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[Bd. 1 S. 487]
Hans Holbein, 1497 - 1543, von Ulrich Christoffel

Hans Holbein, Selbstbildnis.
[488a]      Hans Holbein d. J.
Selbstbildnis aus seinem Todesjahr 1543.
Farbige Kreidezeichnung. Florenz, Uffizien.

[Bildquelle: Anderson, Rom.]
Hans Holbein gehört nicht zum Kreise jener Künstler, denen die Herzen der Menschen zufliegen. Wohl hat sein Name in Verbindung mit dem Totentanz sprichwörtlichen Ruhm erlangt, aber seine Malereien sind im Gedächtnis der Nachwelt von den Bildern der Dürer und Grünewald, Cranach und Altdorfer weit überstrahlt worden. Die kühle Fremdheit Holbeins ist weniger in seinem äußeren Schicksal, daß er sein Leben fern von seiner Vaterstadt Augsburg in Basel und England verbrachte, als in seiner Persönlichkeit begründet, da er wie sein Landsmann Mozart die Ursprünglichkeit der Natur vollkommen dem künstlerischen Gesetz der Form unterordnete. Auch Holbein war ein deutscher Grübler, wenn auch nicht wie Dürer ein Grübler der Seele, sondern ein Denker der Form, ein Grübler des Erkennens der Dinge durch die Malerei, der sich mit durchdringender Klarheit in das geheimnisvolle Einssein der Natur und des Lebens mit sich selber vertiefte. Holbein war ein deutscher Meister, weil er ein Erzieher zur Einfachheit und zur sachlichen Gewissenhaftigkeit war. Seine Bilder verbergen sich zwar in den Sammlungen zwischen den bunten, eigenwilligen Schöpfungen der andern deutschen Maler, aber sie üben auf die Dauer eine stärkere Anziehungskraft aus. In der Unscheinbarkeit ihrer dünnen Linien und dunklen, milden Töne, ihres Grau, Ziegelrot, Samtblau und Erdbraun strahlen sie unsichtbare Kräfte aus, die tiefer dringen als ein augensinnliches farbiges Leuchten, und sie verwandeln die äußere Wahrheit der Dinge in eine solche Reinheit der Form, daß sie sich in ihrer eigenen Vollendung verschließen können. Hans Holbein betrachtete die Menschen mehr in ihrem Pflanzendasein als in ihren innerlichen Empfindungen, aber seine Anschauung war von Harmonien und Spannungen getragen, die die Vertrautheit stiller Kirchenräume mit der Weite der deutschen Landschaft vereinigte.

An den Gefahren der antikischen Zeitbewegung, die von Italien über die Alpen vordrang und dem germanischen Wollen ein lateinisches Sollen entgegenschob, ging Holbein in leichten, sicheren Schritten vorbei, und er erkannte sein Ziel allein in dem selbstlosen Dienst an einer Kunst, die nicht schön, packend, berauschend, sondern schlicht, wahr und naturhaft war. Er teilte alle Neigungen seiner Zeit, griff in seinen Entwürfen für Wandmalereien gern nach den lombardischen Schmuckformen der Pilaster, Säulen, Bogen, Absiden, Phantasieausblicke und Raumhöhlungen, bewies auch in seinen Zeichnungen für Goldschmiedearbeiten, Dolchklingen, Pokale, Degengriffe und Juwelen den vornehmsten Geschmack [488] und streifte in seinem formalen Spieltrieb bisweilen selbst die Glätte der Lionardo-Schüler, aber als einziger deutscher Künstler hat er auch die andrängende Welle eines überspannten Formenreichtums und die sichernde Bewegtheit der spätgotischen Schmuckerfindung durch sein klares Bewußtsein beruhigen und abklären können. Er hat den deutschen Ausdruck mit der italienischen Schönheit versöhnt, und viele Kritiker mögen in ihm wie in Mozart nur den "Italiener" sehen, aber während Dürer und seine Kunstlehren in Italien und Spanien bis in das siebzehnte Jahrhundert hinein bewundert wurden, ist Holbeins vergeistigte Kunst von den Romanen nie verstanden worden.

Hans Holbein, den das Schicksal auf die Höhen des gesellschaftlichen Lebens führte, wollte nichts anderes sein als ein Handwerker, der seine Arbeit verstand, und er hat sich auch vom Fruchtboden handwerklichen Wesens und Könnens nie abgelöst. Infolge der Geschicklichkeit seiner Hände und der Vielseitigkeit seiner Begabung konnte er Altäre, Tischplatten, Firmenschilder, Hausfassaden, Orgelflügel, Glasmalereien, Festdekorationen, Buchschmuck und Vorzeichnungen für Goldschmiede entwerfen und ausführen, und durch seine Phantasie, seine technische Erfahrung und seinen künstlerischen Geschmack gab er diesen kunsthandwerklichen Fachgebieten für Jahrzehnte die lebendige neuzeitliche Form. Er war Augsburger, und das bedeutete, daß er das Erbe einer Stadt in sich trug, die durch ihre Baukunst und ihre Gewerbe, ihre festlich farbigen Straßenmalereien und ihre kostbaren Raumausstattungen unter den deutschen Städten einen ersten Rang einnahm und die schon auf eine reiche Vergangenheit zurückblickte, da sie in ihrem Dom die schönsten Denkmäler der Glasmalerei und des Bronzegusses aus der frühen Kaiserzeit besaß. Augsburg war zudem eine Gründung der Römer. In den Tagen Holbeins aber, als sich die Kirchen von St. Ulrich und St. Anna und die der Dominikaner erhoben und erneuerten, sah die Stadt einer neuen Blüte entgegen, die durch die Erfolge der kühnen Handelsfamilien hervorgerufen und durch die Freundschaft des Kaisers begünstigt wurde.

Hans Holbein war der Sohn des älteren Malers Hans Holbein, der urkundlich seit 1494 in Augsburg genannt wird und dessen Bruder Sigmund ebenfalls Maler war, wie auch der jüngere Hans wieder von seinem Malerbruder Ambrosius nach Basel begleitet wurde, wo dieser freilich schon 1519 nicht mehr erwähnt wird und wahrscheinlich gestorben ist. Von dem älteren Holbein ist uns ein Skizzenbuch mit den Bildnissen seiner Augsburger Freunde und Gönner, der Ratsherren, Zunftmeister, Geistlichen, aber auch der Fugger und des "Hertzogs Carl von Burgund" (Kaiser Karls V.) erhalten, in dem die leichte naturhafte Silberstiftzeichnung und die lebensvolle Charakterauffassung des Sohnes schon erstaunlich weit vorgebildet sind. Besonders aber konnte der junge Holbein an den großen vielteiligen Altarwerken seines Vaters in Kaisheim, Weingarten und Frankfurt eine Beweglichkeit der Erzählung erlernen, durch die die menschlichen Gestalten in Gut und Böse, Schärfe und Milde, Linie und Form gegeneinander ausgespielt [489] und wieder zu einem Gesamtausdruck verbunden wurden, und die Basilikabilder im Katharinenkloster, wo sich der ältere Holbein mit seinen Knaben Hans und Ambrosy als Zeugen des Paulsmartyriums porträtiert hatte, und der Sebastiansaltar von 1516 mit den vornehmen Gestalten der heiligen Barbara und der heiligen Elisabeth gaben ihm Beispiele jener schönräumigen Komposition und farbigen Feintonigkeit des Hellen und Dunklen, wie er sie später in seinen eigenen Werken zur Vollendung führen sollte. Der Augsburger Handelsverkehr mit Venedig machte schon den älteren Holbein mit allen Neuerungen der italienischen Renaissance bekannt. Nach 1517 folgte der Vater seinen Söhnen an den Oberrhein, wo er sich im Elsaß aufhielt und wo er 1524 in Isenheim sein Leben beschloß.

