Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der Gaskrieg
(Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer
10. Der künstliche
Nebel.
Die meisten Gaskampfstoffe entwickelten einen mehr oder weniger dichten
Nebel, der die Sicht behinderte oder ausschloß. Diese Störung der
gewöhnlichen Sichtverhältnisse hatte taktische Bedeutung und
gehört zum Gebiet des Gaskrieges.
Eine gewisse Ausnutzung des giftigen Nebels war schon beim Blasverfahren
versucht worden: Die stürmende Infanterie sollte damals, im Schutz der
Wolke gegen Sicht gedeckt, unmittelbar folgen. Aus Sorge vor der Giftwirkung
wurde aber der Abstand, mit dem die Infanterie folgte, immer größer.
An ein Hereingehen in den Nebel, wenn nötig mit aufgesetzter Maske, war
damals nicht zu denken. Noch war das Verständnis für den Gaskrieg
nicht weit genug fortgeschritten. Noch waren auch Gasschutz und Gasdisziplin
nicht genügend durchgebildet.
Dagegen stellte sich frühzeitig das Problem der Herstellung und
Ausnützung künstlichen Nebels ohne erhebliche
Reiz- oder Giftwirkung, in dem man sich ohne Vergiftungsgefahr bewegen
konnte. Techniker und Taktiker aller Länder strebten mit heißem
Bemühen nach brauchbaren Ergebnissen.
Die Verwendung von künstlichem Nebel war fast noch spröder als
die von Gaskampfstoffen. Künstlicher Nebel war sehr flüchtig, seine
Wirkung hörte auf, sobald der Nebel sich verzog, Abhängigkeit der
Wirkung von Wind und Wetter war noch größer als beim Gas.
Anderseits war der Vorteil, sich der Sicht entziehen zu können, so
groß, daß die Versuche nicht aufgegeben werden durften.
Auf deutscher Seite kamen Nebeltöpfe, Nebelminen und Nebelgeschosse
verschiedener Kaliber zur Verwendung. Es blieb aber im wesentlichen bei
Versuchen. Allerlei Vorschriften und Anweisungen gaben nützliche
Hinweise. Große Nebelaktionen und eine folgerichtige Nebeltaktik kamen
aber nicht mehr zur Einführung.
Weiter gelangte man auf feindlicher Seite. Hier hatte schon beim ersten
großen Abblasen am 25. September 1915 bei Loos der Kampfstoff
großenteils aus ungiftigem Nebel bestanden. Im Jahre 1918 kam man dann
in großem Um- [526] fange wieder auf die
Nebelverwendung zurück. Künstlicher Nebel schien ein
vortreffliches Mittel, um das gezielte Feuer der gefürchteten deutschen
Maschinengewehre auszuschalten und die eigenen Tanks der Sicht der deutschen
Tankabwehr zu entziehen. Diese konnten hinter dem schützenden Schleier
sich fast ungestört bewegen. Das Fahrgeräusch des unsichtbaren
Gegners wirkte zerrüttend auf die Nerven des ohnedies moralisch
niedergedrückten deutschen Verteidigers, der zudem
zahlenmäßig viel zu schwach war. Er verschoß seine knappe
Munition blindlings. Tauchten die unheimlichen Fahrzeuge dann plötzlich
aus dem Nebel heraus auf, so war die Widerstandskraft materiell und moralisch
dem Kampf nicht mehr gewachsen.
Der 8. August, der dies ater des deutschen Heeres, war eine solche
Nebelschlacht. Auch weiterhin verdankten Engländer und Franzosen
manchen Erfolg ähnlichem geschickten Zusammenwirken von Nebel und
Tank, wobei vielfach sehr zweckmäßig natürlicher Nebel mit
ausgenutzt wurde.
Auch das Kapitel der Verwendung von künstlichem Nebel mit und ohne
Giftwirkung gehört zu den nicht abgeschlossenen Gebieten des Gaskrieges.
Der Zukunft ist hier noch manches Problem überlassen.
11. Gas im Luftkrieg.
Von Gasverwendung in der Luft und aus der Luft war während des Krieges
viel die Rede. Praktisch hat sie keine Rolle gespielt.
Für den Gaskampf von Flugzeug zu Flugzeug fehlten fast alle
Vorbedingungen. Dies bedarf nach dem Inhalt der vorhergehenden Seiten kaum
mehr des Beweises. Wie wollte man vom schnell bewegten Flugzeug aus die
nötigen Gasdichten erzeugen, wie wollte man den flüchtigen Gegner
zwingen, sich der Wirkung einer solchen Gaskonzentration lange genug
auszusetzen?
Praktischere Gestaltung nahm die Frage der Gasverwendung aus der Luft gegen
Erdziele an, obwohl auch hier die entscheidenden Fragen der Massenverwendung
und der Gasdichte schwer lösbare Probleme aufwarfen.
Wohl alle Staaten haben im Kriege das Werfen von Gasbomben aus der Luft
erwogen, um gegebenenfalls, wenn der Feind anfing, in gleicher Weise antworten
zu können. Alle aber schreckten schließlich doch vor der Anwendung
zurück. Der militärische Vorteil war nicht sicher genug, die
politischen Folgen dagegen zu ungewiß. Die Verwendung von Gasbomben
aus der Luft hätte die Ausdehnung der Kriegführung auf die
friedliche Zivilbevölkerung in einem Umfange bedeutet, für den kein
Kriegführender die Verantwortung übernehmen wollte.
Die deutschen Chemiker haben in nur zwei Fällen die Verwendung von
Gasbomben durch feindliche Flugzeuge festgestellt. In allen anderen Fällen,
in denen die Truppe feindliche Gasbomben
meldete - an solchen Meldungen [527] fehlte es
nicht - haben sich die Meldungen, soweit eine Untersuchung stattfinden
konnte, als irrig herausgestellt. Deutscherseits glaubte man jedenfalls, auf die
Eröffnung des Luftgaskrieges verzichten zu müssen, solange nicht
sichere Anzeichen vorlagen, daß der Gegner bei diesem folgenreichen
Schritt voranging. Auch dies ist ein Beweis, wie sehr man in Deutschland
bemüht war, den Krieg in den Grenzen des Völkerrechts und der
Menschlichkeit zu halten.
Ob auch in Zukunft die Militärstaaten auf diesem Standpunkt bleiben
werden, ist zweifelhaft. Aus der Militär-Literatur der Ententeländer
klingt es mit voller Deutlichkeit heraus, daß man sich gegebenenfalls
rücksichtslos über alte Bedenken wegsetzen müsse, wenn der
Gaskrieg aus der Luft gegen die Zivilbevölkerung ausreichende Erfolge
verspreche.
12. Rückblick und Ausblick.
Die Ausführungen zeigten, wie der Ursprung des Gaskrieges nicht von
Deutschland, sondern von Frankreich ausging, wie Deutschland dann aber am
kräftigsten und folgerichtigsten den Gedanken aufnahm und bis zum
Schluß in Angriff und Abwehr die Führung behielt oder, wo sie
vorübergehend verloren ging (Phosgengeschosse 1916, Gaswerfer 1917),
schnell wieder an sich riß. Sie zeigten auch, wie die im Namen des
Völkerrechts und der Menschlichkeit gegen den Gaskrieg erhobenen
Anklagen in den Tatsachen keine Rechtfertigung finden. Die Anklagen waren
reines Propagandamittel gegen Deutschland. Während des Krieges
ließ die Welt sich täuschen, heute sollte niemand mehr so
offenkundigen Entstellungen zum Opfer fallen.
An der großen Rolle, die der Gaskrieg im Weltkriege gespielt hat, kann kein
Zweifel mehr sein. Nur noch eine Zahl zum Beweis: Nach amerikanischer Quelle
entfielen von den amerikanischen Kriegsverlusten unter sämtlichen Toten
auf die Gastoten 27,4 v. H., von sämtlichen in Lazaretten
behandelten Verwundeten auf die Gaskranken 33 v. H. Mit anderen
Worten: Fast ein Drittel aller Verluste des amerikanischen Heeres war durch
deutsches Gas verursacht!
Wer noch zweifelt, der erinnere sich, welche Kampfmittel der Friedensvertrag
Deutschland verbietet: Luftwaffe, schwere Artillerie, Tank und Gas. Schon aus
der Zusammenstellung ergibt sich mit voller Deutlichkeit, daß das Verbot
der Gasverwendung nichts mit Völkerrecht und Menschlichkeit zu tun hat,
sondern daß man den Deutschen lediglich die wirksamsten, modernsten,
zukunftsreichsten Kampfmittel aus der Hand schlagen wollte. Daß das Gas
dabei nicht fehlt, beweist seinen militärischen Wert.
Im Friedensvertrag
ist noch von dem völkerrechtlichen Verbot der
Gasverwendung die Rede. In Wirklichkeit ist es mehr als fraglich, ob die Sieger
jemals daran denken werden, darauf zu verzichten. Hunderte von Chemikern
werden lediglich des Gaskrieges wegen in ihren Heeren angestellt, Dutzende von
[528] Millionen werden zur
Fortführung der Versuche und zur Ausbildung im Gaskrieg in allen
Militärstaaten ausgegeben. Man hat den Wert aus den Erfolgen erkannt und
trägt dem Rechnung.
Der Krieg wird durch die Gasverwendung immer komplizierter. Damit wird man
sich abfinden müssen. Das ist eine logische Folge der wissenschaftlichen
und technischen Entwicklung. Das alte Wort, das oft töricht gegen den
Gaskrieg ins Feld geführt worden ist: "Nur das Einfache führt im
Kriege zum Erfolg", muß sinngemäß, nicht wörtlich
verstanden werden. Seine Wahrheit besteht nicht in der Ablehnung komplizierter
Vorgänge, sondern in der Forderung, das Kompliziertere, falls es
unvermeidlich ist, auf eine einfache Form zu bringen. Dies ist eine wesentliche
Aufgabe der geistigen und der praktischen Kriegsausbildung, die auch für
den Gaskrieg gilt.
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