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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

[529] Abschnitt: Der Luftkrieg
Major Hans Arndt

1. Einleitung. Das Wesen des Luftkrieges.

Während jahrtausendlanger Weltgeschichte spielten sich die Kriege der Völker ausschließlich auf der Oberfläche der Länder und der Meere ab. Den Raum über und unter ihnen nutzten nur die Fern- und Feuerwaffen in beschränktem Maße aus. Der Kampf blieb an die Fläche gebunden. Selbst der Freiballon, der 1870 das belagerte Paris verläßt, ändert am alten Kriegsbild nichts. Das erste Luftfahrzeug ist nur Verbindungsmittel. Aber doch ein Zeichen, daß sich Neues entwickelt. - Unablässig ringt seitdem des Menschen Geist um die Herrschaft über die Luft und die Tiefen der Meere. Und im Doppelfall der Ereignisse gewinnt er den Raum über und unter den Flächen zur gleichen Zeit. Ballon und Torpedo sind die ersten Marksteine beginnender Umwälzung.

Die Wende des 20. Jahrhunderts zeigt dann Riesensprünge vorwärts. Ausrüstung und Bewaffnung, Einsatz und Bekämpfung der Luftfahrzeuge und Unterseeboote schaffen ungewohnt Neues. Der Kampf taucht unter das Meer und steigt in die Lüfte. Das ungeheuerliche Ringen der Völker, das über 50 Monde die Welt in ihren Grundfesten erschütterte, wird zur Geburtsstunde einer nervenzersetzenden, wahllos vernichtenden, haßzeugenden neuen Kampfesform. Es prägt sich ein neues Wort - Luftkrieg.

Kriegskunst und Kriegsgeschichte stehen 1914 vor einem neuen Begriff. Auch als die in der Luft verwendeten Waffen zunächst noch Hilfsmittel sind. Denn alles ist erst im Werden. Und am Ende des Völkerkampfes wurden die neuen Zeichen des Luftkrieges eben nur in ihren ersten Anfängen gespürt.

Taktik und Strategie, als Theoreme unwandelbar, wechseln ständig ihre äußeren Formen. Die Kriegskunst bleibt immer abhängig von der Entwicklung des Menschen, der Wirtschaft, der Technik, des Staates und der Politik ihrer Zeit. - Der Luftkrieg ist hierfür ein Zeichen. In seiner Entwicklungsmöglichkeit und Wirkung wurde er nicht allgemein erkannt, auch nicht rechtzeitig. Seine Verkünder wurden mild belächelt. Auch Führung und Truppe haben sich den neuen Forderungen nur langsam angepaßt und nicht vollkommen. Wie weit der Luftkrieg umwälzend auf die ganze Kriegführung wirkte, wie weit er in kommenden Kämpfen ausschlaggebend werden wird, mag die Kriegshistorie erforschen.

Im Rahmen dieses Abschnittes soll versucht werden, sich über seine Mittel und seinen äußerlich sichtbaren Einfluß klar zu werden.

Alles, was an Angriffs- und Verteidigungswaffen, an technischen und wissenschaftlichen Hilfsmitteln mit dem Luftkrieg mittel- oder unmittelbar zusammen- [530] hing, nannte man im Kriegsverlauf zusammenfassend "Luftstreitkräfte": als Flieger-, Luftschiffer-, Flugabwehr-, Heimatluftschutz- und Wetterdienstformationen kamen sie zum Einsatz. Was zur Marine gehörte, stand mit deren Willen abseits. Sonst lagen Front und Heimat in der Organisation des Kommandierenden Generals der Luftstreitkräfte vereint. Flieger und Luftschiffer stellten die unmittelbaren Kampf- und Beobachtungsmittel, die Flugzeuge, Ballone und Lenkluftschiffe. Die Flugabwehrformationen faßten die Abwehrwaffen aller Art zusammen und versahen den Flugwarn- und Meldedienst, der zum rechtzeitigen Einsatz der eigenen und zur Bekämpfung der feindlichen Hauptluftwaffen Voraussetzung bleibt. Den Heimatluftschutz kennzeichnet sein Name. Und die Wissenschaft übermittelte, auf karge Grundlage gestellt, im Wetterdienst die wichtigen Nachrichten und Voraussagen über die Witterung, die den Einsatz der Luftfahrzeuge auch heute noch beeinflußt.

Das Wesen des Luftkrieges umfaßt die Wechselwirkung zwischen den zu Land und See verwendeten Truppen und denen in der Luft, den Kampf sich ähnelnder Gegner in der Luft selbst und schließlich die Rückwirkung dieser beiden Formen auf Front und Heimat. Mehr als je zuvor wuchsen diese im Zeichen des Luftkrieges förmlich zusammen. Denn der Aktionsradius der Flugzeuge und Luftschiffe hat das bisherige Kriegsgebiet unbegrenzt gemacht. Früher blieb das Operationsgebiet der eigentliche Kriegsschauplatz. Die Etappengebiete wurden nur bei tiefen Bewegungen in den Kampf einbezogen; jetzt gingen sie ohne weiteres in die Kampfzone über. In steigendem Maße gegen Kriegsende sogar das Heimatsgebiet.

Der Unterschied zwischen kämpfender, kriegsrüstender und völlig friedlicher Bevölkerung schwindet mehr und mehr. Eine die Heimat schützende zweite Front wird neben der ersten sichtbar. So entstand als erste Folge des Luftkrieges der "Heimatluftschutz". In seiner schwachen Anfangsform nur an der Westfront und beschränkt auf eine schmale Zone beiderseits des Rheins. Hier lag der Kern der Schwerindustrie, an wenigen Punkten massiert.

Noch blieb die Masse der Bevölkerung, die nicht kämpfte, vom Rasen und Morden des Krieges verschont. Denn der Luftkrieg stand in seiner ersten Phase. Aber schon sollte Berlin gegen Kriegsende Ziel feindlicher Bombenangriffe werden. Innerhalb von 10 Jahren wuchs der Aktionsradius von 60 auf 800 km, und man stieg von 50 auf 8000 m!

Das Völkerrecht wird nach neuen Formen suchen müssen!

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte