Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Seekrieg
[194]
Kapitel 4: Der Der U-Bootskrieg
Fregattenkapitän Friedrich Lützow
1. Einleitung.
Wenn im folgenden vom "U-Bootskrieg" gesprochen wird, so ist damit stets der
Handelskrieg mit U-Booten in irgendeiner Form - sei es als
"uneingeschränkter" oder "eingeschränkter" U-Bootskrieg oder als
"U-Bootskrieg nach Prisenordnung" - gemeint. Die Verwendung der
U-Boote gegen die feindlichen Kriegsflotten wird daher nicht in dem Kapitel
"U-Bootskrieg", sondern in den anderen Kapiteln des Seekriegs je nach dem
Kriegsschauplatz, auf dem sie sich abgespielt hat, besprochen. In der Hauptsache
findet sie sich im Abschnitt über den
Nordseekrieg.
Der "U-Bootskrieg" in dem vorstehend erläuterten Sinne stand in enger
Beziehung nicht nur zu den militärischen und technischen Problemen der
Kriegführung, sondern in entscheidenderem Maße noch zu den
wichtigsten Fragen der äußeren sowie der inneren Politik, zu den
verschiedensten Kapiteln des Völkerrechts und zur Entwicklung der
Weltwirtschaft, im besonderen der Weltschiffahrt und des Weltschiffbaues. Dieser
Umstand zwingt dazu, bei der Darstellung des U-Bootskriegs viel eingehender auf
diese nichtmilitärischen Fragen einzugehen, als das sonst üblich und
notwendig ist. Denn man kann den U-Bootskrieg nur in den
Zusammenhängen mit Politik, Völkerrecht und Wirtschaft
verstehen.
2. Die Grundlagen des
U-Bootskrieges 1915.
Am 4. Februar 1915 erließ der Chef des Admiralstabs folgende
"Bekanntmachung":
"1. Die Gewässer rings um
Großbritannien und Irland einschließlich des gesamten Englischen
Kanals werden hiermit als Kriegsgebiet erklärt. Vom 18. Februar 1915 an
wird jedes in diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff
zerstört werden, ohne daß es immer möglich sein wird, die
dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden.
2. Auch neutrale Schiffe laufen im Kriegsgebiet Gefahr,
da es angesichts des von der Britischen Regierung am 31. Januar angeordneten
Mißbrauchs neutraler Flaggen und der Zufälligkeiten des Seekrieges
nicht immer vermieden werden kann, daß die auf feindliche Schiffe
berechneten Angriffe auch neutrale Schiffe treffen.
[195] 3. Die
Schiffahrt nördlich um die Shetland-Inseln, in dem östlichen Gebiet
der Nordsee und in einem Streifen von mindestens 30 sm Breite entlang der
niederländischen Küste ist nicht gefährdet.
Berlin, den 4. Februar 1915.
Der Chef des Admiralstabes der Marine
v. Pohl."
Wie war die deutsche Regierung - daß der Chef des Admiralstabes diese
Kriegsgebietserklärung mit Einverständnis der politischen Leitung
erlassen hatte, ist selbstverständlich - zu diesem Schritt gekommen?
Bei Beginn des Krieges hatte niemand in der deutschen Kriegsleitung an einen
U-Bootshandelskrieg gegen England gedacht. Freilich war kurze Zeit vor Beginn
des Krieges von dem Referenten bei der U-Bootsinspektion,
Kapitänleutnant Blum, eine Denkschrift verfaßt, die berechnete,
daß man zur wirksamen Führung eines Handelskrieges gegen
England etwa 200 U-Boote brauche.1 Über
die guten Aussichten eines Handelskrieges gegen England hatte sich bereits der
Vizeadmiral z. D. Freiherr v. Schleinitz in einem 1908 erschienenen
Aufsatz geäußert, in dem er die späteren Fähigkeiten der
deutschen U-Boote zutreffend vorhersah. Auch in England war die Frage
erörtert worden. Die Zeitschrift Strand Magazine vom Juli 1914
enthielt eine Novelle, betitelt "Danger! A story of England's Peril" by A.
Conan Doyle, die in drastischer Weise schilderte, wie England, im Kriege mit
einer ganz schwachen europäischen Macht, durch deren 16
U-Boote innerhalb sechs Wochen zum Frieden gezwungen wird, weil die
U-Boote durch Versenkung von Handelsschiffen die englische Wirtschaft und
damit die englische Weltmacht in Trümmer zu schlagen beginnen. Wie
ferner nach dem Kriege aus den Erinnerungen des englischen Admirals Lord Fisher
bekanntgeworden ist, hat er als 1. Seelord der Admiralität in einer
dienstlichen Denkschrift im Mai 1914 an den Premierminister auf die ungeheure
Gefahr, die Englands Seehandel von den U-Booten her drohte, aufmerksam
gemacht.
Der Gedanke des U-Bootshandelskrieges war also an sich nicht neu. Aber er
enthielt für eine ihrer Verantwortung bewußte Kriegsleitung zu
Beginn des Krieges zu viel ungelöste Fragen, als daß er sogleich
hätte in die Tat umgesetzt werden können. Würden die 28 in
Dienst befindlichen deutschen U-Boote, von denen die ersten vier für die
Verwendung zu Fernunternehmungen in die feindlichen Gewässer gar
nicht, die nächsten 14 nur beschränkt brauchbar waren, einer solchen
Riesenaufgabe gewachsen sein? Würden sich die Erfahrungen, die man in
Angriffen bei Friedensübungen, in ausgedehnten Friedensmärschen
mit Aufenthalten bis zu 11 Tagen in See, bei fortlaufender Verwendung zu
solchen langdauernden Unternehmungen bewähren? Man hatte doch hier
eine ganz neue, [196] noch in keinem
früheren Kriege erprobte Waffe vor sich. Wie würden sich die
deutschen U-Boote in der schweren Atlantiksee benehmen? Würde der
Treibölvorrat für die U-Bootsmotoren in der Praxis den
Berechnungen ungefähr entsprechen? Dazu kamen die Hemmungen, die
für Deutsche eigentümlich sind: wie konnte man die
U-Bootstätigkeit ungefähr den völkerrechtlich vereinbarten
Regeln für die Kriegführung gegen den feindlichen Handel
anpassen? Vor allem aber war die Marine - dank ihrer
Erziehung - auf den Kampf der gesamten Flotte gegen die feindliche
eingestellt; niemand dachte an etwas anderes als an diesen Kampf.
Der Kampf blieb aus. Dank der Initiative des Führers der
U-Boote, Korvettenkapitän Bauer, wurden aber schon am 6. August zum
ersten Male eine größere Anzahl von
U-Booten zu mehrtägiger Unternehmung in die nördliche Nordsee
geschickt. Das Zutrauen der Leitung und der Besatzungen in die
Leistungsfähigkeit der U-Boote stieg trotz mehrerer Verluste. Ihre
Beobachtungen gaben aber schon im August 1914 den Gedanken eine neue
Richtung: Die gesuchten Kriegschiffe fand man nicht, die Bewachung auf See war
auch in der Nähe der feindlichen Küste schwach. Dagegen gewann
man gerade dort einen unmittelbaren Eindruck von dem ungeheuren Strom des
nach und von England gehenden Seehandelsverkehrs. Wenn man die Erlaubnis als
U-Boot hätte, diesen zu schädigen, wie leicht mußte das sein,
welchen Erfolg versprach das! So bekam der Gedanke des
U-Bootshandelskriegs, aus wachsendem Zutrauen und unmittelbarer Erkenntnis
der Front heraus, neues Leben und verdichtete sich schon im September zu
Vorschlägen an die Leitung. Weddigens Erfolge am 22. September gegen die Panzerkreuzer "Hogue", "Cressy" und "Aboukir" in der südlichen
Nordsee, sein Erfolg gegen den Kreuzer "Hawke" am 15. Oktober 1914 in der
nördlichen Nordsee stärkten, ebenso wie Hersings Erfolg gegen den
Kreuzer "Pathfinder" vor dem Firth of Forth am 5. September 1914, das Vertrauen
und zeigten, daß auch die älteren, mit Petroleummotoren
ausgerüsteten U-Boote, wie "U 9" eins war, trotz ihrer
schwerwiegenden militärischen Mängel (vor allem Sichtbarkeit des
Petroleumqualms) eine ungeahnte Leistungsfähigkeit an den Tag
legten.
Die Möglichkeit eines wirksamen U-Bootshandelskriegs erwies sich auch
bei der bestehenden geringen U-Bootszahl immer mehr. Dazu kam die wachsende
Einsicht in die militärische Notwendigkeit der Ausnutzung des
U-Bootes in diesem Sinne. Die Hoffnung auf den Flottenkampf wurde
schwächer und schwächer. Im Landkrieg war der Bewegungskrieg
nach der Marneschlacht zum Stellungskrieg erstarrt. Ein Ende war nicht
abzusehen. Amerikas unneutrale Neutralität (Lieferung von Kriegsmaterial
einseitig an die Entente, übelwollende Behandlung Deutschlands in der
Frage der Nachrichtenübermittlung, Abneigung in Amerika gegen Anleihen
für Deutschland u. a.2)
erhöhte die Schwierigkeiten. [197] Die Gefahr, daß der Krieg in einen
Ermattungskrieg auslaufen könnte, wurde ins Außerordentliche
gesteigert durch die brutale Absperrung des deutschen Volkes von allen Zufuhren
über See, durch Englands Hungerblockade, die durch verschiedene
Maßnahmen in der Zeit vom 20. August bis 2. November 1914 fix und
fertig aufgerichtet war. Es ist notwendig, auf sie etwas näher
einzugehen.
Vor dem Kriege waren auf verschiedenen Konferenzen gewisse Grundsätze
des Seerechts aufgestellt worden. Ihren Abschluß fanden diese
Festsetzungen durch die Londoner Seerechtserklärung 1909, die in London
auf englische Einladung unter englischem Vorsitz zwischen den
Seemächten vereinbart wurde. Sie betraf hauptsächlich das Recht der
Bannwaren und der Blockade. Bezüglich der Bannware war je eine Liste
der unbedingten und der bedingten Bannware und eine Freiliste aufgestellt. Die
Liste der unbedingten Bannware enthielt Gegenstände, die sich ohne
weiteres als unmittelbares Kriegsgerät oder Kriegsausrüstung
kennzeichneten, wie Waffen jeder Art, Geschosse, Sprengstoffe, Kriegschiffe usw.;
die Liste der bedingten Bannware enthielt diejenigen Gegenstände,
die dann, wenn sie der Regierung oder der Streitmacht des feindlichen Staates
zugeführt werden sollten, ähnlich wie unbedingte Bannware zu
behandeln waren, sonst aber, d. h. wenn sie für die
nichtkämpfende Bevölkerung des feindlichen Landes bestimmt
waren, auf See nicht beschlagnahmt werden durften. Dies waren in erster Linie
Lebensmittel, ferner z. B. Feuerungsmaterial, Schmierstoffe, Stacheldraht
u. a.
Unter keinen Umständen durfte jedoch bedingte Bannware beschlagnahmt
werden, wenn sie nicht unmittelbar nach dem feindlichen Land, sondern nach
einem neutralen Land unterwegs war, auch wenn sie von vornherein für das
feindliche Land bestimmt war. Hierin unterschied sich die Behandlung der
bedingten Bannware von der der unbedingten Bannware, die in jedem Falle, in
dem nachgewiesen wurde, daß sie für den Feind bestimmt war,
beschlagnahmt werden durfte, auch wenn sie über neutrales Land gehen
sollte. (Grundsatz der fortgesetzten Reise - voyage continu.)
Die Freiliste endlich enthielt solche Dinge, die unter allen Umständen der
Beschlagnahme auf See entzogen blieben; dies waren die wichtigsten Rohstoffe
(Erze, Rohbaumwolle, Rohwolle, Gummi u. a.).
Der Sinn und Zweck dieser in London vereinbarten Behandlung der Frachten auf
See war naturgemäß, die bürgerliche Bevölkerung vor
den unmittelbaren Wirkungen auch des Seekrieges zu bewahren. Dieser Zweck
ergab sich auch aus den Bestimmungen über die Blockade. Entsprechend
den Grundsätzen der Pariser Deklaration von 1856 setzte die Londoner
Erklärung von 1909 fest, daß eine Blockade effektiv sein
müsse, um rechtswirksam zu sein, und ferner, daß sie niemals den
Zugang zu neutralen Häfen versperren dürfe. Ein Blockadebruch
wurde nicht für vorliegend erachtet, wenn sich ein Schiff auf der Fahrt nach
einem nichtblockierten Hafen befand, wie auch immer die spätere
Bestimmung von Schiff oder Ladung sein mochte. Der Grundsatz der
fortgesetzten Reise sollte [198] mithin auf die
Blockade keine Anwendung finden. Abgesehen von dem Schutz neutraler Staaten,
der durch diese Bestimmungen hergestellt werden sollte, dienten sie offensichtlich
ebenfalls dem oben erwähnten Ziel, von der bürgerlichen
Bevölkerung die unmittelbaren Wirkungen des Seekrieges nach
Möglichkeit fernzuhalten. Es sollte unmöglich gemacht werden,
daß durch "papierene" Blockaden ein Land das andere von jedem Handel
über See absperren konnte, ohne selbst eine Streitmacht, die dem Umfang
des von ihm angestrebten Ziels entsprach, einzusetzen. Die Londoner
Erklärung, welche die soeben skizzierten Bestimmungen enthielt, war bei
Ausbruch des Krieges von den Signatarmächten zwar gezeichnet, aber nicht
ratifiziert. In ihrer einleitenden Bestimmung war jedoch ausgesprochen, daß
die Signatarmächte einig seien in der Feststellung, daß "die in der
Erklärung enthaltenen Regeln im wesentlichen den allgemein anerkannten
Grundsätzen des internationalen Rechtes entsprächen".
Infolgedessen gab Deutschland sofort nach Ausbruch des Krieges, am 3. August
1914, die "Prisenordnung" als Befehl an die Seestreitkräfte heraus. Die
Prisenordnung enthielt sämtliche Regeln der Londoner Erklärung
ohne Einschränkung, teilweise sogar im Wortlaut. Am 6. August
telegraphierte Amerika an alle Kriegführenden und schlug vor, die
Londoner Erklärung als bindend anzuerkennen. Deutschland stimmte am
19. August 1914 zu. England aber erklärte,3 auf Grund
der Order in council vom 20. August 1914: "Die Regierung habe entschieden, die
Londoner Erklärung im allgemeinen annehmen zu wollen, jedoch mit
gewissen Änderungen und Zusätzen, die sie unbedingt für
notwendig erachte, um die Operationen zur See wirksam durchzuführen."
Diese Abänderungen und Zusätze betrafen in der Hauptsache
folgendes:
1. Der Grundsatz der fortgesetzten Reise gilt nicht nur für unbedingte,
sondern auch für relative Bannware, d. h. in erster Linie auch
für Lebensmittel. Wurde also z. B. ein Schiff nach Holland mit
Weizen angetroffen, der weiter an die deutsche Regierung gehen sollte, so verfiel
der Weizen der Beschlagnahmung.
2. Die "feindliche Bestimmung", d. h. die Bestimmung "für den Gebrauch
der Streitmacht oder der Verwaltungsstellen des feindlichen Staates" (gem.
Art. 33 der Londoner Erklärung), kann aus irgendwelchen als
genügend angesehenen Beweismitteln gefolgert werden. Feindliche
Bestimmung wird auch dann angenommen, wenn die Güter bestimmt sind
für oder zugunsten irgendeiner Person, die unter der Kontrolle von
Behörden des feindlichen Staates steht.
Da, wie in allen zivilisierten Ländern, jede in Deutschland wohnende
Person "unter der Kontrolle" einer deutschen Behörde stand, so bedeutete
diese Bestimmung der Order in council nichts anderes als: Werden Lebensmittel
auf See [199] angetroffen, die
für eine in Deutschland lebende Person bestimmt sind, so werden sie
beschlagnahmt. Die Zufuhr von Lebensmitteln für das gesamte deutsche
Volk sollte abgeschnitten werden. Der Sinn und Zweck der seekriegsrechtlichen
Vereinbarungen, im besonderen der Londoner Erklärung, die auf englische
Einladung in England unter englischem Vorsitz beraten war, den Kampf auf die
militärischen Streitkräfte zu Wasser und zu Lande zu
beschränken, die Zivilbevölkerung aber möglichst den
unmittelbaren Wirkungen des Seekrieges zu entziehen, war mit einem Schlage
umgestürzt. Das deutsche Volk sollte durch Hunger gezwungen werden, die
Waffen aus der Hand zu legen.
Die englische Regierung begründete ihre Abänderungen und
Zusätze zu der von ihr selbst gutgeheißenen Londoner
Erklärung damit, daß "neutrale Häfen Hauptzugangswege
für einen großen Teil Deutschlands sind und daß
außergewöhnliche Maßnahmen im feindlichen Lande zur
staatlichen Kontrolle der gesamten Lebensmittelversorgung ergriffen worden
sind".4
Das erstere war England schon zur Zeit der Londoner Erklärung bekannt,
konnte also jetzt nicht plötzlich als Grund für Änderungen
angeführt werden. Das zweite ist nicht wahr. Die Lebensmittelversorgung
Deutschlands ist erst im Januar 1915, und zwar naturgemäß auf
Grund und wegen der englischen Hungerblockade staatlich geregelt worden.
Frühere Eingriffe haben nicht stattgefunden.
Diesen von der englischen Regierung willkürlich vorgenommenen
Änderungen, die im deutlichen Widerspruch zu Wortlaut und Geist der von
England selbst mit aufgesetzten Londoner Erklärung standen, entsprach die
Praxis der englischen Seekriegführung vom ersten Tage des Krieges an, ja,
diese ging noch darüber hinaus. Die holländische Regierung
protestierte dagegen. In der amtlichen Veröffentlichung5 heißt es über den ersten
Kriegsmonat:
"Die britische Regierung hielt sich
für berechtigt, alle nach Rotterdam bestimmten Lebensmittel als
verdächtig anzusehen und zu beschlagnahmen, sofern nicht die
niederländische Regierung die Garantie abgäbe, daß die
Lebensmittel ausschließlich für den Gebrauch in den Niederlanden
bestimmt seien und daß sie auch nicht dazu dienten, eine gleiche Menge
Lebensmittel für den Transport nach Deutschland
freizumachen."
Die deutsche Regierung protestierte in einer Denkschrift vom 10. Oktober 1914
gegen die völkerrechtswidrige Seekriegführung Englands. Jedoch
vergeblich. England hob durch eine neue Order in council vom 29. Oktober 1914
die frühere vom 20. August 1914 auf und ersetzte sie durch neue
Bestimmungen, die im Grunde nichts anderes besagten. Neu war unter anderem
die willkürliche Ver- [200] setzung von
Gegenständen der Freiliste oder der bedingten Bannware in die der
unbedingten Bannware, wie z. B. verschiedene Erze, Gummi, Blei,
Aluminium (bisher Freiliste), Stacheldraht, Flugzeuge, Luftschiffe,
Mineralöle (bisher bedingte Bannware).
Diese Abänderungen der Londoner Erklärung, entsprechend dem
einseitigen Nutzen Englands, schufen die angeblich rechtliche Grundlage, die
Zufuhr nach Deutschland und die ihm benachbarten neutralen Staaten zu
kontrollieren und zu sperren. Es mußte nur noch dafür gesorgt
werden, daß auch militärisch die Möglichkeit geschaffen
wurde, diese Kontrolle wirksam ausüben zu können. Diesem Zweck
diente zunächst die am 2. Oktober 1914 von der englischen
Admiralität amtlich bekanntgegebene Warnung vor einem Minenfeld, das
vor den Ausgang des Kanals nach der Nordsee ausgelegt war.6 Als Begründung hierfür
wurde, ohne der deutschen Regierung Gelegenheit zur Äußerung zu
diesen Vorwürfen zu geben, behauptet, daß von deutscher Seite auf
hoher See rücksichtslos Minen geworfen, daß dies nicht nur durch
Kriegschiffe, sondern auch durch Lazarettschiffe oder Schiffe unter neutraler
Flagge geschehen sei. Dies ist nicht wahr und wurde auch gar nicht versucht zu
beweisen.
Das Minenfeld war 1365 Quadrat-Seemeilen groß. Es war so angelegt,
daß es den Ausgang des Kanals zur Nordsee fast völlig absperrte.
Frei blieb nur noch ein schmaler Streifen an der englischen Küste, dessen
Befahren aber infolge der Tiefenverhältnisse nur innerhalb der englischen
Hoheitsgewässer möglich war. Hieraus ergab sich der Zweck des
Minenfeldes mit voller Deutlichkeit. Es sollte, um die Blockade wirksam zu
machen, die Möglichkeit verringern, daß neutrale Schiffe an ihren
Bestimmungsort gelangten, ohne von englischen Streitkräften angetroffen
zu werden. Der Zweck wurde erreicht. Alle neutralen, durch den Kanal nach
Holland oder den skandinavischen Ländern bestimmten Schiffe
mußten sich der englischen Küste an einem bestimmten Punkte so
weit nähern, daß sie den dort aufgestellten englischen
Seestreitkräften nicht mehr entgehen konnten. "Die gesamte, den Weg
durch den Kanal nehmende neutrale
Schiffahrt - und sie stellte den weitaus größten Teil der
neutralen Schiffahrt dar - war mit einem Schlage, und ohne die
Möglichkeit einer zufälligen Ausnahme, der englischen Kontrolle
ausgeliefert."7
Nunmehr gab es nur noch einen Zugang zur Nordsee, nämlich den von
Norden. Aber auch dieser Weg wurde bald ganz abgesperrt und die Schiffahrt
nach und von den skandinavischen Ländern sowie Holland nur noch auf
dem Wege zugelassen, der durch den Englischen Kanal und weiter unter der
englischen Küste hinführt und der für die nach den
skandinavischen Ländern unterwegs befindlichen [201] Schiffe die Nordsee nur
noch auf einer einzigen, ganz bestimmten Fahrtroute überquert.
Diese Absperrung erfolgte am 2. November 1914.
An diesem Tage erklärte die englische Regierung die ganze Nordsee zum
Kriegsgebiet. Alle Schiffe, so erklärte die englische Regierung, die
versuchen würden, dieses Kriegsgebiet auf anderem als dem von der
englischen Admiralität vorgeschriebenen Wege zu durchfahren, sollten dies
auf eigene Gefahr tun, sollten schwersten Gefahren ausgesetzt sein durch die in
diesem Gebiet geworfenen Minen und durch die Kriegsfahrzeuge, die in diesem
Gebiet nach verdächtigen Fahrzeugen wachsam suchen würden.
Nun war jeder Verkehr nach deutschen Häfen durch die Nordsee durch
Schaffung schwerster Lebensgefahr unterbunden. Nun mußten alle
neutralen Schiffe, wollten sie der Lebensgefahr entgehen, Wege einschlagen, die
mit absoluter Sicherheit verhinderten, daß irgendein Schiff der Kontrolle
englischer Seestreitkräfte entging.
Die Folge war, daß nunmehr die Bestimmungen der englischen Order in
council vom 29. Oktober 1914 in vollem Umfange und ohne die
Möglichkeit auch nur einer einzigen zufälligen Ausnahme
durchgeführt werden konnten. Und wie so die Kontrolle für die die
Nordsee befahrende neutrale Schiffahrt lückenlos sichergestellt war, so war
dasselbe der Fall gegenüber der das Mittelmeer befahrenden Schiffahrt
durch die in Gibraltar eingerichtete Kontrolle.8
Mit dem 2. November 1914 war also Deutschland endgültig zur See
blockiert, d. h. von allen Zufuhren, sowohl direkt wie über neutrales
Land, abgeschnitten. Die Hungeroffensive gegen die Frauen, Kinder und Greise in
Deutschland begann.
Ihre Gefahr für Deutschland lag bei der eigenartigen militärischen
Lage - Erstarrung des Landkriegs einerseits, Nichteinsetzen der Flotte
infolge Verkennung der Möglichkeiten, die englische Flotte zum Kampf zu
stellen und zu schlagen, anderseits - auf der Hand. Sie konnte leicht zum
Verderben führen, wenn es nicht gelang, England ebenfalls an
verwundbarster Stelle zu treffen. Diese Stelle war ohne Zweifel sein Seehandel.
Auf ihm beruhte die Kriegs- und Friedenswirtschaft der Entente. Er hatte dieselbe
Bedeutung, wie für Deutschland im Zweifrontenkriege die Eisenbahn:
Wurde sie erheblich gestört, so mußte bald der Zustand eintreten,
daß Krieg nicht mehr geführt werden konnte, ohne daß es dazu
nötig gewesen wäre, alle Lokomotiven restlos zu beseitigen.
Also nicht nur die Möglichkeit eines wirksamen
U-Bootshandelskriegs, sondern in noch weit höherem Maße die
unbedingte Notwendigkeit, ihn zu führen, war klar erwiesen. Was der
U-Bootskrieg erreichen sollte, ist schon in Vorstehendem angedeutet. Er ging
nicht darauf aus, etwa in erster Linie
Kriegs- [202] materialtransporte zu
versenken; zweifellos waren sie wertvolle Objekte, aber der Sinn des
U-Bootskrieges richtete sich nicht ausgesprochen gegen sie, ebensowenig wie
etwa gegen Lebensmittel- oder Rohstoffzufuhren nach England und seinen
Verbündeten. Diese besonderen Ziele konnten schon deswegen nicht in den
Vordergrund gestellt werden, weil es ausgeschlossen war, sie vorzugsweise vor
anderen Handelsschiffen auf- und auszusuchen. Den
deutlichsten - und leider sehr
bedauerlichen - Beweis haben die auch für Fachleute
überraschend geringen Erfolge der
U-Boote 1918 gegen amerikanische Truppentransporte erbracht, die nichts gegen
die Wirksamkeit des U-Bootskrieges überhaupt, aber viel gegen das
Ansetzen von U-Booten gegen bestimmte Ziele beweisen. Das Ziel des
U-Bootskrieges war damals, wie später, einzig und allein die Verringerung
des Schiffsraums in solchem Maße, daß er allen
lebens- und kriegsnotwendigen Bedürfnissen der Entente nicht mehr
entsprechen konnte. Die Versenkung von Schiffsraum sollte ein dauernder
Aderlaß sein, der mit der Zeit die Kraft der Entente so schwächte,
daß diese - ganz abgesehen von Nebenwirkungen, wie z. B.
Einfluß auf den Landkrieg, emporkommender Wettbewerb Amerikas gegen
England in bezug auf Schiffbau und
Schiffahrt u. a. - den Frieden zu suchen geneigt oder gezwungen wurde.
Absichten und Illusionen, wie etwa England in kurzer Zeit durch Aushungern zum
Frieden zu zwingen, haben bewußtermaßen nicht bestanden und
konnten nach Lage der Dinge nicht bestehen; denn auch bei hoher
Einschätzung der U-Bootswaffe lag die ungünstige strategische Lage
für die Führung eines Handelskriegs auf der Hand. Die deutschen
U-Boote mußten immer, ehe sie auf den günstigsten
Kriegsschauplatz, die Westküste Englands, gelangten, die englische
Blockadelinie (Minensperren, Vorposten usw.) durchbrechen, und wenn ihnen
dies auch dank ihrer Tauchfähigkeit gelang, so war doch klar, daß es
ihnen mit der Zeit immer schwerer gemacht werden konnte.
Aus den Erinnerungen des Großadmirals v. Tirpitz
ist bekannt, daß
vor Eröffnung des U-Bootskrieges 1915 erwogen worden ist, ob man ihn
mit einer "Kriegsgebietserklärung" der englischen Gewässer
(entsprechend der englischen Kriegsgebietserklärung der Nordsee
vom 2. November 1914) oder zunächst mit einer Blockade der Themse
beginnen sollte. Welche Rücksichten gaben den Ausschlag? Rein
völkerrechtliche konnten es nicht sein. Denn abgesehen davon, daß,
wie vorhin ausgeführt, die völkerrechtlichen Abmachungen
über Bannware und Blockade durch England so verdreht und
willkürlich entstellt waren, daß von dem ursprünglichen Sinn
und Zweck nichts mehr übriggeblieben war, abgesehen also davon,
daß Deutschland seinerseits infolge dieser englischen Willkür
billigerweise ebenfalls nicht mehr an frühere Vereinbarungen gebunden
war, bestanden für das U-Boot überhaupt noch keine
völkerrechtlichen Normen, die der deutschen Kriegsleitung Fesseln
hätten anlegen müssen. Vom militärischen Gesichtspunkt aus
waren beide Formen brauchbar. Eine Blockade der Themse hatte den Vorteil der
geringen Entfernung von den U-Bootsstützpunkten in der Heimat und
[203] in Flandern, den
Nachteil von Hindernissen durch das enge Seegebiet vor der Themse, die
vorgelagerten, weit in See reichenden Sande, das bereits erwähnte
große englische Minenfeld und die leicht durchführbare
Konzentration der Abwehrstreitkräfte. Da die Themseblockade nur als
Einleitung eines ausgedehnteren U-Bootskrieges gedacht war, so konnten die
Nachteile in Kauf genommen werden. Sie fielen von vornherein weg, wenn die
U-Boote in allen Gebieten um England herum angreifen konnten; dagegen
erforderte für die nach der Westküste gehenden
U-Boote der weite Weg viel Zeit und Kraft. Ausschlaggebend konnten
militärische Gründe für die Wahl der Form des
U-Bootskrieges nicht sein. Die Entscheidung hierfür mußte liegen
und lag tatsächlich in politischen Erwägungen; das Auswärtige
Amt hatte zu wählen und wählte die Kriegsgebietserklärung
für alle englischen Gewässer, die, wie gesagt, in der englischen
Maßnahme einen Vorgang hatte, während der Begriff "Blockade" der
Themse mit völkerrechtlichen Vorstellungen belastet war, die als
ungünstig für Deutschland angesehen wurden.
Der U-Bootskrieg erschien somit, mit Vorbedacht, als Repressalie gegen die
Hungerblockade. In der der Kriegsgebietserklärung beigefügten
Denkschrift wurde dieser Gedanke klar und deutlich auseinandergesetzt.
Deutschland hat diesen seinen Standpunkt folgerichtig durchgehalten. Schon im
ersten Notenwechsel mit Amerika, Februar 1915, wurde betont, daß die
deutsche Regierung bereit sei, auf den U-Bootskrieg zu verzichten, sobald es
gelänge, England zur Rückkehr zur Londoner Erklärung,
d. h. zur Aufgabe seiner Hungerblockade, zu bewegen. Als auf
amerikanische Drohungen hin die deutsche Regierung 1916 den
U-Bootskrieg aufgab, betonte sie, daß sie es in der Erwartung tue, daß
England endlich die seekriegsrechtlichen Vereinbarungen achten werde; sonst
müßte sich die deutsche Regierung spätere Entschlüsse
bezüglich des U-Bootskrieges vorbehalten. Ja, selbst nach Eröffnung
des uneingeschränkten U-Bootskrieges 1917 ging die deutsche Regierung
auf eine von neutraler Seite ausgehende Anregung zu einem Ausgleich auf der
Basis: Keine Hungerblockade - kein
U-Bootskrieg, sofort ein. England hat diese Anregungen niemals einer
Erörterung gewürdigt.
