Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der Gaskrieg
(Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer
9. Blasverfahren, Gasminen, Gaswerfer bis zum
Schluß des Krieges.
Während so die artilleristische Entwicklung bis zum Schlusse des Krieges
sich immer weiter ausdehnte, war auch die Entwicklung des Abblasens und der
Gasminen nicht stehen geblieben. Sie hatte durch die Gaswerfer sogar eine neue
Note erhalten.
Das Blasverfahren gelangte bei Russen, Italienern und anderen nie zu erheblicher
Bedeutung. Dagegen bliesen Franzosen und Engländer seit Herbst 1915
sehr häufig ab. Den Höhepunkt bildete die Sommeschlacht 1916.
Das technische System war dabei ähnlich wie das deutsche. Der
Häufigkeit des Blasens entsprachen die Erfolge jedoch nicht. Die deutsche
Gasdisziplin erwies sich als überlegen. Verluste traten so gut wie gar nicht
ein, wenn auch die häufige Belästigung als sehr aufreibend
empfunden wurde und die Kräfte stark verbrauchte.
Der geringe feindliche Erfolg erklärt sich noch aus einem anderen Grunde:
Engländer und Franzosen bliesen in der Regel in mehreren, mit Pausen
aufeinanderfolgenden Gasstößen oder Gaswellen ab. Sie wollten
damit offenbar den Feind in Atem halten, ihn täuschen und
überraschen, seinen Gasschutz vorzeitig erschöpfen oder
lässig machen. Das war zweckmäßig, solange nicht das
Streben nach Massenverwendung, der fruchtbarste taktische Gedanke des
Gaskrieges überhaupt, zu sehr zurückgedrängt wurde. Gerade
das aber war der Fall.
Auch auf deutscher Seite ging man, unabhängig vom Feind, gleichen
Gedanken nach, ließ aber niemals außer acht, grundsätzlich
wenigstens die zur vollen [522] Gaswirkung als
notwendig errechnete Gasdichte zu erstreben. Praktisch ging man sogar erheblich
darüber hinaus. Das Ergebnis der Überlegungen war aber doch,
daß man meist in einer Welle abblies, die Zahl der auf gleicher Frontbreite
eingebauten Flaschen vermehrte, die Blasedauer verkürzte und zu
wirksameren Gasstoffen überging (Phosgen). Auch Verbindungen mit dem
maskendurchdringenden Blaukreuz wurden erprobt.
Die deutschen Erfolge waren, soweit sie nachgeprüft werden konnten, nach
diesen Verbesserungen anfangs sicher dem Aufwand entsprechend, vor allem, wie
erwähnt, im Osten. Die Gaspioniere selbst erhoben den Anspruch,
daß kein anderes Kampfverfahren den Feind bei so geringem eigenen
Einsatz so stark zu schädigen vermocht habe wie das Abblasen.
Allmählich aber schienen die Erfolge nachzulassen. Der Gegner lernte
besser, sich zu schützen, seine Gegenwirkung während des
Abblasens, besonders durch Artillerie, wurde unangenehmer, während die
Ausnutzung der Blaswirkung durch eigene
Infanterie- und Artilleriewirkung keine Fortschritte zu machen vermochte. Dazu
kam, daß die Fronttruppe eigene Blasunternehmungen nach wie vor ungern
sah und an Erfolg nicht recht glaubte. Auch gelang es nicht, die
Abhängigkeit vom Winde entscheidend zu verbessern, wenn auch in der
Beurteilung der meteorologischen Verhältnisse große Gewandtheit
erreicht wurde und schließlich auch bei höheren Windstärken
abgeblasen werden konnte.
So entschloß man sich, das Blasverfahren zunächst
zurückzustellen. Fast gleichzeitig trat das neue Verfahren der Gaswerfer auf
den Plan.
Die Gaswerfer verdanken ihre erste erfolgreiche Anwendung den
Engländern, die damit einen sehr brauchbaren Gedanken taktisch und
technisch geschickt aufnahmen. Der grundlegende Gedanke war etwa so:
Beim Gasschießen der Artillerie war es nicht leicht, genügende
Gasmassen zur rechten Zeit und schnell genug auf den Gegner zu werfen. Die
Artilleriegeschosse konnten zu wenig Raum für die Gasfüllung
abgeben; Geschütze und Geschosse, die ursprünglich für
andere Aufgaben gebaut waren, waren für Gaszwecke nicht
wirtschaftlich.
Das Abblasen war im Gegensatz dazu zwar ausschließlich für
Gaszwecke organisiert. Es brachte sehr viel größere Gasmengen zur
Anwendung. Aber auf dem Wege vom Austritt des Gases aus den Flaschen bis
zum Ziel ging sehr viel Gas nutzlos verloren. Dazu kamen die bekannten
Nachteile des Abblasverfahrens.
Zweifellos war der dem Gasschießen der Artillerie zugrunde liegende
Gedanke, das Gas in konzentrierter Form im Geschoß ans Ziel zu bringen
und erst dort die Gaswolke entstehen zu lassen, gesund. Es entstand aber die
Frage, ob es nicht möglich sei, mehr Geschoßraum, als bei
Artilleriegeschossen möglich war, für die Gasfüllung
verfügbar zu machen und einfachere Schießmaschinen zu bauen.
[523] Die Lösung fand
man im Gaswerfergerät. Dieses bestand aus einem einfachen Eisenrohr von
1 cm Wandstärke und 20 cm lichter Weite, das hinten
halbkugelig abgeschlossen war, und aus einer Wurfflasche, die ein
dünnwandiges Geschoß darstellte, eine Art Mine, gerade stark genug,
um den Abschuß auszuhalten.
Beim Einsatz wurden viele Hunderte von Wurfrohren in Reihen dicht neben und
hintereinander wie Erdmörser in den Boden eingegraben. Richtung
erhielten sie mittels einfachsten Richtgeräts. Die Wurfflaschen wurden von
vorn eingeladen. Der Abschuß sämtlicher Rohre erfolgte gleichzeitig
auf elektrischem Wege.
Für die Wirkung kam es auf Einzeltreffer nicht an, sondern nur auf die
Wolke, den Gasschwaden. Die einzelnen Geschosse blieben bei halbwegs
gleichmäßiger Richtung genügend dicht beieinander, um
überraschend innerhalb weniger Augenblicke über der getroffenen
Fläche höchste Gasdichten zu erzeugen, die schlagartig wirkten. Man
konnte damit rechnen, daß der Gegner oft nicht Zeit finden würde,
sein Gasschutzgerät rechtzeitig anzulegen und daß infolge der ganz
ungewöhnlich hohen Gasdichten das geringste Versagen des Gasschutzes
und der Gasdisziplin stärkste, großenteils tödliche Verluste zur
Folge haben würde.
Ähnlich wie beim Überfallschießen der Artillerie waren somit
beim Gaswerferschießen Überraschung und Massenwirkung in
ausgezeichneter Weise vereint, nur daß bei den Gaswerfern erheblich
größere Gasmengen und Gasdichten zur Anwendung kamen. Bei den
geringen Schußweiten - anfänglich nur rund
1000 m - konnte man zwar auf genaues Richten verzichten,
anderseits aber war eine Änderung des Ziels, nachdem das Gerät
einmal eingebaut war, ausgeschlossen.
Als im Sommer 1917 die Gaswerferüberfälle erstmals auftraten,
besonders in Flandern, litten neue, des Gaskampfes ungewohnte oder
entwöhnte Truppen sehr stark. Es gelang zwar allmählich, durch
äußerste Vervollkommnung der Gasdisziplin und des
Gasalarms - der Abschuß unterschied sich deutlich von jedem
anderen Knall, so daß die Truppe gewarnt werden und mehrere Sekunden
Zeit gewinnen konnte, um das Gasschutzgerät
anzulegen - sowie durch Vermeidung aller Ansammlungen im
Gaswerferbereich die Verluste herabzumindern. Die gesteigerte Bedrohung aller
eingesetzten Truppen mit ihren Nachteilen (schneller Kräfteverbrauch)
blieb aber bestehen.
Deutscherseits nahm man das feindliche Verfahren sogleich auf. Schon nach
wenigen Wochen wurde dank der glänzenden Arbeit aller beteiligten
Stellen mit gleichen Gaswerferüberfällen geantwortet. Dabei kam es
der Organisation zugute, daß man die Gaspioniere, die bisher das Abblasen
besorgt hatten, ohne Schwierigkeit für den neuen Dienst anlernen konnte.
Außerdem verwendete man allmählich immer mehr von den bereits
vorhandenen Minenwerferbataillonen für den gleichen Zweck.
[520a]
Vorbereitung zum Gasangriff: Eingebaute Gasminenwerfer.
