[Bd. 3 S. 93]
E. T. W. Hoffmann geb. Königsberg in Preußen den 24 Januar 1776 gest. Berlin den 25 Juny 1822 Kammer Gerichts Rath ausgezeichnet im Amte als Dichter als Tonkünstler als Maler. Gewidmet von seinen Freunden. Man hatte nicht zuviel gesagt: ein tüchtiger Beamter, ein genialer Dichter, ein echter Musiker, ein talentvoller Zeichner und – was die Freunde noch hätten hinzusetzen können – ein ganzer vollwertiger Mensch waren mit ihm dahingegangen. War er als Beamter, als Komponist und als Maler nur verhältnismäßig wenigen bekannt gewesen, als Schriftsteller bewunderte ihn schon zu seinen Lebzeiten die ganze Nation, obwohl damals selbst seine berühmtesten Kollegen in Apoll das wahrhaft Bedeutende in seinen Werken, nämlich das, was ihm allein eigen war und vor allen andern auszeichnete, weder zu erkennen noch zu würdigen wußten. Seine große Beliebtheit bei einem damals sehr lesefreudigen Publikum schwand aber, da es nur am Stofflichen seiner Schriften Vergnügen gefunden hatte, rasch dahin, sobald Buchhandlungen, Almanache und Tagesblätter keine Neuigkeiten von ihm mehr bieten konnten. Wenn auch die stillen Liebhaber seiner Muse in späterer Zeit – zu ihnen gehörten besonders Künstler und Dichter – niemals ausstarben, Hoffmanns glänzender Name verblich dennoch bald, und da, wo man ihn noch nannte oder nennen mußte, hatte er seinen einstigen Silberklang verloren. [94] Aber merkwürdig: während der Deutsche seinen originellsten Schriftsteller zu vergessen begann, in einer fremden Nation lebte dieser in ungeahnter Jugendfrische wieder auf, ja man wob ihm jetzt einen so strahlenden Ruhmeskranz ums Haupt, daß er über ganz Europa hinwegleuchtete. Schon bald nach Hoffmanns Tode erschien in Paris eine Gesamtausgabe seiner Schriften, die zahlreiche Trabanten in Gestalt schön gedruckter und mit reizvollen Bildern geschmückter Einzelausgaben im Gefolge hatte. Bei den Franzosen wurde unser Hoffmann plötzlich der Dichter des Tages, ja er galt ihnen geradezu als der Prototyp eines deutschen Dichters überhaupt und des deutschen Parnasses erster Stern. Das geheimnisvolle, die Phantasie beflügelnde Zwielicht, das schaurig Dämmerige, die tiefen Schatten bei grellster Beleuchtung, das nordisch Nebelhafte, wie es sich etwa um die Erzählung "Das Majorat" wob, erschien ihnen als echt germanisch. Das Entzücken, das Hoffmanns Erzählungen bei ihnen auslöste, veranlaßte sie, sich für die gesamte deutsche Literatur, besonders für die Romantik, zu interessieren, und es ist bezeichnend, daß es die Antipoden Hoffmann und Goethe waren, die ihnen als die bedeutendsten Repräsentanten deutscher Dichtung erschienen. Trotzdem war diese für literarische Feinheiten so empfängliche Nation nicht befähigt, Hoffmann in seiner ganzen Tiefe zu erfassen. Sie liebten an seinen Werken die rasch bewegte Handlung, die bunten, so überaus lebendigen Figuren und das mit ihnen verbundene Phantastische, Bizarre, Skurrile und Groteske und wußten es auch in ihre Sprache treffend zu übertragen. Aber den eigentlichen Ideengehalt des tiefsinnigen Seelenforschers, das rein Poetische, also das wahrhaft Deutsche an Hoffmann, vermochten sie nicht nachzuempfinden, was dadurch kenntlich wird, daß die Übersetzer alles fortließen, was ihnen in dieser Hinsicht unverständlich oder gar abgeschmackt erschien. Nur deutsche Wesensverwandtschaft vermag Hoffmann in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen, das zeigen uns unsere urdeutschen Dichter Friedrich Hebbel, Otto Ludwig, Theodor Storm, Gottfried Keller und Wilhelm Raabe, die ihn bewunderten und auch literarisch nicht unbeeinflußt von ihm blieben. Sie waren es, die Hoffmann unversehrt wie eine gläserne Kostbarkeit durch die Zeiten getragen haben und den Weg zu einem neuen Verständnis seiner nun erst wahrhaft erkannten Kunst, wie es um die Jahrhundertwende lebendig wurde, anzubahnen vermochten. Völlig verstanden ist Hoffmann trotzdem bis heute nicht. Den Franzosen aber hat er die eigene literarische Produktion Jahrzehnte hindurch, im guten wie im schlechten Sinne, befruchtet. Ja Hoffmann ist der einzige deutsche Dichter, der bei ihnen Schule gemacht hat, er galt ihnen geradezu als der deutsche Klassiker. Von dieser großen Wirkung seiner Kunst auf das Ausland hat Hoffmann Zeit seines Lebens nichts geahnt, nichts ahnen können, und es ist eine Ironie des Schicksals, daß er selbst den Franzmännern wenig hold war. In seinen Schriften findet man kaum eine Stelle, die ihnen etwas Anerkennendes oder gar Lobendes sagte. [95] Auch in seinen Tagebüchern aus dem Jahr 1813 findet man keine liebenswürdigen Worte über sie, was nicht allein auf die Unbilden, die er mit dem übrigen Deutschland durch sie erleiden mußte, zurückzuführen ist. Er hatte damals Gelegenheit genug, Studien am lebenden Modell zu machen. In Napoleon erblickte er – im Gegensatz zu so vielen andern – nichts anderes als den grausamen Tyrannen, und Hoffmanns "Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden" und die Skizze "Der Dey von Elba in Paris" zeugen von seinem tiefen Haß gegen den Völkerzertrümmerer. Sein Deutschtum empfand Hoffmann so stark wie nur wenige andere Schriftsteller seiner Zeit. Alle guten Eigenschaften und Leistungen seiner Nation weiß er stets in das hellste Licht zu rücken. Er rühmt den deutschen Humor und gesteht, daß ihm der echt französische Witz im höchsten Grade fatal sei. Von dem nach äußern Effekten haschenden Komponisten Spontini sagt er einmal: "Spontini hat zu lange in Frankreich gelebt, er muß erst ein Deutscher werden, dann wird er erst etwas Tüchtiges schreiben!" Er war aber keineswegs blind gegen wahre Verdienste, was seine Vorliebe für Rabelais, Diderot und andere beweist. Auch sonst zeigt sich ein starkes Rassenbewußtsein bei ihm; seine Abneigung gegen das Judentum hat in seinen Erzählungen "Die Brautwahl", "Die Irrungen" und "Die Geheimnisse" ihren poetisch-satirischen Niederschlag gefunden. Es ist überhaupt bezeichnend für Hoffmann, daß sich alles äußere und innere Erleben, seine volle Persönlichkeit mit all ihren Vorzügen und Schwächen in seinen Schriften abspiegelt. Hoffmann war es, der seine schriftstellernden Kollegen auf das wirkliche Leben als einzige Quelle aller Poesie hingewiesen hatte, und einer von diesen bestätigte es öffentlich, daß Hoffmann mehr als seine Studierlampe gekannt, daß die Zeit ihn gerüttelt und gebildet habe. Er nennt ihn einen feinen Beobachter, voll dichterischer Schönheit, und fügt hinzu: "In scherzhaftem Gewande war er eine scharfe Geißel der Stubengelehrten, deren Wissen, wie er sich ausdrückte, einer umgestürzten Bibliothek gleicht, in Schweinsleder gebunden." Kaum bei einem andern Schriftsteller wird man so neugierig auf sein Leben und Treiben, wenn man seine Werke liest, wie bei E. T. A. Hoffmann. Das macht nicht allein die dichterische Leistung an sich, sondern man spürt: hier schreibt kein Literat, hier atmet eine durch und durch künstlerische Persönlichkeit. Man lebt Hoffmann, man liest ihn nicht. Sein äußeres Leben sei kurz umrissen. In der Französischen Straße zu Königsberg wurde er geboren. Sein Vater, der Justizkommissar Christoph Ludwig Hoffmann, Sohn eines Pfarrers, hatte seine Cousine Luise Albertine Doerffer, Tochter des Hofgerichtsadvokaten Johann Jakob Doerffer, geheiratet. Die Ehe, von Anfang an unglücklich, wurde nach zwölf Jahren geschieden. Das ungleiche Paar – der Mann zu Ausschweifungen neigend, aber geistreich und voll künstlerischer Anlagen, die Frau von peinlichster Akkuratesse, nach den strengen Grundsätzen ihrer Familie erzogen, überdies kränklich – fand keinen gemeinsamen Weg. [96] Ernst Theodor blieb nach Trennung der beiden bei der Mutter, die in das elterliche Haus in der Junkergasse (jetzt Poststraße 13) zurückkehrte. Hier lebten noch die würdige, aber hinfällige Großmutter, eine unverheiratete Tante und ein lediger Onkel Otto Wilhelm Doerffer. Letztere zwei übernahmen die Erziehung des kleinen Ernst, welcher sich der heitern und geselligen Tante vertrauensvoll anschmiegte, während ihm der dicke, diätetisch eingestellte Onkel, von ihm nach den Anfangsbuchstaben seiner Vornamen der "Oh-weh-Onkel" genannt, bald zur Zielscheibe versteckter Bosheiten dienen mußte. Das lebhafte, vom Vater ererbte Temperament trieb ihn schon früh zu geheimer Auflehnung gegen die grenzenlose, zum Lachen reizende Pedanterie seines Erziehers und zeugte im Verein mit scharfer Beobachtungsgabe eine Spottlust, die sich im Lauf der Jahre, wenn man so sagen darf, veredelte und zu jener geistreichen Ironie entwickelte, die seinen späteren literarischen Erzeugnissen ihren eigenartigen Stempel aufdrücken sollte. Mit sechs Jahren kam Ernst Theodor auf die Burgschule, wo er kein besserer oder schlechterer Schüler war als im Durchschnitt die andern auch. Einen großen Einfluß auf ihn gewann ein Mitschüler, der gleichaltrige Theodor Gottlieb von Hippel, ein Neffe des humoristischen Romanschriftstellers gleichen Namens. Aus anfänglicher Kameradschaft entstand ein Freundschaftsbund, der ihr ganzes Leben hindurch jede Probe bestehen sollte. Der schlichte, zurückhaltende, aber sehr aufnahmefähige Hippel (er verfaßte später den berühmten "Aufruf an mein Volk") bildete eine wundervolle Ergänzung zu dem lebhaften, erfinderischen und tatendurstigen Hoffmann. Hoffmanns umfangreicher Briefwechsel mit ihm ist das schönste Denkmal einer Freundschaft unserer gesamten deutschen Literatur. Im Jahre 1792, sechzehn Jahre alt, bezog Hoffmann die Königsberger Universität. Er besuchte pünktlich die Vorlesungen und galt für außerordentlich fleißig. Die Freizeit wurde künstlerischer Betätigung gewidmet. 1795 bestand er sein Auskultatorexamen und blieb vorerst zu Königsberg im Amte. Als kaum ein Jahr später die Mutter starb, siedelte er im Sommer 1796 nach Glogau über, wo er bei seinem Onkel Johann Ludwig Doerffer, Rat am Obergericht, freundlichste Aufnahme fand. An seinem muntern, aufgeweckten und witzigen Vetter Ernst Ludwig Hartmann Doerffer fand er einen lustigen Kameraden, an seiner Cousine Minna aber ein so großes Gefallen, daß er sich zwei Jahre später mit ihr verlobte. Aus nicht recht geklärten Gründen löste er im Jahre 1802 von Posen aus die Verbindung wieder. Freundschaftliche Beziehungen zu dem Miniaturmaler Aloys Molinary und besonders zu dem Musiker Johannes Hampe brachten eine angenehme Abwechslung in sein etwas eintöniges Dasein. Am 15. Juli 1798 bestand er die Referendarprüfung, und als sein Onkel zur gleichen Zeit zum Obertribunalsrat in Berlin ernannt wurde, beantragte er ebenfalls seine Versetzung dorthin. Vor seiner Übersiedlung machte er eine Reise in das Riesengebirge. Ende August finden wir ihn in Berlin, wo er am 27. März 1800 das große Staatsexamen besteht. Die reichen künstlerischen Genüsse, die ihm Preußens Hauptstadt [97] bot, Theater, Konzerte, Kunstausstellungen, regten ihn zu eigener Betätigung auf dem Gebiet der Musik, Malerei und Schriftstellerei an. Als Assessor kam er an das Obergericht in Posen. Das freie, bunte, lustige Leben, das hier herrschte, blieb nicht ohne Eindruck auf ihn. Widerstand er am Anfang der Verführung, so verfiel er ihr später um so gründlicher. Er beging allerlei Ausschweifungen, die zur Übersteigerung aller Empfindungen führten und wohl auch für seine Gesundheit, für sein ganzes späteres Leben nicht ohne nachhaltige Folgen blieben. Er geriet, wie er selbst sagte, in einen Kampf von Gefühlen und Vorsätzen, die sich geradezu widersprachen, er wollte sich betäuben und wurde, was Schulrektoren, Prediger, Onkels und Tanten liederlich nennen. Aber seine künstlerischen Bestrebungen gab er nicht auf. Er fand literarisch interessierte Freunde und holte sich, zum ersten Male in seinem Leben, einen öffentlichen Erfolg durch die Aufführung des von ihm komponierten Singspiels "Scherz, List und Rache" mit dem Goetheschen Text. Am 25. Juli 1802 heiratete er Michalina Rorer (polnisch Trzinska), die er einige Zeit vorher kennen- und liebengelernt hatte. Sie blieb ihm eine treue, aufopfernde, sich ihm durchaus unterordnende Lebensgefährtin bis an sein Ende. Doch bevor noch diese Vereinigung geschlossen war, ereignete sich ein Skandal, der dem fröhlichen Posener Treiben ein jähes Ende bereiten sollte. Auf einem Maskenball der Deutschen Gesellschaft Posens wurden von einem Bilderhändler Karikaturen auf einzelne Mitglieder verteilt, die anfangs Gelächter, später, als die Verspotteten sich erkannten, helle Empörung hervorriefen. Als Urheber dieser Blätter wurde Hoffmann erkannt, und in derselben Nacht ging eine Estafette mit einer Beschwerde nach Berlin. Die Folge war, daß Hoffmann nach Plock, einem kleinen polnischen Nest im damaligen preußischen Polen, strafversetzt wurde, wohin er im Mai übersiedelte. Etwas später kehrte er zu seiner Hochzeit nach Posen zurück und begab sich dann mit seiner jungen Gattin in die Verbannung. Es war ein trostloses Leben dort, nur die Beschäftigung mit Musik und Malerei konnte die Lage einigermaßen erträglich machen. Hier schrieb Hoffmann sein erstes und einziges, heute verschollenes Lustspiel "Der Preis", auch wurde zum ersten Male eine literarische Arbeit von ihm, das "Schreiben eines Klostergeistlichen an seinen Freund in der Hauptstadt" in Kotzebues Zeitschrift Der Freimüthige gedruckt. Alle Anstrengungen, Kompositionen in einem Verlag unterzubringen, mißglückten.
In diese Idylle brach der Krieg. Die Schlacht bei Jena war geschlagen. Ende November 1806 rückten die Franzosen in Warschau ein und lösten die preußische Regierung auf. Hoffmann, anfangs noch vor Not geschützt, gab sich ungehemmt seinen künstlerischen Arbeiten hin, doch sandte er bald seine Gattin zu ihren Verwandten nach Posen. Nicht lange danach ergriff ihn ein heftiges Nervenfieber. Genesen, zwangen ihn die Umstände, Warschau zu verlassen (denn welcher preußische Beamte mochte einen französischen Huldigungseid leisten?), und im Juli 1807 begab er sich nach Berlin. Es war ein unglückseliges Jahr, das er hier verbringen mußte. An eine anderweitige Anstellung im Staatsdienst war nicht zu denken, alle Versuche, seine künstlerischen Talente auszunutzen, waren vergeblich, kein Verleger fand sich, der seine Kompositionen drucken lassen wollte. Seine Frau erkrankte schwer, sein kleines Töchterchen Cäcilie starb. Mühsam und unter den größten Entbehrungen rang er sich durch, tagelang mußte er sich ausschließlich von Brot ernähren. Im Herbst schrieb er ein Inserat für den Reichsanzeiger, in dem er an einer Bühne Unterkommen als Kapellmeister suchte. Anfang des nächsten Jahres (1808) kam ein Antrag des Grafen Julius von Soden, der im kommenden Herbst die Verwaltung des Bamberger Theaters zu übernehmen gedachte. Freudig nahm Hoffmann an und komponierte als Beweis seines Könnens Sodens "Trank der Unsterblichkeit". Sein Verkehr in Berliner Dichterkreisen scheint damals noch sehr oberflächlich gewesen zu sein, er machte jedoch Bekanntschaft mit Schleiermacher, Zelter, Bernhardt, Robert und anderen. Bis zu seiner Übersiedlung in den neuen Wirkungskreis schrieb er noch ein paar kleinere Kompositionen, machte nähere Bekanntschaft mit einer schönen Frau, unternahm eine kleine Spritztour nach Glogau, holte in Posen seine Gattin ab und fuhr mit ihr nach Bamberg, wo er am 1. September 1808 eintraf. Hier erlebte er eine große Enttäuschung. Zunächst entsprachen die dortigen Verhältnisse am Theater durchaus nicht seinen Erwartungen: das Orchester und [99] die Sänger waren schlecht. Dann fiel die erste Oper, die Hoffmann zu dirigieren hatte, Bartons "Aline, Königin von Golkonda", durch. Er selbst mißfiel dem Publikum, und die Musiker, ihrem alten, durch den norddeutschen Neuling vertriebenen Kapellmeister Dittmaier zugetan, nahmen eine feindliche Haltung gegen ihn ein. Der Leiter des Theaters, ein Schauspieler Cuno, zwang ihn, vom Dirigentenpult abzutreten, und stellte ihn als Theaterkomponist mit dem kläglichen Monatsgehalt von dreißig Gulden an. Da überdies die finanzielle Lage des Unternehmens die denkbar schlechteste war, so stand der Zusammenbruch unmittelbar bevor. Zu seinem Glück konnte sich Hoffmann durch Gesangsstunden in angesehenen Familien der Stadt einigermaßen über Wasser halten. Der Talentlosigkeit mancher Schüler, die dem empfindsamen Lehrer die größten Qualen bereitete, verdanken wir jedoch die prachtvollen Schilderungen in den "Fantasiestücken", worin sich ein grimmiger Humor in beißenden Sarkasmen entlädt. Schon zu Anfang des Jahres 1809 war Hoffmann in Verbindung mit dem Leipziger Hofrat Friedrich Rochlitz, dem Herausgeber der hochangesehenen Allgemeinen Musikalischen Zeitung, gekommen. Am 12. Januar hatte er die kleine Skizze "Ritter Gluck" eingesandt und sich zu Besprechungen musikalischer Werke wie zu allgemeiner gehaltenen Aufsätzen über Musik erboten. Seine Arbeiten fanden Beifall, und von nun ab wurde er ständiger Mitarbeiter dieser vortrefflichen Zeitschrift. Seine später gesammelten Beiträge daraus (Kreisleriana) bilden zu einem sehr großen Teil den Inhalt seiner "Fantasiestücke in Callots Manier", die vier Jahre später erschienen sind. Erst mit dem kleinen Meisterwerk "Ritter Gluck" ist E. T. A. Hoffmann als Schriftsteller von Rang in die deutsche Literatur eingetreten. Im September wurde Sodens Melodram "Dirna" mit Hoffmanns Musik aufgeführt. Im April des kommenden Jahres übernahm Franz von Holbein, der Hoffmann bereits von Berlin her kannte, die Leitung des Theaters, und mit seinem Erscheinen begann für diesen, der von ihm gleich als "Direktionsgehilfe" angestellt wurde, eine außerordentlich lebhafte Tätigkeit als Theaterkomponist, Dekorationsmaler, Bühnenarchitekt und Dramaturg, die er mit dem ganzen Feuer seines künstlerischen Temperaments ergriff. Unter Holbein nahm die bisher arg vernachlässigte Bühne einen bedeutenden Aufschwung. Neben den für das Publikum unerläßlichen Unterhaltungsstücken kamen Shakespeare, Calderon – in Aufführungen, die in ganz Deutschland von sich reden machten – und Kleists "Käthchen von Heilbronn" auf die Bretter. Hoffmann bewohnte ein Poetenstübchen hoch über dem Theaterplatz, seiner Wirkungsstätte schräg gegenüber. Hierin befand sich auch das Gasthaus "Zur Rose", wo er sich mit seinen Freunden Holbein, dem Medizinaldirektor Adalbert Friedrich Marcus, dem Arzt Dr. Friedrich Speyer, Künstlern und Kunstenthusiasten zu treffen pflegte. Dank Hoffmanns belebender Wirkung ging es hier angeregt und oft ausgelassen genug zu. Seine witzigen, geistreichen Einfälle [100] machten selbst die Trägen mobil und einten die heterogensten Gemüter. Am häufigsten verkehrte er mit dem Wein- und Buchhändler Carl Friedrich Kunz, einem großen, sehr behäbigen und umgänglichen Manne, der über vielerlei, was Hoffmann interessierte, Bescheid wußte, der einen großen Weinkeller voll Burgunderflaschen besaß, in dem die beiden in fröhlichster Ausgelassenheit pokulieren konnten, und daneben eine Leihbibliothek, in der allerlei literarische Leckerbissen zu finden waren. Mit Kunz machte Hoffmann an freien Nachmittagen Spaziergänge in die schöne Umgebung der Stadt, etwa nach dem nahen Vergnügungsorte Bug, besuchte er die Bälle der Harmonie, kurz er war ihm ein bequemer Gesellschafter, der zu jedem Vorschlag, er mochte noch so ungewöhnlich sein, niemals nein sagte. Mit Kunz besprach er literarische Pläne, schrieb auch, durch ihn angeregt, die aus Bamberger Erlebnissen zusammengesetzte satirische, reichlich mit Bosheit geladene "Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza", die dann Anlaß zu einem Verlagsobjekt, und, so seltsam es auch anmutet, zum Grundstein der "Fantasiestücke" wurde, die im März 1813 Kunz in Verlag nahm. Diese verlegerischen Beziehungen hatten im weiteren Verlauf zur Folge, daß die alten kameradschaftlichen darüber in die Brüche gingen.
Ein Erlebnis erotischer Natur war es, das als der stärkste aller Bamberger Eindrücke verzeichnet werden muß: die Liebe zu einer blutjungen Schülerin von ihm, Julia Mark, der Tochter der verwitweten Konsulin Fanny Mark, in deren Hause er auf das freundlichste aufgenommen worden war. Es war eine Liebe voll heftigster Leidenschaft, die Seele und Körper mit elementarer Kraft ergriff und von nachhaltigster Wirkung war. Wer Hoffmanns Tagebücher liest, wird von diesen in rasender Leidenschaft gemachten Eintragungen selbst aufs stärkste gepackt und erschüttert werden. Es war eine heftige Liebe, die keine Erfüllung finden sollte. Julia heiratete auf Wunsch ihrer Mutter einen reichen Hamburger Kaufmann, einen verlebten, kranken, durchaus verächtlichen Menschen. Für Hoffmann jedoch hatten diese seelischen Erschütterungen, die ihn wie kaum je einen zweiten vom Himmel zur Hölle und wieder hinauf und hinunter geworfen hatten, zur Folge, daß sie seine Empfindungen allgemach vergeistigten und sein Künstlertum, das bisher doch erst in der Knospe geschlummert hatte, [101] zum vollen Erblühen brachten. Ohne die nie gestillte Leidenschaft zu Julia Mark wäre er niemals der Dichter geworden, zu dem wir heute in Bewunderung aufsehen. Julias Bild schimmert uns aus vielen Dichtungen lieblich entgegen, verklärt, veredelt. Mit Julias Heirat am 3. Dezember 1812 hatte das schöne Bamberg für Hoffmann jeden Glanz verloren. Schon ein Vierteljahr früher hatte ihm die Konsulin wegen eines unerfreulichen Auftritts mit dem Bräutigam, bei der des Nebenbuhlers Eifersucht zu einer jede gesellschaftliche Rücksicht außer acht lassenden Entladung gekommen war, das Haus verboten. Dazu kam, daß er mit Holbeins Weggang von Bamberg, der Ende Februar die Direktion niedergelegt hatte, auf kein Gehalt mehr rechnen konnte und nun bei seinen sonstigen geringen Einnahmen wieder Mangel litt, nachdem er schon vorher niemals aus den Geldsorgen herausgekommen war. In dieser Not traf eine Anfrage des Theaterdirektors Joseph Seconda ein, der seit dem Jahre 1810 mit einer neugegründeten Truppe abwechselnd in Dresden und Leipzig spielte, ob Hoffmann geneigt sei, die eben freigewordene Kapellmeisterstelle zu übernehmen. Mit einem Gefühl der Befreiung nahm dieser an, und am 21. April 1813 trat er mit seiner Frau die Reise nach Dresden an, wo er am 25. April eintraf. Aber Seconda hatte wegen der drohenden Kriegswirren seine Zelte hier abgebrochen und war nach Leipzig übergesiedelt, wohin sich nun auch Hoffmann am 20. Mai begab. Er wurde freundlich empfangen, auch auf der Redaktion der Allgemeinen Musikalischen Zeitung fand er offene Arme. So gut sich anfangs seine Tätigkeit am Theater auch anlassen wollte, Seconda kündigte plötzlich der Gesellschaft, die jetzt auf eigene Rechnung weiterspielte. Neue Not, neue Sorgen. Da erhielt Seconda die Erlaubnis, auf dem Dresdener Hoftheater zu spielen. Ende Juni begab sich die Truppe dorthin und begann mit einer Aufführung des "Don Juan", die weder zu Hoffmanns noch zu Secondas Zufriedenheit ausfiel. Trotz zahlreicher Vormittagsproben und Abendvorstellungen fand Hoffmann Zeit, sich fleißig seiner literarischen Produktion hinzugeben und eifrig an der Komposition der "Undine" zu arbeiten. Unterdessen nahm der Kriegstrubel von Tag zu Tag zu. Am 26. August traf Napoleon mit seinen Garden ein. Hoffmann hatte seine Augen überall und kam bei der heftigen Beschießung der Stadt mehr als einmal in Lebensgefahr. Der furchtbare Anblick eines Schlachtfeldes veranlaßte ihn zur Abfassung einer von Empörung gegen den Vernichter Deutschlands flammenden Flugschrift "Die Vision auf dem Schlachtfeld bei Dresden". Für seine Freunde schrieb er einen Auszug aus seinen Tagebüchern unter dem Titel "Drei verhängnisvolle Monate", der leider Fragment geblieben ist. Auch im vierten Bande seiner Serapionsbrüder finden wir eine anschauliche Schilderung jener kriegerischen Tage. Er verkehrte viel im Kaffeehaus von Eichelkraut, wo sich vaterländisch gesinnte Männer trafen und kein Franzose Einlaß erhielt. Hier lernte er die Schriftsteller Theodor Hell (Hofrat Winkler) und den unter dem [102] Decknamen Friedrich Laun schreibenden Friedrich August Schulze, einen gemütvollen, liebenswürdigen Mann, kennen. Trotz aller Gefahren, aller Unruhe, aller überwältigenden Ereignisse arbeitete er eifrig an der Fortsetzung seiner "Fantasiestücke". Dem "Magnetiseur" folgte das Märchen vom "Goldnen Topf", sein Meisterwerk. Selbst während der Belagerung der Stadt, die einen großen Lebensmittelmangel und ansteckende Krankheiten im Gefolge hatte, wurde das Theater nicht geschlossen. Bis zum 8. Dezember wurde gespielt, dann begab sich Seconda mit seiner Gesellschaft nach Leipzig zurück, wo sie am 10. Dezember eintrafen. Im "Goldenen Herz" in der Fleischergasse nahm Hoffmann ein Zimmerchen, worin er während seines ganzen Leipziger Aufenthalts hauste. Krankheit, Geldsorgen, denen er durch ganz gut bezahlte Karikaturzeichnungen auf Napoleon abzuhelfen versuchte, und Unstimmigkeiten mit Seconda verbitterten ihm das Dasein. Am 26. Februar 1814 erhielt er die Kündigung seines Vertrages. Trotzdem schwand ihm der Mut nicht. Er schrieb den "Ignaz Denner" und den ersten Teil seines Romans Die Elixiere des Teufels. Als wertvollste Bekanntschaft dieser Zeit wollen wir nur die mit Adolf Wagner, Richard Wagners Onkel, anführen, dessen großes Wissen ihm hohe Achtung abnötigte. Anfang Juli kam sein Freund Hippel nach Leipzig und machte ihm Hoffnung auf eine Wiederanstellung im Staatsdienst. Und wirklich wurde ihm einige Zeit später von seiten des Justizministeriums angeboten, ein halbes Probejahr beim Kammergericht zu arbeiten, um dann in eine Ratsstelle einzurücken. Der von Sorgen und Kummer bedrängte Genius hatte die Flügel sinken lassen, Hoffmann griff zu. Am 26. September 1814 traf er in Berlin ein. Schnell fand er sich wieder zurecht und zeigte sich auf dem Kammergericht allen Anforderungen gewachsen, ja er gewann von seiten seiner Vorgesetzten die höchste Anerkennung. Aber erst am 1. Mai 1816 wurde er als Kammergerichtsrat fest angestellt. Obwohl er alle Arbeiten aufs pünktlichste erledigte, fand er genügend freie Zeit zu einer künstlerischen Betätigung. Sein Warschauer Freund Hitzig, der ebenfalls wieder in den Staatsdienst eingetreten war, nachdem er in der Zwischenzeit mit Erfolg eine Buchhandlung geleitet hatte, war es, durch den er bald Anschluß an bedeutende Vertreter des Schrifttums fand, von denen ihn die dort lebenden Romantiker am meisten anzogen. Durch seinen Verkehr mit Adelbert von Chamisso, Carl Wilhelm Salice Contessa, Friedrich Baron de la Motte Fouqué, dem Arzt Ferdinand Koreff, Tiecks Schwager Ferdinand Bernhardi und anderen, deren Einfluß auf seine Dichtungen viel bedeutender ist, als man bisher weiß oder zugeben will, wurde seine eigene literarische Tätigkeit angeregt und befruchtet. Mit Achim von Arnim und dem "tollen" Clemens Brentano, der ihm offenbar nicht sonderlich sympathisch war, ist er nur in oberflächliche Berührung gekommen. In der Anfangszeit trafen sich auf Hitzigs Anregung die eben genannten sowie einige andere literarisch interessierte Freunde in einem kleinen Kaffeehaus, wo sie miteinander Pläne und Gedanken austauschten. Später, als der Kreis kleiner wurde, fanden [103] sie sich in Hoffmanns Wohnung zusammen oder an warmen Sommerabenden in einer Gartenwirtschaft. Sie nannten sich nach einem Heiligen dieses Namens "Serapionsbrüder", und Hoffmann hat in Erinnerung an diese anmutigen Zusammenkünfte einer vierbändigen Geschichten- und Märchensammlung den Titel Die Serapionsbrüder gegeben, in deren Rahmenerzählung, mit treffender Charakteristik gezeichnet, die einzelnen Teilnehmer unter den Namen Theodor, Cyprian, Lothar, Ottmar, Sylvester und Vinzenz auftreten. Außerhalb dieses Kreises verkehrte Hoffmann in angesehenen Familien, die sich um den bereits berühmtgewordenen Verfasser der "Fantasiestücke" eifrig bemühten. Aber das hohle gesellschaftliche Treiben, besonders die ästhetischen Tees mit Vorlesungen fader Poesien oder dilettantischen Darbietungen am Klavier begannen ihn bald zu langweilen und so zu ärgern, daß er bei seinen Äußerungen darüber kein Blatt vor den Mund nahm und nach weiteren Enttäuschungen derlei Unterhaltungen endgültig mied. Doch hatte er durch sie allerlei wertvolle Bekanntschaften gemacht, unter denen sich Graf Pückler-Muskau, der Komponist Ludwig Berger, der Maler Wilhelm Hensel und der geniale Schauspieler Ludwig Devrient befanden. Mit letzterem schloß er bald eine innige Freundschaft. Da beide einen guten Tropfen zu schätzen wußten, trafen sie sich, meist nach den Theatervorstellungen, in der Weinstube von Lutter und Wegner, wo sie sich in angeregten Gesprächen bis in die Morgenstunden ergingen. Devrient war ein ausgesprochener Trinker, aber auch Hoffmann gab ihm, obwohl manchmal das Gegenteil versichert worden [104] ist, in dieser Hinsicht nur wenig nach. Allmählich gesellten sich allerlei Bekannte zu ihnen, und in nicht gar zu langer Zeit entwickelte sich eine Tafelrunde von solcher Eigenart, daß nicht nur ganz Berlin, sondern halb Deutschland von ihr sprach.
Da Hoffmanns Biograph Hitzig dies Weinhausleben aufs höchste mißbilligte, teils aus moralischen Gründen, teils weil er sich selbst dadurch vernachlässigt fühlte, hat er uns über Art und Zusammensetzung dieses Stammtisches nichts Näheres überliefert. Die Sage aber hat um den Kreis bei Lutter und Wegner ein so krauses und phantastisches Rankenwerk gewoben, daß wir heute Wahrheit und Dichtung nicht mehr zu trennen vermögen. Künstler und Schauspieler mögen in erster Linie Teilnehmer gewesen sein, daneben einige literarisch interessierte Offiziere wie der Freiherr Ferdinand Moritz von Lüttwitz, Ludwig August von Rebeur, Friedrich Wilhelm d'Elpons und Eugen Baron von Vaerst, der später durch seine "Cavalierperspektive" und seine "Gastrosophie" einen Namen erhalten sollte. Wie es sich wohl von selbst versteht, ging es in dieser Runde äußerst lebendig und ausgelassen zu, und Hoffmann als Seele des Ganzen übertraf sich selbst und versetzte durch seine sich überstürzenden witzigen Einfälle und eine unerhörte Schlagfertigkeit die an sich schon hinreichend animierte Gesellschaft in tobendes Entzücken. An der Einzigartigkeit der mit wahrem Geist und Humor durchsetzten Atmosphäre dieser tollen Symposien kann nicht gezweifelt werden. Unbegreiflich aber ist es, wie Hoffmann bei solchem Leben zu seiner geradezu erstaunlichen literarischen Produktion dieser Berliner Jahre kommen konnte. Vormittags arbeitete er, wie sein Biograph erzählt, auf dem Kammergericht oder zu Hause an den Akten und erledigte mit musterhafter Pünktlichkeit alle Berufsarbeiten. Nachmittags schlief er oder ging spazieren, den Abend und die Nacht verbrachte er in seiner Weinstube. Sehr häufig, eine Zeitlang täglich, war er mittags und abends in Gesellschaft, aber nie versäumte er, so spät es auch sein mochte, noch zu Lutter zu gehen, um dort den Morgen zu erwarten, denn sich früher nach Hause zu begeben, war ihm unmöglich. Wann er aber seine zahlreichen Märchen und Geschichten bei solcher Tageseinteilung geschrieben hat, ist und bleibt ein Rätsel. Daß jedoch sein Körper und seine Gesundheit bei einer derartigen Inanspruchnahme aller Kräfte nicht widerstandsfähig bleiben konnte, liegt auf der Hand. Bereits im Frühling 1819 erkrankte er schwer an einem Unterleibsleiden mit gichtischen Anfällen. Sein Arzt riet zu einer Erholungsreise in die Sudeten, die Hoffmann im Juli antrat und von der er gesundet im Herbst wieder nach Berlin zurückkehrte. 1820 trat er in die von dem witzigen Philologen Philipp Buttmann gegründete "Gesetzlose Gesellschaft" ein, welcher neben Gneisenau, Schleiermacher, Hegel, Savigny noch viele andere bedeutende Männer angehörten. Ebenso war er Mitglied der von Rellstab und Berger gegründeten jüngeren Liedertafel, für die er vier Männerchöre komponiert hat. Bereits am 3. August 1816 hatte seine Oper "Undine", deren Textbuch kein anderer als Fouqué selbst verfaßt hatte, im Berliner Schauspielhaus ihre erste Aufführung erlebt. Vierzehnmal war [105] sie mit stets wachsendem Erfolg aufgeführt worden, als am 29. Juli 1817 das Schauspielhaus abbrannte und mit ihm die herrlichen von Schinkel gemalten Dekorationen und Kostüme. Eine Wiederaufführung der Oper fand nicht statt. Außer einer Begleitmusik zu Fouqués Festspiel "Thassilo" (1815) sowie der Übersetzung des Librettos zu Spontinis Oper "Olimpia" hat Hoffmann nichts weiter für das Theater geschrieben. Um so umfangreicher ist seine literarische Produktion. 1816 erschien der zweite Band seiner Elixiere des Teufels, 1817 kamen seine Nachtstücke, 1819 die Seltsamen Leiden eines Theaterdirektors, das Märchen Klein Zaches, ebenso der erste Band der Serapionsbrüder, dem bis 1821 der zweite, dritte und vierte Band folgten, heraus. 1820 erschien der erste Teil der Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler, nicht nur wegen seines autobiographischen Charakters, sondern wegen der meisterhaften Darstellung eines der wertvollsten und eigenartigsten Werke unserer Literatur. Der zweite Band erschien zwei Jahre später, während der geplante dritte Teil unterblieb. 1821 trat das Capriccio Prinzessin Brambilla, Hoffmanns künstlerischste und kühnste Leistung, ans Licht, der 1822 noch der Meister Floh folgte; er wurde wegen eines satirischen Kapitels, das die Demagogenverfolgungen ironisch beleuchtete, noch während des Druckes konfisziert und durfte erst nach Ausmerzung der betreffenden Stellen erscheinen. Hoffmann kam dadurch in eine sehr bedrängte Lage, die mit großer Wahrscheinlichkeit seine Entsetzung vom Amte zur Folge gehabt hätte, wenn ihn nicht seine Krankheit und sein bald darauf eintretender Tod davor bewahrt hätten. Neben diesen Hauptwerken hatte er noch eine stattliche Zahl kleinerer Erzählungen geschrieben, die, hoch bezahlt, in den damals beliebten Taschenbüchern erschienen sind. Darunter befinden sich die noch heute allgemein gelesenen und sehr berühmt gewordenen Geschichten Meister Martin und seine Gesellen, Das Fräulein von Scuderi, Der Kampf der Sänger, Doge und Dogaresse und viele andere. Im Januar des Jahres 1822 begann Hoffmann zu kränkeln, und bereits Anfang Februar verriet sein Zustand, daß ihn eine Krankheit erfaßt hatte, die kein Arzt zu heilen vermochte. Mit jedem Tage versagte ein Glied nach dem andern den Dienst. Füße und Hände starben ab, ebenso einzelne innere Organe. Als am Tage vor seinem Hinscheiden die Lähmung bereits bis zum Halse vorgeschritten war, glaubte sich der arme Kranke völlig genesen, weil er keine Schmerzen mehr spürte. Bis kurz vor seinem Ende diktierte er, da sein Geist völlig ungebrochen war, einem Schreiber, der gleichzeitig den Krankendienst bei ihm versah, seine Erzählungen in die Feder. Als sich am Morgen des 25. Juni die ersten Anzeichen der Auflösung zeigten, forderte er überraschenderweise plötzlich den Schreiber, um ihm an der in Arbeit befindlichen Erzählung "Der Feind" weiterzudiktieren. Seine Frau redete es ihm aus. Er ließ sich im Bett umdrehen; mit dem Gesicht der Wand zugekehrt, verfiel er in Todesröcheln und gab gegen elf Uhr morgens seinen Geist [106] auf. In einem Alter von sechsundvierzig Jahren starb Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, ohne seine geplanten und vielleicht bedeutendsten Werke, die Lichten Stunden eines wahnsinnigen Musikers, Jacobus Schnellpfeffers Flitterwochen und den dritten Teil seines Katers Murr geschrieben zu haben.
So schloß Hoffmanns Leben, bunt genug durch seine vielfach wechselnden Schauplätze, durch die mannigfachen Schicksalsschläge, die schweren Kämpfe um Existenz und Liebe, das hartnäckige Ringen um sein Künstlertum. Als es zu Ende ging und der schwache Körper erlag, hatte der starke Geist seinen endgültigen Sieg errungen. Als sicht- und greifbare Trophäe ist sein Gesamtwerk geblieben, heute noch leuchtend in ursprünglicher Frische, ja stärker noch als damals. Er hatte einen großen und kräftigen Geist, unser Hoffmann, so klein und schwächlich sein Körper war. Er war, wie man zu sagen pflegt, ein ganzer Kerl. Was lasen wir an erster Stelle unter Namen und Rangbezeichnung auf seinem Grabstein: "Ausgezeichnet im Amte"! Ja, das ist das Merkwürdigste: dieser Mann, dessen ganze Sehnsucht, dessen einziges Streben auf Vollendung in der Kunst gerichtet war, er erfüllte die ihm zugewiesene Aufgabe als Beamter des Staates, der ihm das tägliche Brot gab, ebensogut, ja besser als einer, der gar nichts anderes kannte. Der Präsident des Kammergerichts hat wiederholt die hervorragenden Leistungen Hoffmanns mit höchstem Lobe bedacht. Heute noch liegen uns Dokumente vor, die Zeugnis ablegen von seinem Scharfsinn in schwierigen Kriminaluntersuchungen, von seinem mannhaften Eintreten für unschuldig Verfolgte, wie für Helmina von Chézy, den Turnvater Jahn und andere, die angeblicher demagogischer Umtriebe wegen eingekerkert wurden und erst durch Hoffmanns unbestechlichen Gerechtigkeitssinn ihre Freiheit wiedererhielten. Er wußte sich durchzusetzen gegen im Range bedeutend Höherstehende, unbekümmert um die Folgen, die sein energisches Vorgehen haben konnte. Erst an zweiter Stelle stehen die Worte: "Ausgezeichnet als Dichter." Und nur als Dichter hat Hoffmann seinen Namen unsterblich gemacht. Er gilt heute in der ganzen gebildeten Welt als ein Repräsentant deutschen Geistes, deutschen Gemütes, deutscher Phantasie und – wenigstens für die Franzosen – deutschen Humors. Befruchtend hat er, wie schon eingangs hervorgehoben wurde, auf Generationen von Künstlern und Dichtern gewirkt. Seine Eigenart, seine Einmaligkeit verbürgt, daß er auch in Zukunft als künstlerischer Erzieher weiterwirken wird, denn er verbindet ein beispiellos freies Spiel der Phantasie und des Scherzes mit strengster Disziplin, wie sie kein zweiter vor oder nach ihm aufzubringen vermochte. Niemals entgleiten ihm die leitenden Fäden, niemals gerät er – wie Beurteiler, die ihn nicht verstanden, so oft behauptet haben – ins Nebeln und Schwefeln, denn alle Dichtungen mit verschwommener Phantastik hat der Wind schnell verweht, daß keine Spur mehr von ihnen übriggeblieben ist. [107] Wie ein Marionettenspieler führt Hoffmann seine Figuren am Draht, wie ein Schachspieler schiebt er sie mit scharfer Berechnung hin und her. Bevor er sie gegen einen in leuchtenden Farben gemalten Hintergrund stellt und sie dann bei stets wechselnder Beleuchtung in bewegtestem Leben agieren läßt, baut er sich ein nüchternes festes Gerüst für die Fabel, das er dann mit den seltsamsten Requisiten aus seiner Kuriositäten- und Raritätenkammer ausstaffiert. Eine fast philologisch anmutende Kleinarbeit geht der endgültigen Niederschrift jeder Erzählung voran. Hunderte von Zettelchen mit Notizen liegen um seine Schreibebogen herum. Dennoch wirkt das fertige Ganze wie ein vollendetes Ölgemälde, nicht wie ein Mosaik, obwohl es aus tausend einzelnen Steinchen zusammengesetzt ist. Dies gilt von fast allen seinen kleineren Erzählungen, besonders von solchen mit historischem Hintergrund. Nur bei Werken, in die er Erinnerungen aus dem eigenen Leben verflochten hat, oder bei seinen Märchen gab er sich mehr der Eingebung hin. Hier sprüht auch am verschwenderischsten seine Laune, entwickelt sich der nur ihm eigene Humor. Im Gegensatz zu seinen späteren Beurteilern, die in ihm nur den dämonischen und phantastischen Schriftsteller sahen, betrachteten ihn seine zeitgenössischen Kollegen fast ganz als Humoristen. So nennt ihn Chamisso einmal "noch eigentümlicher örtlicher deutsch als Jean Paul" und "unstreitig unsern ersten Humoristen". Da heutzutage aber der deutsche Humor so ziemlich schlafen gegangen ist, scheint man ihn auch bei Hoffmann nicht mehr zu bemerken, vor allem aber nicht jene köstliche Ironie, die ein Hauptmerkmal von Hoffmanns Fabulierkunst ist. Da, wo sie allerdings überdeutlich wird, nämlich an der allzu karikaturistischen Zeichnung einzelner Figuren, haben gewisse ernsthafte Leute erheblichen Anstoß genommen. Habeant sibi! Während die kürzeren Taschenbuch-Erzählungen, wie etwa der von altdeutscher Biederkeit und echtem Frohsinn strotzende Meister Martin oder das düstere, kriminalistisch angehauchte Zeitgemälde Das Fräulein von Scuderi zum eisernen Bestand unserer volkstümlicheren Literatur geworden sind, haben sich die zwei letzten großen Werke, die Prinzessin Brambilla und der Meister Floh, noch immer nicht zu allgemeiner Anerkennung durchringen können. Sie setzen allerdings einen Geist voraus, der dem Hoffmanns irgendwie verwandt sein muß. Sie gehören zu seinen genialsten Leistungen. Bei ihnen haben alle drei Künste, Dichtung, Malerei und Musik, Pate gestanden. Ja der Untertitel der Brambilla: "ein Capriccio nach Jacob Callot", deutet nicht nur auf den grotesken Zeichner, sondern ebenso auf die Musik, denn im Aufbau, in der Charakterisierung, in der Entwicklung ist es ganz nach musikalischen Prinzipien aufgebaut. Die Brambilla ist nicht Hoffmanns größte dichterische, wohl aber seine höchste künstlerische Leistung. An Genialität übertrifft sie vielleicht noch der Meister Floh, wo die bunten Bälle der Phantasie sinnverwirrend hin und her fliegen. Alles verwandelt sich in alles, ist bald dies, bald jenes. Wie nirgends sonst spielt hier der schalkhafte Dichter mit seinem Leser und sieht ihm prüfend in die Augen, [108] ob er auch all diesen tollen Spaß richtig versteht. Große Pedanten haben die tiefsten Dinge aus dem in die Erzählung verflochtenen Mythos herauszulesen versucht und haben gewissermaßen aus einem Schmetterling eine Kanonenkugel gemacht. Es läßt sich schon allerlei denken bei diesen Schmetterlingen und schillernden Seifenblasen, die der Dichter aufsteigen läßt, aber man darf nicht mit grober Faust in sie hineinfahren. Die Seifenblase platzt, und dem Schmetterling wird der bunte Glanz von den Flügeln gestreift. In seinen Märchen sehen wir den Gipfelpunkt von Hoffmanns Schaffen. An der Spitze steht sein nie übertroffenes Meisterstück "Der goldne Topf", welches die größte Gemütstiefe aufweist. Ihm folgen Klein Zaches, das entzückende Kindermärchen "Nußknacker und Mausekönig" und die ganz anders geartete "Königsbraut". An sie schließen sich die phantastischen Erzählungen, wie "Ritter Gluck" und "Don Juan", dann die "Kreisleriana" und die dämonischen Elixiere des Teufels. Hoffmanns Jugendwerke sind bis auf unbedeutende Reste verschollen. Sie zeigten den Charakter der sogenannten Bundesromane, wie Schillers Geisterseher und Grosses Genius, mit einem empfindsamen und einem humoristischen Einschlag (Rousseau und Sterne). Ihren Stil können wir aus Hoffmanns Briefen an Hippel, die oft eine bewußt literarische Seite zeigen, erraten. Wir kennen die Titel zweier Romane: Cornaro und Der Geheimnisvolle. Welch ein Weg von ihnen bis zum autobiographischen Kreislerroman im Kater Murr mit der unvergänglichen Figur des genialen Kapellmeisters. "Ausgezeichnet als Tonkünstler" verkündet der Grabstein an dritter Stelle. Und hier müssen wir zu unserem Bedauern feststellen, daß die Kunst, die Hoffmann am nächsten lag, die ihm gewissermaßen schon in die Wiege gelegt wurde, die er in seiner ersten Lebenshälfte ebenso stark wie die Malerei und von 1804 bis 1813 fast ausschließlich betrieb, die auch in seinem literarischen Schaffen eine ebenso bedeutende wie bedeutsame Rolle spielt, daß diese Kunst es nicht war, die ihn unsterblich machen sollte. Hatte er schon in der Zeit, da er sich ihr mit ganzer Seele widmete, nur wenige und zumindest keine nachhaltigen Erfolge, so ist ihm damals sowohl wie bis in unsere heutige Zeit hinein das musikalische Genie abgesprochen worden. Es ist seltsam, daß die Göttin der Kunst, die Hoffmann für die größte von allen hielt und von der er Jahrzehnte hindurch die Unsterblichkeit erhoffte, ihm kaum das kleinste Lorbeerblatt in seinen Ruhmeskranz geflochten hat, daß er vielmehr einer Kunst, von der er für sich nichts anderes als eine Verbesserung seiner bedrängten Lage erwartete, die Unvergänglichkeit seines Namens verdanken sollte. Schon im Alter von vierzehn Jahren hatte sich eine starke Neigung zur Tonkunst so weit entwickelt, daß er auf dem Flügel zu phantasieren und sogar in eigenen Kompositionen sich zu versuchen begann, ja als Wunderkind Aufsehen erregte. Die im Doerfferschen Hause üblichen Familienkonzerte, an denen er als [109] Zuhörer schon als kleines Kind teilnehmen durfte, hatten die schlummernden Anlagen geweckt. In der Biographie des Kapellmeisters Kreisler gehen die ergötzlichen Konzertszenen seiner Jugend auf eigene Kindheitserinnerungen zurück. Sein Lehrer in der Musik war ein achtbarer Komponist und Organist mit Namen Podbielsky, der seine Aufgabe pedantisch genau nahm – nicht zur Begeisterung seines Schülers. Den ersten musikalischen Unterricht hatte ihm der Onkel Otto unter Aufwand vieler Mühe und Geduld gegeben und ihn zu Ordnung und Fleiß angehalten. Hoffmanns bedeutendstes Werk ist seine Oper "Undine", deren erster Erfolg möglicherweise mehr auf Rechnung der wundervollen, damals als größte Sehenswürdigkeit gepriesenen Bühnenausstattung zu setzen ist, die aber heute dauernd wieder auf die Bretter zu bringen selbst den Bemühungen bedeutender und einflußreicher Männer nicht geglückt ist. Dabei ist sie die erste deutsche romantische Oper, denn sie hat vor dem "Freischütz" einen zeitlichen Vorsprung von fünf Jahren und ist an künstlerischem Gehalt der viel späteren gleichnamigen Oper Lortzings bedeutend überlegen. Vielleicht stand der Wiedererweckung Hoffmannscher Musik der Umstand entgegen, daß man in ihr so gar nichts von jener kühn-genialen Phantastik, von [110] jenen bizarren, grotesken Gedankensprüngen des Schriftstellers zu finden vermochte. Sie ist den heutigen Beurteilern zu zahm, zu konventionell und nicht selbständig genug. Wer jedoch als Liebhaber der Hoffmannschen Dichtung ein warmes Herz und ein feines Ohr besitzt, der wird in Hoffmanns Kompositionen etwas finden, was er vielleicht in seinen Schriften vermißt hat: das lyrische Element. Eine unendliche Weichheit und Zartheit, ein süßer, bestrickender Zauber, eine unsagbare Innigkeit und Stärke des Gefühlslebens wird ihm – beispielsweise – aus dem dritten Satz von Hoffmanns Quintett für Harfe und Streichquartett entgegentönen. Hier schlägt Hoffmanns Herz, hier, in seiner Musik, enthüllt er sein Innerstes, das er in Worten zu entdecken zu keusch und zu schamhaft ist. Vielleicht wird noch einmal die Zeit kommen, die auch dem Musiker Hoffmann gerecht wird und ihm den gebührenden Platz anweist. Ein sehr großer Teil seines musikalischen Nachlasses liegt auf der preußischen Staatsbibliothek zu Berlin. "Ausgezeichnet als Maler" heißt es an vierter Stelle auf dem Grabstein. Schon im Knabenalter hatte Hoffmann durch einen anspruchslosen, aber gemütvollen Maler namens Sämann, der ihn zu größter Disziplin und Genauigkeit im Zeichnen anhielt,
Nach einer Pause während seiner akademischen Jahre griff er die Beschäftigung mit der Malerei wieder eifrig auf, ja sie verdrängte eine Zeitlang die Beschäftigung mit der Musik, und im April 1797 schrieb er seinem Freunde Hippel, daß er sich ganz der Malerei widmen wolle, wenn er zu einem kleinen Vermögen kommen sollte. Hatte er sich noch im Jahre 1803 die Frage gestellt, ob er zum Maler oder Musiker geboren wäre, so entschied er sich im kommenden wieder ganz für die Musik, bis er endlich, wie wir wissen, im letzten Dezennium seines Lebens sich ausschließlich der Schriftstellerei hingab. Als merkwürdig müssen wir noch seine große Vorliebe für die Allegorie hervorheben, die er nicht nur bei einzelnen, nicht mehr erhaltenen Wandgemälden, sondern auch bei manchen seiner Zeichnungen anwandte. Wir finden sie unter anderem auf den illustrierten Umschlägen zum Klein Zaches, zum Kater Murr und auf Vignetten zu seinen Fantasiestücken, zu Werners Kreuz an der Ostsee und so weiter. Zusammenfassend können wir aus dem, was uns von seinen graphischen Arbeiten erhalten geblieben [111] ist, getrost sagen, daß auch bei ausschließlicher Betätigung auf diesem Gebiet Hoffmanns Name als bildender Künstler niemals auf die Nachwelt gekommen wäre, bei allem Reiz, den seine Zeichnungen auf seine Bewunderer ausüben.
Wie in der Dichtung gibt er sich auch im Leben. Leidenschaftlich bis zur Ekstase ist seine Freundschaft mit Hippel. Einer Geliebten kann man keine feurigeren Briefe schreiben. Lag auch diese Überschwenglichkeit im Charakter der Zeit als eine Art Modeerscheinung, so ist sie bei Hoffmann doch echt, denn es blieb eine Freundschaft bis zum Ende. Über die Art, wie sich Hoffmann in seiner Liebe zu Frauen zeigte, sind wir [112] nicht unterrichtet. Unsere Kenntnisse von seiner heftigen Jugendliebe zu einer verheirateten Frau in Königsberg, Dora Hatt, die er in seinen Briefen "Cora" nennt und von der er sich nur schwer losreißen konnte, von seiner Neigung zu Minna Doerffer, zu seiner späteren Frau Michalina sowie zu einer Berlinerin im Jahre 1807 sind nur geringfügig. Nur über seine rasende Leidenschaft zu Julia Mark, von der wir oben gesprochen haben, sind wir bis zur Möglichkeit des Miterlebens unterrichtet. Freunde hatte er viele, aber keiner war ihm so wert wie Hippel, selbst Devrient nicht, obwohl er ihm geistesverwandt war. Im übrigen zog es Hoffmann zu Leuten, die ihm im Umgang bequem waren, die ihm verständnisvoll zuhören konnten. Rang und geistige Bedeutung waren ihm gleichgültig. Das Leben selbst hatte Hoffmann erzogen. Hatte die pedantische Erziehung des Onkels den Grundstein zu Zucht und Ordnung, die sich niemals in seinen Arbeiten verleugneten, in ihn gelegt und sein heftiges Temperament gedämpft, so haben die vielen Schicksalsschläge, die er erleben mußte, seinen Charakter geformt und durchgebildet. Jedes Mißgeschick, das ihn oft mit beispielloser Grausamkeit traf, wurde ein wertvoller Baustein zu seinem Künstlertum, der letzte ist seine ungestillte Liebe zu Julia. Doch kann von Verbitterung, von innerlicher Zerrissenheit, von der so oft gefaselt worden ist, bei der Elastizität seines Geistes gar keine Rede sein. Wohl war er das überempfindliche Opfer augenblicklicher Stimmungen, wie seine Bamberger Tagebücher zur Genüge beweisen. Ebensowenig war er der krasse Egoist, für den ihn sein etwas beschränkter Bamberger Freund und Verleger Kunz gern ausgeben möchte, der die leicht verletzbare Zartheit einer Künstlerseele mit Selbstsucht und Eitelkeit verwechselt. Ein starkes Geltungsbedürfnis bei ihm, wie es alle von Statur unansehnlichen Leute, die leicht übersehen werden, besitzen, ist nicht nur entschuldbar, sondern selbstverständlich, öffentliche Kritik seiner Schriften ließ ihn gleichgültig, nur auf das Urteil einsichtiger Freunde hörte er. Seine Neigung zum Spott, zu allerhand Mystifikationen mag ihm mancherlei Feindschaft beschränkter Köpfe eingetragen haben, die Lauterkeit seines Charakters wird hierdurch nicht berührt. Er war ein großer Tierfreund, das beweisen sein Hund "Berganza", der ein lebendiges Urbild in einem großen Bullenbeißer der Bamberger Gastwirtin Kauer hat, und sein vielgeliebter Kater Murr, dessen Verlust er wie den eines Menschen betrauerte. Bei einer rauhen Schale hatte Hoffmann einen weichen Kern. Er besaß ein tiefes Gemüt und ein sehr warmes, tief menschlich fühlendes Herz. Schriftsteller und Mensch sind bei ihm – in der Literatur ein viel seltenerer Fall, als man glauben möchte – aus einem Guß. Das unterscheidet ihn von unzähligen anderen Dichtern und hat ihm bis auf den heutigen Tag die innigsten Freunde erworben. "Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem!" Im Urteil der Literaturgeschichte ist Hoffmann nie zu seinem Recht gekommen; doch erheben sich heute auch hier bereits Stimmen, welche die Sonderstellung dieses genialen Deutschen, der geradezu als Prototyp eines Künstlers gelten darf, mit einiger Zurückhaltung und Schamhaftigkeit anzuerkennen geneigt sind.
|