Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der Gaskrieg
(Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer
[509] 8. Die weitere artilleristische
Entwicklung.
Die Entwicklung des Gasschutzes war am Ende des Krieges ebensowenig
abgeschlossen wie die Entwicklung der Gasverwendung selbst. Deren Darstellung
auf artilleristischem Gebiet wurde oben (S. 504) bis zur Einführung
der französischen Phosgengeschosse im Frühjahr 1916
fortgeführt.
Die deutsche Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie bestand in den
Grünkreuzgeschossen, den ersten reinen Gasgeschossen der deutschen
Artillerie. Ihre Gasfüllung, der sogenannte Perstoff (perchlorierter
Ameisensäuremethylester) hatte bezüglich der Giftigkeit
ähnliche, im übrigen noch günstigere Eigenschaften als das
französische Phosgen. Für die Wahl des Perstoffs als Füllung
war neben anderem der Umstand maßgebend gewesen, daß er in
Deutschland leicht hergestellt werden konnte.
Grünkreuzgeschosse wurden zunächst nur für die Feldkanone
eingeführt. Erst allmählich folgten andere Kaliber.
Die neuen Geschosse wurden an manchen Stellen, wie bei den Franzosen die
Phosgengeschosse, einzeln oder nur in geringer Anzahl verwendet. Inwieweit
damit Erfolge erzielt wurden, ist zweifelhaft. Immerhin ist anzunehmen, daß
selbst dieses an sich unzweckmäßige Verfahren wenigstens
anfänglich nicht ganz erfolglos gewesen sein kann, da der
französische Gasschutz damals kaum als Schutz genügte.
Von erheblicher Bedeutung war die Wirkung bei solcher Zersplitterung
keinesfalls. Deutscherseits beschränkte man sich daher nicht darauf,
sondern strebte wieder - wie beim Abblasen - nach Massenwirkung.
Gleich beim ersten derartigen Einsatz vor Verdun im Sommer 1916 wurden rund
100 000 Schuß in kurzer Zeit auf verhältnismäßig
engen Raum zusammengefaßt verschossen.
Die Wirkung war technisch gut, konnte aber bei der Ungunst des Geländes
taktisch nicht voll ausgenutzt werden.
Bis Wiederholungen in gleichem Maßstabe möglich waren,
ging Zeit verloren. Auch wurden Fehler gemacht. Vor allem setzte man zu wenig
Gas auf zu großen Raum an. Zu niedrige Gasdichten, geringere Wirkung
und teilweise Enttäuschung waren die logische Folge.
So kam es, daß trotz des sich mehr und mehr bemerkbar machenden
Einflusses der Gaskurse das Gasschießen der Artillerie noch längere
Zeit Stiefkind blieb, wenn auch Grünkreuzgeschosse sehr viel mehr, sehr
viel zweckmäßiger, offensichtlich mit mehr Erfolg und daher auch
lieber verwendet wurden, als ein Jahr vorher die
T- und K-Geschosse.
Um die Kenntnis des Gaskrieges schneller und gründlicher zu verbreiten,
wurden Ende 1916 einige Gasstäbe der Artillerie errichtet. Ihre Aufgabe
war eine Ergänzung der Gaskurse. Während zu letzteren die
Teilnehmer nach Berlin [510] kommandiert wurden,
sollten die Gasstäbe an der Front reisen, Stäben und Truppen
Gasvorträge halten, bei Vorbereitung und Durchführung von
Gasschießen helfen und - ausnahmsweise - solche
Schießen selbst leiten. Man dachte dabei nicht mehr daran, eine
Sondergastruppe der Artillerie, wie etwa die Gaspioniere für das Abblasen,
zu schaffen. Die Gasstäbe sollten sich vielmehr an die gesamte Artillerie
und darüber hinaus auch an die anderen Waffen und insbesondere an die
Führer wenden. Man hatte erkannt, daß man den vollen Nutzen aus
dem Gaskrieg nur dann ziehen konnte, wenn es gelang, allgemein
Verständnis für seine Eigenart zu wecken und die Gastaktik in den
Rahmen der allgemeinen Taktik einzupassen und mit ihr zu verbinden.
Die Gasstäbe, die bis zum Schluß des Krieges bestehen blieben,
haben im Lauf der Zeit vieles erreicht. Ihre Tätigkeit konnte aber nicht
über die Tatsache wegtäuschen, daß das Grünkreuz
allmählich an Wirkung verlor, weil der Feind Zeit gewann, seinen
Gasschutz der Grünkreuzwirkung anzupassen. Auch lernte er, lohnende
Gasziele zu vermeiden. Er stellte sich weniger an Orten auf, die leicht vergast
werden konnten, er verteilte die Ziele über größere
Räume und machte mehr Gebrauch von Täuschung und
Verschleierung.
Die Erkenntnis der abnehmenden Wirkung des Grünkreuzes spornte zu
neuer Arbeit und zu neuen Versuchen an. Mit bewunderungswürdiger
persönlicher Aufopferung wurden in den heimischen Laboratorien und auf
den Schießplätzen theoretisch und praktisch alle Wege verfolgt, die
Fortschritte in Aussicht stellten. Man kann diese Versuche, bei denen mancher
Gesundheit und Leben aufs Spiel setzte und einbüßte, ohne
Übertreibung den Frontleistungen an die Seite stellen. Professor Friedrich
Kerschbaum hat sich im Arbeitskreise der Chemischen Abteilung hierbei
besondere Verdienste erworben.
