[41] III. Das Deutschtum in nichtdeutschen Staaten 1. Nordschleswig Der besondere Charakter, den das Problem des Grenzlanddeutschtums in Nordschleswig im Unterschied von den an unserer Ost- und Westgrenze sich erhebenden Fragen aufweist, liegt darin begründet, daß deutsches Volkstum hier im Grenzkampf mit einem stammverwandten, germanischen Volkstum steht. Daß das im Jahre 1864 zugunsten Deutschlands entschiedene schleswigsche Problem abermals aufgerollt und nun unter gern gewährter Hilfsleistung der Weltkriegssieger gegen die frühere Großmacht zugunsten des kleinen Staates Dänemark gelöst wurde, beweist den ungeheuren Sturz des Bismarckreiches, dessen Machtlosigkeit kaum an einer Grenze noch, nicht einmal mehr gegen einen "neutral" gebliebenen Kleinstaat, den alten Bestand zu wahren vermochte. Seit im Jahre 1326 Graf Gerhard von Schauenburg Schleswig und Holstein unter einer Herrschaft vereinigt hatte, sind die beiden Länder bis zum Schicksalsjahr 1918 ungeteilt geblieben; "up ewig ungedeelt" war der Wahlspruch, den sie selbst sich gegeben hatten. 1459, als das Grafengeschlecht der Schauenburger ausstarb, erwarb der dänische König die beiden "meerumschlungenen" Provinzen in Personalunion. Aber in ihnen blieb der deutsche kulturelle Einfluß - der ja auch in Dänemark selbst, namentlich in Kopenhagen, bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts sehr groß war - ebenso beherrschend wie der Gedanke der Zusammengehörigkeit, der die dänischredende Minderheit des nördlichen Schleswig mit der großen deutschen Mehrheit im mittleren und südlichen Schleswig und in ganz Holstein verband. Die lose politische Verbindung mit Dänemark blieb ungestört bis zu der Zeit, da - etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts - dänischer Nationalismus die Personalunion durch völliges Aufgehen im dänischen Staate zu ersetzen versuchte. Diese politischen Bestrebungen wollte der dänische Nationalismus zunächst einmal durch kulturelle Werbearbeit im dänischredenden Teil Nordschleswigs unterbauen, wobei ihm die "eiderdänische" Partei in Kopenhagen Hilfestellung leistete. Aber auch in der deutschen Bevölkerung der beiden Schwesterprovinzen weckte diese dänische Agitation die nationalen Gegenkräfte, die unter [42] Führung des Sylter Landvogts Uwe Jens Lornsen und des Kieler Historikers Dahlmann mit größter Entschiedenheit die Sonderart und innige Verbundenheit Schleswig-Holsteins betonten und ein Aufgehen im dänischen Staate ablehnten. Als im Frühjahr 1848 der eben zur Regierung gekommene König Friedrich VII. die Einverleibung Schleswigs in den dänischen Staat verkündete, brach die offene militärische Empörung los; aber wenn diese zunächst durch die Unterstützung des Deutschen Bundes Aussicht auf Verwirklichung ihrer Ziele zu haben schien, so führten doch die mit der schleswig-holsteinischen Frage verknüpften internationalen Verwicklungen schließlich zu dem betrübenden Ausgang des Londoner Protokolls vom 8. Mai 1852, das die Herzogtümer, den Zielen des dänischen Nationalismus entsprechend, dem dänischen Staat eingliederte. Theodor Storm, der Sohn Husums, der "grauen Stadt am Meer", schrieb damals die berühmten Verse, die von dem in allem Leide unerschütterten Mute der Deutschen Schleswig-Holsteins zur Zukunft Zeugnis ablegten:
Sie meinen, Schleswig-Holstein zu begraben. Brich nicht, mein Herz! Noch sollst du Freude haben; Wir haben Kinder noch, wir haben Knaben, Und auch wir selber leben, Gott sei Dank!" Die Periode ungehemmter Dänisierungsbestrebungen, die nun folgte, fand, rascher als man es wohl in Schleswig-Holstein selbst gehofft hatte, durch das Jahr 1864 und den gemeinsamen deutsch-österreichischen Kampf gegen Dänemark ein Ende. Nachdem zunächst einmal die Herzogtümer durch die beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich gemeinsam regiert worden waren, brachte der den deutschen Bruderkrieg von 1866 beendende Friede von Prag die Einverleibung in Preußen. So war das politische Schicksal der beiden Herzogtümer, die ebenso wie Elsaß-Lothringen mit dem Werden des neuen kleindeutschen Reiches eng verbunden gewesen sind, für etwa ein halbes Jahrhundert entschieden. Da eine ursprünglich vorgesehene Abgrenzung nach nationalen Gesichtspunkten nicht vorgenommen wurde, sondern die Herzogtümer in ihrer alten Abgrenzung als Provinz im preußischen Staate aufgingen, sah Preußen sich nunmehr der Existenz einer dänischen Minderheit in seinen Grenzen gegenüber. Man kann nicht sagen, daß die preußische Politik gegenüber diesem nordschleswigschen Dänentum sehr geschickt oder erfolgreich gewesen wäre. Während zunächst für die dänische Minderheit die dänische [43] Schulsprache belassen wurde, ging seit dem Jahre 1888 die preußische Verwaltung zu einer scharfen Unterdrückungspolitik gegenüber dem Dänentum über, die nun bei der dänischen Bevölkerung die gleiche Gegnerschaft auslöste, wie einst die Dänisierungsbestrebungen im Deutschtum Schleswig-Holsteins. Der Führer des Dänentums war der Reichstagsabgeordnete H. P. Hanssen, dessen unheilvolle Tätigkeit im Jahre 1918 nicht zum wenigsten dazu geführt hat, daß die nordschleswigsche Frage eine Lösung fand, die eine schwere Belastung für die Beziehungen zwischen den beiden stammverwandten Völkern Deutschlands und Dänemarks bedeutet. Was das deutsche Volk gegen die in Versailles getroffene Regelung der nordschleswigschen Frage einzuwenden hat, ist dies: daß, anstatt auf die von der deutschen Regierung ausgesprochene Bereitwilligkeit zur Regelung der Grenzfragen auf dem Wege der Verständigung einzugehen, das germanische Dänemark sich nicht gescheut hat, den Weg über Versailles und die Siegermächte einzuschlagen, um so als einziger neutraler Staat auch sein Teil von der Siegesbeute davonzutragen; und daß auf diesem Wege die endgültige Abgrenzung in einer Weise getroffen wurde, die nicht den nationalen Verhältnissen entspricht, sondern einen Teil des geschlossenen deutschen Sprachgebiets dem dänischen Staate überantwortet hat. Es kommt nicht darauf an, daß es sich dabei nur um eine verhältnismäßig kleine Zahl deutscher Menschen handelt, die so zwangsweise aus dem Körper des Deutschen Reiches herausgelöst wurden; das Wesentliche ist, daß durch dieses Vorgehen Dänemarks die Gewaltmethoden von Versailles auch auf eine Frage Anwendung fanden, für die alle Voraussetzungen einer dauernden, den nationalen Interessen beider Parteien gerechtwerdenden Lösung gegeben waren. Der Versailler Vertrag sah in seinen Artikeln 109 - 111 eine Volksabstimmung vor, die in zwei Zonen vor sich gehen sollte. Der "Wunsch der Bevölkerung", nach dem die Grenze gezogen werden sollte, wäre nur bei einer gemeindeweisen Abstimmung einwandfrei zu ermitteln gewesen; aber für die erste, nördliche Zone wurde festgelegt, daß sich das Wahlergebnis nach [44] der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen richten sollte. So war es von vornherein klar, daß die deutsche Bevölkerung an der Südgrenze dieser ersten Zone durch die Mehrheit des fast rein dänischen Nordens überstimmt werden würde. Tatsächlich ergab denn auch die Abstimmung am 10. Februar 1920 eine dänische Mehrheit von 74%. Eine deutsche Mehrheit wiesen die Städte Tondern, Apenrade und Sonderburg, der Flecken Hoyer und weitere 37 Landgemeinden auf. Die Abstimmung in der zweiten Zone, die am 14. März stattfand, wurde trotz aller von dem valutastarken Dänemark ausgehenden Lockungen ein voller Mißerfolg für den dänischen Chauvinismus, für den insbesondere die Stadt Flensburg ein lockendes Ziel bedeutete. Nur 20% der abgegebenen Stimmen entfielen auf Dänemark.
Die Grenzziehung, die auf Grund dieser Abstimmungsergebnisse vorgenommen wurde, ist weder nach nationalen noch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Nach der Volkszählung von 1910 lebten in dem abgetretenen Gebiet rund 40 000 Menschen mit deutscher Muttersprache, die 25% der Gesamtbevölkerung ausmachten; dieser Verhältnissatz deckt sich also fast vollständig mit dem Abstimmungsergebnis. Das geschlossene deutsche Sprachgebiet reicht westlich mit der Stadt Tondern und dem Flecken Hoyer, in der Mitte um Tingleff über die neue dänische Grenze hinaus. Diese Zerschneidung des geschlossenen deutschen Sprachgebiets ist es, die auch die Grenzziehung in Schleswig mit dem Brandmal der Mißachtung des Nationalitätenprinzips stempelt. Wirtschaftlich hat vor allem für die Stadt Tondern, von deren annähernd 5 000 Einwohnern 1910 75% deutsch waren, die Grenzziehung schwere Nachteile gebracht. Ihr wichtiger Viehmarkt wurde durch diese von seinen im Süden gelegenen Einkaufsgebieten abgetrennt. Im Süden bildet ein Gegenstück zu der Lage Tonderns die Stadt Flensburg, die jetzt hart an die dänische Grenze gerückt ist; die Grenze geht mitten durch [45] die Flensburger Föhrde durch und stört die bisherige enge Verbindung zwischen der Stadt und dem Nordufer der Föhrde aufs empfindlichste. Für Deutschland war eine äußerst unangenehme Wirkung der Grenzziehung die Zerschneidung der bisherigen Eisenbahnverbindung nach Sylt über Tondern - Hoyer; die Züge nach Sylt mußten daher durch dänisches Gebiet geleitet werden, bis durch den Bau des am 1. Juni 1927 [46] in Betrieb genommenen "Hindenburgdamms" durchs Wattenmeer wieder eine direkte Verbindung zwischen Sylt und dem deutschgebliebenen Teil des Festlandes hergestellt wurde. Wirtschaftlich ist das abgetretene Nordschleswig ein fast rein agrarisches Gebiet; 60,9% der berufstätigen Bevölkerung betrieben Landwirtschaft, nur 20,9% gehörten dem Handwerk und der Industrie an. Dieser überwiegend agrarischen Struktur entspricht auch der geringe Anteil der städtischen Bevölkerung. Das Dänentum ist erfolgreich bemüht, den Grundbesitz als die wirtschaftliche Grundlage des Deutschtums in zunehmendem Maße in seine Hand zu bringen, wozu besonders auch der Übergang der Domänen in die Hände des dänischen Staates beigetragen hat. Der Anteil des Deutschtums am Grundbesitz im abgetretenen Gebiet, der 1918 noch 54% betrug, war 1922 auf 24% gesunken!1
So schmerzlich die Anwendung des reinen Machtprinzips auf die Grenzziehung
auch gerade bei dem stammverwandten germanischen Dänemark
berührt, so soll doch auf der anderen Seite nicht verkannt werden,
daß die dänische Politik gegenüber der deutschen Minderheit
versöhnlicher eingestellt ist und nicht das Übermaß von
Bedrückung und Gewissenszwang aufweist, wie wir es bei den meisten
anderen Gebieten des Grenzlanddeutschtums leider feststellen müssen.
Allerdings dürfte dazu auch der Umstand beitragen, daß ja auch noch
im deutschen Teil Schleswigs eine dänische Minderheit
zurückgeblieben ist (nach der Volkszählung von 1925 etwa 5000
Menschen), für die eine auf Assimilation eingestellte Minderheitenpolitik
des dänischen Staates leicht unliebsame Rückwirkungen haben
könnte. Jedenfalls ist festzustellen, daß im wichtigsten Punkt, in der
Schulfrage, heute sowohl nördlich wie südlich der Grenze eine
Regelung getroffen ist, die für die Kinder der Minderheit [47] einen Unterricht in ihrer Muttersprache
ermöglicht. Wenn diese Regelung auch noch nicht alle Wünsche
erfüllt, so ist damit doch der Grenzkampf zwischen den beiden
Völkern, der als solcher immer bestehenbleiben wird, der Sphäre des
brutalen Nationalismus entrückt und auf ein Gebiet
übergeführt, auf dem es sich wirklich um einen Wettstreit mit
geistigen Waffen handelt. Je mehr Dänemark sich entschließt, auf
alle Methoden minderheitsfeindlicher Politik zu verzichten, desto eher wird eine
Bereinigung der Atmosphäre zwischen Deutschland und Dänemark
eintreten können.
Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, Kapitel "Schleswig-Holstein." Deutschtum in Not! Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches, besonders das Kapitel "Das Deutschtum in Nordschleswig." Zehn Jahre Versailles, besonders Bd. 3 Kapitel "Gegnerische Gebietsforderungen und ihre Vorgeschichte: Die Dänen" und Kapitel "Gefährdung und Gebietsverlust durch Abstimmung: Nordschleswig."
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