wegen Spionage und Sabotage" an; die Mitangeklagten wurden zu Zwangsarbeit oder Gefängnis verurteilt. Eine Berufung war vergeblich. Aus rein politischen Gründen forderten die höchsten Befehlsstellen Frankreichs von den Kriegsgerichten die unnachsichtliche Anwendung des Gesetzes. Bei der zweiten Verhandlung lag der Beratung der Richter vor dem Spruch bereits die ausführliche Begründung vor. Lediglich ein Gnadengesuch konnte Erfolg haben. Schweren Herzens beschritten die Angehörigen diesen Weg, einflußreiche Persönlichkeiten des In- und Auslandes unterstützten die Eingabe.

Schlageter aber, der heimatlose Landsknecht, wie ihn vor allem die eigenen Landsleute in ihrem Haß gegen "Reaktion" und "Nationalismus" wegwerfend nannten, wuchs angesichts eines schimpflichen Todes über sich selbst hinaus. Bis zum letzten Augenblick wahrte der Gerichtsherr die starren Anweisungen der französischen Militärstrafordnung und versagte auch dem Gefängnisgeistlichen jeden Besuch. Lediglich dem Düsseldorfer Kaufmann Constans Heinersdorff, dem unermüdlichen Berater und Helfer vieler Hunderte von Ruhrgefangenen, gelang die Verbindung mit der Außenwelt, mit Familie und Kameraden. Am 25. Mai machte Raymond Poincaré, der die Durchführung dieses "Kampfes" wie einst den Ausbruch und die Beendigung des Weltkrieges als seine eigenste Ehrenpflicht ansah, allen Zweifeln ein Ende. Als Parteigänger der französischen Schwerindustrie den Ministerpräsidenten wegen seines allzu lässigen Vorgehens an der Ruhr scharf angriffen, gab dieser den lästigen Fragern zur Antwort, daß er soeben den Befehl zur Erschießung Schlageters erteilt habe. Der ursprüngliche Zweck des Urteils, die Verfechter des aktiven und passiven Widerstandes zu schrecken, war erreicht. Gerade im Kerngebiet des Kohlenreviers wurde die Ruhe des Kirchhofs nur in seltenen Fällen durch Vorstöße aus dem unbesetzten Deutschland unterbrochen. [592] Die Vollstreckung diente in erster Reihe dem parlamentarischen Spiel der französischen Parteien und sollte die Berg- und Hüttenbarone, die sich nach monatelangem Harren der verheißenden Beute versichern wollten, vom Sturz der Regierung ablenken.

Abschiedsbrief Albert Leo Schlageters an seine Eltern.
[591]      Abschiedsbrief Albert Leo Schlageters
an seine Eltern.

[Bildquelle: Atlantic Photo-Gesellschaft, Berlin.]
Wenige Stunden nach der verhängnisvollen Aussprache in der Pariser Kammer traf der Befehl zur Hinrichtung ein. Auch jetzt bestanden die Offiziere auf strenger Einhaltung der für Meuterer, Raubmörder und anderes Gesindel festgesetzten Vorschriften. In der Frühe des 26. Mai riß man Schlageter aus tiefem, ruhigem Schlaf. Kaum eine Viertelstunde blieb für Beichte und Kommunion. Unmittelbar danach ging es an einem taufrischen Morgen hinaus zur Golzheimer Heide. Mit dem Gedanken an Deutschland, als Offizier, der er als Frontkämpfer im Weltkriege und in den Grenzlanden, als Landsknecht und als Gefangener geblieben war, erwartete und empfing der Schwarzwälder Bauernsohn aufrecht den Tod. Eine Aufzeichnung aus den letzten Tagen, die man bei der von Freundeshand besorgten Beerdigung fand, hebt Albert Leo Schlageters Tat und Persönlichkeit am schönsten heraus: "Sei, was du willst; aber was du bist, habe den Mut, ganz zu sein!"

Das Schlageter-Denkmal in Schönau im badischen Schwarzwald.
[592b]      Das Schlageter-Denkmal in Schönau im badischen Schwarzwald.
[Bildquelle: Atlantic Photo-Gesellschaft, Berlin.]

Im Schicksal dieses einen erreichte das Ringen am Rhein und Ruhr seinen ersten Höhepunkt. Die Teilnahme, die Prozeß und Urteil der französischen Schergen in Deutschland gefunden hatten, war beschämend gering. Der Mißbrauch der Gewalt über ein wehrloses Volk ging weiter. Allein für die wider- [592] rechtlich besetzten Landschaften zwischen Düsseldorf und Dortmund zählen die Grufttafeln an dem den Helden des Ruhrkampfes errichteten Düsseldorfer Mahnmal einhundertdreiundvierzig andere Tote auf. Für Trier und Aachen, für Koblenz, Wiesbaden und Mainz, für Hunsrück, Eifel und Pfalz steht eine Zusammenfassung aus. Da ein passiver Widerstand lediglich für kurze Frist wirksam werden konnte, sah sich die französisch-belgische Einbruchspolitik Anfang Juli 1923 dem Endsieg nahe. Unaufhaltsam trieb die deutsche Wirtschaft dem Abgrunde zu. Die Entwertung der Währung und eine stetig wachsende Arbeitslosigkeit mußten beide "Deutschlande" diesseits und jenseits der von fremden Mächten gezogenen Binnengrenze zermürben. Vom Industrierevier legten die Pariser Drahtzieher das Schwergewicht auf das linke Rheinufer zurück. Das Aufgebot separatistischer Banden sowie die Lockung mit einer angeblich bodenständigen Freiheit von dem ohnmächtigen Reich knüpften an ähnliche Versuche an, die bereits in den Monaten des Waffenstillstandes der Erfüllung nahe waren. Am 26. September wurde der passive Widerstand amtlich eingestellt. Lange zuvor war die aktive Verteidigung erlahmt. Nicht nur das Opfer dieses letzten Ringens an Gut und Blut, sondern das Ergebnis aller Grenzlandkämpfe im Süden, Osten und Norden des volksdeutschen Raumes waren gefährdet. Schwerer als in den dunklen Novembertagen von 1918 senkten sich die Schatten der Niederlage über das Reich.

Einem Vorspiel in Düsseldorf, wo am 30. September ein Handstreich der von Frankreich ausgehaltenen Separatisten zusammenbrach, folgte Ende Oktober der Hauptangriff. In Stadt und Land wehten unter dem bewaffneten Schutz der Besatzung die grün-weiß-roten Farben einer "Rheinischen Republik". An den Verhandlungstischen rangen die Vertreter der Wirtschaft, der Kommunalverwaltung und der Banken verzweifelt um eine Erleichterung der absichtlich vermehrten Lasten. In Berlin drohte der Verzicht auf ein Gebiet, das nur noch von den Zuwendungen des übrigen Deutschland zehrte. Um den deutschen Staat zu erhalten, eine künftige Wiederaufrichtung der Nation zu ermöglichen, schien sogar die zeitweilige Abtrennung der Kernlande deutscher Geschichte tragbar. Vor neuen Kämpfen im Innern, in Thüringen, Sachsen und Bayern, verblaßte das Schicksal der Grenzen. In wahrhaft letztem Augenblick wurde der Wagen des Unheils hart vor dem Abgrund angehalten. Die Ausgabe der Rentenmark rettete Währung und Wirtschaft. In den gleichen Novembertagen, in denen die unheilvolle Erinnerung an den Zusammenbruch von 1918 aufstieg, warf der Wille der rheinischen Bevölkerung die bezahlten Banden nieder und zeigte sich der Blutopfer des Ruhrkampfes wert. Das schöne Wort, daß Schlageters Tat in seinem Tode fortleben werde, gewann im Spätherbst 1923 Gestalt. Nicht nur Ruhr und Rhein, das Reich und der volksdeutsche Gedanke, der den Frontsoldaten ins Baltenland und nach Oberschlesien, nach Danzig und in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei getrieben hatte, waren gerettet.

[593] Noch einmal freilich mußte das Ende der Gewaltherrschaft mit der Übernahme weiterer untragbarer Lasten erkauft werden. Nach dem Londoner Ultimatum von 1921, das die "Sieger" dem Reich unter dem auf Oberschlesien und Ruhrrevier ausgeübten Druck abgepreßt hatten, stellten der Dawesplan (1924) sowie die neuen Vereinbarungen des Youngplans (1929/1930) die Arbeit des deutschen Volkes auf Jahrzehnte hinaus in den Dienst fremder Machthaber. Im Hochsommer 1925 wurden Einbruchsgebiet und Sanktionsstädte der Besatzung ledig. Anfang 1926 begann Schritt für Schritt die Räumung des linken Rheinufers. Am 30. Juni 1930 war mit dem Abzug der letzten französischen Truppen das wichtigste Ziel des passiven und des aktiven Widerstandes erreicht. Den Beschluß bildete am 13. Januar 1935 die Rückgabe des Saarlandes. In stolzer Freude reihte sich die Südwestmark des volksdeutschen Raumes dem Bekenntnis Nordschleswigs und Kärntens, Ost- und Westpreußens, des Burgenlandes und Oberschlesiens an. Ein neues Reich, in dem der Wirrwarr der Parteien geschwunden, der Eigennutz politischer Landschaften getilgt war, nahm die wiedergewonnenen Kämpfer auf. Wenig später gab ein kühner, klug vorbereiteter Entschluß der Reichsregierung dem deutschen Volke die Wehrhoheit, das wichtigste Recht eines selbständigen, freien Staates, zurück; nur in den Grenzgebieten, vornehmlich in der entmilitarisierten Zone des Westens, belasten noch immer schwere Beschränkungen die Verteidigungsstellung der Nation. Der Weg, den Selbstschutz und Freikorps, die "Saboteure" des Ruhrkampfes und die stillen Helden der gegen separatistische Willkür aufgestellten Heimwehr bald in kühnem Anlauf, bald in vorsichtiger Tarnung beschritten hatten, mündete endgültig in den Aufstieg der von Adolf Hitler geleiteten Bewegung. Beide Richtungen wurden zur Einheit. Beiden waren Name und Werk Albert Leo Schlageters zum Sinnbild eines gewaltigen Ringens geworden.

Das Kreuz in der Golzheimer Heide bei Düsseldorf.
[592b]      Das Kreuz in der Golzheimer Heide bei Düsseldorf,
seit 1933 Schlageter-Nationaldenkmal.

Nur in solcher Ausdeutung ist sein Lebenslauf verständlich. Dem Biographen verschwindet seine Entwicklung immer wieder hinter dem gewaltigen Geschehen der Zeit. Um so eindrucksvoller treten und in einzelnen Zügen Tragik und Bestimmung dieser Kriegsgeneration entgegen. Als Kriegsfreiwilliger und Frontsoldat, als abgedankter Offizier und als Grenzlandstreiter stellt sich der Markgräfler Bauernsohn, der im Baltikum, in Oberschlesien und im Ruhrgebiet sein Leben einsetzte, würdig neben die großen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte. In seinem tragischen Untergange und in der Auswirkung, die sein Tod auslöste, erhält das schwere Erlebnis der ersten Friedensjahren, das Ringen um die Marken des Reiches und um die Erhaltung des Staates, eine wahrhaft dramatische Prägung.

Albert Leo Schlageter, ein deutscher Freiheitsheld




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz