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[Bd. 5 S. 110]
Friedrich Gottlieb Klopstock, 1724-1803, von Josef Nadler

Friedrich Gottlieb Klopstock.
[112a]      Friedrich Gottlieb Klopstock.
Gemälde von Jens Juel, um 1780.
Halberstadt, Gleimhaus.
Quedlinburg am Unterharz, das ist Klopstocks Heimat. Der quellenreiche und düsterbewaldete Bergstock liebt es, zwischen schroffen Felsklüften und anmutigen Tälern die Schleier des Nebels steigen und fallen zu lassen, über seinem Scheitel die heitere Bläue des Himmels und abenteuerliche Wolkengebilde durcheinanderzujagen, das flache Land weitum in den Widerspruch seiner Gebirgsstimmung zu verstricken, die im Umschwung eines einzigen Tages gespenstig bedrücken und die Seele zu kräftigen Atemzügen befreien kann. Die Stadt aber ist ein Liebling der deutschesten Herrscher, der sächsischen gewesen, schon zu der Zeit, da sie noch klein und da sie noch nicht von ihrem griechisch-lateinischen Wunschbilde gebannt waren. In Quedlinburg ist der erste von ihnen, der König Heinrich, bestattet und neben ihm seine Gattin Mathilde, die aus dem Geschlecht des Sachsenherzogs Widukind stammte. Seit dem Urgroßvater war Klopstocks Familie mit dieser heimatlichen Landschaft verwurzelt, lange genug, um ein sicheres Gefühl für ihre naturhafte und geschichtliche Witterung zu haben.

Das deutsche Jahrhundert, in das Klopstock geboren wurde, hatte nach langer Lehrzeit bei fremden Meistern den Ehrgeiz, es mit eigenen Leistungen den begünstigten Völkern Europas gleichzutun. Deutsche Männer von Geist und Rang hatten schon auf verschiedenen Gebieten den Grund zu einem geistigen Eigenleben der Nation gelegt. Aber sie fühlten sich alle nur als Vorläufer. Das Zeitalter war erfüllt von Erwartungen und Vorhersagen, die auf einen kommenden großen Dichter deuteten. Man umriß seine Aufgabe, und man malte sich die Gestalt aus, in der er inmitten der Nation erscheinen würde. Solchermaßen war Klopstocks Natur gestimmt auf das Erlebnis einer heroischen Landschaft, seine Gesinnung bewegt von einer großen Heimatgeschichte, seine Seele angesteckt von dem frühen Bewußtsein einer hohen dichterischen Sendung.

Klopstock ist ostfälischer Herkunft, ein Erbe niedersächsischer und thüringischer Eigenschaften; niedersächsisch neben anderm seine gemessene und würdevolle Haltung, seine stolze Einsamkeit, sein Sinn für die Weite des Raumes und des Gedankens, die nordische Dunkelheit seiner Sprache, das Schwergefügte seiner dichterischen Formen; thüringisch der musische Grundzug, die lyrische Bewegtheit, die Anfälligkeit für Sinnenreiz und Seelenstimmung, das tonkünstlerische Vermögen, das irgendwie alle seine Dichtungen zu heimlichen Musikwerken macht, und was sonst noch im Widerspruch steht zu einer sächsisch- [111] nordischen Natur. Klopstock ist aus einer ungemein fruchtbaren Familie geboren, als Ältester von sechzehn Geschwistern, und eine ausdauernde Lebenskraft wirkt urgesund in diesem Körper, dem Sport ein natürliches Bedürfnis war. Klopstock hat als der letzte seine ganze Altersgenossenschaft überdauert. Er ist in freier Natur aufgewachsen. Das Leben unter offenem Himmel, kameradschaftlich mit Pflanze und Tier, das die Dichter vor ihm und neben ihm priesen, hat er zur selbstverständlichen Wirklichkeit gemacht. Er ist in seinem Zeitalter ein neuer Mensch.

Über seiner Schule stand ein guter Stern. Klopstock ist in den Jahren 1739 bis 1745 durch eine jener drei kursächsischen Anstalten gegangen, die dem deutschen Volke nicht wenige seiner besten Bildner gebildet haben, durch die vornehmste dieser drei Anstalten, durch Schulpforta. Schon hier entschied sich sein Leben. Die Schule vermittelte ihm eine vortreffliche Kenntnis dessen, was sich immer zu kennen lohnen wird, der antiken Sprachen und Schrifttümer, und sie lehrte ihn, ohne das es keinen Dichter geben kann, die handwerklichen Kunstgriffe im Aufbau von Gedichten. Doch das größte geschah ihm zu Schulpforta durch sich selber. Der Züricher Kunstlehrmeister und Vater der Jünglinge, Johann Jakob Bodmer, hatte nach dem englischen Staatsmann und Dichter John Milton das Wunschbild des epischen Dichters entworfen, wie er sein solle und kommen müsse. Klopstock sah sich durch Milton und Bodmer vor dieses Bild gestellt fühlte sich von der Sendung ergriffen, dieses Bild zu verwirklichen, und von der Idee zu einem erhabenen Epos überwältigt. Der so Geweihte empfing durch Lehrer und Mitschüler, die ihn als ungewöhnliche Erscheinung betrachteten, die äußere Bestätigung seines Führerberufs. Die Leipziger Hochschulzeit 1746 bis 1748 erweiterte den Kreis derer, die an ihn glaubten, stellte ihn sichtbar als Führer in die Mitte zwischen gleichstrebende Jünglinge und bestätigte ihm seine Sendung endgültig durch den Erfolg seines großen Gedichtes.

Und nun öffnete sich ihm das Leben und wollte seine Entscheidung an einem Dreiweg. Der kürzeste Weg wies in das nachbarliche Braunschweig, wo Herzog Karl 1745 eine Mittelanstalt zwischen Gymnasium, Universität und Technischer Hochschule gegründet hatte, das Collegium Carolinum, nachmals die Arbeitsstätte der meisten Leipziger Freunde Klopstocks. Weit auseinander in eine entgegengesetzte, doch gleichermaßen verlockende Ferne wiesen die beiden anderen Wege: der nach Kopenhagen an den Hof und jener nach Zürich zu seinem Vorverkünder, Entdecker und Herold. Die Entscheidung war nur aufgeschoben, als Klopstock sich zuerst nach dem Süden wandte. Das Jahr 1750/51, das er zu Zürich verlebte, zuerst im Hause und dann wenigstens noch in der Nähe Bodmers, das auf beiden Seiten mit Hoffnungen begonnen und mit Enttäuschungen geschlossen wurde, war für Klopstock im Grunde nur ein Erholungsurlaub vor Antritt seines hohen Amtes in Kopenhagen. Er ging also die verfehlte Strecke zurück und nun im Frühjahr 1751 den rechten Weg nach dem Norden. In [112] Hamburg führte ihn ein guter, aber unbeständiger Stern mit der Kaufmannstochter Meta Moller zusammen, die den Dichter längst aus seinen Dichtungen liebte, die erst 1754 seine Frau wurde und ihm schon nach vierjähriger Ehe am ersten Kinde hinwegstarb.

Klopstock also traf im Frühjahr 1751 in Kopenhagen ein. Welche geschichtlichen Ereignisse vollstreckten sich hier in ihm? Dänemark befand sich seit den ersten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts im entscheidenden Wandel seiner geistigen Gestalt. Sachsen und Jüten auf der einen, Norweger auf der andern Seite rangen zu Kopenhagen um die geistige Vormacht in diesem Dreivölkerstaate, ein Kampf der Bildungsmächte, der, wie die Dinge lagen, zwischen der englischen und deutschen Bildung hier und der französischen dort auszutragen war. Die bewegenden Antriebe zu diesem Bildungskampf entsprangen weder dem Volk noch dem Staat, sondern der dänischen Kirche. Der weltabgewandte, schwerblütige, vereinsamte, pietistisch fromme König Christian VI. ging in dem Gedanken auf, das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. Er war bei der ablehnenden lutherischen Strenge der dänischen Kirche auf deutsche Mitarbeiter angewiesen, zumal ja Schleswig und Holstein ein wesentlicher Bestand in diesem deutsch-norwegisch-dänischen Gesamtstaat waren. So war er denn mit vielen andern Deutschen der religiöse Dichter, der Schöpfer des Messias, der in Klopstock 1751 von dem leitenden Staatsmann Johann Hartwig von Bernstorff nach Kopenhagen berufen wurde. Das religiöse Dänemark, wie es Christian VI. geschaffen hatte und wie es Friedrich V. nicht mehr wegmachen konnte, war Hintergrund und Lebensbereich Klopstocks, für den es in ganz Deutschland keinen gleich stilvollen Raum gab.

So geschah durch Klopstock in Dänemark ein Ereignis von ganz seltener Art. Unter zwei Völkern zugleich und auf einmal tritt der Dichter in seiner neuen Gestalt in Erscheinung, die vollkommene Einheit von Dichterberuf und Lebensführung. Nach dem übereinstimmenden Sinn der Antike, des Christentums und des Nordens war der Dichter wieder das geweihte Haupt, der Seher und Deuter. Das Gefühl der Auserwählung nimmt zugleich religiöse und politische Form an. Dichter und König erscheinen zum erstenmal den deutschen und den nordischen Völkern als die Ebenbürtigen und Gesalbten. Der König anerkennt die Sendung des Dichters und legt ihm keine andere Verpflichtung auf als Pflichterfüllung, die Vollendung seines großen Gedichts. Und der Dichter blieb bei seiner würdevollen und feierlichen Haltung, die Gnade gewährt, aber keine empfängt. Wie der Dichter so aus seiner Umgebung ausschied und nicht etwa nun auf eine höhere Stufe, sondern in eine artverschiedene Welt trat, so gab er die bürgerliche Sprache des Alltags preis und schuf sich feierliche Ausdrucksformen. Mit Klopstock hatten Deutsche und Dänen, jene seit der höfischen, diese seit ihrer eddischen Dichtung, zum erstenmal wieder das Urbild einer vom Profanen wesensverschiedenen, geweihten Dichtersprache. Der Dichter hatte das Recht [113] persönlicher Sprachschöpfung wieder an sich genommen. Klopstocks Dichtergestalt wurde von den Schöpfern der neuen dänischen Dichtung nachgelebt. Seine Dichtersprache und seine Werke haben in Dänemark den Bildungskampf zugunsten der englischen und deutschen, das ist der nordischen Mächte entschieden und die junge dänische Literatur mitgeschaffen.

Aber wie durch Klopstock die deutsche Dichtung schenkte, so empfing sie auch in seiner Gestalt die Gegengabe. Das war die germanische Vergangenheit. Als die altnordische Dichtung dem Ohr verklungen war, lebte sie wenigstens in der nie unterbrochenen Altertumsforschung fort. Der dänisch-schwedische Federkrieg, der im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert beide Völker über die Frage, ob Dänen oder Schweden das Stammvolk seien, entzweit hatte, war für die Fortpflege der germanischen Erinnerungen heilsam gewesen. Peder Hansen Resenius gab schon 1665 die jüngere Edda und Bruchstücke der älteren heraus. Aber auf dem sächsischen Festlande hatte man keinen geringeren Eifer. Ja hier gab es gelegentlich Menschen, die außerhalb ihrer Gegenwart lebten und keine andere Sorge kannten, als Runensteinen nachzuspüren und sie abzuzeichnen. Wilhelm von Gerstenberg aus dem nordschleswigschen Tondern, dänischer Offizier und in Kopenhagen literarisch tätig, schlug seit 1766 in seiner Zeitschrift Briefe über Merkwürdigkeiten der Literatur die Themen Kjaempe Viiser und Runendichtung an. Gerstenberg wies mit seinem "Gedicht eines Skalden" 1766 den Weg zur Wiedererweckung des nordischen Altertums. So fanden sich aus der einen und gleichen Quelle die junge dänische und die deutsche Dichtung zum gemeinsamen germanischen Geist der Vergangenheit zurück. Durch Klopstocks Hände kam den Dänen deutsches und den Deutschen nordisches Tauschgut zu. Das war Klopstock in Kopenhagen. Er war der vertraute Ratgeber König Friedrichs V. Sein Urteil entschied bei Berufung hervorragender Deutscher. Kopenhagen wurde durch immer neuen Zuzug deutscher Gelehrter, Dichter, Prediger, Schulmänner beinahe eine deutsche Stadt. Klopstock stand wie immer inmitten eines ergebenen Freundeskreises als derjenige, auf dem die Achtung und das Ansehen des Ganzen beruht.

Rund zwei Jahrzehnte verkörperte Klopstock in Kopenhagen die deutsch-dänische Geistesgemeinschaft und die niedersächsische Führung des dänischen Gesamtstaates. Und als sich mit dem Sturze des leitenden Staatsmannes Johann Hartwig von Bernstorff der Zusammenbruch dieser niedersächsischen Führung ankündigte, da begleitete er seinen Freund und Gönner nach Hamburg. Ein volles Menschenalter hat der Dichter dann in dieser Hauptstadt des sächsischen Nordens damit zugebracht, sein Werk abzurunden und seinen Ruhm zu überleben. Aber als man ihn dann begraben mußte, da wurde er bestattet, wie eine Nation nur ihre großen Toten der Unsterblichkeit entgegenführt.

Klopstocks Werke stehen längst im Schatten seiner Persönlichkeit, die immer größer gewesen ist als das, was sie schuf, und die zu allen Zeiten den gültigen [114] Wert ihrer Werke verbürgte. Sie stellen sich in vierfacher Gestalt dar: das christliche Heldengedicht, die Oden, die Festspiele, die Sprachschrift.

Das christliche Heldengedicht "Der Messias" ist schon in Schulpforta durchdacht und dann in Prosa niedergeschrieben worden, weil der Dichter die geläufigen Versformen seiner Zeit verabscheute und zum Hexameter noch keinen Mut hatte. In der ersten Leipziger Zeit wurden die fertigen drei Gesänge in das klassische Versmaß Homers und Vergils umgegossen und 1748 in der Zeitschrift des Freundeskreises, den Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes gedruckt, nachdem Hagedorn in Hamburg und Bodmer in Zürich zu Rate gezogen worden waren. In Kopenhagen wurden diese drei Gesänge nach Sprache, Versgestalt und kirchlicher Zuverlässigkeit überprüft und fünf neue Gesänge hinzugefügt. Das Ganze ergab zwei Quartbände, die 1755 auf Kosten des dänischen Königs und in vornehmer Ausstattung gedruckt wurden. Ein dritter Band folgte 1768 und 1773 ein vierter, der die letzten fünf Gesänge brachte. So lagen fünfundzwanzig Jahre zwischen Beginn und Beschluß, jene zweieinhalb Jahrzehnte, die das deutsche Volk seelisch und geistig völlig verwandelten. Die als Fünfundzwanzigjährige von der verblüffend neuen dichterischen Erscheinung, von den fremden Rhythmen und reimlosen Versen überrumpelt, die von der Kühnheit des Vorwurfes bestürzt, von der erhabenen Sprache hingerissen und von der Empfindsamkeit des religiösen Gefühls gerührt worden waren, ließen als Fünfzigjährige die letzten Gesänge teilnahmslos über sich ergehen, verwöhnt durch eine weltlich-modische Dichtung, durch ein geschärftes kritisches Vermögen entzaubert und durch die Philosophie des Jahrhunderts gegen den pietistischen Überschwang des Gefühls verhärtet. Das Gedicht hat seine Ursache in der Kunstanschauung, die Bodmer gegen Gottsched durchgesetzt hatte: Dichtung ist eine so hohe Aufgabe, daß ihrer nur der höchste Vorwurf würdig sein kann. Die Frömmigkeit, die damals noch die Luft des deutschen Bürgerhauses war, kannte keinen höheren Vorwurf als Leben und Tod des Heilandes. Es sind also zuletzt künstlerische und nicht religiöse Beweggründe. Das antike Epos Homers und Vergils sollte in christlicher, aber auch deutscher Gestalt erscheinen.

Denn zwischen den Gebilden eines Stammes und eines Volkes, zwischen dem altsächsischen "Heliand" und dem neusächsischen "Messias" lassen sich manche Gemeinsamkeiten des Gefühls und des Stiles erkennen, die sächsische und deutsche Gemeinsamkeiten sind. In Klopstocks Gedicht scheint immer wieder Umriß und Farbe der heimatlichen Harzwelt durch. Die pietistische Ablehnung weltlicher Kunstformen zumal der Oper bewirkte den Aufschwung der geistlichen Kantaten und Oratorien. In diesen Musikwerken der Zeit ist der Messias das große Thema. Gleichen Sinnes versuchte auch Klopstock es, das Überweltliche und Außersinnliche nicht für das Auge bildhaft, sondern für das Gehör der Seele durch Gefühl und Stimmung gewissermaßen musikalisch darzustellen. Diese Absicht drückt sich schon in den beliebten Engelchören und in den vielen lyrischen [115] Stellen aus. Der Stil des "Messias" geht gar nicht auf feste und runde Vorstellungen, sondern auf unbegrenzte Stimmung. Der Bruch des Stiles geht auf Kosten des Ehrgeizes, von musikalischen Kunstmitteln immer wieder auf bildhafte abzuirren. Eben diese Bilder verraten aber die Schwäche seines Stiles. Wenn es der Sinn des dichterischen Bildes ist, "Unvorstellbares durch Vergleich mit Sinnlichem vorstellbar zu machen", Klopstocks "Bilder" vergleichen Erdachtes nnt Erdachtem, Unschaubares mit ebenso Unschaubarem, ja das Sinnliche mit dem Unsinnlichen. Und so scheinen denn der Stil des Gedichtes und sein Vers in einem unlösbaren Widerspruch zu stehen. Sicherlich war Klopstocks sechsfüßiger Vers eine große künstlerische Leistung und ein wertvoller Gewinn für die deutsche Dichtung. Aber der Vers Homers ist der Vers des epischen Stiles, der sinnlichen Anschauung, der gleichmäßig und gemessen strömenden Handlung und Rede. Klopstocks Vers aber ist gezwungen, rastloser Unruhe standzuhalten, mit Katarakten zu stürmen, mit deutender Gebärde auf Dinge zu zeigen, die kein Auge wahrzunehmen vermag. Klopstocks Gedicht, das ist die Sonne Homers in frühem Aufgange. Sie hängt rot über dem Gesichtskreis. Aber siehe, sie leuchtet noch nicht.

Die Oden Klopstocks, die römische Form, die er der deutschen Lyrik gefunden hat, waren lange in unechten Drucken verbreitet und gingen als kostbare Abschriften von Hand zu Hand, ehe sie 1771 in wahrhaft monumentaler Gestalt gedruckt wurden mit selbstbewußter Verschweigung des Verfassernamens und der einsilbig-stolzen Widmung: "An Bernstorff". Hier ist der Mensch in seiner ganzen vornehmen und zuchtvollen Haltung. Seine Themen sind die urtümlichsten, die unwandelbaren, die ewigen der Menschheit: Freundschaft, Liebe, Gott-Natur und Vaterland. Und in ihnen vollzieht Klopstock die preiswürdige Verwandlung der deutschen Nation von den erotischen Handgreiflichkeiten des Rokoko zu der ernsten Empfindung des Herzens, von der kühlen und matten Eleganz bezopfter Kleinmeister zum Enthusiasmus des Herzens und Wortes. Seine Leipziger Gefährten des jungen Ruhmes erfüllten ihn mit dem hochgemuten Gefühl der Freundschaft, und die beiden Mädchen, die er liebte, die unerreichbare Base Maria Sophia Schmidt wie die Braut Meta Möller, erweckten in ihm die Sprache für jeden Tonfall der Leidenschaft. Das erotische Gefühl wendet sich ins Unkörperliche und Geschlechtslose. Die Liebe, die unsinnlich erscheinen will, verwandelt sich in das männliche Gefühl der Freundschaft. Worte der Zärtlichkeit werden von Mann zu Mann nur im übertragenen Sinne der Liebe gesprochen. Man muß an den englischen Freundschaftskult etwa zu Shakespeares Zeit denken, und man hat damit an eine gemeinsächsische Seelenhaltung gerührt. Klopstocks Oden der Liebe wie der Freundschaft sind mit bewegter Zartheit, aber mit farbiger Buntheit wie auf Glas gemalt, dem Schein der Sonne entgegen. Das schamhaft junge Nationalgefühl empfand dieses unsinnliche Verhältnis von Geschlecht zu Geschlecht als dem deutschen Wesen gemäßer und [116] in gewolltem Widerspruch zu der frivolen Rokokolyrik der Franzosen französischen und deutschen Blutes. Und schließlich, der deutsche Pietismus setzte gern erotische und religiöse Stimmungswerte füreinander. Eros und Sophia verschwimmen mit ihrem Antlitz ineinander. Diese helldunklen Worte einer Sinnlichkeit, die nichts als Seele ist, hat Klopstock mit unnachahmlicher Sicherheit getroffen. Und gleichermaßen zwiebetont ist sein Erlebnis der Gottnatur. Denn es mischt in transparenter Schale die fromme Leidenschaft des Gottesdienstes mit einem Naturgefühl von sportlicher Sachlichkeit. Gott fährt wahrhaft königlich im prächtigen Aufruhr des Gewitters daher, und er klingt aus dem beschwingten Hochgefühl des Eislaufes. Wenn Klopstock zuletzt sein Naturerlebnis ebenso wie seine Freundschaften und seinen Gottesdienst mit den Worten eines noch dunkel verstandenen nordischen Mythus reden ließ, seine vaterländischen Oden bedurften dieser Bestätigung aus dem nordischen Mythus nicht, weil sie aus der vollen Kraft der Seele das Bekenntnis eines nationalen Weltbewußtseins sind. Sie haben die Nation ergriffen, weil sie nichts als feurige Leidenschaft des Bekenntnisses waren. Klopstocks vaterländische Oden meinen die Nation, aber sie meinen die Nation in Gestalt des Reiches. Sie sind der letzte Ausdruck jener kaiserlichen Reichsgesinnung, die in den vergeblichen Hoffnungen auf Josef II. unwiderruflich ausbrannte.

Friedrich Gottlieb Klopstock.
Friedrich Gottlieb Klopstock.
Federzeichnung
von Wilhelm Tischbein, 1802(?).
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 178.]
Klopstock ist einer der größten lyrischen Meister der Deutschen aller Zeiten, der den Wettkampf mit dem Herold griechischer Sporthelden, mit Pindaros, ebenso aufnahm wie mit Horatius, der die Stimme des bäuerlichen Gewissens Roms und der Sänger des augusteischen Kaisertums gewesen ist. Klopstock beherrscht alle Rhythmen von der durchgegliederten Horazischen Ode bis zur schlichtesten Einfachheit der deutschen Strophe. Er beherrscht mit der gleichen Sicherheit die Architektur des Versgefüges wie die Melodie der Worte. Er hat wie wenige die Kunst verstanden, die eine der größten ist: das treffende Wort an die Stelle zu setzen, wohin es allein gehört, und wenn auch seine lyrische Sprache schwierig erscheint, so ist es die altgermanische Schwierigkeit der Wortbilder und Redefiguren, von der uns Edda und Sagas eine deutliche Vorstellung geben. Wahrhaft germanisch ist Klopstock in der mystischen Dunkelheit seiner Bilder.

Klopstocks Festspiele, das sind "Hermanns-Schlacht" 1767, "Hermann und die Fürsten" 1784, "Hermanns Tod" 1787, alle drei wechselweise aufeinander bezogen und zum Teil von den gleichen Personen getragen. Die Stücke sind nicht in Akte gegliedert. Sie bilden lose Szenen, die durch Chorgesänge umgrenzt sind. Die Schlacht umbrandet von außen die Bühne. Sie wird durch Boten und Zuschauer geschildert und nicht in der Szene gespielt. Die große Gesinnung, die starke Stimmung, die farbenreiche und lebendige Rede haben zumal in dem ersten Stück einen lebhaften Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht. Klopstock dachte an eine Freilichtaufführung. Er strebte einen monumentalen Stil an. Er wollte mit ihnen den Deutschen geben, was die Griechen an ihrem Theater besessen [117] hatten. Prosarede und Gesangstück klingen in ihnen zusammen. Ihre ganze Anlage ist opernhaft. Sie sind aus dem Geiste der Musik geboren. Von Gluck, der mit dem Entwurf zur Vertonung starb, in Musik gesetzt, wären sie das große künstlerische Ereignis des achtzehnten Jahrhunderts geworden. Das sind die Weihefestspiele, in denen zum erstenmal der Gedanke des nationalen Musikdramas anschlägt, ein Gedanke, den Herder aufgriff und prophetisch Richard Wagner zuspielte.

Der Dichter fühlte sich als Treuhänder und Sachwalter der Nation. Er sah sich berufen zum Gesetzgeber der geistigen Gemeinschaft aller Deutschen. Die deutsche Gelehrtenrepublik 1774 ist der Inbegriff alles dessen, was Klopstock erstrebt hat. Sprache bedeutete ihm den geistigen Bestand der Nation und die Gewähr ihres unsterblichen Lebens. Er hat in machtvollen Oden die Schönheit und Kraft der deutschen Sprache gefeiert. Er hat, wobei nicht einmal seine vereinfachte und lautgetreue Rechtschreibung ausgenommen zu werden braucht, einsichtsvoll und klug über Fragen der Sprachgestaltung geschrieben. Nicht anders als Leibniz wollte er durch eine Akademie der Künste und Wissenschaften, der eine Nationaldruckerei und ein Nationaltheater eingegliedert werden sollte, die kaiserliche Hauptstadt des Reiches zum geistigen Mittelpunkt der Nation machen. Der mächtige Entwurf blieb im Gedanken stecken, also führte er ihn mit seiner Gelehrtenrepublik im Gedanken aus. Die Gesamtheit aller Deutschen, die schaffend und empfangend das deutsche Geistesleben tragen, wird als staatliches Gemeinwesen gedacht, das seine eigenen Gesetze, seine Beamten und Landtage hat. Über alles gestellt wird die nationale Pflicht der artgemäßen und eigentümlichen geistigen Schöpfung. Alle Nachahmung des Auslandes wird geächtet. Mit unerbittlicher Strenge gilt das Gebot, die Sprache rein zu erhalten. Dem Deutschen wird das Ziel gesetzt, aller Wissenschaften, Erfindungen und Entdeckungen Herr und Lehrmeister der Welt zu werden. Denn Klopstock sah die Heraufkunft eines welterschütternden politischen und geistigen Umsturzes, und es werden sehr lebenswirkliche Vorschläge gemacht: für ein deutsches Wörterbuch und eine deutsche Sprachlehre, für Völkerkunde und Literaturgeschichte. Man braucht die mannigfachen Wunderlichkeiten dieses Buches nicht zu verteidigen, es bleibt ihm das volle Eigentum des ersten Gedankens in den wichtigsten Lebensfragen der Nation. Man muß sich keineswegs auf das überschwengliche Urteil des jungen Goethe berufen, es genügt das sachlich-kühle Wort des alten Goethe, das in Dichtung und Wahrheit steht: "Für Schriftsteller und Literatoren war und ist das Werk unschätzbar".

Das ist Klopstock. Keine Rettung und keine Vergötterung. Er war der erste Deutsche seines Jahrhunderts, der mit vornehmer und gemessener Haltung auf seinem Gewissen den deutschen Namen getragen hat. Er war der erste Dichter seines Jahrhunderts, der sich als Priester, Führer und Gesetzgeber gefühlt hat. Er war der erste Niedersachse, der zu der gemeindeutschen Sendung eines anerkannten Meisters der deutschen Hochsprache berufen war.




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz