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der deutschen Kolonien
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Land und Leute in unseren Kolonien (T. 6)
 

Das Pachtgebiet von Tsingtau

Im Jahre 1861 schloß das Königreich Preußen mit dem Kaiserreich China  einen Vertrag, nach dem den Ländern des Norddeutschen Bundes der Handel im Reich der Mitte in gleicher Weise wie England und anderen Staaten genehmigt wurde. Ein reiches Absatzgebiet für deutsche Erzeugnisse öffnete sich unseren Kaufleuten, die ebenso dem Import der chinesischen Waren dienten; die unermüdliche Tätigkeit und Tüchtigkeit der kaufmännischen Pioniere brachten es im Laufe

Das chinesische Ehrentor in Tsingtau.
[234]      Das chinesische Ehrentor in Tsingtau.
weniger Jahrzehnte dahin, daß der deutsche Handel die zweite Stelle einnahm; nur der englische war ihm noch überlegen. Es ergab sich also aus inneren und äußeren, aus Prestige- und praktischen Gründen die Notwendigkeit für Deutschland, einen eigenen unter deutscher Verwaltung stehenden Stützpunkt für den Handel zu besitzen, ähnlich wie für England Hongkong die Basis für alle Unternehmungen im fernen Osten und zugleich einen mächtigen Flottenrückhalt bildete. Bis zum Beginn des chinesisch-japanischen Krieges im Jahre 1896 war Deutschland auf die in China trotz aller Reibereien in der Südsee bereitwillig gewährte Gastfreundschaft der englischen Niederlassungen angewiesen; aber in der Folge dieses Krieges wurde es ganz offensichtlich, daß Deutschland ohne eigenes [218] Gebiet in China nicht mehr auskommen würde. Die chinesische Regierung räumte damals Deutschland in den Vertragshäfen Tientsin und Hankau eigene Niederlassungen ein; aber auch dies genügte bald nicht mehr. Untersuchungen und Erwägungen kaufmännischer und politischer Art ergaben, daß die Bucht von Kiautschou den zu stellenden Anforderungen am besten entsprechen würde, da sie einen für die tiefstgehenden Schiffe geschützten Hafen und ein kohlenreiches Hinterland besitzt. Es war also außer den Ausfuhrmöglichkeiten die Gelegenheit gegeben, einen starken Flottenstützpunkt für das zum Schutz des Handels notwendige Geschwader zu schaffen.

Den äußeren Anlaß zur Besetzung der Kiautschoubucht gab die Ermordung zweier Missionare in Schantung. Am 27. April 1898 wurde die besetzte Gegend, nachdem am 6. März ein Vertrag zwischen Deutschland und China geschlossen worden war, zum deutschen Schutzgebiet erklärt und ein Halbkreis von 50 km Radius um die Bucht als neutrale Einflußzone anerkannt. Das Hinterland, die große Provinz Schantung, wurde in erster Linie dem deutschen Handel freigegeben, der Bau einer Bahn von Tsingtau nach Tsinanfu und von beiden Städten aus nach Ischoufu vorgesehen, und die Ausbeutung der Minerallager auf einer Breite von 15 km rechts und links der Bahn durch deutsches Kapital garantiert. Ein großes Programm, das die Stellung und den Reichtum Deutschlands in jenen Tagen hell beleuchtet: daß es durchgeführt wurde, ja, daß das Schutzgebiet sozusagen eine europäische Sehenswürdigkeit in China wurde, erweckte leider nicht nur die Bewunderung der anderen Interessenten...

Das deutsche Schutzgebiet umfaßt die beiden die Bucht umschließenden Halbinseln: die nördliche mit Tsingtau, von 462 qkm, die südliche, Haihsi mit Namen, von 47 qkm Flächeninhalt. Ferner gehören eine Unzahl in der Bucht liegende Inseln dazu, die zusammen 44 qkm Land bedeuten. Im Osten des nördlichen Schutzgebietes erhebt sich als Trennungswand vom Meer das gewaltige und landschaftlich großartige Lauschangebirge; viele Anpflanzungen und alpine Matten bringen angenehmes Grün in die braune Zerklüftung der Felsenberge. Der höchste Gipfel, der 1130 m hohe Lauting, kann ohne Schwierigkeit erstiegen werden und bildete einen beliebten Ausflugsplatz für die Tsingtauer: in der Stadt hatte sich ein Alpenverein zur Erschließung des Gebirges gebildet. Auch hier ist hochtouristisch noch viel an guten und nicht langen Klettertouren zu machen. Unterkunftshäuser und Erholungsheime dienten dem Aufenthalt in den Bergen. Nach Südwesten zu senken sich die Gebirge in mehrfachen Abstufungen; der sich nördlich von Tsingtau erhebende Teil, Tungliuschui genannt, zeichnet sich durch besondere Steilheit und Zerklüftungen aus. Das Gestein ist Granit und Porphyr, bietet also jedenfalls, abgesehen von Plattenstellen, gute Besteigungsmöglichkeiten und Wanddurchquerungen. Die ganze Umgebung Tsingtaus ist gebirgig, südlich des Litsunflusses steigen die "Prinz-Heinrich"-Berge, ebenfalls mit phantastischen Formen ausgestattet, in die Höhe, und direkt als Hinter- [219] grund der Stadt die Hügel, die bei der heldenmütigen Verteidigung der Stadt im Weltkrieg eine bedeutsame Rolle spielten: der "Moltke"-, der "Bismarck"-, der "Diederichs"- und der "Iltis"-Berg. Die Täler bieten die beste Gelegenheit zur Landwirtschaft und sind infolgedessen von der chinesischen Bevölkerung dicht besiedelt worden. Das südlich der Bucht gelegene Areal war für die Entwicklung des Schutzgebietes weniger wichtig, da es der Fruchtbarkeit ermangelte und nicht stark bevölkert ist.

Das Klima Tsingtaus wird durch die Monsune bestimmt: im Sommer wehen die südlichen, im Winter die nördlichen Winde, die die kontinentale (sibirische) Kälte mit sich bringen. Es sind vier deutlich unterscheidbare Jahreszeiten vorhanden: der Winter ist rauh und von Nordwestwinden durchblasen, die häufig in Sandstürme ausarten, der Frühling angenehm bis Ende Mai. Dann wechselt der Monsun nach Süden und bringt viel Feuchtigkeit und Regen, bei gleichzeitigem Ansteigen der Temperatur auf ein Mittel von 25 - 28°. Im Juli erreicht die Regenzeit den Höhepunkt und flaut im August ab; es schieben sich aber stets trockene Tage ein, so daß die Witterung des unter 36 Grad nördlicher Breite liegenden Gebietes nicht so erschlaffend ist wie das Tropenklima des südlicheren China. Der Herbst bringt die schönste Jahreszeit, besonders im Oktober, so daß im großen ganzen das Klima Tsingtaus das angenehmste an der ganzen chinesischen Küste ist und die Stadt mit ihren vorbildlichen hygienischen Anlagen ein vielbesuchter Erholungsort geworden war.

Die Bevölkerungsziffer im Schutzgebiet betrug etwas über 100 000; die Chinesen wohnten dort nur in geschlossenen Dörfern gleichmäßiger Bauart, wie denn Tsingtau zur Zeit der Besetzung auch nur ein Fischerdorf von etwa 1000 Einwohnern war. Die Stadt ist also eine rein deutsche Schöpfung. Die Dorfhäuser sind aus roh gebrannten Ziegeln oder Lehm gebaut, die Dächer bestehen aus Stroh oder Seetang, die Fenster aus dünnem Papier: die zusammengehörigen Gebäude werden durch Umfassungsmauern vereint. In der Nähe der Ortschaften finden sich die durch große Baumgruppen kenntlichen Begräbnisplätze, ebenso wie Tempel, die durchreisenden Fremden zur Unterkunft dienen. Die gewöhnlich an landschaftlich besonders schönen Punkten erbauten Klöster haben größeren Landbesitz, der die Zeit der buddhistischen Mönche vollkommen in Anspruch nimmt. Das Wegenetz bestand zum großen Teil aus Saumpfaden, Fahrwege, die meist recht ausgewaschen sind, bestanden nur zwischen den Kreisstädten und Hafenplätzen. Der Transport ging und geht in der Hauptsache auf zweirädrigen, von Eseln oder Pferden gezogenen Karren oder auf Schubkarren vor sich, zu dessen leichterer Beförderung sogar Segel ausgespannt werden.

