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[Bd. 4 S. 570]
Arthur Moeller van den Bruck, 1876-1925, von Paul Fechter

Arthur Moeller van den Bruck.
[576b]      Arthur Moeller van den Bruck.
[Bildquelle: Archiv Moeller van den Bruck, Berlin.]
Arthur Moeller wurde geboren am 23. April 1876 in Solingen. Sein Vater war der aus Erfurt stammende preußische Baurat Ottomar Moeller, seine Mutter Elise van den Bruck war die Tochter des Vorgängers seines Vaters in Deutz. Nach der Mutter nannte er sich in seinen ersten Veröffentlichungen Moeller-Bruck, später Moeller van den Bruck; ihre Familie stammte aus Wesel und soll neben dem holländischen spanisches Blut gehabt haben. Die Familie Moeller war nach Mitteilungen von Dr. Paul Doenitz in der Thüringer Allgemeinen Zeitung eine alte Pastoren- und Offiziersfamilie in Erfurt.

Die bestimmenden Jugendjahre verlebte Moeller in Düsseldorf. Über diese Zeit hat seine erste Frau, Hedda Maase, die spätere Gattin Herbert Eulenbergs, mit deren Bruder er die Schule besuchte, und in deren elterlichem Hause er viel verkehrte, eindringlich berichtet. "Moeller besuchte das städtische Gymnasium in Düsseldorf, an dem der alte Uppenkamp Direktor war. Es gelang dem außerordentlich frühreifen, mit einer bohrenden Intelligenz und einer unbesiegbaren Idealität ausgestatteten Schüler nicht, auch nur in die Prima versetzt zu werden. Es gab unsäglich viel anderes zu tun als Schularbeiten zu machen für diese Generation, die sich 'fin de siècle' nannte, jede Neuerscheinung in unserm Schrifttum wie ein wichtiges Staatsereignis empfand, die aufkommende soziale Lyrik der Conradi, Holz und Schlaf, Henkell und Dehmel verschlang und sich immer wieder aus Nietzsche Rat und Stärke holte... Nicht jeder der braven Jünglinge, die sich damals stolz Dionysier nannten, hatte die Möglichkeit, den ganzen furchtbaren Sinn der Unerschrockenheit beim Anblick der ewigen Meduse, als welche sich dem Philosophen das Leben zeigt, zu fühlen. Der blonde, junge, schweigsame Schöpfer des Buches vom Dritten Reich wußte von frühen Jugendtagen an, was dies bedeutet: etwas Tragisches witterte um den ewig ernsten Jüngling, der von seinem Großvater, dem Baurat van den Bruck aus Deutz, auf den Namen Arthur nach dessen Lieblingsphilosophen Schopenhauer getauft worden war. Und eine unbestimmte Sage von dem nicht glücklichen Aspekt des Horoskops, das ihm der alte Herr in seiner Geburtsstunde hatte stellen lassen, gab dem stets gedankenvollen und oft träumerischen Jüngling den Schimmer einer schwermütigen Poesie.

Viele Monate, ja Jahre hindurch erschien er nachmittags Punkt fünf in meinem elterlichen Hause, nahm schweigend seinen Platz in stets derselben Sofaecke ein, [571] und nun begann im Kreis der Studiengenossen und ‑genossinnen ein reges, oft leidenschaftliches Debattieren über die sozialen Probleme, die damals anfingen, ihren Niederschlag in der Literatur und der Kunst zu finden... Da geschah denn auch das für den jungen Schriftsteller Charakteristische, daß einer der Väter der versammelten jungen Leute hereinkam und sagte: 'Habt ihr's gesehn, der junge Moeller hat heute gelacht!'"

Daß die Schulzeit eines jungen Menschen von so besonderer Art nicht reibungslos ablaufen konnte, versteht sich von selbst. Arthur Moeller erhielt nach Mitteilungen von Frau Eulenberg eines Tages als Untersekundaner das Consilium abeundi. Teils weil er in der Schule nichts tat, hauptsächlich aber, weil sich ergab, daß ein Aufsatz über bekannte Düsseldorfer Maler, der durch seinen neuen Ton großes Aufsehen erregt hatte, von ihm, dem Schüler des Gymnasiums, herstammte. Er war anonym in der gelesensten Düsseldorfer Zeitung erschienen. Moeller wurde daraufhin von seinen Eltern nach Erfurt geschickt, zu Verwandten, und dort April 1895 auf die Obersekunda des Gymnasiums aufgenommen. Ein Jahr blieb er, wiederum ohne Erfolg: dann ging er Ostern 1896 nach Leipzig, nicht als Student; er hat im normalen Sinn nie und nirgends studiert. Verlobt hatte er sich bereits beim Abschied von Düsseldorf mit Hedda Maase; da inzwischen die Eltern kurz nacheinander gestorben waren und ihm ein ziemlich beträchtliches Erbe zugefallen war, ging er noch im August 1896 nach Berlin, heiratete und begann, sich literarisch zu betätigen. Er wurde Mitarbeiter Hardens an der Zukunft, übersetzte mit seiner Frau Maupassant (bei Reclam), Barbey d'Aurevillys Teuflische und geriet in der Beschäftigung mit künstlerischen und kulturellen Dingen in einen immer schärferen Gegensatz zum Reich und seiner Unlebendigkeit auf den meisten Gebieten des geistigen Lebens. Er hatte in Berlin einen Kreis von Freunden gefunden, der von Conrad Ansorge und Franz Evers bis zu Richard Dehmel und Rudolf Steiner, Przybyszewski, Arno Holz, dem Papa Heilmann und anderen reichte; er fühlte sich je länger desto mehr isoliert und fremd. Der Rheinländer in ihm protestierte gegen das Preußentum Berlins, steigerte sich immer mehr in den Gegensatz zur Zeit und zum Staat hinein, so daß er zuletzt beschloß, dem Reich den Rücken zu kehren und nach Frankreich zu gehen. Ein erster Versuch eines Buches, Das Varieté, Frucht der Varieté-Begeisterung von 1900, war erschienen; eine erste große Arbeit Die moderne Literatur, ein dicker Band von achthundert Seiten, war fertiggestellt und kam 1902 heraus; im Herbst des gleichen Jahres verließ Moeller Deutschland. Brieflich vollendeten er und Frau Hedda noch ihre letzte gemeinsame Arbeit, die Übertragung der Defoeschen Moll Flanders; am zweiten Weihnachtstag wurde sein Sohn Peter Wilhelm Wolfgang geboren, der einundzwanzigjährig 1924 gestorben ist.

Dieser Schritt Moellers bedeutete die Entscheidung auch für sein inneres Leben. Er mußte aus Deutschland gehen, um Deutschland zu finden. Er verlor durch diesen Schritt die Frau, die er eben erst gewonnen, den Sohn, den sie ihm geschenkt [572] hatte. Er gewann dafür, was er im damaligen Deutschland bei seiner Sensitivität viel schwerer und kaum so unverlierbar errungen hätte, die Beziehung zu dem ewigen Deutschland, das er über dem starren Gitterwerk des Staates, an dem er sich ständig gestoßen, bis dahin übersehen hatte. Er erkannte die Zeitlichkeit der Staaten gegenüber der Unvergänglichkeit der Völker: er erlebte die erstarrte Welt der europäischen Reiche und erkannte dahinter als ihre eigentlichen Träger und Lebensspender die Nationen.

Moellers Pariser Leben hat mehrere Jahre gedauert; ein längerer Aufenthalt in Italien schloß sich an. Schon in Frankreich reifte der Entschluß in ihm, nach Deutschland zurückzugehen und den Konflikt mit den Militärbehörden seiner Heimat, den er durch seine Übersiedlung nach Paris heraufbeschworen hatte, und seine Folgen auf sich zu nehmen. Er hatte bereits in Paris mit der Arbeit an seinem großen achtbändigen Werk Die Deutschen begonnen, in dem sich seine innere Wendung zum eingeborenen Volkstum dokumentierte. Auf Grund dieser Arbeit wandte er sich an die zuständigen Behörden im Reich und kehrte dann nach Deutschland zurück, um nun nachträglich freiwillig seiner Dienstpflicht, wie sie sich jetzt gestalten mußte, nachzukommen. Man brachte ihn nach Küstrin; der untersuchende Militärarzt riet ihm dringend ab, den harten Dienst auf sich zu nehmen; aber Moeller wollte den Ausgleich. Nach einigen Monaten wurde er gegen seinen Willen aus dem Militärdienst entlassen und hatte damit die Wirrnisse der jungen Jahre abgeschlossen.

Schon zu Beginn der Pariser Zeit hatte er seine zweite Frau, Lucie Kaerrick, kennengelernt; jetzt ließ er sich in Berlin mit ihr trauen. Mit der Schwester seiner Frau machte er sich an das Werk der großen Dostojewskij-Übersetzung; die Deutschen wurden von neuem vorgenommen; ein zweites großes Werk über die Besonderheiten der anderen Nationen, für das er den Gesamttitel Die Werte der Völker vorsah, kam dazu. Ausgeführt wurde nur der Band Die Italienische Schönheit; des weiteren ergab sich ein Ergänzungsband zu den Deutschen: Die Zeitgenossen. Zu den alten Freunden kommen neue, Theodor Däubler, Schleich, der Bildhauer Peterich; das frühere Leben begann von neuem, fand zum wenigsten jetzt erst, in diesen letzten Jahren vor dem Krieg, seinen sinngemäßen Abschluß.


Der junge Moeller begann seine Laufbahn in den Bezirken der Kunst; er endete bei der Politik. Er wuchs hinein in die Zeit, in der die europäische Welt vor ihrem Zerbrechen in die nationalen Individualitäten noch einmal wie in einem Rausch der Gemeinsamkeit teilnahm an den geistigen Vorgängen bei allen ihren Gliedern. Er wuchs auf in jenen Jahren des leidenschaftlichen Anteils vor allem der Jugend an Dichtung, Malerei, Musik, Philosophie und nahm von ihrem Rausch seinen Ausgang. Die Staaten waren im Erstarren, die Völker im Erwachen, und was sie schufen, ging in all seinen Äußerungsformen die europäische [573] Jugend jener Zeit stärker an als alle politischen Vorgänge, die im Innern der einzelnen Staaten mehr und mehr von den sozialen Auseinandersetzungen abgelöst oder überschattet wurden, im Äußeren etwas seltsam Gewichtloses, den einzelnen nur selten noch direkt Berührendes bekommen hatten. Am Anfang von Moellers Werk steht ein Buch, das seltsam zu dem Wesensbild des ernsthaften Autors des Preußischen Stils und des Dritten Reiches passen will: die Kulturdramaturgie Das Varieté, die 1902 mit Bildern bei Julius Bard in Berlin erschien. Das Buch ist von heute gesehen ein Nebenwerk und trotzdem zeitpsychologisch nicht unwichtig: es zeigt, wie sehr vom Impressionismus aus der Nihilismus eines Könnens an sich schon damals das Interesse auch der lebendigen jungen Generation beherrschte. Lange vor Gottfried Benn ahnte man im Varieté die Berührung mit dem Nichts, mit der Nihilität – und verwirrte zugleich, wie doch die großen Varietés die einzigen Stellen waren, an denen dem Volk als Ganzem etwas gegeben werden konnte. Die Theater lebten von der Literatur, von der Bildung und für die Bildung: das Varieté schuf mit seinen Darbietungen, die jedem, dem Einfachsten wie dem Anspruchsvollsten, in gleicher Weise und von den gleichen Voraussetzungen aus zugänglich waren, die Anfänge einer neuen, wenn auch zunächst sehr profanen Gemeinsamkeit. Das spürte Moeller van den Bruck als etwas, was ihn anging, und von hier aus ging er an die Diskussion des Varietés, wenn er darüber auch allerhand ästhetisch-literarische Konstruktionen aufbaute, die Zeitgebilde blieben und mit seinem Eigentlichen wenig zu tun hatten.