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Wie jede neue Waffe, so entwickelten auch die Gaswerfer ihre volle
Wirksam- [524] keit erst auf Grund der
Fronterfahrungen. Das schwächte - zum Glück für die
Deutschen - ihre Wirkung anfangs ab. Nachdem nun aber der Wettstreit
von beiden Seiten aufgenommen war, schritt die Durchbildung rasch
vorwärts, vor allem auf deutscher Seite.
Die Gaswerfer belästigten die eigene Infanterie erheblich weniger als das
alte Blasverfahren, weil sie nicht auf ausgebaute Stellungen angewiesen waren;
sie waren weniger abhängig von Wind und Wetter, weil sie nur
örtlich begrenzte Augenblickswirkung anstrebten und keiner Gaswolke
bedurften, die oft über mehrere Kilometer hinstreichen mußte, ehe sie
ans Ziel kam. Schließlich war auch die allgemeine Kenntnis vom Wesen des
Gaskrieges erheblich weiter fortgeschritten als zu der Zeit, in der die Gaspioniere
erstmals seinen Wert zu beweisen versucht hatten.
All das erleichterte es den Gaswerfern, sich durchzusetzen. Eine Reihe
technischer Verbesserungen kam bald in Aufnahme. Nach Einführung
gezogener Rohre und günstigerer Geschoßformen stieg die
Schußweite gegen Ende des Krieges bis 3000 m. Das erweiterte die
Verwendungsmöglichkeit gewaltig.
Die taktische Durchbildung der Gaswerferbataillone, die sämtlich dem
Kommandeur der Gastruppen, General Peterson, unterstanden, hielt damit Schritt.
Bald lernte man es, in einer einzigen Nacht einzubauen und abzuschießen
und feuerte dabei gleichzeitig oft weit mehr als 1000 Rohre ab.
Dieser Entwicklung gegenüber blieben die aus Minenwerfern
verschossenen Gasminen bald völlig zurück. Sie hatten niemals
große Bedeutung erlangen können, obwohl man sich, wenigstens auf
deutscher Seite, viel Mühe damit gegeben hatte. Tausende von Gasminen
aller Kaliber sind im Laufe der Jahre verschossen worden. Gasminentechnik
und -taktik weisen aber keine wesentlich neuen Züge auf.
Kampfstoffe und Verwendung glichen denen der Artillerie.
Am meisten wurde das Durchdringen des Gedankens der Gasminen dadurch
gehemmt, daß von Führern und Truppen für bestimmte
Zwecke immer wieder den Brisanzminen der Vorzug gegeben wurde. Der
gewaltige Knall einer Detonation schien dem einfachen Denken einen
größeren Erfolg anzukündigen als die Gaswolke, deren
Wirkung nicht so stark auf die Sinne fiel und selten nachgeprüft
werden konnte.
Aus diesem Denken heraus verfielen auch die Gaswerfer teilweise einer
ähnlichen Entwicklung: Oft zog man es vor, Brisanzminen aus ihnen zu
verschießen. In der Tat war der ungeheure Knall der fast gleichzeitigen
Detonation von über 1000 Minen so großen Kalibers (etwa gleich der
deutschen mittleren Mine) etwas so Nervenerschütterndes, daß kaum
eine bessere Vorbereitung für Angriffsunternehmungen jeder Art denkbar
war.
Aber auch die reinen Gaserfolge der Gaswerfer waren beträchtlich. Am
bekanntesten ist der beim deutschen Angriff in Italien im Herbst 1917 geworden.
Hier zählte man an einer Stelle über 500 Gastote. Auf der deutschen
Westfront [525] konnte
schließlich fast jeder Armee im Durchschnitt wenigstens ein Gasbataillon
überwiesen werden, die alle meist mehrmals im Monat zum
Abschießen kamen.
Beim Abschluß des Krieges waren Konstruktion und Verwendung der
Gaswerfer noch in voller Entwicklung. Zusammenfassend kann gesagt werden,
daß ihr Auftreten im Sommer 1917 den nach dem ersten Abblasen
sinnfälligsten Erfolg des Gaskrieges darstellt, und daß ihre Bedeutung
bis zum Schluß des Krieges nur wenig nachließ. An weitreichender
Wirkung allerdings - nicht nur räumlich! - stand der Kampf
der Gaswerfer dem Gaskampf der Artillerie bei weitem nach.
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