Vor der Besetzung betrieb die Bevölkerung eine sehr intensive gartenartige Behandlung des Bodens, der zum zweimaligen Ertrag gebracht wurde; dagegen blieb die industrielle Arbeit sehr zurück und beschränkte sich im allgemeinen auf Töpferwaren, Hausgeräte, Wollspinnerei, sowie auf Salzgewinnung durch Verdampfung von Meerwasser. Die Viehzucht hielt sich in engen Grenzen, Fischfang [220] wurde viel als Nebenbeschäftigung ausgeübt: es war also scheinbar wenig Verlockendes vorhanden, als die Bucht von den Deutschen besetzt wurde, aber da es sich um ein Schutzgebiet für die deutschen Interessen und nicht um eine zu bewirtschaftende Kolonie handelte, kam dies wenig in Frage: es sollte die Einfuhr- und Ausfuhrpforte der Provinz Schantung, also des nördlichen China sein, wie Hongkong für das südliche.

Es hat seine Aufgabe erfüllt.



Sogleich nach der Besitzergreifung begann sich neues Leben zu regen, da zur Sicherung des Gebietes Truppen in Tsingtau stationiert wurden: ein kriegsstarkes Seebataillon, eine Feldbatterie und eine Abteilung Matrosenartillerie. Mit dem Bau der nötigen Dienstgebäude wurde sogleich begonnen: aber das Wichtigste waren wirtschaftliche Fragen, die sich erhoben und für die spätere Entwicklung der Kolonie von größter Bedeutung wurden. "In erster Linie", sagt Admiralitätsrat Dr. Schrameier, "war es erforderlich, sich über die Grundbesitzverhältnisse Klarheit zu verschaffen. Die Gefahr lag nahe, daß durch den Ankauf des für die Regierung notwendigen Geländes die Preise für Grund und Boden schnell in die Höhe getrieben wurden, daß ein Gründertum sich entwickeln und die Preise nach Belieben hochschrauben könnte. Beidem wurde dadurch begegnet, daß die chinesischen Besitzer durch Zahlung einer Prämie verpflichtet wurden, nur an die deutsche Regierung Land, und zwar zu dem vor der Besitzergreifung üblichen Preise zu verkaufen. Auf diese Weise behielt die Regierung den Landverkauf zum Wohle für alle Ansiedler in der Hand."



Das ist sehr wichtig: Zum erstenmal treffen wir auf das Prinzip der Siedlung, das im neuen Deutschland auf die großzügigste Weise durchgeführt wird und auch in den Kolonien der Zukunft zur Anwendung gelangen soll. Das ungewöhnlich glückliche Gedeihen Tsingtaus ist nicht zum wenigsten der Ausschaltung alles unlauteren Eigennutzes zuzuschreiben; es ist eine erfreuliche Tatsache, daß die Grundsätze des Nationalsozialismus in der Siedlungsfrage lange vor dem Bestehen der Bewegung bereits im Fernen Osten ihre Bestätigung gefunden hatten.

Das Schutzgebiet unterstand einer Militär- und einer Zivilverwaltung: Gouverneur war der Befehlshaber der Besatzung. Zur Zivilverwaltung gehörten die Gerichtsbarkeit, die Bauverwaltung, die Hafenverwaltung und die astronomisch-meteorologische Station. Den Behörden stand ein aus Deutschen gebildeter Gouvernementsrat und eine Handelskammer zur Seite, da von vornherein auf die wirtschaftliche Entwicklung der größte Wert gelegt wurde. Wie schnell diese [221] vor sich ging, zeigen drei Zahlen aus den ersten Jahren: die Einnahmen betrugen 1899 36 000 Mark, 1904 436 707 Mark, 1909 2 365 931 Mark!

Im März 1901 wurde mit der Ausbaggerung des Hafens von Tsingtau begonnen, und genau drei Jahre später konnte das ganze Hafengebiet mit zwei Molen und einer Umfassungsmauer von 5 km Ausdehnung, die gegen Stürme vollkommenen Schutz gewährten, dem Verkehr übergeben werden. Leuchttürme auf den Inseln sichern die Einfahrt; südwestlich vom "großen" liegt der "kleine" Hafen, der für chinesische Fahrzeuge, Dschunken und Sampans, freigegeben war.

Gleich hinter diesem malerischen und altmodischen Teil des alten China erhebt sich der Stadtteil Tapautau, nach dem Chinesendorf so genannt, das früher an dieser Stelle stand. Ursprünglich sollte nur die chinesische Handelsbevölkerung hier wohnen; da aber die Lage dieses Quartiers günstig ist, siedelten sich auch viele europäische Firmen hier an. In den ersten zehn Jahren stieg die Zahl der in Tapautau ansässigen Chinesen auf 30 000. Das Zentrum Tsingtaus, die Europäerstadt, liegt unmittelbar an der Tsingtaubucht, ist gegen die Winterwinde geschützt und dem freien Zutritt der Seebrise im Sommer geöffnet. Zwischen der Tsingtau- und der früheren Auguste-Viktoria-Bucht liegen Hügel, auf denen sich das Villenviertel hinzieht - auch ein Strandhotel findet sich an der zweitgenannten Bucht. Östlich und westlich sind an der Stadtgrenze auf fiskalischem Grund und Boden zwei Dörfer, Taitungtschen und Taihsitschen angelegt worden, die unter den Bedingungen des Erbbaurechts der zahlreichen Arbeiterbevölkerung Unterkunft geben.

Dienst- und öffentliche Gebäude der Stadt, ebenso wie die meisten Privathäuser, sind im Stil der Jahrhundertwende gebaut. Es wäre in der Tat besser gewesen, in Anbetracht der hohen künstlerischen Kultur, die in den chinesischen Tempel- und Hausbauten zutage tritt, Künstler mit der Ausführung der Bauten betraut zu haben, um auch dem Fernen Osten damit ein Zeugnis bester deutscher Baukunst zu geben. Leider scheiterten diese Wünsche wohl an der noch dringenderen Forderung, ein schmutziges chinesisches Fischerdorf rasch durch eine vorbildlich hygienische deutsche Siedlung zu ersetzen, die im schnellen Aufblühen war. So ist vielleicht etwas versäumt worden. Doch hat sich die deutsche Regierung um so höhere Verdienste in gesundheitlicher Beziehung erworben, nicht nur, daß sie die durch starken Raubbau entwaldeten Gebirgshänge mit großen Kosten und bestem Erfolge aufforsten ließ und damit in der Nähe der Stadt Tsingtau den Bewohnern eine Quelle der Erholung schuf, sondern auch dadurch, daß sie die kleinen, schnell versiegenden Gewässer der Umgebung für die Stadt nutzbar machte. Auch die Umgebung Tsingtaus ist dicht besiedelt und trägt reiche Acker, die mit Getreide, Bohnen, Baumwolle, Kartoffeln, Erdnüssen, Tabak und Obst bebaut sind. Auch an Vieh fehlte es dem chinesischen Bauer nicht.

Die Stadt trieb regen Handel. Während das ganze Schutzgebiet zunächst Freihafenzone war, wurde es 1906 an das chinesische Zollgebiet angegliedert, bis [222] auf das Hafengebiet selbst. Die Handelsumsätze stiegen schnell. Eingeführt wurden meist chinesische Waren, daneben Baumwollfertigwaren, Chemikalien und Metallwaren aus Deutschland.

Tsingtau mit einer Hauptstraße, alles sauber und geordnet.
[233]      Tsingtau mit einer Hauptstraße, alles sauber und geordnet.
Ein Netz schöner breiter Straßen durchzieht die Stadt, zu deren Anlage Sprengungen ebenso nötig waren wie Auffüllungen des Bodens. Eine ausgedehnte Kanalisationsanlage reguliert den Abfluß der Regenmengen, eine große Schmutzwasser- und Schwemmanlage schließt sich an. Eine Wasserleitung sorgt für gesundes Trinkwasser, sie war besonders wichtig, weil die Brunnenbohrungen kein solches ergaben. Das Wasser kommt aus zwei 4 und 15 km von Tsingtau entfernten Tälern.

Die mangelnde Schönheit Tsingtaus wurde indessen durch praktische Vorzüge ausgeglichen: eine saubere, durchaus hygienische, allen europäischen Anforderungen an Sauberkeit entsprechende Stadt in China war auch etwas wert!

Das Leben in Tsingtau war ein in jeder Beziehung sehr reges: der Handel blühte auf, viele deutsche und chinesische Firmen eröffneten Filialen in der neuen Stadt und besorgten außer dem Erwerb und Vertrieb der Schutzgebietsbedürfnisse den Durchgangshandel mit dem Hinterland, der allein für das deutsche Schutzgebiet in Betracht kam. Da die Bautätigkeit wenigstens eine sehr rege war, wurden zahlreiche Ziegeleien, Kalkbrennereien, Maschinenschlossereien und andere gewerbliche Anlagen vollauf beschäftigt. Buchdruckereien, eine Seifenfabrik, eine Brauerei - wie hätte sie fehlen können! -, eine Seidenspinnerei, Ölpressen, Werften usw. brachten Bewegung, Erwerbsmöglichkeit - kurz, Arbeit ins Schutzgebiet: etwas, was wir erst jetzt richtig zu schätzen wissen. Ein Elektrizitätswerk wurde 1903 verstaatlicht; fremdes Kapital suchte nach Anlage in der aufstrebenden Stadt. Die chinesische Kaufmannschaft war sehr gut gestellt - Gildenhäuser und das chinesische Theater bezeugten die Tatsache. Post- und Telegraphenverkehr wuchsen von Jahr zu Jahr, ebenso wurde die Zahl der einlaufenden Schiffe immer größer - die deutschen Dampfer standen mit mehreren hundert an der Spitze und übertrafen die Anzahl der englischen um mehr als das Doppelte.

Den Hauptfaktor für die Entwicklung des Schutzgebietes stellte die Schantung-Eisenbahn dar, an deren Ausbau der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, Geheimrat Julius Dorpmüller, als Ingenieur bedeutenden Anteil hatte. Die Gesellschaft, deren Sitz in Tsingtau war, bestand aus Deutschen und Chinesen; trotz allen Schwierigkeiten, die durch ungünstige Geländeverhältnisse und anfangs durch Unruhen der Bevölkerung verursacht wurden, konnte 1901 die Strecke bis Kiautschou (74 km), 1902 bis Weihsien (184 km), 1903 bis Tseotien (256 km), 1904 bis Tsinanfu (395 km), der Hauptstadt der Provinz Schantung, eröffnet werden. 1908 wurde der Bau der Tientsien - Pukou-Bahn in Angriff genommen, die bei Tsinanfu auf die Schantungbahn stößt; so kam das Schutzgebiet in direkte Verbindung mit dem nach Europa führenden Schienenstrang der Transsibirischen Bahn. Im Zusammenhang mit [223] dem Eisenbahnbetrieb stand die Förderung des Bergbaus und die Schantung-Bergbaugesellschaft, die die Kohlenfelder systematisch ausbaute, so daß sich der Export an Kohle vom Jahre 1908 zum Jahre 1909 mehr als verdoppelte, nämlich von etwa 54 000 Tonnen auf 126 000 Tonnen.

Für die geistige Ausbildung der Jugend sorgte eine deutsche Gouvernementsschule, die etwa einem Realgymnasium entspricht: Vorschule, Unterklassen mit englischem und französischem Unterricht, dem sich von der Tertia ab Latein zugesellte. Eine mit dem Gouvernementsgymnasium verbundene Mädchenschule erwarb sich schnell auch bei den außerhalb des Schutzgebietes wohnenden Europäern guten Ruf, so daß sie es vorzogen, ihre Kinder nach dem gesunden Tsingtau zur besseren
Die deutsche Missionsschule in Tsingtau
bereitet für die Technische Hochschule vor.
[234]      Die deutsche Missionsschule in Tsingtau
bereitet für die Technische Hochschule vor.
Ausbildung zu schicken, die Deutschland bot. Die Missionen beider Konfessionen betätigten sich mit dem besten Erfolge auf dem Gebiet des chinesischen Schulwesens; jede der drei im Schutzgebiet tätigen deutschen Missionen hatte eine Schule für die Eingeborenenkinder eingerichtet. Die katholische Mission führte außerdem noch eine besondere Schule für Fortgeschrittene, die vorwiegend zum Eisenbahndienst ausgebildet wurden.

Die evangelische "Ostasien-Mission", Berlin, arbeitet seit 1897 in der Provinz Schantung. Außer im Schulwesen sieht sie ihre besondere Aufgabe in der ärztlichen Mission; erfreulicherweise kann auch heute noch diese ärztliche Arbeit im Missionshospital der Station in Tsingtau, dem Dr. Wunsch-Krankenhaus und zwei Polikliniken mit Erfolg weitergeführt werden, ebenso in dem Krankenhaus in der Poliklinik in Tsining.

Auch auf wissenschaftlichem Gebiet wurde nicht gerastet: Landesvermessungen und astronomische Beobachtungen gingen mit der Anlage eines Observatoriums und aller möglichen Sammlungen für die 1909 eröffnete chinesische Hochschule Hand in Hand. Eine Anzahl deutscher Verleger stiftete die Kiautschou-Bibliothek. Vor allem auf medizinischem Gebiet waren die Fortschritte infolge der bakteriologischen Untersuchungen große, die über die notwendigen hygienischen Maßnahmen Klarheit verschafften.

Die Tätigkeit der Besatzungstruppen war vor allem in der ersten Zeit eine nicht nur rein militärische, da sie als Pioniere den Kolonisten den Weg bereiteten, also Wege bauten, Polizeidienste taten und die ankommenden Behörden unterstützten. Während des großen chinesischen Aufstandes blieb im Schutzgebiet alles ruhig; zwei Kompanien des III. Seebataillons kämpften mit bestem Erfolge bei Tientsien und halfen bei der Entsetzung des englischen Seymour-Expeditionskorps. Im Hinterland, in der Provinz, gerieten die deutschen Beamten der Eisenbahn und der Bergwerke in bedrohliche Lagen und mußten sich ins Schutzgebiet zurückziehen, ebenso die Missionen. Zum Schutz der Deutschen und des Bahnbaus wurden einzelne Abteilungen nach Kiautschou und an der Bahnstrecke vorgeschoben, die einige Scharmützel mit Boxer- und Räuberbanden zu bestehen hatten. Bald trat eine völlige Beruhigung der Bevölkerung ein, nachdem schon vorher der Bahnbau seinen Fortgang genommen hatte.

[224] Die Garnison spielte im gesellschaftlichen Leben Tsingtaus eine große Rolle, besonders bei dem regen sportlichen Betrieb, dessen erste Stelle die Pferderennen einnahmen. Polo, Turniere und Hindernisrennen brachten viel Abwechslung; auch sonst wurde die Geselligkeit im besten Stil unter den angenehmsten Formen gepflegt. Die Offiziere des in der Bucht liegenden Geschwaders - das letzte war das bei den Falklandsinseln ruhmvoll untergegangene des Grafen Spee - und der zu Besuch kommenden deutschen und anlaufenden fremden Kriegsschiffe bildeten in der Stadt stets einen Hauptgegenstand der Gesellschaft.

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Das Buch der deutschen Kolonien
Herausgegeben unter Mitarbeit der früheren Gouverneure
von Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo und Deutsch-Neuguinea.
Vorwort von Dr. Heinrich Schnee.