Das gilt ähnlich von dem Théâtre Français, das zwei Jahre später bei Schuster und Loeffler in Berlin erschien. Es gab Zeitstimmung, ohne auf Zeitdeutung auszugehen, obwohl diese Zeitdeutung schon das fast gleichzeitig mit dem Varieté 1902 erschienene Werk Die Moderne Literatur von der ersten bis zur letzten Seite erfüllt. Die Moderne Literatur Moellers ist der Versuch einer Literaturgeschichte unmittelbar aus der Zeitsituation heraus, das Seitenstück zu Julius Meier-Graefes Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst von 1903; die ganze gefährlich lebendige Geistigkeit der Zeit um 1900 ist in dem Buch und zugleich der schon in den achtziger Jahren einsetzende Zeitwille, die eigene Epoche durchsichtig zu machen und zu deuten. Was nachher bei Spengler nach Moellers Vorgang für die Jahrhunderte der Vergangenheit unternommen wird, Sinngebung – das versucht der junge Moeller hier am Gegenwärtigen und seinen Gestalten. Er will die Kulturlogik seiner eigenen Zeit finden, mit jenem Erledigungseifer, der bereits die achtziger Jahre erfüllte und um 1900 in Moeller noch einmal ganz stark aufflammt.

Das Buch Moellers zeigt nicht nur die Voraussetzungen seines persönlichen Lebens, sondern ist eines der wichtigsten Quellenwerke für die Kenntnis jener Zeit um 1900, in der sich bereits deutlich die Wege von Staat und Volk zu trennen begannen. Es ist viel Junges in dem Buch, viel Superlative; man fühlt zugleich das Bohrende, besessen Suchende, das überall den Kern, den letzten Sinn der [574] Erscheinung will. So kommt er über die persönliche zu einer überpersönlichen Auseinandersetzung mit der Zeit und macht die Feststellungen, die unabhängig voneinander alle machten, die annähernd gleichen Alters durch jene Jahre hindurchgingen. Er spürte das Loch in den Lehren des Naturalismus und des Impressionismus, das alle fühlten; er gehört schon zur Generation des Expressionismus, lehnt sich gegen die Betonung des Formalen im Naturalismus wie in den Gegenbewegungen auf, sucht das Wesen, das Ursprüngliche. Ihn trägt wie Nietzsche der Glaube an die neue Renaissance; zugleich enthüllt er all die Zeitzüge, die damals schon auf die Gegenwart und ihre Sachlichkeit verwiesen. Er sieht das Negative der Zeit: "alle Dichter sind wie Fragen"; aber er bekennt zugleich offen die eigene Negativität. Wenn er die naturalistische Tragödie erörtert, entwickelt er den schon damals einsetzenden Zeitsinn für "die Nebenbeziehung einer leisen, feinen Komik" zu dieser wie zu jeder Tragik. Er ist im Innersten schon sachlich: Komisches und Tragisches heben sich zum wenigsten gelegentlich für ihn auf. Die Erscheinungen fangen an, nur noch "an sich" zu wirken. Er hat das von Natur aus Zeitgenössische und dazu das passive, fast feindliche Verhältnis zur Geschichte, das sich in jungen Menschen damals fast notwendig aus dem Mißverhältnis zwischen dem Staat als dem Träger der Geschichte und dem Geist ergeben mußte. Lebendig waren Geist, Seele, Schaffen. Der Staat war das Erstarrte, Ungeistige, das kälteste Ungeheuer – ihm aber galt die Geschichte, gehörte sie. Was hatte infolgedessen ein lebendiges Geschlecht noch mit Geschichte zu tun!

Im einzelnen bringt der Band ausgezeichnete Porträts von Nietzsche bis Wedekind, Hermann Conradi bis Richard Dehmel, von Stehr und Scherbart bis zu Mombert und Dauthendey – zu einer Zeit, da große Literaturgeschichten noch kaum die Namen dieser Autoren kannten. Moeller setzt sich bereits mit Paul Ernst und Stefan George auseinander (den er freilich mit Otto Julius Bierbaum in ein Kapitel tut); er sieht die Zeitbedeutung Richard Dehmels, der der eigentliche Rauschträger nach Nietzsche ist, viel klarer als die vom Naturalismus Befangenen und gibt ein Material, das noch heute Gültigkeit hat und sie behalten wird, weil in diesem Buch ein Mensch, ohne es zu ahnen, die Bilanz seiner Jugend zieht und das eine Hauptkapitel seines Lebens abschließt, um eine neue Bahn zu betreten, von der er selbst nicht weiß, wohin sie ihn noch führen wird.

