[Bd. 1 S. 466]
Lukas der Maler ist im Jahre 1472 in dem fränkischen Städtchen Kronach geboren, dessen Namen er später geführt und behalten hat. Schon der Vater war Maler, und eine ältere Nachricht weist darauf hin, er sei jener Jakob Sunter (auch Sunder oder Sünder) gewesen, der, aus einer Konstanzer Künstlerfamilie stammend, in den 1460er Jahren im Domkreuzgang zu Brixen merkwürdige Wandbilder schuf und später vom Bamberger Bischof ins Fränkische berufen worden sei. Gewiß hat der Sohn zuerst bei dem Vater das Handwerk erlernt und hat dann als Geselle und junger Meister in der Fremde sein Brot gesucht. Nach Bayern und Österreich muß ihn damals sein Weg geführt haben. In den Jugendwerken hat man den Einfluß der Münchener Maler Gabriel Mäleßkircher und Jan Polak spüren wollen, eines der bedeutendsten ist für eine bayerische Kirche geschaffen worden. Sicher hat Cranach um die Jahre 1500 bis 1503 in Wien gearbeitet und ist wahrscheinlich hier seßhaft gewesen. Mit den ersten Tafeln und Holzschnitten, die wir von Cranachs Hand kennen, tritt er als einer der Schöpfer und Bahnbrecher des Donaustils in das Licht der Geschichte. Eine Bewegung von Sturm und Drang hat in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts mit dem Schaffen jener jungen und kühnen Generation der in den siebziger Jahren Geborenen die etwas handwerklich gewordene und stagnierende deutsche Malerei aufgewühlt. Der große Tiroler Michael Pacher hatte zuvor schon die Raumtiefe und plastische Kraft Mantegnas über die Alpen geholt und mit deutscher Beseelung zu herben und grandiosen Bildungen gesteigert. Der ältere Rueland Frueauf in Salzburg und Passau, der jüngere in Passau und Wien entwickelten den Schwung großer Komposition, die Glut und die Zartheit [467] herrlicher Farbenklänge. Sie öffneten zuerst für den stillen Zauber der heimischen Gebirgs- und Donaulandschaft die Augen. Junge Maler wie Jörg Breu von Augsburg schufen in den Klöstern um Wien Altartafeln, in denen mit einer neuen Leidenschaft, einem neuen Naturgefühl das Tun der Menschen und die Fülle der Welt zum Bilde gestaltet wurde. Bald sollte Albrecht Altdorfer in Regensburg, Wolf Huber in Passau ihnen folgen. Der gewaltigste Aufruf und Ansporn aber kam von dem jungen Albrecht Dürer, der damals das flammende Feuer seiner "Apokalypse" und seiner mächtigen Holzschnitte weithin in die Herzen und Augen der Altersgenossen ausgoß. Von diesen schöpferischen Strömen ward Lukas Cranach in Österreich aufs stärkste ergriffen. Eine Reihe von Holzschnitten sind 1502 und 1503 in Wien entstanden: ein Ölberg, mehrere figurenreiche Kreuzigungen, ein heiliger Stephan. Deutlich ist hier das Vorbild Dürers, deutlich aber auch die geringere Formenklarheit, das maßlos ungebändigte Temperament des Zeichners. Alles quirlt von wilder Bewegung, heftiger, fast bäurischer Ausdrücklichkeit, von wurzelhaft knorriger, ornamentaler Belebtheit. Eine ungebärdige Leidenschaft scheint sich nicht genug zu tun.
Diese Zeit fand bald darauf ihr Ende. Noch im Jahre 1504 oder spätestens zu Anfang des nächsten Jahres ist der Zweiunddreißigjährige nach Wittenberg übergesiedelt und hat dort seinen Hausstand begründet. Vielleicht ist das Urbild der holden Maria des letzten Bildes Cranachs Frau Barbara Brengbier, die Tochter eines Gothaer Ratsherren und Bürgermeisters, deren Züge uns später immer wieder in seinen Werken begegnen. Cranachs Ruf als Maler muß damals in das seiner Heimat benachbarte Sachsen gedrungen sein, vielleicht auch wirkte eine Empfehlung Kaiser Maximilians mit, und Kurfürst Friedrich der Weise berief ihn als seinen Hofmaler in das junge Residenzstädtchen, das durch die Gründung der Universität zu einem besonderen Aufschwung bestimmt war. Wenn auch hier keine heimische Kunstschule blühte, so entfalteten doch die sächsischen Fürsten eine große Bautätigkeit, und Friedrich hatte schon früher durch Aufträge an Dürer und die Beschäftigung Jacopo de Barbaris sich als ein feinsinniger Kenner und Kunstförderer erwiesen. In seinem neuen, mit 100 Gulden Jahrgeld gut bezahlten Amte fand Cranach ein überreiches Feld künstlerischer Betätigung. Er hatte in seiner Werkstatt, die sich bald mit Gesellen und Lehrknaben füllte, nicht bloß nach dem Brauche der Zeit alle Arten handwerklicher Malerei auszuführen, hatte Kostüme, Rüstungen, Schmuckstücke und Dekorationen für den Hof zu entwerfen, sondern vor allem übernahm er die umfangreiche Ausschmückung der sächsischen Schlösser und Jagdhäuser mit Wandgemälden, die uns leider verloren sind, hatte Kirchen und Kapellen mit Altarwerken und Votivtafeln zu schmücken, schuf die Bildnisse der sächsischen Kurfürsten und Herzoge, ihrer Frauen und Kinder, zahlreicher benachbarter Fürsten, der Adligen dieser Höfe und manches angesehenen Bürgers, dazu viele Gemälde profanen Inhalts, von Jagden und Kriegsereignissen wie von antiken Historien und Mythologien nach dem neuerwachten Bildungsbedürfnis dieser Zeit. Dazu kamen zahlreiche Holzschnitte und einzelne Kupferstiche, die als gedruckte Kunst für ein weiteres Publikum in die Welt hinausgesandt wurden. Da Cranach alle diese vielseitigen Anforderungen mit Zuverlässigkeit und künstlerischer Gediegenheit offenbar ganz nach den Wünschen seiner Auftraggeber erfüllte, konnte es nicht ausbleiben, daß sein Ruf und sein Ansehen weit herum ständig sich mehrten und daß er im ganzen Norden und Osten Deutschlands bald zum ersten und richtunggebenden Meister wurde. Er wurde der reichste Bürger Wittenbergs, saß bald im Rate der Stadt, ward ihr Kämmerer und von 1537 bis 1544 ihr Bürgermeister. Neben der großen Malerwerkstatt gründete er eine eigene Druckerei und übernahm 1520 auch die Apotheke der Stadt, die er durch sachverständige Hilfskräfte führen ließ. Seiner Ehe entsprossen zwei Söhne, die als Maler seine Gehilfen und Nachfolger wurden, und drei Töchter, die er angesehenen Männern vermählte. Als dienstwillig, freundlich und freigebig war er bei hoch und niedrig beliebt. So ward er auch der Vertraute, ja der Freund [469] seiner kurfürstlichen Herren, nach dem Tode Friedrichs des Weisen 1525 seines Bruders Johanns des Beständigen und seit 1532 dessen Sohnes Johann Friedrichs des Großmütigen, dem er bis zum Tode diente. So ist Cranach beinahe fünfzig Jahre lang einer der ersten Bürger seiner neuen sächsischen Heimat und der treueste Diener ihrer Fürsten geblieben. Wie hat dieses harmonische Bild des erfolgreichsten äußeren Lebens nun in der Kunst des Meisters seinen Ausdruck gefunden? Es äußerte sich zunächst in einer reichen, fast überreichen Hervorbringung von Werken, die Cranach als den gewiß fruchtbarsten deutschen Maler seiner Zeit erscheinen lassen. Ja, diese Produktion nahm mit der Zeit einen derartigen Umfang an, daß man mindestens seit seinem fünfzigsten Lebensjahr, d. h. seit etwa 1522, mit der starken Mitarbeit von Gehilfen, allen voran seiner Söhne Hans und Lukas, rechnen muß, da naturgemäß nur eine größere Werkstatt imstande war, allen Bestellungen zu genügen, und da besonders in der späteren Zeit viele der erhaltenen Werke ein mehr handwerkliches und in vielen Abwandlungen wiederholendes Wesen zeigen. Das ist in einer Zeit, da die Malerei ein wenn auch edles Handwerk war und blieb, nichts Ungewöhnliches und Tadelnswertes, um so mehr, als die handwerkliche Gediegenheit der Cranachschen Werke stets auf derselben hohen Stufe geblieben ist. Es ist aber ein Irrtum gewesen, anzunehmen, daß der Meister in seinen reiferen Jahren an den Gemälden, die aus der großen Werkstatt hervorgingen, nur mehr einen geringen oder gar keinen Anteil mehr genommen habe. Er hat bis zu seinem Ende entworfen, gezeichnet, gemalt und die Werkstatt geleitet, und gerade die künstlerische Eigenart aller ihrer Werke beweist, daß Cranach, wie etwa Rubens nach ihm, die schöpferische Kraft und der verantwortliche Meister alles dessen geblieben ist, was unter seinem Namen und mit seinem Wappenzeichen, der geflügelten Schlange, hervorging. Und in der Tat ist Cranach in den langen Jahrzehnten seiner Wittenberger Arbeit der Schöpfer eines ihm recht eigentlich eigentümlichen Stils deutscher Malerei geworden, der von der Art seiner Wiener Anfänge sich stark unterscheidet.
Der Maler Cranach aber hat mit seinen ersten Wittenberger Werken seinen Stil grundsätzlich und gegenüber den frühen österreichischen Tafeln in einer fast unbegreiflichen Weise gewandelt. Starke und für uns bis heute nicht faßbare Eindrücke fremder Kunst müssen ihn dazu veranlaßt haben. Man weiß nur, daß von 1503 bis 1505 der Venezianer Jacopo de Barbari in Wittenberg gearbeitet hatte und neben ihm auch ein niederländischer Maler dort tätig war. Die neunzehn Altarwerke der verschiedensten in- und ausländischen Meister, mit denen der Kurfürst die im Jahre 1508 an die Universität überwiesene und feierlich eröffnete Stiftskirche geschmückt hatte, sind uns verloren. Das erste erhaltene Werk Cranachs ist das Altartriptychon mit der Katharinenmarter als Hauptstück und je drei stehenden weiblichen Heiligen auf den Flügeln, das 1506, wahrscheinlich für Torgau, entstanden ist. Es zeigt nicht mehr die freie Räumlichkeit und Bewegung, nicht mehr die farbige Glut der frühen Bilder. Mit einer gewissen Lahmheit und Eleganz sind die Figuren in einer vorderen Ebene altertümlich aufgereiht, die Landschaft bildet nur mehr die Hintergrundfolie, die Farben scheinen branstig und matt. Wenn man von einem Fortschritt reden will, so kann man ihn nur in [471] der feineren zeichnerischen Durchbildung der nun schlank- und hochgegliederten, das Bild beherrschenden Gewandfiguren, in dem bildnishaften, doch etwas weichmütigen Charakter der Köpfe erkennen. Was früher dramatisches, ja dämonisches Leben war, ist nun blasse Repräsentation geworden, in der nur einzelne reizend-poetische Züge an den früheren Meister erinnern. Die mit Halbfiguren überfüllte Nothelfertafel in Torgau zeigt die gleiche, wie ein Rückschritt erscheinende Wandlung. Wenn uns aus diesen Jahren auch nur wenig Gemälde erhalten [472] sind, so lassen diese doch bestimmt auf eine Krisis des Schaffens, auf die mangelnde Harmonie einer Übergangszeit schließen. Aber der Meister hatte Kraft genug, diese zu überwinden. Im Sommer 1508 sandte ihn der Kurfürst nach Antwerpen zu den Huldigungsfeiern für den achtjährigen Thronfolger in den Niederlanden, Erzherzog Karl, den späteren Kaiser Karl V. Er hat damals in Antwerpen ein rasches Bildnis Kaiser Maximilians entworfen, ein Porträt des fürstlichen Knaben gemalt und scheint als Künstler für sich und seinen Herrn Ehre eingelegt zu haben. Gewiß hat er auch von dem blühenden künstlerischen Leben in den Niederlanden starke Eindrücke mit nach Hause genommen, ohne daß man auf bestimmte Namen und Vorbilder mit Sicherheit hinweisen könnte. Das stärkste Zeugnis der auf diese Reise folgenden Bereicherung und Festigung des eigenen malerischen Schaffens ist der stattliche Flügelaltar mit der Heiligen Sippe, der 1509 höchstwahrscheinlich für Torgau geschaffen wurde.
Hier ist eine große Klärung und raumhafte Ordnung des Bildgefüges im Sinne der nun auch in Deutschland sich durchsetzenden Renaissanceanschauung auffallend. Dabei ist aber nicht ein schematisches Raum- und Figurengebilde entstanden, sondern eine höchst lebendige und bewegte Verschränkung anmutiger Menschengruppen in einer klar gebauten Architektur, die zu beiden Seiten den Ausblick in holde Landschaftsfernen eröffnet. Auf einer neuen Ebene hat der Meister sich selber wiedergefunden, und auch in der Farbe besitzt er jetzt die Wärme und Tiefe, den Glanz und Schmelz, die fortan seinen Werken eigentümlich geblieben sind. Auch andere Tafeln aus dieser Zeit geben Zeugnis von einem besonders beglückten Schaffen: der Fürstenaltar in Dessau mit dem reichen Linien- und Formenspiel seiner Frauen- und Kindergruppe, den Bildern der Apostel und der fürstlichen Stifter, die Halbfigur der Mutter Maria im Breslauer Dom, in der wieder wie einst die rauschende Waldlandschaft mit ihren Tannen das menschliche, versonnene Leben durchwirkt und umklingt, endlich die lebensgroße Aktfigur Venus mit Amor (1509), nicht ohne des italienischen Dürers Vorbild denkbar, aber doch von einem Ernst und einer Größe, wie sie Cranach später in solchen Bildern nicht wieder gefunden hat. Von dieser Zeit ab sind uns auch manche Bildnisse erhalten, die den gereiften und bedeutenden Meister zeigen. Da sind die lebensgroßen Ganzfiguren Herzog Heinrichs des Frommen und seiner Braut Katharina von 1514, flammendes Rot, Grün und Gold prunkvoller Tracht vor schwarzem Grund, zugleich aber Kühnheit und Kraft der lebensnächsten, wahrhaftigsten Erscheinung. Da ist die oft gemalte Halbfigur Friedrichs des Weisen, des willensstarken Fürsten mit den festgepreßten, sinnlichen Lippen und dem großen Blick, in dem Schwärmerei und fromme, geniale Schauung liegt. Da sind die Brustbilder ritterlicher Herren, Gelehrter und angesehener Stadtbürger, breit und fest in ihren Pelzen, die Hände verschränkt, von langem Haar umrahmt die geschlossenen, von Erlebnis und Charakter durchgeformten Gesichter. Mit geringerem Eigenwillen als Dürer, in [473] fließenderen, bewegteren Formen als Holbein hat gerade Cranach diese eigentümlich deutschen Köpfe geprägt und so manche merkwürdigen Gesichter als Spiegelbilder von Wesen und Schicksal uns aufbehalten. Er besaß die Empfindsamkeit für das einmalig Besondere, das unmittelbare Schauen des in der Erscheinung Wirksamen, das feine Gefühl der Charakter aussprechenden Form und eine freie Kühnheit, es so im Bilde zu fassen. Seine Menschen sind nicht übersteigert und nicht von gläserner Kälte, sie haben etwas von der Beweglichkeit, von den vielen Möglichkeiten des Lebens bewahrt. So ist Cranach auch der Maler der deutschen Reformatoren geworden. Seit 1508 lebte und lehrte Martin Luther in Wittenberg. Es ist nicht bekannt, wann sich zwischen ihm und dem Maler die Beziehungen knüpften, aber wir wissen, daß allmählich eine enge Freundschaft aus ihnen entstand. 1520 war Luther der Pate von Cranachs Tochter Anna, 1525 Cranach Brautwerber und Trauzeuge des Reformators, 1526 stand er ihm bei seinem ersten Sohn zu Gevatter. Als Luther 1521 vom Reichstag zu Worms heimkehrte, schrieb er von Frankfurt aus an Cranach als den einzigen seiner Wittenberger Freunde einen bedeutsamen Brief. In den Schreiben, die er von der Wartburg aussandte, wird der Maler und Ratsherr häufig als einer der kräftigsten Anhänger der neuen Lehre genannt. Er gehörte auch zu den wenigen Vertrauten, denen Luther bei einem heimlichen Besuch in Wittenberg als Junker Jörg sich zeigte. Ja es gab damals einen Studentenauflauf der lutherfeindlichen Partei wider Lukas Cranach den Maler und seine Gesellen. Seit Luthers Rückkehr nach Wittenberg im Jahre 1522 muß eine enge Freundschaft und ständiger Verkehr zwischen den beiden Männern bestanden haben; der Hofmaler des Kurfürsten gehörte von nun an zu den stärksten Stützen der deutschen Reformation. In Luthers Tischgesprächen vom Jahre 1537 findet sich die schöne Stelle, wie der Reformator den Maler und seine Ehefrau tröstet, die über den Tod ihres in Italien plötzlich verstorbenen Sohnes Hans verzweifelt und voller Selbstvorwürfe sind – zugleich ein Zeugnis für das menschlich lebenswarme und echte Wesen des reichen und angesehenen Künstlers. 1520 und 1521 hat Cranach die, wie es scheint, frühesten Lutherbildnisse geschaffen, drei Kupferstiche, von denen die beiden ersten den hageren, schwer sich quälenden Mönch, der dritte das scharfe, eigentümlich willensstarke Profil des Glaubensstreiters in höchst eindrücklicher Größe festhält. Aus demselben Jahr stammt der linienklare und kräftig bewegte Holzschnittkopf des bärtigen Junkers Jörg. Von 1526 ab entstanden dann die Bildnisse des Reformators und seiner Frau Katharina von Bora, die später in zahllosen Wiederholungen verbreitet wurden.
Es sind zuerst noch schmale, eigenwillige und feine Köpfe, in denen Charakter und Geist des Mannes, Gefühl und Frömmigkeit der Frau uns stark anspricht. Luthers Erscheinung wurde später massiger und derber – in der schweren Fülle, wie Cranach ihn immer wieder gemalt und für den Holzschnitt gezeichnet hat, lebt das Bild des Reformators heute unter uns fort.
Sehr bedeutend und [474] lebenswahr sind aber auch die schlichten Bildnisse von Luthers greisen Eltern, die 1527 entstanden sind. Und das Bild des hageren und ungepflegten, fast bäuerlichen Gelehrtenkopfes des Melanchthon hat ebenfalls wieder Cranach in einem sehr durchgearbeiteten großen Holzschnitt am eindrucksvollsten auf die Nachwelt gebracht. Das geschah in einer Zeit, da der Maler schon in der Einfachheit großflächiger Darstellung das Wesen seines reifen Stiles gefunden hatte. Es ist schwer zu bestimmen, wieweit und in welcher Weise die Kunst Cranachs von dem neuen Glaubens- und Gedankengehalt der Reformation beeinflußt und verwandelt worden ist. Luther war den Bildern nicht feind, sofern sie nur nicht an Stelle Gottes angebetet würden, er stand aber den künstlerischen Fragen offenbar fern und hat darum der Kunst keine große Anregung gegeben. Er scheint auch nichts dagegen eingewandt zu haben, daß sein Freund noch in den zwanziger Jahren für die erbittertsten Gegner der Reformation, Kardinal Albrecht von Hohenzollern und Herzog Georg von Sachsen, zahlreiche religiöse Bilder ausführte. Hierher gehören die großen Altarwerke für die Stiftskirche in Halle, später in Aschaffenburg aufbewahrt, deren riesige Heiligenflügel der Kunstforschung so manches Rätsel aufgaben, aber doch wohl dem Entwurf, wenn auch nicht allein der Hand Cranachs ihre Entstehung verdankten. Es entstanden die Bildnisse des kunstsinnigen Kardinals, der feine Stich von 1520, das großartige Bild des vor dem Gekreuzigten knienden Prälaten, die kleineren Tafeln, die ihn als heiligen Hieronymus beschaulich in der Studierstube und im Waldgehege zeigen (1525–1527). Noch 1534 malte Cranach das Altarwerk des Schmerzensmannes mit Herzog Georg und seinen Schutzheiligen für den Meißener Dom und lange noch fromme Andachtsbilder der Mutter Gottes mit dem Johannesknaben und spielenden Engelkindern, die gewiß für Besteller des alten Glaubens bestimmt waren. Allein die Altartafeln und Votivbilder im Sinne des katholischen Kultus, wie sie Friedrich der Weise und andere Fürsten bis zur Reformation in reichster Fülle in Auftrag gegeben hatten, hatten nun doch in der protestantischen Kirche keine Stelle mehr, und der Versuch, eine evangelische Kirchenkunst hervorzubringen, wurde nur in bescheidenem Umfang und in einer mehr dogmatischen als schöpferischen Weise gemacht. Die Gegenüberstellung von Sündenfall und Erlösung, wie sie schon 1529, mit frommen Unterschriften versehen, geschaffen wurde, ist ohne innere Bildkraft geblieben. Wohl entstanden nun manche Darstellungen aus den Geschichten des Alten Testaments, die der neuerwachten Bibelfreude entsprachen, aber sie dienten meist der privaten Erbauung und Belehrung, sie hatten mehr nur illustrativen Charakter. Unter den Bildern des Neuen Testaments ist selbst die Passion auffallend selten, häufiger aber erscheinen nun die neuen Darstellungen: Christus und die Ehebrecherin und besonders Christus als Kinderfreund, die Cranach mit Herzlichkeit und frommer Liebesfülle zu schönen und reichen Bildern gestaltet hat. Hier schuf er ein bürgerliches Sitten- und Andachtsbild, das freilich von dem Erschütternden und Erhabenen der alten [475] Glaubenswelt nur wenig mehr sich bewahrt hat. Das Altarwerk der Weimarer Stadtkirche mit der Allegorie der Erlösung, das Cranach kurz vor dem Tode begonnen und das die Werkstatt vollendet hat, stellt einen letzten, noch immer großartigen Versuch dar, ein protestantisches Kirchenbild zu erschaffen. Er ist ohne ernsthafte Nachfolge geblieben. Hat so der neue Glaube für die bilderschaffende Kraft Cranachs eher eine Verarmung sowohl in den Aufgaben wie in den inneren Impulsen gebracht, so bedeutet, auch abgesehen von den Bildnissen, die sein ganzes Schaffen begleiten, das weltliche Bildungswesen der Renaissance, das nun auch in Deutschland die höfische wie die bürgerliche Kultur durchdringt, für ihn eine neue Anregung und Aufforderung zum Schaffen. In den prachtvoll ausgebreiteten Darstellungen der großen fürstlichen Hirschjagden, in den Stilleben des erlegten Wildbrets lebt der feine Landschafts- und Natursinn, die unbefangene Erscheinungsfreude des Malers, der am Weidwerk des Hofes teilnahm, heiter sich aus. Aber weniger die Gegenwart als die Welt der antiken Mythologie und Geschichte ist das neue Stoffgebiet, das Cranach seit den zwanziger Jahren mit Vorliebe pflegte und in dem er sich einen besonderen Ruhm gewann. Hier ist es nun allerdings nicht das heroische, sondern durchaus das idyllische Thema, das ihn reizt und fesselt, ja man muß gestehen, daß es wesentlich die erotischen oder erotisch anklingenden Vorwürfe sind, die er gern gemalt hat und die seine Auftraggeber jedenfalls besonders befriedigt haben. So wie von biblischen Themen Adam und Eva, Judith, Simson und Delila, von sittenbildlichen die ungleichen Liebespaare und der Alte unter den Dirnen, von historischen die immer wiederkehrende nackte Lukretia in diesen galanten Bildern kleinen Formats während der späteren Jahrzehnte fast allein gemalt werden, so liefert auch die Götter- und Heldensage der Griechen vor allem den Anlaß, die ganz oder halb entblößte Frauen- und Mädchenschönheit, den törichten Liebhaber oder eine ganze Fülle zierlicher Leiber in lauschig-einsamer Landschaft darzustellen, mag das Thema die Liebesgöttin, Venus und Amor, Caritas, Apoll und Diana, die Quellnymphe, Bacchus an der Kufe oder die drei Grazien, mag es das goldene und das silberne Zeitalter, die Faunenfamilie, der Jungbrunnen, die Melancholie, mag es Herkules am Scheideweg, Herkules und Antäus, Herkules und Omphale oder das Urteil des Paris heißen. In diesen Bildern hat Cranach als echter, sinnenfroher Maler sein Wohlgefallen an der Schönheit, der grazilen Anmut der jugendlichen, weißen und weichen Körper in immer neuen reizenden Abwandlungen ausgesprochen, indem er sie in immer fließender, vielfältig spielender Formen- und Linienbewegung bald zierlich mit dünnen Schleiern spielend vor einen dunklen Grund, bald in die Wiesen, Quellgründe und Baumdickichte deutscher Landschaften stellt, die in ihrer naiven Heiterkeit an kindliche Träume von irdischen Paradiesen erinnern. Man mag hier gelegentlich und besonders beim Vergleichen vieler solcher Bilder das Schlüpfrige und vielleicht auch das typisch Sächsische dieses Menschentyps empfinden, dennoch [476] bleibt eine stets bewegliche anmutige Phantasie, eine gewisse harmlos-kindhafte Anschauung versöhnend, die selbst das Verfängliche mit dem Zauber des Märchens umkleidet. Und immer wieder findet man Akte von einer Zartheit sinnlicher Empfindung, von einem Reichtum der Linien- und Formenspiele, wie sie nur ein großer Künstler so unbefangen, so bestrickend zu sehen und zu gestalten vermag. Der Spätstil Cranachs, der sich vor allem in diesen Bildern und in zahlreichen Bildnissen ausgesprochen hat, ist auch formal eine überraschende und in ihrer Eigenart vollendete Erscheinung. Er bedeutet eine Umsetzung des Wirklichen in eine klare und kontrastreiche Komposition aus glatten Flächen, kleinen und großen, immer fließenden Formen, ein immer gleitendes, zierlich gerundetes Linienspiel von unaufhörlicher Bewegung, die wie eine unendliche Melodie in sich selber zurückklingt. Man hat von einer Rückkehr zur älteren gotischen Form- und Bildanschauung, ja von einem letzten gotischen Rokoko gesprochen. Man mag hier und da an den naiv-sublimen Zauber Mozartscher Musik sich erinnert fühlen. Und doch ist Cranach mit diesem Spätstil in seiner Weise nicht bloß zu der Fülle seiner Jugend zurückgekehrt, sondern denselben Weg gegangen, den in allen Ländern die Malerei dieser Zeit nach der Hochblüte der erobernden Wirklichkeits- und Bildgestaltung der großen Erfüller eingeschlagen hat, den Weg des sogenannten Manierismus, der mit den dreißiger Jahren des Jahrhunderts beginnt. Das Wort Manierismus bedeutet uns heute kein Werturteil mehr, sondern eine Erscheinung der Stilgeschichte. Ihm gehören auch die Spätwerke Cranachs an, ihm sein freies, im besten Sinne dekoratives Schalten mit den Form-, Raum-, Bewegungs- und Wirklichkeitselementen, die zu einem neuen Flächenstil sich verbinden, ihm auch seine Gestaltung des Farbigen, die immer mehr zu einfachen Kontrasten, zu schlichten Flächen, zu breiten, klaren und oft kühlen Tönen sich wandelt. Vom Ende der dreißiger Jahre bis zu den letzten Werken um 1550 steht der Siebzigjährige nicht bloß auf der Höhe seiner Meisterschaft, sondern in der breiten Front der europäischen Entwicklung. Die heftige Leidenschaft der genialen Jugend hat sich langsam verwandelt in die Selbstbeherrschung einer großen und wissenden Kunst – und hat doch das kindliche, unmittelbare Schauen niemals verloren. Sicher gehört Cranach nicht zu den ganz großen, im Tiefsten schöpferischen Meistern, die in ihren Bildern die Anschauung der Welt umgestalten, die Letztes und Höchstes erschütternd dem ahnenden Bewußtsein erlebbar und sichtbar machen. Er steht nicht im gleichen Range wie Dürer, Grünewald oder Holbein, sondern eine Stufe unter ihnen. Aber er ist ein echter, lauterer Maler und Künstler gewesen, und das Bild der deutschen Kunst wäre ärmer ohne sein Werk. Was ihn von jenen Großen scheidet, ist das weniger Problematische, weniger Bohrende, weniger Bewußte seines Wesens. Gewiß hat auch er um die Gestaltung ständig und treulich sich bemüht. Aber was ihm gelingt, scheint wie spielend und ohne Qual gelungen, was uns anspricht, ist unmittelbare Empfindung und Schauung, die wie von selber zu gültiger und bezaubernder Form wird. Gewiß ist er vielen [477] Anregungen offen gewesen, doch hat ihn kein Vorbild überwältigt, und er verwandelt das Fremde ganz mühelos in die ihm gemäße und eingeborene Weise der Anschauung, die gerade darin ihre Stärke beweist. Die dämonische Kraft und Fülle der frühen Bilder, die ernste und hohe Anmut der späteren Andachtstafeln, das zarte und holde Spiel seiner nackten Märchenidyllen, die schlichte Wahrhaftigkeit seiner Menschenbildnisse, dies alles gehört zum reichen und unverlierbaren Besitz der deutschen Kunst. Der wackere, charakterstarke Mann, der es schuf, bleibt auch in seinem Leben ein Vorbild. In aller Fülle einer vielfachen und fruchtbaren Arbeit, bei allem äußeren Erfolg eines langen und hochgeachteten Daseins ist auch Cranach das Leid nicht erspart geblieben. 1537, als er Bürgermeister geworden, rafft der Tod den begabten ältesten Sohn hinweg. Es kommen die schweren Jahre des Schmalkaldischen Kriegs. 1544 tritt Cranach vom Bürgermeisteramt zurück, übergibt seinem Sohn Lukas eins seiner Häuser, einem Schwiegersohn die Apotheke. 1546 stirbt Luther in Eisleben. Im nächsten Jahre rückt Karl V. gegen Sachsen und nimmt bei Mühlberg den Kurfürsten gefangen. Im Feldlager vor Wittenberg trat Cranach vor ihn. Der Kaiser, den er schon als Knaben gemalt, versicherte ihn seiner Huld, und der Maler soll ihn auf den Knien um Gnade für seinen Herrn gebeten haben. Johann Friedrich der Großmütige wurde zwar nicht zum Tode, aber in eine jahrelange Gefangenschaft geführt. Hier verlangte er nach keinem als dem getreuen Hofmaler, daß er ihm durch seine Gegenwart das schwere und lästige Los erleichtere. Im Jahre 1550 entschloß sich der Achtundsiebzigjährige, seinem Herrn nach Augsburg zu folgen, und verließ, nachdem er das Zeitliche geordnet, ganz in der Stille den Ort seines fünfundvierzigjährigen Wirkens. Aber er ist noch immer rüstig und entfaltet in Augsburg, wo er Tizian begegnet, und später in Innsbruck noch einmal eine eifrige künstlerische Tätigkeit, zum Trost des gefangenen Kurfürsten, der sich damit gern die Zeit vertrieb. 1552 schlug endlich die Stunde der Befreiung und Heimkehr; im Wagen an der Seite seines Fürsten zog der greise Maler wieder in Sachsen ein und ließ sich mit dem Hof in Weimar, er selbst im Hause seines Schwiegersohnes, des späteren Kanzlers Dr. Brück, nieder. Hier traf den Greis am 6. Oktober 1553 der Tod, kurz vor seinem fürstlichen Herrn, dessen Söhne ihm den ehrenden Grabstein setzten. Wie seine Werke so blieb auch sein Leben bis zum Ende das Zeugnis einer mächtigen Naturkraft, einer weisen Mäßigung und Harmonie und eines unerschütterlich geraden Charakters. Die Lebenskraft, den Ernst und die Milde des edlen Mannes zeigt das Selbstbildnis aus dem Jahre 1550 aufs schönste. Und auf dem Altarbild der Weimarer Stadtkirche steht, von der Hand des Sohnes gemalt, zwischen Johannes dem Täufer und Martin Luther in Lebensgröße die feste Gestalt des Betenden unter dem Kreuz, vom Blutstrahl aus der Seitenwunde des Erlösers versöhnt. Als ein Mann, der sein reiches Leben und Werk in Treue vollendet hat.
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