Die Mittel, mit denen der U-Bootskrieg eröffnet werden konnte, sahen
bescheiden genug aus. 27 U-Boote standen am 1. Februar 1915 in der Front.
Davon waren 8 ältere (Petroleummotor-) Boote; die übrigen waren
voll kriegsbrauchbare, mit Dieselmotoren ausgerüstete
U-Boote von 800 t Raumgehalt. Im Bau waren weitere
26 800-t-Boote, 4 große
Minen-U-Boote von 800 t und 32 kleine
U-Boote von 120 t Raumgehalt, die sofort nach Eroberung der flandrischen
Häfen Ostende und Zeebrügge Herbst 1914 in Bau gegeben waren.
Sie sollten in erster Linie von diesen flandrischen Häfen aus im Seegebiet
vor der Themse mit ihren bedeutenden Kriegshäfen Sheerness, Chatham
und Harwich und dem größten Handelshafen, London, operieren. 17
von diesen 32 kleinen U-Booten (U B 1 bis U B 17)
waren mit Torpedos, 15 (U C 1 bis U C 15) mit je 12
[204] Minen
ausgerüstet. Wegen ihrer Kleinheit konnten die
U B 1- und U C 1-Boote in etwa einem halben Jahre
hergestellt werden, also im April 1915 ihre Unternehmungen von Flandern aus
beginnen, während die 800-t-Boote eine Bauzeit von etwa 1½ Jahr
hatten. Auf die Frage, ob denn die kleine, zur Verfügung stehende
Bootszahl der großen Aufgabe im Laufe des Jahres 1915 je hätte
gerecht werden können, wird später eingegangen werden.
Der feindlichen und neutralen Schiffahrt war in der deutschen
Kriegsgebietserklärung eine Frist von 14 Tagen gelassen: am 18. Februar
sollte der U-Bootskrieg beginnen. Diese Frist war an sich angemessen und billig;
im Vergleich zu der Frist von 3 Tagen, die die Engländer in ihrer
rücksichtslosen Kriegsgebietserklärung vom 2. November 1914 der
Schiffahrt gelassen hatten, war sie sehr lang. Bevor jedoch der
U-Bootskrieg am 18. Februar begann, wurde er bereits eingeschränkt. Am
12. Februar erhob Amerika Einspruch, indem es ziemlich unverhüllt mit
seiner Feindschaft drohte, wenn amerikanischen Bürgern durch den
U-Bootskrieg etwas zustoße. Daraufhin wurde auf Veranlassung der
politischen Leitung am 14. Februar Befehl gegeben, die entsandten
U-Boote funkentelegraphisch anzuweisen, vorläufig Schiffe mit neutralen
Flaggen nicht anzugreifen. Hierin lag ein Kardinalfehler der deutschen Politik.
Am 4. Februar 1915 hatte Deutschland den Arm erhoben mit einer neuartigen
Waffe in der Hand, die die Entente zum Frieden geneigt machen oder sie
wenigstens zur Rückkehr zu menschlichen Formen der
Seekriegführung zwingen sollte. Daß gegen eine solche Waffe
Einspruch von verschiedenen Seiten eingelegt werden würde, war nach
Lage der Dinge selbstverständlich. Konnte man solche Einsprüche
nicht ignorieren, so durfte man gar nicht erst den Arm zur Führung der
Waffe erheben. War dies einmal geschehen, so durfte der erhobene Arm nicht
zittern. Das mußte auf das deutsche Volk moralisch ebenso
ungünstig, ja entnervend wirken, wie es den Feind innerlich stärken
mußte.
Dazu kam, daß die Anweisung Unmögliches verlangte. Die
U-Boote waren unterwegs. Niemand konnte sicherstellen, daß sie den
Befehl einwandfrei richtig erhalten würden. Endlich aber schaffte er die
politische Spannung nicht aus der Welt. Amerika hatte gedroht für den Fall,
daß amerikanische Bürger Unheil durch
U-Boote erlitten. Mußten die Amerikaner immer auf neutralen Schiffen
fahren? Was geschah, wenn ein amerikanischer Bürger auf einem
feindlichen Schiff umkam?
Die verderbliche Maßnahme vom 14. Februar hatte weitere schlimme
Folgen. Am 18. Februar 1915 wird für die dänische und schwedische
Schiffahrt ein Streifen quer über die Nordsee von Lindesnes
(Südspitze Norwegen) nach der
Tyne-Mündung (Ostküste Englands) freigegeben. Am 20. Februar
soll der U-Bootskrieg in der Nordsee und im Englischen Kanal beginnen, doch
sollen amerikanische und italienische Schiffe in diesen Gewässern geschont
werden. Am 22. Februar folgt der Ausführungsbefehl für die
Westküste Großbritanniens. Im [205] März wird dann
der freie Streifen über die Nordsee für skandinavische Schiffe
aufgehoben. Am 18. und 24. April 1915 wird den
U-Booten erneut Schonung der Neutralen ans Herz gelegt.
Der Chef des Admiralstabes, Admiral Bachmann, sowie Großadmiral v.
Tirpitz erhoben gegen diese Einschränkungen, Schonung der Schiffe mit
neutraler Flagge sowie die später angeordnete Schonung der
Passagierdampfer, von vornherein und bei jeder Gelegenheit von neuem die
schwersten Bedenken. Taten sie es mit Recht, oder war ihre Stellungnahme
unberechtigt? Wie stand es um die Schonung der Schiffe unter neutraler Flagge?
Konnte man nicht in vielen Fällen neutrale Schiffe wirklich von feindlichen
unterscheiden? Gewiß konnte man das. Um die
U-Bootskommandanten in der Unterscheidung der Schiffe zu unterstützen,
hatte man ihnen von Anfang an erfahrene
Handelsschiffs-Offiziere oder -Steuerleute an Bord gegeben, die eine gute
Kenntnis der fremden Dampfer, ihrer Abzeichen und sonstigen Merkmale sowie
ihrer Routen besaßen. Unbestritten ist ferner, daß 1915 in sehr vielen
Fällen ein Handelsschiff ohne Gefahr untersucht werden konnte; denn
bewaffnet waren damals nur einige wenige Dampfer. Es war auch nicht zu
erwarten, daß plötzlich alle Engländer mit neutralen Flaggen
fahren würden. Vielfach wurde überhaupt keine Flagge
geführt. Die Erfolge der U-Boote brauchten daher nicht mit einem Schlage
auf ein erheblich geringeres Maß herunterzugehen. Indessen war folgendes
mit Sicherheit zu erwarten: Je wirksamer der U-Bootskrieg wurde, um so mehr
mußte die Führung neutraler Flaggen und die Bewaffnung der
Dampfer zunehmen. Diese Annahme bestätigte sich bald. Bereits am 13.
Januar 1915 hatte die englische Admiralität einen Geheimbefehl an
englische Reedereien erlassen, der wörtlich lautete: "Die britischen Schiffe
sind anzuweisen, einen scharfen Ausguck nach feindlichen
U-Booten zu halten und die Flagge eines neutralen Landes zu führen, oder
gar keine Flagge zu zeigen, solange sie in der Nähe der britischen Inseln
sind. Jedoch muß die britische Flagge bei Zusammentreffen mit britischen
oder verbündeten Kriegschiffen gezeigt werden. Kontorflaggen sind nicht
zu führen."9 Am 15. Mai 1915 erließ dann die
englische Admiralität einen weiteren Geheimbefehl, der die Handelsschiffe
anwies, auf den verschiedenen Routen bestimmte neutrale Flaggen zu
führen, und zwar auf der Route nach dem
Bristol- und dem südlichen Teil des Irischen Kanals die norwegische,
griechische oder italienische, auf der Route nach der Ostküste Englands
irgendeine skandinavische oder die holländische oder spanische Flagge.
Schiffe, wie die "Lusitania", führten nachgewiesenermaßen auf
Anweisung die amerikanische Flagge. Es war ferner sicher, daß die
Bewaffnung der Dampfer fortschreiten würde. Mit der Zunahme der
bewaffneten Schiffe mußte es
notwen- [206] digerweise immer
seltener möglich werden, Schiffe mit neutralen Abzeichen zu untersuchen.
Die Erfolge mußten deshalb mit der Zeit heruntergehen, die Verluste an
U-Booten wegen der steigenden Gegenwehr, sowohl durch die Dampfer selbst,
wie auch durch die Tätigkeit der U-Bootsfallen, die schon mit dem
Frühsommer 1915 einsetzte, zunehmen, der
U-Bootskrieg mußte sich festfahren und, anstatt zu entscheidendem Teil am
Sieg beizutragen, zu einem unersetzlichen Schaden an Prestige führen.
Es ist auch notwendig, sich einmal vorzustellen, was die einschränkenden
Befehle für Anforderungen an die U-Bootsführer mit sich brachten.
Diese hatten in dem ihnen anvertrauten Fahrzeug eine Waffe in der Hand, die
zweifellos die komplizierteste, am schwierigsten zu handhabende auf allen
Kriegsschauplätzen war. Es gehörte eine dauernde körperliche,
geistige und seelische Konzentration dazu, um sie sachgemäß zu
führen, um den Rätseln, die sie der Besatzung unter den wechselnden
Verhältnissen der Sichtigkeit, des Seegangs, der Strömungen usw.
täglich aufgab, sofort auf den Grund zu kommen. Sie war scharf, deshalb
sollte und mußte sie wirken; aber sie war verletzlich, da jede
Beschädigung der seitwärts ungeschützt liegenden
Rohrleitungen leicht Tauchunfähigkeit herbeiführen konnte, deshalb
mußte sie sorgfältig behandelt werden. Sie war
zahlenmäßig schwach, deshalb spielte jeder Verlust eine Rolle. Sie
war neu und bewegte sich in einem für die Menschen naturwidrigen
Element, deshalb mußte darauf geachtet werden, daß nicht durch
Unvorsichtigkeiten das Vertrauen der Besatzung in die Waffe als solche
geschädigt würde. Alles in allem: Es war genug der Anforderungen,
wenn man vom U-Bootführer verlangte, daß er seine Waffe
seemännisch, technisch und militärisch sachgemäß und
schneidig führte. Nun aber kamen die politischen Ansprüche hinzu:
Der U-Bootsführer sollte entscheiden, ob das ihm begegnende Schiff ein
feindliches oder neutrales war. An der Flagge war das nicht zu erkennen, denn
feindliche Schiffe führten, wie erwähnt, auf Anweisung der
englischen Regierung häufig neutrale Flaggen. Er sollte entscheiden, ob der
Dampfer, der da in Sicht kam, ein "Passagierdampfer" war oder nicht. Es gab
bekanntlich eine Menge gemischter Dampfer, die sowohl Passagiere wie Waren
an Bord hatten. Er sollte sich klar werden, ob der Passagierdampfer als
"großer" oder nicht großer anzusprechen war. Bei aller
Unterstützung, die man dem U-Bootskommandanten zu geben suchte, blieb
ihm doch in den zahlreichen Zweifelsfällen nicht die schwere Alternative
erspart: entweder du versenkst das Schiff und erfüllst damit die
selbstverständliche militärische Pflicht, mit deiner Waffe keine
Gelegenheit zu einem Erfolg vorbeigehen zu lassen, nimmst aber die Gefahr auf
dich, dein Vaterland in schwere, womöglich demütigende politische
Konflikte zu stürzen, oder du vermeidest auf alle Fälle diese Gefahr,
verzichtest aber auf den militärisch und daher letzten Endes auch politisch
wichtigen Erfolg der Versenkung. Es ist nicht zweifelhaft, daß man dem
Frontsoldaten solche Frage nicht zuschieben darf. Das
U-Boot ist ebensowenig wie der Schützengraben [207] oder das
Maschinengewehrnest ein Stabsquartier oder ein diplomatisches Bureau, es
braucht klare, unzweideutige Befehle.
Die Einschränkungen mußten somit folgerichtig die
militärischen Erfolge der U-Boote zum Scheitern bringen; sie stellten an die
U-Bootsführer unnatürliche Anforderungen, und sie führten zu
Unklarheiten, Verwechslungen u a., die gerade der Führung der
Politik höchst schädlich werden konnten.
Wie die Aufzählung der sich folgenden Befehle für die
U-Boote zeigt, waren diese nicht von vornherein allen den genannten
Einschränkungen unterworfen, aber vom ersten Tag des
U-Bootskrieges ab herrschte eine Unklarheit, ein
Hin- und Herschwenken, hervorgegangen aus politischen Rücksichten, die
wie ein Hemmschuh auf U-Bootsführer und Besatzungen wirkten.
Nachdem schon im Januar mehrere U-Boote in den Englischen Kanal, das
wichtigste Aufmarschgebiet für die Landstreitkräfte der Entente an
der Westfront, entsandt waren, um Kriegsmaterial- und Personaltransporte
anzugreifen, liefen im Februar zum eigentlichen
U-Bootskrieg als erste "U 8" (Kommandant Kapitänleutnant
Stoß) nach dem Englischen Kanal, "U 30" (Kapitänleutnant
v. Rosenberg) nach der Irischen See, "U 20" (Kapitänleutnant
Schwieger) nach dem St. Georgskanal (dem Südausgang der Irischen
See) und "U 27" (Kapitänleutnant Wegener) nach dem Nordkanal
(nördlich der Irischen See) aus. "U 8" hatte in kurzem seine
Torpedos verschossen, 5 Handelsschiffe von zusammen 14 000 Tonnen
Raumgehalt versenkt, war in Ostende eingelaufen, um neue Torpedos
überzunehmen, lief Anfang März wieder aus, wurde aber am 4.
März von einem englischen Zerstörer mit
Unterwassersprenggerät, das dieser hinter sich herschleppte, zum
Auftauchen gezwungen und zum Sinken gebracht. Die Besatzung wurde nach
England gebracht, aber nicht wie ehrliche Kriegsgefangene behandelt, sondern in
ein Gefängnis geworfen und in Einzelzellen gesperrt. Erst als die deutsche
Regierung als Repressalie eine gleiche Anzahl englischer Kriegsgefangener
ebenfalls in Gefängnisse überführte, wurde die
"U 8"-Besatzung endlich, nach mehr als drei Monaten, in einem
Kriegsgefangenenlager untergebracht. Dieselbe unwürdige Behandlung,
zunächst wie Verbrecher in ein Gefängnis geworfen zu werden,
wurde übrigens allen weiteren gefangenen
U-Bootsleuten zuteil. Es schien, daß England diese Maßnahme
für notwendig fand, um seine Lüge von der Unmenschlichkeit des
U-Bootskrieges greifbar zu bekräftigen.
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Der Februar brachte eine Versenkungsziffer durch die
U-Boote von 22 785 Tonnen, ein bescheidener Anfangserfolg, der sich aber
schon im März auf 89 509 Tonnen steigerte. In diesem Monat
erzielte vor allem "U 28" (Kapitänleutnant Freiherr
v. Forstner) westlich des Englischen Kanals ein gutes Resultat, indem es 7
Dampfer mit zusammen 21 000 Tonnen versenkte und 2 Dampfer als
Prisen nach Zeebrügge einbrachte. Außerdem führte Weddigen
zum ersten - und leider letzten - Male das ihm kürzlich
übertragene neue U-Boot "U 29" zum Handelskrieg nach der
englischen Westküste. Die Unternehmung war
erfolgreich - die Versenkung von [208] 4 Dampfern
(13 000 Tonnen) steht bis jetzt mit Sicherheit
fest -, und sie versprach, mit einem außerordentlichen Schlag zu
enden. Weddigen traf auf der Rückfahrt in der nördlichen Nordsee
englische Linienschiffe und griff sie an. Ein Torpedo ging fehl; das Boot kam,
vielleicht infolge des Seegangs, der die Tiefensteuerung außerordentlich
erschwert, unbeabsichtigt an die Oberfläche, wurde, ehe es gelang, wieder
auf Tiefe zu kommen, von einem anderen Linienschiff gerammt und mit Mann
und Maus versenkt. Mehr als andere U-Bootsverluste traf dieser Untergang die
Waffe. Nicht umsonst besaß Weddigen seinen Ruhm; der erfolgreiche
Angriff auf die drei Panzerkreuzer "Hogue", "Cressy" und "Aboukir" blieb trotz
der einfachen Verhältnisse bezüglich der feindlichen Gegenwehr ein
Meisterstück in der Führung des U-Boots, im Ansetzen des Angriffs,
im Bedienen der Torpedowaffe, die kurz hintereinander restlos (6 Torpedos hatte
Weddigen an Bord) und ohne den kleinsten Versager oder Fehlschuß
angebracht wurde, sowie in der unter solchen Umständen schwierigen
Tiefensteuerung.
Ende März wurden die ersten der kleinen, für Verwendung von
Flandern aus gebauten "U B 1"- und
"U C 1"-Boote (siehe Seite
203/204) fahrbereit und unter der
"U-Flottille Flandern" (Chef Korvettenkapitän Bartenbach) vereinigt. Im
April begannen sie ihre Fahrten, zunächst hauptsächlich nach der
Themse-Mündung, später auch durch die Doverstraße in den
Englischen Kanal hinein.
In dieselbe Zeit fiel der Plan zur Entsendung eines U-Bootes nach den
Dardanellen. Dort war die Lage, vor allem dank der feindlichen Übermacht
durch seine zahlreichen und gegen die Dardanellenforts noch
kampfkräftigen Linienschiffe kritisch geworden. Ein Erfolg gegen sie
mußte am ehesten die Lage der Dardanellenkämpfer erleichtern und
den Feind für die Zukunft zu größerer Vorsicht zwingen. Die
Aufgabe, hier im feindlichen Seegebiet, da, wo er es am wenigsten vermuten
konnte, überraschend aufzutreten, entsprach ganz dem Wesen des
modernen Hochsee-U-Bootes und verhieß trotz der unsicheren Faktoren
Erfolg. Freilich, ein Wagnis blieb die Fahrt. Die Unternehmungen nach der
Westküste Englands hatten die
U-Boote nie weiter als 1000 sm von heimischen oder flandrischen
Stützpunkten entfernt. Nach den Dardanellen gehen hieß aber, einen
Marsch von über 3000 sm von der Heimat weg ausführen und
am Ende die feindliche Flotte unter - wer weiß,
wie? - schwierigen Verhältnissen angreifen. Die Wahl
bezüglich des U-Bootes fiel auf "U 21" (Kapitänleutnant
Hersing), das sich sowohl durch die Versenkung des englischen Kreuzers
"Pathfinder", wie durch die erste Unternehmung in die Irische See ausgezeichnet
hatte. Neben der notwendigen Überholung der Maschinen, der
Ausrüstung und Orientierung des Kommandanten über die
militärischen Verhältnisse im Mittelmeer war die Hauptsache, dem
Boot Sicherheit zu geben, daß sein Treibölvorrat für die
Motoren, die nicht nur bei Überwasserfahrt die Schrauben unmittelbar zu
bewegen, sondern auch durch Aufladen der elektrischen
Akkumulatoren-Batterien die Kraft zum Antrieb bei Unterwasserfahrt immer
wieder zu erneuern hatten, [209] nicht vorzeitig
ausginge. Wenn auch nach theoretischer Berechnung "U 21"
5000 sm zurücklegen konnte, ohne Treiböl zu ergänzen,
durfte man sich darauf nicht verlassen. Vielleicht mußte das
U-Boot viel getaucht fahren und brauchte deshalb mehr Brennstoff, oder ein
Ölbunker wurde durch Seegang, Kollision oder sonstiges Unglück
leck, und man verlor einen Teil des Treiböls u. a. Deshalb wurden
zunächst einige weitere Behälter des
U-Bootes zur Aufnahme von Treiböl vorgesehen. Damit nicht genug, sah
der Admiralstab einen Dampfer vor, der zu verabredeter Zeit in einer bestimmten,
geschützten Bucht an der Nordwestecke Spaniens bereitliegen und
Treiböl für Hersing klar halten sollte. Bei der Ausrüstung
mußte berücksichtigt werden, daß es durch heiße
Gegenden ging; entsprechende Kleidung mußte mitgegeben werden.
Signalmittel und Erkennungszeichen mit dem Dampfer, mit
österreichischen oder türkischen Dienststellen mußten
vorbereitet werden.
Am 25. April nimmt "U 21" unauffällig in Wilhelmshaven von der Heimat
Abschied. Nordwärts um Schottland geht die Fahrt. In der Nacht vom 2.
zum 3. Mai trifft das U-Boot den Dampfer planmäßig bei Kap
Finisterre, folgt ihm in die Bucht, macht an seiner Seite fest, nimmt das Öl
über, und ehe der Morgen dämmert, hat es die Bucht schon wieder
verlassen. Aber welche Enttäuschung! - Das übergenommene
Öl erweist sich bei der Probe als unbrauchbar für
U-Bootsmotoren. Was nun? Bis zu den Dardanellen kommt Hersing nicht ohne
Ergänzung seines Treiböls, das hat sich auf der Fahrt bisher gezeigt.
Umkehren? Wo er an den Dardanellen so dringlich erwartet wird, das geht nicht.
Aber bis zum nächsten österreichischen Hafen Cattaro mag es mit
eigener Kraft gehen. Dahin wird die Fahrt fortgesetzt. Am 13. Mai trifft er, mit
nur noch 500 kg Treiböl an Bord, in Cattaro ein. Nach
Ergänzung der Ausrüstung wird die Reise fortgesetzt, zwischen
Griechenland und Kreta hindurch an Chalcidice vorbei, um von Nordwesten her
den Feind vor den Dardanellen anzugreifen. Das Wasser ist hier im Vergleich zu
den heimischen Gewässern kristallklar und durchsichtig, dazu die See
spiegelglatt, also für das U-Boot denkbar ungünstig. Wie leicht kann
das Sehrohr, selbst wenn es noch so vorsichtig gezeigt wird, an dem kleinen
Schaumstreifen, den es bei der Fortbewegung durchs Wasser verursacht, entdeckt
werden! So wird denn auch "U 21" bei der ersten Annäherung am
25. Mai von einem Schiff mit
Lazarettschiff-Abzeichen und einem Torpedoboot entdeckt, aus schweren
Geschützen eines Kampfschiffes beschossen, und als es endlich gelingt, auf
ein englisches Linienschiff einen Torpedo zu schießen, da glückt es
diesem, im letzten Augenblick dem Schuß auszuweichen. Ein schlechter
Anfang! Aber mit zäher Tatkraft verfolgt Hersing seinen Plan. Er richtet
seinen Angriff gegen ein einzelnes, mehrere Seemeilen östlich zu Anker
liegendes englisches Linienschiff. Es hat zum Schutz gegen Torpedos die
Torpedoschutznetze ausgebracht und glaubt sich deshalb sicher. Aber damit hat
Hersing gerechnet und darum seinen Torpedos den für diese Zwecke
erfundenen Apparat, die "Netzschere", auf- [210] gesetzt. Aus
300 m Entfernung wird kurz vor Mittag ein Torpedo gegen das englische
Linienschiff "Triumph" ausgestoßen. Mit hellem, metallischem Klang
durchbricht er das Torpedoschutznetz und explodiert an der Schiffswand mit
ungeheurem Krach. Zwar beschießt das Linienschiff das
U-Boot noch aus seinen Geschützen, jedoch ohne zu treffen,
während es sich selbst schnell auf die Seite legt und nach 15 Minuten
kentert.
Als "U 21" an die Stelle, an der es zuerst Kriegschiffe angetroffen hatte,
zurückkehrt, haben diese alle den Platz verlassen und
sind - wahrscheinlich nach der Insel
Imbros - gesteuert. Auch am 26. Mai wird kein feindliches Schiff entdeckt.
"U 21" hat die Zeit zum Erneuern des elektrischen Stroms für die
Unterwasserfahrt, zur Ausführung kleinerer Reparaturen und zum
Ausruhen der Besatzung benutzt. Endlich, am 27. Mai, findet "U 21" bei
Gallipoli wieder ein englisches Linienschiff zu Anker. Aber es ist gegen das
U-Boot von 6 leeren Dampfern dicht umgeben. Zunächst scheint es
unmöglich, einen Torpedoschuß auf das Linienschiff selbst
abzugeben, ohne einen der Dampfer zu treffen. An einem Erfolg gegen die leeren
Dampfer ist Hersing nichts gelegen. Deshalb schleicht er sich so lange um das
Schiff herum, bis er zwischen zwei Dampfern eine kleine Lücke entdeckt
hat. Durch diese hindurch wird der Torpedo in der Morgendämmerung des
27. Mai abgefeuert. Er trifft und reißt ein so großes Loch in die Seite
des englischen Linienschiffes "Majestic", daß es sich sofort weit nach der
Seite überlegt. Alle Gegenstände auf dem Schiff kommen ins Fallen
und gleiten mit furchtbarem Getöse in die See. Vier Minuten nach der
Explosion ist die "Majestic" gekentert und ragt nur noch mit einem Teil ihres
Kieles aus dem Wasser.
Eine große Anzahl von Torpedobooten und Fischdampfern befahren bald
das Seegebiet, um "U 21" zu fangen oder jedenfalls an weiteren Angriffen
zu hindern. Doch es findet sich in den nächsten Tagen überhaupt
keine Gelegenheit zu einem Angriff. Alle Kampfschiffe sind von der Einfahrt der
Dardanellen verschwunden. Am 30. Mai will Hersing ein drittes Linienschiff
angreifen, das bei der Insel Imbros zu Anker liegt, doch gerät sein Boot
hierbei in ein Netz mit Maschen aus Stacheldraht. Dieses Netz wird zwar durch
den Anprall des Bootes zerrissen, bleibt aber wie ein Schleier über der
ganzen vorderen Hälfte des Bootes hängen, läßt deshalb
keinen Torpedoschuß zu und kann unter Umständen das
U-Boot verraten. Daher müssen weitere Angriffe aufgegeben werden. Die
Besatzung ist tage- und nächtelang angespannt tätig und in
Aufregung gewesen, die Maschinen verlangen manche Ausbesserung. Nachdem
an einer verabredeten Stelle der kleinasiatischen Küste Nachrichten
über die Einfahrt nach Konstantinopel eingeholt sind, läuft das
U-Boot am 5. Juni, 42 Tage nach seinem Auslaufen in Wilhelmshaven, ins
Goldene Horn ein. Der türkische Oberbefehlshaber, Enver Pascha,
empfängt Hersing mit den Worten: "Sie kommen in zwölfter
Stunde!" Mit vollem Erfolg war die dem U-Boot gestellte Aufgabe [211] gelöst und die
weitere Verteidigung der Dardanellen durch den Untergang der beiden
Linienschiffe und die nun nicht mehr verschwindende Besorgnis vor weiteren
U-Bootsangriffen erheblich leichter geworden.
Diese erfolgreiche Unternehmung von "U 21" ist für Erörterungen
allgemeiner Art in zweifacher Hinsicht von Wichtigkeit. Einmal bestätigt
sie die Auffassung, daß die Stärke des
U-Bootes im überraschenden Angriff, nicht in festen
Verteidigungsstellungen beruht. Das folgt aus der hauptsächlichsten Art
seines Angriffs, dem unbeobachteten Unterwassertorpedoschuß. Denn wie
ging ein solcher Angriff vor sich?
Das U-Boot kann unter Wasser nur eine verhältnismäßig
geringe Geschwindigkeit (3 bis 4 m pro Sekunde) laufen. Sie muß in
der Endphase des Angriffs noch auf 1 bis 2 m in der Sekunde verringert
werden; denn sonst wird leicht das Sehrohr, wenn es über die
Wasseroberfläche hinausgeschoben wird, an dem auffälligen
Wasserberg, den es durch die Vorwärtsbewegung durchs Wasser erzeugt
und der natürlich um so markanter, je größer die
Geschwindigkeit ist, erkannt, und das U-Boot ist verraten. Während also
das U-Boot in der letzten Phase des Angriffs die Geschwindigkeit eines guten
Fußgängers, höchstens zeitweise eines Radfahrers besitzt,
laufen die weitaus meisten Kriegschiffe nicht langsamer als etwa ein
Güterzug (etwa 8 bis 10 m in der
Sekunde = 15 bis 18 sm in der Stunde), viele haben eine wesentlich
höhere Geschwindigkeit (25 bis 30 sm in der
Stunde = 14 bis 17 m in der Sekunde). Daraus folgt, daß es
für den Erfolg des U-Bootes von der größten Bedeutung ist,
daß es überraschend auftritt. Da, wo der Gegner mit der Anwesenheit
von U-Booten sicher rechnet, kann er den Angriff derselben durch sein Verhalten
ungeheuer erschweren, ja, fast unmöglich machen: dadurch, daß er
dauernd höchste Fahrt läuft, häufig starke
Kursänderungen macht ("Zickzackkurse" läuft) und daß er die
wertvollen, großen oder langsamen Schiffe durch einen Schwarm kleiner,
schneller Fahrzeuge umgibt. Er kann naturgemäß nicht immer und
nicht überall auf See so fahren; aber er kann und wird es stets mit
größter Sorgfalt vorübergehend da durchführen, wo er
mit U-Booten sicher rechnet, d. h. in erster Linie an der ihm feindlichen
Küste, in engen Durchfahrten, wie etwa dem Sund oder den Belten, der
Straße Dover - Calais u. a. Daraus folgt, daß
U-Boote, die zur Verteidigung von eigenen Häfen oder
Flußmündungen bestimmt sind, die also gewissermaßen in das
System der festen Verteidigung (Minensperren, Küstenartillerie usw.) mit
eingestellt sind, wie das in der französischen und teilweise auch in der
englischen Marine tatsächlich der Fall war, und die demgemäß
in ihrem Fahrbereich und ihren sonstigen Eigenschaften eng begrenzte
Möglichkeiten besitzen, in den seltensten Fällen Erfolg haben
werden. Sie haben zweifellos einen gewissen moralischen Wert; denn der Gegner
wird sein Verhalten nach ihnen einrichten müssen. Aber tatsächliche
Erfolge werden sie höchst selten und nur durch Zufall erzielen; sie werden
daher stets eine unrentable Waffe sein. Man kann diesem Umstand noch nicht
einmal [212] dadurch begegnen,
daß man die Zahl der U-Boote erhöht; denn dies hat seine Grenze
darin, daß die U-Boote, da sie unter Wasser blind sind und durch das
Sehrohr nur die Vorgänge über der Wasseroberfläche
beobachten können, nicht eng nebeneinander operieren können,
sondern daß jedes ein bestimmtes, nicht zu kleines Tätigkeitsgebiet
für sich allein abgesteckt erhalten muß. Für die
Erfüllung von Aufgaben im Rahmen dieser Verteidigung von Küsten
oder Häfen ist das U-Boot also ungeeignet.
Das ist um so mehr der Fall, als der Gebrauch der Hauptwaffe des
U-Bootes, des Torpedos, gegenüber dem der Artillerie erheblichen
Schwierigkeiten und Beschränkungen unterliegt. Während das
Artilleriegeschoß mit einer Geschwindigkeit von 500 bis 1000 m in
der Sekunde durch die Luft auf das Ziel geschleudert wird, bewegt sich der
Torpedo mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 22 m in der Sekunde als ein
selbsttätiges kleines U-Boot durchs Wasser, um mit dem Ziele
zusammenzustoßen und dadurch seine Sprengladung zum Detonieren zu
bringen. Man sieht aus dem Vergleich seiner Geschwindigkeit mit der von
modernen Überwasserschiffen (zwischen 8 und 17 m in der
Sekunde), daß sein Überschuß
verhältnismäßig ganz gering ist, daß daher um ein
erhebliches Maß "vorgehalten" werden muß, um zu treffen.
Der Torpedo bewegt sich vermöge einer durch Preßluft betriebenen
Maschine selbständig durchs Wasser. Da der Vorrat an Preßluft
beschränkt ist, ist auch die Laufstrecke des Torpedos im Verhältnis
zur Schußweite einer Granate gering. Ein Ziel, das sich vom
U-Boot fortbewegt, kann daher häufig vom Torpedo nicht mehr erreicht
werden.
Die in der Torpedomaschine verbrauchte Luft steigt in Form von Blasen an die
Wasseroberfläche und bezeichnet den Weg des Torpedos durch einen
fortlaufenden Schaumstreifen.
Aus den eben geschilderten Eigenschaften des Torpedos folgt, daß das Ziel
ihm bei genügender Achtsamkeit häufig ausweichen kann. Wenn
also der Gegner beim Durchfahren eines Gebiets, das ihm besonders
U-Bootsverdächtig vorkommt, seine Aufmerksamkeit auf
U-Bootsangriffe erhöht, die Ausguckposten verstärkt, so verringert
sich die Aussicht des U-Bootes auf Erfolg wesentlich. Das
U-Boot muß daher Seegebiete aufsuchen, wo der Gegner es nicht im
besonderen Maße vermuten kann. Es darf dem Gegner nicht auflauern, bis
ein Zufall ihm diesen in den Weg schickt, sondern muß den Torpedo dem
Feind entgegentragen. Es muß angreifen und den Feind aufsuchen, anstatt
ihm aufzulauern. Wie richtig diese Grundauffassung vom Wesen des
U-Bootes ist, hat der Krieg von Anfang bis zum Schluß gezeigt. So oft der
Feind in der Deutschen Bucht erschien, waren
U-Boote ausgelegt oder wurden ihm entgegengeschickt; außer der
Versenkung eines englischen U-Bootes im Herbst 1914 sind Erfolge nie erzielt
worden. Dasselbe war an der flandrischen Küste der Fall. Indirekt beweist
auch der Erfolg von "U 21" vor den Dardanellen das gleiche. "U 21"
lag nicht [213] zur Verteidigung der
Dardanellen auf der Lauer, sondern kam von See her, überraschte die
feindliche Flotte, die an alles andere glaubte, nur nicht an das Erscheinen eines
deutschen U-Bootes, und versenkte die englischen Linienschiffe "Triumph" und
"Majestic".
Der Streit um die Frage: Offensiv-U-Boote oder
Küstenverteidigungs-U-Boote ist alt und bekannt. Wichtig ist, was man
unter Küstenverteidigung versteht. Meint man damit, daß
U-Boote in engster Anlehnung an bestimmte Häfen,
Flußmündungen oder Inseln, etwa mit ähnlicher
Beschränkung wie die Küstenartillerie, gebunden sein sollen, so ist
für diese Art Küstenverteidigung das
U-Boot denkbar ungeeignet. Faßt man die Küstenverteidigung weiter,
sagt man etwa, die deutschen Gewässer und Küsten der Nordsee
werden bei dem heutigen Stande der Waffenentwicklung bei den
Orkney-Inseln und im Englischen Kanal verteidigt, so ist das
U-Boot für solche Küstenverteidigung brauchbar und notwendig. Der
springende Punkt ist nur der, daß es im Bereich der strategischen
Verteidigungsaufgabe taktisch als Angreifer aufgefaßt und angesetzt werden
muß.
Weiter fordert aber die Leistung von "U 21" zu einem Vergleich der deutschen
mit den fremden U-Booten und zu einer Prüfung der Frage heraus, ob die
deutsche Marine die U-Bootswaffe planvoll entwickelt oder vernachlässigt
hat.
Als die deutsche Marine 1906 ihr erstes U-Boot "U 1" auf der Kruppschen
Germaniawerft in Kiel in Dienst stellte, besaß die französische
Marine bereits 40, die englische 26 U-Boote. Aber alle diese fremden
U-Boote waren, soweit sie nicht Versuchsexemplare waren, nur für
Verwendung in engster Anlehnung an ihre Stützpunkte, ihre Häfen,
fähig. Weder Treibölvorrat, noch Seefähigkeit, noch
Unterbringungsmöglichkeiten, noch Zuverlässigkeit der Motoren
gestatteten ein längeres Verweilen auf hoher See. Sie haben sämtlich
im Kriege keine Rolle gespielt. Unter Überschlagung dieser ersten
Entwicklung der U-Bootswaffe in den fremden Marinen bis zum Anfang des 20.
Jahrhunderts sprang Deutschland sofort auf der Stufe ein, auf der sie sich im
Ausland ebenfalls befand. Während im französischen Marineetat von
1906 2 U-Boote von 500 t Wasserverdrängung prunkhaft als
"U-Kreuzer" erschienen, konstruierte Deutschland bereits
500-t-U-Boote (es war das dritte und vierte
U-Boot, "U 3" und "U 4"), die 1909 in Dienst gestellt wurden.
Wie aber sind die Bedingungen, die ein U-Boot erfüllen muß, um
für Verwendung auf hoher See, für längere Abwesenheit vom
Stützpunkte, geeignet zu sein? Es muß seefähig sein, eine den
militärisch-geographischen Verhältnissen angepaßte
Seeausdauer sowie eine zuverlässig arbeitende Maschine besitzen und sich
sicher auf See orientieren können. Zur Seefähigkeit gehört das
Vermögen, bei jedem Seegang sicher auf See fahren, steuern,
manövrieren und tauchen zu
können; es gehört ferner dazu, daß alle Einrichtungen,
vor allem die Kommandobrücke, so stabil und fest sind, daß sie allen
Anforderungen durch Seegang stand- [214] halten. Ferner
gehören Wohnräume dazu, die der Besatzung zu jeder Jahreszeit und
bei jedem Wetter eine ausreichende Unterkunft bieten. Endlich darf ein gutes
Ankergeschirr nicht fehlen.
Die Seeausdauer, d. h. die Zeit, die ein U-Boot in See ohne Unterbrechung
zubringen kann, ist in erster Linie vom Vorrat an Treiböl für die
Maschine abhängig. Bei den deutschen ersten
U-Booten war dieser Vorrat so groß, daß sie einen Weg von
1000 sm10 zurücklegen konnten; bei
späteren U-Booten ist der Fahrbereich auf 4000, 6000 und 9000, bei den
U-Kreuzern auf 12 000 sm gesteigert worden. Nächstdem
hängt die Seeausdauer von den übrigen Vorräten an Wasser,
Proviant usw. ab, ferner von der Güte und Wohnlichkeit der Räume
für die Besatzung; Details wie diese spielen auf den
U-Booten wegen der Engigkeit, Feuchtigkeit usw. eine erhebliche Rolle.
Die Maschinenanlage muß solide und kräftig gebaut sein,
Explosionsgefahren müssen ausgeschlossen sein. Die Maschine muß
dem U-Boot eine ausreichende Marschgeschwindigkeit geben, zum Aufladen der
elektrischen Akkumulatorenbatterie für die
Unter-Wasserfahrt geeignet sein und darf keinen nennenswerten Qualm oder
Rauch entwickeln, da dieser das U-Boot verraten und es so seiner wichtigsten
Eigenschaft, seiner Fähigkeit zum ungesehenen, überraschenden
Auftreten, berauben würde. Sie darf ferner im Boot nicht eine solche Hitze
entwickeln, daß der Aufenthalt dadurch unerträglich gemacht wird.
Der Brennstoff muß endlich, entsprechend seinem Verbrauch, leicht durch
andere Gewichte ersetzt und im Boot hin und her verschiebbar sein, denn das
U-Boot ist in seinem getauchten Zustande eine sorgfältig ausgeglichene
Wage, an deren Gewicht und Gewichtsverteilung nichts wesentlich
geändert werden darf. Diesen Anforderungen genügte eine
Dampfmaschine nur in äußerst ungenügendem Maße. Ihr
Verbrauch an Brennstoff war zudem so groß, daß ein großer
Fahrbereich bei den begrenzten Größenabmessungen eines
U-Bootes nicht erzielt werden konnte. Es kam deshalb nur der in der Entwicklung
begriffene Ölmotor in Frage.
Um eine ausreichende Orientierung auf See zu ermöglichen, bedurfte das
U-Boot vor allem eines brauchbaren Kompasses. Der Magnetkompaß war
in der Form, in der er auf Überwasserschiffen gebraucht wurde, nicht
brauchbar, da er von den überall in
U-Booten fließenden und in der Stärke wechselnden elektrischen
Strömen abgelenkt wurde. Verschiedene Versuche, diese Einflüsse
aufzuheben oder genügend abzuschwächen, schlugen fehl und haben
bis jetzt noch zu keinem Ergebnis geführt. Da wurde in den ersten Jahren
unseres Jahrhunderts von der Firma Anschütz in Kiel der
Kreiselkompaß geliefert, der, ohne Hilfe der magnetischen Richtkraft, das
physikalische Gesetz ausnutzte, daß ein frei aufgehängter und
rotierender Kreisel seine Achse unter dem Einfluß der Erddrehung [215] in die geographische
Nord-Südrichtung einstellte. Der Kreisel war deshalb der gegebene
Kompaß für U-Boote.
Somit waren bald nach Beginn des 20. Jahrhunderts alle Bedingungen für
die Entwicklung des Hochsee-U-Bootes gegeben bis auf den geeigneten Motor.
Von seiner Schaffung hing alles ab.
Bei seiner Wahl schieden alle Systeme aus, die mit leichtflüssigen
Ölen wie Gasolin oder Benzin arbeiteten. Mit ihnen war eine große
Explosions- und Vergiftungsgefahr verbunden. Alle Marinen, die
leichtflüssige Öle auf U-Booten versucht haben, sind wieder von
ihnen abgekommen. Man konnte nur die ungefährlichen
Schwerölmotoren gebrauchen.
Die ersten deutschen U-Boote wurden mit Petroleummotoren der Firma
Körting, Hannover, ausgerüstet. Diese entsprachen im allgemeinen
den Anforderungen, doch entwickelten sie einen markanten Qualm und konnten
über eine gewisse Größe hinaus nicht betriebssicher hergestellt
werden; das letztere hing mit ihrem Wesen als Explosionsmotoren zusammen.
Außerdem hatten sie den Nachteil, nicht
regulier- und umsteuerbar zu sein, d. h. sie konnten nur mit voller Kraft
voraus laufen. Die Nachteile des Petroleummotors vermied der
Verbrennungsmotor nach dem Diesel-Verfahren. Auf seine Ausbildung als
U-Bootsmotor wurde deshalb zugesteuert. Schon 1908, nur zwei Jahre nachdem
das erste deutsche U-Boot in Dienst gestellt war, wurden die bedeutendsten
deutschen Motorenfirmen, nämlich die Maschinenfabrik
Augsburg-Nürnberg, die Firma Körting, Hannover, die
Germaniawerft, Kiel, und außerdem die italienischen
Fiat-Werte in Turin aufgefordert, einen 850 Pferdestärken leistenden
Dieselmotor für U-Boote herzustellen. Von diesen Firmen lieferte die
Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg den Motor rechtzeitig, die
Germaniawerft etwas später ab. Den anderen Fabriken gelang es bis zum
Kriege überhaupt nicht, den Motor herzustellen. Mit den Motoren der
genannten beiden Firmen, dem Viertakt-Motor der Maschinenfabrik
Augsburg-Nürnberg und dem Zweitakt-Motor der Germaniawerft Kiel,
wurde das Problem endgültig gelöst. Sie wurden während des
Krieges in allen Größen bis zum 3000 Pferdestärken
leistenden Motor für "U-Kreuzer" gebaut und entsprachen allen
Anforderungen.
Die technischen Daten für die ersten deutschen
U-Boote gibt die umstehende Tabelle.
Mit "U 19" war ein gewisser Abschluß erreicht. Die Boote von "U 19" bis
"U 41" waren sich im wesentlichen gleich. "U 19" war ein Modell, das in
seinen Abmessungen, seiner Armierung, seinem Fahrbereich, seinen
Geschwindigkeiten während des ganzen Krieges als sogenanntes
"Ms.-Boot"11 nachgebaut wurde. Schon darin liegt
ein Beweis, daß dieser Typ, der in planmäßiger Entwicklung
von "U 1" an erreicht worden war, seinen Erbauern vorzüglich
gelungen war. [216] Als weiterer Beweis
dient die Tatsache, daß "U 21" im Frühjahr 1915 seine
Unternehmung nach den Dardanellen ohne langdauernde Vorbereitungen und
Umbauten erfolgreich durchführen konnte, sowie die weitere Tatsache,
daß "U 19" noch im Jahre 1918 unter dem Kommando des einstigen
Wachoffiziers von Weddigen, Kapitänleutnant Spieß, gegen die
schwersten Abwehrmaßnahmen in der Irischen See Handelskrieg
führen und auf einer Fahrt 36 000 Tonnen versenken konnte. Wenn
man damit vergleicht, daß gleichaltrige englische
U-Boote im Frühjahr 1915 nicht mit eigener Kraft von England nach
Rußland dampfen konnten, sondern unterwegs aus mitgenommenen
Mutterschiffen Treiböl ergänzen mußten, so zeigt dies allein
schon - abgesehen von den mangelhaften Wohnverhältnissen und
den unzuverlässigen Maschinen der englischen
U-Boote -, daß die deutschen U-Boote an Güte die
ausländischen unzweifelhaft übertrafen. Dasselbe gilt, wie noch
kürzlich von englischen Fachleuten mit Bitterkeit im Hinblick auf die
geringen Erfolge englischer U-Boote gegen die deutschen bemerkt wurde, von der
Hauptwaffe des U-Bootes, dem Torpedo.
Mo-
toren
art |
|
Boots-
nummern |
|
Wasser-
ver
drän
gung
Tonnen |
|
Geschwindig-
keit |
|
Torpedo-
armierung |
|
Ge-
schütz-
armie-
rung |
|
Tauch-
zeit
etwa |
|
Besatzung |
|
Größter
Fahr-
bereich
über
Wasser
etwa sm |
|
|
|
über
Wasser |
|
unter
Wasser |
Tor-
pedo-
rohre |
|
Tor-
pedos |
Offi-
ziere |
|
Mann |
|
|
"U 1". . . |
280 |
9 |
8 |
1 |
3 |
— |
3 |
3 |
19 |
— |
"U 2". . . |
430 |
13 |
8 |
4 |
6 |
— |
4 |
3 |
19 |
— |
"U 3" bis
"U 4". . . |
510 |
12 |
9,5 |
4 |
6 |
1 MG. |
4 |
3 |
19 |
3000 |
"U 5" bis
"U 8". . . |
636 |
13,5 |
10 |
4 |
8 |
1 MG. |
4 |
4 |
24 |
3500 |
"U 9" bis
"U 12". . . |
611 |
14 |
8 |
4 |
8 |
1 MG. |
4 |
4 |
24 |
3500 |
"U 13" bis
"U 15". . . |
644 |
15 |
11 |
4 |
8 |
1 MG. |
4 |
4 |
24 |
3500 |
"U 16". . . |
627 |
15,5 |
11
|
4 |
8 |
1: 5-cm-SK. |
3 |
4 |
24 |
3500 |
"U 17" bis
"U 18". . . |
691 |
15 |
9,5 |
4 |
8 |
1 MG. |
3 |
4 |
24 |
3500 |
Diesel-
motore |
"U 19" bis
"U 22". . . |
837 |
15,5 |
9,5 |
4 |
9 |
1: 8,8-cm-SK. |
2 bis 3 |
4 |
35 |
5000 |
Wie stand es mit der Zahl der U-Boote? Im In- und Ausland taucht immer wieder
der Gedanke auf: Hätte Deutschland zu Kriegsbeginn statt 30 300
U-Boote gehabt, dann hätte es den Krieg gewonnen. Ganz abgesehen von
der Erfahrung, die im großen und ganzen der verflossene Weltkrieg wieder
bestätigt hat, daß im Vergleich zur Menge der Waffen die
Tüchtigkeit des Waffenträgers und die Ausnutzung der Waffe eine
viel entscheidendere Rolle spielt, ist hier zu prüfen, ob Deutschland bei
dem damaligen Stand der Technik mehr erreichen konnte und ob Deutschland
dem Feinde nachstand.
[217] Wie schon bemerkt,
war die Schaffung eines voll kriegsbrauchbaren
U-Bootes von der Herstellung eines Dieselmotors von 850 PS
abhängig; einen solchen hätten bis zum Kriege nur zwei Fabriken
liefern können. Aber auch bei einer dieser Fabriken, der Germaniawerft, die
den Zweitakt-Motor entwickelte, ergaben sich so große und
unvorhergesehene Schwierigkeiten, daß von den
U-Booten "U 31" bis "U 41", die planmäßig
sämtlich bis zum Kriegsanfang hätten fertiggestellt sein
müssen, noch keines fertig war, daß Deutschland also am 1. August
1914 statt 21 voll kriegsbrauchbarer Diesel-U-Boote vom Typ "U 19" nur
10 besaß. Die Entwicklung des U-Bootes und seines Motors ließ sich
eben nicht ohne große Mühe, gewissermaßen aus dem
Ärmel schütteln. Das zeigte sich im Ausland noch deutlicher; denn
den deutschen 10 Diesel-U-Booten standen nur 7 annähernd gleichwertige
englische gegenüber, während Frankreich noch überhaupt
keins besaß. So stand die deutsche Marine auch hinsichtlich der Zahl der
voll kriegsbrauchbaren U-Boote an der Spitze aller Marinen.
Das Ziel der militärischen Ausbildung vor dem Kriege - und auch
während des Krieges - war die Erziehung des einzelnen
U-Bootes zum ungesehenen Angriff und unbeobachteten Torpedoschuß, ein
Ziel, das erst in langer Übung und Erfahrung erreicht wurde. Mit
Anwachsen der Zahl der U-Boote strebte man danach, mehrere
U-Boote in einer Linie aufzustellen zum gemeinsamen Angriff. Das
Zusammenarbeiten mit Teilen der Überwasserflotte wurde geübt.
Daneben liefen Versuche und Übungen mit langen Märschen und
Aufenthalt in See. 1907 marschierte "U 1" mit Begleitung des
Torpedobootes "D 10" von Helgoland um Skagen herum nach Kiel; die
Fahrt wurde 1909 von "U 3" und "U 4" ohne Begleitfahrzeug
wiederholt, verlief beide Male zufriedenstellend und stellte damals im Vergleich
zu anderen Marinen eine gute Leistung dar. Bald, zum ersten Male 1909,
begleiteten die U-Boote die Hochseeflotte bei ihren Herbstmanövern. Im
Frühjahr 1912 wurde ein Dauerversuch mit zwei
U-Booten in der Ostsee, im Winter darauf mit einer ganzen
U-Bootsflottille in der Nordsee gemacht. Die Versuche begannen mit einem
Marsch von 300 sm, entsprechend der Entfernung von der Deutschen Bucht
nach der englischen Ostküste. An diesen Marsch schloß sich ein
Aufenthalt in See an, der täglich mit Angriffen auf Zielschiffe verbunden
war und so lange ausgedehnt wurde, wie die Vorräte reichten, die
Besatzung aushielt und das Material standhielt. Die Boote konnten trotz der
absichtlich gewählten Winterzeit 11 Tage in See bleiben und
bewährten sich gut.
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