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Bd. 3: Die
grenz- und volkspolitischen Folgen
des Friedensschlusses
IV. Gebietsverlust durch erzwungene Abtretung
oder Verselbständigung (Teil 1)
1) Elsaß-Lothringen
Hans Knecht
Straßburg
Zehn Jahre Versailles! Für Elsaß-Lothringen stand diese
Schicksalswende unter dem Leitgedanken, den der achte von Wilsons Vierzehn
Punkten also formuliert hatte: "Das Unrecht, das von Preußen 1871
Frankreich angetan worden war hinsichtlich des Elsasses und Lothringens, ein
Unrecht, das den Frieden der Welt während fast 50 Jahren gestört hat,
muß wieder gutgemacht werden, auf daß der Friede von neuem im
Interesse aller gesichert sei."
Die große Streitfrage, ob sachlich 1871 ein wirkliches "Unrecht"
verübt worden ist, wird wohl nie einmütig beantwortet werden. Eine
gerechte Wertung wird aber jedenfalls nicht vergessen dürfen, daß
zwei Jahrhunderte zuvor Frankreich in Ausnützung der Schwäche des
Deutschen Reiches unzweifelhaft deutschen Volksboden an sich gerissen hatte,
und daß das wieder geeinigte Deutschland das sittliche Recht empfinden
durfte, einst verlorenes deutsches Kulturerbe vor dem Untergang in volksfremdem
Wesen zu retten. Doch sei auch nicht bestritten, daß seit der Eroberungen des
Elsaß durch Frankreich, seit dem Westfälischen
Frieden (1648) und
dem Raub Straßburgs (1681), andere staatsrechtliche Auffassungen alte
Staatsbegriffe abgelöst hatten. Unter der Auswirkung der Ideen der
großen Revolution, der "Rechte der Menschen und Bürger", war die
frühere Auffassung im Schwinden, die über die Menschen lediglich
als Zubehör des Bodens, den sie bewohnten, verfügte und sie so
verschachern und verschieben ließ wie Steine auf dem Schachbrett. 1871
hatte sich dieses Neue noch keineswegs durchgesetzt. Der Wunsch Deutschlands,
einst geraubtes Besitztum wieder an sich zu nehmen, geriet in Widerstreit mit dem
Willen der elsaß-lothringischen Bevölkerung selbst, die sich nun dagegen
auflehnte, als Lösegeld für den Frieden aus der Hand des besiegten
Frankreich überzugehen an den deutschen Sieger.
Wie dem auch sei: Ein "Unrecht" konnte nur an der betroffenen
Bevölkerung selbst begangen sein. Sie selbst muß daher darüber
entscheiden, in welcher Form eine Wiedergutmachung Gestalt
ge- [230] winnen sollte. Die Wilsonsche Formel konnte in
ihrem ideellen Zusammenhang mit dem Grundsatz des "Selbstbestimmungsrechtes
der Völker" nichts anderes bedeuten als die Gewährung dieses
Rechtes auch an
Elsaß-Lothringen. Das war auch die Ansicht der maßgebenden
Wortführer Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, Lloyd
Georges und Wilsons. Frankreich aber, dem diese feierliche Bestätigung
seiner jahrzehntelang verfochtenen Ansprüche durch eine
unbeeinflußte freie Volksabstimmung hochwillkommen sein mußte,
verfocht eine wesentlich andere Anschauung. Es erreichte durch den vor
Kriegsausbruch außer Landes gegangenen frankophilen Bürgermeister
von Colmar, Daniel
Blumenthal - der selbst gar nicht Elsässer
war -, daß Präsident Wilson gerade für das wichtigste
europäische Streitproblem den Gedanken der Volksabstimmung preisgab.
Doch hielt es der Präsident der französischen Republik, Raymond
Poincaré, für geboten, nach seinem Einzug in Straßburg im Dezember
1918 noch einmal etwaige Gewissensregungen bei den alliierten Mächten
abzudrosseln durch sein berühmtes Wort: "Le plébiscite est fait", "Die
Volksabstimmung hat stattgefunden"... durch die Straßenbegeisterung in
Straßburg.
Und doch hatte das Deutsche Reich den Weg zu einer nunmehr völlig freien
Entscheidung der bodenständigen
elsaß-lothringischen Bevölkerung freigemacht, als es Ende Oktober
1918 zwei Elsässer, den Straßburger Bürgermeister Dr.
Schwander und den Vorsitzenden der Zentrumsfraktion im Landtag Karl
Hauß, mit der Statthalterschaft und dem Staatssekretariat
(Ministerpräsidentschaft) des Bundesstaates
Elsaß-Lothringen betraute. Es hatte dabei anerkannt, daß sie damit
keinerlei Treueverpflichtung gegenüber dem Reich
übernähmen. Die elsässischen Reichstagsabgeordneten Dr.
Ricklin und Dr. Haegy haben in den letzten Sitzungen, an denen die
elsaß-lothringischen Abgeordneten im deutschen Reichstag teilnahmen, am
23. und 25. Oktober, ausdrücklich betont, daß alles unterbleiben
müsse, "was einer freien Willensäußerung der
Elsaß-Lothringer vorgreifen könnte" (Dr. Haegy), da durch die
Annahme des
Wilson-Programms "die elsaß-lothringische Frage zu einer internationalen
geworden ist, deren Lösung, wenn nicht dem Präsidenten Wilson, so
doch dem Friedenskongreß übertragen ist. Die vom Herrn
Reichskanzler gestern gebrauchten Worte, daß die Rechtsfrage nicht Halt vor
unseren Landesgrenzen macht, stützen diese unsere Auffassung"
(Dr. Ricklin). Im Lande selbst, das durch die Abwesenheit der wehrfähigen
Männer weitgehend politisch desorganisiert und aktionsunfähig war,
gewannen die auch 1871 lebendig gewesenen Wünsche nach völliger
Freiheit starken Auftrieb. Den Anspruch auf Volksabstimmung meldete ein
Telegramm an Wilson auf dem Weg über die Berliner Schweizer
Gesandtschaft an. Flugblätter verwahrten [231] sich gegen den Versuch, dem Lande auch nach
diesem Kriege die freie Entscheidung über seine staatliche Zukunft zu
rauben. Eine neutrale Republik
Elsaß-Lothringen, wie sie nicht nur dem Sehnen vieler im Lande entsprach,
sondern 1870 auch von einem französischen Publizisten Comte Agénor de
Gasparin: La République neutre d'Alsace (Genf, Dezember 1870) im
welschschweizer Journal de Genève und in einer Flugschrift als
Ideallösung verteidigt worden war, erhofften viele.
Der Waffenstillstand, dem rasch der Einmarsch der französischen Armeen in
Elsaß-Lothringen folgte, machte diesen Hoffnungen auf eine gerechte und
daher endgültige Lösung des Problems ein jähes Ende.
Frankreich zeigte vom ersten Tage an, daß es eine Diskussion über
seine erstrebte Siegesbeute nicht zulassen werde. Während Deutschland
entsprechend den Haager internationalen Rechtssätzen in den vier
Kriegsjahren Belgien auf Grund des vorher geltenden Rechts verwaltete, nahm die
französische Verwaltung in
Elsaß-Lothringen die Entschlüsse des Friedensvertrages vorweg und
behandelte
Elsaß-Lothringen sofort als unanfechtbar französisches Staatsgebiet.
Es ließ sich daher auch im Versailler Vertrag den Besitz des Landes
zurückdatieren auf den Zeitpunkt des Waffenstillstandes, ohne die
rechtlichen und politischen Ungeheuerlichkeiten zu beachten, die daraus
erwachsen mußten:
Art. 51: "Die
infolge des Versailler Vorfriedens vom 26. Februar 1871 und des
Frankfurter Vertrages
vom 10. Mai 1871 an Deutschland abgetretenen Gebiete
fallen mit Wirkung vom Zeitpunkte des Waffenstillstandes vom 11. November
1918 ab unter die französische Souveränität."
Dem entsprach auch die einzigartige Verweigerung jeglichen Optionsrechtes
für die Bewohner des Landes. Ihm entsprach vor allem die zwangsweise
Verleihung der französischen Staatsangehörigkeit an alle, die 1871
diese Nationalität verloren hatten, und an die Nachkommen derartiger
exfranzösischer Väter. Sie haben keine Möglichkeit, sich von
dieser Staatsangehörigkeit frei zu machen, auch wenn sie beim Inkrafttreten
des Friedensvertrags längst außerhalb der französischen
Staatsgrenzen, auch in Deutschland, Wohnsitz genommen hatten.
Der Führer der deutschen Friedensdelegation, Graf
Brockdorff-Rantzau, hatte in den an die Siegermächte überreichten
"Gegenvorschlägen" vergeblich unternommen, vor den Folgen einer
Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der
elsaß-lothringischen Bevölkerung zu warnen:
"Der gegenwärtigen allgemeinen
Rechtsauffassung entsprechend" sei zuzugeben, daß 1871 "durch
Unterlassung der Befra- [232] gung des Volkes ein Unrecht begangen wurde".
Die deutsche Regierung habe sich daher auch verpflichtet, gemäß den
allseitig anerkannten Programmpunkten dieses "Unrecht" wieder gutzumachen.
"Es würde jedoch nicht wieder gut gemacht, sondern nur durch neues
größeres Unrecht ersetzt werden, wenn
Elsaß-Lothringen ohne weiteres an Frankreich abgetreten würde."
Denn dann würde der mit der Regelung der
elsaß-lothringischen Frage verfolgte Zweck, "endlich Friede im Interesse
aller zu machen", nicht erreicht.
Die Abstimmung müsse sich auf die gesamte
Bevölkerung
Elsaß-Lothringens erstrecken und diese drei Möglichkeiten
vorsehen:
a) Vereinigung mit Frankreich oder
b) Vereinigung mit dem Deutschen Reich als Freistaat
oder
c) volle Unabhängigkeit, insbesondere Freiheit des
wirtschaftlichen Anschlusses an einen der Nachbarn."
Am 16. Juni 1919 überreichte Clemenceau die Antwort der Alliierten und
Assoziierten. Die geforderte Volksabstimmung wurde verweigert.
Der Versuch, diese glatte Verletzung des
Wilson-Programms zu rechtfertigen, ist höchst bezeichnend für die
französische Einstellung. "L'injustice", das "Unrecht", das nach Wilsons
Willen gutzumachen war, habe bestanden
"in der Annexion eines Stücks
französischer Erde gegen den Willen seiner Bewohner.... Eine
Ungerechtigkeit wiedergutzumachen heißt, die Dinge so weit als
möglich wieder in den Zustand versetzen, in dem sie sich befanden, bevor
sie durch das Unrecht umgestürzt wurden. Alle Bestimmungen des
Vertrages bezüglich des Elsaß und Lothringens haben dieses Ziel im
Auge.... Die alliierten und assoziierten Mächte können daher ein
Plebiszit für diese Provinzen nicht zulassen. Deutschland, das den achten
Punkt angenommen und den Waffenstillstand unterzeichnet hat, der das
Elsaß und Lothringen den geräumten Gebieten gleichstellt, hat
keinerlei Recht, diese Abstimmung zu fordern. Die Bevölkerung
Lothringens und des Elsaß hat es niemals gefordert. Sie hat vielmehr
während fast 50 Jahren um den Preis ihrer Ruhe und Interessen gegen den
Mißbrauch der Gewalt protestiert, deren Opfer sie 1871 war. Ihr Wille ist
also nicht zweifelhaft, und die alliierten und assoziierten Mächte sind einig
darin, ihm Achtung zu verschaffen."
Gegen die Zurückdatierung der neuen Einverleibung
Elsaß-Lothringens in den französischen Staat wird in dieser Note
heuchlerisch eingewandt, daß das Land
"selbst den Tag seiner Befreiung
bestimmte, als es sich in die Arme Frankreichs wie in die einer wiedergefundenen
Mutter warf. Ein Vertrag, der sich auf [233] das Recht der Völker stützt,
über sich selbst zu bestimmen, kann einen so feierlich verkündeten
Willen nur zur Kenntnis nehmen...."
Da Elsaß-Lothringen demnach einfach als ein Stück
"französischer Erde" behandelt wird, so wird französischerseits eine
eigene elsaß-lothringische oder elsässische Volkspersönlichkeit
nicht anerkannt. Daß man den deutschen Bundesstaat
Elsaß-Lothringen einfach wieder werde herabdrücken zu drei
willenlosen Departements nach französischem Schema F, stand den
klarblickenden Gruppen in
Elsaß-Lothringen deutlich vor Augen. Insbesondere erkannten
gläubige katholische Kreise die Gefahr für die Kirche, die die
Verleugnung eines Eigenrechtes für ihr Land bedeuten mußte. Die erst
in späteren Jahren in ihrer vollen Bedeutung richtig gewertete warnende
Stimme eines klugen elsässischen Priesters, des Pfarrers Sigwalt, sein
rechtzeitig erschienener Appell in der Straßburger katholischen Zeitung Der
Elsässer, ist dafür ein ebensolches Zeugnis wie ein anderer eminent
politischer Versuch des Landtagspräsidenten Dr. Ricklin im "Nationalrat"
(zu dem sich die vom Volke gewählte Zweite Kammer konstituiert hatte). Es
sollte vor aller Welt als selbstverständliche Voraussetzung der Angliederung
des Landes an Frankreich die Anerkennung seiner Sonderrechte verkündet
werden:
"Elsaß-Lothringen kehrt in den Schoß
Frankreichs zurück in der sicheren Erwartung, daß ihm seine Sprache,
seine religiösen Institutionen, seine Selbstverwaltung und seine
wirtschaftlichen Interessen gewährleistet bleiben."
Die Mehrheit des Nationalrats glaubte jedoch, daß es angesichts der
früheren Versprechungen französischer Wortführer
unnötig sei, in dieser Weise geradezu Zweifel in die vorliegenden
ehrenwörtlichen Zusagen von Vertretern der französischen Nation
auszudrücken.
Die Quittung für das unbegründete Vertrauen war die
Auflösung des "Nationalrats";
Elsaß-Lothringen hatte kein Organ mehr, seinen Willen auszusprechen. An
den Friedenskonferenzen war es, den wahren Willen des Volkes einwandfrei
feststellen zu lassen. Wir sahen bereits, wie man dort in die französische
Falle ging.
Eine schwache Möglichkeit allerdings bestand, daß dieser Wille auch
nach dieser Sabotage eines wahren Plebiszits Gestalt gewinnen könnte: bei
den ersten Wahlen zum französischen Parlament im Herbst 1919. Aber dem
"demokratischen" Frankreich lag nichts an einer klaren Willensentscheidung der
"Befreiten". Es fürchtete sie vielmehr, fürchtete sie ebenso wie
Wetterlé und andere Nationalisten, die vor dem Kriege und während der
Kriegszeit sich als die Wortführer des "unterjochten"
Elsaß-Lothringens aufgespielt hatten und jetzt vor einer Volksbefragung
warnten. Das Land stand noch jetzt, ein Jahr nach dem Waffenstillstand, unter
Militärdiktatur, die [234] im merkwürdigen Widerspruch stand zu
der angeblichen einheitlichen Begeisterung über die Rückkehr zum
französischen Mutterland. Ein Dokument von historischer Bedeutung ist die
Anordnung des "Administrateur du Territoire de Haguenau" vom 30. Oktober 1919
an die Bürgermeister dieses unterelsässischen Kreises, das hier als ein
Beispiel für die "Freiheit" der Wahl wiedergegeben sei, die bei dieser
Gelegenheit nach französischer Ansicht eine nochmalige Bestätigung
der Straßen-"Plebiszits" vom November/Dezember 1918 ergeben haben soll:
"Politische
Versammlungen. - Autonomistische Propaganda.
Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß die
Verwaltung unter keinem Vorwand, selbst dem der Wahlen, irgendeine
öffentliche oder private Versammlung dulden kann, in welcher für
Elsaß-Lothringen irgendeine andere Regierungsform angepriesen oder
einfach erörtert würde als diejenige, welche durch die
Waffenstillstandsbedingungen oder den Friedensvertrag festgesetzt ist, d. h.
die bedingungslose Wiedereinreihung der Frankreich durch den Frankfurter
Frieden geraubten Provinzen in die französische nationale Einheit.
Es obliegt Ihnen infolgedessen, darauf zu achten, daß
in Ihrer Gemeinde keine Versammlung stattfinde, in welcher das Thema der
Autonomie, des Neutralismus, des Föderalismus oder irgendeines
andern politischen Systems zur Erörterung gelangen sollte, welches
für Elsaß-Lothringen eine andere politische Gestaltung als die oben
beschriebene umfassen würde.
Die Verteilung von Flugschriften und Rundschreiben
unterliegt selbst in der Wahlperiode denselben Vorschriften. Sie sind verpflichtet,
jede in diesem Sinne gehaltene Propagandaschrift unverzüglich zu
beschlagnahmen und mir sofort darüber zu berichten."
Diese Unterbindung jeder wirklichen politischen Tätigkeit wurde noch
verschärft durch die geradezu mittelalterliche Methode, etwaigen
Widerstand gegen nationalistische Wahlen im Keime zu ersticken. Schon bald
nach dem Einmarsch der französischen Truppen hatten sich ungesetzliche
Fehmegerichte gebildet, die sogenannten Commissions de triage
("Siebkommissionen"), die ein willkürliches Schreckensregiment
ausübten und unendlich viel Leid und Elend über das Land gebracht
haben. Erst im März 1929, zehn Jahre später, konnten es die Opfer
dieser "Gerichte" wagen, sich zu einer Vereinigung zusammenzuschließen
"zwecks Erkämpfung ihrer moralischen Rehabilitierung und ihrer
materiellen Entschädigung". Bereits früher hatten sich die vielen
Hunderte von Elsässern und Lothringern zusammengeschlossen, die
während des Krieges als Zivilinternierte in französische Lager
verschleppt worden sind und vielfach für [235] Lebenszeit körperlich und seelisch
zugrunde gerichtet wurden. Die Commissions de triage trieben zahlreiche
Alteingesessene vorübergehend oder dauernd außer Landes. Einer der
krassesten Fälle ist die Internierung des Präsidenten des Landtags und
Reichstagsabgeordneten Dr. Ricklin in dem badischen Dorf Bodersweier im
besetzten Brückenkopf Kehl bei Straßburg: vom März 1919 bis
über die ganze Zeit der Friedensverhandlungen, über die Wahlen zu
Kammer und Senat hinaus bis zum Tage nach der Annahme des Versailler
Vertrages durch die französische Kammer!
Die unbestreitbare Tatsache, daß in jener ersten Wahl zum
französischen Parlament nur Vertreter des Poincaréschen "Nationalblocks"
nach Paris entsandt wurden, verliert durch diese Begleiterscheinungen
natürlich jede Beweiskraft. Eine "Föderalistenpartei", die sich schon
im Frühjahr 1919 gebildet hatte, um wenigstens die staatsrechtliche
Sonderstellung zu retten, die
Elsaß-Lothringen zuletzt im Rahmen Deutschlands erkämpft hatte,
konnte es unter dem amtlichen Wahlterror selbstverständlich zu keinen
Erfolgen bringen, da schon die Bereitstellung von Stimmzetteln fast
unlösbaren Schwierigkeiten begegnete. Zur geschichtlichen Klarstellung der
Tatsachen aber ist es nötig, das Bestehen dieser Partei ausdrücklich zu
erwähnen. Über ihr Ziel berichtete am 15. Juli 1919 (einen Tag nach
dem französischen Nationalfeiertag) das lothringische Journal de
Thionville (Diedenhofener Zeitung). Erstrebt wurde die Bildung einer
autonomen Republik
Elsaß-Lothringen, die mit der französischen Republik zusammen ein
Groß-Frankreich bilden sollte. Der Präsident der Partei hatte im April
1919 bei Clemenceau angefragt, ob Frankreich bereit sei,
Elsaß-Lothringen am Tage des Friedensschlusses zu einem
selbständigen Bundesstaat zu erklären. Sofort nach Unterzeichnung
des Friedensvertrages wurde am 24. Juni 1919 an Clemenceau (und abschriftlich
auch an Wilson und Lloyd George) ein Protest dagegen abgesandt, daß man
dem Lande eine Autonomie verweigert, welche erlauben würde, "in unserer
Republik Elsaß-Lothringen die Stellen der hohen Beamten durch Eingeborene, die
unsere Sprache und unsere Sitte verstehen, zu besetzen. Wir wollen die besten
Freunde Frankreichs bleiben, aber keine minderjährigen Kinder der Mutter
Frankreich und keine Knechte Frankreichs. Wir sind bereit, uns mit Frankreich zu
verbinden zu einer Organisation
'Groß-Frankreich', welche Frankreich und unserm Lande die verdienten
Freiheiten (Souveränität) läßt." Die Zeitung konnte auch
mitteilen, daß die Denkschrift "im Umfang von 100 Folioseiten" rechtzeitig
zum 14. Juli "auf den Tisch Frankreichs niedergelegt" worden ist. Der Aufsatz
schloß:
"Die Partei, welche überzeugt
ist, die Mehrheit des
elsaß-lothringischen Volkes hinter sich zu haben, hofft, damit Veranlassung
ge- [236] geben zu haben, daß der Feiertag der
französischen Freiheitsverkündigung auch der Feiertag der
Geburtsstunde der
elsaß-lothringischen Freiheit werde, und daß dann Frankreich und
Elsaß-Lothringen im gemeinsamen Verbande
Groß-Frankreich noch lange am gleichen Tage die Erinnerung an die
Wiedergewinnung ihrer zur Entfaltung der höchsten Kultur und zur
gemeinsamen Wohlfahrt ganz unentbehrlichen Freiheit (Souveränität)
werden feiern können."
Es ist für den Willen Elsaß-Lothringens, Herr im eigenen Hause zu
sein, ebenso bedeutsam wie diese Parteigründung, daß die
größte Partei im Elsaß, die katholische "Elsässische
Volkspartei" schon in ihrem Programm von 1919 die Aufrechterhaltung der
elsaß-lothringischen Sonderverwaltung forderte. Die auf ihr Programm
gewählten ersten Abgeordneten und Senatoren waren also bereits
Widersacher jener "einen und unteilbaren Republik", die in Innerfrankreich mit
dem Begriff der Nation geradezu dogmatisch gleichgesetzt wird.
Die Mißachtung der besonderen Lebensbedingungen
Elsaß-Lothringens zeigte sich in dem naiven Beginnen, sofort das alte
französische Departementalsystem wieder über ein Land zu
stülpen, das in deutscher Zeit als eine Einheit lebte und seit mehr als einer
Generation an Ort und Stelle - im Landesausschuß, seit 1911 im
Landtag - über seine örtlichen Fragen mit immer wachsender
Selbständigkeit zu entscheiden gelernt hatte. So wenig Frankreich ein
elsaß-lothringisches Volk und seinen Willen anerkannte und anerkennt, so
wenig glaubte es, auf die verfassungsmäßige Wirklichkeit
Rücksicht nehmen zu sollen. In einem großen Wurf wollte es den
ganzen staatlichen Apparat des "Reichslandes" zerschlagen. Drei Kommissare der
Republik in Straßburg, Colmar und Metz als Verwalter der drei Bezirke
Unter- und Ober-Elsaß und Lothringen wurden eingesetzt. Ihre Befugnisse
waren kaum größer als die eines innerfranzösischen
Präfekten. Jede Entscheidung sollte wieder in Paris fallen. Dort hatte man
auch schon durch Dekret vom 26. November 1918 einen Conseil supérieur
d'Alsace et de Lorraine eingesetzt mit ernannten, meist sogar beamteten
Mitgliedern.
Schon im März 1919 aber mußte man einen Schritt zurück tun,
um der Mißstimmung über die Vernachlässigung der
Landesinteressen halbwegs gerecht zu werden. Als "Generalkommissar der
Republik" wurde der spätere Präsident der Republik, Millerand, nach
Straßburg entsandt mit weitreichenden Vollmachten, die ihn als eine Art von
Nachfolger des einstigen deutschen Statthalters erscheinen ließen. Der neue
Mann, der sich zur Notwendigkeit einer "regionalistischen" Dezentralisation
Frankreichs bekannte, schien Elsaß-Lothringen in seinem einheitlichen
Bestand anerkennen zu wollen. Er erreichte, daß im Herbst 1920 ein
35gliedriger Conseil consultatif [237] als sehr schwächlicher Ersatz für
den einstigen Landtag eingesetzt wurde, dem drei Abgeordnete, sechs Senatoren,
21 Vertreter der drei Generalräte und fünf ernannte Mitglieder
angehörten. Seine Befugnis war "Beratung" der Regierung, ohne daß
diese auf solchen Rat etwas geben mußte. Zum Nachfolger Millerands wurde
nach seiner Wahl zum Präsidenten der Republik (1920) der in der
Kolonialverwaltung bewährte Franzose Alapetite bestimmt. Gemeinsam mit
dem Conseil consultatif betrieb dieser in den kommenden Jahren die
Angliederung der einzelnen Verwaltungszweige an die entsprechenden Pariser
Zentralstellen und die Ersetzung der geltenden, zumeist von der
Bevölkerung mitgeschaffenen Gesetze durch diejenigen Frankreichs. In den
letzten Monaten der
Nationalblock-Ära, wo diese "Verschmelzung" durchgeführt werden
konnte, weil die ihm angehörenden
elsaß-lothringischen Abgeordneten und Senatoren einen offenen Widerstand
nicht wagten, zum Teil wohl auch gar nicht die Bedeutung dieses schrittweisen
Abbaus eines wohlorganisierten Staatswesens erkannten, wurde dem Conseil
consultatif ein Gesetzentwurf vorgelegt, der das Straßburger
"Generalkommissariat" ersetzen wollte durch eine in Paris amtierende
"Generalverwaltung". Die beratende Instanz lehnte diesen Schlußstrich unter
das Werk ab, das sie selbst gefördert hatte. Nichts aber ist bezeichnender
für die französische Geschlossenheit in dem Willen,
Elsaß-Lothringens Eigenleben auszulöschen, als die Tatsache,
daß nach dem Sturz des Poincaréschen Nationalblocks die siegreiche
Linksregierung Herriot diesen Zertrümmerungsplan übernahm und
das Generalkommissariat zum 1. Januar 1925 aufhob. Eine "Generaldirektion"
unter Leitung des Franzosen Valot und mit dem Sitz in Paris ist an seine Stelle
getreten. Der Conseil consultatif selbst war schon Mitte November 1924 von der
neuen Regierung durch bloßes Dekret, nicht einmal durch ein Gesetz,
abgeschafft worden. In kaum sechs Jahren hatte Frankreich das Gebilde
Elsaß-Lothringen verfassungsmäßig vernichtet. Die
spätere politische Entwicklung hat aber gezeigt, daß damit die
lebendige volkhafte Einheit der
Elsaß-Lothringer keineswegs auch zertrümmert war. Vielmehr begann
zur gleichen Zeit der politische und kulturelle Selbstbehauptungswille erst recht
Gestalt zu gewinnen. Und so zeigte sich, wie gut ein Mann wie der
französisch-elsässische Propagandist Dr. Bucher es mit Frankreich
gemeint hatte, als er in der von ihm nach dem Kriege gegründeten
Straßburger französischsprachigen Wochenschrift L'Alsace
Française schon im ersten Heft warnend schrieb:
"In Elsaß-Lothringen
müßte eine Politik, welche sich nicht
gründen würde auf die Bestrebungen regionaler Richtung, schnell
enden mit schrecklichen Mißerfolgen, die Frankreich schädlich
werden würden." (Siehe Schrifttum S. 252 und
253.)
[238]
Die politische Entwicklung nach dem
Waffenstillstand
Die französische Welle hatte im Winter 1918/19 überall, auch in den
bestehenden Parteien, die bedingungslos französisch eingestellten Elemente
nach oben geschwemmt. Auch in den großen gutorganisierten Parteien, in
der katholischen "Elsässischen Volkspartei" (früher Zentrum) und bei
den Sozialdemokraten, zeigte sich dieser Prozeß. Kein Wunder, daß
daher bei der ersten Nachkriegswahl Männer wie Wetterlé, Pfleger,
François, wie die Generäle Bourgeois und Taufflieb, wie der Comte de
Leusse und der Colonel Stuhl bei der katholischen Partei als Repräsentanten
des Volkes in Erscheinung traten, und daß im sozialistischen Lager
Männer wie Peirotes, Georg Weill und Grumbach die politische
Führung in die Hand bekamen und sofort den Anschluß an den
französischen Sozialismus herbeiführten. An parteipolitischen
Bildungen gab es daneben - außer der erwähnten
"Föderalistenpartei" - im Zeitpunkt der ersten Volkswahl im
Elsaß die Gruppe der Demokraten, über deren Rückhalt in der
Wählerschaft niemand etwas aussagen konnte. Das seltsame
französische Wahlrecht, das 1919 galt, spielte den zum Nationalblock
vereinigten Katholiken und Demokraten sämtliche elsässische
Kammer- und Senatsmandate in die Hand. In Lothringen erlangte der
Nationalblock, der hier fast ausschließlich aus der katholischen
"Lothringischen Volkspartei" bestand, ebenfalls alle Mandate in Kammer und
Senat.
Während der Herrschaft des
Nationalblocks - Ära Poincaré - war eine Opposition
äußerst schwierig. Kritik gegen die unaufhaltsam weitergeführte
Assimilationspolitik regte sich lediglich in einigen linksoppositionellen
Blättern. Bei den zweiten
Kammerwahlen - 1924 - zeigte sich daher ein gut Teil der
Unzufriedenheit in der Zunahme der Linksstimmen. Ihr Anwachsen erreichte die
Durchbrechung des bisherigen Monopols der "nationalen" Parteien: zwei
Sozialisten (Peirotes und G. Weill) und ein Kommunist (Hueber, jetzt
Bürgermeister von Straßburg) zogen ins Pariser Parlament ein. Die
Ausschaltung eines Mannes wie Wetterlé, dessen überspannter
Nationalismus bereits als gefährliche Belastung der im Volke wurzelnden
katholischen Partei empfunden wurde, zeigte auch auf der Gegenseite das Abebben
der blau-weiß-roten Flut. Dieser zweite
Vier-Jahres-Abschnitt politischen Lebens im neuen Staatsverband vertiefte die
Erkenntnis, daß mit den überbrachten
Parteiformeln - hie Bürgerliche, dort Proletariat! oder hie christliche
Parteien, dort "Antiklerikale"! - den neuen Problemen nicht beizukommen war. Die in
Paris ans Ruder gekommene Linksregierung Herriot bekannte sich nämlich
noch unverhüllter zum
"Assimilations"-(Verschmelzungs-)-Ziel als der Poincarésche Nationalblock. Er
vollendete nicht nur die Zertrümmerung der
elsaß-lothringischen Selbstverwaltung durch die [239] unter Poincaré vorbereitete Aufhebung des
Generalkommissariats und des Conseil consultatif, sondern
verkündete die Absicht, die Ersetzung der geltenden
elsaß-lothringischen bzw. deutschen Gesetzgebung durch die
französische noch mehr zu beschleunigen. Das betraf vor allem die
Aufhebung der religiösen Sonderstellung des Landes und die Erstreckung
der Trennung von Kirche und Staat auch auf
Elsaß-Lothringen. Die ohnehin durch den Sturz Poincarés in die Opposition
getriebene katholische "Elsässische Volkspartei" (Zentrum) leitete gegen
diese Absicht einen umfassenden Protest ein, der in den großen
Städten zu eindrucksvollen Kundgebungen, im ganzen Lande zur Sammlung
von Zehntausenden von Unterschriften gegen die Pariser Absichten führte.
Das Wort "Protest" hat in
Elsaß-Lothringen einen besonderen politischen Klang. Auch jetzt mischten
sich in den rein
kirchlich-religiös gemeinten Widerstand gegen die Absichten der Regierung
rasch in wachsendem Maße andere Töne: der Widerstand gegen die
Mißachtung des
elsaß-lothringischen Volkswillens richtete sich auch gegen die Entrechtung
der deutschen Muttersprache, gegen die Überfremdung durch
französische Beamte und Lehrer, gegen die Zerschlagung der
verfassungsmäßigen Sonderstellung. Die beschwichtigenden Worte
Herriots, der den Staatsrat über die Weitergültigkeit des
"Konkordats" - das in Frankreich selbst Ende des vorigen Jahrhunderts
abgeschafft ist - ein Gutachten abgeben ließ, vermochten den heraufbeschworenen
Sturm nicht mehr einzudämmen.
Und nun gewann der niedergehaltene Wille des Volkes ein Organ. Eine
zunächst sehr unansehnliche kleine Wochenschrift Die Zukunft warf den
Gedanken der Autonomie wieder ins Volk, die Idee der "Heimatrechte", die alte
Parole: "Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern!" Die Kritik an den
französischen Zielen, bisher planlos und zersplittert, fand hier
grundsätzliche Deutung. Sie zwang die bestehenden Parteien, zwang die
Tages- und Zeitschriftenpresse, zwang auch die Wortführer der
Verwelschung zum Farbebekennen. Die bestorganisierte Partei, die
"Elsässische (katholische) Volkspartei", rückte ihre zeitweise stark in
den Hintergrund gestellten "regionalistischen" Ziele wieder stärker in den
Vordergrund. Die katholische deutschsprachige Presse, die bodenständigste
im Lande, machte sich in weitem Umfang die
"Zukunfts"-Forderungen zu eigen. Die in der
National-Block-Zeit an Stärke gewachsene linksbürgerliche Gruppe
der "Radikalen" tat desgleichen. Da die Pariser Parteizentrale (Herriot) jedoch die
Wandlung verfehmte, wandte sich ihre Anhängerschaft von ihr ab und ging
zu einer neuen "Elsaß-Lothringischen Fortschrittspartei" über. Im sozialistischen
Lager, wo eine französisch-nationalistisch eingestellte Führung jedes Einlenken
stark verhinderte, zeigte sich eine ähnliche Entwicklung; ein starker Teil ihrer
Gefolgschaft ging zum Kommunismus über, der in seinen
heimat- [240] lichen Forderungen noch über die
Autonomisten hinweggeht, indem er die Anerkennung des
Selbstbestimmungsrechtes "mit allen Folgerungen" fordert.
Nicht die Schilderung der Entwicklung im einzelnen kann hier gegeben werden,
sondern nur die große Linie, die sie kennzeichnet. Sie besteht in der
völligen Umgestaltung der politischen Kampflinien, wobei der Gegensatz
zwischen "heimatrechtlich" und "national" (d. h.
französisch-assimilationistisch) alle anderen Scheidelinien überrennt.
Trotz allen Machenschaften der französischen "Patrioten", trotz Aufgebot
des gesamten staatlichen Apparats, selbst der Justiz, gelang es nicht, die Entfaltung
der Heimatidee zu hemmen. Neben die Wochenschrift Die Zukunft trat eine
autonomistische Tageszeitung Volksstimme in Straßburg, trat ein
gleichfalls heimatrechtliches Wochenblatt der neuen Fortschrittspartei (Das Neue
Elsaß), ein politisches Witzblatt D'r Schliffstaan und die
extrem-oppositionelle Wahrheit (Herausgeber Claus Zorn von Bulach). An
Pfingsten 1926 gewann die bisher nur literarisch wirksame Autonomiebewegung
einen organisierten Unterbau im
"Elsaß-Lothringischen
Heimatbund", an dessen Spitze der frühere
Landtagspräsident Dr. Ricklin stand, und dessen Aufruf rund hundert
Männer aus allen Berufen, aus dem Elsaß wie aus Lothringen, aus dem
katholischen wie dem protestantischen Lager unterzeichnet hatten. Die Regierung
ging mit hemmungsloser Erbitterung gegen die ihrem Zugriff preisgegebenen
Beamten, Lehrer, Eisenbahner vor, die mit ihrem Namen für die Sache der
Heimat eingetreten waren. "Sanktionen" wurden verhängt, die neues Leid in
zahlreiche Familien brachten, ohne aber den Willen des Volkes zu
erschüttern. Einige Monate später zeigte die Gründung einer
"Autonomistischen Partei" (jetzt "Landespartei"), daß neben die
überparteiliche Arbeit des "Heimatbundes" auch die politische Arbeit
praktisch treten konnte.
Von erschreckenden Zeichen wäre hier zu berichten, die für die
französische Verblendung und böswillige Verkennung des Zieles
dieser Bewegung zeugen. Kein Mittel der Verleumdung und lügenhaften
Pressehetze war Frankreich schmutzig genug, um es gegen die "liebe"
elsaß-lothringische Bevölkerung einzusetzen. Und es scheute sich
nicht, auch die letzte Karte auszuspielen: den Einsatz seiner Justiz, die
mißbraucht wurde, um politische Ideen mit einer gerichtlichen
Strafverfolgung unschädlich zu machen.
Diese große Staatsaktion, deren international beachteter Höhepunkt
der Colmarer Prozeß im Mai 1928 gewesen ist, bildet den Übergang
zu der dritten Periode, in der
Elsaß-Lothringen noch heute steht. Die parteipolitische Gruppierung hatte in
Frankreich inzwischen Poincaré wieder ans Ruder gebracht, diesmal mit einer
nicht rein rechts eingestellten,
sondern - um der Rettung des Frankens willen [241] - stark überparteilichen Regierung.
Hatte einst der Nationalblock den Abbau
"Elsaß-Lothringens" verfassungsmäßig, juristisch, politisch
eingeleitet und gefördert, so hatte die kurze Regierungszeit des Linksblocks
erwiesen, daß man auch hier das gleiche Ziel hat, die Vernichtung des
Elsaß-Lothringertums. In die neue Poincaré-Ära fallen die krassen
Versuche, den Willen des "befreiten" Volkes mit Gewalt niederzuschlagen. Wie
würde diese Erkenntnis von der Unvereinbarkeit des französischen
und des elsaß-lothringischen Strebens bei einer neuen Volkswahl sich auswirken?
Das war die bange Frage im "nationalen" Lager. Im April 1928 würden die
Wähler zum drittenmal berufen sein, ihr Urteil über die Politik der
letzten Jahre abzugeben. Im Oktober und November zuvor schlug Frankreich los.
Unter dem Vorwand, daß eine damals in Bildung begriffene
Lehrergenossenschaft
("Sapart" - "Société alsacienne de participations
financières") - durch ihre Werber "den Staatskredit gefährde", wurde
vom Oberelsaß her gegen die tatsächlich oder vermeintlich beteiligten
Elsässer eine Haussuchungsaktion eingeleitet, die sich auch auf die
Schriftleitungsräume der heimatlichen Blätter erstreckte. Auf
Beschluß des Ministerrats wurde am 11. November 1927 die
autonomistische Presse unterdrückt; den Vorwand bildete der
Fremdsprachenparagraph des französischen Presserechts, der das Verbot
"fremdsprachiger" Zeitungen gestattet. Unter einem andern Vorwand, dem
der "Spionage", wurden zwei kaufmännische Angestellte der
extremistischen Wochenschrift Die Wahrheit verhaftet. Der Vorsitzende der
einheimischen Lehrerschaft Prof. Rossé, der schon wegen Unterzeichnung
des "Heimatbund"-Aufrufs seiner Stellung
verlustig gegangen war, wurde wegen der
"Sapart"-Affäre verhaftet. Um die Jahreswende folgten weitere
Verhaftungen. Im Februar verkündete Ministerpräsident Poincaré auf
einem Bankett der unterelsässischen Gemeinden, daß das Elsaß
"schaudern" werde, wenn es im Prozeß die Schandtaten dieser
Elsässer erfahren werde. Die autonomistische Presse unterdrückt, die
Bewegung mit dem Makel des Hochverrats belastet, die Führer im
Gefängnis oder außer Landes geflüchtet, die Organisationen der
Heimatbewegung zerschlagen -, so mußte es gelingen, für weitere vier Jahre
gefügige "Volksvertreter" in die Kammer zu bringen. Die Verteidigung der
Heimatrechte war für die große Mehrzahl der Wähler der
Prüfstein der Kandidaten. So wurden im Oberelsaß sogar die vom
Gefängnis aus kandidierenden Autonomisten Dr. Ricklin und Professor
Rossé gewählt. Eine Reihe von früheren nationalistischen
Abgeordneten verloren ihre Mandate: der Lothringer François, der 1919 "im
Namen Elsaß-Lothringens" die Freude über die Befreiung in der Kammer
kundgab; der Sozialist Georg Weill, der Berater der französischen Linken;
die protestantischen Pfarrer Scheer und Altorffer, die [242] als demokratische Abgeordnete eifrige
Förderer der Assimilation gewesen waren.
Zwei Tage darauf begann der Colmarer
"Komplott"-Prozeß. Er endete nach aufschlußreichen Beratungen, die
den eindeutigen Willen des Landes zeigten, auch "im Rahmen Frankreichs" sein
Sonderleben zu führen, mit einem Tendenzurteil. Sieben von zwölf
Geschworenen hatten entsprechend dem Antrag des französischen
Generalstaatsanwalts Fachot das Bestehen eines "Komplotts gegen die Sicherheit
des Staates" bejaht. Vier der Angeklagten wurden daraufhin mit einer
Gefängnisstrafe von einem Jahr und fünfjährigem
Aufenthaltsverbot belegt. Die politische Tragweite dieses Urteils, das auch in
zahlreichen neutralen Blättern als verhängnisvoll gewürdigt
wurde, lag in dem zunächst verschwiegenen Umstand, daß es den
Verurteilten die bürgerlichen Ehrenrechte, also das aktive und passive
Wahlrecht, auf Lebenszeit abspricht. Unter den Verurteilten waren auch die vom
Volke gewählten Abgeordneten Dr. Ricklin und Rossé. Die
stürmischen Volksversammlungen im ganzen Lande, die dem Urteil folgten
und eine Einheitsfront von der katholischen "Volkspartei" bis hinüber zu
den Kommunisten zeigten, erzwangen zwar schon im Juli eine vorzeitige
Haftentlassung der vier Verurteilten, aber eine wirkliche Begnadigung, die alle
Rechtsfolgen beseitigen müßte, verweigerte die Regierung Poincaré
mit Zustimmung des Parlaments. Im November 1928 sprach die Kammer trotz der
beschwörenden Worte elsässischer Abgeordneter den beiden
Elsässern ihre Mandate ab. Bei den Neuwahlen im Januar 1929 siegten
zwei andere Autonomisten, die im Colmarer Prozeß Freigesprochenen
Stürmel und Hauß.
Eine erste große Kammerdebatte über
Elsaß-Lothringen (24. Januar bis 8. Februar 1929) endete mit einer
inhaltslosen Formel, die "das Vertrauen der Kammer in die patriotische
Anhänglichkeit des Elsaßes und Lothringens an das
französische Mutterland" bescheinigt, über die Probleme selbst aber
kein Wort besagt. Die Abstimmung über einen elsässischen Antrag
auf Autonomie und Amnestie wurde unterbunden. Nur vier von insgesamt
sechzehn elsässischen Abgeordneten sprachen der Regierung noch ihr
Vertrauen aus. Die bisherige französische Politik haben auch sie nicht offen
zu billigen gewagt, da drei von ihnen (Dr. Oberkirch, Dr. Pfleger, Weydmann)
selbst im Wahlkampf die Grundforderungen der Heimatbewegung sich zu eigen
gemacht hatten.
Andere Willensäußerungen des
elsaß-lothringischen Volkes bestätigen die Haltung der
autonomistischen Abgeordneten bei der
Elsaß-Lothringen-Debatte: bei der Teilerneuerung der drei Bezirkstage
("Generalräte") erringt die Heimatbewegung große Erfolge. Die bisher
gefügigen Generalräte bewiesen in ihren anschließenden
Ta- [243] gungen einen ungewohnten Widerstandsgeist
gegen die Zumutungen der französischen Präfekten; erregte politische
Zusammenstöße ergaben sich aus dem Versuch, diesen Widerstand zu
brechen.
Die Gemeinderatswahlen im Mai 1929 standen ebenfalls im Zeichen der neuen
Fronten und ersetzten in Straßburg, Colmar, Schlettstadt die
autonomiefeindlichen Mehrheiten durch heimatrechtliche, so daß auch als
Bürgermeister hier und in andern Städten Gegner des
Assimilationskurses gewählt wurden.
Schließlich besiegelt der mit einem Freispruch endende zweite
Komplott-Prozeß (Besançon) gegen den freiwillig aus der Schweiz ins
Elsaß zurückgekehrten autonomistischen Führer Dr. Roos den
Zusammenbruch der
juristisch-polizeilichen Autonomistenverfolgung. Die Heimatbewegung ist damit
als verfassungsmäßig berechtigt anerkannt. Es bedeutet jedoch
keineswegs, daß Frankreich
Elsaß-Lothringen nunmehr als eine nationale Minderheit anerkennt und sie
nach den Grundsätzen des Minderheitenrechts behandeln will. Der damalige
Ministerpräsident Poincaré hat durchaus die allgemeinfranzösische
Auffassung in Worten gefaßt, als er während der großen
Kammerdebatte seine dreitägige Rede schloß: "Die Elsässer
sind keine nationale Minderheit." Dieser Auffassung, die mit den reinen Tatsachen
ebenso im Widerspruch steht wie mit dem immer wieder ausgesprochenen Willen
der großen Volksmehrheit, entspricht es, daß Frankreich jede
Milderung oder gar grundsätzliche Umstellung seiner
Schul- und Sprachenpolitik mit Entschiedenheit ablehnt. Das Ziel ist und bleibt die
kulturelle Aufsaugung des deutschsprachigen
Elsaß-Lothringertums. (Siehe Schrifttum S. 253.)
Das Kulturproblem
Wenn Elsaß-Lothringen heute um die Gewährung der Autonomie
kämpft, so ist ihm dies nicht Selbstzweck. Vielmehr hat ihm die im Licht
der Geschichte gesehen kurze Spanne der ereignisreichen Jahre seit dem
Waffenstillstand gezeigt, daß es kulturell zugrunde gerichtet wird, wenn es
sich nicht der Pariser kulturimperialistischen Umstrickung erwehren kann. Die
Gegner der Heimatbewegung sind bestrebt, diesen Zusammenhang zu verschleiern.
Sie wollen glauben machen, daß der Kampf einfach darum gehe, Frankreich
"seinen. Siegespreis wieder zu entreißen": Von Berlin her dirigiere man den
Widerstand gegen die französische Politik. Man suche von dort aus, diese
"künstliche Einheit"
Elsaß-Lothringen aufrechtzuerhalten, damit der deutsche Drang nach
Revanche immer wieder sein Ziel erkenne. Die Unsinnigkeit einer solchen
Auffassung könnte die Franzosen schon die eine Tatsache erkennen lassen,
daß unter den Führern des Autonomismus eine Reihe von
Männern zu finden sind, die [244] stets Gegner Deutschlands gewesen sind und
zum Teil sogar während des Krieges von deutschen Kriegsgerichten wegen
"franzosenfreundlicher Handlungen" zu schweren Strafen verurteilt waren: die
Abgeordneten Dahlet (Präsident der Fortschrittspartei), Brogly
(Präsident der oberelsässischen Zentrumspartei), Hauß
(Autonomistische Landespartei) u. a. Und die Stimmzahlen der letzten
Wahlen zeigen eigentlich jedem ruhig Denkenden, daß eine solch
umfassende Volksbewegung nicht von außen her in einem Lande zu
erreichen ist, da sein Drang, vom deutschen Joch befreit zu werden und zu
Frankreich zurückzukehren, doch nach französischer Auffassung so
groß gewesen sein soll, daß der Gedanke an eine ausdrückliche
Volksbefragung eine Beleidigung dargestellt hätte.
Die Rettung des kulturellen Erbes ist der Zweck der Heimatbewegung. Ganz klar
wird dies in dem Aufruf "An alle heimattreuen
Elsaß-Lothringer!", den der überparteiliche "Heimatbund" Pfingsten
1926 veröffentlichte, und wegen dessen so viele der Unterzeichner
schwerste moralische Kränkung und wirtschaftliche Schädigung auf
sich nehmen mußten.
"In schicksalsschwerer Stunde treten die
Unterzeichneten vor das
elsaß-lothringische Volk. Längeres Zögern wäre Verrat
an unserm Volk, denn das Maß ist voll bis zum Überlaufen. Sieben
Jahre lang haben wir zugesehen, wie man uns Tag für Tag in unserer
eigenen Heimat entrechtet hat, wie all die Versprechungen, welche man uns
feierlich gegeben, mißachtet worden sind, wie man unsere
Rasseneigenschaften und Sprache, unsere Überlieferungen und
Gebräuche zu erdrosseln suchte. Wir wissen nun, daß die
Assimilationsfanatiker es auf Wesen, Seele und Kultur des
elsaß-lothringischen Volkes abgesehen haben, wobei sie nicht einmal vor
Fragen der inneren Überzeugung und des Gewissens halt machen...
Wir sind der Überzeugung, daß die Sicherung
und lebendige Auswirkung der unverjährbaren und
unveräußerlichen Heimatrechte des
elsaß-lothringischen Volkes und die Wiedergutmachung all des Tausenden
und Abertausenden unter uns zugefügten Unrechts nur garantiert sind, wenn
wir als nationale Minderheit die vollständige Autonomie im Rahmen
Frankreichs erhalten..."
Unter den Einzelforderungen ist in diesem Zusammenhang besonders die
Behandlung der Sprachenfrage von Wichtigkeit:
"Wir fordern, daß die deutsche Sprache im
öffentlichen Leben unseres Landes den Rang einnimmt, der ihr als
Muttersprache des weitaus größten Teils unseres Volkes und als einer
der ersten Kultursprachen der Welt zukommt. In der Schule muß sie
Ausgangspunkt und ständiges Unterrichtsmittel und Unterrichtsfach mit
abschließender Prüfung sein. In der Verwaltung und vor Gericht
muß ihr gleiche Berechtigung mit der französischen Sprache
zukommen.
[245] Unser niederes und höheres
Schulwesen, wie unsere sonstigen Bildungseinrichtungen, sollen in allen ihren
Zweigen nicht gemäß Diktat der Pariser Zentralgewalt, sondern der
Eigenart und Kulturhöhe des
elsaß-lothringischen Volkes entsprechend ausgebaut werden, so wie unser
zukünftiges Parlament unter weitgehendem Mitbestimmungsrecht der Eltern
und Lehrpersonen es verfügen wird."
Wie weit die Wirklichkeit von diesem Ideal entfernt ist, und wie völlig
entgegengesetzt die französische Auffassung die Dinge sieht,
läßt sich in kurzen Worten andeuten. Vor Gericht ist in diesem
deutschsprachigen Lande jede Behandlung in der französischen
Fremdsprache zu führen, auch wenn Richter, Verteidiger, Angeklagter und
Zeugen sich besser und leichter auf Deutsch verständigen könnten.
Alle rechtlich wirksamen Akte müssen französisch ausgefertigt
werden. Bei den mündlichen Verhandlungen ist Zuziehung von
Dolmetschern gestattet. Die Unvernunft, ja Bedrohung jeder zuverlässigen
Rechtsfindung bei solchen Verfahren hat vor aller Welt der Colmarer
Prozeß gezeigt. (Die Tatsache, daß fast alle Staatsanwälte und
Richter landfremde Innerfranzosen ohne Kenntnis der deutschen Sprache sind,
verschärft dies Gefühl der Rechtsunsicherheit.) Die Auswahl der
Geschworenen erfolgt lediglich unter den Bewohnern, die der französischen
Sprache mächtig sind, also aus einer beschränkten oberen Schicht.
Die Idee des Laienrichtertums wird dadurch völlig verletzt. (Auch
hierfür war der Colmarer Tendenzprozeß und sein Urteilsspruch ein
erschütterndes Beispiel.)
In den Verwaltungen ist Alleinherrscherin gleichfalls die "Nationalsprache", das
Französische. Mit einer Ausnahme: Die Ausfertigung der Steuerzettel
geschieht in beiden Sprachen. Neuere Anweisungen in einzelnen
Verwaltungszweigen, z. B. in der Sozialversicherung, den Schriftverkehr
mit dem Publikum auf Wunsch deutsch zu führen, ändern nichts an
der grundsätzlichen Entrechtung der Muttersprache des Volkes.
In der Schule, die nach französischem Muster in allen ihren Zweigen einem
Straßburger Recteur d'Académie unterstellt ist, kommt dem
Französischen gleichfalls die Herrscherrolle, der deutschen Muttersprache
des Volkes die Aschenbrödelrolle zu. Die Straßburger
Universität ist restlos französischsprachig; ihr Lehrkörper ist
fast rein französisch. Das höhere Bildungswesen ist rein
französischsprachig. Die Volksschulen bis hinab zur kleinsten Dorfschule
haben als Unterrichtssprache nicht das Deutsche, sondern das Französische.
Auch die einheimische Lehrerschaft mußte von einem Tag zum
andern vom Deutschen zum Französischen übergehen. Die
méthode directe, die Anwendung der Staatssprache für den Unterricht, ist
an die Stelle der Methode getreten, die im deutschen Reichsland
Elsaß-Lothringen gegolten hatte, und die für das deutsche
Sprach- [246] gebiet die deutsche, für das kleinere
französische Sprachgebiet (einzelne Vogesentäler und einen
westlothringischen Landstreifen) die französische Muttersprache als
Ausgangspunkt des Unterrichts nahm. Die massenhafte Versetzung
französischer Lehrer und Lehrerinnen nach
Elsaß-Lothringen, die Ersetzung der in deutscher Zeit fast
ausschließlich einheimischen Schulinspektoren durch Franzosen, die
Besetzung aller gehobenen Stellen der Unterrichtsverwaltung durch Eingewanderte
aus Innerfrankreich vermehren das Übel unheilvoll. Wer ein hochstehendes
Kulturvolk rasch und wirksam geistig knebeln und verdummen will, kann keine
trefflichere Methode finden als das von Frankreich im "befreiten"
Elsaß-Lothringen eingeführte Schulsystem. Von 1919 bis zum Januar
1927 deckte diese
Sprach- und Schulenpolitik mit seinem Namen der früher in den Kolonien
tätig gewesene "Akademierektor" Charlety. Seine Richtlinien für den
Unterricht ausschließlich in französischer Sprache in den
Volksschulen
Elsaß-Lothringens (15. Januar 1920) an die Schulinspektoren sind ein
Dokument französischer Zielstrebigkeit. Sie gipfeln in dem Satze, es
könne keine andere Erwägung den Vorrang erhalten, als "die
Notwendigkeit, aus dem Elsaß und aus Lothringen Länder
französischer Zunge zu machen".
Als Charlety Ende Januar 1927 als Nachfolger des verstorbenen Pariser Kollegen
aus Straßburg weggenommen wurde, trat an seine Stelle ein aus dem
Elsaß gebürtiger Professor Pfister, der sein ganzes Leben in
Frankreich zugebracht hat und völlig in der französischen
Geistesverfassung aufgegangen ist. Nichts aber ist für die Einheitlichkeit des
französischen Kulturimperialismus bezeichnender als die Tatsache,
daß Charlety und sein System allen Wechsel der politischen Kabinette
unangefochten überdauert hatten und von Poincaré, Herriot, Briand, von der
Action Française und dem Echo de Paris bis zum sozialistischen
Populaire
mit gleichem Eifer gefördert wurden. Mit dem Wechsel der Person von
Charlety zu Pfister trat ebensowenig ein grundsätzlicher Wechsel ein. Das
vorausgegangene öffentliche Versprechen des Ministerpräsidenten
Poincaré auf Gewährung der "Zweisprachigkeit" ist so wenig wie andere
französische Versprechen jemals eingelöst worden. Poincaré hat sich
vielmehr ausdrücklich der Besprechung eines Kammerantrags der
"Elsässischen Volkspartei" bzw. ihres Präsidenten Seltz widersetzt,
der das Regierungsversprechen in die Wirklichkeit überführen wollte.
Es sollte eine Schulkommission gebildet werden, "die beauftragt werden soll, eine
schnelle Lösung der Sprachenfrage im Elementarunterricht in
Elsaß-Lothringen herbeizuführen" (Januar 1927). Vertreter des
Unterrichtsministeriums, Lehrer, Abgeordnete, Senatoren, einheimische
Bürgermeister, Vertreter der Konfessionen, Landwirte, Industrielle,
Kaufleute, Handwerker sollten ihr angehören.
Frank- [247] reich hat kein Interesse an einem solchen
Ausschuß. Es will die unbedingte Vorherrschaft des Französischen. Es
rechnet es sich demgegenüber schon zum Verdienst an, daß es "den
elsässischen Dialekt duldet". Die Anwendung des
Fremdsprachenparagraphen auf die deutschsprachige
elsaß-lothringische Presse, die dadurch im Gegensatz zur
französischen und französischsprachigen beständig unter der
Drohung der Unterdrückung steht, beleuchtet diese Einstellung auch von
politischer Seite. Die Folge der "geistigen Verkrüppelung", die das
französische Schul- und Sprachensystem den befreiten
Brüdern einbringt, paßt in
die Rechnung; sie wird zwar die Landessprache auch in Generationen nicht
auslöschen können, aber wohl schon die heute der
französischen Schule überantwortete Jugend unfähig machen,
später ebenso wirksam gegen die Assimilation Widerstand zu leisten, wie es
die heutige "geopferte Generation" imstande ist.
Das schutzlos gelassene elsaß-lothringische Volk muß die Pflege der
Überlieferung seiner geschichtlich gewachsenen volkhaften kulturellen
Eigenart aus eigenen Kräften und gegen den offenen oder verdeckten
Widerstand des Mehrheitsvolkes tragen: Zeitschriften heimatlichen Charakters,
wissenschaftliche Heimatforschung, eine umfassende Vereinsbühnenarbeit,
mundartliches Schauspiel, Kalender, literarische Veröffentlichungen. Die
Straßburger Universität, die zu deutscher Zeit eine ihrer Aufgaben
darin sah, das geschichtliche Gut für die Volkskunde und Volkstumspflege
zu erschließen, ist heute ein Werkzeug der Verwelschung, also der
Entwurzelung und Verfälschung elsässischen und lothringischen
Wesens. (Siehe Schrifttum S. 253.)
Die wirtschaftliche
Überfremdung
Der geistigen Umstrickung entspricht auf wirtschaftlichem Gebiet die Auswirkung
der "Befreiung". Für ein Teilgebiet dieser Seite der Wiedergutmachung des
Unrechts von 1871 hat der französische Senator Cluzel das Wort
geprägt von der "ergiebigsten Plünderung der Weltgeschichte". Das
Wort paßt aber auf den ganzen Umschichtungsprozeß, der sich seit
1918 auf wirtschaftlichem Gebiet abgespielt hat. Die Zerschlagung der
elsaß-lothringischen Eigenstaatlichkeit und die Leugnung einer
elsaß-lothringischen Volkspersönlichkeit haben es ermöglicht,
daß fast der gesamte Reichtum des Landes in französische
Hände gespielt wurde, und daß der geistigen Knebelung eine
wirtschaftliche Überfremdung zur Seite ging. Im Lande selbst hat man dies
zehn Jahre und länger nicht recht bemerkt. Wenn es heute erkannt ist, so ist
es die unbeabsichtigte Folge der großen Rede des Ministerpräsidenten
Poincaré in der
Elsaß-Lothringen-Debatte der französischen Kammer (24. Januar bis
8. Februar 1929). Ein erstes Drittel seiner Rede war nämlich dem
zahlen- [248] gespickten Nachweis gewidmet, daß
Frankreich seinen "befreiten Brüdern" eine Fülle von
Wohltaten auf wirtschaftlichem Gebiet gewährt habe, denen
Elsaß-Lothringens unvergleichliche Blüte von heute zu danken sei.
Die Unzufriedenheit sei daher Unvernunft und Undank. Die autonomistische
Presse hat demgegenüber das wahre Bild gezeichnet. Das Wesentliche sei
nicht, ob in den meisten Zweigen der
elsaß-lothringischen Wirtschaft - Industrie, Bergbau, Handel, Verkehr,
Landwirtschaft - heute und morgen eindrucksvolle finanzielle Ergebnisse zu
verzeichnen sind, sondern die Frage: Wer hat den Nutzen? Diese Frage ist heute
aber höchstens in der Landwirtschaft zugunsten der Einheimischen zu
beantworten. Fast überall sonst aber geht der Ertrag in
nicht-elsaß-lothringische Hände. Das gilt fast für die
Gesamtheit der lothringischen Schwerindustrie, deren Einbeziehung in den
französischen Wirtschaftsbereich allein Frankreich zu seinem
hervorragenden Rang auf dem Welteisenmarkt verholfen hat. Drei Viertel der
deutschen Eisenerzgewinnung fiel vor dem Kriege auf Lothringen. Die
Sequesterverwaltung übertrug die früher deutschen neuzeitlich
ausgebauten Hüttenwerke zu Bedingungen an innerfranzösische
Konkurrenten, die jenes französische Wort von der "ergiebigsten
Plünderung" rechtfertigten: Für einen Vorkriegswert von 1,4
Milliarden Mark erhält der Staat bis zum Jahre 1940 165 Millionen Franken,
d. h. 33 Millionen Goldfranken. Um diesen Raub zu sichern, war in den
ersten Nachkriegsjahren durch die Zwangsverwaltung die Erzeugung gedrosselt
worden, um Unrentabilität vorzutäuschen.
Bei den lothringischen Kohlenzechen, die zum Teil noch in lothringischem
Familienprivatbesitz (de Wendel) stehen, ist eine ähnliche Entwicklung zu
verzeichnen. Hier wurden die früher in deutschem Besitz befindlichen
Gruben und Konzessionen an innerfranzösische Kohlenindustrielle (de
Peyerimhoff) zugeschlagen, die heute bei der Entwicklung einer
Kohlenchemieindustrie (Gewinnung von Ammoniak usw.) bereits alle
einheimischen Stellen ausschalten können.
Das elsaß-lothringische staatliche Bahnnetz ist unbelastet und ohne
Anrechnung auf deutsche Leistungen an den französischen Staat
übergegangen. Seine leitenden Stellen sind sämtlich mit Franzosen
besetzt. Seine jährlichen
Millionen-Reingewinne kommen weder
Elsaß-Lothringen selbst, noch dem französischen Staat als solchem
zugute, sondern fließen in eine gemeinsame Kasse der französischen
Bahnnetze, um die Dividenden der dortigen Privatgesellschaften zu sichern. An die
Ostbahngesellschaft, die vor 1871 Besitzerin der Bahn war, muß eine
sinnlose Vergütung abgeführt werden wegen der Wertsteigerung, die
das Bahnnetz aus gesamtdeutschen und einheimischen Mitteln in deutscher Zeit
erreichte.
Ein besonderes Prunkstück der französischen Schilderungen der
[249] elsaß-lothringischen
Wirtschaftsblüte ist stets der amerikanisch rasche Anstieg der Kaliausbeute
seit Kriegsende. Diese Zahlen sind Wirklichkeit und doch täuschendes
Blendwerk. Die oberelsässischen Kalilager wurden nämlich erst zehn
Jahre vor dem Kriege entdeckt, und erst 1911 begann die Förderung, um
rasch zu steigen:
1911 103 644 Tonnen,
1912 136 243 "
1913 300 341 "
1914 325 886 "
Die Ausbeute geschah nur zu einem Fünftel durch französisches
Kapital (Grube St. Thérèse), während die übrigen Kaliwerke
überwiegend in deutschem Besitz standen. Ein Zehntel der Kuxe
gehörte dem Reichsland
Elsaß-Lothringen selbst. Nach dem Kriege sequestrierte Frankreich den
deutschen Anteil. Bis 1924 dauerte das Liquidationsverfahren, das mit
Übereignung der früheren deutschen Gruben an den
französischen Staat endete, der nur 200 Millionen Franken an die
früheren Eigentümer zu leisten hat für Anlagen, die schon 1926
40 Millionen für Neuanlagen erbringen könnten und einen
Reingewinn von 93½ Millionen, wovon 4 Millionen an die drei
elsaß-lothringischen Departements für die Anteile des früheren
Reichslandes gingen. Frankreich hat durch den Kalibesitz im Elsaß einen
ungeheuern Gewinn eingeheimst, der ihm bei seiner Schuldenregelung mit den
Vereinigten Staaten unersetzliche Dienste leistet. Den Löwenanteil dieses
Milliardenbesitzes und seiner Erträge erhielt aber nicht
Elsaß-Lothringen, sondern Frankreich.
Die Lage bei der hochentwickelten elsässischen Textilindustrie und der
Maschinenindustrie (Grafenstaden bei Straßburg, Mülhausen) beginnt
sich erst jetzt zu klären. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Versailler
Vertrages bestand Zollfreiheit für
elsaß-lothringische Waren bei der Einfuhr nach Deutschland. Als diese
Vergünstigung zu Ende ging, gewährte der Frankensturz eine
vorübergehende neue Spanne der Gunst. Nach ihrem Abschluß traf die
Textilindustrie sofort eine schwere Krise, aus der noch kein Ausweg zu sehen ist.
Denn der französische Markt ist besetzt durch die altfranzösische
Konkurrenz, die als Ausweg angepriesene Eröffnung des Marktes der
französischen Kolonien ist wertlos, da im Elsaß andere Erzeugnisse
hergestellt werden, als dort benötigt werden. Der Zusammenbruch des
ältesten oberelsässischen Textilwerks und der Übergang
anderer Firmen an französische Häuser sind ernste Warnungszeichen.
Vereinbarungen mit innerfranzösischen Konkurrenzen, die bisher
scheiterten, werden im besten Falle nur die Wirkung haben, auch diesen Zweig der
elsaß-lothringischen Wirtschaft in Abhängigkeit von Frankreich zu
bringen. Bei der Maschinenindustrie ist diese Abhängigkeit [250] vom französischen Kapital längst
eingetreten. Eine gleiche Entwicklung hat das frühere einheimische
Bankwesen genommen, das heute mit ganz geringen Ausnahmen aufgesogen ist
durch Pariser Großbanken.
Nur die bodenständige Landwirtschaft ist heute noch frei; der Weinbau
jedoch ist erdrückt von der billiger produzierenden
südfranzösischen und algerischen Konkurrenz.
Der riesige Aufschwung des elsaß-lothringischen Wirtschaftslebens in
deutscher Zeit, der sich ablesen läßt aus den Produktionsziffern der
lothringischen Schwerindustrie und aus dem Wachstum der
Bevölkerungszahlen, aus dem Aufschwung des Verkehrswesens und aus der
Spartätigkeit, kommt heute Frankreich zugute und nur in den seltensten
Fällen der bodenständigen Wirtschaft, die in fast allen Teilen
überfremdet ist.
Die Lage wird noch schlimmer durch die steuerliche Übervorteilung, deren
Beseitigung Frankreich immer wieder verspricht, aber nicht zustande bringen kann
oder will.
All dies ist ebenso wie die kulturelle Bedrückung eine Folge der Leugnung des
elsaß-lothringischen Eigenrechts, seiner besonderen Lebensbedingungen, die
durch die schematische Einfügung in den andersartigen französischen
Wirtschaftskörper schutzlos der Entrechtung ausgesetzt sind. Auf wie
schwachen Füßen die Scheinblüte der Wirtschaft steht, zeigte
sich bei Beginn der Verhandlungen über vorzeitige Räumung des
Saargebiets. Hier mußte Frankreich selbst die besonderen
Lebensnotwendigkeiten
Elsaß-Lothringens anerkennen und ihnen eine Vertretung bei den
Verhandlungen zubilligen.
Kulturell und wirtschaftlich, verfassungs- und verwaltungsmäßig ist
die "Befreiung"
Elsaß-Lothringens zu einer Herabdrückung eines sich selbst
verwaltenden Landes auf den Rang einer ausgebeuteten Kolonie Frankreichs oder
eines "Schutzgebiets" geworden. Daran ändert es natürlich nichts,
daß eine kleine Oberschicht zu einem Teil Nutznießerin dieses
Zustandes geworden ist. (Siehe Schrifttum S. 253.)
Elsass-Lothringen und die deutsch-französische
Verständigung
Hat Wilson dieses Unrecht gewollt? Nicht Frankreich sollte ein Geschenk erhalten,
sondern Elsaß-Lothringen sein Recht. Aus dem sicherlich zumeist ganz
unbewußten naiven "Kolonialdenken" des heutigen Frankreich
gegenüber seinen "befreiten Brüdern und Schwestern" am Oberrhein
und an der Mosel erwächst das "malaise", das "Unbehagen". Denn
Frankreich sieht nur immer sein Recht, sein Interesse, sein Machtstreben. Nie
denkt es zuerst und vor allem an die Lebensnotwendigkeiten des
elsaß-lothringischen Volkes. Wieder ist 1918 und 1919
Elsaß-Lothringen nur als Objekt eines Größeren [251] behandelt worden, nicht als Subjekt, nicht als
Träger eigenen Wollens. In heutiger Zeit, im Zeichen des
Selbstbestimmungsrechts der kleinen Völker, schafft solche
Mißachtung des Volkswillens Unruheherde, die den Frieden der Nachbarn
immer aufs neue gefährden müssen. Nicht allein im eigenen Interesse
des Landes und seines heutigen französischen Besitzers handelt daher
Elsaß-Lothringen, wenn es heute die Wahrung seiner
Volkspersönlichkeit im Rahmen Frankreichs fordert. Die Gewährung
der natürlichen Rechte der Bevölkerung, die Befreiung von
unwürdigen kulturimperialistischen Fesseln, die Anerkennung ihres eigenen
Lebensrechtes durch Frankreich würde jede Unruhe zum Erlöschen
bringen können. Nicht Gefährdung des Friedens bedeutet also die
elsaß-lothringische Heimatbewegung, sondern die Durchsetzung ihrer Ziele
würde vielmehr entscheidend zur Festigung des europäischen
Friedens beitragen. In Frankreich aber gibt es noch immer nur ganz Vereinzelte,
die die elsaß-lothringischen Heimatforderungen in diesem Sinne aufzufassen
vermögen. Einer dieser wenigen, der frühere französische
Gesandte Alcide Ebray, der Verfasser des Buches vom Unsaubern Frieden (La
Paix malpropre), hat 1927 einmal den verhängnisvollen Irrtum des
französischen Kampfes gegen die Autonomiebewegung in diese Worte
gefaßt:
"Man bildet sich in Frankreich ein, falls man den
Elsaß-Lothringern Genugtuung gäbe, würde man zugleich auch
den Deutschen Genugtuung geben, und zwar in dem Sinne, daß man ein
Elsaß-Lothringen schafft, welches gegebenenfalls leichter zu Deutschland
zurückkehren könnte. In Wirklichkeit liegen die Tatsachen aber eher
gegenteilig. Die Deutschen kennen einen Unterschied zwischen Deutschland und
Deutschtum sehr wohl. Sie finden sich damit ab, daß Länder mit
deutscher Kultur nicht zum deutschen Staate gehören... Die Volksteile dieser
Länder werden um so weniger daran denken, nach Deutschland zu schauen,
je weniger ihre Kultur in den Staaten bedroht ist, denen sie als Fremdrassige
angehören..."
Für Frankreich aber ist "Hochverrat" und "Separatismus" die Feststellung,
daß die Elsässer und
Deutsch-Lothringer eine ethnische und sprachliche, also nationale Minderheit im
Rahmen der französischen Republik bilden. Man verweigert die
Anerkennung des Minderheitenrechtes und verfolgte seine Verteidiger als
"deutsche Agenten". Man warf die Führer dieser Minderheit ins
Gefängnis, schädigte sie wirtschaftlich durch Verwaltung und Justiz,
man läßt ihnen wegen angeblichen "Komplotts gegen die Sicherheit
des Staates" die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit absprechen,
bereitet Ausnahmegesetze vor, die jede autonomistische Propaganda unter
entehrendes Sonderrecht stellen. Das schürt nur die Glut des Brandherdes,
verhindert jede Beruhigung, verschärft die seelische Not.
Und das deutsche Volk? Es hat durch den Abschluß des
Locarno- [252] paktes Frankreich jeden Vorwand genommen,
seine Ostgrenze als bedroht zu erklären und etwa damit die Entdeutschung
seiner neugewonnenen Gebiete zu rechtfertigen. Die Grundsätze des
Selbstbestimmungsrechtes und des international anerkannten Minderheitenrechtes
konnten damit selbstverständlich ebensowenig für
Elsaß-Lothringen außer Kraft gesetzt werden wie andere
Bestimmungen des Versailler Vertrages, die als Sicherung des Friedens gedacht
sind. Auch haben die Vertreter der Regierung und der Parteien bei der
entscheidenden Reichstagsdebatte ausdrücklich erklärt, daß der
deutschen Nation eine völlige Teilnahmslosigkeit gegenüber dem
kulturellen Schicksal eines Gliedes der Kulturgemeinschaft nicht zugemutet
werden könnte.
Mehr als 120 000 Vertriebene aus Elsaß-Lothringen leben heute im
Deutschen Reich. Auch sie, die durch engste Bande mit der alten Heimat
verbunden sind, haben die Lösung der
elsaß-lothringischen Frage stets nur aus dem freien Willen des Volkes
für möglich erklärt. Als ihre Pflicht betrachten sie es aber auch,
die verhängnisvollen Folgen der Mißachtung des
elsaß-lothringischen Willens aufzuzeigen, die nicht nur als schwere
kulturelle Schädigung einer hochstehenden europäischen
Bevölkerung erscheinen, sondern auch das Verhältnis zwischen
Deutschland und Frankreich aufs verhängnisvollste belasten. In der
Zeitschrift der heute in Deutschland lebenden
Alt-Elsaß-Lothringer, der Berliner Monatsschrift
Elsaß-Lothringen / Heimatstimmen, hat während der
Locarno-Verhandlungen ein Altelsässer, Professor Dr. Adolf Krencker,
diese unlösbare Verknüpfung der auch in Versailles ungelöst
gelassenen elsaß-lothringischen Frage mit dem
deutsch-französischen Problem und dadurch auch mit der Sicherung des
Friedens überhaupt also in Worte gefaßt:
"Und darum führt der Weg zum Frieden
entweder durch ein in seiner
deutschstämmigen Eigenart und seinem Eigenrecht
verfassungsmäßig gesichertes, bei seinem alten Volkstum
beharrendes, als deutsches Kulturland von Frankreich freiwillig geachtetes und
verständnisvoll behandeltes
Elsaß-Lothringen, oder aber er ist nicht einmal gedanklich möglich.
Geistige Abrüstung ist ausgeschlossen und das Siechtum Europas unheilbar,
wenn es wirklich dazu kommen sollte, daß die Franzosen dem nationalistisch
fremdartigen Stil ihres Staates zuliebe ein lebendiges Glied der deutschen
Kulturnation zugrunde richteten." (Siehe Schrifttum S.
253.)
Schrifttum
Grundlegende Schriften historischen und politischen Charakters: O.
Stählin,
Geschichte Elsaß-Lothringens. - F. Bronner, Die
Verfassungsbestrebungen des Landesausschusses für Elsaß-Lothringen
(1875 bis 1911). - F. König, Deutschlothringen. Stammestum,
Staat und Nation. - [253] Eugen Meyer, Das Deutschtum in
Elsaß-Lothringen. - H. Pohl, Die elsaß-lothringische
Frage.
Zur Staatsangehörigkeits- und Optionsfrage Aufsätze von
Reichsgerichtsrat Dr. M. Schwalb in der Monatsschrift
Elsaß-Lothringen - Heimatstimmen (Berlin), und zwar 1924, S. 198/9:
"Vom Widersinn der elsaß-lothringischen
Staatsangehörigkeitsbestimmungen"; 1928, S. 241: "Das neue
französische Nationalitätengesetz und
Elsaß-Lothringen". - Die gleiche Zeitschrift bringt zu dem Versuch, eine
bedingungslose Hingabe an Frankreich zu verhüten, nähere
Ausführungen im Jahrgang 1925, S. 269/271: "Pfarrer Karl Sigwalt von
Runzenheim".
Über die letzten Erklärungen der
elsässischen Abgeordneten Dr. Haegy
und Dr. Ricklin im deutschen
Reichstag, über die Versuche, das Selbstbestimmungsrecht für
Elsaß-Lothringen zu beanspruchen und über den Antrag
Dr. Ricklins
im elsaß-lothringischen "Nationalrat" gab die am 11. November 1927
unterdrückte autonomistische Straßburger Zeitschrift Die Zukunft
in einer Sonderbeilage vom 23. April 1927 genaues Material. - Der genaue
Wortlaut der Hagenauer Proklamation bei K. Roos, Politik und Gewaltpolitik
in Elsaß-Lothringen.
Über die Ausweisungen nach dem
Waffenstillstand: R. Ernst, Die Wiedereingliederung der vertriebenen
Elsaß-Lothringer in das deutsche Wirtschaftsleben. K. Roos, Politik und
Gewaltpolitik in Elsaß-Lothringen. -
Streiflichter zur elsaß-lothringischen Krisis. Von einem
Elsässer. - Die Kammerdebatte über Elsaß und
Lothringen. (Sitzungen vom 24. Januar bis 8. Februar 1920.) (Verlag Alsatia,
Colmar.) - Der Komplottprozeß von Colmar (1.-24. Mai
1928). - Der Komplottprozeß von Besançon. - Die
Zeitschriften Elsaß-Lothringen / Heimatstimmen (Berlin) und
Elsaß-Lothringjsche Mitteilungen (Freiburg i. Br.).
Zur Schul- und Sprachenfrage G. Wolf, Das elsässische
Problem. Grundzüge einer
elsässischen Politik im Zeitalter von Locarno. -
B. Baier, Die
Sprachenfrage in den Volksschulen Elsaß-Lothringens 1871-1914. -
Ausführungen über die Sprachenfrage in der Sammlung Die
Kammerdebatte über Elsaß und Lothringen (Sitzungen vom 24. Januar
bis 8. Februar 1929)." - Zur Sprachen- und Schulpolitik
B. Frey in der
Monatsschrift Elsaß-Lothringen / Heimatstimmen. Jahrgang 1927, S.
76.
Heimatliche kulturelle Selbsthilfe bedeuten die Arbeiten der
"Elsaß-Lothringischen Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg"
(Jahrbücher, Einzelschriften), der "Elsässischen Gesellschaft
für Kirchengeschichte" (Archiv und Einzelveröffentlichungen), der
Monatsschriften Elsaßland / Lothringer Heimat und Die Heimat sowie
die autonomistische Presse.
Aufsätze der Straßburger autonomistischen Halbwochenschrift Volkswille in
Anschluß an die Kammerdebatte über
Elsaß-Lothringen (Februar 1929 ff.). - Ausführlicher Überblick in der
Berliner Zeitschrift Volk und Reich: Elsaß-Lothringen, Frankreichs
europäische Wirtschaftskolonie (von einem elsässischen
Wirtschaftspolitiker).
Über Elsaß-Lothringen und die deutsch-französische
Verständigung Aufsätze anläßlich der
Locarno-Verhandlungen in der Zeitschrift Elsaß-Lothringen / Heimatstimmen
(Berlin): A. Krencker, "Die elsaß-lothringische Autonomie und der
Weltfrieden" (April 1925). - "Zu den deutsch-französischen
Sicherheitsverhandlungen" (Juli 1925). - Kapp, "Der Sicherheitspakt und
Elsaß-Lothringen" (September 1925). - A. Krencker, "Der
Sicherheitspakt" (September 1925). - "Elsaß-Lothringen im deutschen Reichstag"
(Dezember 1925). - Die Stellungnahme der Elsaß-Lothringer im Reich
zum Selbstbestimmungsrecht auf den verschiedenen Vertretertagungen des
"Hilfsbundes" seit 1925 in dem Verbandsorgan Elsaß-Lothringische
Mitteilungen.
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