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Der grenzdeutsche
Gürtel (Teil 11)
Das Deutschtum in Südtirol
Das Land Tirol hat drei natürliche Abschnitte. Zwei davon verlaufen in
west-östlicher Richtung, der dritte in nord-südlicher. Den ersten
Abschnitt, von Norden her gerechnet, bildet das Tal des Inn. Der Flußlauf
geht von Westen nach Osten; nördlich von ihm erheben sich die Voralpen,
südlich die Zentralkette des Gebirges. Dort, wo sich vom Inntal der
Aufstieg zum Übergang über die Zentralkette abzweigt, zur
Paßhöhe des Brenner, liegt am Inn die Tiroler Hauptstadt Innsbruck.
Der Brennerpaß führt, stark eingesenkt, so daß die Eisenbahn
ihn ohne großen Tunnelbau überwinden konnte, auf die
Südseite der Zentralkette hinüber und senkt sich in das Eisacktal
hinab.
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Der Eisack vereinigt sich mit der Rienz und fließt unweit von Bozen in die
Etsch. Das Etschtal (Vintschgau) vom Westen, das
Eisack-Rienztal (Pustertal) von Osten bilden südlich vom Brenner
zwischen der Zentralkette und den südlichen Voralpen eine ähnliche
Talfolge wie auf der anderen Seite des Brenner das Inntal. Vintschgau und
Pustertal machen zusammen den zweiten, mittleren, Abschnitt von Tirol aus,
teilweise schon mit milderem Klima, aber nach seiner Natur, seiner Geschichte
und Bevölkerung mit dem nördlichen nahe verwandt. Meran im
Vintschgau, Bozen am Eisack und Bruneck an der Rienz, der Hauptort des
Pustertals, sind die wichtigsten Plätze.
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Der dritte und südlichste Abschnitt von Tirol ist anders geartet. Unterhalb
Bozens wendet sich die mit dem Eisack vereinigte Etsch scharf nach Süden
und strömt bald durch eine Talenge, die Klause von Salurn. Von da an ist
die Achse des Landes nicht mehr von Westen nach Osten gerichtet, sondern von
Norden nach Süden. Klima, Boden, Volk und Sprache sind nicht mehr
deutsch, sondern italienisch. Soll Tirol geteilt werden, so liegt hier die einzige
natürliche Stelle dazu.
Die Tiroler sind Deutsche, und sie sind es südlich vom Brenner gerade so
wie nördlich. Bis Salurn reicht Deutschtirol; hinter Salurn fängt
Welschtirol an. Durch den Diktatfrieden
nach dem Weltkrieg ist die Grenze,
statt an die Klause von Salurn, bis auf den Brenner hinauf verlegt worden.
230 000 deutsche Tiroler sind zwangsweise zu Angehörigen des
italienischen Staates gemacht worden. Von maßgebender italienischer Seite
ist gesagt worden, das Südtiroler Deutschtum habe kein Recht zu einem
selbständigen Dasein auf dem "Boden Italiens". Italien reiche bis an den
Brenner und brauche sich nicht "um zufällige und bedeutungslose Reste"
un- [219] berechtigter
Eindringlinge zu kümmern. Die Berufung geht weiter und besagt, der
Feldherr Drufus habe das Land bis an den Brenner der römischen
Herrschaft unterworfen und damit seine "lateinische" Natur begründet.
"Lateinisch" aber ist das Gebiet aufwärts von Salurn höchstens 500
bis 600 Jahre gewesen; deutsch ist es danach mehr als doppelt so lange
gewesen, und deutsch ist es heute. Das kann bis ins einzelne, genau und
unwiderleglich, bewiesen werden.
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Um das Jahr 570 bildet das Gebiet von Trient, das bei den Italienern das Trentino
heißt, ein langobardisches Herzogtum. Zwanzig Jahre später finden
wir dagegen Brixen schon als Sitz eines bayrischen Grafen, und im
7. Jahrhundert besteht auch schon eine bajuvarische Grafschaft Bozen. Die
Bajuvaren haben sich also von Norden her über den Brenner geschoben,
während die Langobarden das Trentino in Besitz nahmen. Die Germanen,
Bajuvaren wie Langobarden, vermischten sich mit den Ladinern, wobei aber ein
Unterschied zwischen den Gebieten oberhalb und unterhalb von Salurn bestand.
Die Bajuvaren kamen als Siedler, die Langobarden dagegen bildeten eine
Herrenschicht. Jene rückten geschlossen von ihrem Heimatboden aus vor,
diese hatten ihre alte germanische Heimat verlassen und hatten als eroberndes
Kriegsvolk in der Fremde Land und Herrschaft gewonnen. Alle höher
gelegenen Täler, die heute bis an die oberste Grenze, wo überhaupt
noch gewohnt und gewirtschaftet werden kann, besiedelt sind, waren damals
menschenleer. Erst die Germanen schoben sich hier hinein. An vielen Stellen sind
sie also die ersten bodenständigen Menschen, die überhaupt
hingelangt sind. Das gilt für Nord- wie für Südtirol.
In Südtirol ist das Deutschtum seit gut dreizehn Jahrhunderten fest
begründet. Karl der Große
und Otto der Große haben hier ihre
Macht ausgeübt. Später bildete sich in Gesamttirol eine starke
territoriale Macht in der Hand der Vintschgauer Grafen aus dem Geschlecht der
Andechse, die ihren Stammsitz auf Schloß Tirol, dicht oberhalb Meran,
hatten. Von dort stammt auch der Name des ganzen Landes. Er hat sich, gleich der
Macht der Andechser Grafen, im Süden gebildet, und beide sind von
Süden nach Norden gewachsen, nicht umgekehrt. 1363 kam Tirol durch
Erbfolge an Habsburg. Die landesfürstliche Herrschaft stützte sich
hauptsächlich auf die freie Bauernschaft und auf die Städte. Der
Freiheitskampf Tirols von 1809 erhielt seine stärksten Führer und
Förderer aus dem Vintschgau, also wiederum aus dem deutschen
Südtirol. Andreas Hofers
Vaterhaus steht nur wenige Stunden vom
Schloß Tirol entfernt. Hofer, der Südtiroler, hat die erste Fackel ins
[236b]
Klausen südlich des Brenner.
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deutsche Volk geworfen, um die Erhebung gegen Napoleon auflodern zu lassen,
die sechs Jahre später als mächtige Flamme emporschlug.
Das deutsche Volkstum steht fest bis zur Salurner Klause. Von dort nach Norden
ist das Land rein deutsch. Kaum 2½ v. H. Nichtdeutsche gab
es 1918 zwischen Salurn und Brenner. Wäre also auf Grund des
Selbstbestimmungsrechtes die Grenzlinie gezogen worden, so hätte es nur
bei Salurn geschehen [220] können,
vorausgesetzt, daß keine Welschtiroler bei einer Abstimmung sich für
Tirol erklärten. In St. Germain hat man es vorgezogen, das Volk im
Gegensatz zu den
von Wilson aufgestellten Grundsätzen
wie eine Schachfigur zu verschieben; man schuf eine angeblich strategische
Grenze auf dem Brenner, obwohl die bei Salurn viel besser ist und die auf dem
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Brenner gar keine darstellt. Der Brenner ist keine strategische Grenze, sondern
eine strategische Gefahr. Wer auf dem Brenner steht, muß das Streben
haben, ins Tal zu kommen, ganz gleich nach welcher Richtung. Nie ist der
Brenner eine
Grenze gewesen. Die Rhäter wohnten dies- und jenseits des Brenner, die
Römer herrschten auf beiden Seiten, und die Italiener sind, wie aus
Mussolinis Rede vom 6. Februar 1926 hervorgeht, nicht abgeneigt, ihre Trikolore
nach Norden vorzutragen!
Wie kam es zur Abtretung nicht nur des italienischen, sondern auch des deutschen
Teiles von Südtirol an Italien, und in welcher rechtlichen Lage befinden
sich heute die deutschen Südtiroler, abgesehen von der Gewalt, die ihnen
heute geschieht? Bei der Antwort hierauf folgen wir zunächst den
Ausführungen, die sich in einer Arbeit von A. Verdroß in den
Schriften des "Instituts für Statistik der Minderheitsvölker" an der
Universität Wien, im 5. Heft (Deutschsüdtirol) finden. Der Verfasser
geht hier aus von den Wilsonschen Richtlinien, sowohl von der
Kongreßrede vom 11. Februar 1918,
in der sich die denkwürdigen, so
oft wiederholten Worte finden, daß Völker und Provinzen nicht von
Staat zu Staat verschoben werden dürfen, als ob sie Steine auf einem
Spielbrett wären, sondern daß jede durch den Krieg aufgeworfene
Grenzfrage im Interesse und zugunsten der beteiligten Bevölkerung
gelöst werden müsse. Grundlegend ist insbesondere der Punkt 9 der
Kongreßrede Wilsons vom 8. Januar 1918, in dem scharf und deutlich
ausgesprochen ist, eine Berichtigung der Grenzen Italiens solle stattfinden
"along clearly recognizable lines of nationality", d. h. nach den klar
erkennbaren nationalen Grenzlinien.
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Nirgends wäre es leichter gewesen, als gerade in Südtirol, die Grenze
zwischen Österreich und Italien der Volksgrenze entlang zu ziehen, so wie
es im neunten Punkt Wilsons vorgesehen ist. Trotzdem konnte seine Anwendung
von Österreich nicht erreicht werden. Zwar hatte sich die
österreichisch-ungarische Regierung am 4. Oktober 1918 bereit
erklärt, auf Grund der Wilsonschen Bedingungen Frieden zu
schließen, aber der Waffenstillstand mußte bedingungslos
unterzeichnet werden, da der Gegner sich weigerte, mit
Österreich-Ungarn über den Frieden zu verhandeln. Dagegen kam
zwischen dem Deutschen Reiche und den gegnerischen Mächten
jene Einigung über die Grundbedingungen des zu schließenden
Friedens zustande, die in der Note des Staatssekretärs Lansing vom 5.
November 1918 ihren Abschluß erhielt. So haben sich die alliierten und
assoziierten Mächte zwar nicht
Österreich-Ungarn, wohl aber dem Deutschen Reiche gegenüber
verpflichtet, den Friedensschluß nach den Richtlinien Wilsons zu gestalten.
Wenn also auch nicht Österreich-Ungarn oder die jetzige Republik
Österreich, so hat gewiß doch das Deutsche [221] Reich einen
völkerrechtlichen Anspruch auf die Durchführung aller in der Note
vom 5. November 1918 anerkannten Punkte.
Die Argumentation in der Schrift des Wiener Instituts für die Statistik der
Minderheitsvölker geht nun weiter davon aus, daß der zehnte Punkt
der Kongreßrede Wilsons vom 8. Januar 1918, in dem verlangt wurde,
daß den zu Österreich-Ungarn gehörenden
Völkerschaften eine autonome Stellung eingeräumt werden solle,
von Wilson zwar schon vor dem 5. November, also vor dem Abschluß des
Vorvertrages über den Frieden mit Deutschland, fallen gelassen und durch
die Erklärung Wilsons vom 18. Oktober 1918 ersetzt worden war,
daß unter den veränderten Verhältnissen die Gewährung
einer bloßen Autonomie für die österreichischen
Völkerschaften nicht mehr ausreichend sei, diese vielmehr selbst
über ihre künftige staatliche Stellung zu entscheiden hätten.
Was aber Südtirol angeht, so sei Punkt 9 aufrecht erhalten geblieben, weil
er nicht die Frage der autonomen Stellung der einzelnen Völkerschaften
innerhalb Österreichs betraf, sondern die Ziehung der Grenze zwischen
Österreich und Italien.
Vergeblich hatte die österreichische Friedensdelegation das
Selbstbestimmungsrecht Deutsch-Südtirols durch Vorlage einer feierlichen
Protesterklärung aller von Italien besetzten Gemeinden
Deutsch-Südtirols angerufen, die mit den erschütternden Worten
schließt: "Wir - alle Gemeinden
Deutsch-Südtirols - wenden uns... mit diesem Hilferuf um
Gerechtigkeit an die ganze Welt und fordern in letzter Stunde unsere Vertreter im
Friedenskongreß auf, mit aller Kraft einzutreten für unsere Rettung;
zu jedem Opfer sind wir bereit - wenn es so sein
muß - nur unser heiliges Selbstbestimmungsrecht darf nicht verletzt
werden, deutsche Tiroler müssen wir bleiben, wir werden für Italien
sichere Nachbarn sein, wir wären ihm tief unglückliche verbitterte
Untertanen." Vergeblich hat die österreichische Friedensdelegation ein
Abkommen über die ständige Neutralisierung Tirols angeboten, um
Italien volle militärische Sicherheit zu bieten. Die Mantelnote der
Ententestaaten zum Friedensvertrag geht darauf überhaupt nicht ein,
sondern bezeichnet es als die "beste Lösung, Italien die natürliche
Grenze der Alpen zuzugestehen, die es seit so langer Zeit fordert". So erreichte
Italien die Brennergrenze, die ihm seine Bundesgenossen im Londoner Vertrag
vom 26. April 1915 für den Fall seines Eintritts in den Krieg zugesagt
hatten.
Mit der Annahme der Friedensverträge durch das Deutsche Reich und die
Republik Österreich war die Deutsch-Südtiroler Frage
vorläufig zugunsten Italiens entschieden und damit der erste Akt der
Tragödie Deutsch-Südtirols, der das Ringen um das
Selbstbestimmungsrecht des Landes zum Gegenstand hatte, abgeschlossen.
[222] Die Versprechungen Italiens
So niederschmetternd aber auch das Ergebnis der Friedensverhandlungen
für Österreich war, ein kleiner Lichtblick eröffnete sich doch.
Ganz aus eigenem Antrieb erklärten nämlich die verbündeten
Staaten in der Note vom 2. September 1919, mit der die endgültigen
Friedensbedingungen überreicht wurden, folgendes:
"Wie aus den sehr klaren, vom
italienischen Ministerpräsidenten im römischen Parlament
abgegebenen Erklärungen folgt, beabsichtigt die italienische Regierung
gegenüber ihren neuen Untertanen deutscher Nationalität in bezug
auf deren Sprache, Kultur und wirtschaftliche Interessen eine weitgehend liberale
Politik zu befolgen."
Die österreichische Nationalversammlung vom 6. September 1919, die
über die schwerwiegende Frage der Annahme oder Ablehnung der
Friedensbedingungen den entscheidenden Beschluß zu fassen hatte, griff
dieses Anerbieten Italiens auf. Zwar unterwarf sie sich der Gewalt der Sieger und
willigte in die Abtretung Deutsch-Südtirols an Italien bis zu dem Tage ein,
an dem der Völkerbund das unfaßbare Unrecht, das an
Deutsch-Südtirol verübt wurde, wieder gutmachen würde;
gleichzeitig aber gab sie der Erwartung Ausdruck, daß die Mächte die
in der Antwortnote gegebenen Versprechungen erfüllen werden. Dieser
Beschluß der Nationalversammlung wurde dem Präsidenten der
gegnerischen Friedensdelegation noch am 6. September gleichzeitig mit der
Erklärung übermittelt, daß die Nationalversammlung den
Staatskanzler Dr. Renner beauftragt hat, den Friedensvertrag zu
unterzeichnen. Der dabei angebrachte Vorbehalt lautete:
"Dieser Zwangslage muß die
Nationalversammlung leider Rechnung tragen... Politisch und national muß
sie die Verantwortung den Mächten überlassen, wirtschaftlich
muß sie abwarten, welche Pläne die Mächte für die
Durchführung der wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen haben.
Sie erwartet, daß die in der Antwort gegebenen Zusicherungen von den
Mächten erfüllt werden, sie sieht in dem Völkerbund jene
Instanz, die berufen sein wird, auch unserer Republik ihr Recht wiederzugeben
und dauernd zu sichern, und beauftragt den Kanzler, den Friedensvertrag zu
zeichnen."
Die Note wurde von der Gegenseite, auch von Italien, widerspruchslos
entgegengenommen. Dadurch kam in bezug auf
Deutsch-Südtirol eine Verständigung zwischen Österreich und
Italien zustande, die die zweite Phase der rechtlichen Stellung
Deutsch-Südtirols einleitet. Während nämlich bis dahin um
das Selbstbestimmungsrecht Deutsch-Südtirols gekämpft wurde,
wird nun dieser Anspruch zurückgestellt, dagegen aber die Frage der
besonderen Stellung Deutsch-Südtirols innerhalb Italiens, also die Frage
des Minderheitenschutzes, aufgerollt.
Außer dieser Erklärung Italiens gegenüber Österreich
liegen auch eine Reihe bestimmter und verpflichtender Zusagen Italiens
über den Schutz der deutschen Sprache und Kultur in Südtirol vor,
die teils früher, teils später als jene Erklärung abgegeben
wurden. So verkündete schon der kommandierende Generalleutnant der
okkupierenden Armee Pecori-Giraldi am 18. November 1918 Folgendes:
[223] "Der
italienische Staat, fußend auf den Grundsätzen von Freiheit und
Gerechtigkeit, will auf seinem Gebiete, wie in der ganzen Welt stark wissen das
Bewußtsein der Unveränderlichkeit des neuerlich erlösten
Vaterlandes; aber er wird es auch verstehen, seine Bürger anderer Sprache
mit Gleichheit und Liebe zu behandeln.
Während Italien seinen Geist und sein Recht auf
diesem Boden zu festigen beabsichtigt, ist ihm fremd jede Unterdrückung
anderer Rassen oder Sprachen, es will vielmehr in brüderlichen
Beziehungen zu ihnen leben.
In Orten, in welche eine (national) gemischte
Bevölkerung lebt, werden entsprechende Schulen der betreffenden Sprache
eingerichtet werden. Die Gemeinden deutscher Mundart werden deutsche
Volksschulen haben können und allen bereits bestehenden privaten und
konfessionellen Schulen wird freie Hand gelassen werden, die deutsche
Unterrichtssprache beizubehalten, vorausgesetzt, daß die Lehrpläne
und die Schulbücher nicht gegen die Würde und Rechte Italiens
verstoßen.
Die Entgegennahme von Eingaben und die Führung
der Akten durch die Gerichts- und Verwaltungsbehörden wird in gleicher
Weise erfolgen in der italienischen Sprache, welche die Amtssprache ist, wie in
der deutschen Sprache, wo diese in Gebrauch steht."
Die Proklamation des italienischen Generals erhielt an ihrem Schluß noch
dadurch eine besondere Spitze, daß die der Bevölkerung nunmehr
versprochene neue und gute Zeit der vermeintlichen Vergewaltigung
gegenübergestellt wurde, die Österreich geübt hätte.
"Staatsbürger!", so redete der General die Südtiroler
Bevölkerung an:
"Das monarchistische, aus vielen
Völkern zusammengesetzte Österreich, das
verfassungsgemäß die Pflicht gehabt hätte, das
Bewußtsein aller seiner Stämme zu achten, hat in den oben genannten
Tälern den italienischen Teil des Volkes unter Beseitigung jedes Rechts
vergewaltigt und unterdrückt.
Italien, die große und geeinigte Nation, in der
vollkommenen Freiheit des Gedankens und des Wortes herrscht, will den
Mitbürgern der anderen Sprache die Erhaltung der eigenen Schulen, der
eigenen Einrichtungen und Vereine zugestehen.
Im Geiste dieser Grundsätze vertraue jeder darauf,
daß alles, was die Sprache und die Kultur des Hochetsch betrifft,
sorgfältig und liebevoll geregelt werden wird.
Gegeben
zu Trento am 18. November 1918."
Die "Unterdrückung", die von seiten Österreichs gegen die
italienisch sprechende Bevölkerung des Trentino geübt sein sollte,
von der es in der Proklamation des Generals sogar heißt, "jedes Recht" sei
dabei "vergewaltigt" worden, bestand darin, daß überall rein
italienische Volksschulen und eine Reihe rein italienischer Mittelschulen
(Gymnasien) bestand. An anderer Stelle werden wir auf die Vergleichung
zwischen den früheren österreichischen Methoden im italienischen
und den jetzigen italienischen Methoden im früher deutschen Teil von Tirol
noch besonders zurückkommen. Zunächst aber ist es nötig, die
Reihe der öffentlichen und verpflichtenden Zusicherungen, die Italien in
bezug auf die nationalen Rechte der deutschen Südtiroler gemacht hat und
von der die Proklamation des Generalleutnants
Pecori-Giraldi nur die erste ist, noch weiter mitzuteilen.
[224] Senator Tittoni,
Vertreter Italiens auf der Friedenskonferenz von St. Germain, versicherte in
seiner Rede vom 27. September 1919 in der römischen Kammer:
"Italien wird auch 180 000 (?)
Deutschen in sein Gebiet einschließen. Heute kann man noch nicht mit
Sicherheit voraussagen, wie die Haltung dieser Minderheit sein wird und ob es
verhindert werden könne, daß neue irredentistische Bewegungen
entstehen und revolutionäre Vereinigungen sich bilden. Sehr viel wird von
der Behandlung abhängen, die man ihnen zuteil werden
läßt.
Polen, die Tschechoslowakei, Rumänien und
Serbien sind durch verschiedene Bestimmungen, welche in die
Friedensverträge eingeschaltet wurden, verpflichtet, Sprache, Religion,
Kultur, Schule und jede freie Betätigung der nationalen Minderheiten zu
achten und zu respektieren. Und es ist unbedingt notwendig, daß diese
Bestimmungen aufrichtig und gesetzmäßig eingehalten werden.
Italien hat, wie die übrigen
Großmächte, keine gesetzliche Verpflichtung hierzu, aber nach
meinem Empfinden besteht wegen der liberalen Traditionen, die sein Ruhm und
Vorzug sind, eine große moralische Pflicht dazu.
Die Völker anderer Nationalitäten, die
mit uns vereinigt werden sollen, wissen, daß uns der Gedanke einer
Unterdrückung und Entnationalisierung vollkommen fern liegt, und
daß ihre Sprache und ihre kulturellen Einrichtungen geachtet werden und
ihre Verwaltungsbeamten alle Rechte unserer liberalen und demokratischen
Gesetzgebung besitzen.
Wir können der Bevölkerung von
Deutsch-Südtirol die Versicherung geben, daß nie ein
Polizeiregiment eingeführt wird, mit Verfolgungen und
Willkürherrschaft, der die Istrianer und Trentiner unter der
österreichischen Regierung so viele Jahre unterworfen
waren."
Auch der Minister Luzzatti, Berichterstatter in der römischen Kammer,
drückte sich in ähnlicher Weise aus:
"Folgendes sagen wir den Deutschen,
welche uns die Notwendigkeit unserer nationalen Verteidigung zwang, an unser
Reich anzugliedern:
Es muß eine Ehrenpflicht sein für die
Regierung und für das Parlament, den Deutschen, die nur wegen der
absoluten Notwendigkeit, unsere Grenzen verteidigen zu können,
angegliedert wurden, ihre autonomen Einrichtungen zu bewilligen.
Abgesehen von den erforderlichen Maßnahmen
für die militärische Sicherheit, müssen sie sich frei und
unbehelligt fühlen in der Ausübung ihrer kulturellen und
religiösen Bedürfnisse im administrativen und
ökonomischen Leben, denn nur so folgt Italien den Traditionen der alten
Römer."
Fürst Colonna, Berichterstatter im römischen Senate, schrieb in
seinem Kommissionsberichte:
"Der Artikel 4 des Gesetzesentwurfes
ist vom anderen Hause in dem Sinne abgeändert worden, daß bei der
Ausdehnung des Verfassungsgesetzes und der übrigen Staatsgesetze auf die
annektierten Gebiete die Regierung den autonomen Einrichtungen der Provinzen
und der Gemeinden in diesen Gebieten besonders Rechnung tragen müsse.
Ihre Kommission bewilligt vollständig diese Abänderung der
ursprünglichen Regierungsvorlage.
Italien wird also die weiteste Politik inaugurieren, wenn es
die administrativen Autonomien respektiert und nicht verlangen wird, alles auf
denselben Leisten zu schlagen und alles zu konzentrieren, wie es leider zum
schweren Schaden unseres Landes und gegen den oft
ausgespro- [225] chenen Wunsch
unseres großen Staatsmannes Grafen Cavour bei den Annexionen der
verschiedenen Teile unserer Halbinsel geschehen ist."
Thronrede 1. Dezember 1919:
"Die neu an Italien angegliederten
Gebiete stellen uns vor die Lösung neuer Aufgaben. Unsere freiheitliche
Tradition wird uns den Weg weisen, auf dem wir bei größter
Beobachtung der lokalen autonomen Einrichtungen und Gebräuche deren
Lösung finden können.
Keine Sorgfalt und kein Opfer darf gespart werden, damit
nach den nicht zu vermeidenden Unsicherheiten bei den erstmaligen
Verwaltungsmaßnahmen die Wiederkehr jener Gebiete zu ihrer
natürlichen Einheit keinen Rückschritt bedeute und keine
Verminderung ihres Wohlstandes. Wir wissen, daß wir in unseren
Staatsbürgern auf den Bergen und am Meere wertvolle Mitarbeiter
für den Fortschritt der Nation haben."
Ministerpräsident Giolitti:
"Ich glaube, daß wir die in den
neuen Provinzen in Geltung stehenden Dezentralisationen der Verwaltung nicht
stören dürfen; wahrscheinlich werden wir von ihren Institutionen ein
nützliches Beispiel nehmen können für die Umformung eines
Teiles der öffentlichen Verwaltung im regionalen Sinne, um den staatlichen
Zentralismus zu entlasten."
Ministerpräsident Bonomi - 10. Juli 1921 in der Kammer:
"In bezug auf das Problem der
allmählichen Vereinheitlichung der Gesetze, bei welcher uns die
früheren Erfahrungen zugute kommen werden, erachte ich es als dringende
Notwendigkeit, den Einrichtungen der administrativen Autonomie in den neuen
Provinzen eine konkrete Form zu geben, wobei uns die Vertreter der interessierten
Gebiete durch ihre Mitarbeit unterstützen werden."
Der Wortbruch
Ist es möglich, in noch stärker bindender, verpflichtender Form, das
Wort eines Staates, einer Nation, einer Regierung für eine gegebene Zusage
einzusetzen? Offenbar nicht. Trotzdem ist das den Deutschen in Südtirol
gegebene Wort nicht gehalten, sondern schon nach kurzer Zeit in sein Gegenteil
verkehrt worden. Das Deutschtum in Südtirol wird nicht nur
unterdrückt und vergewaltigt - es soll ausgerottet werden.
Um zunächst den Abstand zwischen den Versprechungen von 1918 und
1919 und ihrem Bruch schon seit dem Jahre 1921 durch Zeugnisse von
unbeteiligter Seite deutlich zu machen, seien ein solches von englischer und zwei
von schweizerischer Seite (davon eins aus Genf, der Stadt des
Völkerbundes) angeführt. Das englische Zeugnis stammt aus der
Zeitschrift Foreign Affairs, von der ein Korrespondent im Juli 1925
Südtirol bereist hatte. Es ist bemerkenswert, daß hier auch
ausdrücklich der Meinung entgegengetreten wird, Wilson sei in bezug auf
Südtirol im unklaren über die tatsächlichen Verhältnisse
gewesen, und der italienische Minister Orlando habe ihn überrumpelt.
Wilson selbst scheint daran gelegen zu sein, diese Lesart zu verbreiten, denn sein
Sekretär Ray Stannard Baker, der nach dem Tode des Präsidenten
dessen Erinnerungen herausgab, schrieb darüber (Band II, Seite 111):
[226]
"Unglücklicherweise hatte der Präsident die Brennergrenze Orlando
zugesagt, wodurch etwa 150 000 (richtig 230 000) Tiroler Deutsche
Italien überantwortet wurden - eine Tat, die er später als einen
großen Fehler ansah und tief bedauerte. Es war geschehen, bevor er diese
Frage sorgfältig studiert hatte, und jetzt war er gebunden und mitschuldig
an Orlandos Forderung nach einer strategischen Grenze. Vielleicht glaubte er
auch, ein Zugeständnis in den Alpen würde die italienischen
Ansprüche in dem adriatischen Gebiet mäßigen, doch die
Italiener wollten beides."
Man vergleiche nun hiermit den Bericht in den Foreign Affairs:
"Von einer Reise in Italien kommend,
berührte ich dessen »neuerworbene Provinz« Südtirol.
Dies wird aber mein letzter Besuch dort sein, bis die Verhältnisse sich
geändert haben, denn der Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart
ist zu niederschmetternd. Tirol, das malerischste Land Europas, ist nur noch ein
Torso! Es ist entzweigeschnitten durch die Verträge von St. Germain
und von Versailles, der nördliche Teil verblieb bei Österreich, der
südliche fiel an Italien als Belohnung, daß es sein Bündnis mit
Österreich und Deutschland brach und in den Krieg eintrat. Man sagt,
Wilson habe kurz vor seinem Tode bitter bereut, seine Zustimmung zu diesem
Pakt gegeben zu haben, durch welchen 250 000 Tiroler erzwungen
italienische Untertanen wurden. Die Reue kam zu spät. Mr. Wilsons
Unkenntnis vieler europäischer Dinge war groß, aber in dieser Frage
konnte er sich nicht mit »Unkenntnis« herausreden. Eine klare,
übersichtliche Darstellung der geographischen, historischen und politischen
Lage Südtirols wurde ihm 1919 vorgelegt. Dieses Dokument war
geschrieben und unterzeichnet von allen Gemeindevorständen und
führenden Männern Südtirols und wurde mitten im Winter von
beherzten Leuten mit Lebensgefahr über Gletscher und verschneite Berge,
da alle Wege von italienischen Truppen bewacht waren, in die Schweiz gebracht
und über Frankreich dem amerikanischen Präsidenten
überreicht. In diesem Schriftstück war hervorgehoben, daß
Tirol seit 1300 Jahren dem Stamme nach, der Sprache nach und auch was die
Kultur anbetrifft deutsch sei. Noch ragt der Deutschen Ahnenschloß in
seiner wuchtigen Größe über der Stadt Meran auf der Berge
Höhen. Allerdings, als Napoleon das Land überschwemmte,
gehörte ein Teil Südtirols während 4 Jahren zu Italien, aber es
war napoleonischer Raub und kam nach dessen Sturz 1814 wieder an
Österreich und verblieb bei ihm bis 1918.
1919 hielten die Italiener daran fest, daß
Südtirol unbedingt Italien gehöre und daß die Einwohner
nichts sehnlicher wünschten, als wieder mit dem Mutterland vereinigt zu
werden! Man rechnete mit der Unkenntnis der Welt und tut es heute noch. Ich traf
auch, so sagt der Verfasser, viele Landsleute in Südtirol, die ganz erstaunt
waren, überall deutsch zu hören, sie hatten erwartet, italienische
Sprache, italienische Sitten und Gebräuche zu finden, und Italiener selbst
waren ganz verwundert und verlegen, daß sie sich nicht verständlich
machen konnten und bekannten, daß sie böse irregeführt
worden wären... Man gab bekannt, daß die Regierung beabsichtige,
eine außerordentlich liberale Politik zu treiben, sowohl in bezug auf
Sprache und Kultur, als auch auf die wirtschaftlichen Interessen, und der
König selbst erklärte im Dezember 1919: »es darf keine
Mühe und kein Opfer gespart werden, um Südtirol zu
überzeugen, daß seine Rückkehr (!) und
natürliche Wiedervereinigung mit uns (Italien) keinen Rückgang
oder Verminderung seines Wohlstandes bedeute.« Aber wie sind diese
Versprechungen gehalten worden?
Am 24. April 1921 drangen Faschisten in Südtirol
ein und griffen eine ganz harmlose, unbewaffnete Prozession von Tirolern an, die
in ihren uralten, malerischen Kostümen ein Jahresfest feierten, schlugen in
brutaler Weise auf sie ein und erschossen einen jungen Schullehrer, der ein Kind
beschützen wollte. Die italienische Regierung hat bis zum heutigen Tage
[227] weder eine Verhaftung,
noch eine Bestrafung der Täter vorgenommen. Zahllose Gewalttaten
folgten. Geistliche wurden geprügelt, religiöse Aufzüge
wurden verhindert, weil die Frauen und Kinder auf Deutsch beteten, die einzige
Sprache, die sie überhaupt sprechen können... Am 10. Dezember
1922 stand in einer regierungsfreundlichen Zeitung klar zu lesen: »Das
Deutschtum muß ausgerottet werden... Mit den Schulen ist es sehr einfach.
Italien kann nur italienische Schulen haben. Wir haben nun vier Jahre lang
deutsche Schulen und Lehrer geduldet... jetzt muß der Schlange der Kopf
genommen werden - wir wollen keine deutschen Schulen und keinen
deutschen Unterricht mehr.«
Es ist kein Zweifel, daß die faschistischen
Behörden in Südtirol das deutsche Element vernichten wollen, und
die Zustände in Südtirol sind trostlos. Einer Bevölkerung
von 250 000 Seelen zu verbieten, ihre Muttersprache zu sprechen, ist ein
Verbrechen und nebenbei eine Unmöglichkeit. Letzten August wandte sich
eine Abordnung der besten und ersten Bürger verschiedener Städte
Südtirols an den früheren Minister Salandra und bat ihn um klare
Auskunft über die Ansicht der Regierung betreffs der Schulen. Salandra
sprach seine große Hochachtung für deutsche Sprache und Kultur
aus, sagte aber, eine Änderung des augenblicklichen Systems sei
unmöglich, die alleinige Unterrichtssprache müsse italienisch sein.
Sein letztes Wort war vernichtend. Er sagte, die Tiroler sollten dankbar sein,
daß sie von Österreich, wo das Gesindel herrsche, losgekommen
wären und zu Italien gehörten, wo sie sich so viel
größerer Freiheit erfreuten! Worauf der Anführer der
Abordnung erwiderte, wenn es vielleicht auch kein Gesindel in Italien gäbe,
so gäbe es jedenfalls genug Stöcke, Revolver und Knüppel,
und auch Mörder, die unbestraft ihr Treiben fortsetzten und die einen der
besten Bürger, Franz Innerhofer, getötet hätten, eine Tat, die
noch keine Sühne gefunden habe. »Die einzige Freiheit, die Italien
den Tirolern gibt«, fügte er hinzu, »ist die Freiheit der
Verzweiflung.«"
Das Seitenstück hierzu ist ein Artikel im Journal de Genève
vom 10. Februar 1926. Diese Zeitung gilt in ihrem auswärtigen Teil als
offiziöses Völkerbundsorgan. In dem Artikel ergriff der Herausgeber
selbst ausführlich das Wort. Er charakterisiert die von Italien in
Südtirol betriebene Politik als einen europäischen Skandal und urteilt
ohne Umschweife:
"Es gibt keine Entschuldigung
für Italien, 200 000 Deutsche entnationalisieren zu wollen, welche nur
durch den Zufall des Krieges in den italienischen Staat geworfen sind. Italien hat
in Südtirol keine anderen als strategische Interessen (also keine
völkischen oder kulturellen). Hätte Italien gegenüber den
Deutschen eine Verständigungspolitik getrieben, so würde heute
niemand mehr die Brennergrenze in Frage stellen. Wenn aber die italienische
Politik darauf hinausgeht, neue Kriegsgefahren zu schaffen und sie zu entwickeln,
dann hat ganz Europa das Recht, sich dem entgegenzustellen. Mussolini sagt,
daß Südtirol niemand etwas angehe als Italien. Dieses Problem geht
die ganze Welt an, weil es ein Problem des Friedens ist. Wenn Italien von
speziellen Verpflichtungen entbunden worden ist, so geschah dies nur darum, weil
die italienischen Staatsmänner höchste und ganz bestimmte
moralische Bedingungen eingegangen sind. Tittoni hat im Senat erklärt,
daß Sprache und Kultur der von Italien annektierten Völkerteile
respektiert werden müßten, und dieses Versprechen ist
verschiedentlich erneuert worden: es ist sogar international geworden durch ein
feierliches Dokument der Alliierten. Nur unter dieser Bedingung hat Italien
Südtirol erhalten, sind die Alliierten vom Prinzip der
Völkerselbstbestimmung abgewichen. Sie haben geglaubt, dem
italienischen Versprechen vertrauen zu dürfen. Italien verfolgt in
Südtirol eine Politik der Italianisierung: das ist genau [228] das, was Italien
feierlich versprochen hat nicht tun zu wollen. Der Völkerbund kann hier
nicht eingreifen, auch nicht Grund seiner Eigenschaft als Schützer der
Minoritäten: kein internationales Übereinkommen erlaubt ihm, von
sich aus etwas zu unternehmen zum Schutze Südtirols. Es wäre aber
ein irrtümlicher Glaube, zu vermeinen, daß die
Völkerbundsstaaten über keine Mittel verfügten, diese
Angelegenheit zu verfolgen. Artikel 2 liefert diese Mittel, und Deutschland
hat bereits zu vermerken gegeben, daß es sich dieses Artikels bedienen
werde."
Um dieselbe Zeit, wie diese sehr ernste Mahnung im Journal de
Genève veröffentlicht wurde, brachte auch die Neue
Züricher Zeitung, ein Blatt, das ebenfalls weit eher geneigt ist, den
Standpunkt der Entente zu verteidigen als den des Deutschtums, eine Reihe von
Artikeln mit dem gemeinsamen Titel "Alto
Adige - Südtirol", von Hermann Weilemann. Der fünfte von
ihnen, vom 25. Februar 1926, hat die Überschrift
"Nationalisierungsmethoden". Darin ironisiert der Verfasser, ohne
Wärme für die Tiroler, aber mit um so deutlicherer Kritik an den
italienischen Gewaltsamkeiten, den geschehenen Wortbruch:
"Namentlich das Südtirol wirkt
störend. Diese deutschsprechenden, ehemals österreichischen
Untertanen wollten nicht nur an ihrer vererbten deutschen Kultur und Sprache
festhalten, sie verlangten sogar Autonomie und öffentliche Anerkennung
ihrer unitalienischen Sonderart. Die Haltung der Faschisten gegenüber den
neuen Staatsgenossen war von vornherein gegeben. Wenn sie nicht ihre
Grundsätze wegen der 100 000 oder 200 000
Deutschsprechenden verleugnen wollten, mußten sie
zwangsgemäß ihre Politik der Vereinheitlichung auch in dieser Ecke
Italiens durchführen. Den Faschisten ist am allerwenigsten zuzutrauen,
daß sie von ihren Grundsätzen einer Minderheit zuliebe das Geringste
fahren lassen. Sie verabscheuen Kompromisse und nennen das Eingehen auf die
noch so dringenden Bedürfnisse der anderen Schwachheit. Selbst das
grundsatzlose Österreich-Ungarn führte ja diesen Grundsatz gegen
die sprachlichen Minderheiten ängstlich durch, und die Trentiner
fühlen sich noch jetzt darob beleidigt.
Also handelten die Faschisten in Südtirol durchaus
faschistisch. Die wohlgemeinten Versprechungen der früheren liberalen
Regierungsmänner und des Königs - »der Gedanke der
Unterdrückung und der Entnationalisierung liegt uns vollkommen
fern,« »unsere freiheitliche Tradition wird uns den Weg weisen, auf
dem wir bei größtmöglicher Beachtung der lokalen autonomen
Einrichtungen und Gebräuche die Lösung der neuen Aufgaben finden
können« usw. - paßten zum Faschismus nicht
und wurden weggeworfen. Die faschistische Revolution anerkannte wie jede
Revolution keine Bindungen mit der Vergangenheit. Infolgedessen wurde das
Programm der vollständigen Anpassung
Deutsch-Südtirols an das nationale Italien nach dem Marsch auf Rom sofort
hemmungslos durchgeführt.
Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Staates
duldete weder Gewährung der Autonomie für die Südtiroler,
noch Anerkennung einer anderen Amtssprache als der italienischen. Infolgedessen
wurden von den Faschisten die noch in Geltung befindlichen
österreichischen Landes- und Gemeindegesetze aufgehoben und das
deutsche Gebiet vorläufig endgültig zum unauffälligen
Bestandteil der Provinz Trentino gemacht. Im Oktober 1923 erließ der
Präfekt eine Verordnung über die Amtssprache in seiner Provinz,
nach der alle Amtsstellen und Gemeinden sowie die öffentlichen
Unternehmungen aller Art ausschließlich die italienische Sprache
anzuwenden haben. Für gewisse Kleinigkeiten im Verkehr mit dem
Publikum kann noch eine deutsche Übersetzung beigegeben werden, so
sind bezeichnenderweise die Steuerausschreibungen zweisprachig, während
Strafurteile und Eheverkündigungen nur italienisch aufgesetzt werden; die
deutschen [229] Vornamen sind in
italienische Form gebracht. In einem spätern Gesetz wurde auch für
die Sprachkenntnis der Gemeindesekretäre gesorgt. Im Oktober 1925 wurde
sodann die Sprache vor den Gerichten geregelt. Alle Entscheide, Eingaben,
Verhandlungen in einer andern als der Staatssprache sind nichtig. Dazu gibt es
empfindliche Bußen. Ein im Dezember desselben Jahres erlassenes
ministerielles Dekret umschreibt genau und unmißverständlich, in
welchen Fällen zugunsten der Parteien Dolmetscher zugelassen werden.
Ohne diese Hilfe könnten sie ja weder antworten noch ihre Begehren
vorbringen.
Nachdem die Einheitlichkeit des italienischen
Bodens durch die Übersetzung der deutschen Ortsnamen erreicht
war, mußte die deutsche Sprache der Bewohner für
faschistische Ohren um so unangenehmer auffallen. Auch das neue Italien war
gezwungen, den Leuten die Gesetze verständlich zu machen, denen sie zu
gehorchen haben. Da Stadt und Gemeinde sich nur italienisch ausdrücken
dürfen, blieb nichts anderes übrig, als die Bevölkerung
italienisch zu lehren! Es ist selbstverständlich, daß italienische
Staatsbürger eine so wichtige Sprache beherrschen müssen, und die
Geschäftsleute in den Südtiroler Städten beeilten sich im
eigenen Interesse, ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen, seit sich so viele Italiener in
ihrer Mitte niedergelassen hatten. Auf Freiwilligkeit baut jedoch der
Faschismus nicht. Er ließ die Alten beiseite und setzte bei den
Kindern ein. Ein königliches Dekret vom Oktober 1923
führte in der untersten Klasse sämtlicher Volksschulen die
italienische Unterrichtssprache ein; im Laufe der Zeit sollte der Unterricht in allen
Klassen italienisch durchgeführt werden. Für die deutsche Sprache
wurden Anhangsstunden vorgesehen. Ein am 7. Januar 1926 beschlossenes Gesetz
beschleunigte den Abbau der höheren deutschen Klassen, indem es das
Jahresexamen mit einer Prüfung in der italienischen Sprache verband. Die
letzten Deutschstunden in den italienisch geleiteten Klassen sollen vor kurzem
abgeschafft worden sein; südlich Bozen, in dem bis gegen Salurn
gemischtsprachigen Etschtal, ebenso in den rätoromanischen Tälern,
scheint sogar der Religionsunterricht ausschließlich italienisch gegeben zu
werden. Die Privatschulen, auch die deutschen Kindergärten, sind
abgeschafft. Es ist natürlich schwierig für die Südtiroler
Kinder, bei dieser überstürzten Kur etwas zu lernen, aber Italien
nimmt es auf sich, lieber ungelehrte als schlecht italienisch sprechende Untertanen
zu haben.
[228a]
Andreas-Hofer-Denkmal in Südtirol
mit verstümmelter Inschrift.
(Es war einmal ein Schützenfest,
Der Himmel hat's gegeben.
Tiroler Freiheit war das Best',
Der Einsatz Blut und Leben.)
Das Wort "Tiroler" wurde entfernt,
da es in Südtirol von den Italienern verboten ist.
|
Wenn für die Vereinheitlichung von Staat,
Geographie, Sprache derart gesorgt worden war, durfte der Grundsatz der
Einheitlichkeit der Gesinnung nicht vergessen werden. Obschon nicht
gleich die volle faschistische Morgenröte in die harten Schädel dieser
Gebirgler hineinleuchten konnte, so war doch deren beschleunigte Patriotisierung
zu betreiben. Seit dem Jahre 1923 werden die Bilder und Andenken an den
Tirolerhelden Andreas Hofer
und seine Genossen nicht mehr geduldet,
dafür bekommen die Kinder in den Schulen um so mehr von Cesare Battisti
zu hören, der das gleiche Los zu tragen hatte. Das Denkmal in Bozen wird
auch die Erwachsenen erschüttern. Es hängt vom Takt der Lehrer ab,
wie rasch sie die ihnen anvertrauten jungen Seelen umformen wollen, und wie
vollkommen sie den Segen des Weltkrieges ihren Schülern mit
patriotischen Gedichten und moralischen Erzählungen verständlich
machen können. Vorerst steht fest, daß damals deren Väter mit
den Waffen in der Faust eine ganz andere Ansicht verkündigten....
In der europäischen Geschichte sind schon
gewaltsamere Änderungen vorgekommen als die Italianisierung dieses
kleinen Ländchens; Italien hat die Macht, und niemand vermag sein
formelles Recht als Richter anzufechten. Doch darf jeder daran zweifeln, ob die
angewandten Methoden zum Ziele führen. Die bescheidene Frage sei
gestattet, ob die italienische Nation stärker ist, wenn sich das
Südtirol in keiner Weise mehr von den Abbruzzen unterscheidet? Unseres
Erachtens kommt es mehr auf den Willen zur Gemeinschaft an als auf
noch so voll- [230] kommene
Gleichartigkeit, und statt diesen Willen zu fördern, sät Italien
Unwillen. Statt den deutschen Südtirolern den Anschluß leicht zu
machen und sie mit Stolz zu erfüllen, daß sie teil haben dürfen
an der Kultur, der Schönheit und dem sicheren Geld Italiens, werden sie
wie Verräter behandelt, ohne daß sie verraten haben. Was wird damit
erreicht?"
Wenn wir uns nun der von den Italienern befolgten Politik im einzelnen
zuwenden, so sehen wir nicht nur, daß auf jedem Gebiete des geistigen und
politischen Lebens durch eine Unzahl von Maßnahmen und Verordnungen,
die sämtlich den gegebenen Zusagen widersprechen, das deutsche Leben in
Südtirol geknebelt und vergewaltigt wird, sondern daß auch noch
darüber hinaus eine besondere, auf keine Verordnungen, sondern nur auf
Brutalität und Gesetzlosigkeit gegründete faschistische Gewaltpolitik
gegen das deutsche Volk getrieben wird. Damit wird beabsichtigt, die Deutschen
einzuschüchtern und gefügig zu machen. Die Methode begann damit,
daß am 24. April 1921 ein friedlicher und erlaubter Trachtenumzug der
Bevölkerung in Bozen, anläßlich der Bozener Messe,
urplötzlich von einer Anzahl Faschisten mit Bomben beworfen wurde. Es
entstand eine ungeheure Panik, zumal die Faschisten auch noch unter die
unbewaffneten Zuschauer schossen. Fünfzig Personen wurden verwundet.
Ein Tiroler, der Lehrer Innerhofer von Marling, der ein Kind zu retten versuchte
und in einen Hausgang flüchtete, wurde verfolgt und niedergeschossen.
Weder sein Tod noch das sonst geflossene Blut hat eine Sühne gefunden.
Alle Beschwerden und Klagen blieben fruchtlos. Die Gerichte wagten nicht
einzuschreiten (und wagen es auch heute noch nicht, wenn faschistische
Gewalttaten in Frage kommen), denn jeder Akt faschistischen Terrors gilt als
nationale Handlung. Bei jenem Massaker vom 24. April wurden auch der
Abgeordnete Dr. Reut-Nicolussi, der Altbürgermeister von Bozen
Dr. Perathoner, ein Mann von 75 Jahren, der Abgeordnete Baron
Sternbach, der Vizebürgermeister von Bruneck Neuhauser, der Pfarrer
Delueg von Salurn und noch viele andere Personen blutig geschlagen, der
Bürgermeister von Klausen wurde angespuckt, Geschäftsauslagen
zertrümmert, weil sie deutsche Aufschriften trugen, Schilder wurden
abgerissen, viele Gebäude, ja selbst das Denkmal Walthers von der
Vogelweide aus weißem Marmor wurde mit grüner und roter Farbe
beschmiert. Nichts davon fand gerichtliche Sühne!
Von den unzähligen anderen Vorfällen dieser Art sei nur noch der
brutale Skandal von Bruneck am 10. September 1925 erwähnt, nicht weil es
ein besonders unerhörter, sondern weil es ein typischer Vorgang ist. In
Bruneck fand im September eine Pferdeausstellung statt, zu der schon eine Woche
früher einige hundert Mann faschistischer Miliz im Orte stationiert wurden.
Es erschienen gegen 300 Mann, mit Knütteln ausgerüstet, um (nach
einem als zuverlässig geprüften Berichte aus Bruneck) dort erstens
nachzusehen, wie weit die "Italianisierung" vorgeschritten war und eventuell mit
den Fäusten nachzuhelfen; zweitens um die Leute noch mehr zu
erschrecken und ihnen Respekt vor dem "großen" Italien
einzuprägen. Das wurde an erster Stelle durch das ständige Spielen
des Königs- und des Faschistenmarsches [231] den Leuten
beigebracht. Bei dieser Gelegenheit wurde ihnen der Hut vom Kopf geschlagen,
auch einem Blinden, der zufällig vorbeigeführt wurde (von einem
Kind) und keine Ahnung von dem Gespielten hatte. An zweiter Stelle versuchten
die Faschisten durch Fäuste und Totschläger die Brunecker zu
nationalisieren. Dem 14jährigen Ernst Schifferegger, dem Sohn des Wirts,
wurde ein Faustschlag ins Gesicht gegeben, weil er eine Auskunft in deutscher
Sprache gab. Aus dem Gasthause Stemberger wurden die jungen Burschen
herausgejagt, weil sie in deutscher Sprache redeten, und an der Tür wurde
noch jedem eine Ohrfeige gegeben.
[228a]
Von Faschisten verstümmeltes
Gefallenendenkmal in Bruneck.
|
Eine andere Kulturtat war das Bemalen der Häuser. An jedes Haus kamen
die drei bekannten Farben, außerdem Totenköpfe und allerlei
Sprüche. Chi non è con noi, è contro di noi; Viva il
ré, viva il fascio, viva il duce; Chi tocca un fascista, muore uff.
Sämtliche deutsche Anschriften, Schilder und dergleichen wurden mit Teer
bestrichen, deutsche Plakate heruntergerissen. Selbst die Toten hatten nicht Ruhe
vor diesen Patrioten und Kulturträgern, die auf dem Brunecker
Soldatenfriedhof wie wirkliche Vandalen hausten. In diesem Friedhof befindet
sich ein Bildstock mit zwei Nischen, in denen sich ein Relief von
St. Michael befand und gegenüber ein Tonrelief, das einen
sterbenden österreichischen Soldaten darstellte. Auch war das Denkmal an
der Südwand mit einem großen Freskogemälde
geschmückt. Auf der einen Seite wurde die Inschrift zerstört, am
Relief wurde dem Erzengel Michael der Kopf abgeschlagen und an dessen Stelle
mit Farben ein Totenkopf hingekleckt. W = Eviva (v. v.)
l'Italia = Es lebe Italien! Unten schmierte man die italienischen Farben
grün-weiß-rot hin. Auf der zweiten Seite wurde auch die Inschrift
zerstört, desgleichen das Relief "Dolomitengrab". An dessen Stelle das
Fascio-Wappen (Rutenbündel mit Beil). Unten wieder die Farben
grün-weiß-rot. W (= eviva) il Duce! = Es lebe
der Führer (Mussolini). Auf der dritten Seite wurde der Adler
weggemeißelt, dem Soldaten Arme und Füße abgeschlagen.
Unten: W le camice nere! = Es leben die Schwarzhemden!
Die Miliz war nur deshalb nach Bruneck geschickt worden, um italienische
Stimmung zu machen, und dies wurde auch gründlichst besorgt. An dem
Abend, da die Ausstellung eröffnet wurde, kam ein Trupp Faschisten in das
Café Graben und trieb die Gäste unter vorgehaltenem Revolver aus
dem Lokal. In einem anderen Gasthaus wurden die Gäste zuerst durch ein
Spalier von Faschisten getrieben, und jeder bekam eine Tracht Prügel, weil
sie deutsch gesprochen hatten! Als Grund des Prügelns wurde angegeben:
"Per bastonare siamo qui!" (Wir sind zum Prügeln hier.) Wie eifrig
sich die Faschisten als Anstreicher betätigten, geht daraus hervor, daß
83 Gebäude in Bruneck in Arbeit genommen wurden, und man
zählte da 191 Trikolorenanstriche, 19 Rutenbündelzeichen, 6
Totenköpfe, 33 Evviva usw. In der Umgebung Brunecks
wurden den Bauern Steine in die Äcker geworfen, Hennen, Enten,
Schweine gestohlen.
[232] Der Kampf gegen die deutsche Sprache und
Schule
In Italien ist der Schulbesuch nicht obligatorisch. Außerdem gibt es ein
Gesetz über die Privatschulen, durch das, unter der
selbstverständlichen Bedingung einer gewissen Staatsaufsicht,
Privatschulen in ganz Italien erlaubt sind. Für das deutsche Südtirol
aber wird die Berufung auf dieses Gesetz nicht gestattet. Es gilt für ganz
Italien und Südtirol soll ja angeblich ein Stück von Italien sein. Wo
es sich jedoch um die Vergewaltigung des deutschen Volkstums handelt, wird
eine andere Logik befohlen. Auf der andern Seite aber wird dekretiert, in
Deutsch-Südtirol gelte in Schulsachen noch die frühere
österreichische Gesetzgebung, nach der der Schulbesuch der Kinder
obligatorisch ist. Den Südtirolern wird also erstens die Freiheit entzogen,
ihre Kinder überhaupt nicht in die Schule (in diesem Falle die Staatsschule)
zu schicken, eine Freiheit, die wie gesagt alle andern "Italiener" besitzen;
außerdem aber wird keine deutsche Privatschule, ja nicht einmal deutscher
Privatunterricht in den Familien, geduldet. Das Ergebnis davon ist eine
unglaubliche Zunahme der Unwissenheit unter der vernachlässigten
Jugend. Ein Südtiroler Lehrer, der zeitweilig dort heimlich in deutschen
Familien unterrichtet hatte, schreibt uns darüber:
"Bei den Kindern des dritten
Schuljahres mußte ich mit einfachen Strichübungen beginnen; keines
konnte lesen und schreiben, keinem waren die deutschen oder die italienischen
Schriftzeichen bekannt. Keines hatte eine Ahnung von den Wortarten. Und so war
es ungefähr in allen Gegenständen. Das Schulelend ist einfach
unbeschreiblich und preßte mir fast Tränen aus. Das ist die Frucht der
italienischen Schule, die weit besser und höher stehend gerühmt
wird, als die deutsche. Sie wurde gleich nach der Besetzung Südtirols im
Unterlande eingeführt, da man dieses einfach als italienisch
annahm, trotz der 90% seiner deutschen Bewohner. Die Kinder lechzen
geradezu nach Unterricht und bitten um viele Hausaufgaben, sowie daß der
Lehrer länger Schule halten solle. So steht es also mit der Grundlage der
höheren Zivilisation, die der Kulturstaat Italien den deutschen
Barbaren gebracht hat. Die Jugend eines Kulturvolkes zu Analphabeten zu
machen und die Deutsch-Südtiroler auf eine tiefere Stufe
herabzudrücken, durch Verwilderung und Versimpelung der Jugend, ist ein
Kulturverbrechen."
Von dem außerordentlich großen Material, das speziell über
das Schulelend der deutschen Südtiroler vorliegt, und über die
brutale gesetzlose Gewalt, mit der die Faschisten selbst gegen den Heimunterricht
der deutschen Kinder vorgehen, wird es genügen, wenn wir eine Anzahl
geprüfter und beglaubigter Fälle vorlegen. Nach diesen Mustern, bald
mehr, bald weniger herzzerreißend, spielen sich die Dinge nun schon seit
vier Jahren ab - mit zunehmender Brutalität, könnte man
sagen, wenn das noch möglich wäre.
Lehrer Rudolf Kaps, durch
fünfzehn Jahre zur vollsten Zufriedenheit Schulleiter in Steinhaus in Ahrn,
wurde Ende 1924 plötzlich von der Schulbehörde entlassen, weil er
an einem Nationalfeiertage die Trikolore nicht ausgehängt hatte, welche gar
nicht vorhanden war. Lehrer Kaps ist Kriegsinvalide, hat die rechte Hand
verkrüppelt, weshalb er auch keinen anderen Beruf ausüben kann. Er
erhält von seiten der italienischen Regierung trotz seiner fünfzehn
Dienstjahre und seiner schweren Kriegsverletzung keinerlei Pension oder
Abfertigung. Um sich sein Brot zu verdienen, übersiedelte Kaps zuerst
allein und später mit Frau und zwei Kindern [233] nach Tramin, einer rein
deutschen Gemeinde südlich von Bozen mit beinahe 3000 Einwohnern.
Seit drei Jahren war dort die Schule bereits ganz italianisiert. Kein deutsches Wort
mehr wurde darin gelehrt. Lehrer Kaps fand das, was er suchte, Arbeit und
Verdienst in seinem Berufe. Viele Eltern waren froh, die Möglichkeit zu
haben, ihre Kinder außerhalb der Schule die deutsche Muttersprache lernen
zu lassen. Kaum einige Tage in Tramin, wurde Kaps von dem dortigen
Carabinierimarschall, welcher den Ort tyrannisierte, auf offenem Platze zur
Ausweisleistung verhalten. Trotzdem seine Papiere in Ordnung waren,
mußte er sich in die Carabinierikanzlei begeben. Dort wurde er
verhört und gefragt, was er in Tramin mache, warum er nicht in
St. Anton-Ahrn, seinem früheren Dienstorte geblieben
sei usw. Kaps antwortet, er sei nach Tramin gekommen, um sich sein Brot
zu verdienen, damit er samt seiner Familie nicht verhungern müsse; in
St. Ahrn habe er nicht bleiben können, weil er seines Dienstes
enthoben sei. Nun fragte ihn der Allgewaltige, ob er Waffen bei sich trage; Lehrer
Kaps antwortet: Nein, er besitze keine Waffen, er trage nur ein kleines
Taschenmesser bei sich, und zeigte dieses vor. Der Marschall sagte, ein solches
Taschenmesser sei eine tückische Waffe, er müsse ihn deshalb in
Haft nehmen. Tatsächlich wurde Kaps auch festgenommen und am
nächsten Tage von den Carabinieri dem Bezirksgerichte in Neumarkt
überstellt. Nach zweitägiger Haft wurde er dort entlassen. Von
März bis Mitte November hatte Kaps nun Ruhe und konnte sich durch
deutschen Privatunterricht etwas verdienen. Das Bestreben der Behörden,
den Privatdeutschunterricht als Verbrechen zu verfolgen und unmöglich zu
machen, wurde aber zum zweitenmal dem Lehrer Kaps zum Verhängnis.
Am 20. November unterrichtet Lehrer Kaps die vier Kinder eines Traminer
Kaufmannes in dessen Hause. Da erschien auf einmal der Carabinierimarschall in
Begleitung von Carabinierimannschaft und faschistischer Miliz. Barsch fuhr er
Kaps an, ob er nicht wisse, daß es verboten sei, Deutschunterricht, in
welcher Form immer, zu erteilen. Er beauftragte ihn, sofort den Unterricht
einzustellen und in die Carabinierikaserne zu kommen. In derselben wurde ihm
dann eröffnet, daß er sich innerhalb 48 Stunden beim
Carabinierikommando seiner früheren Aufenthaltsgemeinde Steinhaus bei
Bruneck zu melden habe. Er händigte ihm zu diesem Zwecke einen
Abschubsbefehl von der Unterpräfektur in Cavalese ein, wie solche
entlassenen Sträflingen oder Vagabunden ausgestellt werden. Er lautete:
"ohne Vergütung von Fahrtauslagen oder Beistellung von
Transportmitteln." Zufälligerweise verkehrte gerade an diesem Sonntage,
dem 22. November, der Postwagen zur nächsten Bahnstation Neumarkt
nicht; infolgedessen versäumte Lehrer Kaps den ersten Zug und kam
ungefähr acht Stunden zu spät ins Hochgebirgsdorf Steinhaus. Dort
waren die Carabinieri vom Kommen dieses anscheinenden Schwerverbrechers auf
telephonischem Wege bereits verständigt, und Lehrer Kaps wurde deshalb
sofort zur Verantwortung gezogen, warum er sich nicht rechtzeitig gemeldet habe.
Seine Rechtfertigung, daß ihn kein Verschulden treffe, fand kein
Verständnis. Er wurde verhaftet und gefesselt; einem Verbrecher gleich
ging die Wanderung wiederum talauswärts nach Bruneck, wo er dem
Bezirksgericht übergeben wurde. Nach achttägiger
Untersuchungshaft wurde ihm der Prozeß gemacht und er zu zehn Tagen
Arrest verurteilt. Sein Hinweis, daß die Ausstellung des Schubbefehls von
Tramin nach Steinhaus eine Ungesetzlichkeit darstelle und daß es nicht
seine Schuld gewesen sei, daß der Postwagen von Tramin nach Neumarkt
nicht verkehrte, wurde keiner Beachtung gewürdigt. Nach
Abbüßung seiner zehntägigen Strafe erhielt er neuerlich den
Auftrag, sich beim Carabinierikommando in St. Johann zu melden und den
Ort nicht zu verlassen. So sitzt nun Lehrer Kaps in St. Johann in Ahrn, Frau
und Kinder in Tramin, und alle vier haben nichts zu essen, wenn sich nicht
wohltätige Menschen finden, die hilfsbereit eingreifen. Der Fall Kaps steht
nicht vereinzelt da. Die Zahl der Märtyrer, kann man sie wohl nennen, ist
eine ansehnliche, die [234] leiden und dulden
müssen, weil sie die Liebe zu ihrem Volke dazu treibt, demselben dienlich
zu sein, die den Bitten der deutschen Eltern und denen der Kinder nicht
widerstehen können und sich für die deutsche Sache opfern. Doch
auch diese Opfer werden in früherer oder späterer Zeit belohnt
werden.
Es ist bei den Italienern System, nicht nur die deutschen Kindern, sondern auch
den deutschen Lehrerstand zu mißhandeln. Man sucht die Zahl der noch
vorhandenen deutschen Lehrer nach dem Muster des eben geschilderten Falles
Kaps zu dezimieren und man unterbindet den Nachwuchs. Bei der Prüfung
von 1925 ließ man von 39 männlichen und weiblichen
Lehramtskandidaten 16 glattweg durchfallen; 10 erhielten Nachprüfungen,
mit der Aussicht, daß es ihnen dabei nicht besser gehen würde als das
erstemal; 13 bestanden. In der Innsbrucker Zeitung Südtirol vom
15. Oktober 1925 wurde dazu geschrieben:
"Konnten im letzten Jahre die
Examinanden ihre Prüfungen noch in der Muttersprache ablegen, so waren
heuer laut Dekret sechs Wochen vor Schulschluß sämtliche
Antworten auf Italienisch verlangt. Auch die Reise nach Trient und Prüfung
vor landfremden Experten war wiederum erforderlich; daß angesichts
solcher Rigorositäten und Resultate die deutsche Jugend Südtirols
nicht mehr nach dem Lehrberufe gelüstet, ist begreiflich. In zwei Jahren
wird die auf Aussterbeetat gesetzte Lehrerbildungsanstalt in Bozen erloschen sein,
und nach Trient zu gehen, heißt zum vornherein: in der großen Flut
ertrinken. Auch die deutschen Gymnasien in Meran, Bozen und Brixen liegen in
den letzten Zügen. Bis 1927 werden auch sie mit allen noch in den
Oberklassen deutsch geführten Schulen erloschen sein. Ihre italienischen
Rivalinnen treten an ihre Stelle. Wenn es dann wenigen Buben oder Mädeln
noch gelingt, als Aschenbrödel sich in diesen fortzufretten, so
können sie bei allfälliger
Gesinnungsverdächtigung - die schwer zu beweisen
ist - schließlich als weiße Raben noch eine Stelle bekommen.
Aber der Zugang zur Intelligenz ist der deutschen Jugend unterbunden. Auf der
Unterpräfektur in Bozen hat man auf Klagen in dieser Beziehung eine sehr
einfache Antwort: Wir brauchen keine Deutschen! Für eine
Bevölkerung, die zu 95% Landwirtschaft treibt, genügt
außerdem, so heißt es ausdrücklich, was man in der
italienischen Volksschule lernt. Wieviel das im Falle der Südtiroler Kinder
ist, das kann man ja nach dem mitgeteilten Material leicht ermessen.
Analphabeten sind außerdem leicht zu regieren."
Wir fahren fort in der Skizzierung der von uns ausgewählten
Fälle:
In der Ortschaft Neumarkt wurde der
deutsche Privatlehrer am 15. Oktober 1925 von Carabinieri angehalten und ihm
die Abschiebung angedroht, falls er den Unterricht fortsetzen würde. Eine
Woche später wurde er in die Kaserne vorgeladen, und der Brigadier teilte
ihm mit, die zwangsweise Abschiebung in seine Heimatgemeinde sei nun
verfügt, mit der Begründung, daß der Unterricht in deutscher
Sprache im Bezirk von Bozen aus verboten sei. Alle Einwände des Lehrers,
warum man nicht deutschen Sprachunterricht erteilen dürfe, wenn doch
englischer und französischer erlaubt sei, blieben erfolglos. Als man den
Mann nun fragte, ob er, wenn man ihn daließe, doch weiter unterrichten
werde, und er das aufs entschiedenste bejahte, waren die Carabinieri ganz
verblüfft. Die Italiener unterschätzen fast immer die
Widerstandskraft der deutschen Bevölkerung, namentlich aber der Lehrer,
gegenüber den Versuchen, die deutsche Sprache auszurotten.
Übrigens werden die deutschen Kinder in der Schule von den italienischen
Regierungslehrern und -lehrerinnen immer ausgeforscht, wer von ihnen
Privatunterricht in deutscher Sprache erhielte, und diese werden dann beim
geringsten Anlaß [235] geschlagen. Eine
Strafe, die den deutschen Kindern öfters auferlegt wird, wenn sie deutsch
statt italienisch sprechen oder der Lehrerin deutsch antworten, besteht darin,
daß ihnen eine italienische Fahne zum Küssen gereicht wird. Die
italienischen Farben sind grün, weiß und rot, die Tiroler dagegen rot
und weiß. Als ein kleiner Junge in einem Tiroler Dorfe in der italienischen
Zwangsschule sich wieder einmal ein deutsches Wort hatte entschlüpfen
lassen, hielt ihm die Lehrerin zornig die Fahne zum Kuß hin. Der Kleine
weigerte sich, die Lehrerin wurde wütend. Da rief ihr die Schwester des
Jungen aus der Klasse zu: "Fräulein, tun Sie doch das Grün weg,
dann wird er sie schon busserln!" Die Lehrkräfte, namentlich die
weiblichen, sind oft auch, abgesehen von der sprachlichen Mißhandlung,
die sie den Kindern zufügen müssen, sehr ungeeignet für den
Unterricht. In Neumarkt pflegt die italienische Lehrerin ihr Wickelkind in die
Schule mitzubringen und es dort von einem Mädchen aus ihrer Klasse
beaufsichtigen zu lassen.
Jener deutsche Privatlehrer in Neumarkt, von dem weiter
oben die Rede war, sowie ein deutsches junges Mädchen im Ort erhielten
nach der Vernehmung des Lehrers in der Kaserne beide ein gleichlautendes
Dekret vom Schulinspektor in Mezzolombardo, worin ihnen der Unterricht in
deutscher Sprache noch einmal auf das Nachdrücklichste verboten
wurde.
In der Gemeinde Montan erschienen sieben Mann,
Carabinieri und Faschisten, um dem privaten Deutschunterricht
nachzuspüren. Ein paar Lehrmittel wurden dabei erbeutet und zwei junge
Mädchen wurden auf das Amt zitiert. Der Unterpräfekt
Dr. Prandi von Cavalose verhörte sie und befahl die Einstellung des
Unterrichts. Als ihn die Lehrerinnen nach der gesetzlichen Grundlage dafür
befragten, konnte er zwar kein Schulgesetz zitieren, berief sich aber auf das
Gesetz über die öffentliche Sicherheit. Er wollte damit andeuten,
daß der deutsche Unterricht die Faschisten aufrege und dadurch die
öffentliche Sicherheit gefährdet würde. Dann bot er den
Lehrerinnen einen Paß an, damit sie über den Brenner gingen, der
Staat wolle solche Leute nicht. Im Wiederholungsfalle drohte er ihnen mit
Deportation in die "alten Provinzen" (damit pflegt irgendein Nest in
Süditalien oder Sizilien gemeint zu sein) und fügte noch zynisch
hinzu, er werde nichts sehen oder hören, falls sie von jemandem
verprügelt werden sollten! Daß solche Drohungen keine leere
Redensart sind, hat man in Südtirol in letzter Zeit zur Genüge erlebt.
So wurde in Salurn ein Fräulein Berta von Golmini für das
nämliche "Verbrechen", Kinder in ihrer deutschen Muttersprache
unterrichtet zu haben, auf offener Straße geschlagen (!!) und darnach
noch ins Gefängnis geworfen. Ein Faschist stellte sie wegen ihres
Privatunterrichts zur Rede, und da sie ihm antwortete, sie werde seinetwegen die
Erteilung des Unterrichts nicht aufgeben, versetzte er ihr einen Faustschlag ins
Gesicht. Das junge Mädchen wandte sich an das Carabinierikommando um
Schutz, wurde aber dort als verhaftet erklärt, weil sie deutsche
Privatstunden erteilt habe. Man ließ sie nicht einmal mehr in ihre Wohnung
gehen, um sich Kleidung zu holen, sondern sie wurde, wie sie ging und stand,
ohne Abendessen, um Mitternacht von Salurn nach Neumarkt ins
Gefängnis eingeliefert.
Ein anderer Fall ist folgender: Fräulein M.
Gemaßmer wurde wegen Erteilung deutschen Privatunterrichts von Bruneck
nach Bozen abgeschoben. Dort wurde sie verhaftet, weil angeblich ihr
Schubbefehl auf Meran gelautet haben sollte. Die zwanzigjährige junge
Dame aus sehr guter Familie wurde zuerst von Kaserne zu Kaserne geschleppt
und schließlich ins Gerichtsgefängnis eingeliefert. Dort steckte man
sie in eine Zelle mit sechs Betten. Es lagen aber bereits schon acht wegen
unsittlichen Lebenswandels abgestrafte Frauenspersonen darin. Als der Nachweis
erbracht wurde, daß der Schubbefehl nicht auf Meran, sondern
tatsächlich auf Bozen [236] gelautet hatte, blieb der
Behörde natürlich nichts übrig, als die Dame wieder
freizulassen. Welch eine Barbarei liegt aber in diesem Verfahren:
Faustschläge ins Gesicht und Zusammensperrung mit weiblichem Auswurf
für junge Mädchen aus guter Familie, die sich nichts haben
zuschulden kommen lassen, als daß sie sich der Not deutscher Kinder
erbarmt haben - eine Handlung, die kein italienisches Gesetz verbietet und
die nur als ein moralisches Verdienst bewertet werden darf, auch vom politischen
Gegner.
In der Ortschaft Montan erschienen am 22. Oktober 1925
des Nachmittags im Hause des Schneidermeisters Johann Mazzag
der - selbstverständlich italienische und der Gemeinde
aufoktroyierte - Gemeindesekretär mit drei Carabinieris und dem
Gemeindediener, um wegen eines angeblich dort abgehaltenen Privatunterrichts in
deutscher Sprache Nachschau zu halten. Diese begaben sich unverzüglich
in den erste Stock, woselbst sich Frau Mazzag befand, nicht ohne jedoch
gleichzeitig vor ein Zimmer, in welchem Fräulein Mazzag aus Anlaß
eines schulfreien Tages ihren siebenjährigen Bruder sowie dessen
gleichaltrigen Freund in deutscher Sprache unterrichtete, einen Posten
aufzustellen. Die übrigen Herren, an deren Spitze der Maresciallo,
durchsuchten das Haus von oben bis unten. Dieser mit größter Eile
unternommenen Haussuchung fielen nachstehende Bücher und
Gegenstände zum Opfer:
- 2 deutsche Fibeln,
- 1 Rechenbuch,
- 3 neue, 2 alte Schiefertafeln,
- 1 größere Schultafel samt Gestell,
- 1 altes Liederbuch,
- 1 Schachtel mit deutschen Buchstaben,
- 1 kleiner Kindertisch mit Bank,
- mehrere alte deutsche Bücher, z. B. der Sendbote vom göttlichen
Herzen Jesu, ein Roman, Bücher der St. Josefsbruderschaft in
Klagenfurt, ein deutsches Lesebuch, welches seinerzeit in der dortigen deutschen
Schule verwendet wurde, durchweg alte Bücher.
Schließlich betrat der Maresciallo auch das Zimmer,
in welchem sich Frl. Mazzag befand, beschlagnahmte die gesamten
Bücher und sonstigen Lehrbehelfe und verlangte eine Liste der von ihr
unterrichteten Kinder. Auf ihre Weigerung wurde ihr mit sofortiger Verhaftung
gedroht. Als man sie um noch andere deutsche Bücher fragte, welche
angeblich ihr Vater von Bozen mitgebracht haben sollte, gab sie zur Antwort, man
müsse ihren Vater fragen, sie selbst wisse von nichts und sei auch nicht im
Besitze weiterer Bücher als der gefundenen. Frl. Mazzag holte
hierauf ihren Vater, der infolge eines Unfalls zu diesem Zeitpunkt
arbeitsunfähig war und sich zur Zeit dieses Vorfalls außer Haus
befand, welcher gerade mit der Kommission, die samt den beschlagnahmten
vorerwähnten Sachen das Haus zu verlassen im Begriffe war,
zusammentraf. Nunmehr wurde auch Herr Mazzag über den Verbleib der
deutschen Bücher befragt. Herr Mazzag erteilte keinerlei Auskunft, mit der
Begründung, daß der Besitz von fremdsprachigen Buchwerken
ausschließlich Privatsache sei und man ihm den Gesetzesparagraphen
zeigen und nennen möge, demzufolge der Besitz deutscher Bücher
als auch die Erteilung von Privatunterricht in deutscher Sprache verboten
wäre. Ein Beweis für den Mangel eines solchen konkreten Gesetzes
sei ein Fall, wonach ein Fräulein, welches wegen verbotenen Unterrichts in
deutscher Sprache zur Anzeige gebracht wurde, erst in der dritten Verhandlung
auf Grund eines Gesetzes vom Jahre 1843 zu 50 Lire Geldstrafe
verurteilt worden war. Gerade der Rückgriff auf ein Gesetz aus dem Jahre
1843 ließe erkennen, daß in Italien kein Gesetz bestehen könne,
welches den Privatunterricht in fremden Sprachen, geschweige denn in der damals
[237] herrschenden
deutschen Muttersprache hätte verbieten können, nachdem
zu dem Zeitpunkt des zitierten Gesetzes das Königreich Italien in seiner
heutigen Form überhaupt nicht bestanden habe. Es bestand damals der
Kirchenstaat; die Lombardei und Venetien gehörten zu Österreich,
andere Teile waren selbständige Republiken, wie Sizilien usw. Wie
sollte demnach Italien zu einem Gesetze aus dem Jahre 1843 gelangt sein? Auf
diese Einwendungen blieben die Herren stumm. Erst der Gemeindesekretär
legte Herrn Mazzag nahe, sich doch den strengen Weisungen zu fügen, eine
Aufforderung, der Herr Mazzag mit den Worten: "dem Gesetze füge ich
mich, dem Terror und der Willkür nicht" entgegnete. Zum Schlusse wurde
Herrn Mazzag das Nationale abgenommen und er entlassen.
Am 24. 10. 25 zwischen vier und fünf Uhr
nachmittags erschienen bei Frl. Zuogg im Hause Schweigl in Kurtatsch der
Gemeindekommissär (namens Dowarda, bekannt als ehemaliger
Kaiserjägermajor und Überläufer) sowie zwei Karabinieri.
Frl. Zuogg hatte gerade in diesem Augenblicke acht Kinder im Alter von
7 - 13 Jahren um sich versammelt, um sie in der deutschen Sprache
zu unterrichten. Es sei bemerkt, daß sämtliche Kinder ihrer
Volksschulpflicht Genüge leisteten. Der Kommissär, welcher als
erster das Zimmer betrat, beschlagnahmte den Kindern sofort alle Bücher
und sonstigen Lehrbehelfe wie Tafeln. Im ganzen ergab die "Beute" 5
Zellerfibeln, 5 Lesebücher 2. Teil, 11 Tafeln, 4 Sprachbücher und
sämtliche Griffelschachteln. Auch nach einer großen Schulwandtafel
wurde gefragt, worauf Frl. Zuogg erklärte, sie benütze in
Ermangelung einer solchen die Türe. Das Fräulein wurde
aufgefordert, die Kinder nach Hause zu schicken und sich zwecks Aufnahme
eines Protokolls in die Gemeindekanzlei zu begeben. Dort erhielt sie auch das
bereits vorbereitete Dekret des Schulinspektors von Mezzolombardo, dessen
Empfang sie bestätigen mußte und das das Verbot des
Privatunterrichts in deutscher Sprache enthielt. Auch in einem weiteren Hause
wurde eine Hausdurchsuchung nach deutschen Büchern vorgenommen,
blieb jedoch gänzlich ergebnislos.
Am 30. Oktober 1925 erschien im Hause des Herrn Franz
Orian, ehemaligen Gemeindevorstehers, eine Kommission, welche Nachschau
nach Privatdeutschunterricht halten wollte. Die Kommission bestand aus dem
Gemeindekommissär, dem Carabinierimaresciallo von Tramin, zwei
weiteren Carabinieri in Zivil und dem Gemeindesekretär von Kurtatsch.
Der Regierungskommissär, der Gemeindesekretär und der
Maresciallo führten gemeinsam die Durchsuchung des Hauses nach
deutschen Büchern und Lehrbehelfen durch, ohne jedoch zunächst
einen Erfolg zu erzielen. Die beiden Carabinieri in Zivil beobachteten indessen
das Haus von außen. Das Fräulein Romani, welches im Hause Orians
(der übrigens Vater von 11 Kindern ist) wohnte, erteilte Kindern
Privatunterricht in deutscher Sprache. Der Regierungskommissär drang in
sie, die Erteilung des Unterrichts bleiben zu lassen, wies auf ihre Zukunft und
auch auf ihre Existenz hin, welche durch eine Fortsetzung des Unterrichts
gefährdet werden könnte. Sie wurde angewiesen, um 7 Uhr
abends in der Gemeindekanzlei zu erscheinen. Herr Altvorsteher Orian, welcher
bei der Hausdurchsuchung nicht anwesend war, begab sich unverzüglich
nach seiner Rückkehr in die Gemeindekanzlei und wollte die
diesbezüglichen Gesetze zur Einsichtnahme verlangen. Die Kanzlei war
jedoch geschlossen. Nachdem die Kommission im Hause des Altvorstehers Orian
ihre Amtshandlung beendet hatte, begab sich diese nach Benon in das Haus des
Wilhelm Kofler, woselbst Frl. Oberlechner Unterricht in deutscher Sprache
erteilte, um in gleicher Weise vorzugehen. In dem Lokale des deutschen
Sprachunterrichts wurden 10 Tafeln und 3 Fibeln beschlagnahmt. Die Frau bat,
man möge ihr wenigstens eine Tafel als Spielzeug für ihr
sechsjähriges Kind belassen. Diese Bitte wurde ihr jedoch nicht
gewährt. Obschon auf der ersten Seite der Lesebücher das Bild des
Königs von Italien stand, konnte auch diese
Tat- [238] sache, daß diese
Bücher bereits unter italienischer Herrschaft ausgegeben wurden, die
Bücher nicht mehr vor einer Beschlagnahme retten, nachdem der deutsche
Sprachunterricht als qualifiziertes Verbrechen verfolgt und geahndet wird. Auch
Frl. Oberlechner wurde in der höhnischsten Weise von dem Verbote
des deutschen Sprachunterrichts in Kenntnis gesetzt. Der Kommissär hatte
sich vor Beginn seiner Amtshandlung als Altertumshändler ausgegeben.
Man drohte auch ihr mit empfindlichen Strafen und sie wurde gleichfalls um
7 Uhr abends in die Gemeindekanzlei bestellt und dort sowohl ihr, wie
auch Frl. Romani das vorbereitete Dekret des Schulinspektors von
Mezzolombardo gegen Empfangsbestätigung
ausgehändigt.
Ein Erlaß der Präfektur von Trient vom 27. November 1925 an
sämtliche Unterpräfekten in Deutsch-Südtirol lautet:
"Die Aufdeckung einer
beträchtlichen Anzahl deutscher Geheimschulen besonders im Gebiete
zwischen Bozen und Salurn beweist, daß in Südtirol eine regelrechte
Organisation des Widerstandes besteht, welche für die Anwerbung von
Lehrern, die Einrichtung der Schulen und die nötige Finanzierung sorgt.
Sie muß auch in den Gemeinden Vertrauensmänner besitzen.
Es ist notwendig, diese Versuche mit der
größten Entschiedenheit niederzuschlagen, um ihre Festsetzung und
Ausbreitung zu verhindern. Euer Hochwohlgeboren werden daher alles
Mögliche veranlassen, um die Zentralorgane und Hilfskräfte dieser
Organisation ausfindig zu machen. Nötigenfalls wollen Sie sich mit der
Gerichtsbehörde entweder unmittelbar oder auf dem Wege über mich
in Verbindung setzen, um mit Beschlagnahmen und Hausdurchsuchungen
vorzugehen. Behalten Sie auch mit der Schulbehörde Fühlung, und
erteilen Sie genau Weisungen, damit die Wachsamkeit aufs höchste
gesteigert und die entdeckten Schulen unverzüglich geschlossen werden,
wobei die Lehrmittel zu beschlagnahmen und die Verantwortlichen gerichtlich zur
Anzeige zu bringen sind.
Hinsichtlich der Lehrkräfte, welche nicht die
italienische Staatsbürgerschaft besitzen, haben Sie die Ausweisung zu
beantragen, hinsichtlich jener, welche anderswo ihren ordentlichen Wohnsitz
haben, werden Sie den Abschub mittels Schubbefehl durchführen.
Alle sind außerdem mittels Protokolls zu verwarnen
und unter strenge Aufsicht zu stellen, wobei Sie sich auch der Soldaten der
freiwilligen Miliz bedienen können, welche Ihnen über Verlangen
gemäß den mit dem Kommando getroffenen Vereinbarungen zur
Verfügung gestellt werden.
Wenn sich irgendwo eine Verantwortlichkeit aus
Handlungen oder Unterlassungen von seiten eines Beamten oder lokaler
Behörden oder Personen ergeben sollte, welche irgendeinen
öffentlichen Dienst zu versehen haben, so werden Euer Hochwohlgeboren
darüber Bericht erstatten, damit die entsprechenden Maßnahmen
getroffen werden. In dieser Sache, welcher ich eine besondere politische
Bedeutung beimesse, erwarte ich von Euer Hochwohlgeboren die schärfste
Wachsamkeit und Energie.
Wollen Sie mir den Erhalt dieses Schreibens
bestätigen und vierzehntägig über die durchgeführten
Schritte und deren Ergebnisse berichten.
Der Präfekt.
Guadagmini m.
p."
Was ist die Folge einer solchen Verordnung? Nicht nur, daß die Gendarmen
in den Häusern nach deutschen Fibeln und Schulbänken suchen und
daß junge Mädchen auf offener Straße mit Faustschlägen
ins Gesicht traktiert werden, sondern auch, daß die Kinder über ihre
Eltern ausgehorcht werden. In der Ortschaft St. Ulrich [239] hat der dortige Lehrer
die Kinder gefragt, wie ihre Eltern zu Hause über Mussolini und den
König sprächen. Die Kleinen, die den Sinn der Fragen nicht
begriffen, antworteten arglos: Nicht freundlich. Darauf zeigte der Lehrer diese
Familien bei den Carabinieri an. Die Väter wurden in Ketten gelegt und
abgeführt. In Kaltern sagte eine Lehrerin zu den deutschen Kindern, sie
sollten sich schämen, deutsch zu sprechen und lieber auf das italienische
Vaterland stolz sein. Eine andere pflegte die Kinder nicht nur stets nach
deutschem Privatunterricht auszuforschen, sondern ließ sich von ihnen auch
zu dem Hause führen, wo der Unterricht erteilt wurde, und machte dann die
Anzeige. Nicht genug damit, sie forderte selbst die Kinder auf, fleißig
deutsche Privatstunden zu besuchen, und schickte sie zu Personen, von denen sie
wußte, daß diese früher deutschen Unterricht erteilt hatten. Die
Absicht war, neue strafbare Fälle hervorzurufen und dem betreffenden
Unterpräfekten Stoff zu seinem Bericht an die Präfektur in Trient zu
geben. In demselben Ort wurden die Schulkinder gezwungen, das Piavelied zu
lernen und am 4. November zu singen. Dies Lied ist ein Hymnus auf den
militärischen Zusammenbruch Österreichs am 4. November an der
Piave. Die Einlernung des Liedes mußten deutsche Lehrer vornehmen, die
sonst keinen italienischen Unterricht erteilten. Anderwärts wurden die
deutschen Lehrer in Untersuchung gezogen, weil die Kinder, als ein Faschist sie
danach gefragt hatte, erklärten, das Piavelied nicht zu kennen. Die
italienischen Lehrer hassen die Deutschen so, daß sie selbst die Kinder
körperlich mißhandeln. So wurde in Marling bei Meran ein
Mädchen vom Lehrer so geprügelt, daß es zwei Tage lang
nicht die Schule besuchen konnte. In der Gegend werden von den Mädchen
die schönen Burggräflerkämme getragen. Dieser "deutsche"
Schmuck war dem Lehrer so verhaßt, daß er den Kindern die
Kämme zerschlug.
Die Verfolgung der Presse
Dies sind die Methoden, nach denen die Italiener in Südtirol das Deutsche
und den Unterricht in der Muttersprache verfolgen - ohne gesetzliche
Begründung, ja im Widerspruch zu der bestehenden italienischen
Gesetzgebung. Um aber die deutsche Bevölkerung auch ihrer Zeitungen zu
berauben, die natürlich schon lange nichts zur gerechten Verteidigung der
Interessen des Deutschtums bringen durften, in denen aber doch wenigstens von
deutschen Dingen die Rede war und die den Lesern Nachrichten aus Deutschland
und aus der übrigen deutschen Welt in deutscher Sprache brachten, wenn
sie auch unter dem Druck der Zensur stets so farblos wie möglich gehalten
sein mußten, wurden die in Südtirol erscheinenden deutschen
Blätter erst jahrelang mit allen Mitteln terrorisiert und zuletzt
überhaupt verboten; es regnete Geldstrafen und Verwarnungen.
Dazwischen wurde auch eine Druckerei einfach von Faschisten gestürmt
und verwüstet, ohne daß es für die Betroffenen ein Mittel gab,
sich dagegen zu wehren. Der Weg über das Gericht war
selbstverständlich verschlossen. Ein besonderes Mittel, um die Zeitungen
zu drangsalieren, waren [240] die italienisch
gemachten Südtiroler Ortsnamen. Wenn durch irgendeinen Zufall einer
Redaktion in einem Artikel, einem Bericht oder einer Notiz ein deutscher Name
mit unterlief, so war sie verloren. Was jede deutsche Zeitung am meisten
fürchten mußte, war die gerichtliche Bestrafung oder auch nur
Verwarnung ihres Redakteurs, denn beim dritten Male wurde das Erscheinen des
Blattes verboten. Gegenwärtig ist es dahin gekommen, daß im ganzen
deutschen Südtirol kein einziges deutsches Blatt mehr erscheinen darf. Statt
dessen wird von faschistischer Seite eine "Alpenzeitung" herausgegeben, in
deutscher Sprache, aber mit der Aufgabe, an ihrem Teil das Südtiroler
Deutschtum mit vernichten zu helfen. Wie nun in Südtirol italienische
Gerichtsurteile gegen deutsche Redakteure zustande kommen, dafür ist das
folgende Beispiel lehrreich.
In Kurtatsch, einer rein deutschen Gemeinde des Unterlandes, in welcher bereits
im Frühjahr 1923 die italienische Schule eingeführt und jeder
deutsche Unterricht unterdrückt worden war, verteilte der italienische
Verein "Dante Alighieri" um Neujahr 1925 italienische Bücher. Der
Bozener Landsmann brachte darüber am 10. Januar 1925 einen
Bericht unter dem Titel: "Kurtatscher Mitteilungen". Kurtatsch, 6. Januar:
"Als Christgeschenk wurden den
Kindern in der Schule italienische Bücher des Dante
Alighieri-Vereines ausgeteilt, einige mit Bildern, die für das sittliche
Empfinden unserer Kinder nicht passend sind. Die empörten Eltern
übergaben sie dem Feuer..."
Der Verein "Dante Alighieri" sandte daraufhin der Schriftleitung eine
Berichtigung zu, welche veröffentlicht wurde. Am 22. Januar 1925 brachte
der Landsmann neuerdings einen Artikel in dieser Sache unter dem Titel:
"Unpassende Weihnachtsgeschenke für Schulkinder". In diesem Artikel
wurde ausgeführt:
"... Die mit Recht gebrandmarkten
Bücher sind: 1) Der Giannetino von Collodi (A. Barion Editore
Milano 1925), der auf dem farbigen Umschlag einen Knaben darstellt, der einer
Katze Röllchen an den Schwanz heftet. (Diese Darstellung mußte so,
wie sie gegeben war, auf Kinder wie eine Anleitung zur Tierquälerei
wirken.) 2) Andersen Fiabe (Casa Editrice Bietti Milano), a) er
bringt u. a. "Der impertinente Knabe" (eine für Größere
gewiß harmlose Erzählung, was auch von den nachfolgend
erwähnten Bildern und Texten gilt, die aber von den Eltern allgemein
für die Kinder dieser Altersstufe als unpassend beurteilt wurden); gemeint
ist Amor, »der sich unter die Studenten einschleicht, den Mädchen
in die Kirche nachfolgend, in den Theatern wie blendendes Licht leuchtet, der
deinen Vater und deine Mutter ins Herz getroffen hat.« Das Bild dazu
tav. 2 ist der beanstandete nackte Knabe mit dem Amorbogen.
b) Im gleichen Andersen Fiabe Bild tav. 5 auf Seite 97
ist das beanstandete Kußbild mit dem Texte: »Laß mich dich
umarmen, sagte die Frau...« Das sind jedenfalls für Schulkinder
keine passenden Weihnachtsgeschenke. Es sei dies nochmals
betont..."
Zwei Monate darauf überreichte der Verein "Dante Alighieri" beim
Tribunal Bozen eine Privatklage gegen Herrn Peter Fuchsbrugger als
verantwortlichen Schriftleiter des Landsmann. Die Verhandlung
über die Privatklage wurde vom Gericht auf den 5. Oktober 1925
anberaumt.
[241] Vorher noch,
nämlich am 1. August 1925 war eine Amnestie erlassen worden, worin
u. a. bestimmt war: "Alle Vergehen, welche einem politischen
Beweggrunde entsprungen sind oder welche in irgendeiner Weise mit politischen
Zwecken in Zusammenhang stehen, sind amnestiert."
Da der Dante Alighieri-Verein in der Privatklage sein Einverständnis damit
erklärt hatte, daß der Wahrheitsbeweis zugelassen wurde, stellte der
Verteidiger des Herrn Peter Fuchsbrugger, Herr Dr. Eduard
Reut-Nikolussi, noch vor der Verhandlung den Antrag, es möge die
Einvernahme des Ortsseelsorgers von Kurtatsch, Pfarrer Sebastian
Kröß, und des letzten Gemeindevorstehers von Kurtatsch, Franz
Orian, darüber erfolgen, daß die in den Artikeln besprochenen
Bücher die Mißbilligung der Eltern von Kurtatsch gefunden hatten.
Dieser Antrag wurde noch vor der Verhandlung abgewiesen.
Die Ablehnung der Beweisanträge schien begründet, da die ganze
Angelegenheit durch die Amnestie offenbar erledigt war und die Verhandlung nur
als eine Formalität gelten konnte.
Bei der Verhandlung am 5. Oktober 1925 erklärte Herr Peter Fuchsbrugger,
daß die beiden Artikel aus politischen Gründen, nämlich als
Kampfmittel gegen die Italianisierung unserer Schulen und gegen die
entnationalisierende Tätigkeit des Dante
Alighieri-Vereins, geschrieben und von ihm zu dem gleichen politischen Zwecke
veröffentlicht worden seien. Nach dieser Rechtfertigung des Herrn Peter
Fuchsbrugger nahm der Vorsitzende in die zur Verhandlung gebrachten
Exemplare der beanstandeten Bücher Einsicht und fragte sodann, ob noch
weitere Anträge gestellt werden. Der Verteidiger wiederholte nun die
bereits schriftlich gestellten Anträge auf Einvernahme des Ortsseelsorgers
und des Gemeindevorstehers von Kurtatsch, wodurch die Wahrheit der in den
unter Anklage gestellten Artikeln enthaltenen Ausführungen bewiesen
werden konnte. Der Gerichtshof verkündete nach ziemlich langer Beratung
den Beschluß auf Abweisung dieser Anträge. Auch diese neuerliche
Ablehnung der Beweisanträge erschien den Angeklagten und dem
Verteidiger vollkommen zweckmäßig, da über einen
Tatbestand, welcher durch die Amnestie der Strafverfolgung entzogen war,
weitwendige Beweisaufnahmen überflüssig erschienen.
Bei den nun folgenden Schlußausführungen der Vertreter der Parteien
entwickelte der Staatsanwalt, Dr. Teribolo, überraschenderweise den
Standpunkt, daß es sich hier nicht um eine Tat aus politischen
Beweggründen oder zu einem politischen Zwecke handele, vielmehr liege
eine gewöhnliche Verleumdung vor, welche nicht amnestiert sei. Der
Staatsanwalt griff in seinen Ausführungen auch den Vorsitzenden an, dem
er vorwarf, er habe die Einvernahme des Angeklagten in unkluger Weise
durchgeführt (in modo poco prudente) und verlangte eine strenge
Bestrafung des Herrn Peter Fuchsbrugger.
Der Verteidiger legte in seinen Schlußausführungen dar, daß in
diesen Artikeln überhaupt keine Verleumdung, sondern nur eine durchaus
berechtigte, sehr maß- [242] voll gehaltene Kritik
der verteilten Bücher zu erblicken sei. Die Wahrheit der in den Artikeln
wiedergegebenen Tatsachen hätte jederzeit durch Einvernahme der
beantragten Zeugen, aber auch noch durch zahlreiche andere Zeugen bewiesen
werden können, wenn der Gerichtshof die Beweisanträge nicht
abgelehnt hätte. Der Gerichtshof sei jedenfalls der Ansicht gewesen,
daß es sich hier um eine Tat aus politischen Beweggründen oder zu
politischen Zwecken handle, was allerdings stimme. Deshalb könne das
Urteil auch nur dahin lauten, daß infolge der Amnestie die Klage des
Vereins "Dante Alighieri" gegenstandslos geworden sei.
Nach langer Beratung wurde sodann vom Gerichtshof das Urteil gefällt:
Herr Peter Fuchsbrugger sei des Vergehens der Verleumdung schuldig und wird
zur Kerkerstrafe in der Dauer von 11 Monaten (!!) 20 Tagen, zur
Tragung der Prozeßkosten, sowie zum Ersatz der Auslagen der Zivilpartei
in der Höhe von 300 Lire verurteilt, und die Zeitung verboten!
Der Terrorismus der
Verwaltung
Einen weiteren Gipfelpunkt hat die italienische Gewaltpolitik in Südtirol
durch das Dekret vom 10. Januar 1926 über die Italianisierung der Namen,
und zwar nicht nur der Orts-, sondern auch der Familiennamen (!)
erreicht. Das Dekret lautet (Art. 1):
"Die Familien der Provinz Trient, die
einen ursprünglich italienischen oder lateinischen Namen tragen, der in
andere Sprachen übersetzt oder in eine fremde Schreibweise
umgeändert wurde, oder eine fremdsprachliche Endsilbe erhielt, werden
den ursprünglichen Namen in der ursprünglichen Form wieder
erhalten.
Ebenso werden die Namen, die von Ortsbezeichnungen
herstammen, in die italienische Form zurückgeführt werden.
Dasselbe gilt auch für die Adelsprädikate.
Diese Umänderung wird durch Dekret des
Präfekten verfügt und in der Gazetta ufficiale
verlautbart.
Wer nach dieser Umänderung noch von deutschen
Namen Gebrauch macht, wird mit einer Geldstrafe von 500 bis 5000 Lire
belegt.
Gegeben zu Rom, 10. Januar 1926.
Mussolini -
Rocco - Federzoni."
Um die Bedeutung dieses Dekrets zu verstehen, muß man sich
vergegenwärtigen, daß von den Faschisten jeder Name
für ursprünglich ladinisch oder italienisch erklärt werden kann,
von dem es ihnen einfällt, eine solche Herkunft zu behaupten. Die
Südtiroler Faschistenzeitschrift, der Brennero schrieb dazu, nach
einer Bemerkung über die Wiederherstellung des "wohlklingenden
lateinischen Namens" für das Etschland:
"Aber auch der Familienname durfte
nicht sich selbst überlassen bleiben. Man mußte ihn
zurückfordern in seiner Unversehrtheit (!), in seiner
ursprünglichen italienischen oder ladinischen Form. Man mußte ihn
von allen Übertünchungen, Entstellungen oder Übersetzungen
der Jahrhunderte fremder Herrschaft und Übermacht befreien. Das
Oberetsch hatte eine große Anzahl von Namen, die deutsch scheinen, deren
wirkliche Herkunft aber italienisch ist, z. B.
Pram- [243] strahler. Namen wie
Kastlunger sollen in Gostalunga umgewandelt werden, Sottriffer in Sottariva, Figl
in Vigili usw. Die Grafen von Sarnthein werden Grafen von Sarentino.
Auch alle Endungen auf »er« müssen verschwinden: die
Goller müssen Colli heißen, die
Gostner - Costa. Das vorliegende Dekret (unterfertigt von Mussolini, Rocca
und Federzoni) ist ein Akt echt italienischen Geistes, und auf ihn wird unsere
Grenzbevölkerung, die ihren von der Mutter Rom hergeleiteten Ursprung,
ihren Ruhm und ihre Sprache nicht vergessen hat, mit bewußtem
Patriotismus antworten."
Wenn jemand zweifeln will, was die Phrase am Schluß des Artikels
bedeuten soll, so findet er den Hohn, der in ihr liegt, deutlicher ausgesprochen in
einem Artikel des Bozener Faschistenblattes, in dem der faschistische
Sekretär Barbesino in einer Besprechung des Dekrets über die,
eventuell zwangsweise, Italianisierung der Namen schreibt:
"Es kann möglich sein,
daß man während der Kur ein gewisses Geschrei hört. Sicher
ist aber, daß die Kranken, wenn sie auch während der Operation
Schmerzen ausstehen müssen, nach überstandener Operation froh
sein und dem Operateur, in unserem Falle dem Präfekten der Provinz,
danken werden."
Die Dankbarkeit wird ungefähr die sein, die deutsche Kinder und Lehrer in
Südtirol empfinden, wenn sie das Piavelied singen müssen.
In den deutschen Gemeinden Südtirols und in den slawischen
Grenzgebieten ist der Grundstücksverkehr so gut wie ausgeschaltet,
während die Gesetzesparagraphen in den Gebieten, die an die Schweiz und
Frankreich grenzen, nicht in Kraft treten. Man hat diesem Gesetz ein
militärisches Mäntelchen umgehängt. In ihm heißt es,
daß jegliche Veränderung an Grund und Boden, an Häusern
und Gebäuden jeder Art, an Straßen, Wasser- und Kraftwerken,
jegliche Abholzung, jede Neuanlage von Wegen, ja selbst die kleinsten
Verbesserungen, nur mit Bewilligung des Militärkommandos in Verona
gestattet sind. Beschränkte sich dieses Gesetz nur hierauf, so könnte
man an den militärischen Beweggrund, wenn man sehr gutgläubig
ist, glauben. Da aber auch jegliche Veräußerung und Verpachtung,
selbst jede grundbuchamtlich einzutragende Belastung von der Genehmigung der
Militärbehörde abhängig gemacht wird, so ist es klar,
daß dies Gesetz nichts anderes bezweckt, als die völlige
wirtschaftliche Abhängigmachung der nichtitalienischen
Grenzbevölkerung.
Die Steuerlasten sind ungeheuer. Es gibt Menschen, denen von ihren Einnahmen
über 70% unter allen möglichen Titeln fortgesteuert werden, in der
Hoffnung, auf diese Weise die Familie zum Verkauf ihres Anwesens an einen
Italiener zu zwingen. Bisher ist das nur in vereinzelten Fällen
geglückt. Wirtschaftlich und politisch am gefahrvollsten ist aber das neue
Wassergesetz, das dem Staate die Möglichkeit bietet, überall in
Südtirol das fließende Wasser nach Belieben abzutreiben. Was das in
einem Lande bedeutet, in dem nicht nur Hunderte von Sägemühlen
laufen, sondern das auch seine hochentwickelte Garten- und Weinkultur zum
großen Teile nur durch die bis ins Kleinste gehende und vorbildliche
künstliche Bewässerung betreiben kann, das möge sich
jedermann selbst ausmalen.
[244] Das letzte,
gefährlichste und unmenschlichste Gesetz gegen die deutschen
Südtiroler ist das vom 15. Januar 1926, das gegebenenfalls ihre
Verdrängung aus dem Lande ihrer Väter vorsieht. Im Jahre 1924
wurden bei der Parlamentswahl in Deutsch-Südtirol 35 000 deutsche
und nur 3000 faschistische Stimmen abgegeben. In Alt-Italien hätte die
Stimmenzahl der Deutschen genügt, um vier Abgeordnete ins Parlament zu
entsenden. Durch die geübte Wahlgeometrie kamen nur zwei deutsche
Deputierte hinein, die außerdem nichts ausrichten können, da in der
römischen Kammer die Opposition bekanntlich nicht mehr zu Gehör
kommt. Bei den letzten Gemeindewahlen haben die Italiener in keiner
Südtiroler Gemeinde die Mehrheit erlangt und auch nur in wenigen
Gemeinden Minderheitssitze auf Grund von Kompromissen. Dies
veranlaßte die Regierung, an allen wichtigen Orten die Gemeinderäte
aufzulösen und die Verwaltung an königliche Kommissare zu
übergeben, die schon einen großen Teil der Gemeinden bis vor den
Bankerott gebracht haben. Der fortdauernde Widerstand der Bevölkerung,
der sich in diesen Wahlergebnissen ausspricht, ist auch der Grund für das
Dekret vom 10. Januar 1926:
"Die Gewährung der
italienischen Staatsbürgerschaft, die auf Grund der Option nach den
Bestimmungen der Friedensverträge erfolgt ist, kann jederzeit widerrufen
werden, wenn derjenige, welcher die Staatsbürgerschaft erworben hat, sich
durch sein politisches Verhalten ihrer unwürdig
erweist."
Alle Südtiroler, die nicht ausdrücklich bei der Übergabe des
Landes für die österreichische Staatsangehörigkeit optiert
haben - wer optierte, wurde "Ausländer" und unterlag allen
gesetzlichen Bestimmungen gegen die
Ausländer -, wurden seinerzeit ohne weiteres italienische
Staatsbürger. Bei jedem Südtiroler kann die "Unwürdigkeit"
im faschistischen Sinne leicht konstruiert werden, so daß er durch ein
Dekret des Präsidenten aus dem Lande verwiesen werden kann. Allerdings
kann man auch oft genug zu hören bekommen, daß besser als die
Verweisung der Südtiroler - die Eroberung von Nordtirol
sei. Anfang Oktober 1925 schrieb der Trientiner Brennero:
"Kaum vierzig Kilometer vor unserem
Hause organisiert sich eine Bande von Brandstiftern und
Räubern."
Mit dieser freundlichen Ausdrucksweise sind die deutschen Nordtiroler gemeint,
samt allen denen in Deutschland, die dem gemißhandelten Südtiroler
Volke ihre Sympathie bezeugen. Vielleicht am interessantesten in dem Artikel ist
die Stelle:
"Wenn jene Männer, die mit
unbeschreiblicher Leichtfertigkeit aus dem Alto Adige gleichsam ein Theater
machen, dessen Zuschauersitze der Maria-Theresienstraße in Innsbruck und
der Walhalla in München zugekehrt sind, auch nur einen Funken nationalen
Verantwortlichkeitsgefühls besessen hätten, so hätten sie
Italiens Macht zur Verteidigung seiner Rechte und zur Geltendmachung seines
Willens bis jenseits der Brücke unter dem Berge Isel (d. h. bis
Innsbruck) ausgedehnt, die Abtei der Weißmönche von Wilten (bei
Innsbruck) vernichtet und mit Erobererschritt, in Erfüllung der ihnen vom
Geschick zugewiesenen Bestimmung, die Vormauer Deutschlands erstiegen, das
Karwendelgebirge."
[245] Der Brennero
bedauert damit, daß die Eroberung Nordtirols unterblieben ist. Am 16. Juli
1920 bemerkte Lord Bryce im englischen Oberhause ausdrücklich, die
Italiener hätten im Jahre 1915, als sie ihren Preis für den Hinzutritt
zu dem Bündnis der Ententemächte gegen Deutschland festsetzten,
nur die Grenze am Klausenpaß, also südlich
vom Brenner gefordert -, die eigentlich strategische Grenze aber,
fügte Lord Bryce hinzu, verlaufe bei Salurn, denn das Vintschgau
könne unter Umgehung des Brenner leicht erreicht werden, und der Brenner
selbst habe einen Seitenzugang durch das Silltal; mithin sei die strategische
Grenze weit unterhalb von Bozen dicht an die eigentliche Scheide zwischen dem
deutsch- und dem italienischsprechenden Teil der Bevölkerung zu
legen!
Im früheren Tiroler Landtag spielten die Italiener eine bedeutende Rolle.
Sie konnten sich bei den Verhandlungen stets ihrer Muttersprache bedienen, sie
hatten Sitz und Stimme in allen Kommissionen. Die Regierung war stets bestrebt,
durch Nachgiebigkeit die Italiener zu besänftigen. Jeder
unvoreingenommene Beobachter der Verhältnisse konnte sich nicht des
Eindrucks erwehren, daß besonders in wirtschaftlicher Beziehung die
Trentiner bevorzugt wurden. Die Deutschen aber haben heute in der
Scheinkörperschaft, die den Landtag ersetzen soll, der Trentiner "Giunta
provinciale amministrativa", ein einziges Mitglied, und jeder Versuch,
deutsch zu sprechen, würde auf den wütenden Widerstand der
Faschisten stoßen. Di Pauli, ein Mann, der zur alten
österreichischen Verwaltung in Tirol gehört hat, schreibt in den
Süddeutschen Monatsheften vom November 1925:
"In Österreich war schon der
Gemeinde ein geradezu entscheidender Einfluß auf die Schule
eingeräumt; jedenfalls stand dieser Einfluß dem Landtag in
gesetzgeberischer Weise zu, denn die Schulgesetzgebung war im Rahmen des
Reichsvolksschulgesetzes dem Landtag anheimgegeben. Dieses autonome Recht
ist auch von der österreichischen Regierung nie angetastet worden. Schon
im Grundsatz der Autonomie lag eine unüberschreitbare Schranke gegen
jede, dem Naturrecht widersprechende Einmischung der Staatsgewalt auf dem
Gebiete der Schule, und deshalb ist es nie in Österreich zu einer
Vergewaltigung der Kinder und Eltern aus nationalen Rücksichten
gekommen. Nie ist ein Kind italienischer Muttersprache zum Besuch einer
deutschen Schule gezwungen worden, nie ist überhaupt ein Italiener zur
Erlernung der deutschen Sprache angehalten worden. Bezeichnend ist, daß
sehr viele Deutsche italienisch können, aber sehr wenige Italiener deutsch!
Nie ist irgend eine Privatschule aus nationalen Rücksichten
unterdrückt worden, wie dies heute üblich ist; wohl aber bestanden
z. B. in Pfetten eine italienische Schule der Lega nazionale und eine
deutsche Schule des deutschen Schulvereins nebeneinander; Eltern und Kinder
hatten freie Wahl. In Italien ist die Schule nur Staatssache. Das Kind, besonders in
Deutsch-Südtirol, ist schon fast von der Wiege an Staatseigentum. Aus
diesen Grundsätzen folgt die Vernichtung der Schulautonomie, die unter
Österreich bestand; dann aber folgt daraus ein förmliches
Polizeisystem, um das Schulsystem auszunutzen, das nicht einmal vor dem
Heiligtum der Familie halt macht. Den Italienern war unter Österreich ihre
italienische Schule gesichert, den Deutschen hat man in Italien die Schule und
sogar die Kindergärten genommen."
[246] Die Begehrlichkeit der
Italiener hat außer nach Südtirol auch nach einem anderen kleinen
Stück deutscher Erde gegriffen und es von Österreich abgerissen:
dem Kanaltal. Es ist die breite Längstalfurche zwischen Pontafel
(Pontebba) und Tarvis, durch das die Eisenbahn von Villach nach Friaul
führt. Der Hauptort ist Tarvis. Das ganze Tal hat etwas über 7000
Einwohner. Über drei Viertel davon sind deutsch, der Rest slowenisch. Die
Vergewaltigung der Deutschen ist hier dieselbe wie in Südtirol; nur
daß die Wenigsten davon wissen, daß hier zwischen den
Ausläufern der Karnischen und Julischen Alpen auch noch gegen 6000
Deutsche ein um ihres Volkstums und ihrer Sprache willen gequältes
Dasein führen. Der deutsche Charakter des Kanaltals geht bis an den
Anfang des 12. Jahrhunderts zurück. Lange Zeit hatte das Bistum
Bamberg hier großen Besitz. Die Bewohner sind Kärntner nach Blut,
Sprache und Charakter und sehnen sich, gleich den Südtirolern mit aller
Macht nach Wiedervereinigung mit ihren Brüdern.
Die Italiener wissen sehr gut, was es heißt, die angeborenen Rechte eines
Volkstums zu verteidigen, wenn es sich nicht um Deutsche handelt, sondern um
Italiener. Das italienische Amtsblatt vom 20. November 1923
veröffentlichte das königliche Dekret vom 24. September 1923,
Nr. 2396 (Ratifikation des Vertrages von St. Germain), wonach
Jugoslawien der italienischen Minderheit dortselbst volle
Entwicklungsmöglichkeit im nationalen Leben zu gewähren hat: sie
genießt jede Freiheit hinsichtlich ihres Verkehrs, ihrer Religion, ihrer
Presse, ihrer Vereins- und Versammlungstätigkeit; sie hat das Recht der
Errichtung von Schulen und Erziehungsanstalten, in denen die eigene Sprache
ohne Einschränkung verwendet werden kann. In Südtirol dagegen ist
der Standpunkt der Italiener der, daß das Königreich Italien, in dem
neben vierzig Millionen Italienern nahezu eine Million Angehörige von
Minderheiten leben, ein Nationalstaat ist, in dem, juristisch gesprochen,
Minderheiten überhaupt nicht existieren.
Damit ist ein gegebenes Wort gebrochen. Die Alten wußten von einem
Manne zu erzählen, der einst das Orakel in Delphi darum befragte, ob es
ihm erlaubt sei, einen Eid zu schwören, um gegen das Recht eine geliehene
Summe zu behalten. Schwöre, antwortete ihm der Gott, auch den gerecht
Schwörenden ereilt der Tod. Aber wisse, es gibt einen Sohn des falschen
Eidschwurs, einen Namenlosen, ohne Hände und Füße, der
dennoch schnell dahereilend, Geschlecht und Haus des Frevelnden austilgt! Die
eigentliche Nemesis für diejenigen, die trotz ihrer geschworenen Eide
Gewalt ausüben, liegt darin, daß ihre Sinnesart sie früher oder
später dazu bringt, sei es auch auf anderen Gebieten, Handlungen zu
begehen, an denen sich die Sühne für das begangene Unrecht
erfüllt. Diese Genugtuung, wenn keine andere, werden auch die
vergewaltigten deutschen Minderheiten haben, denen man das Band des
Zusammenhanges mit dem großen deutschen Volkstum gegen Recht und
gegebenes Wort zerschnitten hat.
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