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[Bd. 3 S. 79]
Joseph von Eichendorff, 1788 - 1857, von Wilhelm von Scholz

Joseph von Eichendorff.
[80a]      Joseph von Eichendorff.
Radierung von Eduard Eichens, 1840.
Durch die Art ihrer Schöpfungen zusammenhängende Dichtergruppen hat es schon vor der Romantik gegeben. Aber man wird ohne Vergewaltigung, die ein wenig natürlich in allem Gruppieren und Einordnen liegt, die Romantik die erste durch ein Programm gebundene literarische Richtung nennen dürfen, wenn sie auch außer den eigentlichen Mitgliedern der romantischen Schule selbstverständlich eine größere Anzahl von Außenseitern hatte, die, ohne sich um ein gedankliches Programm zu kümmern, in Stil und Weise der Richtung dichteten und von der Schrifttumsgeschichte mit zur Romantik gerechnet werden müssen.

Ist schon das Programm der Romantiker verworren, spitzfindig, auch sicherlich kein Maß, mit dem man ihre geistigen und dichterischen Leistungen messen kann, so ist das Epigramm, das die Forscher und Kunstdeuter der Romantik geben, vielfältig, mehr geistreich als wahr und voller Widersprüche.

Das eine wie das andere hat für uns an Betrachtungswert eingebüßt. Wir wissen zu viel von der Entstehung der Kunstwerke, als daß uns rein verstandesmäßige Vornahmen – außer denen, die sich auf die naturgegebenen Bedingungen und Gesetze einer Kunst oder auf ihre fachliche Bemeisterung beziehen – wichtig sein könnten. Uns beschäftigt das Ergebnis, das Werk und, auf dem Wege über das Werk, dessen Schöpfer. Unser Maßstab ist auch durch kein Schlagwort von Gruppen zu beeinflussen. Er fordert das unverkünstelte natur- und volkhafte Werk. Wir reihen nur die Dichter solcher in unsere Ehrenhalle.

Es sei vorweg gesagt, daß der Begriff des "Natur- und Volkhaften" nichts mit Publikumsgefälligkeit, nicht einmal mit erreichter Volkstümlichkeit etwas zu tun hat und selbst sehr schwer sich aufschließende und den reifsten Leser voraussetzende Werke umfaßt. Shakespeare, Goethe, Homer, Sophokles, Cervantes, Molière, Schiller, Kleist sind ebenso wie Mörike, ebenso wie Swift oder Hölderlin natur- und volkhafte Dichter.

Das Volkhafte, in seiner einfachsten Gestalt das Volkslied, das Märchen, das Krippenspiel, die Schwankerzählung, ist der Steigerung zum höchsten Menschheitswerk fähig und strebt fortwährend unbewußt diesem Gipfel zu. Es ist zuletzt ein ästhetischer Wertmaßstab, in welchem unverkünstelte Natürlichkeit, Ehrlichkeit, Nennen der Dinge beim rechten Namen, Sachlichkeit, aber auch echte Sinnlichkeit, Derbheit, Freude an Leben, Natur und am Menschen einbegriffen – Konvention, Zeremoniell, Intellektualismus, Snobbismus, Ästhetentum, und was sich sonst [80] nur mit Fremdworten sagen läßt, ausgeschlossen ist. Es setzt gesunden Menschenverstand wie handwerkliche Tüchtigkeit, Können voraus – und Verständlichkeit; freilich fordert es für diese Verständlichkeit auch bedenkenlos bei dem Aufnehmenden ein beträchtliches Maß an Erlebnisfähigkeit und an Erlebthaben. Für Leute, die nichts ergreift, die schwach an Geist und Seele sind, braucht kein Kunstwerk verständlich zu sein. Aber der kluge einfache Mann, der von seinem Dasein bewegt wurde und sich von ihm bilden ließ, steht dem wahren Verständnis des höchsten Kunstwerkes – nach unserem Maßstab und unserer Anschauung – näher als jemand, der viel gelernt hat und viel unterrichtet worden ist und doch die wertvollste Bildung, die durch das Leben, nicht erfuhr.

Messen wir mit diesem Maßstab die Romantiker – und unausdrücklich haben bedeutende Schrifttumsforscher und ‑deuter ähnliche Beurteilungsnormen schon lange wenigstens mit angewandt – so bleibt von der älteren, der sogenannten Jenenser Romantik, wenn wir von ihren großartigen Nebenleistungen wie der Shakespeare-Übersetzung absehen, wenig genug übrig, da man den Genius Hölderlin trotz einer romantischen Zeit- und Schicksalsüberschattung doch zu den Klassikern zählen oder alleinstellen muß. Es sind Fragmente, Briefe, Versuche von Friedrich, August Wilhelm, Caroline Schlegel, religiöse Betrachtungen Schleiermachers, vielleicht ein paar Erzählungen Tiecks und unbestreitbar einige unvergängliche Gedichte von Novalis. Von diesen durchaus wenigen Gedichten abgesehen, ist das andere von der ersten Romantik für uns noch Lebenswichtige doch im wesentlichen das, was wir "Literatur" – in Gänsefüßchen und im Gegensatz zur Dichtung und zum wesentlichen Schrifttum – nennen: Arbeit kluger, gebildeter, geistvoller, geschickter, gedankenreicher und dichterisch empfindender Männer, die doch nicht im höchsten Sinne Schöpfer und Gestalter waren, mehr redeten als bildeten, mehr dachten als machten, mehr wußten als fühlten.

Die Erfüllung dessen, was uns die Romantik bedeutet: Werke, nicht Theorien, Dichtung, nicht Gedanken, Humor, nicht Witz, brachte erst die – um zehn Jahre – jüngere, die sogenannte Heidelberger Romantik, die vor allem an die Namen Clemens Brentano, Achim von Arnim und Joseph von Eichendorff gebunden ist. Sie gipfelt in dem Nachzügler Eichendorff, der nicht nur mit seinem "Es schienen so golden die Sterne..." das schönste aller romantischen Gedichte geschaffen hat, der unabhängig von jeder Zugehörigkeit zu irgendeiner Schrifttums- und Geistesschule einer der größten deutschen lyrischen Dichter und lyrischen Erzähler geworden ist, der ursprünglich wie das Volkslied in der Geschichte unserer Dichtung steht.

Die Heidelberger hat durch Clemens Brentano eine unmittelbare Verbindung mit der älteren Jenenser Romantik. Der 1778 in Ehrenbreitstein geborene Sohn eines italienischen Kaufmanns und der als "Goethes Maxe" literaturgeschichtlich gewordenen Maximiliane von Laroche, der also in sich sehr stark welsches Blut darstellende Clemens Brentano, der erst den Beruf des Vaters ergreifen sollte, dann [81] aber doch, und zwar zuerst in Halle, die Universität beziehen durfte, fand sich und die ihn wesentlich bestimmenden Einflüsse auf seiner zweiten Universität Jena, eben im Schlegelschen Kreise der älteren Romantik.

Wie sich über Brentano die Jenenser in der Heidelberger Romantik fortzupflanzen begann, das zeigt eine auch bei anderen literarischen Strömungen oft beobachtete Tatsache: daß die theoretischen Heraufführer einer Richtung nur für ein etwas jüngeres Geschlecht den Boden bereiten, auf dem die Nachfolgenden, als auf Gegebenem fußend, erst zu unbefangenem, wahrhaft schöpferischem Schaffen gelangen.

Gewiß ist auch Brentanos bleibendste Leistung für unsere Dichtung eine sammelnde und nachschaffende, die mit Arnim besorgte Herausgabe von Des Knaben Wunderhorn. Und gewiß ist ebenso, daß das haltlose, wirre, nie zusammengefaßte, zwischen Sinnlichkeit und religiös betonter Weltflucht hin und her schwankende Wesen Brentanos in alle seine Dichtungen, selbst in einzelne Gedichte, Verworrenheit und Verfall hineingetragen und reine Vollendungen verhindert hat. Dennoch tritt mit Brentano das romantische Dichten in eine großzügige Entwickelung ein. Die verstandesmäßige Zeit des Programmachens und der Dürre ist überwunden, ein geflügeltes dichterisches Talent mit genialen Zügen, vielleicht ein Genie, strömt Fülle.

Hätte dieser Mann sich zu zügeln und überdem auch seine vielen nicht geringen Gaben zusammenzufassen und zu dem hinaufzusteigern gewußt, was als Idee in ihn gelegt war, wären wir um einen sehr großen Dichter reicher. So sind wir es nur um eine fesselnde Erscheinung, die gelegentlich hohe Bewunderung, oft Widerwillen und kaum je Befriedigung erweckt. Er ist nicht Künstler in jenem edlen Sinn der Meisterschaft und der Ehrfurcht vor der Aufgabe, die unbedingt und mit Sachlichkeit erfüllt werden muß. Brentano war zerfahren in seinem Leben und seiner Kunst. Beides hängt zusammen. Aber wir kennen genug Schöpferische, denen wie zum Beispiel Günther die Bemeisterung ihres Lebens nicht gelang und die dennoch in ihrer Kunst, ihrem Werk alles das hatten, was ihrem Leben fehlte: Zusammenfassung, Willen, Fleiß, Strenge gegen sich selbst und festes Ziel. Der Vorwurf gegen Brentano ist, daß er in beidem versagte. Der weltflüchtige schließliche Verzicht ohne einsame Altersweisheit drückt das Siegel auf die Kunst und das Leben dieses Dichters.

Mehrmalige Ehe – zuerst mit Sophie Mereau, zu der seine Liebe bereits begann, als sie noch Gattin eines Jenenser Professors war, dann mit Auguste Busmann – führte zu keinem Glück und vor allem zu keiner Daseinsordnung für Brentano.

Viel wichtiger war für ihn die Berührung mit Achim von Arnim, den er auf seiner dritten Universität, Göttingen, kennenlernte. Auch Arnim ist als Erscheinung des Schrifttums keine klare, volle Ausformung des Wesens Dichter, wie sie sich dann in Eichendorff zeigen wird. Aber er war neben seinem seltsam [82] gemischten romantisch-realistischen Talent ein männlicher, fester Charakter, was auch in seinen Werken sich ausprägte und seinem Umgang, seiner Freundschaft für Brentano Bedeutung und Wichtigkeit gab. In Arnim bekundet sich deutlich sein Herstammen aus märkischem Guts- und Soldatenadel, dem das preußische Heer gewiß so viel von seiner Tüchtigkeit verdankt wie den Königen Preußens.

Arnim, geboren 1781 in Berlin, durch naturwissenschaftliche Studien und Reisen gebildet, heiratete 1811 die Schwester seines Freundes Brentano, Bettina, das "Kind" des Briefwechsels mit Goethe, eine jener lebensvollen, begabten, aufgeregten und gern übertreibenden Frauen der Romantik, die den schwächlicheren Männern meist überlegen waren, und zog mit ihr nach Abschluß seiner Wander- und Studienzeit und der Zeit des unmittelbaren Zusammenarbeitens mit den Gleichstrebenden auf sein Gut Wiepersdorf in die Mark zurück, wo er 1831 gestorben ist.

Der ältere Brentano überlebte den Freund um mehr als ein Jahrzehnt – freilich um eins, das für ihn geistig und dichterisch leer geworden war und nur noch der Kirche gehörte; ein gebrochener, zerstörter, fromm gewordener Genius, der mit dem Leben und seiner Aufgabe nicht fertig zu werden vermochte! Er hatte schon vorher, 1818–1824, sechs Jahre lang geduldig die Aussprüche einer Stigmatisierten aufgezeichnet, der Nonne Anna Catharina Emmerich in Dülmen in Westfalen, und war für die Dichtung längst gestorben. Sein körperlicher Tod erfolgte 1842 bei einem Bruder in Aschaffenburg.

Was von Brentanos und Arnims eigenen Werken heute noch unmittelbar lebendig ist, das ist nicht allzuviel. Von Brentano sicherlich manches seiner lyrischen Gedichte, in denen ähnlich wie in italienischen Gedichten der Klang sich verselbständigt zu haben scheint, denen musikalische Vorzüge selbst dort noch nachzurühmen sind, wo die sprachliche Ausmeißelung versagt. Ein Zuviel: an Worten – oder ein Zuwenig: an letztem Sinn – stört den reinen Genuß, auf den meist schon der gedanklich und ausdrücklich schöne Einsatz eines Brentanoschen Gedichtes erwartungsvoll, begierig und sehnsüchtig macht. So ist gleich das Gedicht "Eingang" eigentlich in der Mitte fertig und verliert sich nach dem "Liebe, die kann lieben" in romantische Worte; und ist dabei kurz und steht inmitten vieler überlanger, vielstrophiger, oft zuletzt in leiernden Ton übergehender Nachbargedichte. "Schwanenlied" und "Sprich aus der Ferne" sind wohl das Vollendetste der Brentanoschen Lyrik. Lebendig ist das Märchen "Gockel, Hinkel und Gakeleia". Und schon stocke ich; denn gerade das Werk, das die geniale, sprühende dichterische Anlage des jungen – damals dreiundzwanzigjährigen – Brentano am reichsten zeigt: "Godwi oder das steinerne Bild der Mutter" – bei dessen Lesen man manchmal an eine Grundbegabung wie die Goethes denken möchte – ist in seiner Jean Paulschen Ungestaltung und Wirrnis heute fast nur noch für den Forscher oder den ausgesprochenen Liebhaber der Romantik lesbar. Und die Dülmener Berichte vom "Bitteren Leiden unseres Herrn Jesu [83] Christi" leben als ein Erbauungsbuch fort; das heißt: sie leben nicht, wenn wir den von uns gesuchten Sinn des volkhaft-dichterischen Aufgenommenwerdens und Wirkens zur Entscheidung anrufen.

Auch Arnims umfangreiches Lebenswerk ist zeitgebunden und geschichtlich geworden. Der Wilhelm Meister, der über allem Romanschaffen der Romantiker als Vorbild stand, hat sein Leben für uns doch immer mehr nur durch die überragende Persönlichkeit, die daraus zu uns spricht, die diese Prosa groß und unvergänglich macht. Die geistig-künstlerischen, ethischen, weltanschaulichen, religiösen Probleme jener Tage, die Romanstoffe jener Tage, sind erloschen oder sie haben sich so gewandelt, daß wir in diesen alten Romanen wie vor Museumswänden von, trotz mancher guter Züge, gestorbenen Gemälden stehen. Das ist alles in allem genommen bei der "Gräfin Dolores" und den "Kronenwächtern" so. In den Erzählungen vom "Tollen Invaliden auf Fort Ratonneau" – der dennoch dichterischer entworfen als vollendet ist – und in der "Isabella von Ägypten" – mit ihrem seltsamen Ineinander von Geschichte und Märchensage – lebt Arnim wohl am meisten für uns Heutige und für die Zukunft. Sie sind nicht nur künstlerisch greifbarer gestaltet; sie überschreiten auch den Umfang nicht, in dem man sich einer vergangenen Zeit hinzugeben sofort bereit ist. Tritt dann wie hier ein Mehr über die erwartete Zeitbefangenheit hinzu, so ist der Eindruck doppelt genußreich und lebendig.

Das, was von Brentano und Arnim aber am meisten Leben in sich getragen hat und heute in sich trägt, das ist ihre auf Herders Vorgang fußende Sammelarbeit am deutschen Volksliede. Was sie da auf Wanderungen, aus dem Volksmunde, aus vergessenen Büchereien, durch ausgesandte Gehilfen und wie immer zusammengebracht haben, begann 1805 unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn zu erscheinen und ist Goethe gewidmet, der es in einer ausführlichen Besprechung begrüßte. Des Knaben Wunderhorn ist Dichterwerk, nicht Philologenarbeit. Es ist wahrscheinlich, daß manche dichterische Einzelschönheit in den Liedern von der überarbeitenden Hand Brentanos stammt – also eigentlich so entstand, wie auch beim Singen eines Liedes von Mund zu Mund im Volke eine dichterische Begabung unter den Singenden dem Volkslied eine neue Schönheit hinzugegeben haben mag – und daß manches Unnaive, Verschönelte ebenso auf Rechnung der Sammler-Dichter zu setzen ist. Das bleibende Verdienst des Buches aber ist, daß es Leser um des Genusses, nicht um der Forschung willen gewann; was rein wissenschaftlich veranstalteten Volksliedersammlungen nie gelungen wäre und auch der späteren Uhlandschen wohl nicht gelungen ist.


1807, mitten zwischen dem Erscheinen der ersten und der beiden folgenden Wunderhorn-Bände bezogen zwei junge Freiherren von Eichendorff, Wilhelm und Joseph, die Universität Heidelberg. Die Ankunft der beiden, die am 17. Mai [84] von Nürnberg her eintrafen, ist mit ein paar Zeilen im Tagebuch Josephs festgehalten, in denen noch heute ein Hauch jener Zeit weht:

"Endlich um vier Uhr morgens fuhren wir mit Herzklopfen durch das schöne Triumphtor in Heidelberg ein, das eine über alle unsere Erwartung unbeschreiblich wunderschöne Lage hat. Enges blühendes Tal, in der Mitte der Neckar, rechts und links hohe, felsige, laubige Berge. Am linken Ufer Heidelberg, groß und schön, fast wie Karlsbad. Nur eine Hauptstraße mit mehreren Toren und Märkten. Links überschaut von dem Abhange eines Berges die alte Pfalzburg, gewiß die größte und schönste Ruine Deutschlands, majestätisch die ganze Stadt. Alles schlief noch. Nur Studenten, wie überall gleich zu erkennen, durchzogen mit ihren Tabakspfeifen schon die Straßen. Wir kehrten im Karlsberge auf dem Paradeplatze ein und legten uns noch einige Stunden schlafen. Zu Mittag an der glänzenden Table d'hote, wo über dreißig Studenten, auch frei, aber artiger und galanter als die Hallenser, speisten..."

Die Heidelberger Landschaft zur Zeit der Spätromantik.
[80b]      Die Heidelberger Landschaft zur Zeit der Spätromantik,
der Eichendorff entscheidende Anregungen verdankt.
Aquarell von Ernst Fries. Berlin, Nationalgalerie.

Aus Eichendorffs Aufsatz "Halle und Heidelberg" sei hier sogleich noch eine Stelle wiedergegeben, weil sie deutlicher, als es Nacherzählung könnte, sowohl den Zusammenhang des jungen Eichendorff mit der dichterischen Arbeit der beiden eben geschilderten Männer Arnim und Brentano als auch mit dem großen Anreger Görres und mit der Romantik überhaupt erkennen läßt:

"Die Opposition der jungen Romantik gegen die alte Prosa ging wie ein unsichtbarer Frühlingssturm allmählich wachsend durch ganz Deutschland. Insbesondere aber gab es dazumal in Heidelberg einen tiefen nachhaltenden Klang. Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen und erzählen Burgen und Wälder ein wunderbares Märchen der Vorzeit, als gäbe es nichts Gemeines auf der Welt. Solch gewaltige Szenerie konnte zu allen Zeiten nicht verfehlen, die Stimmung der Jugend zu erhöhen und von den Fesseln eines pedantischen Comments zu befreien; die Studenten tranken leichten Wein anstatt des schweren Bieres und waren fröhlicher und gesitteter zugleich als in Halle. Aber es trat gerade damals in Heidelberg noch eine ganz besondere Macht hinzu, um jene glückliche Stimmung zu vertiefen. Es hauste dort ein einsiedlerischer Zauberer, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft mit seinen magischen Kreisen umschreibend – das war Görres.

Es ist unglaublich, welche Gewalt dieser Mann, damals selbst noch jung und unberühmt, über alle Jugend, die irgend geistig mit ihm in Berührung kam, nach allen Richtungen hin ausübte. Und diese geheimnisvolle Gewalt lag lediglich in der Großartigkeit seines Charakters, in der wahrhaft brennenden Liebe zur Wahrheit und einem unverwüstlichen Freiheitsgefühl, womit er die einmal erkannte Wahrheit gegen offene und verkappte Feinde und falsche Freunde rücksichtslos auf Tod und Leben verteidigte; denn alles Halbe war ihm tödlich verhaßt, ja unmöglich, er wollte die ganze Wahrheit. Wenn Gott noch in unserer [85] Zeit einzelne mit prophetischer Gabe begnadet, so war Görres ein Prophet, in Bildern denkend und überall auf den höchsten Zinnen der wildbewegten Zeit weissagend, mahnend und züchtigend, auch darin den Propheten vergleichbar, daß das 'Steiniget ihn!' häufig genug über ihm ausgerufen wurde... Neben ihm standen zwei Freunde und Kampfgenossen: Achim von Arnim und Clemens Brentano, welche sich zur selben Zeit nach mancherlei Wanderzügen in Heidelberg niedergelassen hatten. Sie bewohnten im 'Faulpelz', einer ehrbaren aber obskuren Kneipe am Schloßberg, einen großen luftigen Saal, dessen sechs Fenster mit der Aussicht über Stadt und Land die herrlichsten Wandgemälde, das herüberfunkelnde Zifferblatt des Kirchturms ihre Stockuhr vorstellten; sonst war wenig von Pracht oder Hausgerät darin zu bemerken. Beide verhielten sich zu Görres eigentlich wie fahrende Schüler zum Meister, untereinander aber wie ein seltsames Ehepaar, wovon der ruhige mildernste Arnim den Mann, der ewig bewegliche Brentano den weiblichen Part machte. Arnim gehörte zu den seltenen Dichternaturen, die wie Goethe ihre poetische Weltansicht jederzeit von der [86] Wirklichkeit zu sondern wissen und daher besonnen über dem Leben stehen und dieses frei als ein Kunstwerk behandeln. Den lebhafteren Brentano dagegen riß eine übermächtige Phantasie beständig hin, die Poesie ins Leben zu mischen, was dann häufig eine Konfusion und Verwicklungen gab, aus welchen Arnim den unruhigen Freund durch Rat und Tat zu lösen hatte. Auch äußerlich zeigte sich der große Unterschied. Achim von Arnim war von hohem Wuchs und so auffallender Schönheit, daß Bettina, welcher, wie sie selber sagt, eigentlich alle Menschen närrisch vorkamen, damals an ihren Bruder Clemens schrieb: 'Der Arnim sieht doch königlich aus, er ist nicht in der Welt zum zweiten Mal.' – Das letztere konnte man zwar auch von Brentano, nur in ganz anderer Beziehung, sagen. Während Arnims Wesen etwas wohltuend Beschwichtigendes hatte, war Brentano durchaus aufregend; jener erschien im vollsten Sinne des Wortes wie ein Dichter, Brentano dagegen selber wie ein Gedicht, das, nach Art der Volkslieder, oft unbeschreiblich rührend, plötzlich und ohne sichtbaren Übergang in sein Gegenteil umschlug und sich beständig in überraschenden Sprüngen bewegte. Der Grundton war eigentlich eine tiefe, fast weiche Sentimalität, die er aber gründlich verachtete, eine eingeborene Genialität, die er selbst keineswegs respektierte und auch von anderen nicht respektiert wissen wollte. Klein, gewandt und südlichen Ausdrucks, mit wunderbar schönen, fast geisterhaften Augen, war er wahrhaft zauberisch, wenn er selbstkomponierte Lieder, oft aus dem Stegreif, zur Guitarre sang. Dies tat er am liebsten in Görres' einsamer Klause, wo die Freunde allabendlich einzusprechen pflegten; und man könnte schwerlich einen ergötzlicheren Gegensatz der damals florierenden ästhetischen Tees ersinnen, als diese Abendunterhaltungen, häufig ohne Licht und brauchbare Stühle, bis tief in die Nacht hinein: wie da die dreie alles Große und Bedeutende, das je die Welt bewegt hat, in ihre belebenden Kreise zogen und mitten in dem Wetterleuchten tiefsinniger Gespräche Brentano mit seinem witzsprühenden Feuerwerk dazwischenfuhr, das dann gewöhnlich in ein schallendes Gelächter zerplatzte."

In den Bann solcher für einen jungen Mann von Empfindung zwingenden persönlichen Romantik geriet Eichendorff in Heidelberg.

Aufzeichnungen des jungen Eichendorff aus seiner Heidelberger Zeit, 1807.
[85]      Aufzeichnungen des jungen Eichendorff aus seiner Heidelberger Zeit, 1807.
Das Gedicht ist an seine Freundin Madame Hahmann in Ratibor gerichtet.
Berlin, Staatsbibliothek.


Joseph Freiherr von Eichendorff wurde am 10. März 1788 in dem oberschlesischen Schlosse Lubowitz, eine Stunde von Ratibor, geboren. Er verlebte hier Kindheit und Jugend, Schul- und Universitätsferien, auch Zwischenzeiten zwischen Studium und Beruf, zwischen Kriegsdienst und Beruf, bis das väterliche Rittergut in fremde Hände überging. Die stille Höhe, von der das Schloß blickt, die Wälder, die es umrauschen, der junge Strom, der an ihm vorüberzieht, die festliche Gastlichkeit, die auf ihm herrschte, sind für immer in die Eichendorffsche Dichtung eingegangen. Vielleicht sind auch Lubowitz und Heidelberg, das so bestimmend für Eichendorff wurde, in der Phantasie des Dichters, sich steigernd, [87] zu einem einzigen vielfältigen Lande geworden, in dem nun alles liegt, was Eichendorff an inneren Landschaften, Landschaften der Seele, sah.

Das gastfreie Leben in Lubowitz mit Jagden und Verkehr auf Nachbargütern, mit Jahrmärkten und Schauspielen dabei in Ratibor und Troppau, verschmolz, wie die Landschaften miteinander, auch mit Heidelberg: mit dem jugendfroh das Dasein genießenden, arbeitsamen und festlichen Studentenleben, mit Schläger- und Becherklang, Wanderungen, erster zarter, unglücklicher Liebe und dem bunten Zeitfluten, das damals durch die westdeutschen Städte pulste, zum Inbegriff und Inbilde des Lebens überhaupt für Eichendorff. Die Lebensgeschichte des Dichters brauchte fast nur Lubowitz und Heidelberg zu berühren.

Schloß Lubowitz bei Ratibor, Wohnsitz der Familie Eichendorff.
[80b]      Schloß Lubowitz bei Ratibor, Wohnsitz der Familie Eichendorff.
Aquarell aus der Zeit vor dem Umbau. Neiße, Deutsches Eichendorff-Museum.

1801 kam der junge Eichendorff mit seinem Bruder Wilhelm auf das katholische Gymnasium nach Breslau. Für mehrere Jahre war nun das mit dem Gymnasium verbundene Konvikt seine Wohnung. Für seine Entwickelung wurde neben dem Studium und ausgedehntem Lesen des damals vorhandenen Schrifttums besonders wichtig, daß häufige Schüleraufführungen stattfanden und daß den Schülern auch der Besuch des öffentlichen Theaters ohne Kleinlichkeit gestattet wurde. Viele Schauspiele und Opern, darunter Schillersche und Goethesche Werke, Opern Mozarts, haben schon damals auf Eichendorffs dichterische Begabung offenbar tief und lebendig eingewirkt. Auch später hat er viel Theater gesehen, reiche, gewiß für seine Dichtung fruchtbar gewordene Eindrücke empfangen. Trotz lebendigen Willens zum Drama, der so bestärkt wurde, hat Eichendorff kein Drama zu schaffen vermocht. Unbeirrbar war seine große lyrische und erzählerische Gabe.

Nach Beendigung der Gymnasialzeit 1804 blieben die Brüder auch als Studenten noch in Gesellschaft ihres bisherigen Mentors in Breslau, um dann im Mai 1805 auf die Universität Halle zu gehen.

Halle ist in Eichendorffs Leben das Vorspiel Heidelbergs. Moritzburg, Giebichenstein, der verzauberte Reichardtsche Garten daran, die Saale, das etwas rauhe Hallesche Studentenleben haben zwar nicht, wie bald Natur und Leben von Heidelberg, wie Neckar und Rhein, Eichendorffs ganze künftige Dichtung durchtränkt. [88] Aber er hat die in Halle verlebte Zeit in den wundervollen zwei ersten Kapiteln der Glücksritter als ein einzelnes lebensvolles Bild festgehalten. Auch hier ist sofort wieder das Theater in Eichendorffs Leben, als hätte ihn das Schicksal doch noch zum Dramatiker ausersehen: Lauchstädt, wo damals die Weimarer Schauspieler ihre Vorstellungen gaben, zu denen, wenn eins der großen Schillerschen oder Goetheschen Werke gegeben wurde, lange Züge von Wagen, Reitern, Fußgängern aus Halle pilgerten.

Noch ehe 1806 die Universität in Halle von Napoleon aufgelöst wurde, gingen die Brüder Eichendorff zunächst nach Lubowitz zurück, wo das alte, frohe, gesellige Leben wieder

Federzeichnung Eichendorffs aus seinem Tagebuch.
[87]      Federzeichnung Eichendorffs aus seinem Tagebuch: Maskenfigur aus einem Festspiel zum Namenstag seines Bruders Wilhelm, 1810. Im Besitz der Familie Eichendorff.
begann – allerdings, um bald vor den Stürmen des nahenden preußischen Untergangs abgebrochen zu werden. Es erscheint als ein besonderer Glückszufall, daß es den noch immer unzertrennlichen Brüdern trotz der Not der Zeit im Frühjahr 1807 möglich wurde, die Universität Heidelberg zu beziehen, an der sie bis zum Juni 1808 blieben. Hier nun vollendet sich der Dichter Joseph von Eichendorff zu seiner bleibenden Wesenheit.

Er kam aus Schlesien, und wenn seine Familie ihre letzte Abstammung auch aus Niederbayern herleitete, so hatte sie damals doch schon Jahrhunderte in dem erst um Zwölfhundert kolonisierten alten Slawenland Schlesien gesessen und gehörte zu dem jungen, lebensstarken, an dichterischen Begabungen reichen schlesischen Stamme, einem der neuen nord- und ostdeutschen Stämme, die sich den oberdeutschen Stämmen im zweiten Jahrtausend zugesellen. Nach einer tiefsinnigen Erkenntnis Joseph Nadlers sind die Abkömmlinge dieser neuen Stämme die geborenen Träger der Romantik, die als Sehnsuchtskunst, im besonderen als die Sehnsucht nach der deutschen Vergangenheit, dem deutschen Mittelalter auftritt und eigentlich die Sehnsucht nach reinem Deutschtum ist, das eben in jener fernen Vergangenheit allein noch vorhanden zu sein scheint, nach völligem Aufgehen in dieser Kulturgemeinschaft, deren Anblick das Herz des Romantikers mit unbezwingbarem Verlangen erfüllt, mit ihr eins zu werden.

Es ist klar, daß eine solche Sehnsucht am tiefsten Angehörige der Neustämme empfinden, daß sie vor allem die romantische Bewegung tragen mußten. Gewiß hat der Schlesier Eichendorff, der als die schönste, reinste, bedeutendste Verkörperung der Romantik anzusehen ist, kaum eine Zeile geschrieben, die nicht voll von dieser Sehnsucht wäre. Mit ihr kommt er, nachdem er in Schlesien und auch noch in Halle empfunden haben muß, daß hier das Deutsche slawischen Grund überlagert, jetzt ins Herz einer altdeutschen Landschaft und Stadt, zu einem Stamme oberdeutschen Schlages, auf eine hohe Schule der noch ins deutsche Mittelalter zurückreichenden Wissenschaft und Kultur. Er sieht zugleich buntestes Leben und Treiben der Zeit: Truppendurchzüge, Monarchenempfänge, Prozessionen, Ruinenbeleuchtungen, Studentenfeste auf der Schloßaltane. Der Zeitdichter wird für die Zukunft geweckt, wozu eine rasche Reise über Straßburg nach Paris mitwirkt. Vor allem aber ist er Görres, Brentano, Arnim [89] nähergetreten. Und durch den Übersetzer Gries knüpft sich schon Eichendorffs Beziehung zum Spanischen an, der wir die Arbeit seiner späteren Zeit, die wertvollen Verdeutschungen Calderonscher Autos sacramentales verdanken.

So wird er hier zur bleibenden Gestalt. Aus dem im Flusse glitzernden Sonnenschein, dem Blitzleuchten über den Wäldern, dem Mondlicht an alten Schloßmauern und dem Strahlen der Fackeln zu fröhlichem Studentenkommers webt sich der Glanz, in den Eichendorff deutsches Wesen, deutsche Liebe, Wald, Berg, Strom, deutsches Land überhaupt in all seinen Gedichten und Erzählungen taucht. Jetzt bricht aus ihm die klingende, singende Musik eines vor Sehnsucht und Glück, ewigem Wandertrieb und Heimweh, Freude an der schönen Erde und Inbrunst zum himmlischen Jenseits, Menschenliebe und weltabgewandter Liebe zu Gott gleichermaßen bebenden Herzens. Hier hat er sich gefunden. Alle literarischen Einflüsse, Goethe und Jean Paul, die deutschen Volksbücher, das Volkslied, Matthias Claudius und was damals sonst auf einen jungen Dichter einstürmte, überwindet er im Zusammenhange mit den anderen jungen Romantikern und ist schon so erstarkt, daß kein Einfluß, keiner der älteren und keiner aus dem Kreise der Genossen, ihn mehr von seiner eigenen Entwickelung abzudrängen vermag. So ist er, so bleibt er: jung auf der Höhe des Lebens, und diese herrliche Jugend in selige Erinnerung verwandelnd, wenn er älter wird, nicht eigentlich in Reife oder starkes Alter wie Goethe.

Sein Sohn Hermann hat eine treue Lebensbeschreibung seines Vaters gegeben und die Halte seines ebenmäßigen Weges aufgezeichnet.

[90] Eine Reise über Frankfurt, Würzburg, Nürnberg, Regensburg mit dem Ziele Wien bricht den Heidelberger Aufenthalt 1808 ab. Eichendorff kehrt im Herbst nach Lubowitz zurück, wo er nun Gutsbesitzer werden will, wo die ersten seiner bleibenden Gedichte entstehen, wo "Ahnung und Gegenwart" sich zu gestalten beginnt; wo er 1809 seine künftige Frau, Luise Viktoria von Larisch, kennenlernt. Im selben Jahre folgt eine Reise nach Berlin zum Besuche von Loeben, Brentano, Arnim.

Wieder Heimat, wieder Fremde: 1810, nach Wien, in österreichischen Staatsdienst. Dort Verkehr mit Friedrich Schlegel, dem Maler Philipp Veit, mit Friedrich von Gentz und Wilhelm von Humboldt. 1813 nach Breslau unter die Fahnen, ins Lützowsche Freikorps, dessen wenig wichtige kriegerische Schicksale er bis 1814 teilt. Er verheiratet sich, er läßt seinen ersten Roman erscheinen, er wird 1815 noch einmal Soldat, als welcher er den zweiten Einzug in Paris mitmacht, und kommt 1816 endlich in die Heimat zurück. In Breslau Referendar. Dort Verkehr mit Friedrich von Raumer und Karl von Holtei. Beginn novellistischer Dichtung: Das Marmorbild. Aber es ist fast gleichgültig, festzustellen, wann er dies oder jenes geschrieben hat, da seine Entwicklung abgeschlossen und fest, sein Können sicher und sich gleichbleibend ist.

Illustration von Adolf Schrödter.
[89]    Illustration von Adolf Schrödter zu Eichendorffs Novelle "Aus dem Leben eines Taugenichts", 1842. Lithographie.
Kurze Zeit ist er in Berlin  – 1820 – als Hilfsarbeiter im Kultusministerium tätig und wird 1821 als Regierungskommissar für katholische Schulangelegenheiten nach Danzig gesandt. Er tritt in Beziehungen zu dem Bischof von Ermland, Prinzen Joseph von Hohenzollern, und dem Oberpräsidenten Theodor von Schoen. Eichendorff dichtet in Danzig das dramatische Märchen "Krieg den Philistern", dessen veraltete Satire heute nicht mehr genießbar ist, und sein unsterbliches Prosa-Meisterstück Aus dem Leben eines Taugenichts.

1823 kurze Zeit in Berlin, 1824 Versetzung nach Königsberg, wo er bis 1831 bleibt. Von 1832 bis 1844 Rat im Kultusministerium zu Berlin. Hier knüpfen sich Beziehungen zu Adelbert von Chamisso, zu Künstlern und Komponisten. Die Berliner Zeit wird im Jahre 1838 durch eine Reise nach Süddeutschland, Wien, Salzburg, München unterbrochen.

Unter dem, was Eichendorff in dem Jahrzehnt von 1830 bis 1840 erstehen ließ – mancherlei Novellen (Viel Lärm um nichts, Dichter und ihre Gesellen und andere), die sich um das Lustspiel "Die Freier" stellen – ist das Wichtigste die 1837 herausgegebene erste vollständige Sammlung der Gedichte, deren Aufbau und Einteilung später auch in die Ausgaben der Werke überging. Etwa von der Mitte dieses Jahrzehnts an beginnt Eichendorff sich mit der spanischen Literatur und Übersetzungen aus dem Spanischen zu beschäftigen, deren wertvollste Frucht seine Fassung einiger der Geistlichen Schauspiele Calderons ist. 1841 erscheint die erste Gesamtausgabe.

Die Aufenthalte des alternden Dichters wechseln: nachdem er 1844 aus dem Amte ausgeschieden ist, wieder Danzig, dann Wien, Berlin, Köthen, Dresden [91] und von neuem Berlin, diesmal für fünf Jahre, bis 1855. In diese Zeit fallen vor allem seine literarhistorischen Studien und Veröffentlichungen über romantische Poesie, über den Roman des achtzehnten Jahrhunderts und die Geschichte des Dramas. Ferner dichtet er jetzt das trotz schon bemerkbarer Alterserscheinungen farbenreiche kleine Epos "Julian".

Die letzte kurze Lebenszeit verbringt er in Neiße. Dort ist er am 26. November 1857, nicht ganz siebzigjährig, gestorben.


Postkarte des Eichendorff-Denkmals in Ratibor.
Postkarte: Eichendorff-Denkmal in Ratibor.
Im Sockel signiert: J[ohannes] Boese fec[it] 1909. Enthüllt im 75. Jahre des Bestehens des M.G.V. Liedertafel, 26. September 1909.
[Nach wikipedia.org.]
Wie der irdische Leib vom Menschen im Tode abfällt, sein Unsterbliches freigebend, das aus der Trübung in seine ewige Existenz – die unserem zeitbeschränkten Blick als vor und nach diesem Erdenleben liegend erscheint – zurückkehrt, so soll von einem großen Dichter, wenn er gestorben ist, sein armes irdisches Leben, seine Biographie, abfallen und wesenloser Staub werden vor dem erlösten ewigen Leben, das in Bildern, Symbolen, Klängen, in Gestalten und Schicksalen aus diesem Vergänglichen aufstieg. Auch in unserem Wissen um den Dichter.

Wir haben die Jahresmarksteine bezeichnet, die Eichendorffs zeitliches Leben umgrenzen und dessen wichtigste Wendepunkte anzeigen. Er hat sich uns dadurch mit geschichtlichen Strömungen, geistigen Gruppen, einzelnen hervorragenden Zeitgenossen, mit Vaterlandsschicksal und Erdgeschicken verbunden. Dann aber drängt unser Geist dazu, ihn aus all dem wieder herauszulösen und in seiner Tiefe zu erfühlen; von innen, so als wäre diese Dichterseele in uns hineingetreten, sähe durch unser Auge, hörte durch unser Ohr und hätte ihren Herzschlag in dem unsrigen!

Da nehmen die Dinge und Menschen, nehmen Natur und Leben eine seltsame Verzauberung an. Alle Geräusche werden Musik, die Sprache wird Gesang, der Gang wird, wo nicht Tanz, doch rhythmischer Schritt in einem unsichtbaren großen Reigen, in welchem auch der sinnende Wanderer die Gegend entlangschreitet. Alles strömt Seele aus, das Rauschen des Waldes wie der Brunnen, das Licht ferner Blitze wie die Stimmen der Vögel und der Duft der Blumen. Und die Menschen, von denen Alltag und Sorgen genommen sind, erwachen zu einem wesentlichen, leichten, von wirklichkeitstiefen Träumen genährten Leben, blühen auf, entfalten sich, sind nicht bedingt, sondern quellen frei aus sich an den schönen, ewig schönen Tag.

In den wenigen Bänden Eichendorffscher Dichtung ist eine verzauberte Welt um den Lesenden, eine andere Welt als die wirkliche, aber eine in sich genau so sinn- und zusammenhangvolle wie sie. Eichendorff, der mit seinem frommen Kindergemüt bis ins Greisenalter das Leben rein, klar und gläubig betrachtete, hat ein viel reicheres, glückvolleres Leben gesehen als das wirkliche und sehnsuchtsvoll festgehalten. Wir sehen es mit ihm, wenn sein Auge aus uns ausschaut.

Wo in seiner Kunst liegt die Verzauberung?

Joseph Freiherr von Eichendorff.
Joseph Freiherr von Eichendorff.
Gemälde von Franz Kugler, 1832.
Neiße, Eichendorff-Museum.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 262.]
[92]  Es schienen so golden die Sterne,
      Am Fenster ich einsam stand
      Und hörte in weiter Ferne
      Ein Posthorn im stillen Land –

Er schildert mit ein paar Zeilen eine einfache Lage, einen Blick in die Ferne, ein kurzes Hinabschauen – woher kommt dies Tiefenrauschen, dieser Raumfrieden, diese Traumwirklichkeit, die alle Wachwirklichkeit weit hinter sich, geradezu in sich vergehen läßt, daß wir meinen, es in der Wirklichkeit nie so stark erleben zu können wie in den wenigen Versen dieses Dichters?

      Oben lag noch meine Laute,
      Und mein Fenster stand noch auf,
      Aus dem tiefen Grunde graute
      Wunderbar die Stadt herauf –

Es in der Gesang der Worte. Es ist dies: wie Eichendorff Sinn, Bild und Wort zu einem wunderbaren dreistimmigen Gesang verbindet, in dem alles leuchtet, wenn dieser Gesang es umtönt.

Das Lied, diese eigentliche Sprache Eichendorffs, verwandelt sich in seine Prosa: verwandelt sich nur, wird ernster, gemessener, ruhiger; aber behält Seele und das Geheimnis des Klanges. Sie gewinnt für das, was sie, älter und reifer geworden, an Liedjugend aufgeben muß, vielerlei Neues: sachliche Anschauung der Dinge und Menschen, Geschehnisse, Schicksale; und sie gewinnt Gestalten. Und diese unbeirrten Gestalten Eichendorffs, um welche die Geschehnisse hinfließen wie die Wellen um Schwimmende oder die Stunden um Träumende oder die Visionen um Verzückte – sie manchmal ein Stück mit sich führend, dann wieder entgleitend, zurückflutend, sie auch wohl zuletzt in die Tiefe ziehend – diese Gestalten Eichendorffs sind wie die menschgewordenen Klänge seiner Gedichte und doch erdhaft, sind göttliche Leichtigkeit und doch Menschen. Aus der Sehnsucht nach einem Leben, das beglückender wäre, sind sie geschaffen, und indem der Dichter sie erschuf, ward dies beglückende Leben ihm glaubhafte Wahrheit und dann Schönheit. Mehr als die in ihrem beträchtlichen Umfange nicht durchaus bemeisterten Ahnung und Gegenwart und Dichter und ihre Gesellen sind es vor allem: Aus dem Leben eines Taugenichts, Die Glücksritter und die überwirkliche spiegeltiefe Meerfahrt.

Alles außer den Gedichten und den Erzählungen ist Beiwerk. Und selbst die Erzählungen, zu denen man so leicht von den Gedichten aus hinfindet, versinken wieder, wenn man von ihnen zu den Gedichten zurückkehrt. In den Gedichten ist am tiefsten und unvergänglichsten die schöne geträumte, geglaubte, Wirklichkeit gewordene Welt, die für uns den Namen Eichendorff trägt.




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