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Der Abgrund von Versailles

Fichtebundblatt Nr. 411.

©1928 [oder etwas später]
Deutscher Fichte-Bund e.V., gegründet Januar 1914.
Reichsbund für Deutschtumsarbeit.

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Anläßlich einer in Luxemburg erfolgten internationalen Zusammenkunft hielt Reichsbankpräsident Dr. Luther eine eindrucksvolle Rede über die die Weltwirtschaft zerstörenden Folgen des Versailler Diktats. Er führte u.a. aus:

"Die Tributleistungen, die Deutschland durch das Versailler Diktat und spätere Abmachungen auferlegt wurden, stören die Geld- und Wirtschaftsordnung, weil sie keine wirtschaftlich begründeten, sondern politische Zahlungen sind. Diese Überzeugung gewinnt unter Kundigen immer mehr an Boden und setzt sich durch. Da aber aus Gründen, die außerhalb der Tatsachenlogik liegen, diese Folgerung nicht gerne gezogen wird, so sucht man ihr auszuweichen. Man sagt, Deutschland kann unter der Tributlast nicht so schwer leiden, denn von im ganzen etwa 28 Milliarden, die es für öffentliche Zwecke, einschließlich der sozialen Aufwendungen, ausgibt, entfallen auf die Tributleistungen nur etwa 2 Milliarden. Oft wird dann noch hinzugefügt, daß die auf den Kopf bezogene Steuerbelastung in Deutschland nicht größer sei, als in Frankreich oder sogar unzweifelhaft niedriger als in Großbritannien.

Wie abwegig eine solche Berechnung der Steuerlast ist, wird jedem klar werden, der sich zum Beispiel vorstellt, daß ein Staat in dem Villenvorort einer Großstadt, wo hauptsächlich wohlhabende Leute wohnen, auf den Kopf berechnet, nur dieselben Steuern einnehmen würde, wie in einem Bauerndorf auf armseligem Boden. In solchem Falle würde jedermann von der Ungerechtigkeit des Staates sprechen und verlangen, daß eine andere Verteilung der Steuerlasten erfolge.

Es liegt nahe, für eine vergleichende Betrachtung mit Deutschland hauptsächlich Großbritannien heranzuziehen, weil beide Länder unter einer besonders großen Erwerbslosigkeit leiden.

    In Großbritannien macht der Einkommensteuerbetrag aus den Einkommen von über 50.000 Reichsmark mehr als 70% der gesamten Einkommensteuer der Einzelpersonen aus.
    In Deutschland sind es dagegen nur 20%.

Die Unterschiede in der Schichtung der Einkommen werden auch dadurch deutlich, daß Großbritannien und Amerika infolge des Vorhandenseins einer breiten Schicht mittlerer und hoher Einkommen in der Lage sind, die unteren Einkommenschichten völlig von der Einkommensteuer freizuhalten. Deutschland dagegen kann auf die Besteuerung dieser Schichten nicht verzichten, wenn ein ausreichender Steuerertrag erzielt werden soll.

    In Großbritannien ist ein verheirateter Steuerpflichtiger mit zwei Kindern, dessen Einkommen ganz aus Arbeitsertrag besteht, bis zu einem Einkommen von 8.040 RM einkommensteuerfrei.
    In Deutschland dagegen muß derselbe Steuerpflichtige im Jahre allein an Einkommensteuer 443 Reichsmark zahlen.

    In Amerika ist ein verheirateter Steuerpflichtiger mit zwei Kindern, wenn sein Einkommen ganz aus Arbeitsertrag besteht, bis zu einem Einkommen von 18.000 RM einkommensteuerfrei.
    In Deutschland muß der gleiche Steuerpflichtige an Einkommensteuer 1.690 RM. zahlen.

Um die dem deutschen Volke durch die Tributleistungen erwachsene Belastung zutreffend beurteilen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, in welchem Umfange das deutsche Volksvermögen durch den Krieg und seine Folgeerscheinungen vernichtet worden ist, und welchen hohen Teil infolgedessen die Tributleistungen von der Erwerbskraft der Nation beanspruchen. Die bisher von Deutschland aufgebrachten Tributleistungen und die sonstigen Kapitalvernichtungen - ohne Gebietsverluste - werden schon jetzt auf mehr als die Hälfte des deutschen Volksvermögens berechnet.

Die durchschnittliche jährliche Kapitalbildung in Deutschland ist als Zuwachs des Volksvermögens so unzureichend, daß sie für die natürliche Wachstumsentwicklung und die Erfüllung der Auslandspflichten auf keinen Fall auch nur annähernd genügt. Der Anteil des gesamten Volkseinkommens aus Kapitalvermögen betrug in Deutschland vor dem Kriege 13%, jetzt ist er auf 4% bis 5% gesunken. Die Zahl der Millionäre ist von 15.500 vor dem Kriege auf 2.500 zurückgegangen. Die letzte Zahl stammt aus dem Jahre 1927. Sie hat sich seitdem noch erheblich vermindert. Während in Deutschland nur 29 Steuerfälle eine Erbschaft von über eine Million Reichsmark aufweisen, hat Großbritannien 58 solcher Steuerfälle mit je einer Erbschaft von mehr als 10 Millionen Reichsmark.

In alledem drückt sich der zwischen dem verarmten deutschen Volke und anderen Völkern bestehende Unterschied aus. Letztere haben große Kapitalbestände, mit deren Hilfe sie die Zeit der Not überstehen können. In Deutschland fehlen diese Bestände. Die zwei Milliarden Tributleistungen Deutschlands gewinnen also ein ganz anderes Gesicht.

Was für Rückschritte sind nach dem Kriege unter der Losung 'Aufbau einer neuen Welt' gemacht worden? Ich will nur von der Wirtschaft sprechen.

    Vor dem Kriege gab es in Europa 13 verschiedene Währungen - jetzt gibt es in Europa deren 27.
    Die Zollgrenzen betrugen vor dem Kriege rund 8.000 Kilometer - jetzt betragen sie mehr als 20.000 Kilometer.

Diese Zurückdrängung des Warenaustausches führt zu einer Stoffwechselerkrankung der Weltwirtschaft. Am unfreiesten in seiner Zollpolitik ist Deutschland, da es die Tributleistungen zu erfüllen hat; es kann seine Ausfuhr in dieser schutzzöllnerischen Welt nicht entsprechend steigern und muß deshalb alles tun, um seine Einfuhr herabzusetzen. Der Gedanke eines Zollwaffenstillstandes ist aber nicht an Deutschland gescheitert.

Der politisch, also künstlich bewegte Geldbetrag der Tributleistungen fließt auch nicht etwa in Form von Kapital in die Weltwirtschaft zurück, sondern wird zu einem großen Teil aufgestaut. Dieses ist das jetzt überall erörterte Problem der verkehrten Goldverteilung auf der Erde."

Auf diesen Umstand kam Reichsbankpräsident Dr. Luther auch in einer auf dem Presseabend der Leipziger Messe gehaltenen Rede über die "Wirtschaftskrise und ihre Behebung" zu sprechen:

"Daß die Tributleistungen Deutschlands, die als politische Zahlungen die Welt durchlaufen, den wirtschaftlichen Organismus der Welt immer mehr untergraben, wird von den Sachverständigen des Wirtschaftslebens in steigendem Maße erkannt. Das Geld, das Deutschland in Form von Tributen zahlt, läuft bergauf. Kein wirtschaftliches Gefälle lenkt es, sondern ein politisches Pumpwerk drückt es in eine wirtschaftlich verkehrte Richtung: auf dem politischen Berg angekommen, läuft es nicht wieder bergab. Politische Umstände halten es als Stauwerk zurück und verhindern, daß es als befruchtendes Kapital sich wieder verteilt."



Die von dem deutschen Reichsbankpräsidenten gekennzeichnete Goldaufstauung tritt besonders durch die Steigerung des Goldbestandes der Bank von Frankreich zutage. Der Goldbestand dieser Bank betrug

am 28. Juli 1928 28,9 Milliarden Fr.
  "    4. Januar 1929 32,7 (+3,8) "          "  
  "    3. Januar 1930 42,4 (+9,7) "          "  
  "    2. Januar 1931 53,7 (+11,3) "          "  
  "    8. Oktober 1931 60,5 (+6,8) "          "  

Im Zeitraum von drei Jahren ist der Goldbestand der Bank von Frankreich um 31,6 Milliarden Frank gestiegen. Wie groß allein die im Jahre 1930 eingetretene Steigerung ist, geht aus der Tatsache hervor, daß die im gleiche Jahre erzielte Goldproduktion der ganzen Welt erheblich hinter der Steigerung des Goldbestandes der Bank von Frankreich zurückblieb. Am Anfang des Jahres 1931 betrug der

    Goldbestand der deutschen Reichsbank 2,60 Milliarden Reichsmark;
    Goldbestand der Bank von England 2,88 Milliarden Reichsmark.

Man hat berechnet, daß vom Goldbestand der ganzen Welt Nordamerika über 37,9% und Frankreich über 16% vefügt. Es entfallen auf Grund der Goldbestände

    in Frankreich 40 Dollar in Gold
    in Nordamerika 32 Dollar in Gold

auf den Kopf der Bevölkerung.

Im Verhältnis zu seiner Bevökerung ist Frankreich also tatsächlich das goldreichste Land der Erde.

Durch die ungeheuere Goldansammlung in der Bank von Frankreich ist in den kapitalarmen Ländern, insbesondere in Deutschland eine große Werterhöhung des Goldes eingetreten, die ohne weiteres eine Steigerung des Wertes der Tributleistungen mit sich brachte. Gegen eine solche Benachteiligung war Deutschland durch den Dawesplan geschützt.

Frankreich hat es verhindert, daß die betr. Bestimmung in den Youngplan übernommen wurde. Dadurch hat es erreicht, daß der Wert der Deutschland durch den Youngplan auferlegten Tributleistungen sich schon im zweiten Jahre seines Bestehens um fast 30% erhöhte.

Schon bei der Festsetzung des Dawesplans wurde Deutschland dadurch betrogen, daß die von ihm bis dahin aufgebrachten Tributleistungen in keiner Weise gutgeschrieben wurden. Als dann die Youngplantribute festgesetzt wurden, ließ man die unter dem Dawesplan geleisteten Tribute wiederum einfach unter den Tisch fallen, obwohl sie rund 8 Milliarden Reichsmark, einschließlich der Nebenleistungen sogar über 10 Milliarden Reichsmark, betragen hatten. Näheres hierüber bringen die Fichtebund-Flugblätter Nr. 53 und 391. Insgesamt sind von Deutschland bis Ende des Jahres 1930 an Tributen über 70 Milliarden Reichsmark in Gold und Sachwerten erpreßt worden.

Aus dem durch den Krieg aufs äußerste erschöpften und durch die Inflation und den Ausverkauf zu Grunde gerichteten Deutschland wurden dann noch auf Grund des Dawesplans und Youngplans einschließlich der Nebenleistungen rund 15 Milliarden Goldmark herausgepreßt. Was für Folgen hat das gehabt?

Das früher im Wohlstand lebende deutsche Sechzigmillionen-Volk hat über vier Millionen Arbeitslose zu ernähren. Es war Abnehmer und Verbraucher von ungeheueren Warenmengen, die aus aller Herren Länder bezogen wurden. In den Büchern, insbesondere der englischen und amerikanischen Fabrikanten und Exporteure, fehlen heute die früher von Deutschland gezahlten Summen. Von den dem Auslande früher durch Eisenbahn- und Schiffsfrachten aus Deutschland zugeflossenen Summen ganz zu schweigen. Wieviel Schiffe infolge mangelnder Frachten aufgelegt, wie viele Fabriken stillgelegt, wie viele Kontore und Kaufhäuser geschlossen werden mußten, läßt die Tatsache ahnen, daß Großbritannien 2½ Millionen, Nordamerika sogar rund 7 Millionen Arbeitslose hat.

Der ungeheuere Rückgang der Wirtschaft belastet die Staatskassen fast aller Länder aufs Schwerste. Der Haushalt Nordamerikas schloß im zweiten Youngplanjahre bereits mit einem Einnahmeausfall von rund einer Milliarde Dollar. Die Vereinigten Staaten haben also in diesem einen Jahr doppelt so viel an Werten eingebüßt, als die gesamten Tributgläubiger in dem gleichen Zeitraum aus Deutschland herausgepreßt hatten.

Wieviel muß das englische Volk für seine 2½ Millionen Arbeitslosen zahlen? Wieviel müssen alle anderen Länder, selbst die, die nicht am Krieg teilgenommen haben, für den gleichen Zweck aufbringen? Sie alle werden durch den fortschreitenden Rückgang der Wirtschaft an den Rand des Abgrunds gebracht. Der Abgrund ist durch das Versailler Diktat geschaffen. Er bedroht den Wohlstand aller Völker. Diese Erkenntnis hat sich in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, wie auch in den anderen Ländern bereits Bahn gebrochen. Nur Frankreich läßt jeden Beweis eines guten Willens fehlen. Es sabotiert sogar planmäßig alle Anstrengungen hervorragender Staatsmänner der Völker, eine Änderung herbeizuführen. Diese Tatsache zeigt sich wieder beim Hoover-Plan, der in seiner ursprünglichen Form für Deutschland und die Welt eine Atempause bedeutet hätte. Frankreich setzte als einziges Land diesem Plane nicht nur schärfsten Widerstand entgegen, sondern stellte sogar wiederum neue politische Forderungen auf und machte damit Hoovers Grundgedanken zunichte.

Es gibt aber keinen Ausweg: nur wenn die Völker der Vernunft zum Siege verhelfen, können sie Handel und Wandel wieder zum Blühen bringen.

    Versailles muß fallen!