Wer hat zum Weltkrieg
gerüstet?
Von Generalmajor a.D. van den Bergh,
©1927 [oder etwas später]
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Scriptorium. Das deutsche Reichsarchiv brachte eine besondere Aktenveröffentlichung über die deutsche Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft heraus. Der erste Band behandelt die militärischen und wirtschaftlichen Rüstungen Deutschlands von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Weltkrieges. [Wir bemühen uns, diese Unterlagen aufzutreiben. Anm. d. Scriptorium.] Die deutsche Reichsverfassung von 1871 hatte den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht vom Norddeutschen Bunde übernommen; sie schränkte aber in Artikel 60 das bei der Fahne zu haltende Heer auf ein Prozent der Bevölkerung ein. Diese Einschränkung bewirkte, daß ein großer Teil der Heerespflichtigen unausgebildet blieb. Von 1874 ab sollte die Friedensstärke des Heeres von Fall zu Fall gesetzlich festgelegt werden. Dieses geschah durch die beiden Siebenjahresabschnitte von 1874 und 1881 jedoch in so bescheidener Weise, daß nicht einmal die Mindeststärke von einem Prozent erreicht wurde. Das hatte zur Folge,
Die durch die Hetzerei des französischen Generals Boulanger entstandene Kriegsgefahr führte endlich im Jahre 1887 zu einer deutschen Heeresvermehrung von 41.000 Mann - allerdings erst, nachdem im Verlaufe der parlamentärischen Kämpfe sich Bismarck genötigt sah, den Reichstag aufzulösen. Unter dem Eindruck der drohenden Rüstungen Frankreichs wurde ferner im Jahre 1888 die Landwehrdienstzeit gesetzlich verlängert, wodurch zwar die Kriegsformationen einen Zuwachs an älteren Kämpfern erhielten, aber die vielen Zehntausende unausgebildeter junger Leute nicht erfaßt wurden. Kurz nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. (1888) hatte Frankreich 1,3 Prozent seiner Bevölkerung bei der Fahne, Deutschland dagegen nur 0,98 Prozent, und sein Bundesgenosse Österreich-Ungarn sogar nur 0,75 Prozent.
Frankreich dagegen verfügte über 3,2 Millionen Ausgebildeter, die in Kürze auf 4,1 Millionen anwuchsen. Dieses auch mit Rücksicht auf die russische Bedrohung gefährliche Mißverhältnis veranlaßte endlich den Kriegsminister von Verdy, einen Plan zur Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht im Sinne Scharnhorsts aufzustellen. Die durch diesen Plan bedingte größere Rekrutenzahl sollte in mehreren Stufen erreicht werden. Der deutsche Reichskanzler v. Caprivi beschnitt dem Kriegsminister jedoch schon bei der ersten Stufe seine Mehrforderung erheblich (18.000 statt 40.000). Als auf eine vorsichtige Andeutung, die allgemeine Wehrpflicht einführen zu wollen, ein Entrüstungssturm im Reichstag einsetzte, ließ der Reichskanzler in schwächlicher Weise seinen Kriegsminister fallen, worauf der Reichstag eine Entschließung annahm, die sich grundsätzlich gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wandte und sogar die Herabsetzung der aktiven Dienstpflicht von drei auf zwei Jahre forderte. Damit war kampflos ein Plan aufgegeben, dessen Verwirklichung Deutschland wahrscheinlich vor dem Kriege und seinen furchtbaren Folgen bewahrt hätte. Das Jahr 1893 brachte die zweijährige Dienstzeit, gleichzeitig aber unter dem Eindruck des
und der zahlenmäßigen Unterlegenheit des deutschen Heeres, diesem eine Vermehrung um etwa 60.000 Mann. Dazu bedurfte es aber wiederum einer erneuten Reichstagsauflösung. In den nächsten zehn Jahren geschah nichts Durchgreifendes für das deutsche Heer. Man tröstete sich damit, daß die innere Tüchtigkeit der Armeen einen Ausgleich für ihre zahlenmäßige Unterlegenheit schaffen würde, obwohl Graf Schlieffen (von 1891 bis 1905 Generalstabschef) immer wieder auf die Bedeutung der neuzeitlichen Massenheere hinwies. Auch der anschließende Zeitabschnitt (1903 bis 1909) brachte nur geringe Änderungen. Der Kriegsminister von Einem scheute sich, erheblich größere Geldmittel für eine Heeresvermehrung zu verlangen und ging auf die Forderungen des Generalstabs nicht ein. Ja, selbst als der Reichskanzler v. Bülow, bedenklich gemacht durch die gefährliche Zuspitzung der ersten Marokkokrise, eine erhebliche Heeresvermehrung bei ihm anregte, lehnte er sie ab. Auch der neue Generalstabschef v. Moltke glaubte nur bescheidene Ansprüche stellen zu dürfen und hiermit am besten
auszudrücken. In der ersten Zeit der neuen Regierung vom Sommer 1909 ab (v. Bethmann-Hollweg, Reichskanzler; v. Heeringen, Kriegsminister) unterblieb auch weiterhin die Ausnutzung der deutschen Volkskraft. Da beleuchtete die zweite Marokkokrise im Jahre 1911, bei der auch England äußerst feindselig gegen Deutschland auftrat, blitzartig die Gefahr der deutschen Lage.
Frankreich dagegen 83 Prozent. Jetzt endlich entschloß sich der Kriegsminister v. Heeringen zu einer größeren Vorlage, die Deutschland im Mai 1912 zwei neue Armeekorps brachte. Im Generalstab, der Jahrzehnte lang auf die Erfüllung seiner Forderungen hatte verzichten müssen, wurden Kräfte frei, die außerdem die Angleichung des Heeres an die deutsche Volkskraft nachdrücklich forderten und damit den Plan des Kriegsministers v. Verdy von 1890 wieder aufnahmen. Die treibende Kraft hierbei war der damalige Oberst Ludendorff als Chef der Aufmarschabteilung. Dieser drängte auf einen schnelleren Aufbau des Heeres und stellte in einer umfangreichen Eingabe an den Reichskanzler im Dezember 1912 ein neues Rüstungsprogramm auf, das die Neubildung von mindestens drei Armeekorps forderte. Bei dem sich hierbei entspinnenden Kampf der beteiligten Behörden stellte sich der deutsche Kaiser auf die Seite v. Heeringens. Dieser lehnte die Schaffung der von Ludendorff verlangten Korps zwar nicht ganz ab, wollte sie aber erst für später ins Auge fassen. Ludendorff wurde als lästiger Mahner gewissermaßen strafweise aus dem Generalstab in die Front versetzt. Ehe noch die deutsche Heeresvorlage öffentlich bekanntgegeben wurde, hatten die Franzosen im Februar 1913 unter dem Präsidenten der Republik, Poincaré, dem einflußreichen Verfechter der Revanchenpolitik, zur einzigen noch möglichen Steigerung ihrer Schlagfertigkeit gegriffen und die dreijährige Dienstzeit für alle Waffengattungen beschlossen.
wurde Botschafter in Petersburg. Rußland rüstete fieberhaft und behielt ständig einen Reservistenjahrgang unter der Fahne, so daß sein Friedensheer auf 1,2 Millionen anschwoll. Die deutsche Heeresverstärkung wurde am 3. Juli 1913 beschlossen. Sie brachte dem Heer einen Zuwachs von 135.000 Mann, der in zwei Jahren erreicht werden sollte. Nach der Einstellung des ersten Teiles in Höhe von 72.000 Rekruten blieben jedoch noch 30.00 Taugliche und 75.000 noch nicht Volltaugliche übrig, so daß die allgemeine Wehrpflicht auch jetzt bei weitem noch nicht erreicht wurde. Damit betrug die Friedensstärke im Jahre 1914
bei Frankreich 775.000 Mann (2 Prozent der Bevölkerung, also fast der doppelte Prozentsatz), ohne die farbigen Truppen. Da Deutschlands Bundesgenosse Österreich-Ungarn sich auf 414.000 Mann (0,9 Prozent der Bevölkerung) beschränkte, hatten die Mittelmächte 1,2 Millionen, dagegen Frankreich, Rußland, England, Serbien, Belgien zusammen 2,9 Millionen Mann vor dem Kriege unter der Fahne. Selbst als durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares das
gegeben wurde, glaubte man im preußischen Kriegsministerium noch nicht an den Krieg, sondern bereitete unter dem neuen Minister v. Falkenhayn in Ruhe eine neue Heeresvorlage vor, die erst in den Jahren 1916/17 wirksam werden solle. - Bei der Mobilmachung betrug
die Kriegsstärke des französischen Heeres dagegen 9 Prozent der Bevölkerung. Wenn Deutschland ebenfalls 9 Prozent seiner Bevölkerung bei der Fahne gehabt hätte, wäre sein Heer um 2,2 Millionen Mann stärker gewesen. Im ganzen hatten die Gegner der Mittelmächte eine zahlenmäßige Überlegenheit von annähernd drei Millionen Streitern, während sich allein in Deutschland über 5 Millionen Männer im wehrpflichtigen Alter befanden, die keine militärische Ausbildung genossen hatten. Die Geschichte der deutschen Rüstungspolitik, wie sie jetzt in den klaren Angaben und Zahlen des Reicharchivs vor aller Augen offen zutage liegt, ist ein Beweis der deutschen Friedfertigkeit und des französischen Willens zum Kriege, ist die
die neben der Kolonialschuldlüge eine der giftigsten und niederträchtigsten Verleumdungen der Weltgeschichte bildet. Wenn man wissen will, wie ein zum Krieg entschlossenes Volk aussieht, dann möge man das damalige Frankreich anschauen,
jenes Frankreich, das 1913 die dreijährige Dienstzeit wieder einführte und damit zu einer Maßregel griff, die überhaupt nur kurze Zeit ertragen werden konnte und gewissermaßen schon eine Teilmobilmachung darstellte. Die nüchternen Zahlen über die deutschen Rüstungen beweisen, daß die deutsche Regierung bis in die letzten Tage vor dem Ausbruch des Weltkrieges an die Erhaltung des Friedens glaubte. Die Zahlen über die französischen Rüstungen wie auch Poincarés Handlungen aber beweisen,
Im vollen Bewußtsein ihrer ungeheuren Schuld am Ausbruch des Weltkrieges haben die französischen Staatsmänner den Bruch der Friedensbedingungen des amerikanischen Präsidenten Wilson durchgesetzt, haben sie erreicht, daß Deutschland durch das Versailler Diktat mit der Schuld am Weltkriege belastet wurde. Auf diesem ungeheuren Unrecht bauten sie das Versailler Diktat auf und schufen Bestimmungen, durch die Deutschland die ungeheuersten Tributlasten auf Menschenalter hinaus auferlegt wurden. Diese Tributlasten haben die Weltwirtschaft zerstört, und rund 15 Millionen Menschen sind um Lohn und Brot gekommen. Das ist der Fluch von Versailles.
Der Friedensvertrag von
Versailles
Wer hat das Versailler Abrüstungsversprechen gebrochen?
Zehn Jahre
Versailles
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