Hans Holbein, von seinem Vater gezeichnet.
Hans Holbein der Jüngere.
Silberstiftzeichnung von Hans Holbein dem Älteren (dem Vater des Künstlers), 1511.
Berlin, Kupferstichkabinett.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 80.]
Der jüngere Hans Holbein wurde um das Jahr 1497 geboren. Nach Basel lockte ihn wahrscheinlich das Aufkommen der Buchdruckerwerkstätten der Frobenius und Amerbach, die unter Führung der Humanisten die Werke und Übersetzungen der spätantiken Philosophen, Kirchenväter und Polyhistoriker herausgaben. Ein Menschenalter früher hatte auch Albrecht Dürer seine Wanderjahre mit einer Fahrt ins Elsaß und nach Basel begonnen. Seit 1517, ständig seit 1521, lebte Erasmus von Rotterdam in Basel, der führende Geist in der Wiederverlebendigung antikisch-christlicher Lebensweisheit und ein Philologe vom Ausmaß des heiligen Hieronymus (340–420), des Schöpfers der Vulgata, dessen Werke er auch besonders verehrte und im Druck zum erstenmal herausgab. Holbein begann seine Tätigkeit in Basel mit der Bemalung einer Tischplatte für Hans Baer, die sich im Landesmuseum in Zürich befindet, mit Sittenschilderungen von der Jagd, dem Fischfang und den Turnierspielen und dem Treiben des "Niemand", der als personifizierte "Tücke des Objekts" mit den Menschen seinen Schabernack treibt, und mit den Randzeichnungen zum "Lob der Narrheit" von Erasmus, in denen sich der junge Künstler als ein witziger, verständnisvoller Leser der Satire erwies und die ein seltsames weltliches Gegenstück zu den Randzeichnungen Dürers zum Gebetbuche des Kaisers Max bilden, die im selben Jahre 1515 entstanden sind. Der zukünftige Bildnismaler hat den Blick für die Charaktere und die Gattungseigentümlichkeiten der Menschen zuerst an ihren Schwächen geübt. Das Doppelbildnis des Bürgermeisters Jakob Meyer und seiner Gattin Dorothea Kannengießer zeigt in der schönen Schaustellung der Köpfe in der Fläche, in der Bewegung der Umrisse im Raum und im Ausgleich der Farbflächen mit der Architekturzeichnung der rahmenden Bogen schon alle Ansätze des späteren Bildstiles von Holbein. Im Jahre 1517 erhielt der Künstler einen großen Auftrag in Luzern, wo er an dem (1824 abgebrochenen) Hause des

Erasmus von Rotterdam. Holzschnitt von Hans Holbein.
[491]      Erasmus von Rotterdam.
Titelholzschnitt von Hans Holbein, um 1530.
Schultheißen Jakob von Hertenstein Fassade und Zimmer mit lockerem malerischem Schmuck, römischen Gerichtsbildern, einem cäsarischen Triumphzug und humoristisch volkstümlichen Darstellungen vom Jungbrunnen, von den Nothelfern und von der Bettelfuhre auszustatten hatte und dabei seine doppelte Begabung für große wirkungsvolle Teilungen und für sprechende Besonderheiten glänzend zur Geltung brachte. [490] In den letzten sieben Jahren, die Holbein anschließend noch in Basel war, mußte er Zeit und Kraft für die verschiedensten Aufgaben anspannen, aber durch die schöpferische Heiterkeit und die leichte Anpassung seines Geistes vermochte er alle Aufträge, die Bemalung des Hauses zum Tanz und des Rathaussaales, die Altäre für St. Ursus und für die Familien Oberriet und Meyer, die Bildnisse seiner Gönner Amerbach und Erasmus, die Vorlagen für den Buchdruck und die Scheibenmalerei und die großen Orgelflügel im Basler Münster mit meisterlicher Überlegenheit auszuführen.

Unter dem Eindruck der kirchlichen Veränderungen in Basel und veranlaßt durch die drohende Pest verließ Holbein im Jahre 1526 die Stadt seiner glücklichen Anfänge, um in England ein weiteres Fortkommen zu suchen. Empfehlungsschreiben des Erasmus an seine Freunde Ägidius in Antwerpen ("Hier frieren die Künste, Holbein geht nach England") und an Thomas Morus, für dessen "Utopia" Holbein einen Titel gezeichnet hatte, begleiteten ihn in die ungewisse Zukunft. Morus nahm den deutschen Maler in herzlichem Entgegenkommen in sein Haus in Chelsea auf, das Erasmus früher

Bildnis einer Tochter von Thomas Morus.
[488d]      Hans Holbein d. J.:
Bildnis einer Tochter von Thomas Morus.

Farbige Kreidezeichnung, 1528.
Windsor Castle.
"eine zweite Republik Platons, eine Schule echt christlichen Sinnes" genannt hatte. Wenn der Gelehrte dann an seinen Basler Freund schrieb: "Ich fürchte, daß Dein Maler England nicht so fruchtbar findet, wie er hofft", so wurde dieser Zweifel durch die Erfolge Holbeins bald widerlegt. Zuerst malte der Künstler den Familienkreis des Thomas Morus mit dem alten Vater, den erwachsenen Töchtern und dem einzigen Sohn in einem großen Gruppenbildnis, das leider nur in einer schlechten Nachbildung erhalten ist. Eine Zeichnung davon brachte er später nach Basel, und der erfreute Erasmus berichtet nach Chelsea: "Ich kann in Worten kaum ausdrücken, welche innerste Herzensfreude ich empfunden habe, als der Maler Holbein mir Eure ganze Familie in so glücklichem Abbild vor Augen stellte, daß ich Euch kaum besser hätte sehen können, wäre ich selbst in Eurer Nähe gewesen." Die Rötelstudien zu den einzelnen Köpfen, Perlen eines durchgebildeten Stilkönnens und einer erschöpfenden Naturbeobachtung, werden in der Mappe der Holbeinzeichnungen in Windsor aufbewahrt.

Durch seinen edlen Gönner kam Holbein in die Lage die hohen Persönlichkeiten des Staates, den Erzbischof von Canterbury, William Warham, und den Bischof von Rochester, John Fisher, zu malen, aber er vergaß auch seine Landsleute nicht, und das Bildnis des Münchner Astronomen Nikolaus Kratzer wird als eines der ersten in der stolzen Reihe bürgerlicher Bildnisse aus der deutschen Kolonie immer denkwürdig bleiben.

Im Jahre 1528 war Holbein wieder in Basel und kaufte in der Johannisvorstadt ein Haus. Er brachte die letzten Wandbilder im Rathaus zur Vollendung und malte seine Familie und den alten Erasmus. Nach vier Jahren des Wartens kehrte er für immer nach London zurück. Die deutschen Kaufleute Jörg Gisze, Cyriakus Fallen, Dietrich Born, Hermann Wedigh, Dirk Tybis, Dirk Berck ließen sich nun von ihm porträtieren, und ihre Bildnisse unterscheiden sich von den englischen der Bryan Tuke, Wyat, Carew, Southwell [491] wahrnehmbar durch den wärmeren Lebenston und die deutsche Geisteshaltung, so daß sie ein einzigartiges geschichtliches Denkmal des damaligen Deutschtums in England darstellen. Für den festlichen Zug der jungen Königin Anna Boleyn vom Tower nach Westminster entwarf Holbein eine Straßendekoration des Parnasses, und bald darauf malte er für einen Saal des Stahlhofes, des Hauses der deutschen Kaufmannschaft, das später von der Königin Elisabeth geschlossen wurde, die allegorischen Wandbekleidungen eines Triumphes des Reichtums und der Armut, die sich im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Kunsthandel in Paris befanden und seither verschollen sind.

Nun folgten düstere Zeiten für England. Schon 1535 wurden Thomas Morus und John Fisher hingerichtet, ein Jahr darauf Anna Boleyn, aber Holbein fand an Cromwell und Cranmer und schließlich am König selber neue, mächtige Gönner. Für Heinrich VIII. malte Holbein das Wiener Bildnis der Königin Jane Seymour, die nach einjähriger Ehe an der Geburt des Thronfolgers Eduard VI. starb. Seine Beziehungen zum Hofe verdichteten sich noch, als er in halbamtlichem Auftrag nach Brüssel und an den Rhein reisen mußte, um die von der englischen Diplomatie umworbenen Prinzessinnen Christine von [492] Dänemark und Anna von Cleve zu porträtieren, die Heinrich VIII. heiraten sollte. Er erwies sich dabei, wie der Gesandte Hutton nach London berichtete, "wenn er auch nur drei Stunden Zeit hatte, als ein Meister seiner Kunst". Bei einem kurzen Besuch in Basel suchte der Rat den englischen Hofmaler unter ehrenvollen Angeboten festzuhalten, aber dieser war inzwischen über die Verhältnisse der Stadt hinausgewachsen. Bei der Veranlagung des Königs bleibt es immer erstaunlich, daß er seine Enttäuschung über die dickliche, schläfrige clevische Prinzessin nicht an dem Maler ihres schönen Bildnisses rächte. Aber der König hatte nach der Scheidung von diesem neuen Opfer seiner Launen schon die katholische Katharina Howard zur Königin gemacht und nach dem Sturze Cromwells ihrem Oheim, dem Herzog Thomas von Norfolk, die Siegel verliehen. Holbein hat in seinem späten Bildnisse Norfolks Natur und Stil, Würdigung und Kritik in einer Unbefangenheit zu vereinigen gewußt, wie es ihm dem König gegenüber nie geglückt ist. Als London 1543 von der Pest heimgesucht wurde, erlag auch Hans Holbein der Seuche, vor der er einst aus Basel entflohen war.

Das äußere Dasein des Künstlers verlief mehr abenteuerlich als sinnvoll, und seine Tätigkeit umfaßte, da er schon mit 46 Jahren starb, kaum drei Jahrzehnte, aber in dieser kurzen Zeit ist Holbein mit den bedeutendsten Menschen seiner Zeit in Berührung gekommen, und der große Atem der Weltgeschichte hat sein Leben gestreift. Die Bildnisse des Erasmus und des Morus, der deutschen Kaufleute und der Basler Freunde, der englischen Bischöfe und Staatsmänner, des Königs und seiner Frauen ergeben zusammen ein Buch vom Menschen der Reformationszeit, in dem Persönlichkeit und Natur der Dargestellten wie die kleinsten Züge der Kleidung, der Waffen, Stoffe, Ketten, Geschmeide, Stickereien in unbestechlichen Linien aufgezeichnet sind. Wie von Velasquez darf man auch von Holbein sagen, daß er ein Hofmaler war, ohne ein Schmeichler zu sein, und daß er durch die Schärfe seines Blicks, die Reinheit der Form und den Ernst seiner deutschen Meisterschaft die Menschen zugleich geadelt und gerichtet hat.

Das Leben eines Künstlers ist die Bildung und Entfaltung seines Talentes, durch das er sich seiner Gegenwart und der Nachwelt mitteilen kann. Von den Bildnissen und Darstellungen Holbeins kann man auf ein Leben schließen, von dessen überströmender Kraft und Innerlichkeit die spärlichen Nachrichten und Urkunden kaum die Spuren enthalten. Als Erzähler könnte man Holbein mit Kleist vergleichen, da schon er jene kritisch durchdringende Beobachtung der Charaktere mit einer dramatischen Schlagkraft der Auftritte und einem ruhig klaren Umriß der Figuren und Gruppen vereinigte. Der Maler kann seine Gestalten nicht durch Worte, sondern nur durch Bewegungen des Körpers, Neigung und Wendung des Rumpfes und des Halses und durch das Spiel der Glieder und der Muskeln sprechen lassen, aber Holbein hatte sich schon in den ersten Basler Jahren zu einem Zeichenstil erzogen, der den Ausdruck des Bildes von der freien [493] Bewegung der Körper im Raum und von der Beschränkung und Ausebnung dieses Raumes im künstlerischen Bildrahmen herleitete. Obschon die Adam-Eva-Büsten des frühen Basler Bildes von 1517 in ihrer saftigen Tonigkeit eines helleren Blond und tieferen Braun nach dem Modell gemalt sind, erinnern sie an die Marien und Heiligen der schwäbischen Schnitzaltäre, da sie in einem spannenden Gegensatz der Kopfwendung und Schulterlinien aus dem räumlichen Dunkel hervortreten und ihre Empfindungen in der sprechenden Unentschiedenheit des Ausdrucks der Schnitzfiguren um Augen und Lippen spielen. Die Hand mit dem abgebissenen Apfel im Vordergrund ist malerischer Ruhepunkt, Stilleben und Deutung zugleich. Einige Jahre später malte Holbein den toten Christus im Grabe, den er in schroffer Abwendung von der phantastischen Spätgotik Grünewalds in kühlem wissenschaftlichem Lichte zeichnete und modellierte, den er aber dennoch nicht nur in den geöffneten Lippen, den weißen Augen, den herunterhängenden Haarsträhnen, sondern in der Linie des ganzen Leibes über den Naturbericht hinaus zu einem Ausdruck geformten Lebens und bezwungener Wirklichkeit steigerte, daß an der Fragwürdigkeit der Naturnachahmung in der Kunst nicht mehr zu zweifeln ist.

