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Die Hansestädte
Hans Leip

Der Bremer Roland
[32]      Das Wahrzeichen der Hanse:
Der Bremer Roland von 1404.
Hansestädte... Es steigen Vorstellungen auf von hochbordigen mittelalterlichen Segelfahrzeugen, dreimastig, mit bauernbettdick geschwellten ungeheuerlichen düsteren Seils, mit waschtroggroßen Marskörben, mit langwimpelnden Flaggen, mit drohend gehörnten Kuhköpfen und lächelnden Meerjungfrauen als Galionsfiguren. Im Hintergrunde liegt Wisby oder Helgoland. Würdige Ratsherren sieht man aufstehn in schwarzer, spanischer Tracht, den sauberen Mühlsteinkragen wie ein präsentierendes Tablett unter harten, pfiffigen Kaufmannsschädeln, gefüllte Speicher hinter ihnen, Geruch von Tabak, Baumwolle, tropischen Gewürzen, Kaffee und Hering in lichtem Gewölk um sie gekränzt, über ihnen trotzige Rathausgiebel, ungeschlachtes Stadttorgetürm und höher noch die unbeugsamen Finger der Kirchen und der gottesgefälligen Gerechtigkeit. Und mitten im Himmel geradewegs unter dem Auge Gottes leuchtet der Spruch:

Kalkül und Macht und Recht,
wer damit handelt frei,
und hat noch Glück dabei,
dem geht es niemals schlecht.


Die Schiffstypen haben sich geändert. Sie wirken weniger phantastisch, und obwohl sie hundertfach größer sind als die alten Hansekoggen, sehen sie auf Bildern lange nicht so gewaltig aus. Genau wie die Senatoren, die - wenn auch erst kürzlich - die Würdetracht ihrer Vorgänger den hansischen Leichenträgern überlassen haben, die sie auch vorher schon hatten und nicht daran denken, durch den Übergang zum Zivil in gar nichts mehr abzustechen von ihren Mitbürgern. Die kleinen preußischen Kontore sind zu Handelspalästen erwachsen, Entwicklung sprengte die kriegerischen Stadtmauern, die Toren öffneten sich friedlich dem Vaterlande und der Welt, ihre Reste und Schlüssel fristen Erinnerung in den städtischen Fahnen und Siegeln. Die Hintergründe sind die Kontinente, die Häfen wuchsen, und vielfältiger wölkte der Allerzonendunst, und nicht ganz so konkurrenzlos hoch wie ehedem ragen die Türme der Kirchen.

Mein Feld
ist die Welt.

Das ist der Spruch der neuen Zeit, der den alten in sich schließt. Er steht über dem riesigen Geschäftshaus der Hapag zu Hamburg, der größten deutschen Reederei. Er bedeutet klar und kühl: Ich will ernten! Das kaufmännische Erntegeschäft, das ist der alte Sinn der [34] Hanse. Die Geschichte der Hansestädte ist erfüllt von dem protestantischen Geist des Schätzesammelns auf Erden, von der sachlichen Nutznießung des lutherischen Satzes von der Seligwerdung nicht so sehr durch gute Werke, als allein durch den Glauben. Nur die calvinistischen Engländer sind darin den Hansestädten über. Am nächsten kommt ihnen das calvinistische Bremen, doch sind auch in Hamburg verschiedene ganz große Handelshäuser englisch, holländisch oder französisch calvinistischer Abstammung. Der erntende Quäkergeist war der schlechteste nicht, solange genügend andere da waren, die sich mit Pflügen und Säen begnügten. Aber allmählich sprach sich die schöne Idee des Erntens herum, und ethisch ungehemmtere Naturen bauten die Erntemethoden zu ungeahnten Möglichkeiten aus. Das Ergebnis war das, was sich jeder kleine Junge seit langem unter Amerika vorstellte. Eine Zeitlang war das sehr lustig. Und die Hansestädte schienen ihr Geschäft dabei zu machen, bis auf Lübeck, das nicht das Weltmeer, sondern die Ostsee vor sich hatte (der Kaiser-Wilhelmskanal raubte ihm auch dort die Vormachtstellung) und es hatte eigentlich die Reformation nicht recht anwenden können und war klein und romantisch und seiner Marienkirche zugewandt geblieben. Und die in innerster Ekstase starren Propheten Barlachs, Propheten einer ganz unprotestantischen neuen Mystik, Säepropheten, nicht Erntepropheten, konnten nicht im Hag-nüchternen Bremen, auch nicht in Hamburg, wo doch der große Bildhauer seine Jugend verlebte, sie konnten nur in Lübeck ihren Platz an Domwänden finden.

Lübeck - Dom und Museum
[46]      Lübeck. Dom und Museum.


Um es vorweg zu nehmen: Dom in Hamburg ist der Begriff für den großen Weihnachtsjahrmarkt auf dem Heiligengeistfeld (dem früheren Tempelhofer Feld Hamburgs). Er ist neben der Münchener Oktoberwiese der größte des Kontinents, Inbegriff billig strotzender Bürgerlust auf vergessenen frommen Überlieferungen, eine sonderbare Satire, die keinem Einheimischen auffällt. Der wirkliche Dom hat eine merkwürdige Geschichte. Er gehörte zum Erzstift Bremen, später zu Schweden und danach zu Hannover, oder vielmehr (durch die Personalunion) zu England. Auch Dänemark hatte Anteile. Napoleon, betreffs der deutschen Einigkeit Vorläufer Bismarcks (ganz gleich aus welchen Gründen), vereinfachte zu Regensburg das Hundertflicken-Harlekinsgewand des Reiches, und der Dom kam an Hamburg. Seit der Reformation war dort nur selten mehr Gottesdienst gehalten worden, wohl aber fand der Weihnachtsmarkt in dem fast tausend Jahre alten Gemäuer statt, der danach noch heute den Namen Dom führt. Ein Hoher und Edler Senat hatte nun derzeit nicht Lust, das von der brennholzbedürftigen Bevölkerung längst verhackte Kirchengestühl wieder anzuschaffen. Darum ließ er die große, schöne alte Kathedrale abreißen. Später wurde auf dem Platze eine Gelehrtenschule errichtet, die jetzt die Staatsbibliothek enthält, ohne dem Fremdenverkehrsverein Ersatz für das - nicht etwa durch den berühmten Brand - Zerstörte zu bieten. In Bremen heißt der große Herbsttrubel Freimarkt. In Lübeck ist eine nähere Bezeichnung nicht nötig.


Bremen ist in der Erhaltung alter Bauwerke glücklicher gewesen, gar nicht zu reden von Lübeck. Zwischen Gotik und Barock haben die Städte in Norddeutschland begabte Bau- [35] meister gefunden. Sandstein brach man im Wesergebirge. Bremen verwandte ihn früh. Weiter östlich war er teuer wie Marmor, man überließ ihn den Bildhauern. Granit war nur in Findlingsform vorhanden. (Daß die Gewölbe des Hamburger Doms Sandstein, die Säulen Granit waren, erhellt den einstigen Reichtum des Domstiftes). Aber Backstein, Ziegel, Klinker waren elbwärts im heimischen Boden zu gewinnen. Es war eine notgedrungene Tugend. Sie wird belohnt durch die Freude der Urenkel. Domsheide und Domshof zu Bremen, diese beiden Plätze alter kluger Stadtbaumeisterkunst, sind wuchtig und erhebend umbaut und sind noch nicht allzu sehr verschandelt und mißverstanden von der modernen Verkehrsentwicklung - obwohl man endlich zumindest die Straßenbahnen, wenn nicht überhaupt den ganzen Wagenrummel in eine Umgehung leiten sollte.

Im Rathaus von Bremen
[45]      Im Rathaus von Bremen.

Und zu Lübeck sind es der Marktplatz und der Marienkirchhof, ja, namentlich der Marienkirchhof (abgesehen von Holstentor, den Salzspeichern und so mancher Einzelheit) der schönste aller norddeutschen Plätze, darin kein preußisches Postgebäude der achtziger Jahre und kein Kaiserdenkmal Raum fand. Hier in machtvoller Gotik, zwischen Rathausschmuckwand und breittragender Kirchenmauer, und weiterhin im Barock der Kanzlei und im Rokoko des Buddenbrookhauses ist die Grundlage Backstein und feiert darin ein schönfarbiges Fest, ein Fest tüchtiger, hansischer Gesinnung, das herb und anständig, schwungvoll stark, reinlich [36] und erdenfroh auf unsere von Zeitungsillustrationen und Gasolin getrübten Sinne in begnadeten Augenblicken sonderbar erregend wirkt.

Lübeck - Marktplatz mit Rathaus
[47]      Lübeck. Marktplatz mit Rathaus.


Es gibt nur noch drei Freie und Hansestädte. Man sagt darüber:

Hamburg, Lübeck, Bremen
brauchen sich nicht zu schämen.

Wahrscheinlich ist es heute so, daß sich die Genannten nicht zu schämen brauchen, von dem Schwarm der einstigen Hansestädte als einzige übrig geblieben zu sein. Sie sind wirkliche Kleinstaaten inmitten des großen Reiches, kleine deutsche Republiken längst bevor es die große gab, und eigentlich erst durch die Republik in ihrer Selbstherrlichkeit empfindlich beschnitten. Die deutsche Revolution nahm ihren großen Anlauf von Hamburg und Bremen aus. Was nicht hinderte, daß der Rückschlag nach einem Dutzend Jahren stramm entgegengesetzte Neigungen zeitigte. Die Unsicherheit der wirtschaftlichen Lage, die unbehagliche Verstopfung der Weltmärkte war es, die solche bedeutende Verwirrung in den hanseatischen Geist brachte, es war nicht gerade etwas Politisches, es war nicht an die kleine schwarze Maus gedacht, die an den Wurzeln des Eichbaums nagt, der auf einem der alten Sandsteinreliefs im Chor der Lübecker Marienkirche das Abendmahl überschattet, jene dunkle unbequeme Nagerin, die jedem Handwerksburschen noch heute das Wahrzeichen Lübecks ist. Sie wurde in den Stein gemeißelt im Jahre der Entdeckung de Kontinents Amerika. Es war eine Zeit hansischer Verfassungskämpfe, der Handwerker- und Bauernunruhen, der Länderstreitigkeiten und der religiösen Zweifel. Das Reichsgesetz vom ewigen Landfrieden war drei, Luther war fünfzehn Jahre alt. Vierhundertfünfunddreißig Jahre weiter, da die Zeit im Hohlspiegel wiederkehrt, vergrößert und verzerrt, da die Landstraßen überfüllt sind von Handwerksburschen ohne Handwerk, ist auch das kleine schwarze Maussymbol gewaltig gewachsen. Es nagt hörbar an den Wurzeln der hansischen Kraft.


Die Macht des Städtebundes, Hansa genannt, reichte einst von Archangelsk und Nischninowgorod bis Bergen und Brügge, London und Lissabon. In der Schwachheit des Reiches, im Kometenschwarm der allzu vielen Fürsten und Fürstlein blühten die Städterepubliken wie Fixsterne. Sie mußten verblassen, als die all-einigende Sonne aufging, die Einigung und Erstarkung des Reiches, deren schüchterne Morgenröte begann im westfälischen Frieden. Diese Sonne hieß Preußen. Hamburg, im Schatten seiner dicken Festungswerke war von den Greueln des Dreißigjährigen Krieges unangetastet geblieben. Den een sin Uhl is des annern sin Nachtigall. Es war durch Kriegslieferungen fett geworden am Unglück des Reiches. Machtvoll konnte es seine Privilegien verteidigen. Bremen, nicht ganz so ungelaust entkommen, und das schmaler gewordene Lübeck, das seine hansische Führerstellung längst an Hamburg abgetreten hatte, drückten sich kräftig hinter den Rücken der reichen Elbstadt, und allen dreien bestätigte der Kaiser und die Bundesakte ihre Selbständigkeit und ihre hanseatische Zusammengehörigkeit als "gemeiner deutscher [37] Wohlfahrt angemessen". Und es bewährte sich das alte niederdeutsche Trostsprüchlein an ihnen:

Wo wi tohop hefft stahn,
hett uns noch nüms wat dahn!


Alt-Hamburg
[37]      Alt-Hamburg.
Fleet mit St. Nikolaikirche.
Und so ist es durch unterschiedliche Fährnisse hindurch geblieben bis auf den heutigen Tag. Wo denn die überlieferte Selbstherrlichkeit und Leuchtkraft sehr gedämpft ist und auf Unterstützung des Reiches angewiesen, so daß es fraglich erscheint, ob der hübsche Titel dieses Städtedreigestirns noch lange mehr sein wird als eine historische Erinnerung. Der Weise wird dem nicht nachweinen. Die Vorzüge der Kleinstaaterei werden durch das Zusammenrücken der Entfernungen aufgehoben. Soll es ewig so weitergehen: Hansestädte und Preußen, Preußen und Reich usw.? Verkehr und Technik verleihen dem Begriff Grenze den Beigeschmack des Hinderlichen und Überholten. Der Mensch hat die gesunde Neigung, sich das Leben angenehm zu gestalten. So schwerwiegend auch in allen Dingen des Fortschritts die übernommenen Empfindungen von Besitzrecht, Vorrecht, Eigenmacht, Besserkönnen, Ehre und ungeteilter Ernte sich dagegen stemmen, eines Tages siegt der weitere Horizont, sobald er sich nämlich klar als der bequemere erweist. Regieren doch beispielsweise in dem Elbstadtgebiet Hamburg-Altona-Wandsbek-Harburg, das durch sichtbare Grenzen nicht mehr getrennt ist, wenige Kilometer voneinander entfernt noch [38] vier komplizierte Magistrate nebeneinander her! Nicht zu reden von dem vierfachen Aufmarsch sonstiger so umständlicher als kostspieliger Behördenpleonasmen.


Der hansische Bürger, bürgerlicher, weniger klimatisch zum Festlichen, zur Schaustellung geneigt als der Bürger südlicherer Städterepubliken, wie etwa Venedig, hat unstreitig den Ruhm, den Begriff Büger am längsten und aufrichtigsten dargestellt zu haben. Er beginnt, der Literatur und damit der Geschichte anzugehören. Thomas Mann machte ihn unsterblich durch seine lübische Bürgerchronik Die Buddenbrooks. Für Hamburg gibt es kein ähnlich zusammenfassendes Buch, man hat dort das nüchternere, aber doch recht aufschlußreiche kleine Erinnerungswerk von Paul Hertz Unser Elternhaus und hat des Sachsen Carl Reinhardts köstliche Bürgersatire Der fünfte Mai. Für Bremen gibt es die hübschen, manchmal zu hübschen Bücher der Tochter des berühmtesten der Bremer Bürgermeister, Bernhardine Schultze-Smidt, und namentlich ihr Jugendparadies ist als nettes Dokument zu würdigen. Man liest dergleichen mit einer gewissen Wehmut. Mit den Grenzen schwinden die Sonderheiten. Der Zug der Einheitlichkeit, der Einigungen und Vereinigungen beraubt die Welt um manche Farbe und um manche Käuze. Aber man spürt wieder, daß die Wurzeln aller Entwicklung nicht im Gesonderten, nicht im Begrenzten, sondern im Menschheitlichen liegen. Die Ausdehnung des bürgerlichen Ansehens auf jedermann, Anreiz und Frucht vieler Reformationen und Revolutionen, birgt in sich die tödliche Erdrückung des Begriffes Bürger, dessen Burgen und Geborgenheiten genau so unzeitgemäß sich erweisen wie die Panzer und Pferde der Ritter.

Bremen - Dom- und Rathausviertel
[41]      Bremen. Dom- und Rathausviertel.


Bremen - Rathausportal
[42]      Bremen. Rathausportal.
[39=Foto] [40] Dennoch ist es die Landschaft und die besonderen Vorzüge und Aufgaben, die sich daraus ergeben, was noch heute den drei Hansestädten einen Teil des alten Glanzes beläßt: Die Lage an der See, und zumal bei Bremen und Hamburg an der Seemündung je einer mächtigen schiffbaren Hinterlandsstraße. Hamburg und Bremen sind Deutschlands wesentliche Schleusentore in die Weltmeere. Das kleine Lübeck ist der natürliche Güter- und Passagehafen zwischen Deutschland und den nordischen Ländern. Reederei, Kaufmannschaft, Maklerbetrieb, Werft, Stauerei, Lagerhalterei und das ganze verzweigte Drum und Dran handwerklicher, industrieller, technischer und behördlicher Ergänzung, das ganze große Gebiet des Seehandelsgeschäftes gibt den Hansestädten das einheitliche Gepräge und die einheitliche Lebensbedingung, ehedem wie heute. In der mäßig gewellten Landschaft der norddeutschen Tiefebene liegen sie am feuchten Rande des Reiches mit Hamburg als Mittelpunkt, von diesem nur je eine D-Zugstunde entfernt, das ist nicht weiter und zeitraubender als mit den vorhandenen Verkehrsmitteln die Entfernung zwischen ihren entgegengesetzten Vororten. Man sollte meinen, diese stattlichen und wichtigen Bollwerke des Reiches wären weit mehr als es in der Zeit des Rollwagens und Segelschiffes schon möglich war, in gleicher Zielrichtung fest und gründlich miteinander verbunden. Zum eigenen Segen und zum Segen des Reiches. Es ist nicht so. Wie lange hat es beispielsweise gedauert, bis die beiden größten deutschen Reedereien, die Hamburg-Amerika-Linie und der Norddeutsche Lloyd Bremen ihr eifersüchtiges Wettrüsten und Sondergetrommel aufgaben und eine Interessengemeinschaft gründeten, durch die bittere Not gedrängt. Es handelt sich übrigens um Privatgesellschaften, deren Macht oft genug bestimmend in stadtstaatliche Erwägungen eingriff, ohne daß andererseits die Städte bedeutenden Einfluß auszuüben vermögen. Unbekümmert schon vermochte solches das Reich, indem Subventionen und Steuerstundungen nicht ohne Gegenliebe zu bleiben haben. Aber Reedereibetrieb besteht nicht nur aus schönen Schiffen. Die Fracht gehört dazu, der Kaufmann ist nötig, der in der reichen Verzweigung seines Grundberufes der Späher und Mittler ist zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen den Überschüssen und Bedürfnissen der Länder, zwischen Ein- und Ausfuhr. Und während die internationalen Schiffahrtslinien, die hansischen dabei, den Eingriffen der Regierungen in ihr Privatgeschäft und dem katastrophalen Gegeneinanderarbeiten der Atlantik- und La Plata-Fahrpläne und -Preise und vor allem dem Übermaß an Neubauten dadurch zu steuern suchten, daß sie sich in einem Pool zusammentun - an Land nennt man solches Trust - verharrt der hansische Kaufmann abwartend, duldend, hoffend.

Schon oft hatte eine zerschmetternde Krise die Hansestädte heimgesucht. Da war die Zeit nach der französischen Revolution gewesen, anfangs eine kurze großartige Blüte, da der Zucker-, Kaffee- und Baumwollhandel statt über die von England blockierten holländisch-französischen Häfen plötzlich über Bremen und Hamburg ins Hinterland ging, was, als die Hinterländer ebenfalls von den Franzosen überrannt wurden, in einer ungeheuren hansischen Pleite endete, die gekrönt wurde durch die gallische Einverleibung der Hansestädte. Es ging vorüber, man hatte sich danach gut erholt, und auch die furchtbare Krise inmitten des letzten Jahrhunderts ging vorüber. Auch damals stockte ähnlich wie jetzt der überseeische Verkehr, stapelten sich unheimlich die Waren, ohne Absatz zu finden, herrschte trotz üppiger [41] Ernten Entbehrung, trotz reichlicher Golddeckung drückender Geldmangel; hunderttausende waren plötzlich arbeitslos, aufliegende Schiffe verstopften die Häfen, der Zinsfuß stieg, die Wechsel häuften sich, niemand wollte sie einlösen, uralte Firmen brachen zusammen, die Kredite froren ein, das Vertrauen schwand, die Bank von England wackelte, die hansischen Börsen waren Schauplätze wilder Demonstrationen.... Und ein Jahrzehnt später? Glänzender Aufschwung, Verdoppelung des Welthandels, Verdoppelung des Wohlstandes.

Die alte Börse von Hamburg
[38]      Die alte Börse von Hamburg.
Gemälde von Jurian Jacobs (Museum für Hamburgische Geschichte).

Bremen
[39]      Bremen.
Hof der Börse mit Blick auf die Domtürme.
Zu einer großzügigen Zusammenfassung der hansischen Dreistädte-Möglichkeiten hatte es damals noch nicht gereicht. Es war auch anscheinend nicht nötig gewesen. Auch heute reicht es nicht dazu. Selbst da nicht, wo die Einschränkung der Einfuhr zu Gunsten der deutschen, darbenden, drohenden, in den Furchen der Väter althergebracht wandelnden Landwirtschaft vom Reich aus die Rostigkeit der drei deutschen Meerestore und Tore zur Welt mit Essig [42] statt mit Öl schmiert und der englische Weltmarktvormarsch mit billigem Pfunde breitlächelnd dem deutschen Handlungsreisenden allerorts im Auslande auf die Füße tritt. Die großen Schiffe, die Handelsgroßbauten, die Kais, die Kontore, sie warten ihre Zeit ab. Manches geht kaputt dabei, manches wird abgewrackt. Die Naturgeschichte der Wirtschaft kennt solche Pausen. Die Landschaft ist ausschlaggebend. Die Hansestädte liegen zu gut. Auch ohne Großzügigkeit, auch ohne Gemeinschaft und mit oder ohne Reichshilfe wird es allen dreien eines Tages wieder recht erträglich gehen. Denn

            Solange die Welt steht,
            Handel und Schiffahrt nicht untergeht.


Das Bismarckdenkmal in Hamburg
[49]      Das Bismarckdenkmal in Hamburg
von Hugo Lederer.
In der Büste des Bürgermeisters von Melle verewigte der Bildhauer Wield den letzten hansischen Patrizier. Die Bronze steht nicht in der Börse, nicht im Rathaus, nicht in der Handelskammer, nicht in der Seewarte, nicht auf einer der Höhen angesichts des Hafens, wo zu Hamburg statt dessen der ungeheure steinerne Bismarck steht. Der würdige Hanseat aber, in der krausen Pracht des Ornates von einst fand Platz in der Vorhalle der jungen Hamburger Universität.


Gegen diese Universität haben sich bedeutende hansische Kaufherren lange gesträubt, wohl ahnend, daß die breite Welle der Bildung kein Fahrwasser sei für den smarten Frachtverkehr von und nach Übersee. Der hansische Ruhm ist sicher nicht zum wenigsten auf die getreue Arbeit der Handlungsgehilfen gegründet; gut Lesen, Schreiben und Rechnen konnte und durfte man schon immer in Hamburg lernen, und auch für lebende Sprachen hatte man etwas übrig; die Volksschulen hier waren lange Zeit vorbildlich für das Reich. Was aber darüber hinaus nötig war, das lernte der junge Mann praktisch in Kontor und Speicher, im Hafen und im Ausland. Die großen leitenden Fähigkeiten, die sich wie überall immer nur in wenigen Köpfen fanden, kamen zumeist naturgewachsen von unten [43] herauf, sie erbten das Erreichte eine Weile in angesehener Familie fort, ihre Namen saßen in den hohen Ämtern der Stadt und versanken eines Tages so unauffällig, wie sie begonnen hatten. Wie hoch sich der Bildungsgrad gesteigert hatte, spielte dabei keine Rolle. Ganz alte eingesessene Patrizier-Firmen und -Familien gibt es in den Hansestädten nicht. In Hamburg pflegt sich das Erbgut im scharfen Handelswind innerhalb dreier Generationen aufzuzehren. In Bremen und Lübeck kann es etwas länger dauern. In Hamburg pflegt man in der Gesellschaft jener zweiten und dritten Generation bei Unbekannten zu fragen, ob seine Mutter eine "Geborene" war oder nur eine "Gewisse" und begnügt sich damit. In Bremen pflegt man auch noch die Großmutter einzubeziehen.


Den einzelnen Tüchtigen ist es heute schwerer gemacht als damals, da das Wort Sozialismus noch nicht erfunden war. Die Pioniere der Handelshäuser, die auf Kautschuk, Elfenbein, Gold, Kopra und günstige Plantagengründe fahndeten, bequemten sich wohl oder übel, die schmalen Eingeborenenpfade durch die Wildnis der Ferne zu wandeln und kamen so zu Gewinn. Heute wollen sozusagen alle zugleich in Kompagniefront durch das Dickicht dringen. Gern wird der Vorsprung des Einzelnen, soweit es sich nicht um Sport oder Film handelt, als Verrat am Ganzen betrachtet. Wenn man noch dazu bedenkt, daß heute Glasperlen und Druckkatun keine gängigen Tauschobjekte mehr sind, daß auch den Papuas Bargeld und Weltmarktpreise geläufige Begriffe geworden sind, daß auch der Sklavenhandel verboten ist und wir nicht einmal mehr Kolonien haben, wo gegebenenfalls die Macht eigenen Militärs den Konsum erleichtert, so ist es heute wirklich keine Kleinigkeit, auf den Wegen des Kommerz als ein ehrbarer hansischer Kaufmann groß zu werden.


[44] Doch geht es der ganzen Welt nicht besser. Und im Vergleich dazu muß man den hansischen Geist ungemein bewundern. Die Nordamerikaner gründeten während des Krieges über zweihundert Schiffahrtslinien in der frohen Annahme, dem gebundenen und geschwächten Europa sämtliche Handelsverbindungen rund um die Erde wegschnappen zu können. Sie begingen die Dummheit, sich persönlich in den Krieg zu mischen. Wie dem auch sei, jetzt sind die stolzen Gründungen trotz reicher Staatsbeihilfen bis weit unter zwanzig wieder zerronnen. Das arme Deutschland hingegen, dem die Sieger ein paar dürftige Küstenfahrzeuge gelassen hatten? Der Geist der Hanse vermochte die deutsche Handelsflotte in fünfzehn Jahren wieder auf Vorkriegstonnage zu steigern mit schöneren und schnelleren Schiffen als vordem. Bremen und Hamburg haben die schönsten und schnellsten Schiffe der Welt. Die "Bremen" und "Europa" sind nicht nur technisch, sondern auch in der künstlerischen Gestaltung der Form und der Inneneinrichtung mustergültige Leistungen deutscher und hansischer Kultur. Und wie fortschrittlich sich der hansische Geist auch weiterhin auszuwirken gedenkt, zeigt die Finanzierung des ersten Westost-Atlantikfluges durch den Norddeutschen Lloyd, die Schaffung des ersten Flugzeuginselschiffes, die Verbundenheit zur Deutschen Lufthansa und die Mitwirkung der Hapag bei den Westflügen der Zeppeline.

Solchen Leistungen gegenüber deucht einem weniger wichtig, wieviel von alter Hansekultur noch erhalten blieb. Man möchte vorschlagen, die Pflege alter Baudenkmäler und anderer Zeugen guter Vergangenheit ganz und gar Lübeck zu überlassen und es zum hanseatischen Museum zu ernennen. Alles was Hamburg in solch rückschauender Sammlung heute noch unternehmen kann, bleibt Spielerei. Man sieht es an dem Alt-Hamburger Bürgerhaus, eine Angelegenheit, die dem Schabbelhaus in Lübeck, dem Essighaus zu Bremen nachgeahmt wurde; ein nettes barockes Wohnhaus ist dem Verfall entzogen worden, mit altem Hausgerät vollgehäuft und als Weinschenke eingerichtet. Das Geld dafür hat man durch eine Straßensammlung, eine Marzipankugellotterie aufgebracht (auch eine Lübecker Erfindung). Die Stadt selbst hat nichts dazugegeben. Mit Recht. Ihre Aufgaben liegen nur in der Gegenwart und Zukunft. Der Hafen, die Schiffahrt, der Handel sind es, für deren Wohlergehn, Erhaltung und Ausbau Hamburg lebt. Das ist nüchternes Gesetz in dieser Stadt, weit mehr noch als für Bremen. Alles andere muß oder mußte dagegen zurücktreten. Seien wir ehrlich: Was sucht der unbefangene Fremde, wenn er nach Hamburg kommt? Was stellt er sich vor? Den Hafen! Erstmal den Hafen. Und die Vergnügungsstätte des Hafens: St. Pauli. Und die Schiffahrtsstraße der Welt, den Elbstrom. Und die großen Kontorbauten. Und die Privatsegnungen aus diesem, die Kaufherrenbesitze rings um die Alster und an der Flottbeker Chaussee und in Blankenese. Und gegebenenfalls noch die Börse, die Seewarte und das Tropeninstitut. Weder die berühmte Kunsthalle noch das Museum für hamburgische Altertümer, noch das Kunst- und Gewerbemuseum, noch die Universität, noch das Stadttheater reizen den normalen Außenstehenden. Vielleicht wäre eine ständige wahrhaft großzügige Überseehandels- und Kolonialschau für Hamburg (wie Bremen es in kleinem Maße hat) das Rechte, eine volkstümliche Ergänzung des beliebten Hagenbeckschen Tierparks, eine lebhafte Zusammenfassung jener auseinanderliegenden, allzu gelehrtengrau oder prunkhallen- [45] schön aufgezogenen Sammlungen botanischen, ethnographischen und zoologischen Sondergebietes. So aber, wie es heute ist, sind die exotischen Raritätenläden an der Hafenkante und Papa Haases, des trunkfesten, tirpitzbärtigen einstigen Segelkapitäns Curiosity shop und ulkiges "Museum für Kolonie und Heimat" in der Erichstraße nahe der Reeperbahn weit lustigere Anziehungspunkte für den Fremden als die Langweiligkeit, mit der die exakte Wissenschaft aufzutreten in Hamburg wahrscheinlich nicht umhin kann.


Und Kunst in Hamburg? Ringelnatz sagt: Hummel, Hummel, Kunst! Die Klagen über mangelndes Kunstinteresse sind in Lübeck nicht lauter als im Reich, in Bremen sind sie durch den Mäzen Roselius und seine Böttcherstraße und durch die tätige Künstlerkolonie Worpswede fast ganz zum Schweigen gebracht, in Hamburg tönen sie seit jeher schmerzlich. Gern klagt man dort den Staat an. Ganz kurzsichtiger Weise. Kunst in einer Stadt wie Hamburg sollte Privatsache bleiben, und als solche ist sie auch freundlich vorhanden. Selten hat die Stadt selber mit großen Aufträgen künstlerisch Glück gehabt. Man sieht es am Rathaus, an den Lagerhäusern des Freihafens, an der Nikolaikirche, an den St. Pauli-Landungsbrücken und dem Elbtunnel, man sieht es an der alten und der neuen Gestaltung des Rathausmarktes, sieht es an den Untergrundbahnhöfen und den [46] Kapellen auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Der bedeutende Stadtbaumeister Schumacher hat in manchem Wandel schaffen können. Er hat den Backstein wieder zu seiner Bodenständigkeit verholfen. In wundervollen, zumeist abgelegenen Volksschulneubauten hat er sich ehrenvolle Denkmäler gesetzt. Unter seiner Ära entstand auch die prachtvoll großzügige Mönckebergstraße, entstanden einwandfrei schöne und gesunde Wohnblocks, wie sie auch in anderen Städten entstanden. Die bekanntesten Leistungen der modernen Hamburger Architektur jedoch waren Aufträge privater Bauherren, wie das mit Fug berühmte Chilehaus, aus Geldern der Slomanlinie von Fritz Höger gebaut, und um es herum ein neues imposantes Hafenviertel riesiger, sachlich gewaltiger Klinkerhochbauten. Sie wirken wie wahrhafte Hochburgen hansischen Geistes. Möge er unmittelalterlich darin walten!


Hamburg würde auch heute noch jedes "Altertum" opfern, wenn es für die Wohlfahrt und Erweiterung seines Hafens und Handels notwendig wäre. Holländisch reizvolle Romantik eines ganzen Stadtviertels fiel dem Freihafen zum Opfer und gnadenlos die Idylle der kleinen Elbinseln, gnadenlos auch die vielbesungene Eigenart der Fischerinsel Finkenwärder. Kais, kilometerlange Lagerschuppen, Silos, Kräne und Laufkatzen, Eisenbahnen, Docks, Werften, Industrieschornsteine und Öltankstädte wuchsen auf um fächerförmig strahlende Hafenschläuche. In Bremen selbst ging es sachter zu. Hauptsächlich weitab der Stadt an der Wesermündung in Bremerhaven hat sich aus dem klugen Beginnen Bürgermeisters Smidt mehr und mehr ein bedeutender Seehafen entwickelt, der Platz hat für die Meeresriesen des Lloyd. Dort zu Wesermünde ist auch Deutschlands größter Fischereihafen.

[47] Auch Hamburg hat sich schon vor vielen hundert Jahren die Meeresecke der Elbe gesichert und sie hafenmäßig ausgebaut. Wie in Bremen werden die New Yorker Fahrgäste mit der Eisenbahn bis an die Seemündung geschafft und betreten da von gewaltigem Pier aus das Schiff (und umgekehrt). Die Elbe aber, breiter und tiefer als die Weser, gestattet selbst den größten Ozeanern, bis ans Herz der Stadt zu fahren. Am Jungfernstieg, der Alster-Promenade und elegantesten Geschäftsstraße Hamburgs, besteigt man hübsche kleine Dampfer, um über den angenehmen Stadtbinnensee nach dem Uhlenhorster Fährhaus oder zum Stadtpark zu gelangen. Vom Jungfernstieg zu Fuß keine Viertelstunde entfernt steigt man genau so einfach, ohne Einbootung, ohne Tender und Fähre direkt vom Hafenbollwerk und Brückenponton auf die mächtigen, strahlenden Dampfer der Hamburg-Süd, um nach Rio oder Buenos Aires zu fahren. Und wer je das ewig wechselnde, rauchig schillernde, irrisierend farbige, geräuschdurchbrauste, verwirrend geformte, wasser- und gewürzdurchdunstete, mövendurchflatterte, sirenendröhnende, gigantische Gemälde dieses konzentriertesten und größten aller Kontinenthäfen erlebt hat, dem wird eine Ahnung dämmern, daß diese Stadt jede künstlerische Sehnsucht bewußt oder unbewußt daran zu stillen vermöchte.

Der Hamburger Hafen
[35]      Der Hamburger Hafen.


[48] Eine Künstlergruppe feierte zu Hamburg einmal einen Novemberball. (Die Hamburger Künstlerfeste waren eine Zeitlang berühmt.) Als Motto hatten sie über ihren Almanach gesetzt:

    Ist diese Stadt im Geiste nicht
    dem Nebelmonat gleichgeartet?
    Die Sonne, die den Dunst durchbricht,
    wird wohl begrüßt, doch kaum erwartet.

Das haben Lessing und Klopstock, Gottfried Semper und Brahms, Matthias Claudius, Philipp Otto Runge und Heinrich Heine, Hebbel, Barlach und Liliencron und selbst der Weltmann, Sammler und Kunsthallendirektor, der geistvolle Alfred Lichtwark, genugsam erfahren müssen, wie alle anderen, die je im Weichbild dieser Stadt der Kunst verbunden waren und auf begeisterte Gegenliebe hofften. Der zum zweihundertsten Geburtstage Lessings gestiftete Literaturpreis wirkt wie eine verspätete Entschuldigung. Er ist auch ganz unhansisch. Es fehlt ihm die bodenständige Begründung. Er sollte tüchtigen Seefahrern, mutigen Entdeckern, er sollte den Mehrern des hansischen Ansehens im In- und Auslande zufallen, nicht Gelehrten oder Dichtern schlechthin. Daß dennoch so mancher gute Name diesem Boden entsprang, deutet auf seine urwüchsigen Kräfte. Daß mancher gute Name es hier lange aushielt, liegt am internationalen Duft des Hafens und an der Schönheit der Landschaft. Dieselbe schräge Sonne, die zu Labrador über Eiswüsten rollt, lächelt hier im Abhauch des Golfstromes über die Parks der Elbhöhen, über Oevelgönne, Nienstedten, Blankenese, über viele Kilometer Badestrand fast zu Füßen der Stadt, über Marsch und Geest, Sachsenwald und holsteinische Schweiz, über dem Ostseeufer vor Lübecks Toren. Und jenseits des Stromes gen Bremen und Hannover, immer wie eine kleine, sacht schwingende blaue Melodie neben dem Weltverkehrstreiben, liegen die weiten Erhebungen und Einsamkeiten der Lüneburger Heide. Und der derbe Atem der See weht bis in die Straßen der Hansestädte. In acht Stunden Wasserfahrt ist man auf Helgoland; nach Kopenhagen dauert es mit der Bahn nicht länger, aber man fährt angenehmer und lustiger mit dem Dampfer von Lübeck, genau wie man nach London nur mit dem Dampfer von Bremen oder Hamburg fahren sollte. Es ist nicht teurer, die Bequemlichkeit ist unvergleichlich, man tanzt, treibt Sport, liegt in der Sonne oder im Schwimmbad, speist vorzüglich und kommt doch ans Ziel.

Bremer Zigarren, Lübecker Marzipan, Hamburger Räucherwaren (von denen schon Goethe schwärmte), steifer Grog, Aalsuppe, Backobst und Klüten, Rundstück warm, Rote Grütze mit Milch, Schwarzbrot, Sandtorte und Klöben, Braunbier und Köm und dazu die weichsingende plattdeutsche Sprache: Beeten wat in' Büdel un beeten wat in' Buddel, warme Fööt un keuln Kopp, gooden Wind inne Seils un' lütt söte Deern bi Huus! Un ümmer suutje!... Das ist die hansische Seele. Keine noch so große schwarze Maus wird sie je ganz zernagen können.


[49] Es sind die Volkshelden, die dem Charakter des Volkes entsprechen und ihn besser beleuchten als jeder gelehrte Wälzer. Hansische Volkshelden sind weder Karl der Große (der Bremen und Hamburg gründete) noch die tüchtigen Erzbischöfe Ansgar und Adalbert, noch die schauenburgischen Adolfe (die Lübeck gründeten), noch Heinrich der Löwe, noch die großen Bürgermeister, es sind die tapferen Seeräuber Störtebeker und Godeke Michels, denen man vor mehr als fünfhundert Jahren zu Hamburg den Garaus machte. Volksheld ist auch jener biedere Honigverkäufer des vorigen Jahrhunderts, der seine Ware mit "Hummel, Hummel!" ausrief, und dem Echo der Straßenjugend mit dem römischen Schlachtruf: Mors! antwortete. Heute ist Ausruf und Antwort die Parole und der Ausweis der Hamburger und Hanseaten in der ganzen Welt.


Bremen - Domportal
[43]      Bremen. Domportal.
[50] Wie mit den Hörnern eines Stieres stößt das Meer die Weser und die Elbe hinauf. Auf den Spitzen stecken die goldenen Kugeln Bremen und Hamburg. Oder sollte man lieber Füllhörner sagen? Dreiviertel des Schiffsverkehrs der ganzen Erde läuft die Häfen der Nordsee an, davon werktäglich im Durchschnitt rund hundert Seeschiffe Hamburg und Bremen zusammen. Der Frachtverkehr aus- und eingehend betrug im guten Jahre 1929 zu Hamburg fast dreißig Millionen Tonnen im Werte von zwölfeinhalb Milliarden Reichsmark. Bremen hatte etwas über den vierten Teil dieses üppigen Güterumschlages. Es waren Zahlen wie vor dem Weltkriege. 1932 ist die Warenmenge etwa um ein Viertel geschrumpft, ihr Wert aber um die Hälfte. Bei guten Zeiten liegen im Hamburger Hafen gleichzeitig durchschnittlich fünfhundert Seeschiffe, achthundert Flußschiffe und siebentausend Schleppdampfer, Fährboote, Barkassen, Schuten, Leichter, Getreideheber, Schwimmgreifer und was sonst der Hafen an Fahrzeugen braucht. Siebenundsechzig Kilometer Kai und Dückdalben, das ist die Strecke, da Seeschiffe zum Laden und Löschen liegen können, und ebenso ausgedehnt sind die Liegeplätze für Schiffe mit geringerem Tiefgang. Die Lagerfläche der Schuppen und Speicher im Hafengelände beträgt anderthalb Millionen Quadratmeter, rund zweitausend neuzeitliche Kräne und Hebezeuge befördern die Güter zwischen Decksluke, Kai, Frachtbahn und Eisenbahn, etwa dreihundert Industriebetriebe liegen im Hafen, die öffentlichen schwimmenden Landungsanlagen (wegen des durch Flut und Ebbe dauernd auf- und abwandernden Wasserspiegels wären feste unmöglich) belaufen sich auf rund vierhundert, und rund hunderttausend im Hafen beschäftigte Personen wetzen in guten Zeiten täglich ihre Sohlen daran.

Alle Zahlen in Hamburg und Bremen haben sich in hundert Jahren etwa verhundertfacht. Auch die Zusammenballung der Bevölkerung. Vielleicht hat das alles, wie in den meisten Weltstädten seinen Höhepunkt erreicht. Es wird sich alles wieder ein bißchen zertreuen und anders wieder sammeln. Das Heide-, Wiesen-, Wald- und Moorgelände zwischen den Hansestädten beginnt sich mit lichten Siedlungen zu bedecken. Der Fliegende Hamburger zwischen den beiden größten Städten des Reiches und damit zwischen Binnenland und Küste ist nur ein Auftakt. Schnellbahnen werden einst auch die hansische Landschaft durchweben und die eigenbrödlerischen Städte Bremen, Hamburg, Lübeck zu engerem Austausch verbinden als jemals vorher, ob sie wollen oder nicht. Nicht aus Stammesbrüderschaft, nicht aus Wirtschaftsklugheit rückt man in Norddeutschland einander näher. Man ist ungesellig von Natur. Aber die Technik überwindet auch das. Wie denn auch die Welle des Funks die Hansestädte vereint, was die des Meeres nie recht vermocht hat.


Es wären heute andere Phantasien, die ein junger Hauff im Bremer Ratskeller haben würde. Die Bleikammer im Dom würde ihm wahrscheinlich näher liegen als die Apostelfässer. Doch ist nicht ausgeschlossen, daß ein heiterer Ausblick ihn trösten könnte, nämlich der, den die altbekannten Bremer Stadtmusikanten (oder sind es dankbare Mitglieder der teuren, noch einmal erhaltenen Hamburger Staatsoper?) unverdrossen durchs Fenster der Welt tun, der Esel Geduld, der Hund Treue, die Katze Schläue, zu sehen, ob da nicht Platz sei, wieder am fetten Tisch zu speisen. Ihnen zu Häupten verkündet der Hahn Mutig den neuen Tag.

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Deutschlands Aufgabe im Osten. Die Hanse als Vorbild wirtschaftlicher Zusammenarbeit.

Das Buch der deutschen Heimat, Kapitel "Drei Hansestädte".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.