SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[Bd. 4 S. 543]
Manfred Freiherr von Richthofen, 1892-1918, von Bolko Freiherr von Richthofen

Manfred Freiherr von Richthofen.
[544a]      Manfred Freiherr von Richthofen.
[Bildquelle: Nicola Perscheid, Berlin.]
Jahrtausende hindurch, soweit wir die Geschichte der Menschheit zurückverfolgen können, kämpften in ihren Schlachten Fußvolk und Reiterei. Auch die Stoß- und Schleudermaschinen, wie sie die Griechen und Römer erfunden und die Soldaten des Mittelalters nur wenig zu verbessern verstanden haben, vermochten das Bild, die Art solcher Kämpfe kaum zu ändern und nur geringen Einfluß auf ihren Ausgang zu nehmen. Dann kam die Erfindung des Schießpulvers und damit nicht allein eine völlig andere Bewaffnung und Kampfesweise, sondern zugleich eine neue Waffengattung, die Artillerie. Und wenn diese sich auch im Ansehen der lieber mit der blanken Waffe und hoch zu Roß kämpfenden Männerwelt erst allmählich durchzusetzen vermochte, die fähigsten und organisatorisch begabtesten Köpfe haben sich ihrer Vervollkommnung gewidmet, und Feldherren von der Bedeutung Napoleons I. und Moltkes haben nicht zuletzt durch die donnernde Sprache der Kanonen ihre Schlachten zur Entscheidung gebracht.

So ist es geblieben bis zum Weltkrieg. Der aber brachte die neue Waffe, das Flugzeug, das bis dahin nur die ersten Ansätze zur Hebung des friedlichen Verkehrs der Völker gezeigt hatte. Eine grundlegende Veränderung eigentlich aller Kampfesmethoden war die Folge. Als die europäischen Heere 1914 sich auf blutiger Walstatt begegneten, wollte man allerdings noch die Bedeutung des Flugzeuges so gut wie ausschließlich in der Verbesserung des Erkundungs- und Informationsdienstes für das fechtende Heer erblicken. Sofort aber traten auch die Bombenflugzeuge als zerstörendes, den Aufmarsch und Angriff unterstützendes oder hinderndes Element auf den Plan. Und immer mehr wurde das schnelle, mit dem Maschinengewehr ausgerüstete Flugzeug zu einer scharfen Angriffswaffe. Es trug den Kampf in die Höhe der Lüfte, auf dem Erdboden am ehesten der Reiterei vergleichbar, bestimmt, der feindlichen Fliegertätigkeit zu begegnen, die eigene zu schützen, Truppenteile aller Waffengattungen zu bekämpfen.

Für das deutsche Feldheer des Weltkrieges ist Manfred Freiherr von Richthofen der Mann gewesen, der die hohe militärische Aufgabe des Jagdgeschwaders, wie man alsdann diese neue Waffengattung nannte, am klarsten erkannt und am erfolgreichsten gelöst hat. Dem es vergönnt war, sein eigenes Jagdgeschwader zu einem bleibend mustergültigen zu gestalten und die seiner Führung anvertrauten Flieger zu den höchsten Leistungen zu bringen. So ist er der Held der Lüfte [544] geworden, dem deutschen Volk der lebenden und kommenden Generation ein Gegenstand der Bewunderung und der Verehrung.

Es war an einem Sonntag, dem 21. April 1918, als Manfred von Richthofen sein Leben für das Vaterland ließ. Ein Jüngling, er hatte sein sechsundzwanzigstes Lebensjahr noch nicht vollendet. Und so lassen sich auch die biographischen Daten seines kurzen Erdendaseins in wenige Worte fassen.