Denn mit dem nächsten Werk Moellers, mit den Deutschen, beginnt bereits die zweite Phase seiner Welt, die historisch-politische. Die literarisch-ästhetische, die seine Jugend erfüllte, hat er erledigt. Jetzt beginnt die Auseinandersetzung mit einer andern Welt. Die ersten dreißig Jahre seines Lebens hatten ihm allein gehört: jetzt setzt die Auseinandersetzung mit dem Volksganzen ein, in das er durch seine Geburt hineingestellt war. Er hatte sich dem Dienst, den dieses Ganze von ihm wie von jedem forderte, zunächst in einer fast tragischen Überspannung des Glaubens an das Recht seiner Persönlichkeit entzogen: in diesem Werk vollzog [575] er vom Individuum aus die Klärung, die notwendig war, damit seine Beziehung zu Volk und Nation berichtigt werden konnte. Indem er die wesentlichen Gestalten der Deutschen in großen Bildern vor sich aufbaute, die Verirrten, die Führenden, die Verschwärmten, Entscheidenden, Gestaltenden, Scheiternden und die Lachenden Deutschen, denen sich in einem besonderen Bande der einzige Deutsche der Harmonie und Totalität – Goethe – zugesellt, schuf er sich selber die Klarheit, deren er bedurfte, um die Energie zur Tat, zur freiwilligen Rückkehr nach Preußen aufzubringen. Er begann seine Arbeit mit Gestalten der Dichtung, die ihm am nächsten waren; er endete mit Erscheinungen des politischen Lebens, um von ihnen aus selbst eine politische Tat, nämlich seine Rückkehr zu unternehmen.

Er ging in diesem Werk den Weg von der Beschäftigung mit dem Geringen zur Beschäftigung mit dem Politischen, leistete unbewußt-ahnungsvoll die Vorarbeit für das, was er nach dem Kriege als die eigentliche und entscheidende Arbeit seines Lebens vollbringen sollte. Er stellt im ersten Band, in den Verirrten Deutschen, die Gestalt Hermann Conradis stark heraus, weil er bei ihm schon die Wendung zum Nationalen, zum Germanischen angedeutet findet, deren Notwendigkeit er ebenfalls immer deutlicher spürt, und setzt sich im zweiten Band, in den Führenden Deutschen, bereits mit Bismarck auseinander und in ihm mit der Aufgabe, die die Deutschen als Volk in der europäischen Welt zu leisten haben. Er sieht hier schon den zweiten Kampf um die höchste und letzte Einheit als Nation voraus; er beginnt im vierten Band, der den Entscheidenden Deutschen gewidmet ist, im Porträt Friedrichs des Großen, bereits den Kampf gegen den Liberalismus, der später den zweiten negativen Hauptteil seines Dritten Reiches bilden sollte. Er stellt in dem Band Scheiternde Deutsche ein Porträt Wilhelms II. an den Schluß, offenbar ein bißchen beeinflußt durch Hermann Conradis Broschüre über den jungen Kaiser, mit den heute geradezu unheimlich prophetischen Schlußsätzen, und versucht, im letzten Band, in den Lachenden Deutschen, seinem ernsthaften Wesen sogar Sinn für Humor abzuringen. Er kam von der Seite des Pathos; da blieb wie bei seinem bewunderten Idol Richard Dehmel eine heimliche Feindschaft gegen das Lachen, und er mußte Gestalten wie Rembrandt und Grünewald zu Böcklin und E. T. A. Hoffmann hinzunehmen, die alle mit der humoristischen Seite der Welt sehr wenig zu tun haben. Hier wurden die Grenzen seiner Bereiche sichtbar und zugleich das Junge des ganzen Unternehmens, das Moeller selbst nachher sehr deutlich gespürt hat. Das Werk hat ihm den Rückweg in die Heimat gebahnt, und es hat ihm geholfen, die historischen Grundlagen für seine spätere Arbeit zu gewinnen. Mit der Form, die es bekommen hatte, war er niemals zufrieden. Er wollte die Deutschen immer von neuem überarbeiten, weil ihn die Vorstellung eines wirklich vollendeten geistigen Totalbildes der Nation immer wieder reizte: er ist nicht dazu gekommen, diese Arbeit auszuführen, weil er zuletzt wohl fühlte, daß Derartiges, von einem einzelnen unternommen, immer im Ansatz wird steckenbleiben müssen. Es ist sehr bezeichnend, daß er die großen [576] Deutschen der Forschung und der Naturwissenschaften überhaupt nicht in seine Arbeit hineinbezogen, daß er sich auf der einen Seite mit Menschen der Politik, auf der andern Seite mit Menschen der Kunst und der Dichtung begnügt hat. Das Ausgehen vom Geist nur in der Form der Kunst, der Dichtung, wird hier noch einmal als Schicksal jener Zeit deutlich sichtbar.

Die Deutschen sind die einzige umfassende Arbeit, die Moeller vollenden konnte. Von dem zweiten geplanten großen Werk Die Werte der Völker erschien nur der erste Band, Die Italienische Schönheit, die 1913 bei Piper in München herauskam. Von außen gesehen bedeutete dieses Buch ein Zurückgreifen auf die erste Phase seines Lebens, eine Rückkehr zur Welt der Kunst. Von innen betrachtet war es viel mehr. Moellers Italienische Schönheit ist das Bindeglied zwischen Alois Riegls Spätrömischer Kunstindustrie und Spenglers Untergang des Abendlandes. Die von Spengler nachher auf die Gesamtkultur übertragene Entwicklung von der strengen inneren Bindung des Lebens durch die Mächte zur Auflösung in nur noch äußere, zivilisatorische Organisationen hat zuerst Alois Riegl am Raum und dem sich wandelnden Verhältnis der Menschen zum Raum als allgemeinen Entwicklungssinn der künstlerischen Gestaltungen gezeigt. Moeller van den Bruck hat diese Betrachtungsweise von der isolierten Architektur auf die Kunst als Lebensausdruck eines ganzen Volkes ausgedehnt. Spengler blieb der Schritt vorbehalten, den latenten Kulturpessimismus, der schon in Riegls Werk lebt, und der bei Moeller auch bereits deutlich sichtbar wird, soweit es sich um die Kunst handelt, von dem einen italienischen Volk auf alle Völker und von den Kunst- auf alle Lebensformen zu übertragen.

Moeller zeigt in seiner Italienischen Schönheit den Anteil von Stil und Naturalismus an den Entwicklungsphasen der italienischen Kunst. Er gibt zunächst die historischen Grundlagen, die Wirkungen der vielfachen Germaneneinbrüche, über die die Mächte der Zeit und des Bodens in Italien zuletzt doch Herr werden; er bringt die Gestalten der großen, natürlichen Meister des Stils von Niccolo Pisano bis zu Piero della Francesca, von Cimabue bis Giotto, um dann aufzuzeigen, wie diese frühe Zeit zugleich die hohe und die eigentliche Zeit der italienischen Schönheit ist. Der Stil, das Leben von innen nach außen, hat hier gesiegt; der Naturalismus, das Leben von außen nach innen, liegt noch fern im Hintergrund. Noch herrscht die Kraft der Beziehungen auf das Göttlich-Überwirkliche: das Eingehen ins Wirkliche, das verhängnisvolle Aufgeben der menschlichen Sonderstellung gegenüber der Natur und das Auflösen dieser Stellung ebenfalls im Natürlichen dämmert erst ferne herauf. Es wird Sieger mit der Renaissance und der gepriesenen großen Zeit. Die ist Zerfall, Naturalismus, Niedergang, gegen den der florentinische Römer Michelangelo heroisch, aber vergeblich ankämpft. Ein einzelner kann aus seiner isolierten Kraft die bindende Allgemeingültigkeit des Stils nicht mehr schaffen; Michelangelos Wesen ist es, keine Natur und keinen Stil zu haben. Der letzte der versinkenden großen Zeit der Schönheit war Bramante: mit Michelangelo [577=Faksimile] [578] setzt das Barock ein, für Moeller van den Bruck wie für Burckhardt Verfall und Auflösung. Für eine kurze Spanne Zeit täuscht der Rausch von Venedig noch über den allgemeinen Niedergang hinweg; dann versinkt auch er und mit ihm die italienische Schönheit. Der Untergang des Abendlandes, kunsthistorisch gefaßt, leuchtet hier zum erstenmal in seiner vollen Vorkriegsmelancholie über der europäischen Welt auf, für die kommende politische Entwicklung Moellers schon jetzt die Aufgabe seiner Überwindung stellend. Der Schopenhauer-Anteil seines Wesens, der in der ersten Hälfte seiner Laufbahn mehr als einmal entscheidend vorherrscht, mußte ausgeschieden, der Übergang zu Hegel gefunden werden, dessen Schatten auch bereits auf den Stil und die Betrachtungsweise der Italienischen Schönheit fällt, vor allem in den Kapitelüberschriften sichtbar wird, aber erst mit dem nächsten Werk den Sieg über die schon ererbte Beziehung Moellers zu dem Verfasser der Welt als Wille und Vorstellung davonträgt.

Der Anfang des Buches ‘Der Preußische Stil' von Arthur Moeller van den Bruck.
[577]      Der Anfang des Buches "Der Preußische Stil" von Arthur Moeller van den Bruck in eigenhändiger Niederschrift, 1915.
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[Bildquelle: Archiv Moeller van den Bruck, Berlin.]
Diesen Übergang bringt der Krieg. Moeller erlebt ihn als Landsturmmann im Osten, nachher in Berlin in der Auslandsstelle der Obersten Heeresleitung und empfängt von ihm nun die Kraft, seine Lebensrichtung und seine Lebensdeutung entscheidend von der Vergangenheit auf die Zukunft umzustellen. Moeller begann als Mensch der Kunst und wird jetzt Mensch der Wirklichkeit; er orientierte sich historisch und richtet sich jetzt politisch aus. Er floh einst vor Preußen und singt jetzt diesem härtesten Lande der Deutschen als dem Formträger des Reiches, seinem antinaturalistischen Element, das Hohelied seines Preußischen Stils. Das Buch, das 1916 ebenfalls bei Piper erschien, wurde sein Abschied von der Welt der Kunst und sein Bekenntnis zu dem Lande und dem Staat, mir dessen innerem Lebenssinn er in seinen jungen Jahren am schwersten gerungen hat. Er hatte einst die Freiheit des Lebens mit sich gesucht – und bejahte jetzt in diesem Werk ohne Rückhalt den Staat, der den einzelnen am meisten zum Leben gegen sich um des Ganzen willen zu erziehen suchte. Preußischer Stil ist ihm nicht nur Andreas Schlüter und Nehring, Knobelsdorff und Langhans und die Gillys: preußischer Stil ist für Moeller der Große Kurfürst und Friedrich Wilhelm I., der Alte Fritz und Kant, das preußische Heer und das preußische Beamtentum. Moeller sieht, vom Barock Preußens ausgehend, die beginnende Auseinandersetzung zwischen dem Landesstil, der einmal der herrschende werden mußte, und dem Reichsstil Wiens, der zurückgedrängt werden mußte, um des Ganzen willen. Er sieht mit Gilly und Langhans im strengen Klassizismus Berlins die Form erwachen, die sogar den Klassizismus Weimars überschatten muß, weil Preußens Hauptstadt schon damals beginnt, die Hauptstadt des geistigen Reiches zu werden. Die Zeit um 1800 ist ihm für Preußen, was die Zeit Piero della Francescas und Cimabues, die Epoche des strengen Stils für Italien war. Er läßt diesem preußischen Stil auch nur eine kurze Zeit der Blüte: schon mit Schinkel löst sich das Lebendige wieder in Wissen und Akademie, das Preußische in die Gotik auf, in der er einst um die Zeit des Jugendstils wie so viele andere den Stil der Zukunft sah, [579] die ihm jetzt aber nur noch Romantik und Vergangenheit ist. Trotzdem vollzieht er hier, nur drei Jahre nach dem Erscheinen der Italienischen Schönheit, bereits die innere Ablösung von Spengler, dessen Buch erst nach dem Preußischen Stil herauskam. Er hat die allzu naturwissenschaftliche, allzu biologische Deutung geistiger Vorgänge bereits überwunden, bevor sie allgemeine Mode wurde; denn er hatte vor allem in den Augusttagen 1914 begriffen, daß die Lebensgesetze der Völker von sehr anderer Art sind als die der Individuen. Er erkannte den Irrtum Schinkels und sah den Verfall bei seinen Nachfolgern, das Zerflattern des Preußischen, das sich aus dem Aufgehen im Neudeutschen ergeben mußte. Aber er sah jetzt auch die Gegenkräfte, die sich von seiner Generation aus dem Niedergang in den Weg stellten. Er sah, wie dem abgeleiteten Klassizismus der Zeit um 1800 ein unmittelbarer in der modernen Bewegung der Zeit nach 1900 folgte, die die spätgotische Welle des Jugendstils ablöste. Er sah nicht Abstieg, sondern Aufstieg in dem, was Männer wie Poelzig, Messel, Peter Behrens, Paul Mebes brachten: er ahnte in dem sich anbahnenden Stil der neuen Sachlichkeit das Neuklassizistische wie das Preußische, den neuen Willen zum Staat und zur Formgebung über den Staat hinaus – für Europa. Hegel hatte über Schopenhauer gesiegt: nicht umsonst hatte Moeller den Preußischen Stil seinem Onkel, dem Major Rudolf Moeller, "als Bekenntnis zu Hegel und Clausewitz" gewidmet. Er hatte die Wendung nach dem Osten vollzogen, soweit er als Rheinländer mit thüringischem Blute das vermochte.

Als der Krieg zu Ende ging, erkannte Moeller, daß für die nächste Zeit die Aufgabe für ihn und den Kreis seiner Freunde nur noch politisch sein, zum mindesten nur noch im politischen Schrifttum sich ergeben konnte. Er behielt den Glauben, den er im Preußischen Stil gefunden hatte, auch für das Schicksal des niedergebrochenen Landes; mit einem heute schwer vorstellbaren Optimismus, der am reinsten in einem Brief an seinen Freund Hans Grimm vom 20. Januar 1919 zum Ausdruck kommt, ging er an die Arbeit:

"Lassen Sie mich mit der Summe beginnen, die wenigstens in unserer Lage nur geistig zu fassen ist. Sie heißt mit einem Worte: Vertrauen – Vertrauen, trotz Weltkrieg und Weltrevolution, zu unserer Zukunft – Vertrauen unter den jungen Menschen überall, wohin man kommt, in den Kreisen und bei den Kräften. Ich glaube, es hat noch nie eine geschlagene Nation in einer solchen Stimmung gegeben. Die Menge freilich ist oberflächlich wie immer; aber die einzelnen sind sehr besonnen geworden, und von den einzelnen wird schließlich eine Wirkung auch auf die Menge ausgehen. Der Sinn all dieser Ereignisse ist doch der, daß sie uns zur Nation erst erziehen sollen. Und ich kann mir wohl denken, daß wir diesen Ereignissen noch einmal sehr dankbar sein werden. Sie haben so ungeheuer viel frei gemacht, und zwar alle, unterschiedslos. So empfindet, glaube ich, die ganze Nation, die sozialistische und schließlich auch in ihren jüngeren Elementen die konservative. Andererseits soll das gewiß nicht heißen, daß wir das alles als [580] besonders 'schön' zu empfinden haben, im Gegenteil, das wäre wieder der alte, verruchte Optimismus, der unsere ewige Gefahr ist.

Wir können die Dinge gar nicht hart und schwer und bitter genug nehmen. Tun wir es nicht, dann verfehlen wir wieder jene 'Erziehung zur Nation', von der ich sprach, und auf die es ankommt: dann bestärken wir die Deutschen wieder in der Empfindung, daß sie schon alles erreicht hätten, was sie auf Erden erreichen könnten. Vor der Wirklichkeit fällt dies ja heute einigermaßen schwer. Aber das Gefühl, die Welt der Wünsche, Einbildungen und Selbsttäuschungen, neigt immer wieder dazu. Und die Deutschen bekommen es fertig, sich als besiegte Nation für die siegreiche zu halten. Man muß die Deutschen kennen, um ihnen zu helfen."

Moeller van den Bruck fühlte schon hier, unmittelbar nach dem Waffenstillstand den Sinn des Schicksals: aus dem verlorenen Krieg, der verlorenen Revolution mußte der Gewinn der Nation wachsen. Noch im Jahr 1918, unmittelbar nach dem Zusammenbruch, dem Waffenstillstand und der Diskussion über die Vierzehn Punkte nahm er eine Idee auf, die zuerst 1906, in einem Nebenwerk zu den Deutschen, das den Titel Die Zeitgenossen führte, auftaucht: den Gedanken nämlich der Unterscheidung der Völker in junge und alte. Alte waren ihm schon damals die Romanen, junge die germanischen Nationen. England war für ihn entartetes Germanentum, ein Volk von Händlern, nicht von Helden; Deutschland hat dafür die Aufgabe, unter Preußens Führung diese Schmach zu rächen, eine neue deutsche und damit eine neue Weltkultur zu schaffen – in bewußter Rassen- und Pionierpolitik.

Diese Idee nimmt Moeller jetzt nach zwölf Jahren wieder auf, in der kleinen 1919 bei Piper erschienenen Schrift Das Recht der jungen Völker. Auf der einen Seite stehen ihm jetzt die arbeitenden, auf der andern die genießenden Völker. Zu der jungen Seite rechnet er Bulgaren, Finnen, Japaner, Preußen – denn Deutschland ist alt und jung zugleich – zu der alten die übrigen, die zum Teil mit falscher Orientierung dort stehen. Auf ihrer Seite halten die Ideen von 1789; auf die andere Seite kommen die neuen Ideen, die vom Recht der Völker gegen die Staaten handeln. Er erwartet von Deutschland eine völlige Erneuerung dieser Ideen:

Arthur Moeller van den Bruck.
Arthur Moeller van den Bruck.
Portraitaufnahme, ca. 1920.
[Bildarchiv Scriptorium.]
"Wir werden das Wort Liberalismus noch einmal schreiben – als Freiheit. Wir werden das Wort Demokratismus noch einmal schreiben – als Volklichkeit. Wir werden das Wort Sozialismus ganz anders schreiben: als Staat."

Hier stehen zum erstenmal die politischen Grundsätze des neuen Nationalismus, noch in Andeutungen, noch mit der Vergangenheit ringend. Ihrer Klärung galt die Arbeit, die Moeller in den Jahren nach dem Kriege mit Heinrich von Gleichen und dem Kreis des Juniklubs an der Wochenschrift Das Gewissen leistete, galt später die Arbeit mit Martin Spahn am Politischen Kolleg; dieser Aufgabe war der Sammelband Die Neue Front gewidmet, der, unmittelbar nach dem Krieg begonnen, erst 1922 bei Georg Paetel in Berlin im Druck erschien und Arbeiten des Kreises um Möller vereinigend, das erste gewichtige Dokument der bereits [581] geleisteten oder im Gang befindlichen Arbeit für das neue Deutschland ist. Um selbst zur Klarheit zu kommen, ging Moeller mit den Freunden immer von neuem in den politischen Kampf, zu Diskussionsabenden und Vorträgen vor der jungen Generation, vor Studenten, Arbeitern, Wirtschaftlern, Parlamentariern – und das Ergebnis all dieser Klärungsarbeit war schließlich sein letztes, am berühmtesten gewordenes Buch Das Dritte Reich. Es erschien im Jahre 1923 – als der aktive innerpolitische Kampf um die Gestaltung des neuen Reiches bereits im vollen Gange war – und brachte die Klärung zum mindesten für ihn. Die Zeit war für Arthur Moeller van den Bruck noch nicht reif geworden. Der Widerhall des Buches war gering, um so geringer, als es den Kampf gegen die Parteien auf der Rechten wie auf der Linken aufnahm; Moeller schwankte sogar, ob er es nicht statt Das Dritte Reich Die Dritte Partei nennen sollte. Es war eine Abrechnung mit der Vergangenheit und der Versuch einer Richtlinie für die neue Generation; die aber war erst im Aufstieg, und die alte, die angegriffene, ging naturgemäß an dem Werk vorüber und an seinem Autor ebenfalls. Moeller hatte seine beste Kraft an dieses Werk gesetzt und blieb ohne Widerhall. Er hatte das Äußerste hergegeben; so folgte fast mit Notwendigkeit, als die Spannung der Arbeit vorüber war, der Zusammenbruch. Er hatte der Entwicklung einen Anstoß gegeben; das Ergebnis erlebte er nicht mehr. Als er die Fünfzig noch nicht erreicht hatte, versagten seine Nerven: er sah, wie ein dunkles Schicksal sich über ihm zusammenzog, und als er glaubte, nicht mehr die notwendige Widerstandskraft aufbringen zu können, ging er freiwillig am 30. Mai 1925 aus der Welt. Er floh nicht vor dem Leben; er wollte sehr anständig vermeiden, daß unter Umständen Krankheit ihn um die Herrschaft über sein eigenes Tun brachte. Auch sein Tod fand über den Kreis der Freunde hinaus kaum Beachtung; der Widerhall in der Öffentlichkeit jener Tage war beschämend gering.

Das Dritte Reich aber, sein letztes Buch, ist trotzdem sein entscheidendes Werk und nach seinem Tode das geworden, das seinem Namen vor allem bei der jüngeren Generation endlich den ihm lange gebührenden Klang verschafft hat. Es ist Abschluß der Parteienzeit mit seiner vernichtenden Kritik aller Parteien von den Konservativen bis zu den Sozialdemokraten – und es ist zugleich Verkündung des Kommenden, der konservativen Revolution gegen die liberale von 1918, des organisch-nationalistischen Staates gegenüber dem konstruiert parlamentarischen. Ein konservativer Revolutionär schrieb dieses Buch, das im Positiven wie im Negativen entscheidende Arbeit für die Zukunft leistete, Wege freimachte und Aufgaben wies. Moellers Kritik des Marxismus war darum so vernichtend, weil er sich nicht mit dem Aufzeigen der logischen und psychologischen Unsolidität der Fundamente begnügte, sondern weil er darlegte, was die Sozialdemokratie in der Praxis übersehen und versäumt hatte. Seine Kritik des Liberalismus ist darum so entscheidend, weil hier ein Mensch sprach, der von alledem herkam, was der Liberalismus so gern als seinen Schutzwall gegen angebliche [582] Reaktion vor sich aufbaute, vom Geist, vom Intellekt, von Kunst und Dichtung – und der gerade darum zeigen konnte, wie tot die liberale Welt auch hier seit langem war, und wie anders der lebendige Mensch des neuen Reiches, des parteifreien, nationalistisch-organischen, aussehen und die geistige Welt ansehen würde. Moeller reißt das nur noch Scheinlebendige ein und zeigt das wirklich Lebendige – aus dem geklärten Erlebnis der Zeit und ihres empfundenen Richtungssinnes, nicht aus Theorie und Abstraktion. Er hatte im Lauf seines Lebens viel politisches Wissen erworben, viel politischen Instinkt in sich lebendig gemacht. Sein Schicksal hatte ihn gelehrt, daß im Politischen das Ergebnis des Handelns ohne eine lebendige Beziehung auf den geistigen Sinn der Zeit ebenso unfruchtbar und unlebendig sein müßte wie im künstlerischen Schaffen, daß ein wirklich neues Deutsches Reich nicht von einer bloßen äußerlichen Umordnung, einer neuen Verfassung, sondern nur vom innersten Wesen und seiner Umwandlung her errichtet werden konnte. Er sah, daß das politische Sein eines Volkes nur dann wirklich aktiviert werden kann, wenn man die Politik mit der gleichen Leidenschaft angreift wie der künstlerische Mensch sein Werk, daß aber diese Leidenschaft nur aus lebendigem Geist und seinem unmittelbaren Anteil an den Dingen des Staates wachsen kann. Er ging für sich den Weg von der bloßen Bildung und dem bloßen äußeren Mitmachen staatlichen Daseins zu lebendig geistigem Mitleben und Formen des gemeinsamen Lebens aller. Vom Individuum war er zum Ganzen, von der Kunst zum gelebten Leben gekommen und hatte die eroberte Welt mit der gleichen Leidenschaft ergriffen wie die ererbte, von der er einst ausgegangen war.

Den letzten Schritt, den Schritt zum Aktivisten, hat das Schicksal ihm nicht mehr vergönnt. Er sprach zu der Jugend, er sprach zu den Arbeitern – zum eigenen Mithandeln kam er nicht. Seinem Wesen nach gehörte er zu denen, die berufen sind, sich und anderen eine geistige Situation klarzumachen, nicht aber aus ihr handelnd die Konsequenzen zu ziehen. Wenn man den schlanken, schweigsamen Mann sah, wenn man ihn erlebte, wie er im Kreis der Freunde ernsthaft und schweigend da saß, zuhörte, aufnahm und nur selten aktiv beteiligt eingriff, der Debatte von sich aus eine Wendung gab – dann hatte man oft das Gefühl, daß das eigentliche Leben dieses Mannes im Geistigen verblieb, daß er Wirklichkeit nur auf dem Umweg über Einsichten und Erkenntnisse wandeln und umformen konnte.

Er konnte in seinem ersten großen Buch von der modernen Literatur das geistige Dasein seiner Zeit so erfassen, wie keiner neben ihm: er konnte in seinem letzten Buch dasselbe noch einmal für das politische Leben der Nation tun. Er sah, Kind des neunzehnten Jahrhunderts, vieles anders, als wir es heute sehen: er sah das Entscheidende mit einer Klarheit, wie sie nicht viele aufbringen. Aus seinem leidenschaftlichen Mitleben heraus wurde er ein hellsichtiger Deuter und Verkünder der dichterischen Menschen seiner Zeit. Aus der gleichen Leidenschaft [583] des Anteils kam er später zu derselben Klarheit der Einsicht auch im Politischen. Den Betrachter künstlerischer Menschen und Dinge konnte die Zeitwelle des neuen Kulturpessimismus noch anrühren und gelegentlich einmal leicht hemmen; den politischen Menschen Moeller trug der Glaube an Volk und Reich und die erworbene Leidenschaft des Mitlebens im Rhythmus der Nation als fordernden, als schweigsamen Betrachter des Geschehenden und doch Wollenden, als Rufer über alle Zweifel hinweg in die Zukunft.




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