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II. Mantelnote zur Antwort der Alliierten und Assoziierten Mächte an den Präsidenten der Deutschen Delegation


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Friedenskonferenz
Der Präsident

      An Seine Exzellenz
            den Herrn Grafen Brockdorff-Rantzau,
            Präsidenten der Deutschen Delegation,

Versailles.

Paris, den 16. Juni 1919.        

Herr Präsident!

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben den von der Deutschen Delegation über die Friedensbedingungen vorgebrachten Bemerkungen die ernsthafteste Erwägung zuteil werden lassen.

Die deutsche Antwort protestiert gegen den Frieden, zunächst als in Widerspruch mit den Bedingungen stehend, welche dem Waffenstillstand vom 11. November zur Grundlage gedient haben, sodann, da es ein Gewalts- und nicht ein Rechtsfrieden sei. Der Protest der Deutschen Delegation beweist, daß diese die Lage, in der sich Deutschland heute befindet, gänzlich verkennt. Die Deutsche Delegation scheint zu denken, Deutschland habe nur "Opfer zu bringen, um zum Frieden zu gelangen", als ob dieser Friede einzig und allein nur der Abschluß eines Kampfes um territorialen oder Machtgewinn wäre.

I.

Infolgedessen halten es die Alliierten und Assoziierten Mächte für erforderlich, ihre Antwort mit einer scharf umrissenen Darlegung ihres Urteils über den Krieg zu beginnen, ein Urteil, welches tatsächlich und letzten Endes dasjenige der Gesamtheit der zivilisierten Welt ist. Nach der Anschauung der Alliierten und Assoziierten Mächte ist der Krieg, der am 1. August 1914 zum Ausbruch gekommen ist, das größte Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Freiheit der Völker gewesen, welches eine sich für zivilisiert ausgebende Nation jemals mit Bewußtsein begangen hat. Während langer Jahre haben die Regierenden Deutschlands, getreu der preußischen Tradition, die Vorherrschaft in Europa angestrebt. Sie haben sich nicht mit dem wachsenden Gedeihen und Einfluß begnügt, nach welchen zu streben Deutschland berechtigt war, und welche alle übrigen Nationen bereit waren, ihm in der Gesellschaft der freien und gleichen Völker zuzugestehen. Sie haben getrachtet, sich dazu fähig zu machen, ein unterjochtes Europa zu beherrschen und zu tyrannisieren, so wie sie ein unterjochtes Deutschland beherrschten und tyrannisierten.

Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie durch alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ihren Untertanen die Lehre eingeschärft, in internationalen Angelegenheiten sei Gewalt Recht. Niemals haben sie davon abgelassen, die Rüstungen Deutschlands zu Wasser und zu Lande auszudehnen und die lügnerische Behauptung zu verbreiten, eine solche Politik sei nötig, weil Deutschlands Nachbarn auf sein Gedeihen und seine Macht eifersüchtig seien. Sie sind bestrebt gewesen, zwischen den Nationen an Stelle der Freundschaft Feindschaft und [78] Argwohn zu säen. Sie haben ein System der Spionage und der Intrigen entwickelt, welches ihnen gestattet hat, auf dem Gebiete ihrer Nachbarn Unruhen und innere Revolten zu erregen und sogar geheime Offensivvorbereitungen zu treffen, um sie im gegebenen Augenblick mit größerer Sicherheit und Leichtigkeit zerschmettern zu können. Sie haben durch Gewaltandrohungen Europa in einem Zustande der Gärung erhalten, und als sie festgestellt hatten, daß ihre Nachbarn entschlossen waren, ihren anmaßenden Plänen Widerstand zu leisten, da haben sie beschlossen, ihre Vorherrschaft mit Gewalt zu begründen.

Sobald ihre Vorbereitungen vollendet waren, haben sie einen in Abhängigkeit gehaltenen Bundesgenossen dazu ermuntert, Serbien innerhalb achtundvierzig Stunden den Krieg zu erklären. Von diesem Kriege, dessen Spieleinsatz die Kontrolle über den Balkan war, wußten sie recht wohl, er könne nicht lokalisiert werden und würde den allgemeinen Krieg entfesseln. Um diesen allgemeinen Krieg doppelt sicher zu machen, haben sie sich jedem Versuche der Versöhnung und der Beratung entzogen, bis es zu spät war; und der Weltkrieg ist unvermeidlich geworden, jener Weltkrieg, den sie angezettelt hatten, und für den Deutschland allein unter den Nationen vollständig ausgerüstet und vorbereitet war.

Indessen beschränkt sich die Verantwortlichkeit Deutschlands nicht auf die Tatsache, den Krieg gewollt und entfesselt zu haben. Deutschland ist in gleicher Weise für die rohe und unmenschliche Art, auf die er geführt worden ist, verantwortlich.

Obwohl Deutschland selber einer der Bürgen Belgiens war, haben seine Regierenden die Neutralität dieses durch und durch friedlichen Volkes, nachdem sie ihre Respektierung feierlich versprochen hatten, verletzt. Damit nicht zufrieden, sind sie mit kühler Überlegung zu einer Reihe von Hinrichtungen und Brandstiftungen geschritten, mit der einzigen Absicht, die Bevölkerung zu terrorisieren und sie eben durch die Schrecklichkeit ihrer Handlungen zu bändigen.

Die Deutschen sind es, welche als erste die giftigen Gase benutzt haben, trotz der fürchterlichen Leiden, die sich daraus ergeben mußten. Sie sind es, welche mit den Bombardements durch Flieger und der Beschießung von Städten auf weite Entfernung ohne militärische Gründe den Anfang gemacht haben, mit dem alleinigen Ziel vor Augen, die seelische Widerstandskraft ihrer Gegner, dadurch daß sie die Frauen und Kinder trafen, zu vermindern. Sie sind es, die den Unterseebootkrieg begonnen haben, eine Herausforderung von Seeräubern an das Völkerrecht, indem sie so eine große Anzahl von unschuldigen Passagieren und Seeleuten mitten auf dem Ozean, weit entfernt von jeder Hilfsmöglichkeit, auf Gnade und Barmherzigkeit den Winden und Wogen und, was noch schlimmer ist, den Besatzungen ihrer Unterseeboote ausgeliefert, dem Tode überantworteten. Sie sind es, die mit brutaler Roheit Tausende von Männern und Frauen und Kindern nach fremden Ländern in die Sklaverei verschleppt haben. Sie sind es, die sich hinsichtlich der Kriegsgefangenen, welche sie gemacht hatten, eine barbarische Behandlung erlaubt haben, vor welcher die Völker unterster Kulturstufe zurückgeschreckt wären.

Das Verhalten Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast beispiellos. Die schreckliche Verantwortlichkeit, die auf ihm lastet, läßt sich in der Tatsache zusammenfassend zum Ausdruck bringen, daß wenigstens sieben Millionen [79] Tote in Europa begraben liegen, während mehr als zwanzig Millionen Lebender durch ihre Wunden und ihre Leiden von der Tatsache Zeugnis ablegen, daß Deutschland durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei hat befriedigen wollen.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte halten dafür, daß sie denen, die ihr alles dahingegeben haben, um die Freiheit der Welt zu retten, nicht gerecht werden würden, wenn sie sich damit abfinden würden, in diesem Kriege kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das Recht zu erblicken.

Diese Stellungnahme der Alliierten und Assoziierten Mächte ist Deutschland während des Krieges selber von den Hauptstaatsmännern dieser Mächte mit völliger Klarheit auseinandergesetzt worden. Sie ist von dem Präsidenten Wilson in seiner Rede vom 6. April 1918 genau bestimmt und von dem deutschen Volke ausdrücklich und mit Bestimmtheit als ein leitender Grundsatz des Friedens angenommen worden:

      "Mögen alle unsere Worte, liebe Mitbürger, mögen von nun an alle unsere Pläne und alle unsere Handlungen mit dieser Antwort in Übereinstimmung stehen, bis die Majestät und die Gewalt unserer vereinten Macht ihrerseits das Gemüt derer, die dasjenige, was wir lieben und ehren, verspotten und verachten, durchdringt und ihre brutale Gewalt zunichte macht. Deutschland hat es noch einmal ausgesprochen, daß die Gewalt, und die Gewalt allein, darüber bestimmen wird, ob Gerechtigkeit und Friede die Angelegenheiten des Menschengeschlechts regieren solle, ob das Recht, so wie es Amerika auffaßt, oder die Vorherrschaft, so wie Deutschland sie auffaßt, die Geschicke der Menschheit bestimmen soll. Es gibt also für Euch nur eine einzige mögliche Antwort: Gewalt, Gewalt bis ans Ende, Gewalt ohne Grenzen und ohne Ende, die rechtmäßige und triumphierende Gewalt, welche das Recht zum Gesetz der Welt machen und jede Herrschaft, deren Ziele selbstsüchtig sind, in den Staub strecken wird."

Diese Stellungnahme ist in einer Rede des Premierministers von Großbritannien am 14. Dezember 1917 klar zum Ausdruck gekommen:

      "In keinem Lande herrscht Sicherheit ohne die Gewißheit der Bestrafung. In einem Staate, wo der Verbrecher mächtiger ist als das Gesetz, gibt es keinen Schutz für Leben, Eigentum oder Geld. Das Völkerrecht bildet keine Ausnahme, und, bis ihm Genugtuung zuteil geworden ist, wird der Weltfriede stets jeder beliebigen Nation auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert sein, deren Professoren sie angelegentlichst zu glauben gelehrt haben, kein Verbrechen sei ein Unrecht, solange es nur zu der Vergrößerung und Bereicherung des Landes führt, dem sie Treue und Anhänglichkeit schulden. Oftmals in der Weltgeschichte hat es verbrecherische Staaten gegeben. Wir haben es jetzt mit einem von ihnen zu tun. Und es wird stets Verbrecherstaaten geben, bis die Belohnung internationalen Verbrechens zu ungewiß wird, um es nutzbringend zu machen und bis die Bestrafung internationalen Verbrechens zu gewiß wird, um es noch anziehend zu machen."

[80] Dasselbe Prinzip ist in einer Rede des Herrn Clemenceau vom 17. September 1918 klar auseinandergesetzt worden:

      "Was wollen sie (die französischen Soldaten)? Was wollen wir selber? Kämpfen, unaufhörlich und siegreich kämpfen bis zu der Stunde, wo der Feind begreifen wird, daß kein Kompromiß zwischen einem solchen Verbrechen und der Gerechtigkeit möglich ist.
      ...............................
      Wir suchen nur den Frieden, und wir wollen ihn gerecht und dauerhaft machen, damit die künftigen Geschlechter vor den Abscheulichkeiten der Vergangenheit gesichert seien."

Ebenso hat Herr Orlando am 3. Oktober 1918 erklärt:

      "Wir werden den Frieden erlangen, wenn unsere Feinde erkennen werden, daß die Menschheit das Recht und die Pflicht hat, sich gegen die Fortdauer der Ursachen zu schützen, die dieses fürchterliche Gemetzel verursacht haben, und daß das von Millionen Menschen vergossene Blut zwar nicht nach Rache schreit, aber die Verwirklichung des hohen Ideals erheischt, für welches dieses Blut so freigebig verspritzt worden ist. Niemand denkt daran - selbst bei berechtigter Wiedervergeltung - Methoden brutaler Gewalt oder anmaßende Vorherrschaft oder Unterdrückung der Freiheit irgendeines Volkes anzuwenden -; denn diese Methoden und Politik sind es, welche die ganze Welt veranlaßten, sich gegen die Zentralmächte zu erheben. Niemand wird jedoch behaupten, daß die moralische Ordnung dadurch einfach wiederhergestellt werden kann, daß derjenige, dem sein widerrechtliches Bestreben mißlungen ist, erklärt, daß er auf sein Vorhaben verzichtet.
      Fragen, die bis ins Innerste das friedliche Leben der Völker beeinflussen, müssen, wenn einmal aufgeworfen, die Lösung erhalten, welche die Gerechtigkeit verlangt."

Die Gerechtigkeit ist also die einzige mögliche Grundlage für die Abrechnung dieses fürchterlichen Krieges. Gerechtigkeit ist das, was die Deutsche Delegation verlangt, und das, von dem diese Delegation erklärt, man habe es Deutschland versprochen. Gerechtigkeit soll Deutschland werden. Aber es muß das eine Gerechtigkeit für alle sein. Es muß das sein die Gerechtigkeit für die Toten, für die Verwundeten, für die Waisenkinder, für alle, die in Trauer sind, auf daß Europa von dem preußischen Despotismus erlöst werde. Gerechtigkeit muß den Völkern zuteil werden, welche heute unter einer Last von Kriegsschulden, die sich auf mehr als dreißig Milliarden Pfund Sterling beziffern, und die sie zur Wahrung der Freiheit auf sich genommen haben, fast zusammenbrechen. Gerechtigkeit muß den Millionen menschlicher Wesen zuteil werden, deren Haus und Herd, deren Grundbesitz, deren Fahrzeuge und deren Eigentum die deutsche Roheit geplündert und zerstört hat.

Deshalb haben die Alliierten und Assoziierten Mächte nachdrücklichst erklärt, Deutschland müsse als grundlegende Bedingung des Vertrages ein Werk der Wiedergutmachung bis zur äußersten Grenze seiner Fähigkeit unternehmen, ist doch die Wiedergutmachung des Unrechts, das man verursacht hat, das eigentlichste Wesen der Gerechtigkeit.

[81] Deshalb bestehen sie darauf, daß diejenigen Persönlichkeiten, welche am offensichtlichsten für den deutschen Angriff sowie für die Handlungen der Barbarei und der Unmenschlichkeit, die von deutscher Seite die Kriegführung geschändet haben, verantwortlich sind, einer Gerechtigkeit überantwortet werden, die sie bisher in ihrem eigenen Lande nicht ereilt hat. Deswegen auch muß Deutschland sich auf einige Jahre gewissen Beschränkungen und gewissen Sonderanordnungen unterwerfen.

Deutschland hat die Industrien, die Bergwerke und die Fabriken der ihm benachbarten Länder ruiniert. Es hat sie nicht während des Kampfes zerstört, sondern in der wohlüberlegten und erwogenen Absicht, seiner eigenen Industrie zu ermöglichen, sich der Märkte jener Lander zu bemächtigen, bevor ihre Industrie sich von der Verwüstung, die es ihnen in frivoler Weise zugefügt hatte, sich wieder hat erholen können. Deutschland hat seine Nachbarn alles dessen beraubt, was es nutzbar machen oder fortschleppen konnte. Es hat die Schiffe aller Nationen auf hoher See zerstört, da, wo es für die Passagiere und Besatzungen keine Rettungsaussicht gab. Es ist nur gerecht, daß Ersatz geleistet wird und daß die so mißhandelten Völker einige Zeit gegen die Konkurrenz einer Nation geschützt werden, deren Industrien intakt sind, ja sogar durch die in den besetzten Gebieten gestohlenen Ausrüstungsgegenstände eine Stärkung erfahren haben. Wenn dies harte Prüfungen für Deutschland sind, so ist es Deutschland selber, welches sie sich zugezogen hat. Einer muß unter den Folgen des Krieges leiden. Wer soll leiden? Deutschland oder nur die Völker, denen Deutschland Böses zugefügt hat?

Allen denen, die ein Recht auf Gerechtigkeit haben, sie nicht widerfahren zu lassen, das hieße, die Welt neuen Unheilen ausgesetzt lassen. Wenn das deutsche Volk selber oder irgendeine andere Nation davon abwendig gemacht werden soll, den Spuren Preußens zu folgen, wenn die Menschheit von der Überzeugung befreit werden soll, ein Krieg für selbstsüchtige Ziele sei jedem Staate erlaubt, wenn die alten Ideen in die Vergangenheit verwiesen werden sollen, und wenn die Nationen wie die Einzelwesen sich unter die Herrschaft des Gesetzes schicken sollen, ja, wenn sogar in einer nahen Zukunft die Rede von Versöhnung und Beruhigung sein soll, so wird das geschehen, weil diejenigen, welche die Verantwortung für den Friedensschluß tragen, den Mut gehabt haben, darüber zu wachen, daß der Gerechtigkeit keine Gewalt angetan werde, wegen des bloßen Vorteils eines bequemen Friedens.

Die deutsche Denkschrift behauptet, es müsse der deutschen Revolution Rechnung getragen werden, und das deutsche Volk sei nicht verantwortlich für die Politik seiner Regierenden, da es sie ja aus der Macht vertrieben habe.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte erkennen die eingetretene Veränderung an und beglückwünschen sich dazu. Diese Umwandlung stellt eine große Friedenshoffnung und eine Neuordnung für die Zukunft Europas dar. Aber sie kann die Liquidierung des Krieges selbst nicht berühren. Die deutsche Revolution wurde verzögert, bis die deutschen Heere im Felde geschlagen worden waren, bis jede Hoffnung, aus einem Eroberungskriege Nutzen zu ziehen, sich verflüchtigt hatte. Sowohl während des ganzen Verlaufs des Krieges wie auch vor dem Kriege ist das deutsche Volk und sind seine Vertreter für den Krieg gewesen; sie haben für die Kredite gestimmt, sie haben die Kriegsanleihen gezeichnet, sie haben allen Befehlen ihrer Regierung, so roh auch diese Befehle sein mochten, gehorcht. Sie haben die Verantwortung für die Politik ihrer Regierung geteilt; hätten sie sie doch [82] in jedem Augenblick, wenn sie nur gewollt hätten, stürzen können. Wenn diese Politik der deutschen Regierung geglückt wäre, so hätte das deutsche Volk ihr mit ebensoviel Begeisterung zugejauchzt, wie es den Kriegsausbruch begrüßt hat. Das deutsche Volk kann also nicht behaupten, daß, weil es, nachdem der Krieg einmal verloren, seine Regierenden gewechselt hat, die Gerechtigkeit wolle, daß es den Folgen seiner Kriegshandlungen entzogen werde.

II.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte glauben demnach, daß der Friede, den sie vorgeschlagen haben, seinem Grundwesen nach ein Rechtsfriede ist. Sie sind nicht weniger gewiß, daß es ein Friede des Rechtes ist, in Gemäßheit der im Augenblick des Waffenstillstandes anerkannten Grundsätze. Man kann wohl nicht an der Absicht der Alliierten und Assoziierten Mächte zweifeln, zur Grundlage der europäischen Ordnung das Prinzip zu machen, die unterdrückten Völker zu befreien und die nationalen Grenzen soweit wie möglich gemäß dem Willen der in Frage kommenden Völker neu zu ziehen, indem sie zu gleicher Zeit jedem Volke alle Erleichterungen zuteil werden lassen, um in völkischer und wirtschaftlicher Beziehung ein unabhängiges Leben zu führen. Diese Absicht ist nicht nur in der Rede des Präsidenten Wilson im Kongreß vom 8. Januar 1918 kundgetan worden, sondern in "den Grundsätzen der Regelung, die in den folgenden Reden zur Kenntnis gebracht worden sind", und welche die angenommene Grundlage des Friedens waren. Eine Denkschrift über diese Frage ist der vorliegenden Note in der Anlage beigefügt.

In Anwendung dieser Grundsätze haben die Alliierten und Assoziierten Mächte Bestimmungen getroffen, um Polen als unabhängigen Staat wiederherzustellen, mit "einem freien und sicheren Zugang zum Meere". Alle die "von unzweifelhaft polnischen Bevölkerungen bewohnten Gebiete" sind Polen zuerkannt worden. Alle von einer deutschen Mehrheit bewohnten Gebiete sind, abgesehen von einigen vereinzelten Städten und von auf vor kurzem gewaltsam enteigneten Landgütern gegründeten und inmitten unzweifelhaft polnischer Landstriche belegenen Ansiedelungen, Deutschland belassen worden. Überall, wo der Wille des Volkes zweifelhaft ist, ist eine Volksabstimmung vorgesehen worden. Die Stadt Danzig soll die Verfassung einer Freistadt erhalten; ihre Einwohner sollen autonom sein; sie sollen nicht unter die Herrschaft Polens kommen und werden keinen Teil des polnischen Staates bilden. Polen soll gewisse wirtschaftliche Rechte in Danzig bekommen; die Stadt selber ist von Deutschland abgetrennt worden, weil es kein anderes mögliches Mittel gab, ihr jenen "freien und sicheren Zugang zum Meere" zu verschaffen, welchen Deutschland abzutreten versprochen hatte.

Die deutschen Gegenvorschläge stehen im vollständigen Widerspruch zu der vereinbarten Grundlage des Friedens. Sie zielen darauf ab, große Majoritäten unstreitbar polnischer Bevölkerung unter deutscher Herrschaft zu halten.

Um die Landverbindung zwischen Ost- und Westpreußen aufrechtzuerhalten, deren Handel stets in der Hauptsache durch Küstenschiffahrt befördert worden ist, soll einer Nation von über zwanzig Millionen Menschen, die bis an die Küste heran in der Bevölkerung die Majorität bilden, der sichere Zugang zur See verweigert werden. Diese Vorschläge können daher von den Alliierten und Assoziierten Mächten nicht angenommen werden. Gleichzeitig hat jedoch die deutsche Note in gewissen [83] Fällen die Berechtigung einer Abänderung dargetan, welche erfolgen soll; und mit Rücksicht auf die Behauptung, daß Oberschlesien, obgleich die Bevölkerung im Verhältnis von 2 zu 1 überwiegend polnisch ist (1 250 000 gegen 650 000 nach der deutschen Volkszählung von 1910), bei Deutschland zu verbleiben wünscht, sind die Alliierten und Assoziierten Mächte damit einverstanden, daß die Frage, ob Oberschlesien zu Deutschland oder zu Polen gehören soll, durch Abstimmung der Bevölkerung selber entschieden wird.

Das von den Alliierten und Assoziierten Mächten für das Saarbecken vorgeschlagene Regime soll 15 Jahre dauern. Die Mächte haben diese Regelung für erforderlich gehalten, sowohl mit Rücksicht auf den allgemeinen Plan der Wiedergutmachung als auch, um Frankreich sofortige und gewisse Entschädigung für die willkürliche Zerstörung seiner im Norden belegenen Kohlenminen zu sichern. Das Gebiet ist nicht unter französische Oberhoheit gestellt, sondern unter die Kontrolle des Völkerbundes. Diese Regelungsweise hat den zwiefachen Vorteil, daß hierdurch keine Annexion vollzogen wird, während sie gleichzeitig den Besitz der Kohlenfelder an Frankreich überträgt und die wirtschaftliche Einheit des Gebietes aufrechterhält, welche für die Interessen der Einwohner von solcher Wichtigkeit ist. Nach Ablauf der 15 Jahre wird die gemischte Bevölkerung, welche in der Zwischenzeit ihre eigenen örtlichen Angelegenheiten unter der regierenden Aufsicht des Völkerbundes geregelt haben wird, volle Freiheit haben, um darüber zu entscheiden, ob sie die Vereinigung mit Deutschland oder die Vereinigung mit Frankreich oder die Fortsetzung des durch den Vertrag begründeten Regimes vorzieht.

Was die Gebiete anbelangt, deren Übertragung von Deutschland an Dänemark und Belgien vorgeschlagen worden ist, so sind einige von diesen von Preußen gewaltsam angeeignet worden, in jedem Falle aber wird eine Übertragung nur stattfinden auf Grund der Entscheidung der Bevölkerung, die unter Bedingungen gefällt werden soll, welche die volle Wahlfreiheit sichern.

Endlich haben die Alliierten und Assoziierten Mächte sich davon überzeugen können, daß die eingeborenen Bevölkerungen der deutschen Kolonien starken Widerspruch dagegen erheben, daß sie wieder unter Deutschlands Oberherrschaft gestellt werden, und die Geschichte dieser deutschen Oberherrschaft, die Traditionen der Deutschen Regierung und die Art und Weise, in welcher diese Kolonien verwandt wurden als Ausgangspunkte für Raubzüge auf den Handel der Erde, machen es den Alliierten und Assoziierten Mächten unmöglich, Deutschland die Kolonien zurückzugeben oder dem Deutschen Reiche die Verantwortung für die Ausbildung und Erziehung der Bevölkerung anzuvertrauen.

Aus diesen Gründen sind die Alliierten und Assoziierten Mächte davon überzeugt, daß ihre territorialen Vorschläge sowohl mit der vereinbarten Grundlage des Friedens, als auch mit den notwendigen Voraussetzungen für den künftigen Frieden Europas in Einklang stehen. Sie sind daher nicht geneigt, sie über das angegebene Maß hinaus abzuändern.

III.

In Verbindung mit der Regelung der territorialen Fragen stehen die Vorschläge hinsichtlich internationaler Kontrolle der Flüsse. Es entspricht genau der vereinbarten Friedensgrundlage und dem anerkannten öffentlichen Rechte Europas, [84] daß Binnenstaaten ein sicherer Zugang zum Meere auf den durch ihr Gebiete fließenden schiffbaren Flüssen zusteht. Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind der Ansicht, daß die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen für das freie Leben der jetzt neu begründeten Binnenstaaten unentbehrlich sind und keine Schmälerung der Rechte der übrigen Uferstaaten darstellen. Von dem Gesichtspunkte der überholten Lehre aus betrachtet, daß jeder Staat sich in einem Verzweiflungskampfe befindet um die Oberherrschaft über seine Nachbarn, erscheint ohne Zweifel eine solche Regelung als geeignet, den Angreifer an der gewaltsamen Erdrosselung seines Gegners zu verhindern. Wenn es aber das ideale Ziel ist, daß die Völker auf der Bahn des Handels und des Friedens gemeinsam vorgehen sollen, so ist diese Regelung natürlich und gerecht. Die vorgeschriebene Hinzuziehung von Vertretern von Nichtuferstaaten zu den für diese Flüsse vorgesehenen Kommissionen dient dazu, die Berücksichtigung des Interesses der Gesamtheit zu sichern. In der Durchführung dieser Grundsätze sind jedoch einige Abänderungen der ursprünglichen Vorschläge gemacht worden.

IV.

Die Deutsche Delegation hat offenbar die wirtschaftlichen und finanziellen Bestimmungen in erheblichen Punkten falsch verstanden. Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben keinerlei Absicht, Deutschland zu erdrosseln oder daran zu hindern, den ihm zukommenden Platz im Welthandel einzunehmen. Wenn Deutschland den Friedensvertrag hält und jene aggressiven und selbstsüchtigen Tendenzen aufgibt, die ebenso in seiner geschäftlichen wie auch in seiner politischen Handlungsweise zutage getreten sind, so haben die Alliierten und Assoziierten Mächte die Absicht, daß Deutschland gerecht behandelt werden soll hinsichtlich des Bezuges von Rohstoffen und des Absatzes von Waren, beschränkt nur durch die bereits erwähnten Übergangsvorschriften, welche im Interesse der von Deutschland ausgeplünderten und geschwächten Völker erlassen sind. Sie wünschen, daß die durch den Krieg wachgerufenen Leidenschaften möglichst bald aussterben sollen, und daß alle Nationen Anteil haben sollen an dem Wohlstande, der sich aus der ehrlichen Versorgung der gegenseitigen Bedürfnisse entwickelt. Sie wünschen, daß Deutschland diesen Wohlstand genießen soll ebenso wie die anderen Völker, obgleich viele der daraus gewonnenen Früchte notwendigerweise auf viele Jahre hinaus verwandt werden müssen zur Wiedergutmachung der an den Nachbarn begangenen Schäden. Um an dieser ihrer Absicht keinen Zweifel bestehen zu lassen, sind eine Anzahl Veränderungen in den finanziellen und wirtschaftlichen Bedingungen des Vertrages gemacht worden. Aber die Grundsätze, auf denen der Vertrag aufgebaut ist, müssen bestehen bleiben.

V

Die Deutsche Delegation hat die Vorschläge des Vertrages hinsichtlich der Wiedergutmachung in erheblichem Maße falsch verstanden.

Nach diesen Vorschlägen ist die von Deutschland zu zahlende Summe auf dasjenige beschränkt, was nach den Bedingungen des Waffenstillstandes über den der Zivilbevölkerung der Alliierten Staaten durch deutschen Angriff verursachten Schaden zweifelsfrei gerechtfertigt ist. Sie bedingen nicht einen solchen Eingriff [85] in die inneren Verhältnisse Deutschlands von seiten der Commission des Réparations als von der Gegenseite behauptet worden ist.

Sie verfolgen das Ziel, die Zahlung der Reparation, die von Deutschland geschuldet wird, so leicht und angenehm als möglich für beide Teile zu gestalten, und werden auch in diesem Sinne ausgelegt werden. Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind daher nicht geneigt, Änderungen an ihnen vorzunehmen.

Sie stimmen jedoch mit der Deutschen Delegation darin überein, daß es erwünscht ist, so bald wie möglich die von Deutschland zu zahlende Summe in Übereinstimmung mit den Alliierten endgültig festzusetzen. Es ist nicht möglich, diese Summe heute zu bestimmen, da der Umfang des Schadens und die Kosten der Wiederherstellung noch nicht festgestellt worden sind. Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind daher bereit, dem Deutschen Reiche alle möglichen und angemessenen Erleichterungen zuteil werden zu lassen, damit es die zerstörten und beschädigten Gebiete besichtigen und daraufhin binnen vier Monaten nach Unterzeichnung des Vertrages Vorschläge machen kann für eine Regelung der Ansprüche auf Grund der verschiedenen Schadensarten, für die Deutschland verantwortlich ist. Sollte es möglich sein, in den darauffolgenden zwei Monaten zu einer Vereinbarung zu gelangen, so wird der genaue Umfang der deutschen Schuld dadurch festgestellt worden sein. Wenn eine solche Vereinbarung nicht zustande kommt in der angegebenen Zeit, so wird die vom Vertrage vorgesehene Regelungsweise zur Anwendung gelangen.

VI.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben dem Antrage der Deutschen Delegation, Deutschland sofort in den Völkerbund aufzunehmen, sorgfältige Beachtung zuteil werden lassen. Sie sind jedoch nicht in der Lage, diesem Antrage stattzugeben.

Die deutsche Revolution ist bis auf die letzten Augenblicke des Krieges verschoben worden, und es besteht bisher keine Gewähr dafür, daß die durch sie vollzogene Änderung einen dauernden Zustand darstellt.

Mit Rücksicht auf die gegenwärtige Stimmung unter den Völkern der Welt ist es nicht möglich, zu erwarten, daß die freien Völker der Erde sich sofort in gleichberechtigter Gemeinschaft mit jenen zusammen niederlassen, von denen sie so schweres Unrecht erlitten haben. Diesen Schritt in einem zu frühen Zeitpunkt zu versuchen, würde heißen, den Prozeß der Versöhnung, den alle wünschen, aufzuhalten anstatt zu fördern.

Aber die Alliierten und Assoziierten Mächte glauben, daß, wenn das deutsche Volk durch Handlungen beweist, daß es die Absicht hat, die Friedensbedingungen zu erfüllen, und daß es jene aggressive und trennende Politik, welche den Krieg herbeiführte, aufgegeben hat, und daß es nunmehr ein Volk geworden ist, mit dem man in nachbarlicher Kameradschaft leben kann, dann werden die Erinnerungen der vergangenen Jahre bald entschwinden, und es wird möglich sein, bald den Völkerbund durch die Aufnahme von Deutschland zu vervollständigen. Es ist die aufrichtige Hoffnung der Alliierten und Assoziierten Mächte, daß dies der Fall sein möge. Sie glauben, daß die Aussichten für die Zukunft der Welt abhängen werden von der freundschaftlichen und engen Zusammenarbeit aller Volker in der Regelung internationaler Fragen und in der Förderung des Wohlstandes und des Fortschrittes der Menschheit. Der frühe Eintritt Deutschlands in den Bund muß jedoch in der Hauptsache abhängen von der Haltung des deutschen Volkes selber.

[86]
VII.

In ihren Erörterungen über die wirtschaftlichen Fragen und auch an anderen Stellen hat die Deutsche Delegation die von den Alliierten und Assoziierten Mächten angewandte Blockade wiederholt verurteilt.

Die Blockade ist und war immer eine rechtmäßige und anerkannte Kriegsmaßnahme; ihre Anwendung ist von Zeit zu Zeit den veränderten Verhältnissen im internationalen Verkehrswesen angepaßt worden.

Wenn die Alliierten und Assoziierten Mächte Deutschland gegenüber eine Blockade von besonderer Strenge angewandt haben, welche sie in konsequenter Weise den Grundsätzen des Völkerrechtes anzupassen suchten, so geschah dies wegen des verbrecherischen Charakters des von Deutschland angefangenen Krieges und wegen der barbarischen Methode, welche Deutschland in der Durchführung dieses Krieges angewandt hat.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben es nicht unternommen, auf alle Behauptungen der deutschen Note im einzelnen begründet zu antworten. Wenn einige der Ausführungen dieser Note mit Stillschweigen übergangen weiden, so bedeutet es nicht, daß sie zugegeben werden oder daß ihre Diskutierbarkeit anerkannt wird.

VIII.

Zum Schluß müssen die Alliierten und Assoziierten Mächte es offen aussprechen, daß dieser Brief und die angeschlossene Denkschrift ihr letztes Wort in der Angelegenheit darstellen.

Sie haben die deutschen Bemerkungen und Gegenvorschläge mit ernster Aufmerksamkeit und Sorgfalt durchgeprüft. Sie haben in Verfolg dieser Prüfung wichtige praktische Konzessionen gemacht, sie müssen jedoch die Grundsätze des Vertrages aufrechterhalten.

Sie sind der Ansicht, daß dieser Vertrag nicht nur eine gerechte Erledigung dieses großen Krieges darstellt, sondern daß er auch die Grundlage schafft, auf der die Völker Europas in Freundschaft und Gleichheit zusammen leben können. Er schafft aber auch gleichzeitig den Apparat für die friedliche Erledigung aller völkerrechtlichen Fragen durch Aussprache und Übereinstimmung, wodurch die im Jahre 1919 geschaffene Regelung selber von Zeit zu Zeit abgeändert werden und neuen Ereignissen und neu entstehenden Verhältnissen angepaßt werden kann.

Er ist, wie offen ausgesprochen werden kann, nicht gegründet auf einer allgemeinen Entschuldigung der Ereignisse der Jahre 1914 bis 1918. Wäre das der Fall, so wäre kein Rechtsfrieden geschaffen. Der Vertrag stellt jedoch einen ehrlichen und bewußten Versuch dar, "jene Herrschaft des Rechts, gegründet auf der Übereinstimmung der Regierten und erhalten durch die organisierte öffentliche Meinung der Menschheit", zu schaffen, welche als Grundlage des Friedens vereinbart wurde.

In diesem Sinne muß der Friede in seiner jetzigen Gestalt entweder angenommen oder abgelehnt werden.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte fordern daher eine Erklärung der Deutschen Delegation binnen 5 Tagen, vom Datum dieser Mitteilung, daß sie bereit ist, den Vertrag in seiner heutigen Gestalt zu unterzeichnen.

[87] Wenn die Delegation innerhalb dieser Frist ihre Bereitschaft erklärt, den Vertrag in seiner jetzigen Gestalt zu unterzeichnen, so werden Vorbereitungen für die sofortige Unterzeichnung des Friedens in Versailles getroffen werden.

Mangels einer solchen Erklärung stellt diese Mitteilung die Notifikation dar, welche in Artikel 2 der Vereinbarung vom 16. Februar 1919 über die Verlängerung des Waffenstillstandes, gezeichnet am 11. November 1918 und bereits verlängert durch die Vereinbarungen vom 13. Dezember 1918 und 16. Januar 1919, enthalten ist. Der genannte Waffenstillstand wird damit beendet sein und die Alliierten und Assoziierten Mächte werden diejenigen Schritte ergreifen, die sie zur Erzwingung ihrer Bedingungen für erforderlich halten.


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Das Ultimatum der Entente.
Vollständiger Text der Mantelnote
und der Antwort auf die deutschen Gegenvorschläge.

Deutsche Liga für Völkerbund.