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Der grenzdeutsche Gürtel (Teil 2)
Das Deutschtum in Nordschleswig
Unter den verschiedenen Nationalitätenfragen Mitteleuropas nimmt die
nordschleswigsche Frage eine ganz besondere Stellung ein. Kein Rassegesetz,
kein konfessioneller Unterschied, ja kaum ein verschiedener Sprachgebrauch
trennt hier die beiden miteinander ringenden Bevölkerungen. Es kann keine
Linie gezogen werden, die Deutsche und Dänen in Nordschleswig reinlich
voneinander trennen könnte. Die nationale Grenze geht vielmehr vielfach
durch die einzelnen Familien hindurch, so daß sich ein Teil der Familie zum
Deutschtum, ein anderer zum Dänentum rechnet. Das einzige Merkmal der
nationalen Zugehörigkeit ist die Gesinnung, der freie Wille des Einzelnen.
Da dieser mit jeder Generation neu erarbeitet und erkämpft werden
muß, gibt es Gesinnungsschwankungen, die nicht moralisch angefochten
werden, wenn sie auf ehrlichem Kulturerlebnis beruhen.
Dänen wie Deutsche gehören derselben germanischen
Völkerfamilie an. Sie sind beide lutherische Protestanten. Als
Bildungssprache hat seit Jahrhunderten in ganz Nordschleswig das Deutsche
gegolten und ist daher auch der dänischen Bevölkerung vertraut. Als
täglicher Umgangssprache bedient sich andererseits auch der
größere Teil der deutsch gesinnten Bevölkerung der
dänischen Mundart, so daß also die Sprachzugehörigkeit kein
Merkmal zur Bestimmung der Nationalität ist. Seit dem Erwachen des
nationalen Gedankens hat es neben einem kleinen Kreise deutschsprechender
Dänen in der Stadt Flensburg immer eine große Zahl
dänischsprechender Deutscher in ganz Nordschleswig gegeben, die als
"Heimdeutsche" bezeichnet werden.
Diese Erscheinung ist durch die Tatsache begründet, daß die deutsche
Kultur seit der Blütezeit der deutschen Hansa und der Aufnahme der
lutherischen Reformation in den nordischen Ländern eine kulturell und
wirtschaftlich gleichermaßen führende Stellung eingenommen hat.
Noch am Ende des 18. Jahrhunderts trug das geistige und gesellschaftliche
Leben selbst der dänischen Reichshauptstadt ein stark deutsches
Gepräge. Deutsche Dichter wie Klopstock, Schiller u. a.
haben in dieser Zeit in Kopenhagen eine warme Anhängerschaft gehabt und
sind durch Unterstützungen des dänischen Königshauses
wesentlich gefördert worden. Die Hofsprache war deutsch, und viele hohe
dänische Staatsbeamte machten kein Hehl daraus, daß sie des
Dänischen überhaupt nicht mächtig waren. Erst seit dem
Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich Dänemark unter der
Führung seines großen religiösen Volkserziehers Grundtvig
von dieser Vorherrschaft der deutschen Kultur, der es zeitweise geradezu zu
erliegen drohte, befreit.
[60] Wieviel mehr
mußte diese Stellung des deutschen Geisteslebens und der deutschen
Wirtschaft sich in dem einstmals dänischen Herzogtum Schleswig
auswirken, das seit Jahrhunderten in einer wechselvollen Geschichte mit dem
deutschen Herzogtum Holstein zu einem festen staatsrechtlichen Verband
zusammengewachsen war!
Vor der germanischen Völkerwanderung war das ganze Gebiet der
Cimbrischen Halbinsel von Völkerschaften bewohnt gewesen, die sich
später zur westgermanischen, d. h. deutschen Völkergruppe
differenzierten. Erst im 5. und 6. Jahrhundert drangen von Nordosten her
die Dänen erobernd ins Land, deren Stammsitze östlich des Sundes
in den südschwedischen Landschaften lagen. Sie haben sich in Schleswig
mit den Resten der nach England ausgewanderten Angeln, Jüten und
Sachsen vermischt und ihnen ihre nordische, dänische Sprache gegeben.
Dabei ist diese dänische Einwanderung allerdings niemals bis an die
Südgrenze des Herzogtums Schleswig, die Eider, vorgedrungen. Das Gebiet
zwischen der Eider und der Schlei ist immer von deutschen Sachsen bewohnt
gewesen.
Auch der ganze Westen des Landes, das Küstengebiet von der
Eidermündung bis nördlich von Tondern mit den vorgelagerten
Inseln, unter denen Sylt, Föhr und Amrum die bedeutendsten sind, hat
niemals dänische Besiedlung noch dänische Sprache gekannt. Hier
wohnten friesische Volksstämme, die sich seit den Anfängen der
Geschichte immer mit den deutschen Stammesbrüdern in Holstein und
Südschleswig verbunden fühlten und sich mit diesen wiederholt
gegen die dänischen Eroberer aufgelehnt haben. 1252 vollbrachten diese
Nordfriesen ihre größte geschichtliche Tat, als sie den
dänischen König Abel, der Steuern fordernd in ihr Gebiet einbrach,
mitsamt dem größten Teile seines Heeres erschlugen. Beim Erwachen
des nationalen Gedankens im 19. Jahrhundert war es der Friese Uwe Jens
Lornsen von der Insel Sylt, der der Begründer der neuen
schleswig-holsteinischen Bewegung wurde, die nach den Ereignissen von 1864
und 1871 zur Einbeziehung ganz Schleswigs in das neu gegründete
Deutsche Reich führte. Friesentum und Deutschtum haben niemals einen
kulturellen oder nationalen Gegensatz gekannt. Das Nationallied, das die Friesen
noch heute bei festlichen Anlässen mit ganzer Hingabe zu singen pflegen,
schließt mit den Worten:
"Ja, wir wollen uns freun, daß wir Friesen sind,
und die Heimat, die prangende, preisen,
und in kühnlichem Kampf wider Wogen und Wind
uns wacker und würdig erweisen;
doch am heiligsten halten das Herzensband,
das uns fesselt ans größere Vaterland."
Dies größere Vaterland der Friesen ist immer Deutschland gewesen,
und so stimmten bei der Volksabstimmung 1920 die friesischen
Inseln mit 82%, das friesische Festland mit 96% für
Deutschland.
[61] Waren der Süden
und Westen Schleswigs also niemals von der dänischen Einwanderung
erfaßt worden, so hat sich auch der übrige Teil schon sehr früh
von den Geschicken des dänischen Hauptreiches getrennt. Seit etwa 1100
hatte Schleswig eine vom dänischen Jütland gesonderte Verwaltung
und unterstand einem besonderen Herzog, der als Statthalter eines Grenzlandes
mit besonderen Hoheitsrechten ausgestattet war. Da die Gründung des
dänischen Reiches erst um 900 erfolgte, ist Schleswig also nur eine kurze
Spanne wirklich ein Teil Dänemarks gewesen. Die Sonderstellung, die die
Schleswiger Herzöge im dänischen Reichsverband hatten, hat sich
sehr früh und zunehmend gelockert. Durch den geographischen Raum
unterstützt, der Schleswig und Holstein als eine Einheit aufeinander
hinweist, haben sie sehr früh das natürliche Bedürfnis
empfunden, sich an das deutsche Herzogtum Holstein anzulehnen. Seit dem Ende
des 14. Jahrhunderts lag die Herrschaft beider Lande in einer Hand, in der
des holsteinischen Grafenhauses. Als dieses 1459 ausstarb, fand das
Zusammengehörigkeitsgefühl Schleswigs und Holsteins einen
erhebenden Ausdruck. Um ein Zerreißen der beiden Länder und das
Anheimfallen Schleswigs an Dänemark zu verhindern, schoben die
Stände beider Herzogtümer unter großen persönlichen
Opfern alle Erbansprüche noch vorhandener Nebenlinien beiseite und
wählten 1460 den dänischen König, der einem deutschen
Fürstenhause angehörte, zum gemeinsamen Herzog für
Schleswig und Holstein. So verhinderten sie die Zerreißung der beiden,
durch Geschichte, Wirtschaft und Kultur fest zusammengewachsenen
Länder. Ihren deutschen Charakter und ihre Sonderstellung
gegenüber Dänemark ließen sie sich dabei durch sehr
weitgehende Privilegien sichern, die als
"schleswig-holsteinische Landesrechte" bis in die Neuzeit hinein direkt Grundlage
der schleswig-holsteinischen Bewegung gewesen sind. In diesen Landesrechten,
die die dänischen Könige bei jedem Thronwechsel bestätigen
mußten und bestätigt haben, war festgelegt, daß beide Lande,
Schleswig und Holstein, "auf ewig ungeteilt" zusammenbleiben sollten.
Trotz dieser verbrieften und beschworenen Rechte haben die dänischen
Könige natürlich doch bald versucht, ihren Einfluß in den
Herzogtümern zu vermehren. Wenn sie nach dem Grundgesetz des Landes
Holstein und Schleswig auch nicht mehr voneinander trennen konnten, so gelang
es ihnen doch, durch verwickelte Teilungen, bei denen immer einige Teile
Holsteins mit Teilen Schleswigs zusammengelegt wurden, einige Nebenlinien des
Königshauses an der Herrschaft in den Herzogtümern zu beteiligen.
Daraus ergaben sich jedoch bald Streitigkeiten im Fürstenhause selber. Die
Nebenlinie der Herzöge von Gottorf, die in Schleswig ihren Sitz hatte und
später zeitweise nicht nur auf den schwedischen, sondern bis zum Kriege
auch auf den russischen Thron gelangte, stemmte sich dem dänischen
Einfluß bald entgegen und hat jahrhundertelang mit dem
Königshause gerungen. In diesem Kampfe gelang es ihr, die alte
dänische Lehnshoheit über Schleswig ganz abzustreifen, so
daß seit 1660 Schleswig ein von Dänemark völlig getrenntes
und mit [62] dem zum Deutschen
Reiche gehörenden Holstein aufs engste verbundenes Herzogtum war.
Die geschichtliche Entwicklung hatte Dänemark und Schleswig inzwischen
auf allen Gebieten auseinandergebracht. Es herrschte in beiden nicht nur eine
verschiedene Verwaltung und verschiedenes Recht, sondern auch eine ganz
verschiedene Verfassung. Während in Dänemark 1660 durch das
"Königsgesetz" der fürstliche Absolutismus und die weibliche
Erbfolge eingeführt waren, blieb in den Herzogtümern das Recht der
Stände bestehen und die männliche Erbfolge in Gültigkeit.
Das wurde auch nicht anders, als es 1721 dem dänischen
Königshause gelang, das Gottorfer Herzogshaus ganz aus Schleswig zu
verdrängen und den herzoglichen Anteil an Schleswig mit dem
königlichen Anteil zu verbinden. Die ganze eiderdänische Politik des
19. Jahrhunderts, die schließlich im Kriege 1864 für
Dänemark zur Katastrophe führte, beruhte auf der irrtümlichen
Auffassung, daß 1721 Schleswig von Holstein getrennt und in das
Königreich einverleibt worden wäre, so daß seit dieser Zeit
auch in Schleswig der fürstliche Absolutismus und die weibliche Erbfolge
geherrscht hätten. Auch die neuere dänische historische Forschung
hat diese ältere dänische Ansicht als falsch abgelehnt. Der
große dänische Historiker und Reichsarchivar Kristian Erslev hat
1915 auf Grund letzter Untersuchungen erklärt, daß Schleswig 1721
nicht in Dänemark einverleibt worden ist, daß seine staatsrechtliche
Stellung damals keine Veränderung erfahren hat, so daß also 1864
das Recht durchaus auf seiten Schleswig-Holsteins und Deutschlands gelegen
hat.
Schleswig und Holstein blieben also ungeteilt und fest miteinander verbundene
Staaten mit einheitlichem deutschen Kulturgepräge und einem
einheitlichen, von Dänemark getrennten Wirtschaftsgebiet. Um 1600 hatten
schon drei Viertel der Bevölkerung Schleswigs deutsche Gerichtssprache
und zwar in Gerichten, die aus dem Volke hervorgingen und von Männern
aus dem Volke geleitet wurden. Seit 1460 bildete
Schleswig-Holstein auch eine feste wirtschaftliche Einheit. Im Norden war es
durch eine Zollgrenze an der Königsau von Dänemark getrennt.
Auch der Münzfuß war einheitlich und von dem dänischen
verschieden und ist erst am Anfang des 19. Jahrhunderts von
Dänemark gewaltsam zerschlagen worden, als das mit Napoleon unentwegt
verbündete Königreich nach dem Sturze des Korsen einen
Staatsbankerott erlebte, von dem es sich aus eigenen Mitteln nicht erholen konnte.
In ganz unerhörter und widerrechtlicher Weise hat damals Dänemark
den wirtschaftlichen Wohlstand der Herzogtümer vernichtet, um aus seinen
eigenen Nöten herauszukommen.
Diese finanzielle und wirtschaftliche Aussaugung der Herzogtümer wurde
seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts von nationalistischen
Maßnahmen begleitet, durch die gewaltsam der dänische
Sprachgebrauch in den Herzogtümern verbreitet werden sollte. Als daher
nun der durch die französische Revolution überall in Europa
geweckte nationale Gedanke auch in den Herzogtümern Wurzel
faßte, entwickelte sich
[63] hier bald eine
einheitliche schleswig-holsteinische Bewegung, deren Grundüberzeugung
der deutsche Charakter und die Untrennbarkeit der beiden Herzogtümer
war.
Sobald 1848 in Dänemark eine "eiderdänische" Politik ans Ruder
kam, die den dänischen König zwang, die Trennung Schleswigs von
Holstein und seine Einverleibung in Dänemark zu betreiben, ergriffen die
beiden Herzogtümer in flammender Empörung die Waffen, um ihre
alten Landrechte zu schützen und sich zugleich der deutschen
Einheits- und Freiheitsbewegung des Jahres 1848 anzuschließen. Auch aus
dem nördlichen Schleswig wurden deutsche Abgeordnete in die
verfassunggebende deutsche Nationalversammlung entsandt, die in der
Paulskirche in Frankfurt zusammentrat. Drei Jahre lang haben die
Herzogtümer mit den Waffen in der Hand sich gegen Dänemark
gewehrt. Die allgemeine europäische Entwicklung führte
schließlich zu dem traurigen Ergebnis, daß die deutschen
Großmächte Preußen und Österreich die deutschen
Schleswig-Holsteiner, deren Dänemark nicht Herr werden konnte,
entwaffnen mußten.
Gegen die feierliche und vertragliche Zusage, daß die Rechte der deutschen
Nationalität nicht angetastet und Schleswig nicht in Dänemark
einverleibt werden sollte, wurden die beiden Herzogtümer wiederum der
dänischen Krone ausgeliefert. Da Dänemark sich jedoch bald dieser
Verpflichtung entziehen zu können glaubte und nicht nur in Schleswig
gegenüber der deutschen Bevölkerung eine Politik der schwersten
und gewaltsamsten Bedrückung führte, sondern schließlich,
1863, doch noch die Einverleibung Schleswigs in Dänemark erklärte,
griffen Preußen und Österreich als Garanten der den
Herzogtümern gegebenen Zusicherungen ein. So kam es zum Kriege von
1864. Sehr richtig heißt es daher in dem schon 1917 im Hinblick auf die zu
erwartenden Friedensverhandlungen verfaßten Buche:
"Schleswig-Holstein. (Handbooks prepared under the direction of the
Historical Section of the Foreign Office, No. 35, London, published by
H. M. Stationery Office, 1920)", S. 20:
"Die »eiderdänische
Partei« übte einen verderblichen Einfluß auf die
schleswig-holsteinische Frage aus, und in der Hauptsache trifft sie die Schuld an
der endlichen Katastrophe von 1864 und 1866. Diese Partei war es, die dem
Druck widerstand, der auf Dänemark von den freundlich gesinnten
Mächten ausgeübt wurde, um vernünftige
Zugeständnisse an Deutschland zu machen, die das Land in einen Krieg
drängte, der unglücklich enden mußte, und die den Ausspruch
rechtfertigt, daß »keine andere Nation jemals so direkt und
entschlossen ihren eigenen Ruin gesucht hat wie
Dänemark.«"
Durch die Einverleibung der Herzogtümer in Preußen und die
Gründung des Deutschen Reiches fand die
schleswig-holsteinische Frage nach ihrer staatsrechtlichen Seite hin ihre
endgültige Lösung. Für die Zukunft behielt sie nur einen
nationalen Inhalt und wurde damit nur nordschleswigschen Frage. Seit den 30er
Jahren des 19. Jahrhunderts hatte im nördlichen Schleswig eine von
Kopenhagen aus geistig und finanziell gespeiste nationale dänische
Bewegung Boden zu fassen gesucht, die, obwohl sie an der dänischen
Volkssprache Nordschleswigs eine Stütze fand, doch [64] Fehlschläge auf
Fehlschläge erlebte. Erst nach dem Zusammenbruch der
schleswig-holsteinischen Erhebung und der Entwaffnung der
Schleswig-Holsteiner im Jahre 1851 gelang es ihr, sich im nördlichen
Schleswig festzusetzen. Während sich gleichzeitig Mittelschleswig in
Empörung gegen das dänische Gewaltregiment nun ganz der
deutschen Bewegung anschloß, teilte sich die
dänisch-sprechende Bevölkerung Nordschleswigs in einen
dänisch gesinnten Bevölkerungsteil, der die Einverleibung in
Dänemark erstrebte, und in einen deutsch gesinnten Teil, der trotz
dänischer Umgangssprache sich unentwegt zur deutschen Kultur und
deutschen Volksgemeinschaft bekannte, die schon genannten
"Heimdeutschen".
Wiederholt hatten die Schleswig-Holsteiner Dänemark angeboten, durch
eine nationale Teilung Nordschleswigs auf der Grundlage einer Volksabstimmung
diesen Streit zu lösen. Immer wieder war das aber an Dänemark
gescheitert. Auch in der dänischen Bevölkerung Nordschleswigs
lebte trotz kultureller Hinneigung zum Norden doch infolge der
jahrhundertelangen geschichtlichen Erinnerung und wirtschaftlichen
Verbindungen ein so starkes schleswigsches Sondergefühl, das nicht im
Dänentum aufgehen wollte, daß Dänemark es immer wieder
nicht wagte, seine Ansprüche auf Schleswig einem Volksentscheid
anzuvertrauen. 1842 stellte der größte staatsmännische Kopf
der schleswig-holsteinischen Bewegung, der Schleswiger Beseler, in der
schleswigschen Ständeversammlung den Antrag, gegen Rückgabe
einiger reichsdänischer Enklaven in Nordfriesland das am
nördlichsten gelegene Amt Hadersleben an Dänemark abzutreten und
dadurch die nationale Streitfrage zu lösen. Der Vorschlag stieß aber
auf so lebhaften und einmütigen Widerstand der dadurch betroffenen
Bevölkerung, daß er fallen gelassen werden mußte. 1846
beantragte vielmehr die schleswigsche Ständeversammlung mit 34 gegen 3
Stimmen die Aufnahme ganz Schleswigs in den deutschen Bund.
Trotzdem machten die Schleswig-Holsteiner 1848, ehe sie gegenüber der
dänischen Vergewaltigung zu den Waffen griffen, der dänischen
Regierung durch eine nach Kopenhagen entsandte Abordnung den
Vermittlungsvorschlag, in Nordschleswig durch eine kirchspielsweise
Abstimmung der Bevölkerung selber die Entscheidung darüber zu
überlassen, ob sie zu Dänemark oder Deutschland gehören
wolle. Dänemark lehnte dieses Angebot rundweg ab und blieb bei dieser
Haltung auch, als die neugebildete
schleswig-holsteinische Regierung und die vereinigten
schleswig-holsteinischen Stände den Vorschlag wiederholten.
[Wikipedia]
Schauplatz der Entscheidungsschlacht im
Deutsch-Dänischen Krieg: Erstürmung der Düppeler Schanzen
am 18. April 1864.
|
Als nach der Eroberung Düppels 1864 zwischen den deutschen
Mächten und Dänemark ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde
und in London eine internationale Konferenz zusammentrat, um in gemeinsamer
Verständigung eine Lösung der
schleswig-holsteinischen Frage zu suchen, verhielt sich Dänemark ebenso
unverträglich. Am 16. Juni 1864 ließ Bismarck durch den deutschen
Vertreter auf der Konferenz den Antrag auf eine Volksabstimmung in Schleswig
stellen. Dänemark lehnte wiederum ab. Auch der englische Vorschlag,
durch einen neutralen Vermittler eine [65] Teilungslinie
vorschlagen zu lassen, fand die preußische Unterstützung und die
dänische Ablehnung. Darauf machte schließlich Frankreich den
Vorschlag, wenigstens zur Information der Konferenz eine gemeindeweise
Abstimmung vornehmen zu lassen. Als Dänemark auch dies
zurückwies, waren alle Verhandlungsmöglichkeiten erschöpft.
Die Konferenz ging ergebnislos auseinander. Der Krieg nahm seinen Fortgang,
und am 30. Oktober 1864 mußte Dänemark im Wiener Frieden die
ganzen Herzogtümer an die deutschen Großmächte
abtreten.
Als sich schon bald danach Aussichten zeigten, bei einer weiteren Verwicklung
des preußisch-österreichischen Gegensatzes einen Teil des verlorenen
Gebiets in Nordschleswig wieder zu gewinnen, gab der dänische
Außenminister Bluhme am 5. Januar 1865 den dänischen Gesandten
im Ausland durch einen Rundbrief Aufklärung über die zu
führende Politik. Er erklärte, daß die Wiedergewinnung eines
Teils von Schleswig für Dänemark nur einen Wert hätte, wenn
ihm für die deutsche Bevölkerung, die es bei der starken
Vermischung des dänischen und deutschen Elements in Schleswig auch bei
der kleinsten Gebietsabtretung übernehmen müßte, keine
besonderen Verpflichtungen auferlegt würden und wenn das abzutretende
Gebiet mindestens die Stadt Flensburg mit umfaßte. Ohne diesen
beherrschenden wirtschaftlichen Mittelpunkt des Landes glaubte die
dänische Regierung nicht, den Norden Schleswigs auf die Dauer bei
Dänemark halten zu können. Wie schwach sich Dänemark in
der Sache fühlte, kam auch darin zum Ausdruck, daß der
dänische Minister den Gesandten die Anweisung gab, dafür zu
arbeiten, daß eine Volksabstimmung, wenn sie nicht überhaupt
vermieden werden könnte, möglichst erst nach Festsetzung der
Grenze vorgenommen würde. Schon in diesen Anweisungen lagen alle die
Momente enthalten, die einige Jahre später die Ausführung des
Artikels 5 des Prager Friedens zum Scheitern bringen mußten.
1864 waren die Herzogtümer an Preußen und Österreich
gemeinsam abgetreten worden. 1866 fiel zwischen Preußen und
Österreich die Entscheidung um die deutsche Führung.
Schleswig-Holstein wurde im Prager Frieden an Preußen abgetreten mit der
Einschränkung im Artikel 5, daß die nördlichen
Distrikte von Schleswig durch freie Volksabstimmung selber darüber
bestimmen sollten, ob sie bei Deutschland bleiben oder an Dänemark
abgetreten werden sollten. Dieser Artikel verdankte seine Aufnahme in den Prager
Frieden einem Wunsche Napoleons, der dem von ihm so eifrig geförderten
Nationalitätenprinzip einen kleinen Triumph verschaffen wollte. Frankreich
hatte 1864 durchaus die preußische Politik unterstützt und auch jetzt
vor der Aufnahme des Artikels Bismarck gegenüber versichert, daß
es ihm in keiner Weise auf die Größe des in Nordschleswig
abgetretenen Gebietes, sondern nur auf das Prinzip ankäme, daß
überhaupt etwas abgetreten würde.
Bismarck,
der damals die schleswig-holsteinische Frage als Ausgangspunkt
für die deutsche Einigung von 1871 nahm, war durchaus zu einer Abtretung
auf Grund einer Abstimmung bereit. Er konnte sich aber in seiner Politik nicht mit
dem Fluche [66] belasten, ohne dringende
Not deutsche Volksgenossen preisgegeben zu haben. Ebensowenig konnte er in
diesem Augenblick die strategisch wichtigen Gebiete von Düppel und
Alsen aufgeben. Auf keinen Fall konnte er aber auf eine so unzweifelhaft deutsche
Stadt wie Flensburg verzichten. Dazu kam, daß Bismarck nach den
Erfahrungen des dänischen Gewaltregiments in Schleswig in den Jahren
1851 - 63 darauf dringen mußte, daß die deutschen
Staatsbürger, die bei jeder Abtretung nordschleswigschen Bodens an
Dänemark kommen mußten, nicht ohne besondere Sicherungen ihrer
nationalen und kulturellen Rechte blieben. Alles das wollte Dänemark aber
auf keinen Fall zugestehen. So waren die Verhandlungen, die Preußen 1867
mit Dänemark anknüpfte, um den Artikel 5 des Prager
Friedens auszuführen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Monatelang
verhandelte man hin und her, ohne sich näherzukommen. Da
Dänemark von seinen genannten Voraussetzungen nicht ablassen wollte,
sind die Verhandlungen des Jahres 1868 schließlich im Sande
verlaufen.
Daß die Durchführung des Artikels 5 nicht an der strategischen
Frage - Düppel und Alsen - zu scheitern brauchte, lehrt das
Schreiben des Generalfeldmarschalls von Moltke
vom 24. April 1875, in welchem
der preußische Große Generalstab den deutschen Reichskanzler
nochmals zu einer Ordnung der Abstimmung in Nordschleswig aufforderte.
Dieser aber hat hierauf dem Großen Generalstab geantwortet, daß
trotz redlichster Bemühungen der deutschen Diplomatie die
Durchführung des Artikels 5 des Prager Friedens nach wie vor an der
Verweigerung des Minderheitenschutzes durch die dänische Regierung
scheitere.
Wenn das Ultimatum
der Entente vom 16. Juni 1919, mit dem die deutsche
Regierung zur Unterzeichnung des Versailler Diktates gezwungen wurde, in seiner
Sektion XII die
Forderung einer Volksabstimmung in Nordschleswig damit
begründete, "daß Preußen oder das Deutsche Reich niemals
irgendeine Maßnahme ergriffen hätten", um den Artikel 5 des
Prager Friedens auszuführen, so ist das also falsch. Da zum mindesten auch
die französische Regierung über die
preußisch-dänischen Ausführungsverhandlungen unterrichtet
war, kann hier auch nicht einmal von einem "Irrtum" gesprochen werden. Die im
Widerspruch mit bekannten Tatsachen aufgestellte Behauptung des Ultimatums
sollte nur dem durchsichtigen Zwecke dienen, auch in dieser Frage eine deutsche
Schuld zu konstruieren. Diese deutsche "Schuld" sollte dann die Ungerechtigkeit
der Schleswig-Bestimmungen der §§ 109 bis 114 des Versailler
Diktats decken.
Nach dem Scheitern der preußisch-dänischen Verhandlungen in den
Jahren 1867/68 wurde der Artikel 5 des Prager Friedens im Jahre 1878 von
den beiden Vertragsbeteiligten, Preußen und Österreich, wieder
aufgehoben. Die dänische Regierung, die damals diese Aufhebung geheim
anerkannte, hat im Jahre 1907 beim Abschluß des
deutsch-dänischen Optantenvertrags auch öffentlich diese
Anerkennung wiederholt. Als der parlamentarische Wortführer der
dänischen Nordschleswiger im deutschen Reichstag, der Abgeordnete
H. P. Hanssen, am 23. Oktober 1918 seine [67] Forderung auf eine
Volksabstimmung in Nordschleswig mit dem Artikel 5 des Prager Friedens
begründete, haben die Außenminister Deutschlands und
Dänemarks gleichermaßen erklärt, daß für
Dänemark ein Rechtsanspruch aus diesem Artikel nicht
bestünde.
Ganz Schleswig blieb also bei Preußen und Deutschland. Leider ist es
Preußen aber in den nun folgenden fünfzig Jahren nicht gelungen, der
dänischen Bewegung, die aus dem Artikel 5 des Prager Friedens ein
moralisches Recht für sich ableitete, Herr zu werden. Da die
preußische Regierung durch unbillige und unkluge
Verwaltungsmaßnahmen die dänische Protestbewegung bezwingen
zu können glaubte, nahmen die nationalen Gegensätze in
Nordschleswig mit den Jahren immer mehr an Stärke zu. Während
sich Preußen in der ersten Zeit von
1871 - 88 gegenüber der dänischen Minderheit einer
großen Liberalität befleißigt hatte und die dänische
Stimmenzahl bei jeder politischen Wahl weiter zurückging, vollzogen nicht
weniger als 75 nordschleswigsche Gemeinden freiwillig den Übergang zu
rein deutscher Kirchen- und Schulsprache. Erst eine Schulverfügung vom
Dezember 1888, die das Dänische in den Schulen als Unterrichtsfach
plötzlich strich und als Unterrichtssprache nur noch für den
Religionsunterricht zuließ, gab der Entwicklung eine andere Wendung, die
den Absichten dieser Verfügung genau entgegengesetzt war. Die
Dänen sahen in ihr einen ungerechtfertigten Angriff auf ihre Muttersprache
und begannen jetzt erst die dänische Bewegung organisatorisch auf feste
Füße zu stellen. Ihre Stimmenzahl befand sich von 1888 an wieder in
langsamem Steigen und erreichte 1912 die Zahl 16559. Je unsicherer die
allgemeinen europäischen Verhältnisse seit der Jahrhundertwende
sich gestalteten und je schwieriger die außenpolitische Lage des deutschen
Reiches wurde, um so energischer hob die dänische Agitation ihr Haupt.
Die Gerechtigkeit nötigt jedoch darauf hinzuweisen, daß auch nach
dem Urteil des dänischen Führers H. P. Hanssen die
preußische Grenzpolitik in Nordschleswig im großen und im kleinen
nur die Züge getragen hat, die die Minderheitenpolitik überall in
Europa in diesem Zeitabschnitt aufzuweisen hatte! Stand das Dänentum in
Nordschleswig beim Ausbruch des Krieges also innerlich und
äußerlich fester als je zuvor in der Geschichte, so war doch das
Dänentum in Mittelschleswig und in Flensburg so gut wie ausgestorben. In
Flensburg wurden 1912 bei den Reichstagswahlen, die nach dem allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlrecht vorgenommen wurden, unter 11568
abgegebenen Stimmen nur 456 dänische gezählt.
Schon vor dem Ausbruch des Krieges hatte sich in der bodenständigen
deutschen Bevölkerung des Grenzgebiets eine scharfe Opposition gegen die
Politik der preußischen Verwaltung erhoben. Unter der Führung von
Pastor Johannes Schmidt-Wodder trat sie dafür ein, daß der
dänischen Bevölkerung der volle Lebensraum zur Entfaltung ihrer
nationalen Kultur gewahrt würde und fand bald im ganzen deutschen Volke
ein lebhaftes Echo. Bereits 1899 forderte die erdrückende Mehrheit des
deutschen Reichstags eine grundsätzliche Neuorientierung gegenüber
den kultu- [68] rellen Wünschen
der dänischen Minderheit. Auch auf dänischer Seite machten sich
seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutsame Wandlungen bemerkbar.
Seit der Einführung des parlamentarischen Systems in Dänemark im
Jahre 1901 begannen die dänischen Hoffnungen und Ansprüche
Dänemarks auf eine Abtretung nordschleswigschen Gebiets immer mehr zu
verblassen, so daß der dänische Geschichtsschreiber Axel Lindvald
mit Recht bemerkt, daß selbst in den Kreisen des dänischen Volkes,
die die dänische Bewegung südlich der Grenze mit großem
Eifer und gewaltigen finanziellen Opfern unterstützten, der Gedanke einer
Grenzveränderung mehr und mehr zurücktrat. An seine Stelle
rückte angesichts eines zunehmenden deutschen Entgegenkommens, das im
Optantenvertrag vom Jahre 1907 seinen sichtbaren Ausdruck fand, immer mehr
der Gedanke, daß es sich bei der nordschleswigschen Frage nur um den
Kampf einer Bevölkerung um kulturelle Freiheit handele. Im Jahre 1911
schrieb der dänische Generalzolldirektor Markus Rubin in den von
Professor Hans Delbrück in Berlin herausgegebenen Preußischen
Jahrbüchern einen Aufsatz, in dem offen ausgesprochen wurde,
daß in Dänemark nur noch "Toren und einflußlose Leute" an
eine politische Vereinigung Nordschleswigs mit Dänemark dächten.
Da dieser Artikel, wie sich später herausstellte, von dem Vertreter der
dänischen Partei im deutschen Reichstag, H. P. Hanssen,
veranlaßt und vor seinem Erscheinen auch von den dänischen
Ministern ausdrücklich gebilligt worden war, erregte er berechtigtes
Aufsehen. Bei weiterer ruhiger Entwicklung der europäischen
Verhältnisse versprach die ganze Lage, ihren politischen Inhalt völlig
zu verlieren.
Da kam der Weltkrieg dazwischen und warf die Entwicklung in völlig neue
Bahnen. Je länger er dauerte, desto lebendiger wurden die alten
dänischen Ansprüche. Als die deutsche Regierung am 14. Januar
1916 durch den Staatssekretär Dr. Drews dem dänischen
Abgeordneten Hanssen erklären ließ, daß es hinfort mit dem
früheren System der preußischen Grenzpolitik ein für allemal
vorbei wäre und nach dem Kriege eine völlige Neuorientierung
eintreten würde, wies Hanssen die ihm zur Verständigung gereichte
Hand zurück. Er wollte jetzt nicht mehr auf die staatliche Lostrennung von
Deutschland verzichten und glaubte dieses Zieles sicher zu sein, da er von Anfang
des Krieges an mit der Niederlage Deutschlands rechnete. Als die eben erst
gebildete parlamentarische Regierung des Prinzen Max von Baden am 22.
Oktober 1918 mit der Annahme des
Wilson-Programmes auch das Bekenntnis zum
Selbstbestimmungsrecht der Völker zum Ausdruck brachte, war der Weg
zu einer neuen Regelung der nordschleswigschen Frage auf Grund einer
Volksabstimmung auch von Deutschland freigegeben.
Am 5. November 1918 wurde zwischen der deutschen Regierung einerseits und
den alliierten und assoziierten Mächten andererseits ein
Vorwaffenstillstandsvertrag abgeschlossen, der nach dem Ausspruch des
Präsidenten Wilson die Bedingungen des abzuschließenden Friedens
(Terms of Peace) enthielt, so daß nach seinem weiteren Ausdruck
der Zweck der bevorstehenden Friedensverhandlungen sich lediglich darauf
[69] beschränken
sollte, das Programm des Präsidenten Wilson in seinen praktischen
Einzelheiten anzuwenden (that its object in entering into discussion would be
only to agree upon practical details of their application). Erst als Deutschland
diesen, mit allen völkerrechtlich in Frage kommenden Sicherungen in der
Hand hatte, hat es seine Waffen abgegeben. Das
Wilson-Programm enthielt aber kein Wort von Schleswig, sondern erklärte
vielmehr in den vier Principles vom 11. Februar 1918, daß sie sich
nur auf die "in den Krieg verwickelten Gebietsfragen" (territorial settlements
involved in this war) bezögen. Auch der große englische
Kommentar zum Wilson-Programm, den der englische Historiker Temperley 1920
unter Mitarbeit erster amerikanischer Wissenschaftler und Sachverständiger
gegeben hat (A History of the Peace Conference of Paris), enthält
kein Wort über Schleswig, obwohl er das
Wilson-Programm nach allen erdenklichen Seiten hin analysiert. Präsident
Wilson hat zwar am 2. November 1918 gegenüber einer Kundgebung
dänischer Amerikaner brieflich erklärt, er hoffe, daß die
Wünsche der dänischen Nordschleswiger von der Welt gehört
würden und daß sie den Weg zur Erfüllung ihrer
Wünsche selber finden möchten. Er hat es aber, sicherlich nicht
unbewußt, unterlassen, zwei Tage später dem
Lansing-Memorandum von 4. November 1918 einen dementsprechenden
Vorbehalt hinzuzufügen. In seinen von Baker herausgegebenen
Erinnerungen nennt Wilson die dänischen Ansprüche auf
Nordschleswig sehr zutreffend immer nur im Rahmen des Programms der
französischen Politik.
Nach dem Vorwaffenstillstandsvertrag mußte die schleswigsche Frage einer
besonderen deutsch-dänischen Verständigung vorbehalten bleiben.
Da die deutsche Regierung Dänemark unverzüglich wissen
ließ, daß sie bereit wäre, der Bevölkerung in vollster
Freiheit die Willensentscheidung zu überlassen, so konnte eine
endgültige und beide Teile befriedigende Regelung der Frage erwartet
werden. Das ist leider an der Haltung der dänischen Nordschleswiger
gescheitert. Ein halbes Jahrhundert hatten sie den Gedanken vertreten, daß
nur durch eine gerechte Durchführung des nationalen
Selbstbestimmungsrechts und eine nationale Teilung die
deutsch-dänische Frage für beide Teile befriedigend gelöst
werden könne. Jetzt beeilten sie sich jedoch, unter dem Eindruck des
furchtbaren deutschen Zusammenbruchs für die bevorstehende
Volksabstimmung Bedingungen zu erzwingen, die dem Geiste des
Selbstbestimmungsrechtes in dieser Frage geradezu widersprachen.
Seit 1848 war bei den wiederholten deutschen Teilungsvorschlägen immer
nur von einer kirchspielweisen und gemeindeweisen Abstimmung die Rede
gewesen. Als während des Krieges eine Reihe namhafter neutraler
Gelehrter und Politiker unter skandinavischem Vorsitz einen Ausschuß
bildeten, der die kommenden Friedensentscheidungen vorzubereiten hatte
(Organisation Centrale pour Paix durable), bestimmte dieser auf einer
Konferenz in Oslo (Christiania) im Juli 1917, daß überall dort eine
Volksabstimmung nach den kleinsten Verwaltungsbezirken, d. h. also nach
Gemeinden, vorgenommen werden sollte, wo dieses dem Prinzip der
Gebietsab- [70] tretung nicht
widersprach. Da es sich bei der Abstimmung in Schleswig nur darum handelte,
eine nationale Teilung mit gerechtem Gleichgewicht zu schaffen, konnte niemand
behaupten, daß dieser von skandinavischer Seite verfochtene Grundsatz,
den sich 1918 auch die deutsche Friedensdelegation in Versailles zu eigen machte,
dem Prinzip der Regelung widersprach, die jetzt in Schleswig durchgeführt
werden sollte. Bei der völligen Vermischung des deutschen und des
dänischen Elements in Nordschleswig konnte eine gerechte Lösung
nur erreicht werden, wenn man eine Teilungslinie zog, die beiden Seiten gleiche
Opfer auferlegte und gleich große Minderheiten zuteilte. An diesem
Grundsatz hat die deutsche Regierung, wie ebenso auch die deutsche
Bevölkerung Schleswig-Holsteins bis zuletzt festgehalten. Während
der ganzen nun folgenden Regelung hat Dänemark aber alle deutschen
Wünsche in den Wind geschlagen, ohne sie auch überhaupt nur einer
Antwort für wert zu halten. Vor allem aber wurde die deutsche
Bevölkerung des Abstimmungsgebiets selber peinlich von jeder Beteiligung
oder Einflußnahme an der neuen Entscheidung ausgeschlossen.
Dänemark kam es jetzt weder auf eine gerechte Lösung noch auf eine
Verständigung mit Deutschland an. Im sicheren Gefühl der Stunde
schlug es jegliche Verständigung mit Deutschland aus und brachte, im
Widerspruch mit dem Vorwaffenstillstandsvertrag vom 5. November 1918, die
ganze Frage vor die allgemeine Friedenskonferenz in Paris. Da Deutschland auch
bei dieser ausgeschaltet war und die Sieger des Weltkriegs die dänischen
Wünsche noch überboten, kam eine Abstimmungsform zustande, die
das deutsche Volk niemals anerkennen konnte und auch niemals anerkennen wird.
Der deutsche Zusammenbruch und die veränderten europäischen
Machtverhältnisse lockten zu sehr, die Chancen des Augenblicks
auszunutzen und einen möglichst großen Teil von Schleswig an sich
zu reißen. Zu diesem Zwecke wurde festgesetzt, daß der
nördliche Teil von Schleswig ein
en-bloc-Gebiet bilden müßte, das als eine unteilbare Einheit
darüber entscheiden sollte, wem es angehören wollte. Die
Südgrenze dieser ersten Zone war so weit vorgeschoben, als mit Sicherheit
noch eine dänische Mehrheit im gesamten
en-bloc-Gebiet zu erwarten war. Bei den letzten Reichstagswahlen vor
dem Kriege, die nach dem allgemeinen, geheimen und gleichen Wahlrecht
vorgenommen wurden, hatten in dieser
en-bloc-Zone 48% der Wahlberechtigten und 58% der abgegebenen
Stimmen sich für dänische Kandidaten erklärt. Man konnte
also nicht gut weiter nach Süden gehen, wenn man nicht die ganze Sache
gefährden wollte. An diese sogenannte erste Zone schloß sich sodann
in Mittelschleswig mit der Stadt Flensburg eine zweite Zone an, für die eine
gemeindeweise Abstimmung festgesetzt wurde. Zwischen den Abstimmungen in
den beiden Zonen sollte eine Pause von mehreren Wochen eintreten, in der sich
der ganze Propaganda-Apparat eines vom Kriege unberührten und im
Kriegshandel reich gewordenen Landes mit allen Mitteln der
Wirtschaftspropaganda auf Flensburg und die zweite Zone stürzen sollte.
Die Auswirkung dieses Druckes von Norden her [71] wurde dadurch
verstärkt, daß die Südgrenze des
en-bloc-Gebiets - die später als neue
deutsch-dänische Grenze festgesetzt
wurde - so gezogen war, daß sie die unmittelbar
anschließenden deutschen Gebiete in eine verzweifelte wirtschaftliche Lage
brachte.
[Bildarchiv Scriptorium]
Flensburg 1917 - Gemälde von Wilhelm Feldmann.
|
Im Osten verlief diese Linie der Länge nach durch die Flensburger
Föhrde und schnitt der Stadt das ganze lebensnotwendige nördliche
Hinterland unmittelbar nördlich vor ihren Toren ab. Man glaubte, daß
Flensburg (65 000 Einwohner) in dieser Zwangslage sich trotz deutscher
Gesinnung für Dänemark erklären müßte und
fühlte sich des Gewinnes schon sicher. Das Nordufer der Föhrde
gehörte der Länge nach zum
en-bloc-Gebiet, kam also auf jeden Fall an Dänemark. Um nun mit
Flensburg zugleich das rein deutsche Südufer der Föhrde an sich
reißen zu können, stellten die Dänen in Paris den Grundsatz
auf, - und brachten ihn auch zur
Anerkennung -, daß die Flensburger Föhrde unbedingt der
Stadt Flensburg gehören müßte, d. h. also, daß ein
für Dänemark stimmendes Flensburg auch das Südufer nach
Norden ziehen müßte, einerlei wie es stimmen würde. Eine so
viel befahrene Wasserstraße wie die Flensburger
Föhrde - Flensburg hatte die zweitgrößte Handelsflotte
aller preußischen Küstenstädte - könne
ebensowenig der Länge nach geteilt werden, wie ein anderer Fahrweg. Als
Flensburg dann mit dreiviertel Mehrheit für Deutschland stimmte und bei
Deutschland belassen werden mußte, wollte man natürlich von
diesem wirtschaftlich sicherlich sehr begründeten Grundsatz nichts mehr
wissen. Deutschland sollte nicht das Recht haben, das man für sich selber
gefordert hatte. So verläuft heute die
deutsch-dänische Grenze in ganz unsinniger und unhaltbarer Weise der
Länge nach durch die Flensburger Föhrde.
[Bildarchiv Scriptorium]
Ansichtskarte von Tondern, 1917.
|
Im Westen zog man die Südgrenze des
en-bloc-Gebiets unmittelbar südlich der fast rein deutschen
Städte Tondern und Hoyer. Da über diese beiden Orte der einzige
Verkehrsweg zu der deutschen Insel Sylt hinüberging, schuf man hier einen
dänischen Korridor, der für den Eisenbahnverkehr sehr viele
Unzuträglichkeiten mit sich bringt. Tondern, der Hauptviehmarkt der
Westküste, wurde zudem in seinem wirtschaftlichen Leben auf das
Schwerste dadurch betroffen, daß die unmittelbar südlich der Stadt
verlaufenden Grenze das nordschleswigsche Rindviehaufzuchtgebiet von den
südlich gelegenen nordfriesischen Marschen trennte, auf denen dieses Vieh
gemästet wurde, ehe es in Tondern auf den Markt kam.
Alle diese Bestimmungen mußten die Volksabstimmung einseitig zugunsten
Dänemarks beeinflussen. Sie wurden noch dadurch verschärft,
daß die Ausübung des Stimmrechts an einen zwanzigjährigen
Aufenthalt im Abstimmungsgebiet geknüpft wurde, was
naturgemäß einseitig gegen die deutsche Bevölkerung wirkte.
Es sind auf diese Weise nicht unerhebliche Teile der deutschen
Bevölkerung, besonders in den Städten, ihres Stimmrechts beraubt
worden. Feindliche Besatzungstruppen - Engländer und
Franzosen - sollten die Abstimmung unterstützen, die von einer
internationalen Kommission unter englischem Vorsitz geleitet wurde. [72] Während sich der
englische Präsident dieser Kommission, Sir Charles Marling, durch kluge
Zurückhaltung auch bei der deutschen Bevölkerung ein gewisses
Vertrauen erwarb und die englischen Truppen durch ein taktvolles Auftreten mit
der Bevölkerung in ein reibungsloses Verhältnis kamen, ließ
das Verhalten des französischen Kommissionsmitgliedes und der
französischen Soldaten außerordentlich viel zu wünschen
übrig. Schon vor der Unterzeichnung des Versailler Diktats lief das
französische Kriegsschiff "Marseillaise" gegen den Protest der deutschen
Regierung und unter Bruch völkerrechtlicher Vorschriften in die
Häfen des Abstimmungsgebietes ein, um für die dänische
Sache Stimmung zu machen. Die französischen Truppen beteiligten sich
offen an der dänischen Sache und scheuten sich nicht, deutsche
Kundgebungen mit militärischen Machtmitteln auseinander zu treiben,
während sie selber an den dänischen teilnahmen.
Die Versailler Bestimmungen über Schleswig bedeuteten somit nach ihrem
Inhalt und nach ihrer Form auch dann einen glatten Bruch des
Vorwaffenstillstandsvertrages, wenn man überhaupt die
Zuständigkeit der allgemeinen Friedenskonferenz auch für die
nordschleswigsche Frage anerkannte. Von dem erhabenen Prinzip des
Selbstbestimmungsrechts der Völker, nach dem diese Frage gelöst
werden sollte, blieb schließlich nur noch ein Zerrbild übrig.
Die Volksabstimmung vom 10. Februar 1920 ergab in der ersten Zone
(4000 qkm mit 170 000 Einwohnern) 25 329 Stimmen
für Deutschland (25%) und 75 431 Stimmen für
Dänemark (74%). Trotz der lähmenden Wirkung der
en-bloc-Abstimmung hatten die Städte Tondern, Apenrade,
Sonderburg und Hoyer sowie 37 weitere Gemeinden eine deutsche Mehrheit
ergeben. Im ganzen Südgürtel der ersten Zone mit Tondern im
Westen, dem Eisenbahnknotenpunkt Tingleff in der Mitte und dem Nordufer der
Flensburger Föhrde im Osten (nach dem deutschen Sachverständigen
"Tiedjegürtel" benannt) hatte das deutsche Element die Mehrheit und
wurde trotzdem an Dänemark abgetreten.
[Preussens
Gloria]
Zur Erinnerung
an die Volksabstimmung im Lande Schleswig 1920.
Rüm Hart Klar Kimming!
|
Die zweite Zone ergab am 14. März 1920: 51 303 Stimmen für
Deutschland (80%) gegenüber 12 800 Stimmen für
Dänemark (20%). In diesem gemeindeweise abstimmenden Gebiet hatte in
ganz Mittelschleswig nicht eine einzige Gemeinde für Dänemark
gestimmt.
Von dem Wunsche beseelt, trotz aller Ungerechtigkeiten der Abstimmung doch
noch eine friedliche Verständigung mit Dänemark zu erreichen, bot
die deutsche Regierung, ohne ihre grundsätzliche Rechtsverwahrung
aufzugeben, unmittelbar nach der Abstimmung der dänischen Regierung
die Hand zu einer Teilung des Abstimmungsgebiets auf Grund der vorliegenden
Ergebnisse. Sie berief sich in ihrer Note vom 27. März 1920 dabei darauf,
daß der Versailler Vertrag in Artikel 109 für
die Regelung der schleswigschen Frage die Grundbestimmung getroffen
hätte: "die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark wird in
Übereinstimmung mit dem Wunsche der Bevölkerung festgesetzt."
(The frontier between
Germany and Den- [73] mark shall be fixed
in conformity with the wishes of the population.) Nach dieser Bestimmung
mußte der ganze Südgürtel der ersten Zone bei Deutschland
belassen werden. Die von der deutschen Regierung demgemäß
vorgeschlagene Grenze - "Tiedjelinie" - teilte Dänemark und
Deutschland eine gleichgroße nationale Minderheit zu. Sie trug zugleich
den wirtschaftlichen Notwendigkeiten dadurch Rücksicht, daß sie
Tondern mit den unentbehrlichen Marschen in Verbindung ließ, daß
sie den dänischen Korridor nach Hoyer überflüssig machte
und Flensburg beide Ufer der Binnenföhrde, sowie den nächsten Teil
seines Hinterlandes beließ.
Aber wiederum sprach Deutschland in den Wind. Wiederum hielt die
dänische Regierung nicht einmal eine Antwort auf das deutsche Angebot
für nötig. Sie veranlaßte vielmehr, daß bei der
endgültigen Festsetzung der Grenzlinie außer der ganzen ersten Zone
noch einige kleinere Teile der zweiten Zone trotz gemeindeweiser Abstimmung
und erdrückender deutscher Mehrheiten zu Dänemark geschlagen
und die wirtschaftlichen Unmöglichkeiten der neuen Grenze dadurch noch
unerträglicher gemacht wurden.
In dem Europa, das durch die Diktate der Pariser Vorstadtfrieden ein neues
Kartenbild erhalten hat, ringen zwei grundsätzlich verschiedene
Auffassungen über die Rechte der nationalen Minderheiten um den Sieg.
Die eine Auffassung ist die der Siegerstaaten und ihrer Nutznießer im
Norden, Osten und Südosten. Sie spricht grundsätzlich nicht von
einem "Recht", sondern von einem "Schutz" der nationalen Minderheiten. Sie
will ihnen nicht das Recht zur freien Entfaltung und eigenen Pflege ihrer
Volkstümer sichern, sondern ihnen nur so viel Lebenslust lassen, als nun
einmal aus allgemeinen politischen Notwendigkeiten nicht zu vermeiden ist. Sie
gibt den Schutz und die Verwaltung dieser Minderheiten in die Hände der
Staaten, die selber ein dringendes Verlangen verspüren, diesen
Minderheiten langsam und "human" das Lebenslicht auszublasen. Sie hat ihre
vornehmste Einkleidung und propagandistische Vertretung durch die
dänische Politik in Nordschleswig erhalten. Als Dänemark 1919
offiziell in Paris gefragt wurde, wie es sich den Schutz der deutschen Minderheit,
die es erhalten würde, dächte, erklärte der dänische
Wortführer Alex Foß, daß die liberale Gesetzgebung
Dänemarks der deutschen Minderheit hinreichende Sicherheit gäbe
und besondere Minderheitenverträge für Dänemark daher
nicht nötig seien. Dementsprechend hat auch die dänische Regierung
ein wiederholtes offizielles deutsches Angebot zu einem gegenseitigen
Minderheitenvertrage im Jahre 1920 abgelehnt und statt dessen die
dänische "Liberalität" bei allen internationalen Erörterungen
des Minderheitenproblems auf den verschiedenen Tagungen der
Interparlamentarischen Union und der
Völkerbund-Ligen als Vorbild und Muster vorgeführt und eifrig jede
Anerkennung für sich ausgenutzt.
Es kann nicht geleugnet werden, daß in der Tat die deutsche Minderheit in
Nordschleswig unter den verschiedenen deutschen Minderheiten, die durch die
Pariser [74] Diktate in benachbarte
Herbergstaaten getrieben sind, vielleicht am besten behandelt wird. Mit
großer Befriedigung hat man daher auf dänischer Seite von der
Erklärung eines deutschen Abgeordneten Südtirols Kenntnis
genommen, daß die deutschen Südtiroler sich freuen würden,
wenn sie von Italien so behandelt würden wie die deutschen
Nordschleswiger von Dänemark. Bei diesem Lob, das wir nicht
einschränken wollen, darf jedoch nicht vergessen werden, daß es nur
relativ zu verstehen ist. Das oberste Ziel, dem auch die dänische
Minderheitenpolitik dienen soll, ist die Aufsaugung und Verdrängung der
deutschen Minderheit. Es ist nicht die Minderheit selber, die die Entscheidung
über ihre kulturellen Bedürfnisse in der Hand hält. Es ist der
dänische Staat, der unter dem Mantel einer liberalen Gesetzgebung ihr so
viel Freiheiten gewährt, wie aus außenpolitischen Rücksichten
notwendig ist, und ihr dabei doch so viel verweigert, daß der
Absterbeprozeß nach dänischer Berechnung dabei nicht
gefährdet wird. Diese "Aufsaugungspolitik", deren vornehmster Vertreter
der frühere dänische Abgeordnete im deutschen Reichstag,
H. P. Hanssen, ist, unterscheidet sich von der früheren
preußischen Grenzpolitik grundsätzlich daher nur in der Form und
nicht in der Zielsetzung. Man mag die Form auch als "vornehm" anerkennen, so
ist es für die Minderheit doch im Grunde genommen einerlei, ob sie
niedergeschlagen oder "aufgesogen" wird.
Vom dänischen Ministerium des Äußeren ist unter dem Titel
"Die deutsche Minderheit in Nordschleswig" eine Denkschrift
veröffentlicht worden mit dem Zweck, die liberale Behandlung der
deutschen Nordschleswiger im dänischen Staate zu beweisen. Anscheinend
absichtlich beschränkt sie sich im wesentlichen auf die Darstellung der
geltenden Gesetze und Bestimmungen. Die dänische Regierung hat selbst
in ihrer Antwort auf das Angebot Deutschlands, die Rechte der Minderheiten auf
beiden Seiten vertraglich zu regeln, ein Angebot, das sie, wie gesagt, ablehnte, zur
Antwort gegeben: die beste Grundlage für einen friedlichen Zustand in den
Grenzgegenden sei "in der Gesinnung des einzelnen Staates zu finden,
in dem Willen, eine für die Minderheiten zufriedenstellende Rechtsordnung
zu schaffen und aufrechtzuerhalten." Demnach kommt es also gerade nach dieser
dänischen Definition nicht auf den Wortlaut der Bestimmungen an, sondern
auf den Geist, in dem sie angewendet werden. Wenden wir uns zunächst
dem Schulwesen zu, so lauten die in den dänischen Gesetzen vom 30. Juni
1920 und vom 1. Mai 1923 enthaltenen Bestimmungen über den
Sprachgebrauch in den öffentlichen Volksschulen Nordschleswigs:
"In den Städten Hadersleben,
Apenrade, Sonderburg und Tondern zerfällt die Volksschule in zwei
Abteilungen, von denen die eine Dänisch, die andere Deutsch als
Unterrichtssprache hat; Eltern und Vormünder können zwischen
diesen beiden Abteilungen wählen.
In den Volksschulabteilungen mit dänischer
Unterrichtssprache erhalten die Kinder nach dem dritten Schuljahr einen
wöchentlichen Unterricht von 4 - 6 Stunden im Deutschen,
und in den Volksschulabteilungen mit deutscher Unterrichtssprache erhalten die
Kinder nach dem dritten Jahr einen wöchentlichen Unterricht von
4 - 6 Stunden im Dänischen. Nähere
Bestim- [75] mungen hierüber
werden im Unterrichtsplan getroffen, der vom Unterrichtsminister bestätigt
wird. Dieser Unterricht ist nicht obligatorisch; die Kinder können auf einen
an die Schulkommission von ihren Eltern oder Vormündern zu richtenden
Antrag von dem Unterricht im Deutschen bzw. Dänischen befreit werden.
Die Kinder erhalten während dieser Stunden in der Schule Unterricht in
anderen Fächern."
Auf dem Lande soll nach folgenden Gesichtspunkten verfahren werden:
"Wo die Unterrichtssprache
dänisch ist, soll, wenn mindestens 10% der Wähler des
Schuldistrikts, die Elternrecht über Kinder unter 14 Jahren haben, bei der
Schulkommission den Wunsch danach zum Ausdruck bringen, eine Abstimmung
darüber stattfinden, inwieweit ein besonderer Unterricht mit Deutsch als
Unterrichtssprache eingeführt werden soll. Wenn mindestens 20% der
für die Schulkommission stimmberechtigten Wähler des
Schuldistrikts, die Elternrecht über Kinder unter 14 Jahren haben und
mindestens 10 schulpflichtige Kinder vertreten, für den Unterricht mit
Deutsch als Unterrichtssprache stimmen, werden die Anstalten dazu getroffen,
daß ein solcher Unterricht für diejenigen stattfindet, die daran
teilzunehmen wünschen. Ein solcher besonderer Unterricht soll jedoch auch
eingerichtet werden, selbst wenn der Wunsch danach nur von einer geringeren
Anzahl von Wählern geäußert wird, die mindestens 24
schulpflichtige Kinder vertreten, sofern nicht die Entfernungsverhältnisse
erlauben, daß die betreffenden Kinder an eine andere Schule mit deutscher
Unterrichtssprache verwiesen werden können."
Man hat diese gesetzlichen Bestimmungen in der ganzen Welt als vorbildlich
liberale Regelung angepriesen. In Wirklichkeit sind sie von der dänischen
Verwaltungspraxis "zielbewußt und erfolgreich" in den Dienst der
Aufsaugungspolitik gestellt worden, und zwar hat das darum für die
Dänen wenig Schwierigkeiten, weil durch die Verwaltung in
Dänemark die Gesetze elastischer gefaßt werden als z. B. in
Deutschland, und weil durch eine Fülle von sogenannten
"Kann-Bestimmungen" die örtlichen Behörden einen weiten
Spielraum der Auslegung und Anwendung behalten. Die örtliche
Behörde für die Schule ist die Schulkommission. Hinter ihr steht der
dänische Amtsschulrat. Was in einer Schulfrage tatsächlich geschieht
und was nicht, hängt von dem guten Willen dieser örtlichen
Instanzen ab. In der Schulkommission haben meist die Dänen die Mehrheit.
Viele deutsche Familien sind abgewandert und viele dänische Beamten mit
Familie sind mit gutem Bedacht in die deutschen Grenzgemeinden versetzt
worden. In die heute noch überwiegend deutsche Stadt Tondern sind
z. B. für 52 deutsche Beamte, die nach der Abtretung ihren Platz
räumen mußten, 104 dänische Beamte gebracht worden.
Wird eine deutschsprachige Schulabteilung eingerichtet, so bedeutet das nach
einem Gesetz, das erst nach der Abstimmung eingeführt wurde, eine
finanzielle Mehrbelastung für die Gemeinden. Der Staat kann
Zuschüsse geben, und in der oben erwähnten dänischen
Denkschrift wird der Eindruck erweckt, als ob bis zum März 1924 an
Bauzuschüssen über 320 000 Kronen ausgezahlt worden
seien. Tatsächlich ist diese Summe im wesentlichen für Neubauten
von dänischen Schulen im deutschen Minderheitsgebiet verwendet worden,
also ungefähr für das Gegenteil einer
Förde- [76] rung des deutschen
Unterrichts. Die finanzielle Mehrbelastung einer Gemeinde, die deutschen
Unterricht wünscht, ist eine wirksame Waffe gegen die deutsche
Minderheit.
Wird von einer Gemeinde ein Antrag auf Errichtung einer deutschen Schule
gestellt, so tritt ein ganzes System von Verhinderungen ein. Erst müssen
zehn Prozent der Erziehungsberechtigten den Antrag auf eine deutschsprachige
Schule stellen. Dann beruft der Amtsschulrat Versammlungen der Eltern ein,
macht ihnen klar, wie sehr sich der Steuerdruck für die Gemeinde
erhöhen würde, daß, wenn vielleicht ein zweiklassiges
Schulsystem vorhanden ist, seine Trennung in zwei einklassige eine
Schädigung für beide Teile bedeuten würde, daß man
gern mit reichlichen deutschen Sprachstunden aushelfen wolle usw. Diese
Sprachstunden werden natürlich nicht von Lehrern deutscher, sondern
dänischer Herkunft gegeben, die das Deutsche selbst erst als Fremdsprache
gelernt haben und es meist weniger beherrschen als die Kinder. Dann wird von
der Amtsstelle im allgemeinen zum "friedlichen" Auskommen ermahnt, und nach
dieser öffentlichen und einer ebenso starken unterirdischen Beeinflussung
erfolgt die Abstimmung, wobei 20% der sämtlichen Stimmberechtigten
sich für die deutsche Schule aussprechen müssen. Wer nicht mit
abstimmt, der gilt als Gegner! Auf diese Weise gelingt es öfters, zu
erreichen, daß die notwendige Prozentzahl 20 nicht ganz
erfüllt wird. Ist sie doch erfüllt, so wird von neuem durch die
Behörden versucht, die deutschen Mitglieder der Schulkommission zur
Zurückziehung ihres Antrages zu bestimmen. Mißling auch das, so
wird die tatsächliche Einrichtung der Schule über Jahr und Tag
hinausgezögert, oder es wird, auf Grund unscheinbarer aber geschickt
eingeführter und wohl erwogener Nebensätze in den Bestimmungen,
den Kindern ein so weiter Schulweg auferlegt, daß sie dann schon lieber die
nahe und bequem gelegene dänische Schule besuchen.
Ist es trotz aller Hindernisse wirklich zur deutschen Schule oder Schulklasse
gekommen, so beruft die Schulkommission, die meistens wie gesagt eine
dänische Mehrheit hat, den Lehrer, und sie sucht dazu natürlich
jemanden aus, der, wenn er auch einigermaßen deutsch spricht, im Herzen
doch dänisch gesinnt ist. Daher sind die Mehrzahl der deutschen
Schulabteilungen gar nicht wirkliche deutsche Schulen, sondern deutschsprachige
Klassen, in denen z. B. ein in nationaler Beziehung so entscheidendes Fach
wie Geschichte, und ebenso natürlich die Heimatkunde, im
dänischen Geiste erteilt wird. In Apenrade besteht eine öffentliche
deutschsprachige Mittelschule, die zum guten Teil aus deutschen Steuern
unterhalten wird, aber die nordschleswigschen Deutschen haben ebendort mit
großen Kosten eine deutsche private Mittelschule ins Leben gerufen, weil
sich gezeigt hat, daß die pseudodeutsche Schule die Herzen der Kinder dem
deutschen Elternhaus abspenstig zu machen sucht. Ein anderes Beispiel bietet der
Flecken Norburg auf der Insel Alsen. Dort bestand eine öffentliche
deutschsprachige Schule mit 32 Kindern. Als die Eltern die systematische
Danisierung ihrer Kinder in dieser sogenannten deutschen Anstalt nicht
länger mit [77] ansehen wollten und
eine deutsche Privatschule gründeten, zählte diese in wenigen
Wochen 38 Schüler.
Eine der ersten Maßregeln der dänischen Regierung nach der
Abstimmung war die Beseitigung von über 300 deutschen Lehrern. Was
übrig blieb, waren entweder solche Lehrkräfte, die ihre Gesinnung
von deutsch zu dänisch gewechselt hatten, oder solche, deren oberste Regel
es ist, ihr deutsches Herz nicht merken zu lassen. Würden die Dänen
es mit ihren liberal angestrichenen Gesetzen und Bestimmungen ehrlich meinen,
so würden sie vor allen Dingen zulassen, daß die deutschen Schulen
auch von deutschen Schulkommissionen verwaltet werden. Das tun sie nicht, und
außerdem ist durch eine Bestimmung, die gleichfalls erst nach der
Abstimmung zu Ungunsten Nordschleswigs getroffen wurde, die also in dem
Bilde der dänischen Liberalität, das in Versailles vorgelegt wurde,
gefehlt hat, der Nachwuchs an deutschen Lehrkräften abgeschnitten
worden. Es wurde nämlich das bisher in Dänemark geltende
gesetzliche Recht, wonach für die Anstellung im Volksschuldienst das
dänische Staatsbürgerrecht nicht erforderlich ist, aufgehoben und
damit die Berufung von Lehrern aus Deutschland unmöglich gemacht.
Gleichzeitig wurde das ganze Lehrerbildungswesen: zwei deutsche
Lehrerseminare und ein Lehrerinnenseminar, das es zur deutschen Zeit in
Nordschleswig gegeben hatte, sofort danisiert. Durch rücksichtslose
Anwendung aller dieser Mittel ist es der dänischen Regierung gelungen,
seit der Abtretung die Zahl der deutschen Kinder in den öffentlichen
Schulen auf ein Zehntel des früheren Bestandes herabzudrücken.
Auch für die deutschen Privatschulen sind die scheinbar liberalen
dänischen Bestimmungen, nach denen der dänische Staat unter
gewissen Voraussetzungen sogar einen Zuschuß von 50 Kronen für
jedes Kind jährlich zu zahlen sich bereit erklärte, eine bloße
Kulisse. Die Entscheidung darüber, ob der Zuschuß gezahlt wird, hat
die Schulkommission, und diese ist in den meisten Fällen dänisch. In
der Ortschaft Uk bestand z. B. die Schulkommission aus zwei deutschen
Bauern, zwei dänischen Bauern und einem dänischen Zimmermann.
Sie entschied mit einem Verhältnis von drei zu zwei Stimmen, die
Leistungen der deutschen Privatschulen seien "nicht ausreichend", und obwohl
ein Regierungsfachmann und der Amtsschulrat die Schule prüften und
befriedigend fanden, so blieb es doch bei der Entscheidung der Kommission: der
Zuschuß wurde nicht gezahlt. Außerdem gehören zu einer
Schule ein Gebäude, Lehrmittel, Bänke usw. Um das zu
beschaffen, sind die kleinen deutschen Gemeinden vielfach zu arm. Das Schulgeld
in den deutschen Privatschulen muß also notwendigerweise so hoch sein,
daß die wenigsten Eltern es bezahlen können und daß nur ein
kleiner Teil von deutschen Kindern in deutschen Privatschulen unterrichtet
werden kann.
[Bildarchiv Scriptorium]
Postkarte von Apenrade, 1920.
|
An höheren Schulen wurde durch ein Gesetz vom 30. Juni 1920 in den vier
abgetretenen Städten Hadersleben, Apenrade, Sonderburg und Tondern,
den Hochburgen des Deutschtums, je ein staatliches dänisches Gymnasium
errichtet. Nur in [78] Hadersleben waren die
Deutschen bei der Abstimmung in der Minderheit geblieben. Halbamtlich wurde
in Aussicht gestellt, daß in einer Stadt neben dem dänischen
Gymnasium ein deutscher Parallelzug durch alle Klassen hindurch geführt
werden soll. Dies Versprechen ist nie erfüllt worden. Es wurden nur sog.
deutsche Abbauklassen eingeführt, um den Schülern aus den
früheren deutschen Staatsgymnasien die Möglichkeit der
Schulbeendigung zu geben, und die letzte dieser Abbauklassen ist am 1. Juli 1925
eingegangen. Von dem einst blühenden deutschen Schulwesen in
Nordschleswig, das aus einem Gymnasium, einer Oberrealschule, drei
Realschulen, drei höheren Mädchenschulen und drei Seminaren
bestand, ist heute nichts mehr übrig.
Auf diesem Wege soll die deutsche Führerschicht ausgerottet werden. Auch
die deutschsprachigen Mittelschulklassen in den vier genannten Städten
sind dadurch für die Deutschen teilweise wertlos gemacht, daß sie
keinen Abschluß erreichen. Mittelschulen bilden im dänischen
Schulsystem das normale Mittelglied zwischen Grundschule und höherer
Schule. Will ein Schüler aus einer deutschen Abteilung in die höhere
Schule, d. h. in die dänische Staatsschule übertreten, so
muß er eine Aufnahmeprüfung bestehen, auch im Dänischen,
und verliert dabei natürlich Zeit. Dänischerseits hat man die
deutschen Klassen absichtlich so in eine Sackgasse münden lassen, damit
sie allmählich veröden. So sieht die dänische Praxis aus,
nachdem Dänemark in Versailles geltend gemacht hatte, besondere
vertragliche Garantien für die deutsche Minderheit seien unnötig, "da
die liberale dänische Gesetzgebung, die für alle dänischen
Staatsbürger in den Landesteilen gelten würde, ungeachtet der
Sprache und Gesinnung, und in der namentlich die Unterrichtsfreiheit ein Prinzip
sei, an sich genügend Garantien biete." Zu der liberalen Gesetzgebung
wurde noch ausdrücklich die liberale Gesinnung versprochen. Als letzter
Beweis dafür, wie wenig ernst auch dies Versprechen gemeint war, und wie
sehr es den Dänen darauf ankam, das Deutschtum durch die Köpfung
einer nationalen Führerschicht der Erhaltungsfähigkeit zu berauben,
sei noch angeführt, daß fast alle nordschleswigschen Akademiker, die
nach dem Kriege auf deutschen Universitäten ein Studium begonnen hatten
und durch Examen zum Abschluß brachten, ihren Beruf in der Heimat nicht
ausüben durften. Verschiedenen Ärzten wurde die Praxis verweigert.
Von jungen Ärzten, die in Deutschland ihren Approbatsschein erlangt
hatten und nicht darauf verzichten wollten, ihre Praxis in ihrer Heimat
auszuüben, verlangte man die Neuablegung eines Staatsexamens in
Kopenhagen.
Neben der Schule ist der zweite wichtige Lebensfaktor für die deutsche
Minderheit in Nordschleswig die Kirche. Die dänische Regierung hat die
deutschen evangelischen Gemeinden mit den dänischen unter einen
einzigen Gemeinderat vereinigt. Dieser hat überall, mit einer Ausnahme,
eine dänische Mehrheit, und so ist es erreicht, daß die deutschen
Gemeinden keine selbständige Vertretung besitzen, ja nicht einmal die
Rechte einer juristischen Person. Was das bedeutet, ist in einem [79] Vorfall in Apenrade
besonders deutlich zur Erscheinung gekommen. Dort beschloß die
dänische Majorität des Gemeinderates, das dortige, früher als
Herberge zur Heimat benutzte "Lutherhaus", eine Stiftung des früheren
deutschen Propstes und Hauptpastors Göttig von 1883, ganz einseitig an
den dänischen "Kristelig Forening for unge Mänd"
(K.F.U.M.) zu verpachten, obwohl das der Stiftung zugrunde liegende Testament
Propst Göttigs das Haus als Asyl für alle christlichen und kirchlichen
Bestrebungen der Gemeinde bestimmt hat. Die von der deutschen Fraktion an das
Kirchenministerium sofort eingereichte Beschwerde gegen diesen
Majoritätsbeschluß hat nach sechsmonatigem Warten eine Antwort
bekommen, die keinerlei Entscheidung enthält. Wohl rät der
Kirchenminister der dänischen Fraktion, sich mit den Deutschen in der
Sache zu vergleichen, erklärt aber, daß die endgültige
Entscheidung der Streitfrage eine Sache der Gerichte ist. Und eben der
Gerichtsweg ist für die deutsche Gemeinde ungangbar, weil sie, wie oben
bemerkt, nicht prozeßfähig ist.
Sämtliche deutsche Pastoren wurden nach der Annektion, ebenso wie die
Lehrer, ihres Amtes enthoben. Wer bleiben wollte, mußte sich von neuem
zur Wahl stellen. Das geistliche Amt, das viele von den Pastoren schon Jahrzehnte
inne hatten, wurde von der Regierung als solches nicht anerkannt. Durch
geschickte Handhabung der Verordnung über die Wiederwahl gelang es,
einen großen Teil der deutschen Geistlichen abzuschieben. In bezug auf die
Kirchensprache, ob deutsch oder dänisch, wurde durch einen ebenso
geschickten Kunstgriff wie bei den Schulen das Deutsche möglichst
ausgeschaltet, indem nämlich bestimmt wurde, daß die
Gemeindevertreter wegen der sprachlichen Regelung einen Antrag
einbringen sollten. Die Initiative wird auf diese Weise, mit Bedacht
natürlich, einer Körperschaft zugeschoben, deren Mehrheit meist
dänisch und nicht geneigt ist, deutsche Bedürfnisse anzuerkennen.
Im übrigen werden dieselben Unterwühlungsmittel gegen etwa doch
zustandekommende Anträge gebraucht wie bei der Schule. Als in Toftlund
55 Deutsche um deutschen Gottesdienst gebeten hatten, wurden die
sämtlichen Namen in der Zeitung abgedruckt, mit dem Zweck der
geschäftlichen Schädigung und Einschüchterung. In jedem
Falle, in dem in der Gemeindekirche für eine kirchliche Handlung die
deutsche Sprache benutzt werden soll, muß vorher die Genehmigung des
dänischen Bischofs eingeholt werden - was eine ganz besondere
Entwürdigung und Herabsetzung des Deutschen ist, da die Erlaubnis
für andere Sprachen, wie z. B. schwedisch, nicht eingeholt zu
werden braucht. Auch sorgt man dafür, den Eifer der deutschen Gemeinden
zur Abhaltung deutscher Gottesdienste durch besondere Gebühren (Gesetz
vom 29. März 1924) für die Benutzung der Kirche
abzukühlen.
Zusammenfassend muß über die Lage der deutschen Minderheit im
dänisch gewordenen Nordschleswig das Folgende gesagt werden:
1. Die Dänen haben sich zunächst, als sie Nordschleswig
von den Siegerstaaten empfingen, unter Berufung auf ihre liberale Gesetzgebung
dem Abschluß eines [80] Garantiepaktes
entzogen, ebenso das deutsche Angebot auf vertragliche Regelung abgelehnt.
2. Sie haben bei mehreren Gelegenheiten die liberale Gesetzgebung zu
ungunsten der deutschen Minderheit nachträglich geändert.
3. Sie haben in der Verwaltungspraxis unter Wahrung des liberalen
Gesichts einen rücksichtslosen Kampf gegen die deutsche Minderheit mit
dem Ziele der Aufsaugung geführt.
Daraus erklärt sich auch, daß sie sich geweigert haben, mit
Deutschland ein Gegenseitigkeitsabkommen über die Behandlung der
Minderheiten zu schließen. Gehen sie einen Vertrag ein, so sind sie
rechtlich gebunden, die Minderheit genau nach den Bestimmungen des Vertrages
zu behandeln. Unter den Verhältnissen aber, wie sie bestehen, kann die
dänische Verwaltung innerhalb ihrer "weitmaschigen" Gesetzgebung tun
und lassen, was sie will und - scheinbar liberal - in der Tat das
Deutschtum rücksichtslos bekämpfen.
Der dänischen Politik, die eingestandenermaßen als ihr Ziel im
abgetretenen Teile von Nordschleswig die Entnationalisierung des Deutschtums
verfolgt, sind sowohl Teile des geschlossenen deutschen Sprachgebiets
ausgeliefert worden, als auch kleinere, in die
national-dänisch gesinnte Bevölkerung eingesprengte deutsche
Minderheiten. Eine Grenze so zu ziehen, daß alles was deutsch fühlt
auf die eine, alles was dänisch fühlt auf die andere Seite zu liegen
kommt, ist in Nordschleswig unmöglich. Was gefunden werden muß,
ist also der Ausgleich, und zwar der nach beiden Seiten hin gerechte. Die heutige
deutsch-dänische Grenze ist nicht gerecht, sondern ungerecht. Der
dänisch gesinnte Nordschleswiger Holger Andersen hat selbst von dieser
neuen deutsch-dänischen Grenze gesagt, daß "es niemals in der
Geschichte Schleswigs dort eine Grenze gegeben hat, wo die jetzige Grenze
liegt - weder national, noch kulturell, noch geographisch".
Als der dänische König Christian X. am 12. Juli 1920 seinen Einzug
in Tondern hielt, erklärte ihm der Wortführer der vergewaltigten
abgetretenen Deutschen, Pastor D. Johannes Schmidt-Wodder, der bald darauf als
Vertreter der deutschen Minderheit in den dänischen Reichstag
gewählt wurde, im Namen seiner Volksgenossen:
"Wir hoffen auf den Tag, wo wir
über unser staatliches Geschick neu entscheiden werden, frei von dem
Zwang der en-bloc-Abstimmung, frei von dem Zwang des
Friedensvertrages."
Diese Hoffnung der deutschen Nordschleswiger ist die Hoffnung des ganzen
deutschen Volkes.
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