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I. Antwort der Alliierten und Assoziierten Mächte auf die Bemerkungen der Deutschen Delegation zu den Friedensbedingungen


[25] Teil IV: Deutsche Rechte und Interessen außerhalb Deutschlands

I.

Bei dem Verlangen, daß Deutschland allen Rechten und Ansprüchen auf seine überseeischen Besitzungen entsage, haben die Alliierten und Assoziierten Mächte in allererster Linie die Interessen der eingeborenen Bevölkerungen berücksichtigt, für die Präsident Wilson im fünften seiner 14 Punkte der Botschaft vom 8. Januar 1918 eingetreten ist. Es genügt, auf die deutschen amtlichen und privaten Zeugnisse vor dem Kriege und auf die im Reichstag besonders von den Herren Erzberger und Noske erhobenen Anklagen Bezug zu nehmen, um ein Bild von den kolonialen Verwaltungsmethoden Deutschlands, von den grausamen Unterdrückungen, den willkürlichen Zwangsbeitreibungen und den verschiedenen Formen der Zwangsarbeit zu erhalten, die weite Strecken in Ostafrika und Kamerun entvölkert haben, ganz zu schweigen von dem aller Welt bekannten tragischen Schicksal der Hereros in Südwestafrika.

Deutschlands Versagen auf dem Gebiete der kolonialen Zivilisation ist zu deutlich zutage getreten, als daß die Alliierten und Assoziierten Mächte ihre Hand zu einem zweiten Versuche bieten und die Verantwortung dafür übernehmen könnten, dreizehn bis vierzehn Millionen Eingeborener von neuem einem Schicksal zu überlassen, von dem sie durch den Krieg befreit worden sind.

Außerdem haben die Alliierten und Assoziierten Mächte es für notwendig erachtet, ihre eigene Sicherheit und den Frieden der Welt gegen einen militärischen Imperialismus zu sichern, der darauf ausging, sich Stützpunkte zu schaffen, um gegenüber den anderen Mächten eine Politik der Einmischung und Einschüchterung zu verfolgen.

II.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind der Meinung gewesen, daß der Verlust seiner Kolonien Deutschlands normale wirtschaftliche Entwicklung nicht behindern würde.

Der Handel der deutschen Kolonien hat immer nur einen ganz geringen Bruchteil des Gesamthandels Deutschlands ausgemacht: 1913 ½ v. H. der Einfuhr und ½ v. H. der Ausfuhr. Von der gesamten Einfuhr Deutschlands an Erzeugnissen wie Baumwolle, Kakao, Kautschuk, Palmkernen, Tabak, Jute und Kopra kamen nur 3 v. H. aus seinen Kolonien. Es liegt auf der Hand, [26] daß der finanzielle, kommerzielle und industrielle Wiederaufbau Deutschlands von anderen Faktoren abhängig ist.

Aus klimatischen und anderen natürlichen Gründen können die deutschen Kolonien nur einen ganz geringen Bruchteil der deutschen Auswanderung aufnehmen. Die kleine Zahl der Ansiedler, die sich vor dem Kriege dort niedergelassen hatten, ist in dieser Beziehung Beweis genug.

III.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben für die Abtretung der deutschen Kolonien Bedingungen vorgesehen, die den Regeln des internationalen Rechts und der Billigkeit entsprechen.

a) Die Alliierten und Assoziierten Mächte wenden auf die deutschen Kolonien den allgemeinen Grundsatz an, daß der Übergang der Souveränität den Übergang des beweglichen und unbeweglichen Eigentums des abtretenden Staates auf den Staat, dem das Gebiet übertragen wird, unter den gleichen Bedingungen zur Folge hat.

Sie sehen keinen Grund dafür, bei den Kolonien Abweichungen von diesem Grundsatz zuzugestehen, wie sie hinsichtlich europäischer Gebiete ausnahmsweise zugebilligt worden sind.

b) Sie sind der Meinung, daß die Kolonien weder irgendeinen Teil der deutschen Schuld zu tragen haben, noch daß ihnen die Verpflichtung auferlegt werden darf, die von der Kaiserlichen Schutzgebietsverwaltung gemachten Aufwendungen zu erstatten. Sie glauben, daß es ungerecht sein würde, die Eingeborenen mit Ausgaben zu belasten, die offenbar vornehmlich in Deutschlands eigenem Interesse gemacht worden sind, und daß es nicht weniger ungerecht sein würde, diese Verbindlichkeit den Mandatsmächten aufzuerlegen, die, da sie vom Völkerbund als Treuhänder bestellt worden sind, keinerlei Vorteil aus diesem anvertrauten Gute ziehen werden.

IV.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben es im Interesse der Eingeborenen und im Interesse des allgemeinen Friedens für notwendig erachtet, der Betätigung, die Deutschland über seine früheren Kolonien oder über die Gebiete der Alliierten und Assoziierten Mächte auszuüben suchen könnte, Schranken zu setzen.

a) Aus den bereits erwähnten Sicherheitsgründen sind sie verpflichtet, sich volle Handlungsfreiheit für die Regelung der Bedingungen vorzubehalten, unter denen Deutsche die Erlaubnis erhalten können, sich in den Gebieten der früheren deutschen Kolonien niederzulassen. Die Kontrolle des Völkerbundes wird übrigens Deutschland alle notwendigen Sicherheiten bieten.

b) Sie verlangen Deutschlands Zustimmung zu den Verträgen, die sie zur Regelung des Handels mit Waffen und geistigen Getränken und zur Abänderung der Generalakten von Berlin und Brüssel abschließen werden. Sie glauben nicht, daß Deutschland Grund hat, sich dadurch erniedrigt und verletzt zu fühlen, daß es im voraus seine Zustimmung zu Abmachungen geben soll, die von allen großen Handelsmächten in Fragen von solcher Wichtigkeit für das Wohlergehen [27] der eingeborenen Bevölkerungen und für die Aufrechterhaltung der Zivilisation und des Friedens angenommen werden.

V.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind der Meinung, daß alles deutsche Staatseigentum in dem Gebiete von Kiautschau in derselben Weise wie das Staatseigentum in allen überseeischen Besitzungen Deutschlands behandelt und ohne Entschädigung übertragen werden muß.

Sie erinnern zu diesem Zwecke daran, daß Kiautschau China ungerechterweise weggenommen worden ist und Deutschland als militärischer Stützpunkt für eine Politik gedient hat, deren verschiedene Kundgebungen stets eine Drohung für den Frieden im fernen Osten bildeten.

Bei dieser Sachlage sehen sie keinen Grund, Deutschland für den Verlust von Anlagen, Einrichtungen und sonstigem öffentlichen Eigentum zu entschädigen, das in den Händen dieser Macht in der Hauptsache nur ein Mittel zur Verwirklichung einer Angriffspolitik gewesen ist.

Was die dazu gehörigen Eisenbahnen und Bergwerke anlangt (Art. 156 Abs. 2), so haben die Alliierten und Assoziierten Mächte allen Grund, sie als öffentliches Eigentum anzusehen. Sollte jedoch Deutschland den Beweis des Gegenteils erbringen, so würden sie sich nicht weigern, auf die etwaigen Rechte deutscher Reichsangehöriger die allgemeinen Grundsätze anzuwenden, die in den Friedensbedingungen für Entschädigungen dieser Art aufgestellt sind.

VI.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben den Wunsch, daß kein Mißverständnis hinsichtlich der Verfügung über die Güter der deutschen Missionen in den Ländern der Alliierten und Assoziierten Mächte oder in denjenigen entstehe, deren Verwaltung ihnen auf Grund des Friedensvertrages anvertraut wird. Sie haben infolgedessen in klarer Weise bestimmt, daß die Güter dieser Missionen Treuhänderräten übertragen werden, die von den Regierungen ernannt oder bestätigt werden und sich aus Personen zusammensetzen, die dem gleichen Bekenntnis wie die in Betracht kommende Mission angehören.


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Vollständiger Text der Mantelnote
und der Antwort auf die deutschen Gegenvorschläge.

Deutsche Liga für Völkerbund.