Das Ergebnis der Versuche war die Einführung der
Blaukreuz- und Gelbkreuzgeschosse neben verbesserten
Grünkreuzgeschossen im Sommer 1917 und die Erweiterung der Fertigung
von Gasgeschossen für fast alle Kaliber und Geschützarten. Damit
wurde die gesamte artilleristische Gasverwendung auf neue Grundlagen
gestellt.
Von den genannten drei Gasarten war Grünkreuz für den nicht
geschützten Gegner am gefährlichsten. Seine Einwirkung
führte zu schweren Erkrankungen der Lunge und im Vergleich zu den
anderen deutschen artilleristischen Gasen am häufigsten zum Tode. Es
zwang den Gegner unbedingt zum sofortigen Gebrauch des
Gasschutzgeräts. Dieses war zwar schon 1917 und noch mehr von 1918 an
so zuverlässig, daß es sicher gegen Grünkreuz schützte.
Trotzdem blieb noch viel Wirkungsmöglichkeit: Der Gegner hatte vielleicht
seinen Gasschutz nicht in Ordnung, oder er legte ihn zu spät an; auch war
es oft ein genügender Erfolg wenn der Gegner unter die Maske gezwungen
wurde, weil er dadurch in vieler Beziehung behindert wurde, und
schließlich war schon die Nervenwirkung durch die
Grünkreuzdrohung wertvoll.
[511] Grünkreuz
eignete sich, da das Gas im freien Gelände sich innerhalb weniger Stunden
verflüchtigte und da man die Zeit ziemlich genau bestimmen konnte, bis zu
der ein beschossenes Gelände wieder gasfrei wurde, in erster Linie zur
Vorbereitung eines Angriffs, war aber auch für die Verteidigung brauchbar.
Nur mußte man, wenn Dauerwirkung erstrebt wurde, einen Gassumpf oder
eine Gassperre immer wieder auffüllen. Das kostete aber viel Munition und
hinderte den Gegner doch nicht mit Sicherheit am verlustlosen Durchschreiten
eines vergasten Geländes, so unbequem ihm die Vergasung auch sein
mochte, weil sie ihn zum Gebrauch der Maske zwang.
Eine Verbesserung der Grünkreuzwirkung war erwünscht. Man
erstrebte sie durch Verbesserung der taktischen Anwendung aus folgenden
Überlegungen heraus:
Bei jedem auf volle Gaswirkung berechneten Gasschießen kam es darauf
an, die nötige Gasdichte am Ziel zu erzeugen. Dazu genügten
einzelne Schüsse nicht. Man hatte deshalb das Flächenschießen
oder Schwadenschießen ausgebildet, bei dem vor allem konzentrierte
Massenwirkung erstrebt worden war. Möglichst viel Schüsse
mußten in möglichst kurzer Zeit abgegeben werden. Genaues
Schießen war in der Regel nicht wichtig, da der zu vergasende Raum
möglichst groß gewählt wurde.
Auch bei diesem Verfahren erhöhte Überraschung die Aussicht auf
Erfolg. Hier war aber doch noch mehr herauszuholen, wenn es gelang, eine
genügende Anzahl von Schüssen so überraschend und dicht
ans Ziel zu bringen, daß der Gegner unter die Wirkung hoher Gasdichten
kam, ehe er sein Gasschutzgerät in Gebrauch nehmen konnte. Dazu war es
nötig, daß die Schüsse schlagartig beim Ziel eintrafen und
wirksame Gasdichten in kürzester Zeit erzeugt wurden, während dies
beim bisherigen Verfahren immer nur allmählich eintrat.
Bei solchen auf Überraschung aufgebauten Schießen hielt man also
an dem alten Grundsatz der Massenwirkung insofern durchaus fest, als hohe
Gasdichten erstrebt wurden; sie brachten aber eine wesentliche Neuerung, indem
sie wieder möglichst genaues Schießen gegen ein bestimmtes Ziel
erforderten. Denn es kam offenbar darauf an, die Zeitdauer des Schießens
und damit die Zahl der Schüsse zu beschränken, da ja die
Überraschung stets nur ganz kurze Zeit vorhalten konnte. Man berechnete,
daß beim Schießen auf ein eng begrenztes Ziel bei normalen
Verhältnissen und Entfernungen unter Berücksichtigung der
Streuungen folgende Schußzahlen mindestens nötig waren, um bei
annähernd gleichzeitigem Eintreffen beim Ziel vorübergehend
wirksame Gasdichten zu erzeugen:
100 |
Schuß |
von |
7,7 |
cm |
Kaliber |
oder |
50 |
" |
" |
10,5 |
" |
" |
" |
25 |
" |
" |
15 |
" |
" |
" |
10 |
" |
" |
21 |
" |
" |
|
[512] Die Zusammenfassung
dieser Mindestschußzahlen zu einem einheitlichen Schießen, das
gegen ein bestimmtes, eng begrenztes Ziel in wenigen Sekunden
durchgeführt und bei dem auf jede Dauerwirkung verzichtet wurde, nannte
man "Gasüberfall". Die Zeitdauer des Schießens mußte um so
kürzer, der Überfall um so überraschender, die Gasdichte um
so größer werden, je mehr Geschütze zum gleichen
Gasüberfall herangezogen wurden. Brauchte jedes beteiligte
Geschütz nur einen Schuß abzugeben, so nannte man das
Schießen "Salvenüberfall". Der Erfolg war um so wahrscheinlicher,
je mehr man über die oben genannten Mindestzahlen hinausging.
Derartige Überfallschießen waren nicht einfach. Sie forderten
vorzügliches artilleristisches Zusammenwirken. Sie waren aber, wenn sie
gut angelegt waren, außerordentlich gefährlich, da sie an allen
Fronten verwendbar waren und jede Unvorsichtigkeit des Gegners mit sofortiger
empfindlicher Strafe bedrohten. Auch waren
sie - ein Neues im Gaskrieg! - fast unabhängig von Wind und
Wetter, da sie ja nur Augenblickswirkung erstrebten. War diese eingetreten, so
mochten die Schwaden immerhin vom Wind zerblasen oder von der Sonne in die
Höhe gezogen werden!
Ein anderes Mittel, um Grünkreuz zu besserer Wirkung zu bringen, war die
gleichzeitige Verwendung mit Blaukreuz (Buntschießen).
Blaukreuz war wohl im Verhältnis zu der verwendeten Menge der
wirksamste Gaskampfstoff, aber gleichzeitig - für sich allein
verwendet - ein außerordentlich humanes Kampfmittel. Eine ganz
geringe Menge genügte, um einen Zustand angstvoller Beklemmung und
Schwäche hervorzurufen, der jede Tätigkeit lähmte, aber nach
einer viertel bis einer halben Stunde sich völlig verlor. Bei Einatmung
größerer Gasmengen war die Wirkung zwar schwerer und
anhaltender; länger dauernde Giftwirkung durch Blaukreuz ist aber bei
Menschen nicht beobachtet worden. Einer so milden und doch militärisch
wertvollen Wirkung kann kein anderes Kampfmittel sich rühmen!
Der Blaukreuzkampfstoff bestand aus feinsten Stäubchen, die durch jede
Maske hindurchgingen und den Träger der Maske zu unwiderstehlichem
Niesen und Husten reizten. Dies war unter der Maske nicht möglich und
zwang dazu, die Maske herabzureißen.
Gelang es in diesem Augenblick, eine entsprechende Menge Grünkreuz aus
Ziel zu bringen, so mußte die gewöhnliche starke
Grünkreuzwirkung gegen den ungeschützten Gegner eintreten. Da
Blau- und Grünkreuz in der Luft nebeneinander wirksam blieben, ergaben
sich bei solchem Verfahren, das man Buntschießen nannte, leicht
aussichtsreiche Kombinationen für Flächenschießen wie
für Gasüberfälle. Es kam nur darauf an, Zeiten und Mengen
für den Verschuß beider Gasarten richtig zu berechnen. Das war nicht
allzu schwierig.
Außer zum Buntschießen konnte Blaukreuz mit gutem Erfolg
für sich allein verwendet werden. Verhältnismäßig
wenige Geschosse genügten zur Erzeugung [513] ausreichender
Gasdichten. Dadurch und infolge der Eigenart seiner Wirkung war Blaukreuz am
unabhängigsten von Witterung und Gelände. Da es sich rasch
verflüchtigte und die Wirkung sich schnell verlor, eignete es sich besonders
zur Vorbereitung eines Angriffs, der der Beschießung unmittelbar folgte.
Auch für den Bewegungskrieg war es brauchbar. Für die
Verteidigung war die Wirkung zu kurz dauernd.
Die Blaukreuzgeschosse konnten, weil das Gas schon in kleinen Mengen wirkte,
neben der Gasfüllung wieder eine recht beträchtliche Sprengladung
erhalten (zwei Drittel der gleichkalibrigen Splittergeschosse). Das erhöhte
ihre Verwendungsfähigkeit und Beliebtheit. Kam das Gas bei ganz
ungünstigen Verhältnissen nicht zur Wirkung, so war wenigstens mit
einer recht annehmbaren Brisanzwirkung zu rechnen.
Das dritte deutsche Artilleriegas, das Gelbkreuz, nach seinem schwachen Geruch
auch Senfgas oder nach dem Ort seiner ersten Verwendung Yperit genannt, war
im Gegensatz zum Blaukreuz lang nachwirkend. Während die Wirkung der
anderen Gase hauptsächlich in den Schwaden lag, die beim Schießen
sich über der beschossenen Fläche bildeten, haftete der
Gelbkreuzstoff in der Hauptsache im Gelände oder in Kleidern usw.,
wo er sich in ganz feinen Tröpfchen festsetzte. Die Wirkung trat dann
durch ganz allmähliche Verdunstung ein. Die eigentliche
Schwadenwirkung war meist gering.
Die Gelbkreuzwirkung ist bereits oben gestreift. Hierzu ist vor allem zu
ergänzen, daß Gelbkreuz im allgemeinen keine dauernden
Schäden hinterließ. Tödliche Vergiftungen traten
verhältnismäßig selten ein. Bei richtiger Behandlung und bei
leichten Fällen waren die Heilerfolge sogar besonders günstig. Das
Gelbkreuz verdient daher den ihm anhaftenden Ruf besonderer Unmenschlichkeit
durchaus nicht.
Trotzdem ist leicht erklärlich, woher der schlechte Ruf des Gelbkreuzes
stammt. Die Gründe liegen:
- in der geringen Wahrnehmbarkeit, die rechtzeitigen
Gebrauch des Schutzgeräts erschwerte,
- in der Neuartigkeit der Wirkung, die sich nicht auf die von der bisherigen
Maske leicht zu schützenden Körperteile beschränkte,
- in der besonderen Häßlichkeit der Vergiftungserscheinungen,
die oft erst tagelang nach eingetretener Ansteckung sich zeigten, ohne daß
der Betroffene ahnte, daß er mit Gelbkreuz in Berührung gekommen
war, und
- in der langen Nachwirkung im Gelände, in geschlossenen
Räumen, an Kleidern usw., die im Sommer Tage, im Winter Wochen
anhalten konnte.
All das machte das Gelbkreuz unheimlich. Dies wird an nachstehendem Beispiel
besonders deutlich: Ein Soldat, der durch ein mit Gelbkreuz wirksam verseuchtes
Gebüsch geht, streift, ohne es zu bemerken, eine kleine Menge des
Kampf- [514] stoffes mit dem
Ärmel von den Blättern. Er betritt kurz darauf seinen
Wohnunterstand, in dem er mit 10 bis 12 Kameraden die Nacht verbringt. In der
Nacht bringt die Wärme des Unterstandes den an seinem Rock haftenden
Gelbkreuzstoff zur Verdunstung. Dieser wirkt in dem engen Raume sehr stark, so
daß am nächsten Morgen die sämtlichen Leute, die in dem
Unterstande genächtigt haben, infolge Einatmung des Kampfstoffes, von
dem niemand etwas ahnte, erkranken.
Hier lag die wichtigste Seite der schweren Wahrnehmbarkeit des Gelbkreuzes, das
höchstens durch einen leichten Geruch sich verriet, aber weder sichtbar
noch durch Geschmack oder Einatmung sogleich erkennbar war. Verschleppung
und Ansteckung waren möglich, ohne daß Unachtsamkeit vorlag.
Wohl konnte man Gelbkreuz, das erkannt war, ohne Schwierigkeit durch
Chlorkalk vernichten. Aber sobald man anfing, mit Chlorkalk zu arbeiten, wurde
die an sich schon geringe Wahrnehmbarkeit durch den Geruch des Chlorkalks
übertäubt. Wo sollte man dann mit dem Streuen von Chlorkalk
anfangen und wo enden? Die hauptsächlichsten Nachteile des Gelbkreuzes,
das späte Eintreten der Wirkung, die leichte Vernichtung durch Regen und
Chlorkalk sowie der Umstand, daß verhältnismäßig viel
Gas gebraucht wurde, um die erforderliche Gasdichte zu erzeugen, traten
gegenüber diesem Vorteil zurück.
Gelbkreuzgeschosse waren anfänglich reine Gasgeschosse. Damit konnte
man nur schwer überraschen, weil sie sich durch den Knall von anderen
Geschossen unterschieden. Man verschoß daher zur Verschleierung
gleichzeitig Splittergeschosse, vermehrte dadurch aber den Munitionsbedarf
außerordentlich, ohne das Ziel sicher zu erreichen. Die beste Abhilfe, die
Herstellung von Gelbkreuzbrisanzgeschossen, glückte nach langen
Versuchen leider erst 1918. Die neuen Geschosse kamen aber nicht mehr recht zur
Wirkung, die Massenfertigung setzte zu spät ein.
Aus der Beschreibung der Eigenschaften des Gelbkreuzes erhellt, daß seine
Verwendung notwendig eine wesentlich andere war als die der anderen
Gaskampfstoffe. Für die Verwendung im Angriff war es wenig brauchbar.
Auch zur Abwehr unmittelbar bevorstehender Angriffe wirkte es nicht mit
Sicherheit schnell genug. Sein Hauptwert lag in der Möglichkeit,
vorausschauend gewisse Geländestücke zu verseuchen
(Verseuchungsschießen). Der Feind mußte im allgemeinen das
verseuchte Geländestück meiden und wurde dadurch leicht zu
Maßnahmen gezwungen, die ihm außerordentlich lästig waren.
Tat er dies nicht oder merkte er die Verseuchung nicht rechtzeitig, so setzte er sich
unter Umständen sehr unangenehmen Verlusten aus.
Die Herausbildung der vorstehend beschriebenen drei Kampfstoffe
eröffnete bei entsprechend kombinierter Verwendung vielseitige
Möglichkeiten. Man blieb dabei aber nicht stehen. Unermüdlich
wurden Verbesserungen erstrebt. Dadurch gelang es, bis zum Abschluß des
Krieges noch einige Abarten der drei
Haupt- [515] kampfstoffe zu
entwickeln. Eine Erschwerung für die Front trat dadurch aber nicht ein.
Grundsätzlich Neues wurde auf artilleristischem Gebiet nicht mehr
herausgebracht.
Neben der wissenschaftlichen Arbeit im Laboratorium war die ballistische von
großer Bedeutung. Es war eine Riesenarbeit, die Schußtafeln
für die vielen neuen Gasgeschosse, die in manchen Einzelheiten von den
gewöhnlichen Geschossen abwichen, zu erschießen, herzustellen und
auszugeben.
Schließlich ist auch der taktischen Arbeitsleistung nochmals zu gedenken.
Die Art der Verwendung der drei Kampfstoffe wurde nicht so, wie sie oben
dargestellt wurde, sogleich als fertige Vorschrift im Sommer 1917
eingeführt. Man mußte erst aus der Praxis lernen. Technische und
taktische Verbesserungen wurden nur allmählich gefunden und konnten erst
dann ihren Niederschlag in den Anweisungen finden. Auch die Art, wie der
Gegner sich mit dem neuen Gas abfand, bedingte fortwährend sich
ändernde Anpassung. Durch neue Vorschriften und Anweisungen, durch
Vorträge, Kurse, Übungen und praktische Versuche an und hinter der
Front geschah alles Mögliche, um das allgemeine Verständnis zu
heben.
Die hauptsächlichsten Einwände gegen das artilleristische
Gasschießen - gefühlsmäßige Abneigung oder
Ablehnung aus falsch verstandenen Gründen des Völkerrechts und
der Menschlichkeit können nach dem, was früher ausgeführt
wurde, hier beiseite bleiben - bezogen sich auf die Abhängigkeit von
Wind, Wetter und Gelände. Diese Abhängigkeit war nicht zu
bestreiten. Eine völlige Änderung war nicht zu erwarten, wenn auch
gegenüber den Anfängen des Gaskrieges durch die Art der
Kampfstoffe und ihre geschicktere Verwendung (z. B. Blaukreuz,
Feuerüberfall usw.) ganz erhebliche Fortschritte erzielt waren. Mit
einer gewissen Abhängigkeit mußte man sich eben abfinden. Auch
andere Kampfmittel waren von solchen unerwünschten Einflüssen
nicht völlig frei. Man konnte lernen, sich ihnen anzupassen.
Auch ein anderer sehr schwerer Einwand war nicht zu widerlegen: die
Munitionsversorgung wurde durch die Einführung der verschiedenen Arten
der Gasmunition neben der bisherigen Munition außerordentlich verwickelt.
Die Regelung des gewaltigen, immer vielseitiger werdenden Nachschubs kostete
immer mehr Kräfte. Das war unangenehm, aber es half nichts: die
Notwendigkeit und die militärischen Vorteile waren zwingend.
Dagegen kann nicht anerkannt werden, daß die Schwierigkeiten der neuen
Gasschießverfahren und der neuen taktischen Grundsätze als
maßgebende Einwände bezeichnet werden. Das konnte erlernt
werden und war für den, der sich wirklich damit abgab, gar nicht so
schwierig. Gewiß bedingte das Mehrarbeit. Diese aber konnte und
mußte geleistet werden, da man die Wirkung brauchte.
Die erste Verwendung fanden die neuen Geschosse in der Flandernschlacht im
Sommer 1917. Die genauen Unterlagen dafür, welchen Nutzen sie hier im
ein- [516] zelnen gehabt haben,
fehlen heute noch. Im allgemeinen haben sie sicher wesentlich mit zur
Erschwerung und schließlich Erstickung des englischen Angriffs
beigetragen.
Sehr viel Gas wurde ferner im Herbst 1917 vor Verdun verschossen. Das dortige
Oberkommando schrieb die Niederhaltung größerer feindlicher
Angriffe und die Abschwächung der feindlichen Artilleriewirkung
großenteils den sehr planvoll angelegten Gasschießen der eigenen
Artillerie zu. Es gelang dadurch vor allem, allmählich die feindliche
Artillerie verhältnismäßig weit
zurückzudrücken.
Die Zeit der glänzendsten Erfolge des Artilleriegases aber reifte heran, als
es zu den großen deutschen Angriffen im Jahre 1918 verwendet wurde.
Eine Art Vorbereitung bildeten die Angriffe in Rußland und Italien im
Sommer und Herbst 1917, in denen die theoretischen und praktischen
Erkenntnisse für den großen Angriff gewonnen wurden. Auch das
Gas fand hier seinen taktisch richtigen Platz, indem es die Aufgabe erhielt, die
feindliche Artillerie für die Zeit des Angriffs auszuschalten. Die
Bekämpfung der feindlichen Infanterie dagegen blieb im wesentlichen, wie
bisher, der Splittermunition überlassen.
Im Osten und in Italien war die Gasverwendung
verhältnismäßig einfach. Der feindliche Gasschutz war
unvollkommen, die Gasdisziplin schlecht. Grünkreuz genügte in der
Hauptsache. Die Erfolge waren offenbar gut.
Weit schwieriger war der Gasangriff im Westen, wo man einen Gegner
gegenüber hatte, der, durch üble Erfahrungen belehrt, dem Gaskrieg
höchste Aufmerksamkeit zuwendete. Trotzdem beschloß man, bei
den entscheidungsuchenden Angriffen des Jahres 1918 an der Westfront
grundsätzlich Gas in größtem Umfange und unter Erweiterung
der Aufgaben anzuwenden.
Die Abhängigkeit von Wind und Wetter, in die man sich dadurch begab,
wollte man mit in Kauf nehmen. Man war sich klar darüber, daß bei
ungünstigem Wetter ein wichtiger Teil der Angriffsmittel ausfallen
würde. Die Frage, ob es in einem solchen ungünstigen Fall besser
sei, einen geplanten Angriff zu verschieben oder ob man mit der als Ersatz
für das Gas gleichzeitig bereitzustellenden Splittermunition allein angreifen
solle, wurde jedoch theoretisch nicht eindeutig gelöst.
Praktisch entwickelte sich die Sache so: Die Wetterbeobachtung wurde in den
entscheidenden Tagen, die den einzelnen Angriffen vorausgingen, besonders
sorgfältig gehandhabt. Unter dem bewährten Meteorologen Professor
und Leutnant der Landwehr Dr. Schmauß wurde bei der Obersten
Heeresleitung eine neue Zentrale für Wettervorhersage eingerichtet, die die
oberste Führung vor Ausgabe des letzten Angriffsbefehls über die
Wetteraussichten zu beraten hatte. Da dieser Befehl spätestens am Mittag
des dem Angriff vorhergehenden Tages ergehen sollte, fand somit die
entscheidende Wetterberatung am Vormittag des dem Angriff vorhergehenden
Tages statt. Ein Absagen des Angriffs aus Wettergründen wäre
übrigens im äußersten Notfall auch noch in den
Nachmittagsstunden des dem Angriff vorhergehenden Tages möglich
gewesen.
[517] An den fünf
großen Angriffstagen war die Wettervorhersage für den 21.
März, den 9. April und den 9. Juni leidlich günstig, für den 27.
Mai besonders günstig und für den 15. Juli mäßig
günstig.
Für die erstgenannten drei Tage waren außer günstigen Winden
auch solche zu erwarten, die in geringer Stärke teilweise entlang der
eigenen Front und gegen diese streichen konnten. Trotzdem schien ein
genügender Grund, um die Absage des Angriffs aus meteorologischen
Gründen zu empfehlen, in keinem Falle vorzuliegen.
Für den 27. Mai war die Lage meteorologisch klar: der Angriffsbefehl war
vom Gasstandpunkt aus sehr zu empfehlen.
Am zweifelhaftesten war man am 14. Juli. Für die Morgenstunden des 15.
Juli waren Gegenwinde in geringer Stärke angesagt. Da man aber hoffte, zu
dieser Zeit schon genügend Gaswirkung erzielt zu haben und die eigenen
Truppen schützen zu können, beschloß man, trotz der
verhältnismäßig geringen Gunst der Wetterlage den geplanten
Angriff programmäßig durchzuführen.
Die Wettervorhersage erwies sich in allen fünf Fällen als zutreffend.
Ihr entsprach die Gaswirkung: Sie war am 21. März, 9. April und 9. Juni im
allgemeinen genügend und am 27. Mai hervorragend. An letzterem Tage
trieb ein günstiger leichter Wind das Gas tief in den Feind hinein, dort
weithin Verwirrung erzeugend. Umgekehrt war es am 15. Juli. Die vordersten
Teile des Feindes wurden zwar von der Gaswirkung betroffen, seine vorderste
Artillerie ausgeschaltet. Aber der Feind wandte an diesem Tage erstmals seine
großzügige Ausweichtaktik an, wie sie die deutschen Vorschriften
gelehrt, die deutsche Praxis leider nur selten ausgeführt hatte. Der für
den Feind günstige Wind hatte zur Folge, daß er seine
Hauptkräfte damit fast jeder Einwirkung der deutschen
Gasbeschießung entzog. Windrichtung wie am 27. Mai hätte ihm die
Gasschwaden ins Gesicht getrieben und damit den Deutschen vielleicht doch
einen größeren Erfolg ermöglicht. Ob das eine entscheidende
Änderung des Krieges zur Folge gehabt hätte? Die überaus
große Bedeutung richtiger Bewertung meteorologischer Verhältnisse
erhellt jedenfalls aus keinem anderen Beispiel mit gleicher Deutlichkeit.
An allen fünf Tagen gab es auch auf deutscher Seite Gasverluste von
eigenem Gas, am meisten am 21. März. Große Bedeutung gewannen
diese Ausfälle aber nicht. Die Erkrankungen waren meist leicht, die
Gaskranken blieben, da der Angriff ja vorwärts ging, in deutscher Hand und
erholten sich schnell.
Die Truppe fand sich mit diesen Verlusten verhältnismäßig
leicht ab. Im allgemeinen war das Verständnis für die Gaswirkung
sehr gestiegen. Die Truppe, insbesondere die Infanterie, forderte fast überall
Gasvorbereitung, weil sie die dadurch bewirkte Entlastung lebhaft empfand. Sie
war nun endlich so weit, daß sie einige Atemzüge eigenes Gas
dafür gerne in Kauf nahm. Allerdings wurden an manchen Stellen
übertriebene Hoffnungen in das Gas gesetzt, ohne daß die Gefahren
richtig eingeschätzt wurden. Hier rächte sich natürlich die
Übertreibung.
[518] Die Aufgaben der
artilleristischen Gasvorbereitung waren an den fünf Angriffstagen ziemlich
genau die gleichen. Sie lassen sich an Hand einer kurzen Wiederholung des
bekannten artilleristischen Angriffsschemas allgemeinverständlich
darlegen, ohne daß auf die örtlichen Verschiedenheiten eingegangen
zu werden braucht:
An den Angriffsfronten4 wurden auf 1 km Frontbreite
rund 100 Geschütze eingesetzt, von denen etwa ein Fünftel in erster
Linie zur Artillerie- und Fernzielbekämpfung bestimmt war.
Das Feuer begann schlagartig noch bei Dunkelheit mit einem allgemeinen
Feuerüberfall aller Geschütze von 10 Minuten Dauer mit
höchster Feuergeschwindigkeit (1. Zeitabschnitt). Munition Blaukreuz.
Wirkung konnte um so mehr erwartet werden, als nach dem neuen, eben
eingeführten Schießverfahren keinerlei vorheriges Einschießen
nötig war, also Überraschung erhofft werden durfte.
Als zweiter Zeitabschnitt folgte eine 65 Minuten dauernde verstärkte
Artilleriebekämpfung mit allen Geschützen und gleichfalls hoher
Feuergeschwindigkeit. Dabei waren die Ziele so verteilt, daß drei bis vier
eigene Batterien auf einer feindlichen lagen. Munition Buntkreuz. Die
notwendigen Gasdichten wurden theoretisch um ein Mehrfaches
überschritten, so daß auch hier gute Gaswirkung zu erwarten war,
wenn die feindliche Artillerie tatsächlich da stand, wo man sie
vermutete.
Der dritte bis fünfte Zeitabschnitt von zusammen 85 Minuten war der
Bekämpfung der Infanteriestellungen gewidmet. Dabei wurde Blaukreuz
bis 600 m vor der eigenen Infanterie, Grünkreuz teilweise auf etwas
weitere Entfernung bei günstigem Wind mitverwendet. Gleichzeitig lagen
die in erster Linie zur Artilleriebekämpfung bestimmten Batterien weiter im
Buntschießen auf der feindlichen Artillerie. Bei der Verwendung von
Grünkreuz war dabei genaue Berechnung nötig, bis zu welcher Zeit
die eigene Infanterie voraussichtlich die beschossenen Stellen erreichen konnte.
Die Grünkreuzwirkung mußte sich bis zu dieser Zeit
verflüchtigt haben. Die Feuergeschwindigkeit war auch im dritten bis
fünften Zeitabschnitt möglichst hoch.
Die letzte artilleristische Angriffsvorbereitung war die Feuerwalze. Auch hier
wurde Gas (Blaukreuz) mitverwendet, jedoch jeweils nur bis 600 m vor der
eigenen Infanterie. Auf die Windrichtung brauchte hierbei keine Rücksicht
genommen zu werden. Bis die Gasschwaden die eigene Infanterie oder bis diese
die letzten beschossenen Stellungen erreichen konnten, hatte sich die Auswirkung
in der Hauptsache verflüchtigt.
Einen ungefähren Anhalt, welche Rolle die Gasmunition bei den
großen [519] Angriffen spielte,
geben die Verhältniszahlen der Ausstattung mit
Gas- und Splittermunition. Das Verhältnis zwischen Gas und Splitter
betrug bei den Artilleriebekämpfungsbatterien etwa
4½ : 1, bei den andern etwa 1 : 1. Dabei war
aber ein großer Teil der Splittermunition nur Notausstattung für den
Fall, daß bei ungünstigem Wetter ohne Gas angegriffen werden
mußte.
Von den Zielen der Gasbeschießung wurde das Wichtigste, die
Ausschaltung der feindlichen Artillerie, bei den vier ersten Angriffen gut,
teilweise vorzüglich erreicht. Die artilleristische Gegenwirkung spielte in
den entscheidenden Angriffsstunden meist eine verblüffend geringe Rolle.
Sie war planlos und vereinzelt. Man muß daraus schließen, daß
teils die Geschützbedienung, teils die Beobachtung und
Befehlsführung, teils wohl auch die Verbindungen miteinander
gestört waren. Nur am 15. Juli war das Ergebnis der Gasbeschießung
auffallend gering. Die Gründe sind bereits besprochen.
Weniger vollständig war die Lähmung der feindlichen Infanterie und
Maschinengewehre durch das Gas. Das ist begreiflich. Infanterieziele sind
weniger leicht faßbar, sie entziehen sich der Feststellung und der Wirkung
leichter durch Tarnung und durch Beweglichkeit, ihre Kampftätigkeit ist
einfacher und ihre Gasdisziplin in der Regel besser als bei der Artillerie. Dazu
kam, daß infolge der Gefahren der Witterung und der Nähe der
eigenen Infanterie verhältnismäßig sehr viel weniger Gas
gegen Infanterieziele eingesetzt werden konnte als gegen Artillerieziele. Damit
war natürlich eine so gründliche Ausschaltung der feindlichen
Gegenwirkung, wie sie bei der Artillerie geglückt war, nicht erreichbar.
Immerhin machte sich vielfach eine starke Behinderung des Feindes durch das
Gas bemerkbar, die den Kampf wesentlich erleichterte, wo die eigene Infanterie
fest und geschickt zufaßte. Der Kampf konnte der Infanterie aber nur
erleichtert, nicht erspart werden. Wer auf Grund falscher Voraussetzungen
letzteres erhofft hatte, für den waren Enttäuschung und
Mißerfolge unausbleiblich.
Im ganzen hat zweifellos der Entschluß, das neue Kampfverfahren
für die großen Angriffe wesentlich mit auf verstärkten
Gaseinsatz zu stützen, sich bewährt. Das wurde offenbar auch von
der Front erkannt. Ein Beweis dafür liegt darin, daß in dem den
großen Angriffen folgenden Bewegungskrieg viel Gas verlangt wurde, vor
allem Blaukreuz, und daß auch in der Abwehr während der letzten
Monate des Krieges der Gasbedarf ständig wuchs. Hierbei trat das
Gelbkreuz, das während der Angriffe zurückgetreten war,
naturgemäß wieder stark hervor. Wie bereits erwähnt, wurde
damals mehr als ein Viertel der gesamten deutschen Artilleriemunition als
Gasmunition gefertigt, ohne daß damit die Anforderungen der Front voll
gedeckt werden konnten.
Aus den feindlichen Urteilen über die Wirkung der deutschen Gase seien
hier nur zwei hervorgehoben:
1. In einem englischen Bericht wird gesagt: "Durch eine dauernde und
zweckmäßige Anwendung bewirkt das Yperit oder Senfgas
(Gelbkreuz) einen [520] starken
Kräfteverbrauch und kann zur Auflösung der feindlichen
Truppenverbände führen."
2. In einem französischen Geheimbefehl von Ende August 1918
wird die Summe der Gasverluste allein im französischen Heere für
die Zeit von nur 10 Tagen (11. bis 20. August) auf nicht weniger als 14 578
Mann angegeben, darunter 424 Todesfälle. Der monatliche Ausfall
würde somit mehr als 40 000 Mann betragen. (Rechnet man
verhältnismäßig gleiche Ausfälle für die englische
und amerikanische Front, so käme man an der gesamten Westfront auf
einen Ausfall von monatlich etwa 100 000 Mann oder täglich
über 3000 Mann durch Gas. Und das zu einer Zeit, in der der
Nachschub usw. auf deutscher Seite nur noch mit größten
Reibungen funktionierte! Allerdings sind hierbei sämtliche Arten der
Gasverwendung eingerechnet.)
Der wachsenden Bedeutung des artilleristischen Gasschießens wurden sich
auch die andern Kriegführenden bewußt. Sie wandten ihm mit Recht
volle Aufmerksamkeit zu.
Von den deutschen Bundesgenossen waren Türken und Bulgaren
abhängig von deutschen Lieferungen, die in einem für den Gaskrieg
ausreichenden Umfange nicht erfolgen konnten; sie hätten bei der Eigenart
der Kriegführung in der Türkei und auf dem Balkan nicht gelohnt.
Der Gaskrieg kam hier nicht über unzulängliche Versuche
hinaus.
Mit größtem Eifer ahmten die Österreicher das deutsche
Vorbild nach. Ihre Gasstoffe erreichten jedoch nicht die hohe Wirksamkeit der
deutschen. Auch war das Gebirge, in dem das Gas nach der Kriegslage in erster
Linie zur Verwendung kommen mußte, weniger günstig für
Gas. Schließlich mögen auch andere Mängel, z. B. die
geringere Ausstattung an Artillerie, die Bildung der erforderlichen Gasdichten
manchmal verhindert haben. Jedenfalls war man mit den Gaserfolgen nicht sehr
zufrieden, ohne deshalb den Glauben an die Sache zu verlieren. Man schloß
sich vielmehr immer enger an das deutsche Beispiel an.
Von den Gegnern der Mittelmächte können Russen, Italiener und die
kleineren Länder außer Betracht bleiben. Sie spielten auf diesem
Kampfgebiet niemals eine Rolle.
Um so heißer bemühten sich Engländer und Franzosen,
gegenüber den Deutschen nicht zurückzubleiben. Nicht weniger als
25 feindliche Gasstoffe sind deutscherseits bekannt geworden, nicht weniger als
15 Gasgeschoßtypen hat der Franzose allein nach deutscher Kenntnis an die
Front gebracht. Trotz allem aber gelang es dem Gegner nicht, die deutschen
Kampfstoffe Grün, Blau, Gelb schnell nachzuahmen. Auch in diesem Fall
sagte die Chemische Abteilung richtig voraus. Erst gegen Ende des Krieges trat
der Gegner mit Gelbkreuz eigener Erzeugung auf. Die Fertigungszahlen erreichten
in den letzten Kriegsmonaten nach feindlichen Quellen gewaltige Zahlen. Das
feindliche Gas kam aber an der Front nicht mehr zur Geltung.
[521] Taktisch haben weder
Franzosen noch Engländer jemals die Höhe des deutschen
Verfahrens erreicht. Ihnen fehlte die folgerichtige Durchbildung des Gedankens
der Massenverwendung. Die so gut wie wirkungslose Einzelverwendung blieb bei
ihnen bis zum Schluß des Krieges die Hauptart der Verwendung.
Nur selten hat das französische Artilleriegas größeren
Einfluß auf bedeutendere Kampfhandlungen gewonnen, z. B. beim
Kampf um die Laffaux-Ecke im Herbst 1917. Das damals in großen Massen
verwendete Gas strömte in den tiefen Mulden hinter der deutschen Stellung
zusammen, erschwerte die Verbindung nach vorn ungemein und zermürbte
die tapferen Verteidiger, nachdem sie tagelang ausgeharrt hatten, so sehr,
daß sie dem gewaltsamen Angriff schließlich erlagen.
Viel Wirkung wurde dem feindlichen Artilleriegas auch in den letzten
Kriegsmonaten zugeschrieben. Das ist aber großenteils Übertreibung.
Die deutschen Gasverluste in dieser Zeit entsprachen damals ebensowenig wie
jemals früher den vielfach leichtfertig verbreiteten Gerüchten.
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