[247=Illustration] [248]
Der grenzdeutsche
Gürtel (Teil 12)
Das Deutschtum in
Elsaß-Lothringen
Das Maß ist voll bis zum Überlaufen! Dies ist das
Stichwort, unter dem, siebeneinhalb Jahre nach der Besetzung des einstigen
Reichslandes durch die Franzosen, der
"Elsaß-Lothringische Heimatbund", eine eben entstandene
Vereinigung von geborenen Elsässern und Lothringern, dortselbst an die
Öffentlichkeit getreten ist. Damit ist eine Tatsache von noch gar nicht
abzusehender Tragweite geschehen, eine Tatsache, die wir bis zur weiteren
Klärung der nationalpolitischen Lage in
Elsaß-Lothringen für sich allein sprechen lassen. Es ist nötig,
daß unsere Volksangehörigen über dem Rhein, deren
|
gegenwärtiges französisches Staatsbürgertum an ihrer
Blutzugehörigkeit zum alemannischen und fränkischen Stamm nichts
ändert, unbeeinflußt über ihr Fühlen und Wollen mit
sich selbst ins Klare kommen. Geht die Entwicklung so weiter und bleibt es auf
der elsaß-lothringischen wie auf der französischen Seite bei der
gegenwärtigen Einstellung, so wird das nachstehende Dokument, das vor
sieben Jahren sicher niemand für möglich gehalten hätte, nur
den Auftakt zu noch ganz anderen Dingen bilden. Es lautet:
"Straßburg, den 7. Juni 1926.
An alle heimattreuen
Elsaß-Lothringer!
In schicksalsschwerer Stunde treten die Unterzeichneten
vor das elsaß-lothringische Volk, um es zur Tat aufzurufen.
Längeres Zögern wäre Verrat an
unserm Volkstum, denn das Maß ist voll bis zum
Überlaufen. Sieben Jahre lang haben wir zugesehen, wie man uns Tag
für Tag in unserer eigenen Heimat entrechtet hat, wie all die
Versprechungen, welche man uns feierlich gegeben, mißachtet worden sind,
wie man unsere Rasseneigenschaften und Sprache, unsere Überlieferungen
und Gebräuche zu erdrosseln suchte. Wir wissen nunmehr, daß die
Assimilationsfanatiker es auf Wesen, Seele und Kultur des
elsaß-lothringischen Volkes abgesehen haben, wobei sie nicht einmal vor
Fragen der inneren Überzeugung und des Gewissens halt machen.
Wenn wir von natürlichen und erworbenen Rechten
und Freiheiten unseres Volkes sprechen, verhöhnt man uns und
überschüttet uns mit Verleumdungen und Drohungen.
[249] All dies
Leid wollen und werden wir unter keinen Umständen weiter
ertragen.
Wir haben erkannt, daß fast das ganze
elsaß-lothringische Volk, daß alle, die noch echte und aufrechte
Elsaß-Lothringer geblieben sind, in ihrem Innersten denken wie wir, mit uns
auf dem Standpunkt des elsaß-lothringischen Selbstbewußtseins und
der Heimatliebe stehen und die bestehende Zersplitterung durch gegenseitige
Achtung und eine tiefe Verwurzelung im Heimatboden ersetzen wollen. Es bedarf
nur des Anstoßes, und sie alle werden sich zur langersehnten Einheitsfront
zusammenschließen, um eines Herzens und eines Willens
Unterdrückung und Untergang von unserem Lande abzuwehren.
Wir sind der Überzeugung, daß die Sicherung
und lebendige Auswirkung der unverjährbaren und
unveräußerlichen Heimatrechte des
elsaß-lothringischen Volkes und die Wiedergutmachung all des Tausenden
und aber Tausenden unter uns zugefügten Unrechts nur garantiert sind,
wenn wir als nationale Minderheit die vollständige Autonomie im
Rahmen Frankreichs erhalten.
Diese legislative und administrative Selbständigkeit
soll ihren Ausdruck finden in einer vom Volk gewählten Vertretung mit
Budgetrecht und einer Exekutivgewalt, mit dem Sitze in Straßburg, welche
aus dem elsaß-lothringischen Volke hervorgehen und neben dem für
Fragen allgemein französischen Charakters gemeinsamen Parlament in
Paris den Zusammenhang mit dem französischen Staate wahren
sollen.
Vor allem muß in den wichtigen und schwierigen
Fragen der Weltanschauung eine einheitliche Front hergestellt werden,
damit unsere Kampfeskraft nicht durch Weltanschauungsstreit und Parteihader
sabotiert und geschwächt werde.
Daher sind wir in bezug auf das Verhältnis von
Kirche und Staat und die Schulfrage für die Aufrechterhaltung des
gegenwärtigen gesetzlichen Zustandes, bis das
elsaß-lothringische Volk selbst in der Lage ist, über die letzte Form
endgültig zu entscheiden. Eine Lösung der Schulfrage sehen wir
dann in der Verwirklichung des Grundsatzes, daß es unantastbares Recht
der Eltern ist, in entscheidender Weise über die Art der Erziehung ihrer
Kinder zu bestimmen.
Weiter verlangen wir volle Achtung und ehrliche
Respektierung der christlichen Weltanschauung, in welcher ja die Mehrzahl
unserer Volksgenossen verankert und aus welcher die Kultur unseres Landes
geschichtlich erwachsen ist. Ihre vielfältigen kulturellen Kräfte
müssen zum Ausbau eines gesunden und reichen Volkslebens verwendet
werden.
Ein richtiges Verständnis dieses Programmpunktes
wird alle dazu bringen, jeder andern Weltanschauung ihr Recht zu
gewähren, so daß ein Bruderkampf [250] in Zukunft
ausgeschlossen bleibt, der von unsern Feinden dazu verwendet wird, uns zu
entzweien, um uns ungestört unserer gemeinsamen
Volks- und Heimatrechte berauben zu können.
Wir fordern, daß die deutsche Sprache im
öffentlichen Leben unseres Landes den Rang einnimmt, der ihr als
Muttersprache des weitaus größten Teils unseres Volkes und als einer
der ersten Kultursprachen der Welt zukommt. In der Schule muß sie
Ausgangspunkt und ständiges Unterrichtsmittel und Unterrichtsfach mit
abschließender Prüfung sein. In der Verwaltung und vor Gericht
muß ihr gleiche Berechtigung mit der französischen Sprache
zukommen.
Unser niederes und höheres Schulwesen, wie
unsere sonstigen Bildungseinrichtungen sollen in allen ihren Zweigen nicht
gemäß Diktat der Pariser Zentralgewalt, sondern der Eigenart und
Kulturhöhe des elsaß-lothringischen Volkes entsprechend ausgebaut
werden, so wie unser zukünftiges Parlament unter weitgehendem
Mitbestimmungsrecht der Eltern und Lehrpersonen es verfügen wird.
Wir betrachten es als eine unserer Hauptaufgaben,
elsässisches und lothringisches Wesen und elsässischen und
lothringischen Sinn zu pflegen und dafür zu sorgen, daß bei unserem
Volk die Kenntnis von seiner reichen historischen und kulturellen Vergangenheit
unverfälscht erhalten bleibt, um es dadurch zu eigener Arbeit aus eigener
Kultur heraus anzuspornen.
Als ureigenstes Recht, aus Selbstbewußtsein, aus
sozialen und sprachlichen Gründen verlangen wir Platz an der Sonne
für unsere Landeskinder, welche irgendeine Verwaltungslaufbahn
eingeschlagen haben. Sie allein können, bis in die höchsten Stellen
hinein, die Verwaltungsarbeit leisten, die bei unserer sprachlichen und kulturellen
Eigenart doppelt schwierig ist. Sie allein werden uns wieder frei machen von all
dem Ballast einer rückständigen Bürokratie und all den
schreienden Ungerechtigkeiten, in denen wir ersticken.
Wir fordern weiter:
Volle Autonomie des elsaß-lothringischen
Eisenbahnnetzes in Eigentum des elsaß-lothringischen Volkes;
Schutz der elsaß-lothringischen Landwirtschaft,
dem Weinbau, Handel und Gewerbe, sowohl in den Handelsverträgen wie
gegenüber der innerfranzösischen Konkurrenz;
Reform des Steuerwesens in ausgleichender sozialer
Gerechtigkeit;
Ausbau unserer seit Jahren erstarrten sozialen
Gesetzgebung, deren weitere Entwicklung durch die rückschrittlichen
Assimilationsbestrebungen aufgehalten worden ist;
Wiederherstellung der früheren
Gemeindegesetzgebung bei Anpassung derselben an die heutigen politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse.
[251] Wir sind
begeisterte Anhänger der Friedensidee, internationaler
Zusammenarbeit und Gegner des Chauvinismus, des Imperialismus und
Militarismus in allen ihren Formen.
Unser Land soll als Treffpunkt zweier großer
Kulturen in die Lage versetzt werden, seinen Anteil an der Aussöhnung
zwischen Frankreich und Deutschland und an der zivilisatorischen
Gemeinschaftsarbeit von West- und Mitteleuropa beizutragen.
Um all diese Forderungen wollen wir das gesamte
elsaß-lothringische Volk in einem Heimatbunde scharen, der stark und
unerschrocken Schützer und Wegweiser sein soll.
Wir wollen keine neue Partei sein, nur eine
Organisation, welche die bestehenden Parteien des Landes dazu antreiben wird,
endlich die Politik des Hinhaltens, der Schwäche und der Täuschung
aufzugeben und den Kampf für die
elsaß-lothringischen Volks- und Heimatrechte mit rücksichtsloser
Tatkraft zu führen.
Es lebe ein selbstbewußtes, starkes und freies
Elsaß-Lothringen!"
Zu diesem Aufruf wurde in der deutschen Presse Elsaß-Lothringens der
folgende Kommentar veröffentlicht:
"Ungeheuer ist die Erregung, die unser
Volk seit einem Jahr erfaßt hat. Nach den schweren Kriegsjahren mit ihren
zermürbenden Erscheinungen hatten ängstliche, schwächliche
und auch verlogene »Führer« unser Volk dem
französischen Machtwillen bedingungslos ausgeliefert. Auf unserem
Heimatboden mußten wir uns die Kolonialmethoden der Fremden gefallen
lassen, mußten unsere deutsche Sprache verhöhnen, unsere
Selbstverwaltung zerstören lassen.
Elsaß-Lothringen sollte verschwinden, drei französische
Departements, »Haut-Rhin, Bas-Rhin, Moselle«, mit einer auf gut
französisch dressierten Bevölkerung an die Stelle treten.
Schon in den Jahren 1919 - 1924 nahmen
einzelne Gruppen unserer Bevölkerung Stellung gegen diese
Unterdrückung. Man denke an Claus von Bulach, an Camille Dahlet und
ihre Anhänger, ferner an die katholische Protestbewegung im Sommer
1924. Aber noch fehlte die Bewegung breiter Massen, es fehlten die richtigen
Führer, es fehlte ein grundsätzliches Bekennen zum deutschen
Volkstum, ein sich Emporheben aus engen Parteigrenzen.
Erst die Zukunft, die im Mai 1925 in Zabern
gegründete »Unabhängige Wochenschrift zur Verteidigung
der elsaß-lothringischen Heimat- und Volksrechte«, hat in aller
Klarheit, unabhängig von parteipolitischen Zielen, dem Gedanken eines
selbstbewußten Elsaß-Lothringen Ausdruck gegeben.
Und nun haben am Pfingstmontag 1926
Elsässer und Lothringer, führende Männer aus allen Schichten
unseres Volkes, aus allen Teilen Elsaß-Lothringens [252] einen
Heimatbund gegründet. Wie es der Zukunft gelungen ist,
nach wenigen Monaten in allen Parteien unseres Landes im Sinne eines stolzen
Heimatgedankens klärend und stärkend, ja völlig umgestaltend
zu wirken, so wird dieser überparteiische Bund alle Kräfte zum
Wohle unseres kleinen Volkes zusammenfassen.
Der elsaß-lothringische Heimatbund hat
einen Aufruf an alle Heimattreuen
Elsaß-Lothringer gerichtet. Wer dieses klare und
großzügige Programm liest, wird anerkennen, daß die
Gründung dieses Heimatbundes als ein Geschehnis von
größter Tragweite in unserem politischen Leben zu werten ist.
Der Aufruf, den man als besten Ausdruck der Stimmung unseres Volkes ohne
jeden erläuternden Zusatz in aller Welt verbreiten muß, ist von
hundert Elsaß-Lothringern unterzeichnet. Neben vielen evangelischen und
katholischen Geistlichen zeichnet Dr. Ricklin, der frühere
Landtagspräsident, Generalräte
Dr. Gromer - Hagenau,
Herber - Weißenburg, das Kreistagsmitglied
Antoni - Finstingen (Lothr.), Bürgermeister und
Kreistagsmitglied Deichtmann - Neudorf (O.-E.),
Gemeinderatsmitglied Dr. Ohlmann - Hagenau, der
Vorsitzende der elsaß-lothringischen Beamtenvereinigung Professor
Rossé - Colmar, Redakteure
Fashauer - Colmar, Ritter - Gebweiler,
Heil - Straßburg, Bürgermeister
Risy - Gosselming, Chanoine Ismert - Metz,
Rechtsanwalt Thomas - Saargemünd.
Generalsekretär des Heimatbundes ist der
Beigeordnete Keppi - Hagenau.
Es sei besonders darauf hingewiesen, daß ein
großer Teil der heutigen elsässischen und lothringischen
Abgeordneten bereit war, ihren Namen unter diesen Aufruf zu setzen. Es wurde
jedoch davon abgesehen, um die Entscheidung darüber den Delegierten der
Parteien in kommenden Versammlungen vorzubehalten."
|