Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der Gaskrieg
(Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer
7. Gasschutz und
Gasdisziplin.
Im Herbst 1914, zur Zeit der Anfänge des Gaskrieges, wurde wohl von
niemand an die Notwendigkeit eines so straffen Gasschutzes gedacht, wie er
schließlich bei allen Heeren durchgeführt werden mußte.
Daß im Kampfbereich bis viele Kilometer hinter der vordersten Kampflinie
die Gasmaske fast ein wichtigeres Ausrüstungsstück werden
würde als die Kampfwaffe, so daß es wohl möglich sein
würde, in vorderster Kampflinie, wenige Meter vom Feinde entfernt,
gelegentlich Leute ohne Waffe anzutreffen, aber niemals solche ohne Gasmaske,
wäre im Jahre 1914 dem Laien wie dem Fachmann als phantastisch
erschienen.
[505]
Merkwürdigerweise scheinen auch die Franzosen die Notwendigkeit eines
allgemeinen Gasschutzes erst spät erkannt zu haben, obwohl sie als erste
Gaskampfmittel einführten. Vielleicht erklärt sich dies dadurch,
daß sie zwar technisch die Idee der Gasverwendung frühzeitig
erfaßten, aber den mehr taktischen Gedanken der Massenwirkung
zunächst nicht erkannten. 1914 sind sie jedenfalls, wie alle anderen Heere,
ohne Gasschutz ins Feld gezogen.
Um so mehr muß es als ganz besonderes Verdienst bezeichnet werden,
daß auf deutscher Seite frühzeitig in großem Maßstabe an
die Durchbildung des Gasschutzes herangegangen wurde. Auch hier
gebührt das Hauptverdienst der Chemischen Abteilung des
Preußischen Kriegsministeriums und ihren wissenschaftlichen
Hilfskräften. Die deutsche Überlegenheit im Gasschutz, die bis zum
Ende des Krieges währte, gründete sich in erster Linie auf ihre weit
vorausschauende und großzügige Arbeit. Viele Verluste wurden dem
deutschen Heere dadurch erspart.
Vom Feinde ist behauptet worden, aus der frühzeitigen technischen
Durchbildung des deutschen Schutzgeräts könne man ersehen, mit
welcher Sorgfalt der Gaskrieg schon im Frieden in Deutschland vorbereitet
worden sei. Dies ist nachweislich unwahr. Noch im April 1915 besaßen
selbst die Gaspioniere nur eine äußerst unvollkommene
Schutzausrüstung, die übrigens keine neue Erfindung, sondern
einfach aus der Chlorindustrie übernommen worden war. Sie bestand aus
einem mit Natriumthiosulfat ("Antichlor") getränkten Bausch von
Putzwolle, der in einem wasserdichten Beutelchen mitgeführt wurde und im
Bedarfsfalle mit der Hand an Mund und Nase gedrückt werden
mußte. Außerdem waren
lediglich - wie wohl in allen Heeren - die vor allem für den
Minenkrieg notwendigen Sauerstoffgeräte in geringer Zahl vorhanden.
Die praktischen Erfahrungen der Gaspioniere ergaben bald ebenso wie die
theoretischen Überlegungen, daß ein so primitiver Gasschutz nicht
genügte. Mit Rücksicht auf die vorauszusehende feindliche
Gegenwirkung mußte eine allgemeine Gasschutzausrüstung
notwendig werden. So entstand im Laufe der ersten Hälfte des Jahres 1915
auf Grund außerordentlich planvoller Überlegungen und Versuche
die bekannte deutsche Gasmaske. Die Vorzüglichkeit des erwählten
Systems wird am besten dadurch beleuchtet, daß es im wesentlichen bis
zum Schluß des Krieges beibehalten werden konnte. Fortschritte des
Gaskrieges machten immer nur Teiländerungen nötig,
während auf feindlicher Seite die verschiedensten Systeme durchprobiert
wurden.
Gegenüber den bereits an anderer Stelle besprochenen Einwänden,
daß es vom deutschen Standpunkt aus ein Fehler gewesen sei, den Gaskrieg
zu fördern, sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß der
Erfolg und der Vorsprung in der Gasabwehr wohl nicht so groß gewesen
wäre, wenn nicht alle Seiten des Gaskrieges mit gleicher Energie
angefaßt worden wären. Die Arbeit für den Angriff
förderte die vorausschauende Einsicht in die Erfordernisse der Abwehr.
[506] Kennzeichnend
für das deutsche System sind drei Punkte:
- die Abschlußlinie längs Stirn, Wangen und unter dem
Kinn. Sie ist von englischer wie von französischer Seite nach einiger Zeit
übernommen worden, während beide Länder zuerst andere
Modelle bevorzugten.
- Herstellung aus undurchlässigem Stoff und Einfügung eines
besonderen Atemfilters. Auch in diesem Punkte sind England wie Frankreich
gefolgt, nachdem sie zuerst das entgegengesetzte Prinzip ihren Gebrauchsmasken
zugrunde gelegt hatten.
- Ventillose Konstruktion. In diesem Punkte sind England und Frankreich im
Gegensatz zu Deutschland gewesen. Die Benutzung von Ventilen macht die
Atmung unter der Maske leichter. Die kompliziertere Ventilmaske ist aber im
Feldgebrauch erheblich schwerer im Zustand sicherer Gebrauchsbereitschaft und
Wirksamkeit zu erhalten. Die Einführung der Ventilmaske ist auf deutscher
Seite in den Jahren 1915 bis 1918 ständig erwogen und
versuchsmäßig bearbeitet worden. Rohstofffragen,
Fertigungsrücksichten und Gebrauchsbedingungen ließen aber die
Einführung immer wieder unratsam erscheinen.
Die deutsche Maskenfertigung wurde sogleich auf Millionenlieferungen
eingestellt. Im Sommer 1915 begann die Ausgabe.
Die geplante Einführung der Phosgengeschosse seitens der Franzosen war
auf deutscher Seite ebenso frühzeitig bekanntgeworden, wie seinerzeit der
Beginn der feindlichen Blasangriffe richtig vorausgesagt worden war. In beiden
Fällen aber drangen die Warnungen "des grünen Tisches" nicht bis
zur Truppe durch. Gegen die Phosgengeschosse waren die notwendigen
Maskenänderungen rechtzeitig durchgeführt worden. Die Ausgabe
der neuen Masken ging aber zu langsam.
Die eintretenden Verluste hatten wenigstens das Gute, die Notwendigkeit der
Gasdisziplin allen Stellen klarzumachen. Gaskurse, die übrigens bald bei
allen Heeren in ähnlicher Weise eingerichtet wurden und auf denen man die
Gasabwehr und später auch das Wesen des Gaskrieges selbst lehrte,
begannen außerordentlich nutzbringend zu wirken.
Deutscherseits, später auch auf der Gegenseite, erkannte man, daß die
Gasmaske ein persönliches Ausrüstungsstück jedes Mannes
sein müsse, wie etwa das Lederzeug oder der Helm. Jeder Mann
mußte Vertrauen zu dem ihm besonders verpaßten Gerät
gewinnen und es mit entsprechender Sorgfalt behandeln lernen. Appelle und
Übungen wurden abgehalten, um insbesondere das ständige
Vorhandensein der Maske, die schnelle Gasbereitschaft und das schnelle
Aufsetzen der Maske zu prüfen. Diesem Bedürfnis suchten auch
Konstruktionsverbesserungen entgegenzukommen
(Bereitschaftsbüchse usw.).
Eine schwierige Frage war die Haltbarkeit der Masken. Hier war Deutschland
wesentlich im Nachteil, da vielfach Ersatzstoffe verwendet werden mußten,
während der Feind bestes Material zur Verfügung hatte. Um so
sorgsamer mußte gearbeitet werden.
[507] Die Undichtigkeit einer
Maske war für den Laien oft nur schwer zu erkennen. Undichte Masken
aber waren teilweise schädlicher als gar keine, weil sie, wenn die
Schadhaftigkeit nicht vorher erkannt war, das trügerische Gefühl der
Sicherheit gaben. Solche Masken mußten, wenn sie beim Gebrauch den
Träger nicht schützten, das Vertrauen in die Zuverlässigkeit
des Gasschutzes erschüttern. Man richtete daher hinter der Front an vielen
Stellen Gasräume (Stinkräume) ein, in denen die Masken bei
verschiedenen Gasdichten gegen eigenes und feindliches Gas erprobt wurden und
in denen gleichzeitig die Ausbildung mit der Maske praktisch geprüft
wurde.
Zur Regelung des Nachschubs, zur Überwachung des
Gasschutzgeräts und zur Beratung in allen Gasschutzangelegenheiten
wurde ein besonderer Gasdienst eingerichtet. Eine solche Sonderorganisation
stellte sich bald bei allen Heeren als unentbehrlich heraus. Der ungeheure
Verbrauch an Gasschutzmitteln sowie die Eigenart dieser Mittel machten ihre
Tätigkeit immer bedeutungsvoller. Im deutschen Heere erhielten die
niederen Verbände Gasunteroffiziere, die höheren Gasoffiziere.
Hierzu wurden nach Möglichkeit wissenschaftlich gebildete Chemiker
ausgewählt. Die Gasoffiziere blieben später teilweise nicht auf die
Mitarbeit im Gasschutz beschränkt, sondern wurden auch zur Beratung
für andere Gaskriegsfragen herangezogen.
Schließlich sind noch die Maßnahmen zu erwähnen, die der
Einrichtung des sogenannten Gasalarms dienten. Sie bestanden in besonderen
Posten-, Fernsprech- oder Signallinien sowie insbesondere in
Lärminstrumenten aller Arten. Die Erfindungslust der Front fand hier ein
dankbares Feld der Tätigkeit.
Dem Gasalarm diente auch der Frontwetterdienst, der Witterung und Wind
dauernd auf Gasgefahr zu prüfen hatte. Dabei wurden natürlich
diejenigen Stellen besonders sorgfältig überwacht, die man aus
irgendeinem Grunde für besonders gasgefährlich hielt.
In den Jahren 1915 und 1916 spielte der Gasalarm gegen das Abblasen eine
große Rolle. Engländer und Franzosen bliesen sehr häufig ab.
Es gelang, durch strenge Befehle Verluste bald so gut wie ganz auszuschalten.
Später, als Gaswerfer- und Gasüberfälle der Artillerie die
bevorzugte Form des Gaskrieges wurden, verlor diese Art des Alarms an
Bedeutung. Der Wert der Gasdisziplin aber bezüglich Bereithaltung und
schnelles Aufsetzen der Maske erhöhte sich noch. Im Laufe der Zeit spielte
sich so ein im Frieden unbekannter Dienstzweig ein, der für Ausbildung
und Verwendung sowie für das tägliche Leben der Truppe
außerordentlichen Einfluß gewann. Mußte man doch bis viele
Kilometer hinter der Front in und außer Dienst seine Maske stets bei sich
führen! In den letzten Jahren des Krieges wurden sogar Masken für
Pferde, Hunde und Brieftauben gefertigt.3
[508] Auch Taktik und
Stellungsbau wurden durch die Notwendigkeit der ständigen
Rücksichtnahme auf das Gas stark beeinflußt. Alle Maßnahmen
mußten damit rechnen, alle Stellungen vom Standpunkte der Gasgefahr aus
beurteilt werden. So vermied man z. B. spätestens von 1917 ab
massierte Artilleriestellungen in Mulden, weil dort das Gas leicht
zusammenfloß. Überhaupt wurde jede Anhäufung von
Truppen im Gasbereich gefährlich. Man mußte deshalb noch mehr als
bisher Versammlungsstellen, Ausgabestellen für Verpflegung,
Befehls- und Beobachtungsstellen auseinanderlegen und gegen Sicht decken.
Rückwärtige Verbindungen waren so zu führen, daß sie
nicht leicht durch Vergasung gesperrt werden konnten, Unterstände
erhielten besonderen Gasschutz durch Vorhänge und andere
Dichtungsmittel.
Immer umfassender wurde die Rolle des Gases! Die Notwendigkeit der
Gasdisziplin galt anfangs nur für den Stellungskrieg. Gegen Ende des
Krieges aber begann man das Gas auch im Bewegungskrieg zu verwenden.
Niemals mehr durfte die Gasdisziplin vernachlässigt werden. Wo dies
geschah, zahlte die Truppe Lehrgeld in Gestalt oft sehr empfindlicher
Verluste.
Immer schwerer aber wurde es, sich gegen das Gas zu schützen. Neue Gase
kamen auf, die die Masken durchschlugen (Blaukreuz) oder die kaum
wahrnehmbar waren und durch die Kleider hindurch wirkten, wobei die Wirkung
oft erst nach Tagen ausbrach (Gelbkreuz).
Alle möglichen Mittel wurden außer den bereits genannten zum
Gasschutz versucht: Sauerstoffapparate, die den Träger von der
umgebenden Luft unabhängig machten, Zerstäuber für
Flüssigkeiten, die das Gas niederschlagen sollten, ganze
Gasschutzanzüge, durch die das Gelbkreuz nicht hindurch
ging u. a. Wenn die Gasverwendung einigermaßen
sachgemäß war, war aber trotzdem eine mehr oder weniger
große Behinderung der Kampftätigkeit und eine erhebliche
Belästigung des täglichen Lebens selbst bei bestem Gasschutz
unvermeidlich. Oft blieb nichts übrig, als vergastes Gelände einfach
zu räumen. Immer empfindlicher wurde die Beanspruchung der Nerven
durch die Gasgefahr. Die dauernde Gasbedrohung beschleunigte die
Zermürbung eingesetzter Verbände.
Wenn man die Kriegsereignisse nach ihrer verhältnismäßigen
Bedeutung beurteilt, wenn man die einzelnen Kriegserscheinungen gegeneinander
abwägt, so wird man nicht übersehen dürfen, wie stark die
ständige Rücksichtnahme auf das Gas, die immerwährende
Gasbereitschaft Führung und Truppe in wachsendem Maße
beeinflußt haben. Auch der beste Gasschutz war ja stets bis zu einem
gewissen Grade beschwerlich und hinderlich, ganz abgesehen von der
großen Belastung durch die Arbeit für seine Instandhaltung. Diese
Tatsache ist ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Beurteilung der
Bedeutung des Gaskrieges im Rahmen des Gesamtkrieges.
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