Vor den ruhigen Bildnissen Holbeins darf man die künstlerische Leidenschaft und Heftigkeit nicht vergessen, die ihn in den Basler Jahren erfüllten, als er die Bilder vom Totentanz und von der Passion in sich trug. Aus der Folge der fünf derben Passionstafeln im Basler Museum steht ihm die Geißelung im Stil am nächsten, wo die Gestalt des Schergen mit der Peitsche in der Ausfallsstellung der Beine und in der Kraft der an den Rumpf gepreßten Arme eine plastische Drehbewegung von großer Wucht ausführt. Gewiß kannte der junge Künstler den Isenheimer Altar von Grünewald und mochte auch die Passionen Dürers und die Stiche Mantegnas bei sich liegen haben, aber der beherrschte Naturfanatismus des Schergen ist seinem eigenen Temperamente entsprungen.

Holbein stellte das Leiden Christi noch öfters dar, einmal in den von lombardisch-lionardesker Einfühlung durchleuchteten Bildern eines Flügelaltars und dann in einer Reihe von Tuschzeichnungen für Glasscheiben, die den raschen Aufstieg seiner bildlichen Darstellungskunst besonders klar erkennen lassen, da er während mehrerer Jahre daran gearbeitet hat. In diesen Bilderreihen sind es wie bei Dürer die Bewegungsauftritte der Gefangennahme, der Geißelung, der Verspottung und der Kreuztragung, die in der Erzählung hervortreten, nur daß Holbein den zeichnerischen Ausdrucksstil Dürers malerisch mildert und Gegensatz und Ausgleich der Linienbewegung und Lichtführung dem betrachtenden und erkennenden Auge anpaßt. In jeder seiner Gestalten macht er ein anderes erzählerisches Motiv wirksam, und schon Christus wechselt von Auftritt zu Auftritt Figur und Ausdruck. Sein Antlitz bleibt beschattet in der Kreuzigung und in der gemalten Kreuztragung, von innerlicher Abwendung berührt vor Pilatus und Kaiphas und öffnet sich nur in der Grablegung und Entkleidung und in der verwandten frühen Einzelzeichnung [494] einer Kreuztragung zu dem volkstümlichen großen Schmerzensausdruck der Gnadenbilder. Besonders die Entkleidung Christi aus der Folge der Tuschzeichnungen, wo dem hilflos in die Knie gesunkenen Christus von beiden Seiten der Rock vom Leib gezogen wird und aus der Mitte des Bildes das einsame Haupt in übernatürlicher Schmerzverklärung hervorscheint, ist eine Erfindung, die selbst die Bilderfülle der deutschen Kunst um einen tiefen neuen Klang bereicherte.

Die Wandbilder des großen Rathaussaales, von denen leider nur geringe Mauerreste und einige Vorstudien sowie die Nachbildungen von Hieronymus Heß aus dem Jahre 1817 erhalten sind, stellten Beispiele des guten und bösen Regiments dar. Der Demütigung des gefangenen römischen Kaisers Valerian durch den persischen König Sapor, der über seinen Rücken zu Pferde steigt, gab Holbein den kräftigen, etwas spaßhaften Ton der Volksbühne. Er ahnte nicht, mit welcher Schonung für den unterlegenen Feind die sassanidischen Hofbildhauer das Unglück des Kaisers in ihren Felsreliefs dargestellt hatten. Auf den weiteren Bildern ersticht sich Charondas von Catana vor dem versammelten Rate, weil er gegen sein eigenes Gesetz aus Unachtsamkeit mit dem Schwert an der Seite eingetreten ist. Zaleukus von Lokri, der auf Ehebruch die Strafe der Blendung festgesetzt hat und seinen eigenen Sohn nach diesem Gesetz richten muß, befiehlt, daß ihm selber das rechte, dem Sohn aber nur das linke Auge genommen werde. Das Bild stellt die Ausführung der grausamen Strafe dar. Den Gesandten der Samniten, die Curius Dentatus durch Geschenke vom Angriff auf ihr Land abhalten wollten, antwortet der strenge Römer, daß er lieber bei seinen bescheidenen Rüben bleiben und den reichem Feinden gebieten statt gehorchen wolle. Zwischen diesen Geschichtsbildern waren in gemalten Nischen die Gestalten Christi und des Königs David und die allegorischen Figuren der Gerechtigkeit, der Mäßigkeit und der Weisheit zu sehen. Wenn der Inhalt dieser Bilder durch die stoisch-christliche Sitten- und Rechtsauffassung der Humanisten und Reformatoren bedingt war, so erfand Holbein in der zwingenden Ordnung seiner Gruppen und in der heroischen Zeichnung seiner Gestalten auch den bildlichen Stil für den hochgespannten Ausdruckswillen der Zeit. Durch die großartigen Raum- und Architekturbilder, deren meisterliche Beherrschung in Tiefenblicken und Lichteinfällen, in Säulen-, Bogen- und Gebälkhäufungen Holbein schon in der Anbetung der Hirten auf dem Oberrieter Altar im Freiburger Münster und später am Hause zum Tanz bewies, lockerte er die rhythmische Zusammenballung der Einzelfiguren und Chorgruppen wieder und gliederte sie zu schönen, freien Teilungen. Im Stahlhof zu London stimmte er sogar die ganzen gegensätzlichen Wandbilder des Triumphes der Armut und des Triumphes des Reichtums auf eine gemeinsame Bewegung der Linienzüge ab, da sein Stilgefühl Spannungen und Kontraste nur hervorrufen wollte, um sie zu lösen und in der Bildfläche zu beruhigen.

Während seines zweiten Aufenthaltes in Basel von 1528 bis 1532 vollendete Holbein in gereiftem Stil die beiden letzten Breitbilder des Rathaussaales: König Rehabeam droht den [495] Ältesten des Volkes ("ich werde euch mit Skorpionen züchtigen"), und der Prophet Samuel flucht dem König Saul, weil er im Krieg, statt den Feind gänzlich zu vernichten, Beute gemacht hatte. Wir können die Wirkung, dieser Geschichtsbilder nur mehr nach den farbigen Entwürfen im Basler Museum beurteilen. In beiden Darstellungen wird der lebendigste Augenblick der Handlung durch den großen Zusammenprall der Bewegung und die Gebärden der Hauptfiguren hervorgehoben, ohne daß das Gleichmaß des Bildes gestört würde, wie bei Richard Wagner ein Tonsatz oft ohne Beeinträchtigung der symphonischen Welle zur höchsten Tonstärke gesteigert wird. Samuel fängt gleichsam den Stoß des ganzen Heerzuges auf, aber sein kraftvoll ausgestreckter Arm ruft eine Gegenbewegung hervor, die die dichte Gruppe der Pferde und Soldaten in kühner Schwingung durchdringt, wie auch die Flammen des Hintergrundes gleichzeitig auseinander- und zusammenschlagen und den doppelten Bewegungsdrang des Bildes in sich schließen. Diese geheimnisvolle Umdeutung der Linien in der Fläche in die plastische Gestaltung der Handlung haben später Cornelius, Rethel, Genelli und Feuerbach aus dem Erbe Holbeins übernommen und in ihren Werken als einen ausgesprochen deutschen Bildausdruck fortgebildet. Das Bild des Rehabeam weitet sich von der Mitte her nach beiden Seiten. Die Ältesten halten dem Zorn des Königs, der auf erhöhtem Throne sitzt, in geschlossener Gruppe stand, und ihr Unwille ist nur aus ihrer Haltung oder aus dem Profil des Gesichts zu erkennen, da kein einziger sein volles Antlitz zeigt. Hinter dem Thron öffnet sich eine schöne Halle, in der die Räte und die Vornehmen sich aufhalten, so daß der drohende Auftritt von einem heiteren Sittenbild begleitet wird. Im Basler Museum wird auch die Studie zu einer Schlacht aufbewahrt, in der Holbein wie Lionardo einen einzigen zugespitzten Augenblick des wogenden Geschehens herausgegriffen hat. In einem unregelmäßigen Keil dringen die Fußkämpfer von beiden Seiten aus der Tiefe hervor, und an der Spitze stehen zwei Landsknechte, die sich mit Dolch und Schwert anfallen. Dieses volkstümliche, unheroische Motiv hat Holbein nicht erdacht, sondern gesehen und noch zuckend von Leben in die Linien, Lichter, Überschneidungen und Schatten seiner Flächenzeichnung aufgelöst. Seine Darstellung vereinigt Natur und Stil in einer sinnlich kühlen, begrifflich heißen künstlerischen Form.

[496] Haltbarer als die Gestalten und Farben im Mörtel der Wände waren die Gedanken, die Holbein dem Papier und dem Bilddruck anvertraute. Sein Totentanz und seine Bibelbilder gehören mit der Apokalypse, dem Marienleben und den Passionen Dürers zu den mächtigsten deutschen Dichtungen von Leben und Tod, von Menschlichkeit und Vergänglichkeit, von Gericht und Erlösung. In seiner einfachen Selbstbescheidung, diesem Grundzug seines künstlerischen Wesens, wählte Holbein für die tollen Bildeinfälle seiner Todesphantasien die leichten, spielerischen Formen einer zierlichen Dolchscheide mit Silbergravierung und eines kleinen Buchdruckeralphabetes, wie er deren verschiedene mit Insekten, Vögeln, Affen, Bären, Blüten, Bauerntänzen und Mythologien für die Basler Verleger entworfen hatte. Die Zeichnungen für den größeren Holzschnitt-Totentanz wurden noch von Hans Lützelburger, der im Jahre 1526 starb, für den Druck geschnitten, aber der Öffentlichkeit erst im Jahre 1538 in einem kleinen Buche des Lyoner Verlegers Trechsel übergeben. Volksglaube und Satire, Sittenschilderung und Ermahnung, Spott und Ernst, Phantastik und Natur sind in diesen Totentänzen zu einem bildnerischen Bewegungsstil vereinigt, der zugleich aufpeitschend und heiter überlegen wirkt. Im Buchstaben A des Alphabetes und im "Gebeyn aller Menschen" der Lyoner Folge rufen Musikanten zum Tanz des Todes und zum letzten Gericht auf, und jedesmal läßt uns die Zeichnung Holbeins die Trommelwirbel, Paukenschläge und Tubastöße hörbar in die Ohren schlagen, daß alle unsere Sinne aufgeschreckt werden zum schaurigen Spiel des Todes.

Jedes Bildchen ist ein harter Taktschlag für unser Gemüt, ein Weckruf für unser Gewissen und unsern Geist. Holbein gleicht in der Sprache seiner Bilder den reformatorischen Volkspredigern, die die Seele des Volkes erschütterten und die Schrecken der Zeiten voraussagten. Im Alphabet überfällt der Tod Papst, Kaiser, König, Kardinal, Herzog, Bischof, Fürst, Graf, Kaufmann, Arzt, Wechsler, Pfaffe, Ritter, Nonne, Narr, Hure, Spielmann, Bauer, Einsiedler, Spieler und Kind in tanzenden Sprüngen, und die klaren Bogen und Balken der großen lateinischen Buchstaben werden von gotisch krummen, zackigen, runden und eckigen Lichtern und Linien lustvoll durchbrochen und umspielt, aber mit starkem Griff sind Raum, Fläche, Körper, Starrheit und Lebendigkeit zu wunderbarer Einheit zusammengezwungen. Im Lyoner Totentanz breitet sich die Sitten- und Charakterschilderung in legendenhaften Zügen aus, und der grausame Hohn der Auftritte wird durch heitere Landschaften und Straßenansichten gemildert. Der Tod behandelt die Menschen nach Würde und Rang, findet aber jeden in der Stunde, wo er sich am stolzesten wähnt und in seiner eigentümlichsten Schwäche zeigt. Zum Papst kommt er, da er den Kaiser krönt (schadenfroh lachen die Teufel darüber), dem Kardinal nimmt er den Hut ab, während er den Ablaßbrief vergibt, dem Domherrn tritt

Holzschnitt, Der Ackermann und der Tod.
[495]      Der Ackermann und der Tod.
Holzschnitt aus der Totentanzfolge
von Hans Holbein, 1538.
er in den Weg, als er mit seinem Falkner die Kirche betreten will, den Pfarrherrn trifft er auf der Kanzel, den Mönch beim Betteln, den König an der Tafel, den Ritter beim Kampf, den Rychmann beim Golde, den Kaufmann bei der Schiffs- [497] ladung, den Ackermann beim Pflügen, den Richter in dem Augenblick, wo er sich bestechen läßt, die Gräfin bei den Kleidern und die Nonne bei ihrem Liebhaber. Jedes Bildchen ist ein kleines Sinngedicht, das der Maler aus dem Reichtum seiner Menschenkenntnis und Naturliebe, seiner Lebensweisheit und Bildempfindung geschöpft hat und in dem er die Schatten des Spottes stimmungsvoll durchleuchtet hat mit der Güte seines Lichtes. Zart und menschlich begleitet er die Greise auf dem leichten Wege zum Grabe.

Auch die Bilder zum Alten Testament wurden von Hans Lützelburger in Holz geschnitten und später, 1538, in Lyon mit den lateinischen Stellen der Vulgata von Trechsel herausgegeben. Als Bibelerzähler unterscheidet sich Hans Holbein von Raffael und Dürer, daß er schon wie Rembrandt seine Bilder mehr nach der innerlichen Stimmung des Vorganges als nach der darstellerischen Wirkung auswählte. Dürer und Raffael gehörten mehr der plastischen Vergangenheit, Holbein schon der malerischen Neuzeit an. Als erster gab er auch seiner Zeichnung den besonderen deutschen Ton einer dichterischen Helligkeit und Wärme, der später alle die Idyllen von Elsheimer,

Holzschnitt aus Holbeins Illustrationen zum Alten Testament.
[497]      Isaaks Segen.
Holzschnitt aus den Illustrationen Hans Holbeins
zum Alten Testament, 1538.
Chodowiecki, Overbeck, Genelli, Richter und Führich beseelen sollte, nur daß Holbein zugleich naiver und kräftiger, einfacher und geistvoller als seine romantischen Nachfolger war. Gerade die schönsten unter seinen Holzschnitten: Die drei Engel bei Abraham, Die Opferung Isaaks, Der Segen Isaaks, Ruth und Boas, Tobias, Hiob, David und Saul, Salomon im Tempel, Die Rückkehr aus Babylon, David dichtet die Psalmen, sind von ganz persönlichen landschaftlichen und innenräumlichen Empfindungen erfüllt. Es fehlt auch in den Bibelbildern nicht an feierlichen Auftritten und an zornigen Spannungen, aber sie finden weniger in der Bewegung der menschlichen Figuren als im Aufschlagen und Prasseln der Flammen oder in den Wolken und Feuervisionen des Moses und Elias ihren Ausdruck. Holbein verfaßte diese Bilder in dem einfachen Umriß- und Reliefstil, der in der deutschen Kunst schon in den romanischen Bronzetüren von Augsburg und Hildesheim seine Eigenart gezeigt und Bildhandlung, Figur und Fläche zu einer irrationalen, aus dem Unklaren hervorspringenden Deutlichkeit der Gedanken vereinigt hatte. Den Volkston der älteren [498] Armenbibeln, den Holbein bewußt in seine Erzählung aufnahm, erhob er durch die reizvolle Abwandlung und immer wechselnde Betonung der Linien zu einer abgeklärten Kunstweise. Seine Bibelbilder sind alle von geheimen dramatischen Gewittern erfüllt, die sich aber nicht entladen können, da der Klang des Lichtes die Spannungen leise auflöst.

In den Uffizien in Florenz hängt das einzige Selbstbildnis von Holbein, das er kurz vor seinem Tode 1543 gemalt hat. Die knorpelige Nase und der mürrische Mund werden von einer klaren Stirn überwölbt, und die durchsichtigen Augen blicken beobachtend von innen her in die Welt. Es ist das Gesicht eines Bauern und nicht eines bürgerlichen Hofmalers, einer beherrschten, aber im Grunde wilden Natur. So unmittelbar wie in diesem Selbstbildnis fühlen wir die menschliche Nähe des Künstlers nur in dem Familienbild, das er nach der Rückkehr aus London von seiner Frau Elsbeth und den Kindern Philipp und Katharina gemalt hat. Die Mutter mit dem kleinen Mädchen auf den Knien und der strenge Profilkopf des Knaben sind mehr malerisch als räumlich zu einer Gruppe verbunden, aber die

Holbein, die Darmstädter Madonna.
[488b]      Hans Holbein d. J.: Madonna
des Bürgermeisters Meyer von Basel, um 1526.
Darmstadt, Schloß.
liebevolle lineare Einzelcharakterisierung der Köpfe wird überbrückt durch den geheimnisvoll zusammenklingenden Gesamtumriß und die warme Vertrautheit des Lichtes. Wie in diesem Familienbildnis sind die Menschen auch in Holbeins Wand- und Altarwerken zu Gruppen vereinigt, die zugleich gemessen und frei, stolz und innig erscheinen. In dem frühen Solothurner Altar steht der Ritter Ursus als ein väterlicher Beschützer neben der jugendlichen Maria, und die Darmstädter Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer ist überhaupt eher ein sonntägliches Familienbild als ein sakrales Kirchenstück, obwohl die Gottesmutter sich in ihrer Idealität weit von der Porträtwirklichkeit der Basler Bürgerfamilie entfernt. Mit welchem räumlichen Feingefühl Holbein den Familienkreis des Thomas Morus geschildert hat, erfuhren wir aus dem warmen Lob des Erasmus, aber auch das Bildnis des Königs Heinrich VIII. im Kreise der Chirurgengilde von Barbershall und das nicht mehr erhaltene Wandbild in Whitehall, das den König mit Jane Seymour und seinen Eltern Heinrich VII. und Elisabeth von York darstellte, erhielten ihre feierliche, aber nicht höfische Figurenharmonie durch die Fähigkeit des Künstlers, die Menschen auch im strengen Stil menschlich zu erfühlen und der stillen Naturwirklichkeit immer den Bewegungstakt des Geschichtlichen zu geben. Das Gruppenbildnis, das das Einzelporträt in die bühnenmäßige Ordnung mehrerer Figuren aufnimmt, war für die verbindliche Lebensauffassung Holbeins sehr bezeichnend, da es sowohl zur Erzählung als zum Stilleben gehört und als eine Zwischenstufe zwischen dem Wandbild und dem vertrauten Porträt angesehen werden kann.

Allgemein bekannt ist wohl die farbige Basler Zeichnung eines jungen Mannes, dessen feingeformte Blässe von einem breiten schwarzen Hut umrahmt wird. Wie sich im Totentanzalphabet die wilde Figürlichkeit um die steifen lateinischen Buchstaben windet, so biegen sich in diesem Bildnis die weitgezogenen Randlinien [499] schmuckhaft um den geraden Stolz der aufrechten Kopfhaltung. Der Bonifazius Amerbach (1519) zeigt dieselbe beweglich starre Form, die den Umriß des männlichen Kopfes in die durchsichtig abgegrenzten Farbflächen einspannt. Aus dieser sinnlich abstrakten Doppelnatur der Malerei Holbeins ist auch das Dresdener Bildnis des französischen Gesandten Morette (etwa 1534) zu erklären, in dem die trockene Klarheit der Linie zu einer seidigen schwarz-weiß-grün-blauen Farbenvornehmheit erblüht ist, daß man dieses deutsche Meisterwerk früher unbedingt für einen Lionardo halten wollte. Die Haltung der Holbeinschen Bildnisfiguren hängt nicht mit dem Stehen und Sichaufrichten der Körper, sondern mit der Dehnung der Linien in der Fläche zusammen. Selbst die frei dastehenden Figuren der Wandbilder oder die vier Gestalten der Orgelflügel, Heinrich II., Kunigunde, Maria und Paschalis, die sich in ihren schmalen hohen Nischen in der eigenen plastischen Fülle wiegen, haben keinen körperlichen Stand auf der Erde, sondern sie runden sich wie Kirchenpfeiler aus dem Raume und der Bildfläche heraus. Die große Haltung auch der beiden Gesandten auf dem Londoner Bild mit den geometrischen und musikalischen Instrumenten (1533) ist kein bewußtes Geltenwollen, sondern Ausdruck einer abstrakten Würde, die in dem ethischen Formgefühl des Künstlers ihre Wurzel hat, und ähnlich beruht die ungezwungene Anmut der kindlichen Prinzessin von Dänemark (1538) allein auf dem zart abgestimmten Verhältnisse ihrer Figur zum Bildrahmen und der Helligkeiten des ruhigen Gesichtes und der belebten Hände zum farbigen Dunkel der Kleidung. In jedem Bildnisse von Holbein wird man unwillkürlich zuerst die Haltung des Dargestellten bemerken, die bei einem Kinde wie dem zweijährigen Prinzen Eduard (1538) ebenso wie in den Staatsbildnissen des William Warham, Erzbischofs von Canterbury (1527), oder des Herzogs von Norfolk (1538) immer an die Leichtigkeit und Strenge der Augsburger Palastfassaden erinnert.