Am 2. Mai 1892 wurde er in Breslau geboren, in Schweidnitz in Schlesien besuchte er die Vorschule und die unterste Klasse des Gymnasiums. Dann kam er 1903 in das Kadettenkorps zu Wahlstatt, dort blieb er sechs Jahre. Von 1909 bis 1911 war er Kadett der Hauptkadettenanstalt Lichterfelde, und im letzten Jahre trat er als Fähnrich bei dem Ulanenregiment I Kaiser Alexander III. von Rußland in die Armee. Die Kriegsschule besuchte er in Danzig. Im Herbst 1912 wurde er im vorerwähnten Regiment Offizier. Militsch wurde seine ständige Garnison. Am 2. August 1914 rückte er als Leutnant ins Feld. Zunächst nach Rußland. Bereits Ende August wurde sein Regiment nach Frankreich übergeführt und kämpfte dort in der Armee des Kronprinzen vor Metz. Am 24. September erhielt er das Eiserne Kreuz 2. Klasse. Kurz vorher war er dem Tode knapp entgangen. Als er bei einer Patrouille zur besseren Beobachtung des Feindes abgesessen war, traf eine Granate seinen Sattel und tötete sein Pferd. Dann lag er monatelang vor Verdun. Ende Mai 1915 erfolgte seine Kommandierung zur Fliegertruppe bei Köln.

Im Sommer 1915 macht Manfred von Richthofen als Flugzeugbeobachter in der Armee Mackensen im Osten den Vormarsch bis Brest-Litowsk mit. Dann kommt er nach Ostende und erlebt am 1. September 1915 seinen ersten Luftkampf in einem Großkampfflugzeug. Im Oktober 1915 lernt er Boelcke kennen, der ihm dringend rät, sich als Pilot ausbilden zu lassen, und ihm verspricht, ihn alsdann für seine Staffel anzufordern. Am 10. Oktober 1915 absolviert Manfred von Richthofen seinen ersten Alleinflug. Im November wird er nach Döberitz kommandiert und besteht am Heiligen Abend 1915 das Schlußexamen als Pilot. Im Frühjahr 1916 ist er wieder in Frankreich und lernt nun den Luftkampf der Bombenflugzeuge als Flugzeugführer kennen. Am 16. Juli wird ihm das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen, und am 26. August desselben Jahres wird er zum erstenmal im Heeresbericht erwähnt. Dies ereignet sich während einer erneuten Verwendung in einem Kampfgeschwader in Rußland. Aber im gleichen August 1916 holt ihn nun Boelcke in seine Staffel. Am 17. September 1916 besteht er im Westen allein und siegreich den ersten Luftkampf gegen einen englischen Gegner. Jetzt folgt ein harter Kampf dem anderen. Im Januar 1917 erstreitet er den 16. Sieg. Das bringt ihm am 12. Januar den Orden Pour le Mérite und am 25. Januar die Ernennung zum Kommandeur der Jagdstaffel XI. Erfolg reiht sich an Erfolg. Am 25. März – nach dem dreißigsten Sieg – wird er Oberleutnant. Und zwei Wochen später, am 8. April 1917, Rittmeister. Neun Gegner hatten in diesen [545] vierzehn Tagen seine Überlegenheit zu Tode getroffen anerkennen müssen. Am 26. Juni 1917 erfolgt die Bildung des ersten deutschen

Manfred von Richthofen.
Manfred von Richthofen.
Gemälde von Fritz Reusing, 1917.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 478.]
Jagdgeschwaders aus verschiedenen Jagdstaffeln, zu dessen Kommandeur Manfred von Richthofen ernannt wird. Einen Monat später, am 29. Juli 1917, bleibt er zum fünfzigsten Male Sieger im Luftkampf. Immer höher steigt die Zahl seiner Siege, immer glänzender werden die Leistungen seines Geschwaders. Und an dem Morgen, der ihm vom Schicksal zum Ende seiner Erdentage bestimmt war, feiert er noch als letzten den einundachtzigsten Triumph.

So hat Manfred von Richthofen nicht ganz drei Jahre der Fliegertruppe angehört. In dieser Spanne Zeit drängen sich seine Taten zusammen. Eine führende Stellung hat er nur fünfzehn Monate innegehabt. Aber diese haben genügt, ihn eine organisatorische Leistung ersten Ranges vollbringen zu lassen und darüber hinaus die ihm unterstellten Offiziere und Mannschaften mit dem Geist zu beseelen, ohne den die erzielten Erfolge undenkbar gewesen wären, der als wahrer und unübertrefflicher Fliegergeist ein Beispiel für alle Zeiten bleiben wird und der ein Stück seines Selbst war.

Was hat diesen jungen Menschen zu solchem Vollbringen befähigt? Welche Eigenschaften sind es gewesen, die ihn zu einem Vorbild so außerordentlicher Art werden ließen?

Auch wem ein langes Leben beschieden ist, der wird bis zu einem gewissen Grade stets ein Ergebnis seiner Herkunft und Erziehung bleiben. Wen aber ein unerbittliches Schicksal früh aus diesem Leben abruft, in dessen Denken und Handeln wird das geistige und körperliche Erbteil seiner Eltern und weiteren Vorfahren, werden die Eindrücke seiner Kindheit und Jugendzeit unverkennbar sein. Das gilt sicherlich auch für Manfred von Richthofen. Selbstzucht und die in den wenigen Jahren, die ihm als erwachsener Mensch auf dieser Erde zu weilen beschieden waren, gesammelten Erfahrungen, verstärkt durch die harte Schule und die tiefen Eindrücke des Krieges, haben das ihrige hinzugetan.

Aber die Geschichte und die Art der Familie, der er entstammte, die Umgebung und die Menschen, mit denen er aufwuchs und deren Anschauungen ihm geläufig wurden, sind doch wohl entscheidend für die Bildung der Eigenschaften seines Charakters gewesen, die ihn gerade in so jungen Jahren befähigt haben, Hervorragendes für Volk und Vaterland zu leisten.

Manfreds Vater war Offizier, beste preußische Tradition wurde im Hause der Eltern hochgehalten. Herzlichkeit und liebevolle Pflege, Frohsinn der Jugend paarten sich mit einer von jeder Sentimentalität freien Erziehung zur Selbstbeherrschung und Pflichterfüllung. Manfred hat nie etwas anderes werden wollen als Offizier. Vielleicht war das ein Erbteil der Vorfahren gerade seiner Linie der Familie von Richthofen, die sonst neben Militärs bedeutende Staatsmänner und Gelehrte hervorgebracht hat. So zählt zu Manfreds Vorfahren der Fürst Leopold von Anhalt, der berühmte Alte Dessauer. Und vielleicht darf man annehmen, [546] daß das Blut des Siegers von Hochstedt, Turin und Kesselsdorf auch in diesem seinem Nachfahren wirksam geworden ist.

Manfred zog als Reiteroffizier ins Feld. Er war ein begeisterter Kavallerist schon in Friedenszeiten. Er ritt zu Kriegsbeginn gefährliche, verlustreiche Patrouillen, kam aber nie ohne Erfolg nach Hause. Doch sehr bald erkannte er die ungeheure Bedeutung der Fliegerwaffe für die letzte Entscheidung des Krieges. Und sofort bewährte sich die ihm angeborene und anerzogene Energie.

Als er als kleiner Junge infolge einer bedenklichen Knieverletzung einst längere Zeit sein eines Bein nicht bewegen konnte und die Gefahr einer dauernden Versteifung bestand, berieten seine Eltern betrübt, was dagegen zu tun sei. Manfred hörte nachdenklich zu, dann aber sagte er ihnen tröstend und bestimmt: "Wenn ich nicht mehr auf den Beinen laufen kann, so werde ich auf den Händen gehen." Er war gewillt, das Schicksal seines Lebens selbst zu zwingen. So gab er eine angenehme Adjutantenstelle auf und setzte seine Kommandierung zu den Fliegern durch. So lernte er fliegen, obwohl es ihm anfangs keineswegs leicht wurde, er sogar die erste Prüfung nicht bestand und es ihm manchmal zweifelhaft war, ob er sich wirklich unter den Auserwählten der Luftwaffe befinden werde. Aber er hat allen Schwierigkeiten zum Trotz sein Ziel erreicht, das er schon im Mai 1915 in die Worte gekleidet hat: "Nur Beobachter werden liegt mir nicht, Flugzeugführer will ich werden, und wenn es glückt, der Beste von allen!"

Manfred hat das wunderbar Schöne des Fliegens voll ausgekostet. Niemals vermochte er sich eigenem freudigen Geständnis zufolge so vollständig als freier Mensch zu fühlen, so vollkommen sein eigener Herr zu sein als auf der von seiner Meisterhand beherrschten und zum Gehorsam gezwungenen Maschine. Und sein Siegeswille entsprang der gleichen Quelle unbeugsamer Energie, innerer Begeisterungsfähigkeit. "Du oder ich", jedesmal sagte er es sich, wenn es zum Kampf in den Lüften ging. Das "Ich will Sieger bleiben" war ihm höchstes Gebot. Es gab ihm die Kraft, so viele Male wie kein anderer in diesem Krieg den Erfolg zu erreichen. Wie stark der Funke der Energie in diesem Menschen lebendig war, nichts beweist es vielleicht so sehr als sein Verhalten bei seiner schweren Verletzung am 6. Juli 1917.

Er hat mit seiner Jagdstaffel einen Flug über Ypern und Armentières unternommen. Da kommt er mit einem Engländer in den Kampf. Plötzlich erhält er einen Schlag vor den Kopf. Er ist getroffen und einen Augenblick völlig gelähmt. Sein Sehnerv ist gestört. Ein Gefühl völliger Erblindung ergreift ihn. Rasch stürzt die Maschine ab. Er weiß, was ihm bevorsteht. Aber nur einen Augenblick durchzuckt ihn der Gedanke: so also ist es, wenn der Tod sich unentrinnbar naht. Dann gewinnt er mit äußerster Anstrengung die Besinnung wieder, erhält von neuem Gewalt über Arme und Beine, vermag das Steuer zu ergreifen, das Gas abzustellen, die Zündung herauszunehmen, ja er zwingt sich, die Augen aufzureißen, und immer wieder, mit letzter Kraft, sagt er zu sich selbst: "Ich muß [547] sehen!" Und wahrhaftig, mit einem Male vermag er schwarze und weiße Flecken zu unterscheiden, hat er die Empfindung, wie durch eine dicke schwarze Brille zu sehen, aber es reicht. Der Höhenmesser zeigt noch achthundert Meter. Manfred hat keine Ahnung, wo er sich befindet, aber er fängt die Maschine, bringt sie in normale Lage und landet glatt, ohne daß ihn einige Pfähle und Telefonleitungen daran zu hindern vermögen, trotz aller Granattrichter und, Gott sei Dank, hinter der deutschen Linie.

Manfred von Richthofen auf Genesungsurlaub nach seiner Verwundung.
Manfred von Richthofen
auf Genesungsurlaub nach seiner Verwundung.
[Nach freeinfosociety.com.]
Von allen Seiten stürzen deutsche Soldaten herbei. Sie haben seine rote Maschine erkannt, sie wissen, um wen es sich handelt. Sie finden den Bewußtlosen auf dem Rasen liegen. Rasch wird er verbunden, ein Sanitätsauto fährt ihn in rasender Fahrt nach Courtrai. Sein kostbares Leben bleibt erhalten.

Und dieser mit Energie geladene Körper war von zarter Konstitution. Der kanadische Fliegerhauptmann A. Roy Brown, der Manfred von Richthofen abgeschossen haben will, findet in seinem Bericht ergreifende Worte, als er vor die Leiche des Getöteten geführt wird. "Der Anblick Richthofens", sagt er, "gab mir einen Stoß. Er erschien mir so klein, so zierlich. Er sah so freundlich aus, seine Füße waren schmal, wie die einer Frau, und blondes, seidenweiches Haar, wie das eines Kindes, fiel von der breiten, hohen Stirn." Doch in diesem an sich nicht allzu kräftigen, aber durch die Gewalt des Willens gestählten Körper wohnte eine mutige, unerschrockene Seele, ein heldischer Geist.

Manfreds Furchtlosigkeit war sprichwörtlich in der Familie. Sie ging bis zu der völligen Unmöglichkeit, sich überhaupt einen Vorgang oder ein bevorstehendes [548] Ereignis vorstellen zu können, das für ihn mit irgendeinem Gefühl der Angst verbunden sein könnte. Seine Mutter kannte diese so ausgesprochene Eigenschaft ihres Sohnes gut, und so beschloß sie einmal, ihn auf die Probe zu stellen. Als Manfred dreizehn Jahre alt war, befand er sich mit seinen Eltern in einem Verwandten gehörigen Gutshause. Auf dessen Boden hatte sich vor Jahren ein Knecht erhängt, und seitdem "gehe es dort um", so erzählte man sich in der Gesindestube. Manfred interessierte sich für diese mystische Angelegenheit. Er ließ sich die Stelle auf dem Boden zeigen, wo das Unglück sich ereignet hatte, und dann beschloß er, der Sache auf den Grund zu gehen. Er ließ sein Bett zu dieser Stelle bringen, um eine Nacht dort zu schlafen. Das schien eine gute Gelegenheit, dem jungen Helden auf den Zahn zu fühlen. Seine Mutter ging um Mitternacht nach oben und begann Kastanien den Boden entlang zu rollen. Zunächst wachte Manfred überhaupt nicht auf. Als aber das Gepolter verstärkt wurde, sprang er plötzlich auf und stürzte mit einem Knüppel bewaffnet auf den Ruhestörer los. Seine Mutter mußte schnell Licht machen, sonst wäre es ihr übel ergangen. Und diese Furchtlosigkeit ist ihm bis zum letzten Flug geblieben. Viele hundertmal ist Manfred von Richthofen in die Lüfte gestiegen, oft drei- bis viermal am gleichen Tage. Aber unter all denen, die den Krieg mit ihm erlebten, wird es keinen geben, der an ihm jemals, wenn er sich anschickte, dem Feind entgegenzufliegen, etwas anderes bemerkt hätte als Siegesgewißheit und Glauben an sich und den Erfolg. Und dabei wäre es ein Irrtum, annehmen zu wollen, ihm wäre die Gefahr, in der er sich ständig befand, nicht bewußt gewesen. Im Gegenteil. Es lag ihm durchaus fern, sie zu unterschätzen. Er handhabte sein Flugzeug mit größter Vorsicht. Er prüfte Waffe, Windverhältnisse und alles was sonst nötig war, aufs peinlichste, bevor er sich zum Kampf entschloß. Nur einmal ist er aus Mutwillen durch einen Gewittersturm hindurchgeflogen. Er hat es bereut. "Nie werde ich" – erklärte er damals – "wieder durch einen Gewittersturm fliegen, es sei denn, daß mein Vaterland es von mir fordert."

Manfred von Richthofens letztwillige Verfügung.
[547]    Manfred von Richthofens letztwillige Verfügung
vom 10. März 1918.
Tapferkeit bis zum äußersten beseelte ihn. Aber es war nicht Leichtfertigkeit, nicht Unkenntnis der Gefahr, es war das Gefühl der Pflicht dem Vaterlande gegenüber, das ihm gebot, von dieser seiner Eigenschaft den rechten Gebrauch zu machen.

Manfred von Richthofen hat von Jugend auf die Pflichten, die ihm übertragen wurden, sehr ernst genommen. Schon in der Schule, wie im Kadettenkorps und später als Offizier. Als es im Kriege, wie er wohl wußte, um Sein oder Nichtsein Deutschlands ging, verdoppelte sich seine Hingabe, war ihm das Einsetzen seiner ganzen Person für die ihm übertragene Aufgabe eine Selbstverständlichkeit.

Manfred von Richthofen könnte wohl heute noch unter den Lebenden weilen, wenn ihm das Selbstzweck gewesen wäre. Denn mehrfach ist ihm von den höchsten Stellen der deutschen Heeresleitung dringend nahegelegt worden, es genug des lebensgefährlichen Kampfes sein zu lassen. Als sein fünfzigster Gegner den bitteren [549] Sturz in die Tiefe getan hatte, wurde ihm mit Nachdruck und in förmlicher Weise die Übernahme eines andersgearteten, für die Ausbildung der deutschen Fliegerwaffe überaus wichtigen Kommandos nahegelegt. Er lehnte ab. Er wußte, wo er am meisten für sein Vaterland zu leisten imstande war. Er wollte nicht von der Stelle weichen, wo der Rote Kampfflieger weit sichtbar für Freund und Feind den deutschen Fliegern ein ununterbrochen zu äußerster Kraftanstrengung anspornendes Beispiel, den feindlichen aber ein Schrecken war. Er hat es getan, um des deutschen Sieges, der deutschen Ehre willen, obwohl er sich selbst völlig klar war, welches Schicksal ihm doch einmal bereitet sein würde. Wie er schon 1916 nach Immelmanns Tod seinen Eltern geschrieben hat: "Auf die Dauer glaubt eben jeder mal dran!" Aber das konnte ihn nicht beeinflussen. Denn, wie er selbst von sich gesagt hat, wäre er sich sehr elend vorgekommen, wenn er, behaftet mit Ruhm und Orden, nunmehr sozusagen als Pensionär seiner Würde dahinleben müßte, allein in dem Bestreben, sein kostbares Leben der Nation zu erhalten, während jeder arme Kerl im Schützengraben ausharrt und seine Pflicht genau so tut wie er die seine. Nein, ein solcher Entschluß, eine solche Selbstaufgabe und Untreue gegen sein Ziel und seine Grundsätze war für Manfred von Richthofen undenkbar.

Manfred von Richthofen vor seinem Fokker-Dreidecker.
[544b]      Manfred von Richthofen vor seinem Fokker-Dreidecker.

Energische, tapfere, vaterlandsliebende und pflichtbewußte Männer hat es unendlich viele im deutschen Heer im Weltkriege gegeben. Fast alle deckt nun schon lange der grüne Rasen. Von den Namen der meisten weiß das Volk nichts mehr. Es sind die unbekannten Soldaten. Wenn aber Manfred von Richthofens Name auch heute fortlebt und die Herzen höher schlagen läßt, so muß es doch wohl auch noch etwas anderes, etwas Besonderes um ihn gewesen sein. Und allein die Zahl seiner Luftsiege kann es nicht bewirkt haben. Manfred von Richthofen war mehr als ein Kämpfer. Er war ein Organisator, er war ein Führer.

Es ist heute eigenartig zu lesen, wie Manfred von Richthofen in seinen kurzen Aufzeichnungen seine ersten Vorbereitungen zu einem wirklichen Luftkampf beschreibt. Es war Anfang 1916, da hatte er sich selbst ein Maschinengewehr zwischen die Tragdecke des damals von ihm gemeinsam mit einem Beobachter benutzten Großkampfflugzeuges eingebaut. Man lachte zunächst darüber, denn diese etwas eigenartige Konstruktion machte einen höchst primitiven Eindruck. Aber sie bewährte sich. Und so hat er die in der untrüglichen Sicherheit seines Auges und seiner Hände liegenden Gaben erkannt und für den Zweck, dem sie im blutigen Streit der Männer dienen sollten, nutzbar gemacht. Seiner Staffel und seinem Geschwader hat Manfred von Richthofen die Methoden des Kampfes gelehrt, immer neue Erfahrungen sammelnd, sie durchdenkend, verbessernd und dann der praktischen Verwendung zuführend. Das Jagdgeschwader Nr. 1 ist unter seinem Kommando mustergültig für die ganze Armee geworden. Gewiß hat er auf den Kenntnissen und Errungenschaften namentlich eines so hervorragenden Mannes wie Boelcke weitergebaut. Aber wie er dies tat und was er schuf, entsprang [550] seinem eigenen Denken, seiner verstandesmäßigen Überlegung und genialen Intuition.

Manfred von Richthofen war es gegeben, einen starken Eindruck bei allen, namentlich jungen Menschen, denen er begegnete, hervorzurufen und nachhaltigen Einfluß auf sie auszuüben. Das hatten schon seine Lehrer und Mitschüler im Kadettenkorps erkannt und erfahren. Als er zur Leitung größerer Fliegerverbände berufen wurde, setzte ihn diese Gabe in Stand, seinen eigenen heldenhaften Geist auch den ihm unterstellten Fliegern und Mannschaften mitzuteilen. Manfred von Richthofen konnte streng sein wie gegen sich selbst so auch gegen andere. Aber der Untergebene fühlte Wohlwollen und Objektivität. Und der Stolz auf einen solchen Führer befähigte alle zu höchsten Leistungen. Das innere Verhältnis der Angehörigen eines Jagdgeschwaders zueinander läßt sich nicht ohne weiteres mit dem in anderen militärischen Verbänden vergleichen. Hier heißt es im höchsten und wahrsten Sinne des Wortes: Einer für alle und alle für einen. Manfred kleidet das in den ebenso einfachen wie lapidaren Satz: "Kameradschaft ist die Hauptsache." Diese Kameradschaft hat er bis zum letzten den Seinen gehalten. Nie ließ er einen bedrohten Kameraden in Stich. Und manchem hart von den Gegnern bedrängten deutschen Flieger hat die kleine rote Kampfmaschine in äußerster Not zur Seite gestanden. Führer und Kamerad in einer Person zu sein, hat Manfred von Richthofen sich bewußt zur Aufgabe gestellt, als er nicht mehr allein für sich zu kämpfen, sondern als er in erster Linie auch zu kommandieren hatte. Ihres großen Führers und ihres guten Kameraden denken dankerfüllt heute noch alle, die unter ihm fechten durften und denen nicht gleich ihm das Todeslos bestimmt war.

Manfred von Richthofen in seinem Fokker-Dreidecker vor seinem letzten Aufstieg.
[544b]      Manfred von Richthofen in seinem Fokker-Dreidecker
vor seinem letzten Aufstieg.

Sicherlich wäre es falsch, es so darstellen zu wollen, daß nicht auch Ehrgeiz, ja selbst Sportlust starke Triebfedern für Manfreds Leistungen gewesen sind. Aber das war doch mehr etwas Äußerliches. Gewiß, er freute sich über sein schnelles, alles in den Schatten stellendes Avancement. Die Eisernen Kreuze, der Pour le Mérite und die Unzahl anderer Kriegsorden, die ihm zuteil wurden, haben ihm Genugtuung bereitet. Er war ja jung und trotz allem inneren Ernst voll jugendlicher Empfindung. Aber je härter und schwerer die Kämpfe, je entscheidender der Luftkrieg für Deutschlands Schicksal und je größer Manfreds eigene Verantwortung wurde, um so tiefer wurde bei aller Zuversicht seines Geistes sein unbeugsamer Wille, allein und ausschließlich das Beste zu tun und zu geben für Volk und Vaterland. Das Dulce et decorum est pro patria mori, das ihm einst seine Lehrer im Kadettenkorps, wahrscheinlich nicht allzusehr zu seiner Freude, in den Lateinstunden gepredigt hatten, wurde zum Inhalt seines Daseins.

Im Kern seines Wesens war Manfred von Richthofen eine bescheidene Natur. Er liebte es nicht, sich in den Mittelpunkt irgendwelcher Veranstaltungen gestellt zu sehen. "Man erfüllt nur seine Pflicht", schrieb er immer von neuem an seine Eltern. Und nichts weiß er von seinem Freund Boelcke so zu rühmen, als daß er [551] "ein so netter und bescheidener Mensch ist". Das wollte auch er sein. Von Rekorden hielt er nichts, dazu war die Tragik des Kampfes viel zu groß. "Denn es ist nicht so", schrieb er, "wie die Leute in der Heimat es sich vorstellen, mit Hurra und Gebrüll, es ist alles so viel ernster und verbissener."

Manfred von Richthofen war ein wahrhaft ritterlicher Mann, ritterlich war sein Verhalten zu seinen Freunden, aber auch zu den Gegnern. Sein Gesicht, so heißt es in dem Bericht des kanadischen Offiziers über Manfred von Richthofens Tod, war freundlich, es hatte einen Ausdruck von Milde, Güte und Vornehmheit. Manfred von Richthofen fühlte mit den Opfern seiner furchtbaren Waffe. Wenn sie hinter den deutschen Linien zerschmettert ihr Ende fanden, bemühte er sich, wenn irgend möglich, um eine würdige Beerdigung. Er setzte dem in Ehren gefallenen Gegner selbst einen Stein auf das Grab. Und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er das Leben manches mutig kämpfenden Feindes verschont. Er fühlte Mitleid mit dem wehrlos gemachten Gegner. Er ließ sein Maschinengewehr schweigen und begnügte sich damit, ihn zur Landung zu zwingen. Deutschlands Feinde haben das anerkannt und nie bestritten. Sie hatten den größten Respekt vor diesem ritterlichen Streiter für seines Volkes und seines Landes Wohl. So haben sie auch ihm selbst ein ehrenvolles Begräbnis bereitet, als seine Stunde geschlagen hatte.

Im November 1925 hat Manfreds Bruder, der Schreiber dieser Zeilen, die Leiche des deutschen Fliegerhelden aus Frankreich, wo sie in der Nähe des einst so heiß umkämpften Albert auf dem deutschen Gefallenenfriedhof bestattet war, in die Heimat geholt. In Kehl am Rhein erreichte sie deutschen Boden. Manfred von Richthofens letzte, traurige Fahrt gestaltete sich doch zu einem Triumphzug durch Deutschlands schönste Gaue, wie er vielleicht kaum jemals seinesgleichen finden dürfte. Die Glocken läuteten in allen Städten und Dörfern, die Fahnen senkten sich, Flugzeuge geleiteten den Zug, und an den Schienensträngen drängten sich die Bürger und die Bauern, um durch die offen gelassenen Türen des Gepäckwagens, in dem der Sarg aufgebahrt war und die Flieger des alten Heeres die Totenwache hielten, einen Blick werfen zu dürfen. Jetzt ist er auf dem Invalidenfriedhof in Berlin, wo so viele große deutsche Soldaten ihre Grabstätte gefunden haben, zur letzten Ruhe gebettet.

Manfred von Richthofen wird ein Vorbild bleiben für deutschen soldatischen Geist auch in unserem neuerstandenen Heere, dessen Jagdgeschwader Nr. 1 seit dem Frühjahr 1935 einer Verfügung seines Oberbefehlshabers zufolge nunmehr für immer den Namen "Richthofen" trägt. Seine Gestalt wird ihren symbolischen Charakter für aufopferndes deutsches Heldentum bewahren. Und so wird Manfred von Richthofen fortleben in unserem Volke.




Alphabetische Inhaltsübersicht
Ferdinand Freiherr von Richthofen Ferdinand Freiherr von Richthofen Ferdinand Freiherr von Richthofen alphabetische Inhaltsübersicht der Biographien Wilhelm Heinrich Riehl Wilhelm Heinrich Riehl Wilhelm Heinrich Riehl


Chronologische
Inhaltsübersicht
Arthur Moeller van den Bruck Arthur Moeller van den Bruck Arthur Moeller van den Bruck chronologische Inhaltsübersicht der Biographien Albert Leo Schlageter Albert Leo Schlageter Albert Leo Schlageter


Originalgetreue Inhaltsübersicht
Reinhard Scheer Reinhard Scheer Reinhard Scheer Inhaltsübersicht der Biographien in Reihenfolge des Originals Karl Helfferich Karl Helfferich Karl Helfferich





Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz