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I. Antwort der Alliierten und Assoziierten Mächte auf die Bemerkungen der Deutschen Delegation zu den Friedensbedingungen


[14] Teil II und III: Grenzen Deutschlands und politische Bestimmungen für Europa

Abschnitt I: Belgien

Die Gebiete von Eupen und Malmedy sind von den benachbarten belgischen Gebieten Limburgs, Lüttichs und Luxemburgs in den Jahren 1814/15 abgetrennt worden. Sie wurden damals Preußen zugeteilt, um die Zahl der Bevölkerung des linken Rheinufers, die Preußen zum Ausgleich für gewissen Verzichtleistungen in Sachsen zugestanden war, zu vervollständigen. Es ist dabei weder auf die Wünsche der Bevölkerung, noch auf die geographischen oder Sprachgrenzen Rücksicht genommen worden. Dennoch hat dieses Gebiet auch weiterhin enge wirtschaftliche und soziale Beziehungen mit den angrenzenden Teilen Belgiens unterhalten. Trotz der durch ein Jahrhundert andauernden Verpreußung hat sich die wallonische Sprache bei mehreren Tausend Einwohnern des Gebiets erhalten. Gleichzeitig ist dieses Gebiet durch den Bau des großen Lagers Elsenborn und verschiedener gegen Belgien gerichteter strategischer Bahnen eine Angriffsbasis für den deutschen Militarismus geworden. Diese Gründe rechtfertigen die Vereinigung dieses Gebietes mit Belgien unter der Voraussetzung, daß die darauf gerichteten Bestrebungen von der Bevölkerung des Landes genügend unterstützt werden. Der Vertrag sieht die Befragung der Bevölkerung unter dem Schutze des Völkerbundes vor. Auf das Gebiet von Neutral-Moresnet, worüber die Souveränität seit 1815 strittig ist, erhebt Preußen Ansprüche, für welche keinerlei Berechtigung ersichtlich ist. Der Vertrag regelt diesen Streitpunkt zugunsten Belgiens und spricht ihm gleichzeitig als teilweisen Schadenersatz für die Zerstörung seiner Wälder die benachbarten Staats- und Gemeinde-Waldungen von Preußisch-Moresnet zu.

Abschnitt II: Luxemburg

Die Bemerkung der Deutschen Delegation über Luxemburg bedurfte keiner Beantwortung, da die Bestimmungen des Vertrages durch zwei unbestreitbare Tatsachen gerechtfertigt sind: die Verletzung der Neutralität des Groß- [15] herzogtums durch Deutschland während des Krieges und die Kündigung des Zollvereins, die Luxemburg selbst nach Abschluß des Waffenstillstandes beschlossen und zur Kenntnis der Alliierten und Assoziierten Regierungen gebracht hat.

Abschnitt IV: Saarbecken

Die Frage des Saargebiets ist bereits Gegenstand eines Notenwechsels mit der Deutschen Delegation gewesen. Die neuen Bemerkungen, die in der deutschen Mitteilung enthalten sind, scheinen Sinn und Absicht dieses Abschnitts des Vertrages vollständig zu verkennen.

Die Absicht und der Wille der Alliierten sind an zwei Stellen ausgesprochen worden: erstens in dem Vertrag selbst, in dem es (Artikel 45 und 46) heißt, daß Deutschland die getroffenen Bestimmungen annimmt "als Ausgleich für die Zerstörung der Kohlenbergwerke in Nordfrankreich unter Anrechnung auf den Betrag der Wiedergutmachung der Kriegsschäden, für welche Deutschland verantwortlich ist... und um die Rechte und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu sichern". Zweitens in der Note vom 24. Mai, in der es hieß: "Die Alliierten und Assoziierten Regierungen haben diese besondere Form der Wiedergutmachungen gewählt, weil sie der Meinung waren, daß die Zerstörung der Kohlenbergwerke Nordfrankreichs eine derartige Handlung war, daß sie eine besondere und exemplarische Wiedergutmachung erforderte. Dieses Ziel würde aber durch bloße Lieferung einer bestimmten oder unbestimmten Menge von Kohlen nicht erreicht werden. Deshalb muß der aufgestellte Entwurf in seinen allgemeinen Bestimmungen aufrecht erhalten werden und die Alliierten und Assoziierten Mächte sind zu keiner Erörterung über diesen Punkt geneigt."

Andererseits erklärt die Deutsche Delegation, daß "die Deutsche Regierung es ablehnt, irgendeine Wiedergutmachung zu leisten, die den Charakter einer Strafe haben würde." Der deutsche Begriff von Gerechtigkeit scheint also eine Vorstellung auszuschließen, die für jede gerechte Regelung wesentlich ist und eine notwendige Grundlage für jede spätere Versöhnung bildet.

Die Alliierten und Assoziierten Regierungen haben, als sie die Art der aufzuerlegenden Wiedergutmachungen bestimmten, den Wunsch gehabt, eine Form zu wählen, die in ihrer außergewöhnlichen Art, übrigens für eine begrenzte Zeit, ein sichtbares und klares Symbol darstellt. Sie haben gleichzeitig beabsichtigt, für die Wiedergutmachungen ein sofort greifbares Pfand zu sichern, das den von der deutschen Denkschrift selbst hervorgehobenen Unsicherheiten entzogen ist.

Andererseits haben sie die größte Sorgfalt darauf verwendet, den Bewohnern des Gebietes selbst jeden materiellen oder moralischen Schaden zu ersparen. Ihre Interessen sind in jeder Hinsicht sorgfältig beachtet worden und ihre Rechtslage wird verbessert werden.

Die Grenzen des Gebietes sind eigens in der Weise bestimmt worden, daß sie so wenig als möglich die bestehenden Verwaltungseinheiten und die täglichen Gewohnheiten dieser Bevölkerung gemischten Charakters berühren. Man hat Sorge getragen, das ganze System der Verwaltung in Beziehung auf [16] Zivil- und Strafgesetzgebung und auf das Steuerwesen ausdrücklich aufrecht zu erhalten. Die Einwohner behalten ihre örtlichen Vertretungen, ihre religiösen Freiheiten, ihre Schulen und den Gebrauch ihrer Sprache. Alle bestehenden Bürgschaften zum Schutze der Arbeiter werden aufrecht erhalten und die neuen Gesetze werden den vom Völkerbunde angenommenen Grundsätzen entsprechen. Zwar soll die Regierungskommission, welcher die oberste Gewalt zusteht, nicht unmittelbar einer parlamentarischen Versammlung verantwortlich sein; immerhin ist diese Kommission verantwortlich, nicht der Französischen Regierung, sondern dem Völkerbunde, was genügende Bürgschaften gegen jeden Mißbrauch der ihr anvertrauten Macht bietet; außerdem wird die Kommission gehalten sein, die Ansicht der erwählten Vertreter des Gebietes zu hören, bevor sie zu irgendeiner Gesetzesänderung oder zur Erhebung einer neuen Steuer schreitet. Der Steuerertrag soll insgesamt dem örtlichen Bedarf dienen und zum ersten Male seit der Annexion dieses Gebietes durch Preußen und Bayern, die eine gewaltsame gewesen ist, werden die Einwohner eine Regierung an Ort und Stelle haben, die keine andere Sorge und Interessen hat außer der für das Wohlbefinden dieser Bevölkerung. Die Alliierten und Assoziierten Regierungen haben volles Vertrauen, daß die Einwohner des Gebietes keinen Grund haben werden, die neue Verwaltung als eine ihnen fernerstehende zu betrachten als es die von Berlin und München aus geleitete war.

Die deutsche Note berücksichtigt an keiner Stelle die Tatsache, daß die ganze vorgesehene Regelung nur eine zeitweilige ist, und daß die Einwohner nach Ablauf von 15 Jahren in voller Freiheit das Recht haben werden, zu wählen, unter welcher Herrschaft sie zu leben wünschen.

Abschnitt V: Elsaß-Lothringen

Alle Bestimmungen über Elsaß und Lothringen enthalten nur die Anwendung des 8. der 14 Punkte, die Deutschland bei Abschluß des Waffenstillstandes als Friedensgrundlage angenommen hat: "das Frankreich von Preußen 1871 hinsichtlich Elsaß und Lothringen zugefügte Unrecht, das den Weltfrieden seit nahezu 50 Jahren gestört hat, muß wieder gutgemacht werden, damit der Friede im Interesse aller wieder gesichert werden kann."

Das vor 50 Jahren begangene Unrecht bestand in der Annexion eines französischen Landes gegen den Willen seiner Einwohner. Dieser Wille ist in Bordeaux durch einstimmige Erklärung ihrer erwählten Vertreter ausgesprochen, im Jahre 1874 abermals im Reichstag und seitdem mehrfach durch die Wahl protestlerischer Abgeordneter zum Ausdruck gebracht und endlich während des Krieges durch die Sondermaßnahmen bestätigt worden, die Deutschland gegen die Elsässer und Lothringer, sowohl Zivil- als Militär-Personen, ergreifen mußte.

Ein Unrecht wiedergutmachen heißt, soweit als möglich die Dinge wieder in den Zustand versetzen, in dem sie sich befanden, bevor ihre Ordnung durch Ungerechtigkeit zerstört wurde. Alle Bestimmungen des Vertrages über Elsaß und Lothringen verfolgen dieses Ziel. Sie werden indes nicht ausreichen, die Leiden dieser beiden Provinzen auszulöschen, die während beinahe eines halben [17] Jahrhunderts für die Deutschen nur ein militärisches "Glacis" und nach dem Ausspruch des Herrn von Kühlmann ein "Bindemittel" für die Einheit des Reichs gewesen sind.

Die Alliierten und Assoziierten Regierungen können daher eine Volksabstimmung für diese Provinzen nicht zulassen. Nachdem Deutschland den 8. Punkt angenommen und den Waffenstillstand unterzeichnet hat, der Elsaß und Lothringen den geräumten Gebieten gleichstellt, hat es keinen Anspruch darauf, diese Volksabstimmung zu verlangen. Die Bevölkerung von Lothringen und Elsaß hat sie niemals verlangt, im Gegenteil hat diese Bevölkerung während nahezu 50 Jahren auf Kosten ihrer Ruhe und ihrer Interessen gegen den Mißbrauch der Gewalt protestiert, deren Opfer sie im Jahre 1871 gewesen ist. Ihr Wille unterliegt keinem Zweifel und die Alliierten und Assoziierten Mächte beabsichtigen, die Beachtung dieses Willens zu sichern.

Die geschichtlichen und sprachlichen Gründe, die Deutschland abermals vorbringt, werden von den Alliierten und Assoziierten Mächten ausdrücklich bestritten und vermögen ihren Standpunkt nicht zu ändern.

Die rechtlichen Einwendungen bezüglich der "vordatierten Abtretung" können gleichfalls nicht zugelassen werden. Deutschland hat diese Abtretung bei Unterzeichnung des Waffenstillstandes anerkannt. Überdies haben Elsaß und Lothringen, indem sie sich in die Arme Frankreichs wie in die Arme einer wiedergefundenen Mutter warfen, selbst den Tag ihrer Befreiung bestimmt. Ein auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegründeter Vertrag kann nicht umhin, einen so feierlich erklärten Willen zu achten.

In allen seinen Bestimmungen, mögen sie die Staatsangehörigkeit, die Schulden, das Staatseigentum usw. betreffen, hat der Vertrag nur den Zweck, Personen und Sachen wieder in den Rechtszustand zu versetzen, in dem sie sich 1871 befanden. Die Verpflichtung, das damals begangenen Unrecht wieder gutzumachen, läßt keine andere Möglichkeit zu und Deutschland hat diese Verpflichtung übernommen, indem es den 14 Punkten zustimmte.

Hinzuzufügen ist, daß die zugunsten Frankreichs gemachte Ausnahme von dem im Vertrage angewandten allgemeinen Grundsatz, wonach der ein Gebiet übernehmender Staat einen Teil der öffentlichen Schuld des abtretenden Staates übernimmt und für das Eigentum dieses Staates, das sich auf dem abgetretenen Gebiete findet, Bezahlung leistet, sehr leicht zu rechtfertigen ist. Im Jahre 1871 hat Deutschland, als es Elsaß und Lothringen nahm, sich geweigert, irgendeinen Teil der französischen Schuld zu übernehmen; es hat für kein französisches Staatseigentum Bezahlung geleistet und Herr von Bismarck hat sich dessen am 25. Mai 1871 vor dem Reichstag gerühmt. Heute verlangen die Alliierten und Assoziierten Mächte, daß Frankreich Elsaß und Lothringen unter den gleichen Bedingungen zurückerwirbt und daß es infolgedessen keinen Teil der deutschen Schuld übernimmt und keine Bezahlung für Staatseigentum leistet. Diese Lösung ist gerecht. Denn wenn das deutsche Staatseigentum Eisenbahnen umfaßt, deren französische Unternehmer Deutschland im Jahre 1871 aus der Kriegsentschädigung entschädigt hat und wenn diese Eisenbahnen seit 1871 ausgebaut worden sind, Deutschland hingegen damals weder den auf Elsaß und Lothringen entfallenden Teil der französischen Staatsschuld, noch das Staatseigentum zu seinen Lasten übernommen hat, so übersteigt die Belastung (Kapital und Zinsen), die dadurch Frankreich auferlegt worden ist, die Summe, auf welche Deutschland Anspruch erhebt.

[18] Was die örtliche Schuld von Elsaß und Lothringen und die der öffentlichen Anstalten von Elsaß und Lothringen vor dem 1. August 1914 betrifft, so sind die Alliierten und Assoziierten Regierungen stets darüber einig gewesen, daß Frankreich sie zu seinen Lasten nimmt.

Abschnitt VI: Österreich

Die Alliierten und Assoziierten Mächte nehmen Kenntnis von der Erklärung, durch die Deutschland versichert, "daß es niemals die Absicht gehabt hat und niemals die Absicht haben wird, mit Gewalt die österreichische Grenze zu verändern".

Abschnitt VII: Polen

Bei der Behandlung des Problems der Regelung der deutschen Ostgrenze müssen zwei Grundprinzipien festgestellt werden.

Das erste ist, daß die Alliierten und Assoziierten Mächte sich in besonderem Maße verpflichtet erachten, den von ihnen errungenen Sieg dazu zu benutzen, um der polnischen Nation die Unabhängigkeit wiederzugeben, deren sie vor mehr als einem Jahrhundert in ungerechter Weise beraubt worden ist. Dieser Raub war eine der größten Ungerechtigkeiten, die die Geschichte verzeichnet, ein Verbrechen, das durch die von ihm hinterlassenen Erinnerungen und Folgen für lange Zeit das politische Leben eines großen Teiles des europäischen Kontinents vergiftet hat. Die Besitznahme der westlichen Provinzen Polens ist für Preußen eines der wesentlichsten Mittel gewesen, worauf es seine militärische Macht aufgebaut hat. Die Notwendigkeit, diese Provinz streng unterworfen zu halten, hat zunächst das ganze politische Leben Preußens und später Deutschlands verdorben. Die erste Pflicht der Alliierten ist, diese Ungerechtigkeit wieder gut zu machen. Sie haben sich zu dieser Pflicht ohne Unterbrechung während des Krieges bekannt, selbst in den Tagen, in denen es manchen hätte scheinen können, daß die Aussicht auf den Enderfolg sehr entfernt war. Jetzt, nachdem der Sieg errungen ist, ist die Erreichung des Zieles, das man sich gesetzt hat, möglich. Die Wiederherstellung Polens ist bereits freiwillig von der Russischen Regierung bewilligt worden. Ihre Verwirklichung ist durch den Zusammenbruch der Zentralmächte gesichert.

Das zweite Grundprinzip, das die Alliierten aufgestellt haben und zu dem sich Deutschland förmlich bekannt hat, besteht darin, daß dem wiederhergestellten Polen diejenigen Gebiete wiedergegeben werden, die heute von einer unbestreitbar polnischen Bevölkerung bewohnt werden.

Dies sind die Grundsätze, welche die Alliierten bei der Festsetzung der östlichen Grenzen Deutschlands geleitet haben, und auf ihnen bauen sich die Friedensbedingungen genau auf.

[19] Posen und Westpreußen

In den westlichen Teilen des ehemaligen Königsreichs Polen, die in diesem Augenblick einen Teil der preußischen Provinzen Posen und Westpreußen bilden, ändert die Anwendung des zweiten Grundsatzes nur unwesentlich die des ersten. Im Augenblick der Teilung waren diese Gebiete von einer polnischen Majorität bewohnt; mit Ausnahme einiger Städte und gewisser Bezirke, wo deutsche Kolonisten eingedrungen waren, war das Gebiet nach Sprache und Nationalgefühl vollkommen polnisch. Hätten die Alliierten und Assoziierten Mächte das Gesetz des historischen Rechts in all seiner Strenge angewandt, so wären sie berechtigt gewesen, fast das ganze Gebiet dieser beiden Provinzen an Polen zurückzugeben. In Wahrheit haben die Alliierten und Assoziierten Mächte es nicht getan. Sie haben in wohlbedachter Absicht den auf das geschichtliche Recht gegründeten Anspruch unbeachtet gelassen, weil sie auch den Anschein der Ungerechtigkeit vermeiden wollten, und sie haben Deutschland die westlichen Gebiete überlassen, die an das deutsche Territorium angrenzen, und in denen in unbestreitbarer Weise das deutsche Element überwiegt.

Außerhalb dieser Grenze bestehen allerdings gewisse oft weit von der deutschen Grenze entfernte Zonen, wie Bromberg z. B., wo die Deutschen in der Mehrzahl sind. Es wäre unmöglich, eine Grenze zu ziehen, die die umgebenden rein polnischen Gebiete zu Polen schlüge und diese Zonen Deutschland überließe. Die eine oder andere Partei muß zu Opfern bereit sein. Wird dieses Prinzip anerkannt, so ist kein Zweifel darüber möglich, welcher Partei ein Vorzugsrecht zuzubilligen ist. So zahlreich die Deutschen in diesen Bezirken sein mögen, die Zahl der beteiligten Polen ist größer. Diese Gebiete Deutschland überlassen, hieße die Majorität der Minorität opfern. Überdies muß man sich die Methoden ins Gedächtnis zurückrufen, mit denen die Deutschen in gewissen Gebieten ihr Übergewicht erreicht haben. Die deutschen Kolonisten, die deutschen Einwanderer, die deutschen Bewohner sind nicht allein auf Grund natürlicher Ursachen gekommen. Ihre Anwesenheit ist die unmittelbare Folge der von der preußischen Regierung befolgten Politik, die ihre ungeheuren Hilfsmittel nutzbar gemacht hat, um die eingeborene Bevölkerung des Besitzes zu entsetzen und sie durch eine nach Sprache und Nationalität deutsche Bevölkerung zu ersetzen. Sie hat dieses Verfahren bis zum Vorabend des Krieges fortgesetzt, und zwar mit einer ausnehmenden Härte, die selbst in Deutschland Protestkundgebungen hervorgerufen hat. Wollte man zugeben, daß eine Politik dieser Art dauernde Rechte auf ein Land beschaffen könne, so hieße das, die flagrantesten Handlungen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung ermutigen und belohnen.

Um jede Möglichkeit von Ungerechtigkeiten auszuscheiden, haben die Alliierten und Assoziierten Mächte von neuem die westlichen Grenzen Polens sorgfältig geprüft; diese Prüfung hat gewisse Veränderungen in Einzelheiten zur Folge gehabt, die in der Absicht geschehen sind, in noch genauerer Weise die Grenze der Linie der ethnographischen Demarkation anzupassen. Diese Veränderungen werden im ganzen eine Verminderung der Zahl der an Polen kommenden Deutschen zur Folge haben. Insbesondere haben die Alliierten und Assoziierten Mächte beschlossen, sich streng an die geschichtliche Grenze zwischen Pommern und Westpreußen zu halten, so daß in dieser Gegend kein Teil Deutschlands, [20] der außerhalb des ehemaligen Königreichs Polen gelegen wäre, an Polen gelangt. Es ist nicht sicher, daß diese Veränderungen in der Praxis Verbesserungen bedeuten werden. Es ist sogar möglich, daß die Tatsache einer genaueren Befolgung der Volksgrenzen örtliche Unbequemlichkeiten hervorruft.

Oberschlesien

Ein großer Teil der deutschen Antwort ist der oberschlesischen Frage gewidmet. Es wird zugegeben, daß dieses Problem von dem Posens und Westpreußens sich unterscheidet, und zwar deswegen, weil Oberschlesien zu der Zeit, als Polen geteilt wurde, nicht diesem Staate angehörte. Man kann die Behauptung aufstellen, daß Polen keinen rechtlichen Anspruch auf die Abtretung Oberschlesiens hat; aber feierlich muß erklärt werden, daß die Behauptung, es hätte keine Rechte darauf, die durch die Grundsätze des Präsidenten Wilson gestützt würden, nicht der Wahrheit entspricht. In den Bezirken, deren Abtretung in Frage steht, ist die Mehrheit der Bevölkerung unbestreitbar polnisch. Alle deutschen Spezialwerke, alle Schulhandbücher lehren den deutschen Kindern, daß die Bewohner nach Ursprung und Sprache Polen sind. Die Alliierten und Assoziierten Mächte hätten vollkommen die Grundsätze verletzt, zu denen die Deutsche Regierung sich selbst bekannt hat, wenn sie nicht den Rechten der Polen auf dieses Gebiet Rechnung getragen hätte.

Die Deutsche Regierung bestreitet indessen jetzt diese Schlußfolgerungen. Sie weigert sich, die polnischen Bestrebungen der Bewohnerschaft anzuerkennen. Sie behauptet, daß die Trennung des Gebiets von Deutschland weder den Wünschen noch den Interessen der Bevölkerung entspricht. Unter diesen Bedingungen sind die Alliierten und Assoziierten Mächte geneigt, die Entscheidung der Frage denjenigen zu überlassen, die sie besonders angeht. Sie haben demnach bestimmt, daß das Gebiet nicht unmittelbar an Polen abgetreten werden soll, sondern daß Maßnahmen getroffen werden, um dort eine Volksabstimmung stattfinden zu lassen.

Sie wären glücklich gewesen, diese Volksabstimmung vermeiden zu können, denn die Maßregel wird auch eine beträchtliche Zeit aufgeschoben werden müssen; sie wird die zeitweilige Besetzung des Gebiets durch fremde Truppen mit sich bringen. Um die volle Freiheit der Abstimmung zu sichern, wird die Schaffung einer unabhängigen Kommission mit der Aufgabe, das Gebiet während der der Abstimmung vorangehenden Zeit zu verwalten, erforderlich sein.

Überdies ist, um zu verhindern, daß Deutschland willkürlich der notwendigen Rohstoffe für seine Industrie beraubt wird, dem Vertrage ein Artikel hinzugefügt worden, der vorsieht, daß die Mineralprodukte, einschließlich der Kohle, die in irgendeinem abgetretenen Teile Oberschlesiens erzeugt werden, von Deutschland zu denselben Bedingungen wie von den Polen selbst gekauft werden können.

Um jeder Kritik, die sich auf die Folgen einer Gebietsabtretung auf Polen bezieht, Rechnung zu tragen, machen die Alliierten und Assoziierten Regierungen, geleitet von dem Wunsche, Sicherungen hinsichtlich der Liquidation deutschen Eigentums zu schaffen, Vorschläge, deren Einzelheiten sich weiter unten bei den Bestimmungen, die sich auf Eigentum, Rechte und Interessen beziehen, finden.

[21] Die Wiederherstellung des polnischen Staates ist eine große geschichtliche Tat, die sich nicht vollziehen kann, ohne viele Beziehungen zu zerbrechen, ohne viele zeitweilige Schwierigkeiten zu verursachen und ohne viele Personen in Unruhe zu versetzen, aber die Alliierten und Assoziierten Mächte haben es sich ganz besonders angelegen sein lassen, den Deutschen, die an Polen kommen sollen, ebenso wie allen anderen in Religion, Rasse oder Sprache sich ergebenden Minderheiten ernsthaften Schutz angedeihen zu lassen. Eine Klausel des Vertrages sichert ihnen Religionsfreiheit, das Recht des Gebrauchs ihrer Sprache, und auch das Recht, ihre Kinder in ihrer eigenen Sprache erziehen zu lassen. Sie werden keinerlei Verfolgung kennen, die der ähnlich wäre, die die Polen von seiten des Preußischen Staates zu erdulden hatten.

Abschnitt IX: Ostpreußen

Die Deutsche Regierung erklärt, sie könne keine Lösung annehmen, durch die Ostpreußen vom übrigen Deutschland getrennt würde. Demgemäß ist es notwendig, daran zu erinnern, daß Ostpreußen mehrere Jahrhunderte hindurch tatsächlich so vollkommen für sich bestand, daß es bis 1866 in keinem Augenblick in Wahrheit innerhalb der politischen Grenzen Deutschlands inbegriffen war; die deutschen Geschichtsschreiber haben stets anerkannt, daß Ostpreußen kein Land deutschen Ursprungs ist, sondern eine deutsche Kolonie. Zweifellos wäre es für Deutschland bequem, daß dieses durch das deutsche Schwert eroberte und seinen Ureinwohnern entrissene Land in unmittelbarer Berührung mit dem wahren Deutschland bliebe, aber das, was für Deutschland bequem ist, gibt keinen genügenden Grund ab, um die Fortsetzung der Zerreißung und Zerstückelung einer anderen Nation zu rechtfertigen. Überdies sind die Interessen an einer Landverbindung mit Deutschland, die bei den an Zahl noch nicht zwei Millionen erreichenden deutschen Einwohnern in Ostpreußen obwalten, viel weniger vital, als das Interesse der ganzen polnischen Nation an der Erlangung eines unmittelbaren Zugangs zum Meere.

Der Handel Ostpreußens mit dem übrigen Deutschland vollzieht sich größtenteils über See. Für das Handelsleben der Provinz wird es wenig bedeuten, daß Westpreußen an Polen zurückgegeben wird; aber für Polen ist es wesentlich, unmittelbare und ununterbrochene Verbindungen mit Danzig und der übrigen Küste zu haben mittels Eisenbahnlinien, die ganz unter der Kontrolle des polnischen Staates stehen. Die Nachteile, die sich aus der neuen Grenzziehung für Ostpreußen ergeben können, fallen nicht ins Gewicht, wenn man sie mit denen vergleicht, die jede andere Regelung für Polen verursachen würde.

Überdies ist die Bedeutung des Schienenweges, der Ostpreußen mit Deutschland verbindet, vollkommen im Vertrage anerkannt worden, und es sind Bestimmungen zu diesem Zwecke in ihm aufgenommen worden. Diese letzteren sind einer sehr sorgfältigen Durchsicht unterzogen worden und sie geben die vollkommene Gewißheit, daß die Verbindungen durch das polnische Territorium keinerlei Hindernis treffen werden.

[22] Es ist schwer, die Einwendungen zu begreifen, die von deutscher Seite gegen die Volksabstimmungen erhoben werden, die in gewissen Gebieten Ostpreußens stattfinden sollen.

Nach allen Informationen gibt es in dem Gebiet von Allenstein eine beträchtliche polnische Majorität. Demgegenüber behauptet die deutsche Note, daß dieses Gebiet nicht von einer unbestreitbar polnischen Bevölkerung bewohnt sei, und will glauben machen, daß die Polen eine Trennung von Deutschland nicht wünschen. Gerade wegen der Zweifel, die möglicherweise in bezug auf die politischen Sympathien der Bevölkerung bestehen, haben die Alliierten und Assoziierten Mächte die Veranstaltung einer Volksabstimmung in diesem Gebiet beschlossen. Wo die Zugehörigkeit einer Bevölkerung nicht zweifelhaft ist, ist eine Volksabstimmung nicht nötig; wo Zweifel bestehen, erscheint sie geboten. Man bemerkt mit Überraschung, daß die Deutschen in demselben Augenblick, wo sie sich zur Annahme des Grundsatzes der freien Verfügung der Bevölkerung bekennen, die Annahme der deutlichsten Mittel zur Anwendung dieses Grundsatzes verweigern.

Abschnitt X: Memel

Die Alliierten und Assoziierten Mächte weigern sich, zuzugeben, daß die Abtretung des Gebietes von Memel dem Nationalitätenprinzip entgegengesetzt sei. Das fragliche Gebiet ist immer litauisch gewesen, die Mehrheit der Bevölkerung ist nach Ursprung der Sprache litauisch. Die Tatsache, daß die Stadt Memel selbst zu einem großen Teile deutsch ist, würde in keiner Weise das Verbleiben des ganzen Gebietes unter deutscher Hoheit rechtfertigen, insbesondere deswegen nicht, weil der Memeler Hafen Litauens einziger Ausgang zur See ist.

Es ist bestimmt worden, daß Memel und das benachbarte Gebiet den Alliierten und Assoziierten Mächten überlassen werden, weil die Rechtsverhältnisse der litauischen Territorien noch nicht bestimmt sind.

Abschnitt XI: Danzig

Die deutsche Note erklärt, daß die Deutsche Regierung "den Raub zurückweisen muß, der an Danzig begangen werden soll und den Anspruch auf das Verbleiben Danzigs und seiner Umgebung beim Deutschen Reiche aufrecht erhalten muß". Eine solche Sprache scheint auf eine gewisse Verkennung der wirklichen Lage hinzuweisen. Die für Danzig vorgeschlagene Lösung ist mit genauester Sorgfalt ausgearbeitet worden und wird den Charakter bestätigen, den die Stadt Danzig durch Jahrhunderte bis zu dem Tage gehabt hat, an dem sie durch Gewalt und entgegen dem Willen ihrer Bewohner dem Preußischen Staate einverleibt worden ist. Die Danziger Bevölkerung ist der großen [23] Mehrzahl nach deutsch und ist dies seit langer Zeit gewesen. Gerade aus diesem Grunde geht der Vorschlag nicht dahin, die Stadt dem Polnischen Staate einzuverleiben. Aber als Danzig eine Hansestadt war, befand es sich, wie viele andere Hansestädte, außerhalb der politischen Grenzen Deutschlands und war mit Polen vereinigt, bei welchem Staate es sich jahrhundertelang weitgehender örtlicher Unabhängigkeit und einer großen Handelsblüte erfreut hat. Es wird sich nun von neuem in einer Lage befinden, die der während so vieler Jahrhunderte von ihm eingenommenen ähnlich ist. Die wirtschaftlichen Interessen Danzigs und Polens sind identisch. Danzig, der größte Weichselhafen, bedarf dringend engster Beziehungen zu Polen. Die Einverleibung Westpreußens einschließlich Danzigs in Deutschland hat Polen des unmittelbaren Zugangs zur See, auf die es ein Recht hatte, beraubt. Die Alliierten und Assoziierten Mächte schlagen vor, daß ihm dieser unmittelbare Zugang zurückgegeben wird. Es genügt nicht, daß Polen das Recht erhält, sich deutscher Häfen zu bedienen. Von so geringer Ausdehnung der Teil der Küste, der polnisch ist, auch sein mag, er muß an Polen zurückgegeben werden. Polen verlangt, und zwar gerechterweise, daß sich die Verwaltung und Entwicklung desjenigen Hafens, der sein einziger Ausgang zum Meere ist, in seinen Händen befinden, und daß die Verbindung zwischen diesem Hafen und Polen keiner fremden Kontrolle unterworfen werden, so daß unter diesem Gesichtspunkte, der für die nationale Existenz Polens einer der wichtigsten ist, Polen auf den Fuß der Gleichheit mit den anderen Staaten Europas gestellt wird.

Abschnitt XII: Schleswig

Für Schleswig, das Preußen 1864 Dänemark entrissen hatte, hat Preußen im Prager Frieden von 1866 versprochen, daß die Bevölkerungen der nördlichen Gebiete an Dänemark abgetreten werden sollten, wenn sie durch eine freie Abstimmung den Wunsch ausdrückten, mit diesem Staate vereinigt zu werden. Trotz wiederholten Verlangens der Einwohner hat weder Preußen noch das Deutsche Reich jemals einen Schritt getan, um dieses Versprechen zu halten; die Dänische Regierung und die Bevölkerung von Schleswig haben die Friedenskonferenz ersucht, ihnen eine Volksabstimmung zu sichern. Diese garantiert nunmehr der Vertrag.

Auf Wunsch der Dänischen Regierung sind Bestimmungen getroffen worden, um das Gebiet bis zur Eider und Schlei von deutschen Truppen und von den hohen preußischen Beamten zu räumen, sowie um die zeitweilige Verwaltung des Gebiets und die Organisation einer Volksabstimmung einer internationalen unparteiischen Kommission anzuvertrauen, in welcher Norwegen und Schweden sowie die Alliierten und Assoziierten Mächte vertreten sein sollen. Auf Ersuchen der Dänischen Regierung ist bestimmt worden, die Grenzen des der Volksabstimmung unterworfenen Gebiets in Übereinstimmung mit diesem Ersuchen festzusetzen. Auf der Grundlage der hiernach vorzunehmenden Volksabstimmung wird die internationale Kommission eine genaue Grenzlinie zwischen Deutschland und Dänemark vorschlagen, eine Linie, bei der auf geographische und wirtschaftliche Bedingungen Rücksicht genommen werden wird.

[24] Abschnitt XIII: Helgoland

In bezug auf Helgoland bemerken die deutschen Delegierten, indem sie in die Schleifung der Befestigungen willigen, daß:

      "die für den Schutz der Küste und des Hafens notwendigen Maßnahmen im Interesse der Einwohner der Insel sowohl wie im Interesse der friedlichen Schiffahrt und der Fischerei in Kraft bleiben müssen".

Die hauptsächlichen Alliierten und Assoziierten Mächte werden nach der Unterzeichnung des Friedens eine Kommission zur Überwachung der Schleifung der Befestigungen ernennen. Diese Kommission wird bestimmen, welcher Teil von den die Küste gegen die Abspülungen des Meeres sichernden Werken erhalten bleiben kann, und welcher Teil beseitigt werden soll, letzteres als Vorsichtsmaßregel dagegen, daß die Insel von neuem befestigt wird.

Die einzigen Häfen, deren Zerstörung vorgeschlagen wird, sind die Kriegshäfen, die innerhalb der in Artikel 115 bezeichneten Grenzlinien liegen; der Fischereihafen ist nicht in dieser Zone einbegriffen, und die Kriegshäfen finden für Fischereifahrzeuge keine Verwendung. Der Artikel muß demzufolge bedingungslos angenommen werden.

Abschnitt XIV: Rußland

Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind der Meinung, daß keiner der Vorbehalte und keine der Bemerkungen, die von der Deutschen Delegation in bezug auf Rußland vorgebracht werden, die geringste Veränderung in den diesbezüglichen Klauseln des Friedensvertrages notwendig macht.


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und der Antwort auf die deutschen Gegenvorschläge.

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