Hans Holbein überragt die Stilisten seiner Zeit, Bronzino und Clouet, darin, daß er in seinen Bildnissen immer ein Ganzes an Bewegung, geistiger Kraft, persönlicher Empfindung und verinnerlichter Form darstellt. Er sieht und malt die Menschen so, wie sie in ihrem Raume und in ihrer Umgebung leben. Sein Londoner Freund Nikolaus Kratzer (Paris 1528) ruht inmitten der astronomischen Meßinstrumente als ein menschliches Stilleben im Bilde, und aus dem malerischen Ton der sonst sachlich gezeichneten Gesichtszüge und Hände dringt sein innerstes, dem Künstler vertrautes Wesen hervor. Gereifter findet sich dieselbe Auffassung in dem Bildnis des Jörg Gisze (Berlin 1532), der in dem reichen "Schrein" seines Kontors zwischen allem Kleinleben der Papiere, Federn, Siegel, Waage, Schnurkugel und Nelken selber zu einem malerischen Ton versinken würde, wenn sein Antlitz nicht aus der schattenhaften Bewegung der Farben als lebendige plastische Mitte auftauchte. Meisterlich hatte Holbein schon ein Jahrzehnt früher seinen Gönner Erasmus "im Gehäus" gemalt (Basel, Paris 1523), und er war dabei mit der messerscharfen Zeichnung des klug geschnittenen Profiles mit der langen [500] Nase und dem lächelnden Zug um die Lippen schon in die schwierigsten Gebiete der Menschendarstellung vorgedrungen.

Holbein zwingt uns, in jedem seiner Bildnisse ebenso auf den Ton des Ganzen wie auf die feinen Linien der Augen, Lippen und besonders der Hände zu achten, denn die malerische Seelen- und Raumempfindung durchdringt sich in seiner Auffassung mit der erkenntnismäßigen linearen Charakterzeichnung. In der Vorstudie zu den Händen des Erasmus ist das stoffliche Leben der Finger so naturhaft warm erfaßt wie in andern gleichzeitigen Skizzen das Fell eines Lammes oder die Flügelhaut einer Fledermaus. Für jeden Menschen fand Holbein ein anderes Motiv, um den Gehalt des Gesichts aus den malerischen Beziehungen der Umwelt, der Wendung und Haltung des Körpers oder dem

Bildnis des Dietrich Born.
[488c]      Hans Holbein d. J.:
Bildnis des Dietrich Born,

eines deutschen Kaufmanns in London, 1533.
Windsor Castle.
Zusammenspiel der Arme und Hände hervortreten zu lassen. Die Kaufleute Dirk Tybis (Braunschweig 1533), Cyriakus Fallen (Wien 1533) oder Hermann Wedigh (Berlin 1533) stehen etwa hinter einer Brüstung oder halten Briefe und Handschuhe in den Händen, der stolze Dietrich Born (Windsor 1533) legt seine schöne Hand über den Arm, während die Engländer Richard Southwell (Florenz 1536) und Sir Thomas Strange (London 1536) mehr in dem straffen Bau ihrer Gesichtsflächen erfaßt und in den Bildgrund gesetzt sind. Es ist erstaunlich, daß Holbein bei der schwindelnden Höhe seines Könnens nie den Boden unter den Füßen verlor, sondern immer von neuem aus dem Leben und aus der Natur zu schöpfen begann. Auch in seinen reifsten Bildnissen paßt er seine Form dem Wesen der Auftraggeber an und malt gleichzeitig die verschleierte Vornehmheit eines Unbekannten (Basel) in dunklem Abstand tiefer Töne und die kräftige Lebensnähe eines Fünfzigers (Berlin) in einem Vordergrundlicht, das innerhalb der dicht zusammengewachsenen Gesamtform jede Falte des rotseidenen Ärmels und jedes Barthaar erhellt.

Jedes Bild von Hans Holbein ist ein in sich ruhendes und nur durch sich selber wirkendes Kunstwerk, das unsere Sprache nur durch Umschreibungen erfassen kann. Es erleichtert aber unser Verständnis, wenn wir mehrere seiner Werke nach dem tieferen Rhythmus ihrer Übereinstimmung gemeinsam betrachten, als ob sie einem einzigen großen Gruppenbild angehörten. In dem Bildnis des Thomas Godsalve und seines Sohnes John (Dresden 1528) betonte Holbein in dem gleichartigen Nebeneinander der Köpfe ebenso die Ähnlichkeit der Züge wie die Überlegenheit des Alters über die Jugend und den patriarchalischen Vorrang des Vaters vor dem Sohne. Das Mauritshuis im Haag besitzt in den Bildnissen des Robert Cheseman von 1533 und dem eines Unbekannten von 1542 zwei Darstellungen von Edelleuten mit Falken. Während in dem früheren Bilde die Breite des Raums und die Lichter und Schatten auf dem abgewendeten Gesicht und der erhobenen Hand den Eindruck bestimmen und der Vogel mehr wie ein stillebenhafter Schmuck hinzugefügt ist, erscheint in dem reiferen Bilde die Figur des Vogels malerisch und linear in die Umrißform einbezogen und als dunklere, schmalere Ellipse gegen die hellere des Gesichts abgesetzt, und der scharfe Falkenblick bildet mit den [501] samtenen Menschenaugen ein anziehendes magisches Dreieck. Holbein stellt sein kunstvolles Wissen ganz in den Dienst der Menschendeutung, und die einfachen, entkörperten Flächenbildnisse der letzten Jahre sind im Netz ihrer malerischen Beziehungen besonders reich durchwirkt. Die späten Bildnisse eines jungen Mannes in Wien von 1541 und des Simon George of Quocote in Frankfurt zeigen seine doppelte Neigung zum Malerischen und zum Linearen in vollendeter Veredelung, da in dem einen die Innenraumstimmung des Jörg Gisze und in dem andern die kritische Profillinie des Erasmus weitergebildet wird. In dem jungen Mann hat die tonige Seelenwärme der Farben, die den Raum wie in romanischen Miniaturen andeuten und teilen, ihre abgeklärte Sättigung erfahren, während in dem Simon of Quocote der kühle Schliff der Linie besonders in dem schrägen Gegeneinander der roten Nelke und der weißen Hutfeder an den Rand des Geschmeidigen geraten ist. Der Künstler und Kunsthandwerker stritten und versöhnten, ergänzten und trennten sich in Holbein in fortschreitender Entwicklung, aber so, daß seine Werke immer reiner aus diesem inneren Getriebe seines Geistes und seiner Sinne hervorgingen. Einige Jahre früher sind die Bildnisse der Königin Jane Seymour (Wien 1536) und der Prinzessin Anna von Cleve (Paris 1539) entstanden. Die Königin steht in ihrer rostbraunen Kleidung mütterlich freundlich im Raum des grünen Grundes, die Prinzessin aber, da es sich um ein Brautbild handelte, in fürstlicher Schönheit und reichstem Schmuck wie ein strenges Ornament in der Enge der Fläche. Man könnte, unter den Windsorzeichnungen blätternd, noch eine Reihe solcher Zusammenstimmungen unter den Bildnissen Holbeins feststellen und würde dabei immer tiefer in seine harmonische, wechselvoll schmiegsame und geistig klare Kunst eindringen.

Hans Holbein d. J.: Frauenbildnis.
[496a]      Hans Holbein d. J.: Frauenbildnis,
vermutlich die Gattin des Künstlers, um 1525. Haag, Museum.

Man nennt Dürer zeichnerisch und Grünewald malerisch und will damit sagen, daß der eine den Ausdruck mehr in der Linie, der andere mehr in der Farbe gesucht habe. Holbein kannte diesen Gegensatz nicht, sondern Linie und Farbe bedeuteten ihm nur verschiedene Wege der Erfassung und Darstellung des Lebens, und er sah in ihrer Kreuzung erst das Ziel seiner Kunst. Er malte mit der Feder und dem Silberstift ebenso tonig, wie er mit dem Pinsel linienrein zeichnete. Zu verschiedenen Bildnissen von Holbein sind die Vorstudien erhalten, so zu dem Doppelbildnis des Bürgermeisters Meyer und seiner Frau in Basel, zu den Bildnisköpfen der Darmstädter Madonna, zum Thomas Morus, zum Morette, zur Königin Jane Seymour: die Menschen sind darin im Umriß und in der Binnenform schon so erschöpfend erfaßt, daß es scheinen könnte, Holbein hätte in den ausgeführten Bildern nur die blassen Töne der Studien um die tiefere, glänzendere Farbigkeit bereichert. In Wirklichkeit ist das Bild natürlich keine Wiederholung der Studie, sondern eine aus dem Geiste der Farben erlebte Neuschöpfung. Holbein sieht die Menschen von vornherein in der sinnlichen Einheit von Linie und Farbe, und auch seine Holzschnitte sind von allen malerisch räumlichen Schönheiten des Helldunkels erfüllt, wie umgekehrt die Linien, die sich in [502] seinen Erzählungen wie Bogensehnen spannen und biegen, die ruhigen Flächen der farbigen Bilder leise schwingend umgrenzen.

Auf der Reise durch Frankreich zeichnete Holbein in der Kathedrale zu Bourges die inzwischen zerstörten knienden Grabfiguren des Herzogs Jean de Berry und seiner Gemahlin, wobei seine empfindsame Zeichnung den Materialwert des kühlen Steins und zugleich das Leben der Figuren so täuschend wiedergab, als ob er das Herzogspaar nach der atmenden Natur, nicht nach gemeißelten Bildern aufgenommen hätte. Linie und Farbe waren für Holbein gleichwertige Ausdrucksmittel, wo immer es galt, Dinge und Menschen in ihrem Wesen zu erfassen und zu erwecken und ihre innere lebendigere Form nach außen zu wenden. Seine stummen grünen, roten, blauen, grauen Tonlagen lassen die einzelnen Farben nie zu einem sinnlichen Leuchten und Glühen hervortreten, sondern halten sie in der flächigen Gebundenheit der romanischen Glasfenster fest. Auch im Bildnis folgt Holbein dem Gesetz des Wandbildes, das von der gebändigten Bewegung der Baukunst beseelt wird, und man sieht hinter seinen Köpfen immer die großartigen Flächen deutscher Mauern hochsteigen. Seine Linien straffen sich wie die Kanten und Bogen der Pfeiler und Streben. Auch wenn die phantasievollen Entwürfe Holbeins für die Fassaden des Hauses Hertenstein in Luzern und des Hauses zum Tanze in Basel nicht bekannt wären, könnte man aus seinen Bildern auf einen starken Sinn für Maß, Teilung und Weite schließen. Holbein formt und bezwingt Raum und Fläche, gleitende Höhen und Tiefen wie ein großer Baumeister. Aber auch das Bewegungsgefühl des Bildhauers trug er in sich. Die Gestalten der Wandbilder und die vier Figuren der Basler Orgelflügel, die Gruppen des Totentanzes und die "Marien in der Nische" seiner Zeichnungen und des Darmstädter Bildes sind aus einer tiefen Einsicht in den Zusammenhang von Schwere, Bewegung und Stand im Aufbau des menschlichen Körpers entworfen, und nach demselben plastischen Gesetz ordnen sich in den Bildnisköpfen Schädel, Nase und Kinn zu einem innerlich erfüllten Ganzen.

Holbein reichte in seiner seelischen Empfänglichkeit für alles Menschliche weit in die spätern dichterisch malerischen Zeiten hinein, aber in seiner Form trennte er sich nicht von dem mittelalterlichen Erbe der Portal- und Altarbildnerei der Dome. Innerhalb der deutschen Kunst ist seine Malerei das merkwürdigste Beispiel dafür, wie die Raum- und Bewegungsspannung der Baukunst und der Bildnerei in die Fläche des malerischen Bildes übertragen und wie die runde Fülle des Lebens zur Reinheit der künstlerischen Form abgeklärt werden konnte. Form bedeutete für Hans Holbein ein tätiges, geistiges Prüfen, Wählen, Ausscheiden und Ausgleichen der Werte, und weil seine Kunst auf diesem ethischen Pfeiler ruht, enthält sie nicht nur die schöne Erfüllung eines begnadeten Könnens, sondern auch das unstillbare Verlangen, sich immer weiter zu entwickeln. An alle nachlebenden Künstler aber richtet Holbein die strenge Forderung, nicht zu rasten, bis ihre Form sich selber vollendet hat.




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz