[133]
Bd. 1: A. Der Rechtsanspruch
auf Revision
III. Der Versailler Vertrag und seine
Revisionsmöglichkeit
Professor Dr. Theodor Niemeyer
Geheimer Justizrat, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für
Völkerrecht
I.
In der 1914 mit dem Kriegsbeginn ausgebrochenen Psychose der
öffentlichen Meinung, welche in dem Schlagwort "Zusammenbruch des
Völkerrechts" ihren refrainmäßigen Ausdruck fand, ist
damals von einer nicht großen Gruppe von Völkerrechtslehrern, zu
denen der Verfasser der gegenwärtigen Abhandlung gehörte, darauf
hingewiesen worden, daß es oberflächlich und falsch sei, wenn man
vom Zusammenbruch des Völkerrechts in dem Sinne spreche, daß ein
hoch und mächtig ragendes Gebäude durch die Katastrophe des
Weltkrieges gestürzt und vernichtet sei. Wir haben demgegenüber
geltend gemacht, daß ein Gebäude von der vorgestellten Art nur in der
Phantasie dilettantischer Journalistik existiert habe und daß die Ereignisse
des Kriegsausbruches und der Kriegführung zwar von schweren
Verletzungen anerkannter Völkerrechtsgrundsätze begleitet waren,
daß aber die starke, durch die gesamte Staatenwelt gehende
Entrüstung gegenüber diesen Verletzungen nicht nur das Postulat,
sondern die Sanktion der verletzten völkerrechtlichen Prinzipien und, kraft
des hier zur Geltung gekommenen inneren Rechtsbewußtseins der
Völker, die Sanktion des Völkerrechts überhaupt
manifestierte.
Aus dieser Betrachtung ergab sich die Erwartung, daß im historischen
Abwicklungsprozeß des Krieges sich voraussichtlich das Bedürfnis
des Ausbaues, der Reform und der Kodifikation des Völkerrechtes in
verstärktem Maße geltend machen, und daß die
Staatsräson selbst sich dazu gezwungen sehen würde, das
Völkerrecht zu achten und zu pflegen und es zum Besten des Staates selbst
zu fördern.
Hat sich diese Erwartung während des Krieges und nach dem Kriege
erfüllt?
Wer mit den völkerrechtlichen Optimisten der Kriegszeit diese Frage
bejahen will, kann zur Begründung auf eine Fülle von Tatsachen
hinweisen, welche seit 1918 sich vollzogen haben und welche das Bedürfnis
und den Willen der Bejahung völkerrechtlicher Staatenordnung und des
positiven Ausbaues des Völkerrechts beweisen.
[134] Der Völkerbund, das internationale
Arbeitsamt, der ständige internationale Gerichtshof im Haag, die rapide
Entwicklung der obligatorischen Gerichtsbarkeit, die Ergänzung derselben
durch die Ausgleichsverträge und die ständigen
Ausgleichskommissionen, die unabsehbar ausgedehnte und verzweigte Menge von
internationalen Unionen, Gesellschaften, Kongressen, Akademien, das
Anschwellen der völkerrechtlichen Literatur, die allgemeine Einsicht in die
Notwendigkeit völkerrechtlicher Unterrichtung der Staatsbeamten,
insbesondere der Diplomaten, die Heranziehung
völkerrechtswissenschaftlicher Fachleute zur Wahrnehmung der
Staatsinteressen in internationalen Verhandlungen wichtiger und mannigfacher
Art, - alle diese Erscheinungen der Jahre 1918 bis 1928, sie
übertreffen um ein Vielfaches die ganze Entwickelung von 1815 bis
über die beiden Friedenskonferenzen (1899, 1907) hinaus bis zum Jahre
1914.
Es ist hervorzuheben, daß diese Entwicklung nicht erst durch eine nach der
Beendigung des Weltkrieges eingetretene Umstellung der öffentlichen
Meinung und der politischen Verhältnisse ausgelöst worden ist.
Vielmehr hat sofort mit dem Ausbruch des Weltkrieges eine starke Bewegung
zugunsten völkerrechtlicher Organisation der Staatengewalt eingesetzt.
Während des Krieges hat diese Bewegung in geometrischer Progression
zugenommen, und zuletzt hat sie in Gestalt des Völkerbundgedankens die
Völker und die Staaten der Welt samt und sonders mehr oder weniger
ergriffen.
Zuerst waren es pazifistische Organisationen und Persönlichkeiten, welche
hervortraten: die englische Union of Democratic Control (September 1914), die
holländische World Peace Foundation (Oktober 1914), das Berner
Friedensbüro (Januar 1915), die englische Fabian Society (1915). Sodann
trat die holländische "Zentralorganisation für einen dauernden
Frieden" in den Vordergrund, besonders mit dem von ihr aufgestellten
"Mindestprogramm für einen dauernden Frieden" (April 1915), welchem
später der "Entwurf eines Generalreglements zur friedlichen Beilegung
internationaler Konflikte", sowie der Entwurf einer "internationalen Konvention
zur ständigen Organisation der Friedenskonferenz" (März 1917),
folgte. Als Publikationsorgan für diese Arbeiten gewannen die
Holländischen Nachrichten (Haag 1914 ff.) eine erhebliche Verbreitung.
Eine große Zahl von anderen Verlautbarungen in gleicher Richtung ging von
Vereinigungen und von einzelnen Persönlichkeiten verschiedener
Länder, namentlich der Schweiz, der Vereinigten Staaten von Amerika,
England aus. Dieselben sind, bis 1919 reichend, unter genauer Titelbezeichnung
(40 Nummern), zusammengestellt von W. Schücking [135] und H. Wehberg: Die Satzung des
Völkerbundes, Berlin, 2. Aufl. 1924, S.
7-10.
Staatsmänner der kriegführenden Staaten stellten bald nach dem
Beginn des Weltkrieges als Ziel des Krieges die Schaffung einer internationalen
Rechtsordnung hin, so der englische Minister Asquith am 25. September 1914, in
Frankreich Briand am 20. November 1915, der englische Außenminister Sir
Edward Grey am 15. Mai 1916, der deutsche Reichskanzler v. Bethmann Hollweg am 22. Mai und am 9. November 1916, endlich der amerikanische Präsident Wilson in einer Reihe von Kundgebungen, auf welche noch
zurückzukommen ist.
Wenn trotz der vorstehend skizzierten Bewegung für die Reform des
Völkerrechts in Gestalt der Umformung der Staatenwelt, seit 1914 und nach
dem Kriege, die gegenwärtige Bilanz der völkerrechtspolitischen
Lage, und die Prognose weiterer Entwicklung nichts weniger als glänzend
ist, so beruht dies auf dem ungeheuren Passivum, welches der Frieden von
Versailles und dessen Handhabung von seiten der Alliierten, insbesondere von
seiten Frankreichs, in das
Friedens- und Völkerrechtskonto gebracht hat.
Es braucht hier nicht unternommen zu werden, die der vorstehend angedeuteten
völkerrechtsfreundlichen inneren Entwicklung während des Krieges
von Anfang an entgegenwirkenden völkerrechtsfeindlichen Momente
ausführlich darzulegen. Es braucht nur an die allen Mitlebenden
geläufige Wahrnehmung erinnert zu werden, daß in allen
kriegführenden Ländern die Bewegung zugunsten friedlicher
Weltorganisation und Herstellung völkerrechtlicher Ordnung in
höherem oder geringerem Grade von den Regierungen als
Beeinträchtigung des kriegerischen Patriotismus und des Willens zu
opfermütiger Durchführung des Krieges mißbilligt und
unterdrückt wurde. In Frankreich nannte man dies den Kampf gegen
"défaitisme". Dieser Kampf wurde in allen kriegführenden Ländern
gekämpft, aber in verschiedenem Maße, im allerhöchsten
Maß zweifellos von denjenigen Staatsmännern und Heeresleitern,
welche nicht sowohl für den Frieden, als vielmehr für die Vernichtung
des Gegners als Kriegsziel kämpften. Der Zusammenhang zwischen dem
Vernichtungswillen in der Kriegführung und dem Vernichtungswillen des
Siegers im Friedensschluß erscheint in Frankreich durch die
Persönlichkeiten Clemenceau und Foch personifiziert, verkörpert in
dem Instrument von Versailles.
Der Kampf gegen den Defaitismus hat sich nach der Kriegsbeendigung unter
anderem Namen und mit veränderten Fronten fortgesetzt, besonders in
Frankreich und Deutschland, indem in beiden Ländern die Intransigenten
gegen die Versöhnlichen den Vorwurf der Schwäche und der
Verletzung vaterländischer Pflichten durch [136] "Humanitätsdusel" und "utopisches
Weltbürgertum" erhoben, während in der entgegengesetzten Richtung
die Versündigung an den höchsten Pflichten der Menschheit,
politische Kurzsichtigkeit und verrannte nationale Leidenschaft unter Anklage
gestellt wurden.
Ging der Gegensatz während des Krieges um Verständigung oder
Vernichtungskampf, so ging und geht er jetzt für und gegen
Abrüstung, Entwicklung des Völkerbundes, wirtschaftlichen
Ausgleich, Kriegsächtung.
Die Hartnäckigkeit, mit welcher die Parteien und die einzelnen Menschen
ihre Stellung zu diesen Problemen behaupten, ist für die einzelnen Probleme
in beiden Ländern verschieden. In mehrfacher Beziehung läßt
sich heute bereits ein Wechsel und eine Erweichung beobachten.
Von dem Gegensatz der Parteien in jedem der beiden Länder zu
unterscheiden ist ein entsprechender Gegensatz zwischen der Politik der
Regierungen, welche aber in höherem oder geringerem Grade durch die
Parteien im Lande bestimmt wird, und demgemäß bis zu einem
gewissen Grade einen typischen
Wechsel - aber im Ganzen leider in viel geringem
Grade - eine Erweichung der Haltung erkennen läßt.
Welche Bedeutung dieser Sachlage hinsichtlich der politischen
Revisionsmöglichkeit des Versailler Vertrages zukommt, soll hier nicht
ausgeführt werden. Die vorstehend dargelegte tatsächliche
Entwicklung seit 1914 wird bei der Beurteilung dieser Frage dabei im Auge
behalten werden müssen.
II.
Die Frage der Revisionsmöglichkeit des Versailler Vertrages soll hier nur im
Sinne des praktischen Interesses Deutschlands, das heißt innerhalb
desjenigen Rahmens behandelt werden, welcher die praktische Politik
Deutschlands begrenzt, wobei in erster Linie an die Tätigkeit der amtlichen
Stellen, sodann aber auch an die wissenschaftlichen Instanzen des
Völkerrechts und der Politik, die Parlamente, die Presse und die politischen
Organisationen zu denken ist.
Der hiermit gegebene Standpunkt ist verschieden von demjenigen eines
Rechtsgutachtens, das für eine Prozeßpartei oder eine richterliche
Stelle erstattet wird, aber auch von demjenigen einer richterlichen Urteilsschrift,
einer juristisch-technischen Analyse oder einer rechtsdogmatischen Untersuchung.
Was hier unternommen wird, ist eine politische Untersuchung zu politischen
Zwecken und nach politischer Methode, getragen von völkerrechtlicher
Sachkunde.
[137] Ist hinsichtlich des Versailler Vertrags eine
Revision rechtlich möglich? Kann Deutschland sie völkerrechtlich
beanspruchen? Gibt es völkerrechtliche Mittel, um einen solchen Anspruch
geltend zu machen?
Dies ist die Reihe der materiellen rechtlichen Fragen, welche aufzuwerfen
sind.
Eine zweite Reihe von juristischen Fragen bezieht sich auf die rechtlichen Formen
der Geltendmachung des völkerrechtlichen Anspruches.
III.
In der Literatur und in der Presse, in wissenschaftlichen Debatten und in
politischen Versammlungen ist unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten die
Ungültigkeit des Versailler Vertrages behauptet worden.
Der erste Gesichtspunkt ist der des Zwanges, der zweite derjenige des
Widerspruches zwischen dem Vertrage einerseits und dem Wilsonschen
Programm sowie den Abmachungen des Waffenstillstandes andrerseits.
Mit dem ersten dieser Gesichtspunkte soll die Nichtigkeit, mit dem
zweiten die Anfechtbarkeit des Vertrages begründet werden.
Die hier angewendete Terminologie der Ungültigkeitslehre ist von F. C. v.
Savigny (System des heutigen römischen Rechts Bd. IV S. 537) erfunden.
Ihre Bedeutung wird heute in der zivilrechtlichen Literatur so umschrieben,
daß nichtig ein Rechtsgeschäft ist, "welches rechtlich ebenso
angesehen wird, wie wenn es nie vorgenommen wäre", während
anfechtbar ein Rechtsgeschäft heißt, "bei welchem zwar die
gewollte rechtliche Wirkung trotz eines vorhandenen Mangels zunächst
eintritt, das aber seine Kraft verliert, wenn bestimmte dazu berechtigte Personen
sich auf den Mangel berufen".1
Diese Savignysche Begriffstechnik hat in den ehemaligen Gebieten des
römischen Rechts eine gewisse doktrinäre Verbreitung gefunden,
positiv praktische Bedeutung aber nicht erlangt. Die wissenschaftliche Kritik hat
die Lehre in der Hauptsache verworfen. In der jüngsten Literatur und
Rechtsprechung ist sie fast verschwunden. Nur in Elementarkompendien und bei
überalterten juristischen Veteranen begegnet man ihr.
In die Praxis des Völkerrechts ist die Savingnysche
Ungültigkeits- [138] lehre so wenig übergegangen wie in die
wissenschaftliche Literatur des Völkerrechts.
Für den Vertrag von Versailles ist mit ihr schlechterdings nichts anzufangen.
Wollte man sie durchaus anwenden, so wäre man alsbald sachlich doch
genötigt, die für den einzelnen Fall aufgeworfenen Fragen dahin zu
vereinfachen, daß unmittelbar an der Hand des materiellen Inhalts des
geltenden Völkerrechts geprüft wird, ob es positive Grundsätze
im Völkerrecht gibt, welche die Ungültigkeit des Vertrages ergeben,
sowie welches die Tatbestände und welches die Rechtsfolgen der
Ungültigkeit sind, die das Völkerrecht bestimmt.
Wir treten mit diesen Fragen zunächst an den Gesichtspunkt des
Zwanges heran, indem wir, von dem besonderen Fall des Versailler
Vertrages einstweilen absehend, aus der Praxis und aus der Literatur des
Völkerrechts feststellen, ob und inwiefern es nach geltendem Recht
möglich ist, die Ungültigkeit eines Friedensvertrages auf den
Gesichtspunkt zu gründen, daß derselbe vom Sieger mit Gewalt
erzwungen sei.
Was die Praxis anlangt, so ist nicht bekannt, daß von den 226
Friedensverträgen, welche man in der Zeit von 1792 bis 1914 zählt,
ein einziger wegen Siegerzwanges angefochten worden ist.
Um Mißverständnis auszuschließen, ist dazu vorab zu
bemerken, daß ein von dem Siegerzwang verschiedener Fall der ist, wenn
persönlicher Zwang gegen einen Fürsten oder eine andere
zur Vertretung des Staates berufene Persönlichkeit geübt ist, um eine
Vertragserklärung zu erpressen. In diesem Fall allerdings wird allgemein die
Ungültigkeit angenommen. In dieser Hinsicht seien folgende
Äußerungen angesehener Völkerrechtler mitgeteilt:
Der als Professor in Heidelberg gestorbene Schweizer J. C. Bluntschli schrieb 1867
in seinem als Rechtsbuch dargestellten Modernen Völkerrecht der
zivilisierten Staaten:
"Es wird angenommen,
die Willensfreiheit des Staates sei
nicht aufgehoben, wenn gleich der Staat in seiner Not und Schwäche
genötigt ist, den Vertrag einzugehen, wie ihn ein übermächtiger
anderer Staat ihm vorschreibt. Im Privatrecht hindert eine ernste Drohung und die
gewaltsame Nötigung die Gültigkeit des Vertrags. Im
Völkerrecht aber wird angenommen, der Staat selbst sei alle Zeit frei und
willensfähig, wenn nur seine Vertreter persönlich frei sind. Das
Staatsrecht erkennt auch sonst die Notwendigkeit der Verhältnisse als
entscheidend an; es ist seinem Wesen nach die als notwendig erkannte Ordnung
der öffentlichen Verhältnisse. Daher hindern zwingende
Einwirkungen, in denen sich jene Notwendigkeit offenbart, die Gültigkeit
des Staatswillens nicht, wenn er denselben Rechnung trägt. Es gilt das
insbe- [139] sondere auch von
Friedensschlüssen. Würde man die Verträge der Staaten aus
dem Grunde als ungültig anfechten können, daß der eine Staat
aus Furcht vor dem andern und durch dessen Drohungen geschreckt ohne
freien Vertragswillen den Vertrag abgeschlossen habe, so gäbe es kein Ende
des Völkerstreits und wäre niemals ein gesicherter Friedensstand zu
erwarten."
Friedrich von Martens, der Petersburger Völkerrechtslehrer, schrieb in
seinem Völkerrecht (1883):
"Kein Vertrag kann gültig sein, wenn der
Souverän oder aber die zum Abschluß bevollmächtigte
physische Person eine Nötigung oder Bedrohung erlitten und unter dem
Einfluß dieses Umstandes den Vertrag unterzeichnet hat. In einem solchen
Falle befindet sich das im Namen des Staates handelnde Individuum selbst unter
dem Druck eines Zwanges, der die Möglichkeit einer freien Entscheidung
ausschließt - der Vertrag kann daher auch nicht verbindlich sein.
Erzwungen und darum ungültig waren die Erklärungen des
Königs Ferdinand VII. von Spanien zu Bayonne im Jahre 1807, kraft
welcher er dem Throne entsagte, wozu ihn Napoleon durch
Einschüchterungen gebracht hatte. Der Friedensvertrag dagegen, den
Franz I. von Frankreich 1520 als Gefangener in Madrid unterzeichnete, und die
Thronentsagung Napoleons I. zu Fontainebleau 1814 wurden denselben allerdings
durch die Umstände abgenötigt, allein physische Gewalt oder
Drohungen sind gegen die genannten Fürsten persönlich nicht
angewandt worden, folglich kann die Rechtsbeständigkeit ihrer Akte auch
nicht angezweifelt werden. Ebenso hätte ein Friedensvertrag, den
Napoleon III. etwa während seiner Gefangenschaft in Wilhelmshöhe,
vorausgesetzt, daß er noch Kaiser der Franzosen gewesen wäre, mit
Deutschland abgeschlossen hätte, gewiß Gültigkeit besessen,
wenn dabei keinerlei Zwang gegen die Person des gefangenen Kaisers zur
Anwendung gekommen wäre."
Daß bei dem Abschluß des Versailler Vertrages ein persönlicher
Zwang im Sinn der vorstehenden Äußerungen geübt worden
sei, kann nicht in Betracht kommen.
Im übrigen sei nunmehr der in der letzten Literatur allgemein anerkannte
Rechtsgrundsatz, wonach die Gültigkeit eines Friedensvertrages nicht durch
den von dem Sieger geübten, die Friedensbedingungen erzwingenden Druck
berührt wird, durch die Äußerungen völkerrechtlicher
Autoritäten belegt:
Bluntschli a. a. O. schreibt:
"Wenn die individuelle Willensfreiheit derjenigen
Personen, welche den Staat bei dem Vertragsabschluß vertreten, durch
Geistesstörung aufgehoben oder durch Besinnungslosigkeit verwirrt oder
durch Gewalt oder ernste und nahe Bedrohung gebunden ist, dann sind dieselben
nicht fähig, [140] für den Staat verbindliche
Erklärungen abzugeben. Wenn z. B. der Gesandte, der zum
Vertragsabschluß ermächtigt ist, wahnsinnig wird, oder wenn er so
berauscht ist, daß er nicht mehr weiß, was er tut, so ist seine
Unterschrift nicht bindend. Ebenso würde auch die Unterschrift eines
Souveräns nicht den Staat verpflichten, wenn demselben gewaltsam die
Hand zum Unterzeichnen geführt oder er mit Todesdrohung zur Unterschrift
genötigt würde. Oder wenn, wie das dem polnischen Reichstag
widerfahren ist, die notwendige Zustimmung zu einem Vertrag damit erzwungen
wird, daß die Ratsversammlung mit Truppen umstellt und die Stimmenden
mit dem Tode oder dem Gefängnis bedroht werden, so ist auch ein solcher
Vertrag ungültig, nicht weil der Staat keinen freien Willen hat, sondern weil
es den Vertretern des Staates an der nötigen Willensfreiheit fehlt."
Martens a. a. O. sagt:
"Bei Rechtsgeschäften zwischen
Privatpersonen hebt
Zwang stets die verbindliche Kraft des Vertrages auf, zwangsweise abgeschlossene
internationale Verträge dagegen sind prinzipiell verbindlich, wie z. B.
alle Friedensverträge. Dieser Satz beruht auf einer allgemeinen Präsumtion
der Handlungsfreiheit der Staaten in ihrem Wechselverkehr. Der von einem
andern besiegte und unter dem Druck seiner Niederlage einen
Friedensvertrag akzeptierende Staat ist in Wirklichkeit gewiß nicht
vollkommen frei, formell genommen aber bleibt er es, da er die Wahl zwischen
Fortsetzung des Krieges und Friedensschluß behält. Überdies
mußte er gleich bei der Kriegserklärung die unvermeidlichen
Konsequenzen des Mißerfolges voraussehen und wissen, daß er sich
im Unglücksfall den von dem Sieger zu diktierenden Friedensbedingungen
zu fügen haben werde. In diesem Sinne sind Friedensschlüsse
rechtmäßig erzwungene Verträge, die erfüllt werden
müssen."
Der als Professor in Brüssel gestorbene Schweizer Alphonse Rivier schrieb
in seinem Lehrbuch des Völkerrechts (2. Aufl. 1899):
"Nie wird ein
besiegter Staat den von ihm unterzeichneten Frieden unter dem Vorwande
beseitigen dürfen, daß er dazu durch die Kriegsnot gezwungen worden
sei, denn dies ist kein Zwang im juristischen Sinne. Wenn das Gegenteil
angenommen würde, wäre durch die Friedensverträge keine
Sicherheit gegeben."
F. von Liszt (Das Völkerrecht systematisch dargestellt, 11. Aufl. 1918) sagt:
"Die Willenserklärung kann angefochten
werden wegen wesentlichen
Irrtums des Erklärenden oder wegen eines auf die Person des
Erklärenden ausgeübten Zwanges. Keine Ausnahme bilden die
Kriegsverträge mit Einschluß des Friedensvertrages. Auch diese
können nur angefochten werden, wenn gegen den vertragschließenden
Vertreter des Staates Zwang geübt worden ist, nicht aber, weil der
unterlegene Staat selbst sich in einer Zwangslage befunden hat. [141] Nicht die Kriegsgefangenschaft des Monarchen
an sich, wohl aber der zu ihr hinzutretende völkerrechtswidrige Zwang
bildet einen Anfechtungsgrund. Der Friedensvertrag, den das in
Kriegsgefangenschaft befindliche Staatsoberhaupt abgeschlossen hat, bindet den
von ihm vertretenen Staat, soweit nicht etwa die Kriegsgefangenschaft selbst nach
dem Staatsrecht seines Staates ihm die Vertretungsbefugnis entzogen
hat."
IV.
Der zweite Gesichtspunkt, unter welchem die Ungültigkeit des Versailler
Vertrages behauptet wird, bezieht sich auf dessen Verhältnis zu den in der
Zeit vom 3. Oktober 1918 bis zum 11. November 1918 vorhergegangenen
Verhandlungen und Abmachungen, deren Verlauf den wichtigsten, und darum hier
ausführlicher darzustellenden Abschnitt der Vorgeschichte des Versailler
Vertrages bildet, soweit Deutschland aktiv daran beteiligt ist.
Am 5. Oktober richtete der Reichskanzler, Prinz Max von Baden, an den
Präsidenten Wilson folgendes Schreiben:2
"Die deutsche Regierung ersucht den
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, die Herstellung des
Friedens in die Hand zu nehmen, alle kriegführenden Staaten von diesem
Ersuchen in Kenntnis zu setzen und sie zur Entsendung von
Bevollmächtigten zwecks Anbahnung von Verhandlungen einzuladen. Sie
nimmt das von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der
Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren
Kundgebungen, namentlich der Rede vom 27. September aufgestellte Programm
als Grundlage für die Friedensverhandlungen an. Um weiteres
Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung den sofortigen
Abschluß eines Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft
herbeizuführen."
Der Präsident Wilson fragte darauf am 8. Oktober, ob die Erklärung
der deutschen Regierung so zu verstehen sei, daß sie die von ihm am 8.
Januar 1918 dem Kongreß vorgelegten und später wiederholt
dargelegten Punkte akzeptiere und nur über ihre nähere
Ausführung ("the practical details of their application") zu verhandeln
wünsche.
Diese Frage beantwortete am 12. Oktober der Staatssekretär Solf mit
folgender Note:
"In Beantwortung der Fragen des Präsidenten
der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt die deutsche Regierung: Die
deutsche Regierung hat die Sätze angenommen, die Präsident Wilson
in seiner Ansprache vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren Ansprachen
als Grundlagen eines dauernden Rechtsfriedens niedergelegt hat. Der Zweck der
einzuleitenden Besprechungen wäre also lediglich der, sich über die
praktischen Einzelheiten ihrer Anwendung zu verständigen. Die deutsche
Regierung nimmt an, daß auch die Regierungen der mit den Vereinigten
Staaten verbundenen Mächte sich auf den Boden der Kundgebung des
Präsidenten Wilson stellen. Die deutsche
Re- [142] gierung erklärt sich im
Einverständnis mit der
österreich-ungarischen Regierung bereit, zur Herbeiführung eines
Waffenstillstandes den Räumungsvorschlägen des Präsidenten
Wilson zu entsprechen. Sie stellt dem Präsidenten anheim, den
Zusammentritt einer gemischten Kommission zu veranlassen, der es obliegen
würde, die zur Räumung erforderlichen Vereinbarungen zu treffen.
Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den
Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in
Übereinstimmung mit der großen Mehrzahl des Reichstages. In jeder
seiner Handlungen gestützt auf den Willen dieser Mehrheit, spricht der
Reichskanzler im Namen der deutschen Regierung und des deutschen
Volkes."
Nach einem weiteren Notenwechsel (Lansing 14., Solf 20., Lansing 23., Solf 27.
Oktober), welcher sich in der Hauptsache auf die deutsche Verfassung und die
Absetzung der Hohenzollern bezog, schrieb der Staatssekretär Lansing am 5.
November 1918 folgende Note an den Vertreter des Deutschen Auswärtigen
Amtes:
"In meiner Note vom 23. Oktober 1918 habe ich
mitgeteilt, daß der Präsident seinen Notenwechsel den mit den
Vereinigten Staaten verbundenen Regierungen übermittelt hat mit dem
Anheimstellen, falls diese Regierungen geneigt sind, den Frieden zu den
angegebenen Bedingungen und Grundsätzen herbeizuführen, ihre
militärischen Ratgeber und die der Vereinigten Staaten zu ersuchen, den
gegen Deutschland verbündeten Regierungen die nötigen
Bedingungen eines Waffenstillstandes zu unterbreiten, der die Interessen der
beteiligten Völker in vollem Maße wahrt und den verbündeten
Regierungen die unbeschränkte Macht sichert, die Einzelheiten des von der
deutschen Regierung angenommenen Friedens zu gewährleisten und zu
erzwingen, wofern sie einen solchen Waffenstillstand vom militärischen
Standpunkt für möglich halten. Der Präsident hat jetzt ein
Memorandum der alliierten Regierungen mit Bemerkungen über diesen
Notenwechsel erhalten, das folgendermaßen lautet: »Die alliierten
Regierungen haben den Notenwechsel zwischen dem Präsidenten der
Vereinigten Staaten und der deutschen Regierung sorgfältig in
Erwägung gezogen. Mit den folgenden Einschränkungen
erklären sie ihre Bereitschaft zum Friedensschlusse mit der deutschen
Regierung auf Grund der Friedensbedingungen, die in der Aussprache des
Präsidenten an den Kongreß vom 8. Januar 1918, sowie der
Grundsätze, die in seinen späteren Ansprachen niedergelegt sind. Sie
müssen jedoch darauf hinweisen, daß der gewöhnlich
sogenannte Begriff der Freiheit der Meere verschiedene Auslegungen
einschließt, von denen sie einige nicht annehmen können. Sie
müssen sich deshalb über diesen Gegenstand bei Eintritt in die
Friedenskonferenz volle Freiheit vorbehalten. Ferner hat der Präsident in den
in seiner Ansprache an den Kongreß vom 8. Januar 1918 niedergelegten
Friedensbedingungen erklärt, daß die besetzten Gebiete nicht nur
geräumt, sondern auch wiederhergestellt werden müßten. Die
alliierten Regierungen sind der Ansicht, daß über den Sinn dieser
Bedingungen kein Zweifel bestehen darf. Sie verstehen dadurch, daß
Deutschland für allen durch seine Angriffe zu Wasser und zu Lande und in
der Luft der Zivilbevölkerung der Alliierten und ihrem Eigentum
zugefügten Schaden Ersatz leisten soll.« Der Präsident hat mich mit
der Mitteilung beauftragt, daß er mit der im letzten Teil des Memorandums
enthaltenen Auslegung einverstanden ist. Der Präsident hat mich ferner
beauftragt, Sie zu ersuchen, der deutschen Regierung mitzuteilen, daß
Marschall Foch von der Regierung der Vereinigten Staaten und den alliierten
Regierungen ermächtigt worden ist, gehörig beglaubigte Vertreter der
deutschen Regierung zu empfangen und sie von den Waffenstillstandsbedingungen
in Kenntnis zu setzen."
[143]
V.
Eine Beurteilung der hier in Rede stehenden Frage ist nicht
möglich ohne
Kenntnis des Textes der Wilsonschen 14 Punkte, und zwar auch derjenigen Teile
des Textes, welche nicht als Unterlage der Anfechtung des Versailler Vertrages in
Betracht zu ziehen sind. Dazu gehören auch die Präambel und die
Schlußsätze der Ansprache, welche Präsident Wilson am 8.
Januar 1918 an den Vereinigten Kongreß richtete. Diese Texte sollen daher
hier mitgeteilt werden. Die dieser Ansprache folgenden, in der Note vom
5. November in Bezug genommenen Kundgebungen des Präsidenten, deren
letzte die Reden in Mount Vernon am 4. Juli und in New York am 27. September
1918 sind, betreffen teils Fragen, welche hier nicht zur Erörterung stehen,
teils sind sie nähere Ausführungen und Variierungen der 14 Punkte.
Nach der autorisierten deutschen
Übersetzung von C. Thesing (Woodrow
Wilson, Paul List Verlag, Leipzig, Bd. III S. 40 ff.) sagte der
Präsident:
"Wir sind in diesen Krieg eingetreten, weil
Rechtsverletzungen vorgekommen sind, die an unseren Lebensnerv rührten
und das Leben unseres eigenen Volkes unmöglich machen würden,
falls sie nicht abgestellt werden und die Welt ein für allemal gegen ihre
Wiederholung gesichert wird. Was wir in diesem Krieg fordern, ist also nichts
besonderes für uns selbst. Es ist, daß die Welt für das Leben der
Menschen tauglich und sicher gemacht werde; und insbesondere, daß sie
sicher gemacht werde für jede friedliebende Nation, die gleich der unsrigen
wünscht, ihr eigenes Leben zu leben, ihre eigenen Einrichtungen zu
bestimmen, der Gerechtigkeit und Biederkeit seitens der anderen Völker der
Welt versichert zu sein, im Gegensatz zu Gewalt und selbstsüchtigem
Angriff. Alle Völker der Welt sind in Wirklichkeit Teilhaber an diesem
Interesse, und wir für unseren eigenen Teil sehen sehr klar, daß,
wofern Gerechtigkeit den anderen nicht widerfährt, sie auch uns nicht
widerfahren wird.
Das Programm des Weltfriedens ist daher unser Programm,
und dieses Programm, das einzig mögliche Programm nach unserem
Dafürhalten, ist folgendes:
I. Offene Friedensverträge, offen zustande
gekommen, nach denen es keinerlei private Abmachungen mehr geben soll,
sondern nur mehr Diplomatie, die stets freimütig und angesichts der
Öffentlichkeit vorgeht.
II. Vollständige Freiheit der Schiffahrt auf den
Meeren außerhalb der Territorialgewässer, gleichermaßen im
Frieden wie im Krieg, außer wenn die Meere kraft internationalen Vorgehens
zur Durchführung internationaler Bündnisse ganz oder teilweise
geschlossen werden.
III. Größtmögliche Beseitigung aller
wirtschaftlichen Schranken und Herstellung einer Gleichheit der
Handelsbedingungen unter allen jenen Nationen, die dem Frieden zustimmen und
sich zu seiner Aufrechterhaltung verbünden.
IV. Angemessene Gewährleistungen, dafür
gegeben und entgegengenommen, daß nationale Rüstungen auf den
niedrigsten Grad, der mit der inneren Sicherheit vereinbar ist, herabgesetzt
werden.
V. Freie, offenherzige und vollständig unparteiische
Ordnung aller kolonialen Ansprüche, gegründet auf strenger
Befolgung des Grundsatzes, daß bei der
Ent- [144] scheidung aller dieser
Fragen der Oberhoheit die Interessen der beteiligten Bevölkerungen genau
so gleiches Gewicht haben müssen wie die billigen Ansprüche der
Regierung, deren Rechtstitel zu entscheiden ist.
VI. Räumung des gesamten russischen Gebiets, und
eine solche Erledigung aller Rußland berührender Fragen, wie sie die
beste und freieste Zusammenarbeit der anderen Nationen der Welt sichern wird,
um ihm eine ungehemmte und unbelastete Gelegenheit zur unabhängigen
Bestimmung seiner eigenen politischen Entwicklung und nationalen Politik zu
verschaffen und ihm eine aufrichtige Bewillkommnung in der Gesellschaft freier
Nationen unter selbsterwählten Staatseinrichtungen zuzusichern; und mehr
als eine Bewillkommnung, auch Beistand jeder Art, den es benötigen und
selbst wünschen mag. Die Rußland seitens seiner Schwesternationen
in den kommenden Monaten zuteil werdende Behandlung ist die Feuerprobe ihres
guten Willens, ihres Verständnisses für seine Bedürfnisse, im
Unterschied von ihren Interessen und ihres intelligenten und selbstlosen
Mitgefühls.
VII. Belgien muß, dem wird die ganze Welt
beipflichten, geräumt und wiederhergestellt werden, ohne jeden Versuch, die
Oberhoheit, die es mit allen anderen freien Nationen gemein hat,
einzuschränken. Keine andere einzelne Handlung wird so dazu dienen, wie
diese dazu dienen wird, Vertrauen unter den Nationen in diejenigen Gesetze
wiederherzustellen, die sie selbst aufgestellt und für die Führung ihrer
Beziehungen zueinander festgesetzt haben. Ohne diese heilende Tat wird die ganze
Struktur und Gültigkeit des Völkerrechts für immer
beeinträchtigt sein.
VIII. Alles französische Gebiet soll freigegeben und
die Teile, in die ein Einfall stattfand, wiederhergestellt werden, und das Frankreich
durch Preußen im Jahr 1871 in Sachen
Elsaß-Lothringens angetane Unrecht, das den Frieden der Welt nahezu
fünfzig Jahre lang gefährdet hat, soll berichtigt werden, um den
Frieden im Interesse aller wieder sicherzustellen.
IX. Eine Bereinigung der Grenzen Italiens soll nach genau
erkennbaren Linien der Nationalität bewerkstelligt werden.
X. Den Völkern von
Österreich-Ungarn, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und
gesichert zu sehen wünschen, soll die freieste Gelegenheit
selbständiger Entwicklung gewährt werden.
XI. Rumänien, Serbien und Montenegro sollen
geräumt, besetzte Gebiete zurückgegeben werden; Serbien soll ein
freier und sicherer Zugang zur See gewährt werden, und die Beziehungen
der verschiedenen Balkanstaaten zueinander sollen durch freundschaftliche
Verhandlungen nach bestehenden historischen Linien der Zugehörigkeit und
Nationalität geregelt werden; und internationale Gewährleistungen der
politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit und territorialen
Unverletzlichkeit der verschiedenen Balkanstaaten sollen geschaffen werden.
XII. Den türkischen Teilen des heutigen
ottomanischen Reichs soll eine sichere Oberhoheit verbürgt werden, aber
den andern Nationalitäten, die zur Zeit unter türkischer
Herrschaft stehen, soll eine unbestrittene Sicherheit des Lebens und eine durchaus
ungestörte Gelegenheit selbständiger Entwicklung verbürgt
werden, und die Dardanellen sollen unter internationalen Gewährleistungen
als freie Durchfahrt für die Schiffe und den Handel aller Nationen dauernd
geöffnet werden.
XIII. Ein unabhängiger polnischer Staat soll errichtet
werden, der die von unbestreitbar polnischen Bevölkerungen bewohnten
Gebiete umfaßt, dem ein freier und sicherer Zugang zum Meer
verbürgt werden soll und dessen politische und wirtschaftliche
Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit durch internationalen
Bund gewährleistet werden soll.
[145] XIV. Eine allgemeine
Vereinigung der
Nationen muß gebildet werden mit besonderen Bundesverträgen zum
Zweck der Gewährung gegenseitiger Bürgschaften politischer
Unabhängigkeit und territorialer Unverletzlichkeit gleichermaßen
für große und kleine Staaten.
Wir haben hiemit gewiß in zu deutlichen
Ausdrücken gesprochen, als daß weiterhin noch ein Zweifel oder eine
Frage offenbleiben könnte. Ein klar ersichtlicher Grundsatz zieht sich durch
das ganze Programm, das ich entworfen habe. Es ist der Grundsatz der
Gerechtigkeit für alle Völker und Nationalitäten und ihr Recht,
unter gleichen Bedingungen der Freiheit und Sicherheit miteinander zu leben, ob
sie stark oder schwach sind. Wenn dieser Grundsatz nicht zur Grundlage gemacht
wird, vermag kein Teil des Gebäudes internationaler Gerechtigkeit zu
bestehen. Das Volk der Vereinigten Staaten konnte aus keinem anderen Grundsatz
heraus handeln; und zur Rechtfertigung dieses Grundsatzes ist es bereit, sein
Leben, seine Ehre und alles, was es besitzt, hinzugeben. Dieser größte
und letzte aller Kriege für menschliche Freiheit hat jetzt seinen moralischen
Höhepunkt erreicht, und unser Volk ist bereit, die Probe auf seine eigene
Stärke, seine eigenen höchsten Ziele, seine eigene Redlichkeit und
Hingebung zu bestehen."
VI.
Der amerikanisch-deutsche Notenwechsel vom 5. Oktober bis zum 5. November
1918 wird allgemein als Vorvertrag bezeichnet. Man kann ihn
füglich als
"Wilson-Vorvertrag" bezeichnen. Am 11. November 1918 erfolgte der
Waffenstillstandsvertrag. Von ihm ist hier nicht weiter zu reden. Derselbe
berührte weder in irgendeiner Weise die in dem Vorvertrag enthaltenen
Erklärungen, noch sonstwie den Inhalt des in Aussicht genommenen
Friedensvertrages. Er gab lediglich die für den 36tägigen
Waffenstillstand getroffenen Vereinbarungen, deren Ausführungen einer
"ständigen internationalen Waffenstillstandskommission" "unter der
obersten Leitung des Oberkommandos der Alliierten zu Wasser und zu Lande"
übertragen wurde. Von den dann folgenden Trierer
Verlängerungsabkommen (13. Dezember, 16. Januar, 16. Februar) braucht
hier gleichfalls nicht die Rede zu sein. Genug, daß am 7. Mai 1919 der
Ministerpräsident Clemenceau als "Vorsitzender des Friedenskongresses"
der deutschen Friedensdelegation den fertigen Text eines Friedensvertrages
überreichte, ohne daß Deutschland vorher irgendeine Gelegenheit
gehabt hätte, darüber zu verhandeln. Darauf erklärte der
Sprecher der deutschen Delegation:
"Die alliierten und assoziierten Regierungen haben in
der Zeit zwischen dem 5. Oktober und dem 5. November 1918 auf den
Machtfrieden verzichtet und den Frieden der Gerechtigkeit auf ihr Panier
geschrieben. Am 5. Oktober 1918 hat die deutsche Regierung die
Grundsätze des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika als
Friedensbasis vorgeschlagen, am 5. November hat ihr der Staatssekretär
Lansing erklärt, daß die alliierten und assoziierten Mächte mit
dieser Basis unter zwei bestimmten Abweichungen einverstanden seien. Die
Grundsätze des Präsidenten Wilson sind also für beide
Kriegsparteien, für Sie wie für uns bindend geworden."
[146] Am 9. Mai schrieb die deutsche Delegation an
Clemenceau:
"Die deutsche Friedensdelegation hat die erste
Durchsicht der überreichten Friedensbedingungen vollendet. Sie hat
erkennen müssen, daß in entscheidenden Punkten die vereinbarte
Basis des Rechtsfriedens verlassen ist; sie war nicht darauf vorbereitet, daß
die ausdrücklich dem deutschen Volke gegebene Zusage auf diese Weise
illusorisch gemacht wird."
Hierauf entgegnete anderen Tages Herr Clemenceau:
"Die Mächte haben sich bei der Festsetzung
der Vertragsbestimmungen ständig von den Grundsätzen leiten lassen,
nach denen der Waffenstillstand und die Friedensverhandlungen vorgeschlagen
worden sind. Sie können keinerlei Erörterungen ihres Rechts
zulassen, die grundsätzlichen Bedingungen des Friedens, so wie sie sie
festgesetzt haben, aufrechtzuerhalten."
Es folgte am 29. Mai eine deutsche Repliknote, in welcher es heißt:
"Wir waren nach Versailles in der Erwartung
gekommen, einen auf der vereinbarten Grundlage aufgebauten Friedensvorschlag
zu erhalten. Wir hofften auf den Frieden des Rechts, den man uns verheißen.
Wir waren entsetzt, als wir in jenem Dokument lasen, welche Forderungen die
siegreiche Gewalt des Gegners an uns stellt."
In der Anlage zu der Note, die einen Rückblick auf die Verhandlungen mit
Wilson wirft, heißt es:
"Es besteht also zwischen beiden Parteien eine
feierliche Vereinbarung über die Friedensgrundlage. Deutschland hat ein
Recht auf diese Friedensgrundlage. Wenn die Alliierten sie verlassen wollten,
würden sie ein völkerrechtliches Abkommen brechen. Wie sich
ergibt, ist zwischen der deutschen Regierung einerseits und den Regierungen der
alliierten und assoziierten Mächte andrerseits ein unzweifelhaft
rechtsverbindliches pactum de contrahendo zustande gekommen. Im Vertrauen auf
die zugesicherte Rechtsgrundlage für die Friedensverhandlungen hat das
deutsche Volk die Waffen aus der Hand gelegt. Nahezu keine einzige Bestimmung
des Vertragsentwurfs entspricht den vereinbarten Bedingungen."
Es erging nunmehr am 16. Juni 1919 ein Ultimatum der Alliierten, dessen Ablauf
auf den 23. Juni gestellt wurde. Darauf erklärte die deutsche Regierung
durch Note vom 22. Juni:
"Die Regierung der Deutschen Republik hat von dem
Augenblick an, wo ihr die Friedensbedingungen der alliierten und assoziierten
Regierungen bekanntgegeben worden waren, keinen Zweifel darüber
gelassen, daß sie diese Bedingungen als im schroffen Widerspruch mit der
Grundlage befindlich ansehen muß, die von den alliierten und assoziierten
Mächten einerseits und Deutschlands andrerseits völkerrechtlich
für den Frieden vor dem Abschluß des Waffenstillstandes
angenommen worden war. Die alliierten und assoziierten Regierungen haben die
Regierung der Deutschen Republik durch ein am 23. Juni ablaufendes Ultimatum
vor die Entscheidung gestellt, den von ihnen vorgelegten Friedensvertrag zu
unterzeichnen oder die Unterzeichnung zu verweigern. Für den letzteren Fall
wurde ein völlig wehrloses Volk mit der zwangsweisen Auferlegung der
geforderten Friedensbedingungen und der Vermehrung der schweren Lasten
bedroht."
Hervorzuheben ist, daß die deutsche Delegation in dem Notenwechsel mit
Nachdruck auf die beiden Umstände hingewiesen hatte, [147] daß einerseits verabredet worden war,
über den Frieden zu "verhandeln" und daß die auferlegten
Bedingungen das Maß dessen überstiegen, was Deutschland
tatsächlich leisten könne.
Die Regierung der Deutschen Republik erklärte am 22. Juni
schließlich, daß sie bereit sei, den Friedensvertrag zu unterzeichnen,
ohne jedoch damit anzuerkennen, daß das deutsche Volk der Urheber des
Krieges sei.
Am gleichen Tage forderte Clemenceau die vorbehaltlose Unterfertigung, und tags
darauf teilte die deutsche Delegation mit, sie unterzeichne ohne Vorbehalt, "der
übermächtigen Gewalt weichend und ohne damit ihre Auffassung
über die unerhörte Ungerechtigkeit der Friedensbedingungen
aufzugeben".
VII.
Für die völkerrechtliche Prüfung der Verbindlichkeit des
Versailler Vertrages ist,
ebensowenig wie hinsichtlich des Gesichtspunktes des
Zwanges, hinsichtlich des Verhältnisses des sogenannten Vorvertrages
(Notenwechsel 5. Oktober bis 5. November 1918) zu dem Vertrag vom 28. Juni
1919 die Pandektenlehre von der Ungültigkeit der Verträge oder
irgendeine andere Regelung, welche in einem der verschiedenen
Privatrechtssysteme gelehrt wird oder gesetzlich (z. B. Bürgerliches
Gesetzbuch für das Deutsche Reich, österreichisches
bürgerliches Gesetzbuch, "Code Napoleon", "Civil Code" California) oder
gewohnheitsrechtlich (englisches Common Law) gilt, anwendbar. Keine dieser
Regelungen hat Geltung für das völkerrechtliche Verhältnis der
Staaten. Als positives Völkerrecht, d. h. als auf Staatsverträge
oder internationale gewohnheitsrechtliche Übung gestütztes Recht
haben sich aber gleichfalls keine Normen gebildet. Nur die Natur der Sache,
d. h. der aus dem Wesen der völkerrechtlichen Gemeinschaft der
Staaten sich ergebende Maßstab der Vernünftigkeit und der
Gerechtigkeit kann als Grundlage rechtlicher Beurteilung der hier zur
Erwägung stehenden Rechtsfrage in Betracht gezogen werden.
Es muß gesagt werden, daß alles Wesentliche, was für die
Maßgeblichkeit des Vorvertrages geltend zu machen ist, in der deutschen
Note vom 22. Juni 1919 zusammengefaßt ist, nachdem es schon in der
Erklärung vom 7. Mai und in den Noten vom 9. und vom 29. Mai gesagt
worden war.
Als stärkste Unterstützung des deutschen Rechtsstandpunktes ist dazu
festzustellen, daß die Alliierten Wert darauf gelegt haben, in dem Ultimatum
vom 16. Juni zu behaupten: "c'est une paix de droit conforme aux principes admis
au moment de l'armistice", daß sie also den deutschen Standpunkt im
Prinzip anerkannt haben, und [148] ferner, daß Wilson als Wortführer
und Beauftragter der Alliierten in dem Notenwechsel vom 5. Oktober bis 5.
November das stärkste Gewicht darauf gelegt hat, daß Deutschland
anerkenne, es handle sich bei der Ausarbeitung des Friedensvertrages nur noch um
die Anwendung und Einzeldurchführung der von Wilson in seiner
Proklamation aufgestellten Grundsätze ("practical details of their
application").
Es sind aber trotzdem nicht geringe Schwierigkeiten zu überwinden, um auf
die Abweichung des Friedensvertrages vom Vorvertrag einen Revisionsanspruch
Deutschlands so zu gründen, daß derselbe nicht nur moralisch,
sondern gemäß echtem Völkerrecht stichhaltig und
wertbeständig auftreten kann.
Es wird nicht übersehen werden dürfen, daß die deutschen
Protestnoten vom 9. Mai, 29. Mai, 22. Juni 1919, indem sie den Revisionsanspruch
in der denkbar schärfsten Form zur Erörterung brachten, ohne damit
einen anderen Erfolg, als die ebenso scharfe Ablehnung seitens der Alliierten zu
erreichen, die Rechtslage Deutschlands zunächst nicht verbessert, sondern
verschlechtert haben. Denn der Umstand, daß die Unterzeichnung des
verhängnisvollen Textes von der deutschen Delegation schließlich
dennoch vorgenommen wurde und nunmehr ausdrücklich ohne Vorbehalt
erfolgte, ist unleugbar der Ausdruck des vertraglichen Verzichtes auf
Geltendmachung des in dem vorhergegangenen Notenwechsel behaupteten Rechtes
auf einen anderen, dem Vorvertrag entsprechenden Friedensvertrag aufgefaßt
worden.
Dieser Verzicht ist, wie die Siegerstaaten selbst nicht leugnen, von diesen mittelst
Drohung erzwungen worden. Ihn wegen dieses Zwanges für rechtlich
wirkungslos zu erklären, ist aber nach geltendem Völkerrecht so
wenig möglich, wie es ohne die Verzichterklärung und ohne den
Vorvertrag rechtlich möglich wäre, den Versailler Vertrag als solchen
wegen des Siegerzwanges für ungültig zu erklären. Professor
Hold-Ferneck (Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Bd. XXX
S. 110 ff.) hat es unternommen, aus der verpflichtenden Kraft des Vorvertrages das
Recht Deutschlands zur Anfechtung des Versailler Vertrages wegen Zwanges auf
einen besonderen Völkerrechtssatz zu stützen, welcher lauten soll:
"Ein erzwungener Vertrag bindet nicht, wenn der Zwang geübt ward
entgegen einer völkerrechtlichen Pflicht." Die Meinung des Wiener
Völkerrechtsgelehrten ist die, daß zwar auch der Vorvertrag
erzwungen, dennoch aber gültig sei, weil das Kriegführen und der
darin enthaltene Zwang an sich nicht verboten sei. Der Vorvertrag habe aber den
Krieg beendet und an seine Stelle den Rechtszustand gegenseitiger
völkerrechtlicher Verpflichtung gemäß dem Inhalt des
Vorvertrages gesetzt. Danach hätten die Feinde Deutschlands sich durch
einen neuen [149] Krieg von den in dem Vorvertrag
übernommenen Verpflichtungen frei machen können, aber nicht durch
die Erzwingung einer neuen, den Vorvertrag verleugnenden
Vertragserklärung Deutschlands.
Dem von Hold-Ferneck behaupteten Völkerrechtssatz fehlt aber nicht nur
jede äußere Stütze für seine Geltung, sondern auch die
innere rechtspolitische Rechtfertigung. Seine Anwendung wäre nicht nur
wertlos, weil der Vorvertrag nur Programme für einen Friedensvertrag, aber
keine konkreten Regelungen enthält; sie wäre aber eben deswegen
nicht nur wertlos, sondern verhängnisvoll, weil sie die Fortsetzung des
Kriegszustandes und die schrankenlose Willkürherrschaft der Feinde
Deutschlands bedeuten würde.
Es ist das Härteste und zugleich das Notwendigste, was hier gesagt werden
muß, daß jede, auch die ungerechteste, unvernünftigste,
verabscheuungswerteste Art rechtlicher Regelung besser ist als der Zustand
völliger Ungeregeltheit und schrankenloser Handlungswillkür des
Siegers. Man darf nicht verkennen, daß es tatsächlich diese Einsicht
auf seiten der Besiegten ist, deren sich der Sieger bedient, um seinen Willen
durchzusetzen. Der Besiegte wählt, indem er sich schließlich, wenn es
nicht anders geht, dem Diktat des Siegers unterwirft, das kleinere Übel.
Die Konsequenz des durch Siegerzwang erpreßten Friedensvertrages ist fast
stets, daß der Besiegte nicht nur die stipulierten Bestimmungen
tatsächlich gelten lassen, sondern daß er selbst sich auf Bestimmungen
des verhaßten Friedensvertrages berufen muß. Deutschland hat dies
bezüglich des Versailler Vertrages mannigfach getan und tun müssen.
Es hat nicht nur in vielen Verhandlungen über die Ausführung der
ihm auferlegten schweren Leistungen und Erduldungen sich auf Interpretationen
und Limitationen der Vertragsbestimmungen stützen müssen, welche
die Geltung dieser Bestimmungen voraussetzten. Es hat auch seinerseits aus eigner
Initiative Forderungen gegen die Siegerstaaten auf Grund des Vertrages geltend
gemacht, nicht nur solche, welche, wie die Abrüstung, das Korrelat
gleichartiger ihm auferlegter Lasten bilden, sondern auch solche, welche, wie die
schrittweise Räumung der Besetzungszonen, auf die
vertragsmäßige Minderung ihm auferlegter Bürden gerichtet
wird. Die Abkürzung der Besetzungszeit gemäß Artikel 431
und die Pflicht der Reparationskommission zur periodischen Prüfung der
deutschen Zahlungskraft hinsichtlich der Reparationen unter Anhörung
Deutschlands gemäß Artikel
234 stellen gleichfalls Positionen dar,
welche Deutschland in die Lage bringen, Rechte aus dem Vertrage geltend zu
machen. Der Vertrag weist bei genauestem Studium in Hinsicht solcher Positionen
eine größere Ergiebigkeit auf, als gemeinhin bekannt ist.
[150] Wenn in der Literatur und in der Presse oder in
politischen Verhandlungen der Standpunkt vertreten worden ist, daß jede
Berufung auf den Versailler Vertrag von Seiten Deutschlands eine Anerkennung
der Gültigkeit des Vertrages bedeute, oder anders ausgedrückt, den
Verzicht auf Geltendmachung der Ungültigkeit desselben darstelle, so ist
dem energisch entgegenzutreten. Denn wenn ein kriegerisch vergewaltigter Staat
Positionen wahrnimmt, welche das Diktat des Siegers ihm belassen hat, und wenn
der Besiegte sich dann der ihm durch den Friedensvertrag aufgezwungenen
Ausdrucks- und Verhandlungsformen bedient, so ist dies die von seinem Willen
unabhängige zwangsläufige Folge der durch den Siegerwillen
geschaffenen Gesamtlage. Die von Vertretern der absoluten Ungültigkeit des
Versailler Vertrages geprägte Formel, Deutschland sei gezwungen, sich so
zu verhalten, als ob der Versailler Vertrag zu Recht bestände, ist eine
dialektische Wendung, welche einen Vorbehalt ausdrückt, der hier nicht
zurückgewiesen zu werden braucht, weil die
"Als-ob-Formel" eine Deutung verträgt, welche der hier vertretenen und im
folgenden näher darzulegenden Auffassung von der
Revisionsbedürftigkeit und Revisionsmöglichkeit des Versailler
Vertrages nicht vorgreift.
VIII.
Die vorstehend zurückgewiesene völkerrechtliche Anwendung der
zivilrechtlichen Lehre von der Ungültigkeit (Nichtigkeit, Anfechtbarkeit) der
Verträge wegen Zwanges ist nicht nur positivrechtlich falsch, praktisch
undurchführbar, wertlos, sondern sie ist schädlich, irreführend
und verhängnisvoll, weil sie von dem allein rechtlich begründeten und
praktisch möglichen Wege abführt, auf welchem ein
völkerrechtlicher Anspruch auf Revision des Versailler Vertrages zur
Geltung gebracht werden kann.
Auch in der völkerrechtlich-wissenschaftlichen Diskussion ist vielfach nicht
genügend beachtet, daß, wenn wirklich das Versailler Instrument
gemäß dem rein juristisch formalen Begriff der Nichtigkeit behandelt
werden würde, damit der Weg zu einer Revision des Versailler
Vertrages endgültig verbaut wäre. Der Grund dafür liegt nicht
sowohl in der Intensität der Rechtswirkung des angewendeten
Gesichtspunktes der Nichtigkeit als vielmehr in der Totalität des Umfanges
und des Inhaltes, welcher durch die Vernichtung ergriffen würde, d. h.
in dem Umstande, daß die Unterschrift
vernichtet wird und damit das ganze Schriftstück jede rechtliche Bedeutung
verliert.
Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß, wenn man anstatt des
Begriffes der Nichtigkeit im Sinn der privatrechtlichen Lehre [151] denjenigen der Anfechtbarkeit anwendet, dies
die bezeichnete Folge nicht ändert, weil, wenn die Anfechtung erfolgt ist,
nach der herrschenden Lehre die Wirkung der Nichtigkeit eintritt.
Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß der Ausdruck "Revision
des Versailler Vertrages" in dem weiteren Sinn zur Verwendung kommen
könnte, daß wenn irgendeine Instanz mit der Aufgabe befaßt
würde, die ganze Materie des Friedens von Versailles kritisch zu
prüfen, darin die Möglichkeit eingeschlossen würde, den
Vertrag in seiner Totalität für nichtig zu erklären. Im Rahmen
der gegenwärtigen Ausführungen ist dies nicht der Sinn des
Ausdruckes. Vielmehr besagt derselbe hier prägnant, daß der Vertrag
nicht nur als historische Tatsache, sondern als Grundlage bestehender
Rechtsverhältnisse den Gegenstand einer Prüfung seines Inhaltes
bilden solle, welche die Möglichkeit der Änderung von Einzelheiten
seines Inhaltes in größerem oder geringerem Umfang, unter dem
Gesichtspunkt gegenwärtiger Bedürfnisse und künftiger
Gestaltungen ins Auge faßt.
Die Ausschließung des Gesichtspunktes der rechtlichen Nichtigkeit
eröffnet die Möglichkeit und erleichtert die Ausführung solcher
Änderungen mannigfach. Indem die Frage der Totalgültigkeit
ausgeschieden wird, fällt die Prüfung einer großen Zahl von
Bestimmungen automatisch fort, deren Anwendung entweder deswegen praktisch
nicht in Betracht kommt, weil es sich um unabänderlich oder so gut wie
unabänderlich existent gewordene Verhältnisse handelt, welche aus
dem Vertrage hervorgegangen sind. Dazu gehört der Völkerbund, das
internationale Arbeitsamt, der internationale Gerichtshof. Eine zweite Gruppe von
Angelegenheiten scheidet automatisch aus, weil die Staaten von vornherein
darüber einig sind, daß kein Interesse an der Änderung der in
Betracht kommenden Bestimmungen besteht. Außerdem kann es nur
förderlich sein, daß die Prüfung nach und nach von einem Teil
zum andern Teil, von einer Materie zur anderen fortschreitet.
IX.
Wenn man den Versailler Vertrag im ganzen und im einzelnen unter dem
Gesichtspunkt der Revisionsmöglichkeit zu kritisieren unternimmt, so
muß man unterscheiden:
1. die Kritik der Art seines Zustandekommens,
2. die Kritik seines Inhaltes,
3. die Art seiner Ausführung.
Von der Kritik des Zustandekommens ist unter dem Gesichtspunkt der
Ungültigkeit des Vertrages im Vorstehenden das wesentliche dargelegt
worden. Einige Bemerkungen aber über bestimmte Punkte, in [152] welchen die öffentliche Kritik das
Verfahren der Alliierten als Verletzung völkerrechtlicher Grundpflichten
verurteilt, müssen hier noch Platz finden.
Es war unzweifelhaft eine gröbliche völkerrechtliche Verfehlung,
daß die Alliierten die in dem Vorvertrag gegebene Zusage, mit Deutschland
über die Friedensbedingungen zu verhandeln, was doch nur den Sinn haben
konnte, daß Deutschland Gelegenheit gegeben werden solle, materiell zu den
Entwürfen der Alliierten Stellung zu nehmen, stillschweigend und
bewußt völlig beiseite ließen und Deutschland mit Diktat und
Ultimatum überraschten.
Es war ferner unzweifelhaft ein schwerer Bruch der mit dem ersten der 14
Wilsonschen Punkte gegebenen Vertragszusage, also eine Verletzung
völkerrechtlich übernommener Pflicht, daß die von den
Alliierten monatelang geführten Verhandlungen über die Herstellung
des Friedensentwurfes in methodisch durchgeführter Heimlichkeit
stattfanden.
Diese beiden Momente, welche in der Bezeichnung des Friedensvertrages als
"Diktat" ihre passende Charakterisierung finden, können nicht als Grundlage
eines Prozesses oder einer rechtlichen Selbsthilfeaktion zur Geltung gebracht
werden. Sie sind durch die deutsche Unterschrift vom 28. Juni 1919 formell
erledigt. Aber sie haben für die Revisionsmöglichkeit und für
die Ausführung des Versailler Vertrages eine andere Bedeutung, welche
nicht unterschätzt werden darf. Sie schließen das Recht Deutschlands
in sich, jederzeit diejenigen tatsächlichen Umstände zur Sprache und
zur Geltung zu bringen, welche in den einseitigen Friedensverhandlungen der
Alliierten nicht vorgebracht worden sind. Dies ist von besonderer Bedeutung auch
für den in den Verhandlungen vom
Oktober-November 1918 von Deutschland angemeldeten Gesichtspunkt, daß
die ihm diktierten Bedingungen sein Leistungsvermögen überstiegen.
Auch dieser Gesichtspunkt hat sowohl für die Revisionsmöglichkeit
als für die Ausführung des Versailler Vertrages Bedeutung.
X.
Bei weitem mehr von der Kritik der öffentlichen Meinung beachtet und
erörtert als die beiden soeben erwähnten Momente in der
Entstehungsgeschichte des Versailler Vertrages ist das im breiten Strom der
politischen Erörterungen des letzten Jahrzehntes zur Geltung gekommene
Verhältnis der
Wilson-Kundgebungen zu dem Versailler Vertrag.
Durch Ausscheidung der Ungültigkeitsthese ist die Bedeutung dieses
Verhältnisses nicht erledigt. Welche entscheidende Rolle das [153] Wilson-Programm als Verhandlungsgegenstand
in dem deutsch-amerikanischen Notenwechsel
Oktober-November 1918 gespielt hat, braucht nicht noch einmal dargelegt zu
werden. Nicht nur von den Organen der deutschen Politik und vom deutschen
Volke, sondern von der ganzen Welt wurde es als eine den Versailler Frieden mit
furchtbarem Makel behaftende Abkehr der Alliierten von dem Gedanken eines
universalen Rechtsfriedens empfunden, als [in dem] Friedensdiktat von dem
Wilson-Programm zwar die den
Ententestaaten und deren Trabanten
günstigen politischen Gestaltungen
(Punkte 7-13), aber nicht die allgemeinen Grundsätze der Punkte l, 2, 3, 4, 5,
14, sowie das in den übrigen Kundmachungen Wilsons enthaltene
Programm in Hinsicht der Aufrichtung einer neuen universalen
Rechts- und Friedensordnung in den Versailler Vertrag aufgenommen waren.
Es muß als eine zwar verbreitete, aber schiefe und irreführende
Auffassung bezeichnet werden, wenn man das Verhältnis des Vorvertrages
zu dem Versailler Vertrag damit glaubt erfassen zu können, daß man
punktweise die beiden Verträge nach dem Maßstabe vergleicht:
Welche der einzelnen
Wilson-Forderungen sind in dem Versailler Vertrage erfüllt worden?
Auf diese Frage ist zu antworten: die im besonderen Interesse der Ententestaaten
liegenden konkreten politischen Forderungen sind in Versailles erfüllt
worden. Entsprechende Forderungen im Interesse Deutschlands enthielt das
Wilson-Programm gar nicht. In dieser Hinsicht kann man deswegen auch nicht
sagen, daß der Versailler Vertrag Versprechungen des Vorvertrages nicht
erfüllt habe. Dagegen ist der ganze Plan einer neuen
Rechts- und Friedensordnung, welcher Deutschland und alle anderen Staaten kraft
allgemeiner Durchführung gleichmäßig beglücken sollte,
völlig gescheitert, mit Ausnahme der Genfer Völkerbundsatzung, auf
welche zurückgekommen werden muß, und des vierten der 14
Wilsonschen Punkte (Abrüstung), wovon gleichfalls noch zu sprechen ist.
Als Gesamtergebnis der Vergleichung ist festzustellen, daß, abgesehen von
diesen beiden Stücken des Versuches einer
Rechts- und Friedensordnung der Versailler Vertrag das gerade Gegenteil eines
Rechts- und Friedensinstrumentes ist. In Hinsicht der erwähnten beiden
Ausnahmen ist festzustellen, daß Deutschland im Völkerbunde erst
am 10. September 1926 gleichen Anteil mit den anderen Staaten erhalten hat,
sowie daß das Programm der allgemeinen Abrüstung in
unerhörter Weise ersetzt ist durch die einseitige gewaltsame
Abrüstung Deutschlands, welche der Versailler Vertrag als
Hauptbürgschaft des Friedens hingestellt hat.
Daß die Fehlleistungen des Versailler Vertrages auf dem Gebiet der
Weltorganisation in Hinsicht des Wilsonschen Programms und der diesem
entsprechenden Zusagen des Vorvertrages nicht durch [154] eine auf Nachlieferung gerichtete "Revision" des
Versailler Vertrages befriedigend repariert werden konnten oder können, das
war schon im Jahre 1919 klar. Seitdem aber sind wir über die Natur des
Problems und seine Tragweite durch die Entwicklung der Weltpolitik dahin belehrt
worden, daß auch selbst dann, wenn alle Ententestaaten den ernstesten
Willen gehabt hätten, Wilson zu folgen, es unmöglich gewesen
wäre, den
Rechts- und Friedensbau der Staatenwelt im Rahmen des Vertrages von Versailles
wirklich zu fundamentieren. Man muß sagen, daß die Aufnahme der
den Völkerbund statuierenden ersten 26
Artikel, welche Wilson mit
Aufbietung höchster Energie und unter der von seinen Genossen in diesem
Kampf, R. Lansing (The peace negotiations, London 1921), hart
mißbilligten
Preisgabe anderer Aufgaben durchsetzte, das äußerste war, was in
Versailles in der Richtung der Wilsonschen Grundideen erreicht werden
konnte.
Man muß die Entwicklung der europäischen und der amerikanischen
Politik von Versailles bis zum Genfer Protokoll (2. Oktober 1924) zu den
Verträgen von Locarno (16. Oktober 1925) und zum
Kellog-Pakt (27. August 1928) verfolgen, dazu die Geschichte der namentlich seit
Dezember 1921 geschlossenen
Schieds- und Ausgleichsverträge, sowie die Entwicklung des
Völkerbundes, um daran die Frage zu knüpfen, wie sich zu diesen
Vorgängen der Gedanke einer durch einen Kongreß der
Signatarstaaten des Versailler Friedens zu unternehmenden Revision des Versailler
Vertrages stellt. Man wird dann ganz und gar überzeugt sein, daß das
Schicksal des Wilsonschen Friedensplanes über den Vertrag von Versailles
längst weit hinaus gewachsen ist, und daß kein ernsthafter Politiker
daran denken kann, ihn zurückzupressen in den Rahmen des Versailler
Diktates.
XI.
Die heute brennendsten Fragen in dem Gebiet des Versailler Vertrages sind die
Materien der Abrüstung, der Räumung und der Reparationen. Alle
diese Materien sind recht eigentlich Gegenstände des Versailler Vertrages,
und zwar solche, deren Revision im besonderen Sinn des Wortes in Frage kommt,
und zwar in der positiven Gestalt einer Revision der Artikel
159-213 (Abrüstung),
428-432
(Räumung),
232-247
(Reparationen).
Es ist bemerkenswert, daß die drei Materien darin übereinstimmen,
daß die Lösung der für sie bestehenden höchst aktuellen
Probleme und Kontroversen praktisch in erster Linie abhängig ist von der
Verständigung speziell zwischen Frankreich und Deutschland,
während an ihnen teils direkt (Abrüstung), teils indirekt
(Reparationen, Räumung) auch andere Länder und Völker stark
interessiert sind. In [155] allen drei Materien handelt es sich ferner
praktisch nicht sowohl um die Aufhebung oder Abänderung von
Bestimmungen des Versailler Vertrages, als vielmehr um die
Ausführung von Bestimmungen des Vertrages. Endlich ist
festzustellen, daß tatsächlich der Vorschlag einer Revision
dieser Teile des Vertrages von Deutschland, soviel bekannt, bisher nicht gemacht
worden ist. Die Erklärung hierfür liegt darin, daß die
Abrüstungsfrage in die Hand des Völkerbundes gelegt ist, und
daß für Reparationen und Räumung das Interesse Deutschlands
sich nicht auf Änderung der Versailler Bestimmungen, sondern auf
deren gerechte, vernünftige und angemessene Durchführung
(Artikel
234 und 431 sind
dabei von besonderer Bedeutung) richtet, über
welche Deutschland fast ununterbrochen Verhandlungen geführt hat und
noch führt, und für welche deswegen der Gesichtspunkt einer
generellen Revision der Vertragsbestimmungen um so mehr zurücktritt, je
entschiedener es sich um konkrete und lediglich bilaterale Angelegenheiten
handelt, wie in erster Linie die Räumungsfragen, aber auch die
Reparationsfragen. Man wird sich dabei erinnern müssen, daß
insbesondere Ausführungsstreitigkeiten sich besser für
schiedsgerichtliche oder
international-gerichtliche Entscheidung als für Kongreßbehandlung
eignen.
Mit der Abrüstungsfrage hat es eine besondere Bewandtnis, nicht nur
insofern als diese durch die Artikel 1,
8,
9 des
Versailler Vertrages
verfassungsmäßig primär und generell dem Völkerbund
überwiesen ist, sondern auch insofern als es sich dabei nicht um
Ausführungen konkreter Bestimmungen des Versailler Vertrages, sondern
um den Versuch der Verwirklichung eines der Wilsonschen abstrakten
Programmpunkte handelt. Dieses Problem teilt das Schicksal des übrigen
Wilsonschen Weltorganisationsprogrammes. Es geht über den Rahmen des
konkreten Versailler Friedensvertrages hinaus. Aber es unterscheidet sich von
anderen Punkten des allgemeinen
Wilson-Programmes dadurch, daß es durch Artikel
159 des Versailler
Vertrages mit der konkreten, in den Artikeln
160-213 geregelten Entwaffnung Deutschlands in ein Verhältnis gesetzt ist,
aus welchem sich für Deutschland der völkerrechtliche Anspruch auf
die Ausführung der allgemeinen Abrüstung ergibt. Zugleich aber ist
der Weg für die Geltendmachung dieses Anspruches durch die
Überweisung der Materie an den Völkerbund vorgezeichnet.
Die vorstehend noch nicht berührte Materie der kolonialen Mandate ist
zufolge des Artikels
22 ebenso wie das Abrüstungsproblem dem
Völkerbund überwiesen. Es muß für beide Materien die
besondere Rechtslage betont werden, daß die sie betreffenden generellen
Bestimmungen des Paktes (Artikel 1,
8,
9,
22)
zufolge Artikel
26 [156] durch Beschluß des Völkerbundes
(Einstimmigkeit des Rates und Majorität der Bundesversammlung)
abgeändert werden können. Es ist also hier eine besonders
vorgesehene, im Wege der Völkerbundverhandlungen realisierbare
Revisionsmöglichkeit des Versailler Vertrages festzustellen.
Von der in den vorhergehenden Sätzen berührten besonderen
Legitimation des Völkerbundes für Revision des Versailler Vertrages
unterscheidet sich durchaus die Funktion, die der Bundesversammlung des
Völkerbundes durch Artikel
19 zugewiesen ist, welcher lautet:
"Die Bundesversammlung kann von Zeit zu Zeit die
Bundesmitglieder zu einer Nachprüfung der unanwendbar gewordenen
Verträge und solcher internationaler Verhältnisse auffordern, deren
Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte."
Für die Interpretation dieser Bestimmung ist erheblich, daß die
alliierten und assoziierten Regierungen in ihrer Mantelnote vom 16. Juni 1919
folgendes erklärt haben:
"daß dieser Vertrag nicht nur eine gerechte Erledigung des
großen Krieges darstellt, sondern daß er auch die Grundlage schafft,
auf der die Völker Europas in Freundschaft und Gleichheit zusammenleben
können. Er schafft aber auch gleichzeitig den Apparat für die
friedliche Erledigung aller internationalen Fragen durch Aussprache und
Übereinstimmung, wodurch die im Jahre 1919 getroffene Regelung selber von Zeit
zu Zeit abgeändert werden kann, um neuen Ereignissen und neuentstehenden
Verhältnissen angepaßt zu werden..."
Der von der zweiten Versammlung des Völkerbundes eingesetzte
Juristenausschuß (Scialoja, Urrutia, de Peralta), welcher die von Bolivien
beantragte Initiative der Bundesversammlung zur Revision des
bolivianisch-chilenischen Vertrages vom 20. Oktober 1904 zu begutachten hatte,
ist zu einem negativen Ergebnis, das heißt zu einer Ablehnung der
Intervention gelangt. Dabei wurde hervorgehoben, daß die
Bundesversammlung zu der Revision von Verträgen nicht befugt sei und nur
eine (unverbindliche) Aufforderung zur Nachprüfung ergehen lassen
könne. Bolivien, Chile, China haben (1920, 1921, 1925) sich vergeblich
bemüht, beim Völkerbund die Initiative zur Revision eines Vertrages
zu erreichen.
Man muß hiernach sagen, daß der Artikel
19 für die
Revisionsmöglichkeit des Versailler Vertrages praktisch so gut wie gar nicht
in Betracht kommt.
Es muß der Vollständigkeit halber bemerkt werden, daß der
Völkerbund in der Lage ist, gemäß Artikel
26 seiner Satzung
den Artikel
19 dahin zu ändern, daß seine Initiative die Revision von
Staatsverträgen mit stärkeren Konsequenzen auf den Weg bringt.
Damit [157] sind Entwicklungsmöglichkeiten gegeben,
welche für den Versailler Vertrag aber schwerlich praktische Bedeutung
gewinnen würden.
Das Gesamtergebnis der vorstehenden Darlegungen ist dahin zusammenzufassen,
daß die juristische Möglichkeit der Revision des Versailler Vertrages
für wichtige und umfangreiche Teile des Vertrages zu bejahen ist, daß
aber die politische Möglichkeit erfolgreicher Revision abhängt von
der Entwicklung des Willens zum Frieden und zu dauernder
völkerrechtlicher Ordnung auf der im Anfang dieser Abhandlung gezogenen
Linie.
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