Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Seekrieg
Kapitel 3: Der Ostseekrieg
(Forts.)
Korvettenkapitän Max Bastian
4. Die Maßnahmen und
Unternehmungen.
Das Kriegsjahr 1914.
Am Freitag, dem 31. Juli 1914, wurde als letzte Vorbereitungsmaßnahme
vor der Mobilmachung der Zustand der "drohenden Kriegsgefahr" befohlen. Am
gleichen Tage 3 Uhr Nm. trat das Oberkommando der
Ostseestreitkräfte ins Leben; zum Oberbefehlshaber wurde der Großadmiral S. K. H. Prinz Heinrich von Preußen
ernannt. Chef des Stabes wurde Kapitän zur See Heinrich. Der
Oberbefehlshaber, der sich mit seinem Stabe in Berlin befand, trat am 31. Juli
nachmittags die Fahrt nach Kiel an, um am folgenden Tage die
Geschäftsstelle in dem alten ehrwürdigen Schloß einzurichten.
Das Niedergehen der Prinzenstandarte auf dem Schloßturm und das
Hochgehen der Großadmiralsflagge an ihrer Stelle verkündete Kiel
die Kommandoübernahme.
Hier war am gleichen Tage die mobilmachungsgemäß vorgesehene
Kommandostelle der "Küstenschutz-Division der Ostsee" eingerichtet und
zu ihrem Chef der Kontreadmiral Mischke ernannt worden, der seine Flagge auf
dem Kleinen Kreuzer "Amazone" setzen sollte. Dem Chef der
Küstenschutz-Division lag im besonderen der Küstenschutz der
deutschen Ostseeküste ob. Neben beiden Kommandostellen bestand das
friedensmäßige Marinestationskommando der Ostsee auch im Kriege
weiter.
Während dem Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte die Leitung aller
Operationen auf dem Wasser übertragen
wurde - die Küstenschutz-Division war eine ihm nachgeordnete
Dienststelle -, versah das Stationskommando die Aufgaben etwa eines
mobilen Generalkommandos. Es besaß die Rechte und Pflichten des
militärischen Territorialherrn über alle Marineanlagen an Land im
Bereiche der Ostsee; im besonderen lag ihm die Verteidigung der Küste
durch alle an Land befindlichen Verteidigungsmittel, die Einrichtung und der
Ausbau des gesamten Küstensignaldienstes nebst den Funkenstationen und
Funkenrichtungsanlagen und der gesamte Nachrichtendienst ob. Dabei hatte das
Stationskommando die wichtige Aufgabe, dem Oberbefehlshaber alle diejenigen
Mittel bereit zu stellen, deren er zu seiner Tätigkeit bedurfte. Wenn
naturgemäß im Verlauf der Kriegsschilderungen das
Stationskommando zurücktreten wird, so sei gleich hier der Ehrenpflicht
genügt, rückhaltlos die selbstlose, aufreibende Tätigkeit des
Stations- [144] kommandos und aller
ihm unterstellten Dienststellen anzuerkennen, ohne die die Erfolge der
schwimmenden Seestreitkräfte nicht möglich gewesen
wären.
Bei der großen Ausdehnung der deutschen Ostseeküste mußte
baldmöglichst eine Teilung des zu sichernden Gebiets auf dem Wasser
angestrebt werden, mit anderen Worten, der Chef der
Küstenschutz-Division konnte auf die Dauer den gesamten
Küstenschutz mit den von ihm erforderten Offensivunternehmungen nicht
allein ausüben. Bevor der Krieg sich jedoch einigermaßen
konsolidiert hatte und die Verhältnisse in der
Nord- und Ostsee einen gewissen Überblick zuließen, war eine
scharfe Scheidung in westliche und östliche Ostsee nicht möglich; es
mußte vielmehr mit den jeweilig fertig werdenden oder
vorübergehend zur Verfügung gestellten Mitteln dort zugepackt
werden, wo es die augenblickliche Lage erheischte. Daher bleibt die Trennung in
westliche und östliche Ostsee für 1914 noch außer
Betracht.
Mit Ausspruch der "drohenden Kriegsgefahr" hatte der Oberbefehlshaber der
Ostseestreitkräfte die beiden modernen kleinen Kreuzer "Augsburg" und "Magdeburg" bereits nach Danzig vorgeschoben mit dem Auftrag, ohne weiteres
bei dem dienstlichen Bekanntwerden des Krieges mit Rußland auszulaufen
und den russischen Kriegshafen Libau auf seinen Zufahrtsstraßen mit Minen
zu verseuchen. Als am 1. August die Mobilmachung ausgesprochen war und am
2. August 8 Uhr Vm. der Kriegszustand mit Rußland infolge
Grenzüberschreitungen der Russen dienstlich bekanntgemacht wurde, liefen
"Augsburg" und "Magdeburg" planmäßig aus Danzig aus, und bereits
am Abend des gleichen Tages, als sich die letzten Strahlen der sinkenden Sonne in
den vergoldeten Kuppeln der Kathedrale von Libau spiegelten, verkündeten
die Kleinen Kreuzer mit ehernem Munde vor dem russischen Kriegshafen,
daß Deutschland den ihm von Rußland hingeworfenen
Fehdehandschuh aufgenommen hatte und die deutschen Ostseestreitkräfte
entschlossen seien, die östliche Ostsee zu erobern und zu halten. Zwar hatte
dieses erste planmäßige Ostseeunternehmen keinen in die Augen
springenden militärischen Erfolg; aber es drückte doch von
vornherein der Ostseekriegführung den Stempel auf, wie sie der
Oberbefehlshaber zu handhaben beabsichtigte - darin liegt die Bedeutung
dieses ersten Vorstoßes.
Mit diesen Offensivmaßnahmen in der östlichen Ostsee wurden
gleichzeitig die ersten Defensivmaßnahmen in der westlichen Ostsee
getroffen. Der Schutz der Kieler Bucht als beizubehaltender Exerzierplatz und
Aufnahmegebiet aller Ostseestreitkräfte stand in erster Linie. Der Chef der
Küstenschutz-Division erhielt Anweisung, die westliche Ostsee,
insonderheit den Hafen von Kiel vor Überraschungen zu sichern und bei
Gjedser und am Südausgange des Großen Belts Bewachungslinien
einzurichten. Nach Osten sollte die Beobachtung in die Linie
Möen - Trelleborg vorgeschoben werden, um einen etwaigen
Durchbruch russischer Streitkräfte in das Kattegat zu melden. Dieser
Anordnung entsprechend standen in den ersten Tagen "Panther" im
Fehmarn-Belt, "T 91" und "T 94" im Südausgange des
Großen Belts, "T 93" und "T 102" vor dem
Südausgange des Sundes, "T 27" [145] im Kleinen Belt und
der alte Hohenzollerntender "Sleipner" ("T 97") in der Linie
Plantagenet-Grund - Möen. Alle diese Streitkräfte
konnten nur vorgeschobene Augen darstellen; eine Kampfkraft wohnte ihnen
nicht inne.
Im Schutz dieser Sicherung rüsteten im Kieler Hafen die
Hilfsstreuminendampfer "Prinz Waldemar", "Prinz Adalbert" und "Deutschland"
aus.
An Minensperren waren zunächst vorgesehen:
- Eine Sperre von Gjedser Riff Feuerschiff nach Darsserort (zwischen
Warnemünde und Stralsund).
- Eine Sperre quer über den Fehmarn-Belt.
- Eine Sperre quer über den Südausgang des Großen Belts
von Kjels Nor (Südspitze Langeland) nach Albuen (Westkante
Laaland).
- Eine Sperre von Kjels Nor in Richtung auf die Westkante von der Insel
Fehmarn.
Als Verstärkung der Minenverteidigung wurden die alten
U-Boote "U 3" und "U 4" innerhalb der unmittelbar vor dem Kieler
Hafen - eben außerhalb von Friedrichsort - ausgelegten
Minensperren bereit gehalten. Ihre Aufgabe war es, durchgebrochene Schiffe
anzugreifen.
Diese Anordnungen mußten eine grundlegende Änderung erfahren,
als die ersten Nachrichten eintrafen, die den Beginn feindlicher Operationen von
Norden her als nicht unwahrscheinlich erscheinen ließen. Der
Streuminendampfer "Prinz Waldemar" erhielt Befehl, sofort mit seinen Minen zu
"Panther" nach dem Fehmarn-Belt zu gehen; "Prinz Adalbert" sollte ihm
baldmöglichst folgen, damit sofort ohne Zeitverlust auf
funkentelegraphischen Befehl die angeordneten Sperren gelegt werden
könnten. Zwei Torpedoboote wurden zur Beobachtung im Großen
Belt bis zur Linie Hjelm - Seelandsriff vorgeschoben.
Die U-Boote erhielten Anweisung, am 3. August bei Morgengrauen nach dem
Südausgang des Großen Belts in See zu gehen und bei dem
feindlichen Beobachtungsdienst den Anschein des Einlaufens in den Großen
Belt zu erwecken.
In dieser Lage erreichte am 3. August 8 Uhr Abds. den Oberbefehlshaber die
Nachricht von dem Eintreten des Kriegszustandes mit Frankreich; ihr folgte am 4.
August gegen Abend die Mitteilung über die Kriegserklärung
Englands.
Fast zur gleichen Zeit trafen Nachrichten ein, wonach mit einem schnellen
Eindringen der Engländer in die Ostsee zu rechnen war.
Diese ernste Wendung, worauf man naturgemäß in Marinekreisen
von vornherein gefaßt war, verlangte sofortiges Handeln, und so wurde
gleich in der folgenden Nacht nach Eintreten völliger Dunkelheit der
Südausgang des Großen Belts von Kjels Nor nach Albuen
hinüber mit Minen gesperrt und eine Sperrbewachung eingerichtet. Am
nächsten Tag folgte im Kleinen Belt die Sperrung des
Baagö-Sundes zwischen Baagö und Fünen durch das
Torpedoboot "T 127".
[146] Kurz nach
Durchführung der ersten deutschen Sperrmaßnahmen wurde bekannt,
daß Dänemark die Sperrung des Großen Belts, des
dänischen Teils des Arö-Sundes und des Kleinen Belts sofort selbst
übernommen hatte, um den Krieg von seinen Gewässern
fernzuhalten.
Daraus ergab sich für die deutsche Ostseekriegführung eine
bedeutende Erleichterung. Es kam daher zunächst darauf an, eine scharfe
Bewachung der Sperren und der Beltausgänge aufrechtzuerhalten.
Der Schwerpunkt der Ostseekriegführung konnte und mußte nun
zunächst nach dem Osten verlegt werden.
Von einer Sperrung des Fehmarn-Belts oder der Gjedser Passage wurde
vorläufig im Interesse der größeren Bewegungsfreiheit der
eigenen Streitkräfte noch abgesehen; man konnte sich dort vorläufig
mit einer dauernden Bewachung begnügen.
Im Sund waren die dänischen Fahrwasser ebenfalls mit Minen
gesperrt, das schwedische Fahrwasser, die Flint-Rinne, aber blieb frei. Dagegen
waren die schwedischen Feuer vom Sund bis zur norwegischen Küste
gelöscht, und Schweden beabsichtigte, mit den Feuern des eigentlichen
Sundes von Kap Kullen bis Falsterbo ebenso zu verfahren, falls Kriegschiffe dort
einzulaufen unternehmen sollten.
Die Bewachung vor dem Sund übernahmen die dem Oberbefehlshaber
zugeteilten Torpedoboote. Ihre Aufgaben bestanden darin, etwa durchbrechende
feindliche Streitkräfte anzugreifen oder sie zu melden und Fühlung
an ihnen zu halten und streng im Sinne der Prisenordnung den Handelskrieg zu
führen. Als Stützpunkt für sie wurde Warnemünde
eingerichtet. Ihren Rückhalt, solange sie auf Position vor dem Sund waren,
bildete ein Kleiner Kreuzer auf Vorposten, bei Tage in der Linie
Möen - Arkona (Rügen), bei Nacht in der Linie
Möen - Plantagenet-Grund (etwas westlicher).
An diesen Maßnahmen an der westlichen Ostsee ist im allgemeinen
während 1914 festgehalten worden; auf einige besondere Ereignisse wird
später noch einzugehen sein.
Den allgemeinen Zielen des Ostseekrieges entsprechend mußte der
Oberbefehlshaber - in der westlichen Ostsee sich auf den Schutz Kiels und
der Kieler Bucht beschränkend - seine Haupttätigkeit in die
östliche Ostsee verlegen. Ungeachtet der Beschränktheit seiner
Mittel galt ihm als oberstes Ziel, den Feind zu vernichten, wo er ihn fand, und den
Krieg möglichst an der feindlichen Küste zu führen. Aus
dieser richtigen Absicht heraus, die die Geschichte dem Oberbefehlshaber noch
einmal ganz besonders danken und die immer ein Beispiel hoher
persönlicher Verantwortungsfreudigkeit bleiben wird, entstanden die
Offensivunternehmungen, die sich als einzelne, unzusammenhängende
Vorstöße kennzeichnen.
1. Vorstoß (9. bis 14. August): Den unter dem Chef der
Küstenschutz-Division vorstoßenden leichten Streitkräften war
nur ein kurzes Sichten zweier feindlicher [147] Torpedoboote
beschieden, die anscheinend nordöstlich von Gotland eine
Beobachtungstelle eingenommen hatten und beim Erkennen der deutschen
Streitkräfte abdrehten und im Rauch verschwanden. Die letzteren
mußten sich daher mit dem Beschießen einiger Leuchttürme
(Bengskär am Nordeingang zum Finnischen Meerbusen, Ristna und
Dagerort auf Dagö) begnügen.
2. Vorstoß (17. bis 19. August): Der zweite Vorstoß hatte
zum Ziel, im finnischen Meerbusen Minen zu werfen. Es war inzwischen bekannt
geworden, daß die Russen quer über den Finnischen
Meerbusen - von Porkala Udde bei Helsingfors bis Nargön vor
Reval - eine Minensperre ausgelegt hatten, die sie tagsüber durch
zwei Panzerkreuzer und Torpedoboote vor der Sperre, des Nachts durch die
gleichen Fahrzeuge hinter der Sperre bewachen ließen. Zweck dieser
Unternehmung im besonderen war, die südliche Durchfahrt
möglichst nahe an Nargön heran durch Minen zu sperren. Dem Chef
der Küstenschutz-Division wurde daher außer "Augsburg" und
"Magdeburg" und den modernen Torpedobooten "V 25", "V 26" und
"V 186" der Hilfsstreuminendampfer "Deutschland" (Fährschiff
Saßnitz - Trelleborg) mit 200 Minen zugewiesen. Es gelang
dem Admiral, das langsame, schwerfällige, wegen seiner hohen Aufbauten
weithin sichtbare Fährschiff ungesehen bis in den Finnischen Meerbusen
hineinzuführen; jedoch mußte die Sperre selbst etwa 50 sm
westlicher, als beabsichtigt war, gelegt werden, da im Finnischen Meerbusen ein
weit überlegener Feind in östlicher Richtung in Sicht kam. Durch
seine nach Osten vorgeschobenen leichten Streitkräfte mußte der
Admiral das Minenschiff der Sicht des Feindes entziehen und ließ in der
Mitte des Finnischen Meerbusens auf günstigen Wassertiefen etwa auf
22° 40' Ost-Länge die Sperre werfen, so daß das
Unternehmen, trotzdem es nicht ganz planmäßig durchgeführt
werden konnte, einen vollen Erfolg darstellt.
3. Vorstoß (25. bis 29. August): Während dieser Ereignisse
im Osten hatte sich die Notwendigkeit herausgestellt, den Chef der
Küstenschutz-Division nach der westlichen Ostsee zurückzuziehen.
Die Ausdehnung des Handelskrieges, die notwendig werdende Vervollkommnung
der Schutz- und Sperrmaßnahmen erforderten seine Anwesenheit.
Infolgedessen erbat der Oberbefehlshaber einen weiteren Admiral, der ihm in der
Person des Kontreadmirals Behring zugeteilt wurde und die Bezeichnung
"Detachierter Admiral" führte. Er war lediglich als operativer Admiral in
der östlichen Ostsee vorgesehen. Der rücksichtslose Angriffsgeist
und das keine Hindernisse kennende Draufgängertum dieses trefflichen
Mannes und Führers und seines hervorragenden Admiralstabsoffiziers,
Kapitänleutnant Gercke, hat mit in erster Linie die östliche Ostsee
erobert und ihr Halten später erleichtert. Dieses Urteil sei auch ein Stein zu
dem Denkmal für diese beiden später gefallenen vorbildlichen
Seeoffiziere.
Bevor Admiral Behring die Leitung übernehmen konnte, war dem alten
Kleinen Kreuzer "Amazone" und dem Torpedoboot "T 94" der Schutz und
die Beobachtung der gesamten östlichen Ostsee anvertraut. Einsam, darum
aber nicht [148] weniger tapfer und treu
haben sie ihren verantwortungsvollen Dienst etwa 200 sm von der
nächsten Unterstützung entfernt versehen.
Am 25. August frühmorgens entwickelte der Admiral in einer Sitzung auf
seinem Flaggschiff "Augsburg" südlich von Hoborg (Gotland) seine
Absichten für den nächsten vom Oberbefehlshaber angeordneten
Vorstoß, der bereits in der folgenden Nacht in den Finnischen Meerbusen
hinein erfolgen sollte: Durchbruch durch die nach neueren Nachrichten zwischen
Bengskär und Tachkona (Dagö) ausliegende Vorpostenlinie von
Torpedobooten und Angriff auf die dahinter vermuteten Panzerkreuzer. Der
strichweise auftretende Nebel gegen Abend schien dem Admiral gerade recht
für seine Überraschung. Leider war ihm kein Erfolg beschieden;
"Magdeburg" kam um Mitternacht in dickem Nebel auf der Insel Odensholm fest
und mußte am nächsten Morgen im Feuer des Feindes gesprengt
werden.
So schmerzlich der Admiral den Verlust dieses wackeren Schiffes empfand, so
konnte ihn ein solcher Rückschlag doch nicht entmutigen. Bereits am
Abend des gleichen Tages befand er sich mit "Augsburg", "V 25",
"V 186" und dem inzwischen von "Panther" und später von
"Amazone" aus Kiel herangeschleppten alten
Hafenverteidigungs-U-Boot "U 3" wiederum im Anmarsch gegen die
Russen im Finnischen Meerbusen, um das U-Boot am nächsten Morgen
anzusetzen.
Trotz der Kühnheit bei der Durchführung - der Admiral ließ im
heftigen Feuer zweier Panzerkreuzer sein Flaggschiff auf etwa 8000 m
Entfernung einen Kreis schlagen und Dampf abblasen, um eine Havarie
vorzutäuschen und die feindlichen beiden Panzerkreuzer der
"Makarow"-Klasse noch weiter an das getauchte
U-Boot heranzulocken - gelang das Unternehmen nicht; das alte
U-Boot hatte sich bei dem ungestümen Drang, an den Feind
heranzukommen, verausgabt und kam daher nicht zum Schuß. So wurde der
Wille, zu schlagen und zu siegen, durch die Unzulänglichkeit der Mittel
mattgesetzt.
4. Vorstoß. (5. bis 9. September): Diese Rückschläge
in den letzten Augusttagen ließen es dem Oberbefehlshaber dringend
notwendig erscheinen, nunmehr einmal mit stärkeren Kräften an der
feindlichen Küste aufzutreten, um eine Ermutigung der Russen
hintanzuhalten. Sein Antrag bei der Obersten Marineleitung im Großen
Haupt-Quartier fand Gehör. Für einige Tage wurde ihm
S. M. S. "Blücher", das IV. Geschwader, S. M. S. "Straßburg" und die II. und VI. Flottille
unterstellt.
Die Durchführung des Unternehmens war vom Großadmiral, der sich
zur Führung mit seinem Stabe auf "Blücher" einschiffte, wie folgt
gedacht:
Die leichten Streitkräfte sollten bei Morgengrauen des ersten
Operationstages an der feindlichen Küste (bei Dagerort auf Dagö)
demonstrieren und dadurch die gesamte Küste und Flotte alarmieren. Die
leichten Streitkräfte sollten dann die etwa vorstoßenden feindlichen
Streitkräfte nach Süden aus dem Finnischen Meerbusen herauslocken
und auf die Schiffe der "Wittelsbach"-Klasse, [149] die auf der Linie
Gotland - Ösel stehen sollten, zu ziehen versuchen,
während der Großadmiral selbst mit "Blücher", "Elsaß"
und "Braunschweig" und einer Flottille westlich Gotland vorstoßend und
nördlich ausholend, die zurückkehrenden feindlichen
Streitkräfte abschneiden und vernichten wollte.
Der Plan schien zunächst zu gelingen. Zwei Panzerkreuzer folgten ein
Stück den leichten Streitkräften nach Süden, jedoch nicht weit
genug, um dem Großadmiral sein Umgehungsmanöver von Norden
her zu ermöglichen. "Blücher" mußte sich damit
begnügen, mit 24 sm Geschwindigkeit hinter den beiden fluchtartig
zurückgehenden Panzerkreuzern herlaufend, sie auf große
Entfernungen (etwa 15 000 m) zu beschießen, bis die
Erreichung des minengefährdeten Gebietes auf
22° 10' Ost dem Großadmiral - der strengen
Weisung S. M. des Kaisers entsprechend - den entsagungsvollen
Entschluß zum Abdrehen aufnötigte; im Interesse des Nordseekrieges
durften in der Ostsee keine wertvollen Einheiten eingesetzt werden.
Die Anwesenheit der schweren Streitkräfte wurde noch zu einem
Vorstoß der Kleinen Kreuzer "Augsburg", "Straßburg" und "Gazelle"
mit "V 25" in den Bottnischen Meerbusen zur Störung des Handels
auf der Linie Gefle - Raumo ausgenutzt.
Ein Befehl der Kriegsleitung in der Nacht vom 8. zum 9. September berief die
Nordseestreitkräfte beschleunigt in die Nordsee zurück.
Die auf dem Nordseekriegsschauplatz als störend empfundene
vorübergehende Abgabe von Streitkräften an die Ostsee sowie die
schlechten Erfahrungen mit dem alten U-Boot "U 3" hatten die
Kriegsleitung der Marine dazu bestimmt, die Streitkräfte des detachierten
Admirals durch Zuteilung eines alten Panzerkreuzers
(S. M. S. "Friedrich Carl") und drei ziemlich moderner
U-Boote ("U 23", ""U 25" und "U 26") zu verstärken.
Bis zum Eintreffen dieser Verstärkungen sollte sich der detachierte Admiral
auf den Küstenschutz beschränken und dabei die älteren
Kleinen Kreuzer vorsichtig verwenden, nachdem "Gazelle" mit ihrer
Höchstgeschwindigkeit von nur 17 sm zwei mit 22 sm Fahrt
verfolgenden russischen Panzerkreuzern gegenüber in eine arg
bedrängte Lage gekommen war.
5. Vorstoß. (22. bis 26. September): Um die galizische und
polnische Front zu entlasten, war zunächst die Landung etwa einer Brigade
zwischen Libau und Windau unter dem Schutz stärkerer Flottenteile
beabsichtigt. Da jedoch die Transportdampfer innerhalb der erforderlichen Zeit
nicht klargestellt werden konnten, mußte statt der wirklichen Landung eine
Scheinlandung, verbunden mit einer größeren Demonstration vor
Windau, angesetzt werden.
Zu diesem Zwecke wurden dem Oberbefehlshaber das IV. und V. Geschwader, S. M. SS. "Yorck" und "Straßburg" sowie die II. und
VI. Flottille und die II. Minensuch-Division, ebenfalls wieder
für einige Tage, zur Verfügung gestellt. Das
V. Geschwader - die Schiffe der alten
"Kaiser"-Klasse - wurde zuvor nach Danzig detachiert, um dort 700 Mann
Landsturm überzunehmen, die [150] gegebenenfalls
vorübergehend gelandet werden sollten. Um den Russen die Landung
möglichst eindringlich vorzutäuschen, erhielt die
II. Minensuch-Division den Befehl, unter Schutz von "Amazone" und
"Yorck" eine minenfreie Fahrstraße von 1 sm Breite an Windau
heran auszubojen.
Gegen Mittag am 24. September war diese vorbereitende Arbeit vollendet, und am
Nachmittag desselben Tages lief der Großadmiral mit dem
IV. Geschwader - er selbst hatte seine Flagge auf
S. M. S. "Braunschweig" gesetzt - in den ausgebojten
Streifen ein, um zu demonstrieren. Seine Absicht, dies am nächsten Tage
nach Eintreffen des aus Danzig zu erwartenden V. Geschwaders noch
einmal unter gleichzeitiger Landung der Landsturmleute zu wiederholen, kam
nicht mehr zur Durchführung; denn am 24. September, 1125 Uhr Nm., erhielt der
Ostseebefehlshaber die Mitteilung vom Admiralstab, daß nach Meldungen
von Vertrauensmännern die englische Flotte 530 Uhr Nm. des gleichen Tages
nach Beseitigung der Minensperren in den Großen Belt eingelaufen sei.
Hiernach mußte mit einem Durchbruch der Engländer nach der
Ostsee gerechnet werden.
Diese außerordentlich wichtige und schwerwiegende Nachricht stellte den
Oberbefehlshaber vor neue ernste Entschlüsse. Es blieb ihm die Wahl,
entweder im Osten zu bleiben und den Feind hinter sich herzuziehen oder aber
nach Westen durchzubrechen und die Vereinigung mit der zu erwartenden
Flottenverstärkung anzustreben. Der Großadmiral entschloß
sich zu letzterem in der Erkenntnis, daß ein Kampf im Osten ohne
Verstärkung für seine alten Verbände den sicheren Untergang
bedeuten mußte.
Während die Streitkräfte im Aufmarsch gegen Westen begriffen
waren, traf die Nachricht vom Chef der Küstenschutz-Division ein,
daß er eine zweite Sperre im Langeland-Belt südlich der ersten gelegt
und mit allen zusammenraffbaren Fahrzeugen
(S. M. SS. "Derfflinger", "Friedrich Carl", "Prinz Heinrich",
"Vineta", "Victoria Luise", "Kaiserin Augusta", "Thetis" und "Berlin") ihre
Bewachung übernommen hatte. Außerdem standen ihm 8
U-Boote - teilweise im Probefahrtsverhältnis - und 6
Torpedoboote zur Verfügung.
Somit war alles so gut wie möglich vorbereitet, als die Nachricht am 25.
September gegen 2 Uhr Nm. eintraf, daß an
maßgebender dänischer Stelle von englischen Operationen gegen die
Ostsee nichts bekannt und auch nichts beobachtet worden war; anscheinend hatte
es sich demnach nur um Gerüchte gehandelt. Um so bedauerlicher war es,
daß dieses aussichtsreiche Unternehmen gegen Rußland abgebrochen
war und nach Lage der Dinge nicht noch einmal wiederholt werden konnte.
Die Vorstöße von Oktober bis Dezember 1914: Die
nächsten Unternehmungen des detachierten Admirals können mehr
oder weniger als eine fortlaufende Operation betrachtet werden, für die ihm
der Ostseebefehlshaber grundsätzliche Richtlinien gegeben hatte. Dauernde
Beunruhigung der Russen in ihren eigenen Gewässern war die
Hauptaufgabe. Die diesen Zweck verfolgende Kriegführung [151] der kommenden
Periode (Oktober bis Dezember 1914) steht im Zeichen des
U-Bootes, sowohl des eigenen wie des feindlichen; alle Unternehmungen
hängen aufs engste mit der U-Bootswaffe zusammen.
Die erste dieser Unternehmungen fällt in die Zeit vom 8. bis 14. Oktober
und verdient insofern besondere Erwähnung, als ihr ein namhafter Erfolg
beschieden war. Es wurden zwei U-Boote ("U 23" und "U 26") im
Finnischen Meerbusen angesetzt, das dritte, "U 25", hatte leider wegen
einer Maschinenhavarie kehrtmachen müssen. Durch eine gleichzeitige
Demonstration vor Libau und Windau mit Kohlendampfern, die von Land aus als
Transporter wirken sollten und von "Amazone" und der
Hilfsminensuch-Division Neufahrwasser (bestehend aus Fischdampfern)
herangeführt wurden, war ein Herauslocken russischer Flottenteile aus
ihren Häfen beabsichtigt, um sie so den
U-Booten in die Arme zu treiben. Die Kleinen Kreuzer "Augsburg" und
"Lübeck" - letzterer war Anfang Oktober als neuester der
älteren Kleinen Kreuzer dem Oberbefehlshaber nachträglich
zugeteilt worden - nahmen vor dem Finnischen Meerbusen eine
Beobachtungsstellung ein.
Am 11. Oktober, 11 Uhr Vm., kündigte eine gewaltige Sprengwolke im
Finnischen Meerbusen den vor dem Busen stehenden Admiral in einer Entfernung
von etwa 40 sm an, daß der russische Panzerkreuzer "Pallada" dem
ruhigen und schneidigen Angriff von "U 26" (Kommandant
Kapitänleutnant v. Berckheim) zum Opfer gefallen war.
"U 26" konnte danach unter Wasser den das Boot verfolgenden zahlreichen
Zerstörern geschickt entrinnen.
"Magdeburg" war nunmehr gerächt, der schneidige Angriffsgeist des
Admirals glänzend belohnt.
Eindringen englischer U-Boote in die Ostsee: Bevor der detachierte
Admiral zu einem ähnlichen Schlage ausholen konnte, traten in der
westlichen Ostsee wichtige Ereignisse ein. Englische
U-Boote hatten es fertig gebracht, unbemerkt in die Ostsee einzudringen und
einen Kreuzer, S. M. S. "Victoria Luise", in der
Vorpostenstellung zwischen Möen und Rügen am 18. Oktober Vm.
anzugreifen. Durch ein geschicktes Gegenmanöver wurde ein Erfolg des
Gegners vereitelt. Somit war in der Ostsee vom Gegner die Offensive
aufgenommen, die Kieler Bucht und alle dort übenden Fahrzeuge wurden
unmittelbar bedroht.
Dieses Ereignis führte zu einer Verstärkung der Sundbewachung
durch die früheren Schulschiffe der
"Hansa"-Klasse, ferner zu einem Versuch, die Kieler Bucht durch im
Fehmarn-Belt ausgelegte 16 m tiefe und 3 m unter der
Wasseroberfläche eingestellte Heringsnetze
abzuschließen - ein Versuch, der wegen der Unmöglichkeit
einer festen Verankerung der Netze mißlang - und schließlich
zu ausgedehnten Patrouillenfahrten von Torpedobooten. Außerdem wurde
der deutsche Teil des Aarösundes durch eine großmaschige, mittels
kleiner Holzflöße aufgebojte Stahltroßsperre
abgeschlossen.
Der detachierte Admiral sollte zunächst auch mit seinen Streitkräften
in den [152] Dienst der
U-Bootsjagd gestellt werden, um den vermutlich nach Osten durchbrechenden
U-Booten bei Bornholm den Weg zu verlegen. Da jedoch der Eingang zum
Finnischen Meerbusen zum Abfangen von U-Booten geeigneter schien, wurde
dieser Plan wieder fallengelassen und statt dessen eine erneute
U-Bootsunternehmung - diesmal mit Beteiligung des am 19. Oktober als
Flaggschiff des detachierten Admirals eingestellen Panzerkreuzers "Friedrich
Carl" unter Mitnahme von 2 Flugzeugen an Bord dieses
Schiffes - gegen den Finnischen Meerbusen angesetzt. Als die eigenen
U-Boote "U 23", "U 25" und "U 26" gerade vor dem
Finnischen Meerbusen eingetroffen waren und dort auf 22° Ost eine
U-Bootslinie ausgelegt war, mußte die Unternehmung abgebrochen und
eine Blockade vor Libau eingerichtet werden. Es war inzwischen
zuverlässig bekanntgeworden, daß die englischen
U-Boote "E 1" und "E 9" sich in Libau aufhielten.
Die Erfahrungen in der Nordsee, nach denen U-Boote am wirksamsten durch
U-Boote bekämpft werden, führten in der Folge zu einer Blockierung
Libaus durch U-Boote, die aber andrerseits bei der geringen Anzahl der zur
Verfügung stehenden U-Boote - die Kriegsleitung konnte trotz der
veränderten Lage in der östlichen Ostsee nur noch das von der
deutschen Marine beschlagnahmte, ursprünglich für die norwegische
Marine bestimmte U-Boot "U A" abgeben - auf die Dauer nicht
aufrechtzuerhalten war, wollte man nicht selbst auf jegliche Offensive verzichten.
Den einzigen Ersatz für die Blockierung durch
U-Boote konnte nur die vollkommene Sperrung der drei Einfahrten Libaus durch
Sperrschiffe ersetzen.
Dieses Ziel verfolgte die nächste Unternehmung des detachierten Admirals.
Mit der Sperrung selbst wurde die 20. Torpedobootshalbflottille beauftragt,
der 4 Blockschiffe dafür überwiesen wurden. Diese sollten kurz vor
der Morgendämmerung in den Einfahrten selbst versenkt werden. Nach
erfolgter Sperrung sollte, falls Flugzeugaufklärung lohnende Ziele ergab,
Libau von den Kreuzern beschossen werden.
Während die Sperrung Libaus selbst in der Nacht vom 16. zum 17.
November planmäßig durchgeführt wurde, lief "Friedrich
Carl" gegen 2 Uhr Morgens am 17. November auf etwa 55° 45'
nördlicher Breite und 20° 10' östlicher Länge auf
eine Mine und faßte bei dem Versuch, vor dem vermuteten feindlichen
U-Boote abzudrehen, eine zweite Mine. Damit war das Schicksal des wackeren
alten Schiffes besiegelt. Fast schien es so, als sollte auch die gesamte Besatzung
hierbei ihren Untergang finden; denn es mußte mehr als zweifelhaft
erscheinen, ob die mit dem letzten Atemzuge der ersterbenden
F. T.-Einrichtung zu Hilfe gerufene "Augsburg" bei der herrschenden
Dunkelheit rechtzeitig zur Stelle sein würde. "Augsburg" befand sich zur
Zeit des Unglücks mit den U-Booten auf dem Marsche nach Norden und
stand etwa 70 bis 80 sm von "Friedrich Carl" entfernt. Ein
glänzendes Beispiel von Kaltblütigkeit gab in seiner kritischen
[153] Lage der Admiral auf
der Kommandobrücke, der, als ihm in jener kalten Novembernacht
gemeldet wurde, daß das Schiff langsam aber stetig wegsackte, zu seinem
Admiralstabsoffizier äußerte: "Na, Gercke, ein Bewußtsein
können wir mit ins Grab nehmen, taugen tun die englischen Torpedos
nichts."4 Zum Glück kam es nicht soweit,
denn gegen 6 Uhr morgens, eine Stunde vor dem Kentern und Untergang
des Panzerkreuzers, kam "Augsburg" mit einem hervorragend geschickten
Manöver unter ihrem bewährten Kommandanten,
Korvettenkapitän Horn, am sinkenden Schiff längsseits und nahm die
gesamte Besatzung über.
Noch einmal kam die gesamte Besatzung in die Gefahr, das Grab in den Wellen
zu finden. Auf dem Marsche nach Memel, wo die Besatzung abgesetzt werden
sollte, wäre "Augsburg" beinahe auf eine unbekannte feindliche
Minensperre gelaufen. Nur der Untergang eines mehrere Seemeilen vor ihr
herfahrenden Dampfers warnte sie rechtzeitig und veranlaßte sie, Memel
aufzugeben und unter weiterem Ausholen nach Westen Danzig anzusteuern.
"Friedrich Carl" wurde alsbald durch sein Schwesterschiff,
S. M. S. "Prinz Adalbert", ersetzt. Zwar unternahmen die
U-Boote noch mehrfach kühne Vorstöße in den Finnischen
Meerbusen; dank der Vorsicht der Russen kamen sie aber nicht zum Angriff.
Auch die Erkundung der Einfahrten von Mariehamn, der Hauptstadt von Aaland,
durch "Augsburg" und der sehr kühn angelegte und verwegen
durchgeführte Vorstoß des Hilfsstreuminendampfers "Deutschland"
in die Bottensee zur Verseuchung der Hafeneinfahrten von Raumo und
Björneborg führten nicht mehr zu einem Zusammenstoß mit
dem Feinde.
Gegen Ende des Jahres verlegte der detachierte Admiral seinen
Hauptstützpunkt nach Swinemünde. Einmal war die Danziger Bucht
ein besonders günstiges Angriffsgebiet für feindliche
U-Boote; weiter machte das Einlaufen der Panzerkreuzer in Neufahrwasser, bevor
die Baggerungen durchgeführt waren, große Schwierigkeiten; ferner
war der Anmarsch für den im Winter beabsichtigten Handelskrieg an der
schwedischen Küste und in der Aalandsee von Swinemünde aus
kürzer, und endlich schien von Danzig aus die feindliche Spionage
besonders günstig zu arbeiten.
Wenn auch das Jahr 1914 den deutschen Ostseestreitkräften zwei wertvolle
Schiffe gekostet hatte, so war doch der beabsichtigte Zweck erreicht, die
östliche Ostsee bis zu dem Finnischen Meerbusen von den
Ostseestreitkräften gehalten. Immerhin deuteten allerdings die
Minenverluste vor Memel auf einen ausgedehnten und geschickten Minenkrieg
der Russen hin.
Das Kriegsjahr 1915.
Im Laufe des Jahres 1914 hatten sich die Verhältnisse in der Ostsee so weit
geklärt, daß man mit Beginn des neuen Kriegsjahres das Gebiet des
Ostseekriegsschauplatzes scharf in einen westlichen und östlichen trennen
konnte.
[154] Die Grenze bildete die
Linie Rixhöft - Ölands Södra Udde
(Südspitze Ölands). Die westliche Ostsee blieb der Bereich der
Küstenschutz-Division; in der östlichen leitete zunächst noch
der detachierte Admiral die Operationen, bis man mit Aufgang des Eises in den
russischen Gewässern in Erwartung regerer russischer Tätigkeit auch
hier eine festere Organisation für notwendig erachtete.
In der westlichen Ostsee stand und blieb im Vordergrunde der Schutz der Kieler
Bucht und die Handelskontrolle am Sund. Der Schutz des Kieler Seegebiets
mußte in dem Maßstab an Bedeutung gewinnen, in dem neue
Kriegschiffe und Boote aller Art in Dienst gestellt, eingefahren und einexerziert
werden mußten. Die Notwendigkeit einer schnellen Frontbereitschaft
bedingte das Vorhandensein eines einwandfrei sicheren Exerzierplatzes. Der Chef
der Küstenschutzdivision stellte all seine Kräfte bis an die Grenze
ihrer Leistungsfähigkeit in diesen Dienst, und was hier von dem im
Verhältnis zum Umfang der Aufgaben viel zu geringen Personal mit dem
ältesten Material geleistet worden ist, wird auch stets ein Ruhmesblatt in
der Geschichte deutscher Seekriegführung bleiben.
Seit jenem Angriff am 18. Oktober 1914 auf die "Victoria Luise" in der
Vorpostenlinie wuchs die U-Bootsgefahr stetig. Es verging kaum ein Tag, an dem
nicht feindliche U-Boote, getaucht oder untergetaucht [Scriptorium merkt an: ungetaucht?], in den deutschen,
schwedischen oder russischen Ostseegewässern oder im Anmarsch auf den
Sund von Beobachtungsposten an Land, Handelsdampfern oder Agenten,
zuverlässigen und unzuverlässigen, gemeldet wurden. Alle diese
Meldungen mußten auf das peinlichste geprüft werden; und auch,
wenn sie nicht sicher waren, erforderten sie umfangreiche
Sicherheitsmaßnahmen, die gerade, weil sie sich oft nicht als notwendig
erwiesen hatten, die Nervenkraft des bis zum äußersten angestrengten
Personals stark belastete.
Zu Beginn des Jahres 1915 hatte die Bewachung der Ostseezugänge im
allgemeinen folgenden Umfang:
1. Kleiner Belt: "Panther" als Leiter des dortigen Bewachungsdienstes
(meistens in Aarösund liegend),
a) Aarösund: Eine Trossensperre,
verteidigt durch eine Batterie
von vier 8,8 cm S. K. Nördlich der Sperre lag ein
Kriegslotsendampfer, südlich ein Vorpostenboot (Fischdampfer).
b) Baagösund: Eine Minensperre, bewacht durch einen
Hilfsstreuminendampfer bzw. zwei Vorpostenboote. Diese Fahrzeuge hatten
Minen an Bord, um im Notfalle die Sperren zu verstärken.
2. Großer Belt: Zwei Minensperren über den
Südausgang des Langelandbeltes, bewacht durch zwei Vorpostenboote
(Fischdampfer) nördlich der Sperre, ein Vorpostenboot und
Hilfsstreuminendampfer südlich davon.
3. Fehmarn Belt: Ein Hilfsstreuminendampfer und zwei Vorpostenboote,
davon eins im Westausgang, eins im Ostausgang des Beltes.
[155] 4. Gjedser
Enge: Eine Gruppe von Vorpostenbooten (vier Fischdampfer) der
Halbflottille der Ostseevorpostenboote, die aus Fischdampfern gegen Ende des
Jahres 1914 zusammengestellt und nach Warnemünde gelegt worden
war.
5. Sund: Eine Gruppe Torpedoboote (drei bis vier) der IV. Flottille, die
aus alten Booten gegen Ende des Jahres 1914 gebildet und in Warnemünde
stationiert worden war.
Diese dauernden Sicherheitsmaßnahmen wurden bei akuter
U-Boots-Gefahr in der Weise ergänzt, daß die eigentlichen
Bewachungsstreitkräfte verstärkt, zahlreiche Patrouillenfahrten,
besonders in den Buchten, von zufällig greifbaren, sonst der Nordsee
angehörenden Torpedobooten angeordnet und ausgiebige
Luftaufklärungen durch Flugzeuge von Holtenau, Warnemünde und
Köslin und Luftschiffe von Kiel aus angesetzt wurden.
An Luftschiffen standen dem Oberbefehlshaber für die westliche Ostsee
zunächst die Schiffe "P L 6" und "P L 19" und
später an Stelle des letzteren, nach Königsberg verlegten, das
Luftschiff "M IV" zur Verfügung.
Um der U-Boots-Gefahr Herr zu werden, mußte die
Küstenschutz-Division selbst zu den kleinsten und unscheinbarsten Mitteln
greifen. So stellte sie jene kleinen, aus allen Seebädern hinreichend
bekannten Fischermotorboote zu einem Verband von 60 Fahrzeugen aus Laboe,
Schleimünde, Eckernförde, Sonderburg usw. zusammen und verteilte
diese bei einsetzender U-Boots-Gefahr - mit Matrosen
bemannt - schachbrettförmig in einem Abstand von 5 sm
über die gesamte Kieler Bucht. Es waren dies vorgeschobene "Augen", die
nur "sehen" und warnen sollten. Vielleicht ist es zum großen Teil diesen
braven, in ihren offenen Booten Wind und Wetter und Schnee und Kälte
ausgesetzten Seeleuten zu danken, wenn in der Kieler Bucht kein
U-Boot einen Erfolg zeitigen konnte.
Bei der mit Einsetzen der günstigeren Jahreszeit sich steigernden
U-Boots-Gefahr entschloß sich der Chef der
Küstenschutz-Division dazu, im Fehmarn Belt eine Minensperre
vorzutäuschen. Dies geschah durch Anordnung bestimmter
zickzackförmiger Kurse für die den Fehmarn Belt passierenden
Fahrzeuge und durch Einrichtung eines regelmäßigen Lotsendienstes.
Diese Scheinsperre sollte abschreckend wirken. Eine wirkliche Sperre war mit
Rücksicht auf die knappen Vorräte an Minen für die westliche
Ostsee nur für den äußersten Notfall vorgesehen.
Ein schwedischer Dampfer, der sich [bei] dem Passieren der Fehmarn
Belt-Passage durch keinerlei Warnsignale von dem verbotenen Teil fernhalten
lassen wollte, mußte seine Verwegenheit mit seinem durch Rammen des
Wachfahrzeuges "Silvana" verursachten Untergang bezahlen.
Am 19. August 1915 zeigte ein Ereignis mit erschreckender Deutlichkeit der
Küstenschutz-Division, was für eine Gefahr ihr aus dem Sund heraus
drohte. Das englische U-Boot "E 13" war nach Passieren des Sundes
südlich davon festgekommen. Einem schnellen und richtigen
Entschluß folgend vernichtete es der Kommandant vom Torpedoboot
"G 132" sofort durch Artilleriefeuer, nachdem [156] er die Mannschaft
vorher durch Signal zum Verlassen des Bootes aufgefordert hatte. Da sich in der
Folge noch mehr U-Boote südlich des Sundes zeigten, wurde am 23.
September der Südausgang der Flintrinne durch
U-Boots-Minen (Minen mit kleinerer Ladung) gesperrt.
Der von den Engländern in der Ostsee intensiv geführte
U-Boots-Krieg sollte im Herbst noch einmal besonders empfindlich in die
Erscheinung treten. Am 3. Oktober wurde ein deutscher Handelsdampfer von
einem aufgetaucht fahrenden U-Boot bei Rügen durch Artilleriefeuer
versenkt, und am 7. November 2 Uhr Nm. erhielt "Undine", die als
Patrouillenkreuzer der Sundbewachung und dem Handelsverkehr in der mittleren
Ostsee als Rückhalt dienen sollte, zwischen Arkona und Trelleborg zwei
Torpedotreffer, die dem wackeren alten Ostseekämpen den Todesstoß
versetzten. Die Besatzung wurde von dem Begleitboot "V 134" bis auf 6
Tote und 18 Vermißte gerettet. Diese Ereignisse führten zu einer
weiteren Verstärkung der Minensperren vor den Ostseezugängen,
besonders vor dem Sund.
Wie die Engländer einen ausgedehnten U-Boots-Krieg führten, so
widmeten sich die Russen einem intensiven Minenkrieg. Das Jahr 1915 fing in
dieser Beziehung außerordentlich ungünstig an.
Am 5. Januar lief der deutsche Dampfer "Latona" in der Höhe von Scholpin
an der pommerschen Küste auf Minen und sank; ihm folgte am Tage
darauf das Führerboot der Hilfsminensuch-Division Swinemünde
(aus kleinen, verhältnismäßig tief gehenden Dampfern
bestehend) zwischen der Stolpe-Bank und dem Festlande mit ihrem Chef,
Kapitänleutnant Bertenburg, an Bord; außerdem fanden 15 Mann
dabei ihren Tod. Am 25. Januar, 1 Uhr Vm., erhielt "Augsburg", als
sie von einer Unternehmung aus der Aalandsee zurückkehrte, östlich
Bornholm einen schweren Minentreffer, und bei dem Versuch, diesem schwer
havarierten Schiff zu Hilfe zu kommen, lief "Gazelle" etwa 12 Stunden
später nördlich Arkona auf eine Mine. Beide Schiffe konnten in
schwer beschädigtem Zustande nach Stettin eingebracht werden.
Diese vier Fälle von Minentreffern im ersten Monat des Jahres an
verschiedenen, nicht vermuteten Stellen, beleuchteten blitzartig die
Geschicklichkeit der Russen im Minenkrieg. Sie haben es verstanden, an
navigatorisch wichtigen Stellen ihre Sperren zu werfen, und sind den Deutschen
für die Folge dadurch zu Lehrmeistern im Minenkrieg geworden.
Das Wegräumen und genaue Feststellen dieser Sperren machte sehr
große Schwierigkeiten, da nur sehr beschränkte
Minensuchkräfte zur Verfügung standen und diese zum Teil einen
sehr großen Anmarsch (z. B. zur Sperre östlich Bornholm) zu
überwinden hatten.
In der westlichen Ostsee fiel den Booten der IV. Flottille am Sund eine
aufreibende und verantwortungsvolle Tätigkeit im Dienste des
Handelskrieges zu. Diese stellte noch höhere Anforderungen an die Boote
als die rein militärischen [157] Aufgaben. Es handelte
sich nicht nur um einen ausgedehnten Untersuchungsdienst; vor allen Dingen
mußte die Entscheidung nach erfolgter Untersuchung in strenger
Übereinstimmung mit den bestehenden Bestimmungen und Abmachungen
mit den neutralen Staaten erfolgen. Dazu kam, daß die weitestgehende
Berücksichtigung einer möglichst geringen navigatorischen
Behinderung der Handelsschiffahrt vor dem Sund nur langsam überwunden
werden konnte und die deutschen Bewachungsstreitkräfte nur ganz
allmählich immer näher an die Flintrinne selbst herangeschoben
wurden. In dem Maße aber wiederum, wie durch die Sperrungen und das
Heranrücken der Bewachungsstreitkräfte an die enge Flintrinne die
Aussichten für ein unbehelligtes Passieren der Handelsschiffe sich
verschlechterten, suchten letztere sich immer mehr Wege im fremden
Hoheitsgebiet nutzbar zu machen, ein Bestreben, das durch das Ausbojen der
Kogrund-Rinne westlich von Falsterbo für 6 m tiefgehende Schiffe
von den Schweden unterstützt wurde.
Diese Maßnahme erforderte anderseits von der Bewachung eine
Verzettelung ihrer Kräfte, insoweit, als ein Teil der Fahrzeuge da
aufgestellt werden mußte, wo die Handlesschiffahrt noch außerhalb
des Hoheitsgebiets blieb.
So waren die wenigen Seestreitkräfte am Sund in einer dauernden
Kampfstellung, nicht nur den feindlichen U-Booten, sondern auch all jenen
vielfachen Bestimmungen gegenüber, und es war für die
Kommandanten nach mühevollem, bei schlechtem Wetter oft
seemännisch recht schwierigen Untersuchungsmanöver nicht leicht,
einen Dampfer bestimmungsgemäß entlassen zu müssen, den
sie als gute Soldaten nur zu gern als "gute Prise" den deutschen
Prisenbehörden in Swinemünde zugeführt hätten.
Der erste Monat im Kriegsjahr 1915 zeigt trotz der schlechten Jahreszeit noch
eine verhältnismäßig rege Tätigkeit der
Seestreitkräfte des detachierten Admirals in der östlichen Ostsee.
Vor Einsetzen der starken Vereisung sollten nach den Richtlinien des
Ostseebefehlshabers noch zwei Unternehmungen durchgeführt werden: ein
Handstreich gegen Utö, jene kleine festungsartig als
U-Boot-Stützpunkt ausgebaute Schäre halbwegs zwischen Aaland
und Hangö, und ein kräftiger Schlag gegen den feindlichen Handel
und schwedischen Konterbandehandel in der Aalandsee. Für die erste der
beiden Unternehmungen sollte auch noch ein U-Boot im Eingang zum Finnischen
Meerbusen eine Wartestellung einnehmen.
Der Handstreich gegen Utö war so gedacht, daß "Thetis" mit den
Torpedobooten der 20. Halbflottille unter Minensicherung durch zwei
vorausfahrende Torpedoboote mit Suchgerät nach Utö eindringen,
"Prinz Adalbert" zur Unterstützung dahinter stehen und von den Kleinen
Kreuzern "Augsburg" nach Osten, "Lübeck" nach Westen sichern sollte.
Der eigentliche Überfall sollte überraschend in der
Morgendämmerung erfolgen. Leider konnte die Unternehmung, die
planmäßig begonnen wurde und die Streitkräfte bis vor
Utö führte, nicht bis zu Ende [158] durchgeführt
werden, da starkes Schneetreiben einsetzte, die Navigierung unsicher wurde und
durch diese Hemmnisse das Moment der Überraschung ausgeschaltet
worden wäre.
Auch die zweite Unternehmung hatte nicht den gewünschten Erfolg. Wohl
erreichte "Augsburg" mit der 20. Halbflottille die Aalandsee, traf dort aber
weder Handel noch Feind an. "Prinz Adalbert", der, bei Gotland eine
Aufnahmestellung einnehmend, das günstige Wetter zu einer
Beschießung Libaus von Norden her ausnutzen wollte, kam in der Nacht
vom 24. zum 25. Januar bei Steinort nördlich Libau angesichts der
feindlichen Signalstation fest. Die Lage für das Schiff, das bereits von Land
aus ansignalisiert wurde und in seiner Not mit den gleichen Signalzeichen
antwortetet, war außerordentlich unangenehm; einer genialen Idee des
Admiralstabsoffiziers jedoch - die Torpedoboote in geschlossener
Formation mit hoher Fahrt hinter dem Schiff vorbeifahren zu lassen und durch die
von ihnen aufgeworfene Hecksee das Schiff in Bewegung zu bringen, und es dann
unter Mitbenutzung der eigenen Maschinen wieder
flottzubekommen - ist es zu danken, daß das Schiff
verhältnismäßig schnell wieder freikam, ehe der Gegner von
der Seeseite angreifen konnte. Schwer havariert, mit 400 Tonnen Wasser im
Schiff, kehrte "Prinz Adalbert" heim, wobei es später sogar noch der bei
Bornholm auf Mine gelaufenen "Augsburg" Hilfsstellung leisten mußte.
Am gleichen Tage mußte das Luftschiff "P L 19" unter Oberleutnant Meier
in der Nähe von Libau unter dem Druck einer großen Schneelast und
infolge Gasverlustes auf das Wasser niedergehen und wurde durch Artilleriefeuer
zerstört; die Besatzung geriet in Gefangenschaft.
Alle diese Ereignisse zeigen, daß der russische Winter eingesetzt hatte und
das unsichtige Wetter für See- und Luftschiffunternehmungen nicht mehr
geeignet war.
Die U-Bootsunternmehmungen wurden nunmehr vorläufig auch eingestellt;
die modernen U-Boote, "U 23", "U 25" und "U 26" wurden
bei Beginn der verschärften U-Bootstätigkeit in der Nordsee (18.
Februar) wieder den Hochseestreitkräften zugeteilt.
Die nächste wichtige maritime Tätigkeit führte nach
Memel.
Von hier war am 17. März, als russische Reichwehr in Stärke von
etwa 4000 Mann aus Libau im Anmarsch auf Memel war, ein Hilferuf auch an
den Ostseebefehlshaber gegangen.
Diesem sofort nach dem Großen Hauptquartier weitergegebenen Ruf
entsprechend war zunächst beabsichtigt, eine großzügige
Hilfsaktion unter Beteiligung von Hochseestreitkräften anzusetzen und
gleichzeitig als Vergeltungsmaßregel Libau zu beschießen. Da jedoch
die Zeit außerordentlich drängte, eine Beschießung von Libau
überdies wegen des voraussichtlich doch nur gering
einzuschätzenden Erfolges den hohen Einsatz wertvoller Flottenteile nicht
rechtfertigte, so wurde der detachierte Admiral mit "Thetis" beschleunigt nach
Memel ent- [159] sandt; ihm folgte "Stralsund" mit einer Halbflottille der IX. Flottille. Leider gelang es den
Schiffen nicht mehr, das alte Memel-Städtchen zu retten, am 18.
März abends rückten die Russen ein. Lange sollte ihnen jedoch die
Freude an ihrem Raubzug nicht gewährt werden; die Armee bereitete sofort
einen Gegenstoß vor, um die Russen wieder hinauszuwerfen, und erbat dazu
die Hilfe der Marine, die von der Seeseite aus den Russen die
Rückzugsstraßen durch Unter-Feuer-Halten abschneiden sollte. Zu
diesem Zweck wurde die III. Aufklärungsgruppe
(S. M. SS. "Graudenz", "Straßburg", "Stralsund",
"Regensburg") und die II. Torpedobootsflottille unter Kontreadmiral
Hebbinghaus entsandt, die sich vorher mit den Streitkräften des
detachierten Admirals vereinigte.
Das Eingreifen der Seestreitkräfte erfolgte planmäßig; am 23.
März morgens wurde als Vergeltung das Schloß Polangen
nördlich der Grenze und daran anschließend die
Rückzugsstraße Polangen - Libau beschossen.
Im engen Zusammenhang mit jenem Überfall auf Memel sind die folgenden
Ereignisse, die sich bei Memel und in weiterem Verlauf bei Libau abspielten, zu
betrachten.
Vorher muß jedoch noch kurz eine Neuorganisierung in der östlichen
Ostsee erwähnt werden. Die Kriegsleitung hatte im Hinblick auf die mit
Sommer 1915 zu erwartende regere Tätigkeit der Russen dem
Ostseebefehlshaber für den Osten außer dem Panzerkreuzer "Prinz
Adalbert" noch die beiden alten, in der Nordsee schlecht verwendbaren
Panzerkreuzer "Prinz Heinrich" und "Roon" und außerdem eine aus alten
Booten zusammengestellte X. Flottille zugeteilt. Dazu traten außer
den bereits vorhandenen Kleinen Kreuzern ("Augsburg", "Lübeck",
"Thetis") und der Hilfsminensuch-Division Neufahrwasser (aus Fischdampfern
bestehend) die Hilfsminensuch-Division Swinemünde (aus 2
Mutterschiffen "Indianola" und "Inkula" und je 6 Motorbooten bestehend), das
Flugzeugmutterschiff "Answald", das Lazarettschiff "Schleswig" und 4
Vorpostenboote (Kieler Hafendampfer). Diese
Aufklärungsstreitkräfte der Ostsee (A. d. O.) wurden
dem Kontreadmiral Hopman unterstellt. Als 2. Admiral trat Kommodore
Kapitän zur See v. Karpf zum Verband, ihm lag im besonderen die
Führung der leichten Seestreitkräfte ob; die X. Flottille erhielt
als Chef den Korvettenkapitän Wieting, dessen Namen im
Torpedobootskrieg der Ostsee stets einen besonders guten Klang behalten
wird.
Die Armee beabsichtigte, am 27. April auf der Linie Tilsit - Memel die Grenze zu
überschreiten, um sich in den Besitz des Gebiets westlich der Linie
Kielmy - Telsze zu setzen, und erbat dazu die Unterstützung
der Marine. Diese wurde ihr durch leichte Streitkräfte (Kleine Kreuzer und
Torpedoboote) unter dem Kommando des Kommodore v. Karpf von
Memel aus gewährt. Sie bestand zunächst darin, daß die
Küste nördlich Memel (bei Bullendieckshof) mehrfach beschossen
und durch Demonstrationen vor Libau eine Landung dort vorgetäuscht
wurde, um die russischen Landtruppen in ihrem Rücken zu beunruhigen.
[160] Bald aber zeigte sich,
daß die Armee, im guten Fortschreiten begriffen, Anfang Mai Libau zu
nehmen beabsichtigte und dazu weitgehende Unterstützung durch die
Marine bedurfte. Admiral Hopman wurde angewiesen, in engem Einvernehmen
mit der Armee Libau zu nehmen, während der Ostseebefehlshaber zur
Deckung des ganzen Unternehmens nach Norden gegen den Rigaischen und
Finnischen Meerbusen die VII. Linienschiffs-Division unter Vizeadmiral
Schmid (4 Schiffe der "Wittelsbach"-Klasse) und eine Aufklärungsgruppe
(die IV., bestehend aus S. M. SS. "Stuttgart", "Stettin",
"München", "Danzig") und zwei Flottillen unter Kontreadmiral Scheidt aus
der Nordsee erbat und erhielt. Zur Vorbereitung erhielt Kommodore
v. Karpf den recht schwierigen Auftrag, einen minenfreien Anmarsch von
Memel nach Libau herzustellen und das Seegebiet vor Libau als
Bombardementsstellung für die schweren Schiffe minenfrei zu machen. In
sechstägiger mühevoller Arbeit, die merkwürdigerweise nicht
von russischen Seestreitkräften gestört wurde, gelang es dank der
opferfreudigen, unermüdlichen Arbeit der Minensucher und
Minenräumer, die Aufgabe zu lösen. Am 7. Mai des Morgens
konnten, nachdem zunächst dichter Nebel die Schiffe an der
planmäßigen Bewegung gehindert hatte, sämtliche Schiffe ihre
vorher festgelegten Bombardementsstellungen einnehmen. Die Panzerkreuzer
lagen in der Mitte, um gegebenenfalls den Rücken der Angriffsfront, also
die alten Befestigungsanlagen zwischen den beiden Seen im Osten der Stadt, unter
Feuer zu nehmen, "Beowulf" und "Thetis" lagen vor den Nordforts, "Augsburg"
und "Lübeck" vor den Südwerken. Die Unterstützung durch
die Seestreitkräfte erfolgte planmäßig durch
Beschießung, besonders wirksam war das Feuer der Südgruppe unter
Kommodore v. Karpf, das, sobald die Beschießungstruppen die
Angreifer beschießen wollten, die Südforts bestrich und den
Verteidiger in die Unterstände zurückdrängte.
Am Abend des 7. Mai konnte Libau genommen gemeldet werden. Daß es so
schnell gelang, trotz der verhältnismäßig geringen angesetzten
Landstreitkräfte, ist das große Verdienst der Marine, eine Leistung,
die auch sofort rückhaltlos von ihrer ruhmreichen großen Schwester,
der Armee, anerkannt wurde.
Als merkwürdige Erscheinung muß noch erwähnt werden,
daß erst am letzten Tage die Russen mit 4 Panzerkreuzern und einigen
Torpedobooten einen Vorstoß auf Libau versuchten, sie aber diesen
Versuch beim Auftreten auf die deutsche Vorpostenlinie (kurzes Gefecht mit
"München" und 2 Torpedobooten) sofort wieder aufgaben. Libau war ihnen
anscheinend keinen größeren Einsatz mehr wert.
Um so wertvoller war dieser russische Kriegshafen für die deutsche
Seekriegsleitung. Er schob den maritimen rechten Flügel um etwa
160 sm (Libau - Danzig = 160 sm5) weiter vor, gewährte den
deutschen Streitkräften nach den [161] nötigen
Aufräumungsarbeiten einen vorzüglichen Stützpunkt und
bedrohte alle nach der mittleren Ostsee angesetzten russischen Unternehmungen
in der Flanke. Es ist für die Folge der Hauptstützpunkt in der
östlichen Ostsee geworden.
Mit dem Besitz von Libau war die Position der Marine in der Ostsee um ein
bedeutendes gebessert. Es galt, nachdem die Gefahr des Wiederaufgebens dieses
wichtigen Hafens beseitigt war, ihn gegen feindliche Überfälle von
See her zu schützen und zu sichern. Da die Nordseestreitkräfte sofort
nach der Einnahme wieder abgegeben werden mußten, die
Ostseestreitkräfte den Russen gegenüber aber viel zu schwach waren,
mußte zunächst mit einem Bombardement durch die russischen
schweren Streitkräfte gerechnet werden. Diese Gefahr bestand um so mehr,
als die "Gangut"-Schiffe bereits gefechtsbereit waren, wie sich aus der Aussage
eines gefangenen russischen Fliegeroffiziers ergab.
Gleichzeitig mußte man darauf gefaßt sein, daß die Russen,
entsprechend ihrer Tätigkeit vor Swinemünde und Danzig, nun auch
das "Vorgelände" vor Libau ausgiebig mit Minen verseuchen
würden.
Um solche etwaige Absichten zu stören, griff man zur Mine. Es wurden
daher in der kommenden Zeit zahlreiche Minenunternehmungen
durchgeführt, um die Ausgänge aus dem Rigaischen und Finnischen
Meerbusen und die navigatorisch wahrscheinlich erscheinenden
Verbindungskurse dieser Meerbusen mit der offenen Ostsee mit Minen zu
verseuchen.
Mit Rücksicht auf die große U-Bootsgefahr und den durch sie
bedingten erforderlichen Torpedobootsschutz für Schiffe konnten diese
Unternehmungen, da Torpedoboote für alle Schiffe nicht in
genügender Anzahl zur Verfügung standen, nur jeweils von einem
Teil der Ostseestreitkräfte ausgeführt werden. Man half sich dadurch,
daß man einmal die wenigen schnellen Streitkräfte ansetzte, sich also
des Faktors der "Geschwindigkeit" als Schutz bediente, während man das
andere Mal das Gros, d. h. die langsamen, schweren Streitkräfte,
heranzog, sich also auf die "Kraft" stützte.
Immerhin konnte ein solches Disponieren nur einen Notbehelf unter dem Zwang
der Verhältnisse darstellen, und der 2. Juli 1915 lieferte die Quittung auf
dieses Verfahren. Bei der Rückkehr von einer Minenunternehmung nach
der nördlichen Ostsee stießen "Augsburg" und "Albatroß" auf
dem Marsch nach Danzig, nachdem vom führenden II. Admiral kurz
vorher "Roon" und "Lübeck" nach Libau detachiert worden waren, in
unsichtigem Wetter in der Höhe von Östergarn (Ostgotland) auf 4
russische Panzerkreuzer. Das langsame Minenschiff "Albatroß" war nicht
zu retten; zwar erreichte es unter tapferem Widerstand unter seinem ritterlichen
Kommandanten, Kapitän zur See West, das schwedische Hoheitsgebiet
unter Gotland, wurde aber dort von den Russen zusammengeschossen.
"Augsburg" entrann unter Ausnutzung ihrer höheren Geschwindigkeit nur
mit knapper Not einem gleichen Schicksal und konnte sich [162] nachher mit den
inzwischen wieder herangerufenen Kreuzern "Roon" und "Lübeck"
vereinigen. Dieser Vereinigung ist es zu verdanken, daß bei der kurz darauf
erfolgenden neuen Begegnung mit dem Feinde, und zwar mit dem modernen
russischen Panzerkreuzer "Rurik", dieser in der hervorragend schießenden
"Roon" einen annähernd ebenbürtigen Gegner antraf und durch
mehrere gutsitzende Treffer zum Ablassen von den schwachen deutschen
Streitkräften gezwungen wurde.
Der Versuch des I. Admirals der Aufklärungsstreitkräfte der Ostsee,
mit den beiden Panzerkreuzern "Prinz Adalbert" und "Prinz Heinrich" von
Danzig aus zu Hilfe zu kommen, mißlang. "Prinz Adalbert" wurde kurz
nach Passieren von Hela von einem englischen U-Boot torpediert und konnte nur
mit Mühe, über den Achtersteven steuernd, unter der vorbildlichen
Führung seines Kommandanten, des Kapitäns zur See Michelsen, in
den Hafen eingebracht werden. Die Knappheit an Torpedobooten als
U-Bootschutz trat hier also deutlich in die Erscheinung, es standen für die
beiden Panzerkreuzer nur zwei Torpedoboote zur Verfügung.
Dieser Mißerfolg in Verbindung mit dem längeren Ausfall eines der
wenigen Panzerkreuzer führte zu der Verlegung des
IV. Geschwaders (5 "Wittelsbach"- und 2
"Braunschweig"-Schiffe) in die östliche Ostsee. Ihm wurde die
VIII. Flottille zugeteilt. Die nicht unerhebliche Verstärkung der
östlichen Ostsee hatte die beschleunigte Herrichtung der Marineanlagen in
Libau zur Folge, das nun auch etwa Mitte Juli in den beiden alten, als
schwimmende Batterien in den Vorhafen verlegten Linienschiffen des
V. Geschwaders, S. M. SS. "Brandenburg" und
"Wörth", einen dauernden Schutz gegen die Seefront erhielt.
Das IV. Geschwader sollte bald nach seiner Ankunft im Osten vor eine
größere Aufgabe gestellt werden. In der zweiten Hälfte des Juli
ließ der Oberbefehlshaber Ost den Ostseeoberbefehlshaber wissen,
daß die Armee bis zur Straße
Schaulen - Mitau vorgehen, den russischen rechten Flügel von
Norden her unter gleichzeitiger offensiver Sicherung gegen Mitau aufzurollen
beabsichtigte und sie in dieser Phase der Operationen in einem demonstrativen
Auftreten stärkerer Flottenteile an den Küsten des Rigaischen
Meerbusens eine nicht unerhebliche Unterstützung erblicken würde,
da man dadurch feindliche Kräfte östlich von Riga und der
Düna binden könnte.
Die Aufforderung der Armee wurde angenommen. Die sehr schwierige Operation,
mit der der Chef des IV. Geschwaders, Vizeadmiral Ehrhard Schmidt, als
Chef der "Oberleitung" betraut wurde, mußte so angesetzt werden,
daß der Einbruch in den Rigaischen Meerbusen durch die hartnäckige
Minenverteidigung hindurch möglichst am ersten Operationstag bis
spätestens Mittag erfolgen und noch am gleichen Tage vor Dunkelwerden
der Südausgang des Moonsundes durch Minen gesperrt werden konnte. Erst
die Sperrung des Moonsundes gegen feindliche [163] U-Boote und leichte
Streitkräfte ermöglichte den eigenen Streitkräften ein freies
Operieren innerhalb des Riagischen Meerbusens. Außerdem mußte
auf eine Verblockung des Hafens von Pernau durch Blockschiffe Bedacht
genommen werden, da man in Pernau einen
U-Bootsstützpunkt vermutete.
Der Ostseebefehlshaber beabsichtigte, mit dieser Hauptaufgabe noch eine zweite
Aufgabe zu verbinden. Die zur Rückensicherung der im Rigaischen Busen
operierenden Flottenteile in die nördliche Ostsee zu entsendenden
Seestreitkräfte sollten in dem Seegebiet nördlich Gotland kreuzen,
um die etwa auf die Riga-Unternehmung hin aus dem Finnischen Meerbusen
auslaufenden feindlichen Schiffe zum Kampf zu stellen und zu schlagen.
Die großzügige, in diesem Sinne angelegte Unternehmung wurde am 8.
August eingeleitet. Leider stand sie unter einem ungünstigen Stern. Die
Minenverteidigung der Russen im Eingang zum Rigaischen Meerbusen erwies
sich als so stark, daß gegen 1 Uhr Mittags erst ein Teil der
Minensperren durchbrochen war, und dieser Teileinbruch bereits mit
verhältnismäßig hohen Verlusten hatte erkauft werden
müssen. An eine rechtzeitige Sperrung des Moonsundes war daher nicht
mehr zu denken. Somit mußte mit dem Eindringen feindlicher
U-Boote von Norden her in den Riga-Busen gerechnet werden, gegen die man
infolge Ausfalls zahlreicher leichter Streitkräfte beim Einbruch nur recht
mangelhaft geschützt war. Schweren Herzens entschloß sich daher
der Chef der "Oberleitung", an diesem Tage die Operationen abzubrechen und sie
erst nach Ergänzung der Kohlenbestände aller Streitkräfte auf
anderer Basis in Angriff zu nehmen. Dabei mußte er damit rechnen,
daß die unvermeidliche Zwischenpause vom Gegner zur Verstärkung
und Vervollkommnung der Minensperren ausgenutzt werden würde.
Am 15. August wurde die Unternehmung zum zweiten Male angesetzt. Als
wesentliche Änderung ist zu erwähnen, daß der Chef der
Oberleitung diesmal nicht die wenig sinksicheren alten Linienschiffe des
IV. Geschwaders für das Eindringen in den
Riga-Busen vorsah, sondern zwei Schiffe des
"Dreadnought"-Typs, S. M. SS. "Posen" und "Nassau", zu
diesem Zweck heranzog. Er selbst schiffte sich auf "Posen" ein. Die Sicherung
vor dem Finnischen Meerbusen übernahmen die modernen Panzerkreuzer
der I. Aufklärungsgruppe und das I. Geschwader nach
Anweisung des Vizeadmirals Hipper.
Zur Schaffung des minenfreien Wegs in den Riga-Busen hinein wurde die I. und
III. Minensuch-Division (kleine Torpedoboote), die
Hilfsminensuch-Division Swinemünde ("Indianola" und "Inkula" mit je 6
Motorbooten) und die Hilfsminensuch-Division Neufahrwasser (Fischdampfer)
angesetzt. Die Deckung dieser Verbände bei ihrer schwierigen,
mühevollen Arbeit wurde dem Kleinen Kreuzer "Bremen" und den
Linienschiffen "Posen" und "Nassau" übertragen; sie war
außerordentlich notwendig, da die Russen mit dem Linienschiff "Slawa"
artilleristisch ihre Sperren sehr geschickt verteidigten.
[164] Für den
Einbruch waren außer den beiden genannten Linienschiffen noch
vorgesehen:
- Hilfsstreuminendampfer "Deutschland" mit 500 Minen für den
Moonsund,
- S. M. S. "Pillau" zur Begleitung des Streuminendampfers,
- S. M. S. "Bremen" zur Aufklärung und Säuberung der
Arensburger Bucht,
- S. M. S. "Augsburg" zur Aufklärung und Säuberung der
Pernauer Bucht,
- S. M. S. "Graudenz" zur Absperrung des südlichen Teiles des
Riga-Meerbusens,
- die VIII., IX, und X. Torpedobootsflottille und die beiden modernen
Zerstörer "V 99" und "V 100".
Nach langer, überaus anstrengender Minensuch- und Räumarbeit,
wobei die Linienschiffe häufige Gefechte mit der immer von neuem
anlaufenden "Slawa" hatten und neben der schweren Beschädigung dieses
Schiffes die Vernichtung eines Torpedobootszerstörers als Erfolg buchen
konnten, gelang schließlich nach drei Tagen am 19. August bei Hellwerden
der Einbruch.
Die Aufklärung der Arensburger und Pernauer Bucht verlief
planmäßig; "Augsburg" versenkte dabei einen russischen
Handelsdampfer. Ebenso vollzog sich die Sperrung des Pernauer Hafens durch die
Blockschiffe unter Leitung des Admirals Hebbinghaus auf "Graudenz" nach
Wunsch ohne ernsten Zwischenfall. Dagegen mußte von der Sperrung des
Moonsundes Abstand genommen werden,
da bereits feindliche U-Boote den Eingang zum Moonsund und das
südliche Seegebiet davor wirksam verteidigten.
Die Nacht nach dem Einbruch brachte den deutschen Streitkräften einen
schönen Erfolg. Die beiden russischen Kanonenboote "Ssiwutsch" und
"Korejetz" glaubten noch vor dem Eindringen der Deutschen von Riga aus den
Moonsund erreichen zu können, hatten sich aber darin getäuscht. Sie
wurden von "Augsburg" entdeckt und sehr geschickt an die Linienschiffe
herangeführt, die ihnen in einem mit seinen grellen Lichteffekten
schaurig-interessant wirkenden Nachtgefecht den Todesstoß versetzten.
Hierdurch wurde der Untergang des Zerstörers "V 99" gerächt, der in
der Nacht vom 16. zum 17. August zusammen mit "V 100" vom Chef der
Oberleitung auf "Slawa" angesetzt worden war, dann aber nach vergeblichem
Suchen und kurzem Gefecht mit russischen Zerstörern beim Rückzug
auf das eigene Gros auf eine Mine lief und mit Rücksicht auf die schweren
Beschädigungen am Eingang zum Riga-Busen gesprengt werden
mußte. Außer diesem Boot ging noch ein anderes Boot, "S 31",
durch Minentreffer bei der Insel Runö in der Mitte des Meerbusens
verloren; und von den außerhalb des Busens sichernden Streitkräften
erhielt S. M. S. "Moltke" einen Torpedotreffer von einem
U-Boot [165] am Bug, der allerdings
nur seine Geschwindigkeit auf 15 sm herabzumindern imstande war.
Am 21. August fand dieses Unternehmen sein Ende, das in der Entlastung der
Armee den gewünschten Erfolg gebracht hatte; leider erlaubte die
Unentbehrlichkeit der schweren Streitkräfte in der Nordsee damals noch
nicht, den vorübergehenden Erfolg durch Behaupten des Meerbusens zu
einem dauernden auszubauen.
Mit der Riga-Unternehmung fanden die großen Operationen im Jahre 1915
ihren Abschluß.
Die U-Boots-Unternehmungen schienen, nachdem in den ersten Monaten des
Jahres die modernen U-Boote bis auf "U 26" und "U A" nach der
Nordsee verlegt worden waren, in der Ostsee zugunsten der Nordsee
gänzlich zurücktreten zu sollen. Jedoch zeigten die verschiedenen
Vorstöße der Russen sehr
bald - hinzu kamen die Nachrichten über die Fertigstellung der
"Gangut"-Schiffe -, daß man ohne U-Boote in der Ostsee nicht
auskommen könnte. So wurden im Laufe des Sommers die älteren
U-Boote "U 9", ""U 10", "U 17" und das kleine, moderne
Minen-U-Boot "U C 4" der östlichen Ostsee zugeteilt.
Mannigfache Vorstöße dieser kleinen, für ihre großen
Brüder bei jedem Wetter so wacker eintretenden Kämpen haben die
Russen in Schach zu halten verstanden; mehrere empfindliche Verluste durch
diese U-Boote zeigten dem Feinde, daß er sich nicht ungestraft aus seinem
Hafen rühren durfte. So vernichtete Anfang Juni "U 26" unter
seinem alten bewährten Kommandanten das russische Minenschiff
"Jenissei" im Finnischen Meerbusen mit voller Minenladung, Mitte August
"U 9" (Kommandant Oberleutnant zur See Spieß) ein russisches
Zufuhrschiff oder einen Sperrbrecher in demselben Gebiet, und Anfang November
fügte "U 9" seinen alten Lorbeeren durch
Versenkung eines Minensuch-Führerfahrzeuges im Ausgang des Finnischen
Meerbusens neue hinzu.
Diese auch nach außen hervortretenden schönen Erfolge
vergrößerte das kleine U-Boot "U C 4" (Kommandant
Oberleutnant zur See Vesper) durch stille Ruhmestaten. Mit
außerordentlichem Schneid und bewunderungswürdiger
navigatorischer Geschicklichkeit wußte es sich in den schlecht vermessenen
Finnischen Schären zurechtzufinden und die von den Russen benutzten
Schären-Ausfahrten mit Minen zu sperren. So klein das Boot mit seiner
Besatzung von nur 14 Köpfen war, um so bedeutungsvoller war seine
Tätigkeit, und es mußte auf den Gegner einen niederschmetternden,
lähmenden Eindruck machen, wenn er plötzlich innerhalb seiner
für unnahbar gehaltenen Schären ganz unvermutet auf eine Mine
lief.
Gleich den U-Booten gaben die Luftstreitkräfte in ihrem Element ihr Bestes
her. Das Erscheinen der zahlreichen Bewachungsstreitkräfte im Eingang
zum Rigaischen Meerbusen, die im allgemeinen hinter ihrem Minenschutz
für schwimmende Streitkräfte nicht erreichbar waren, hatte zur
Verlegung von Flugzeugmutterschiffen (nacheinander "Glyndwr", "Answald" und
"Santa Elena") in [166] die östliche
Ostsee geführt, und von dieser aus griffen die Flugzeuge
unermüdlich und vielfach mit guten Erfolgen an.
Über dieses engere Gebiet hinaus betätigten sich die beiden dem
östlichen Seebefehlshaber zugeteilten Luftschiffe "L 5" und
"S L 4". "L 5" wurde bei einem Angriff auf Riga Anfang Juli
wundgeschossen und konnte den Heimathafen nicht mehr erreichen, landete
jedoch innerhalb der eigenen Linie und wurde abmontiert. "S L 4"
bewarf in einem erfolgreichen Nachtangriff Baltischport und die dahin
führenden Bahnanlagen mit Bomben. "S L 6", das
Ersatz-Luftschiff für "L 5", explodierte am 18. November kurz nach
dem Aufstieg über seiner Halle Seddin.
Die Tätigkeit der Seestreitkräfte bestand hauptsächlich in einer
Dauerbewachung der Enge Gotland - Kurland und einem
Dauerpatrouillendienst an der schwedischen Küste, wo englische
U-Boote ihr Unwesen trieben. Die Enge Gotland - Kurland war
durch Auslegung von Minensperren unter Gotland und unter Kurland noch weiter
verengert worden; die Sperre selbst wurde durch Vorpostenboote, die hinter den
Sperren standen, die Lücke zwischen den Sperren dagegen bei Nacht von
einem Kleinen Kreuzer und einer Torpedobootshalbflottille, bei Tage nur von
Torpedobooten bewacht. Als Stützpunkt für diese
Bewachungsstreitkräfte diente in der Hauptsache Windau. Der
Handelsschutz und die Bewachung der Enge westlich Gotlands wurde durch einen
Dauerpatrouillendienst von Torpedobooten ausgeübt, die etwa 42 Stunden
in See waren und dann ungefähr 36 Stunden Hafenruhe hatten.
Dieser aufreibende Bewachungsdienst, der besonders für die leichten
Streitkräfte bei den herrschenden rauhen Wetterverhältnissen des
Spätherbstes und der geringen Ablösungsmöglichkeit
außerordentlich beschwerlich war, zeitigte leider gegen Ende des Jahres
empfindliche Verluste. Am 23. Oktober wurde "Prinz Adalbert", der
aushilfsweise in die Bewachungslinie gehen sollte, etwa 20 sm westlich
von Libau von einem englischen U-Boot torpediert. Eine ungefähr 80 bis
100 m hohe Detonationssäule verkündete den begleitenden
Torpedobooten nach etwa einer Minute, daß von dem 9000 t
großen Schiff mit etwa 700 Mann Besatzung nur noch 3 Mann und einige
kleine Wrackteile übriggeblieben waren. Am 30. November wurde ein
Vorpostenboot an der Sperre unter Kurland von Zerstörern aus dem
Riga-Busen vernichtet; am 17. Dezember liefen "Bremen" und "S 91" kurz
nach dem Auslaufen aus Windau auf Minen und sanken, und am 23. Dezember
beschloß "S 177" ebenfalls infolge eines Minentreffers vor Windau
die Reihe der für die Ostsee nicht zu ersetzenden Verluste.
Ungeachtet all dieser Verluste blieb jedoch der Siegeswille bei Offizier und Mann
ungebeugt, und mit heller Begeisterung begrüßten die braven
Ostseeverteidiger ihren obersten Kriegsherrn, der am Schlusse des Jahres ihre
Leistungen durch seinen persönlichen Besuch in Libau auszeichnete und
dadurch dem schweren Jahr einen harmonischen Ausklang verlieh.
[167] Das
Kriegsjahr 1916.
Das Jahr 1916 ist das Jahr des ausgesprochenen Kleinkrieges. Alle Mittel und
Mittelchen, die in Ermangelung großer Kampfmittel zur Schädigung
des Gegners ausgenutzt werden konnten, wurden herangezogen.
Das Bild in der westlichen Ostsee konnte sich nach Lage der Dinge gegen das Jahr
1915 nur wenig verändern. Verhinderung englischer Angriffe auf die
Ostseezugänge und des Eindringens feindlicher
U-Boote in die Ostsee blieb nach wie vor in Verbindung mit der
Handelsüberwachung am Sund die Hauptaufgabe der
Küstenschutz-Division.
Das Hauptaugenmerk richtete die Küstenschutz-Division auf die dauernde
Verstärkung der für fest ausgelegten maritimen
Verteidigungsanlagen. So wurde zunächst zu Anfang des Jahres die
Gjedser-Enge durch Stahlnetze neu gesperrt. Diese Sperrung wurde Ende
März durch weitere Netze und Minen vervollständigt. Ebenso
wurden die Sperren am Südausgang des
Langeland-Belts durch eine Zusatzsperre von großen Minen und
später auch durch Netze wirksamer gestaltet.
Am wichtigsten jedoch waren die Sperrmaßnahmen am Sund. Das
Heranrücken der deutschen Bewachung an die enge Flintrinne und die
dadurch bedingte Herabsetzung der Möglichkeit des Entkommens
für verdächtige Handelsschiffe
hatte - unter Unterstützung durch Schweden in Gestalt der
Vervollkommnung der navigatorischen Maßnahmen in der
Kogrund-Rinne -, wie bereits erwähnt, zur ausgiebigen Benutzung
dieses schwedischen Hoheitsfahrwassers geführt. Dadurch war der
Bannwarenschmuggel beträchtlich gewachsen, und nun trat mit Aufgang
des Eises noch die Gefahr hinzu, daß England nach dem glücklichen
Durchbringen einiger Dampfer im Frühjahr vollends alle seine in der
Ostsee befindlichen Dampfer - etwa 200 - durch die
Kogrund-Rinne nach der Nordsee überführen würde.
Um dieses zu verhindern, entschloß sich die Ostseekriegsleitung Ende
Februar, bei Falsterbo, d. h. auf der Ostseite des Südausgangs vom
Sund, die Ansteuerung der Kogrund-Rinne durch Minen zu sperren. Dadurch ging
zunächst zwar der Verkehr um Falsterbo etwas zurück; jedoch
ließ ihn die in Angriff genommene Vervollkommnung der
Fahrwasserbezeichnung bald wieder aufleben.
Mitte März wurde vor dem Sund ein Lichtsperrschiff, "Bothnia", ausgelegt.
Dieses sollte mittels seiner guten Scheinwerferausrüstung verhindern,
daß feindliche U-Boote unbemerkt aus dem Sund in die Ostsee oder
zurück durchbrechen konnten. Anfang April gesellte sich das
Flugzeugmutterschiff "Glyndwr" dazu. Seine Flugzeuge hatten den festen Befehl,
täglich nach Norden und Süden aufzuklären, sobald es das
Wetter nur irgend gestattete.
Als Hauptrückhalt für die gesamte Bewachung und Verteidigung am
Sund folgte dem Flugzeugmutterschiff Mitte April ein Linienschiff der
"Preußen"- [168] Klasse, das seinerseits
wieder durch Netze um seinen Ankerplatz herum gesichert wurde. Damit wurde
die Möglichkeit gegeben, einem überraschenden Auftreten englischer
Kreuzer, Monitore oder Zerstörer zwecks kurzer, gewaltsamer
Öffnung des Sundes zum Durchschlüpfen von
U-Booten entgegenzutreten.
Zum Schluß sei noch der Hilfsstreuminendampfer erwähnt, der vor
einem Durchbruch feindlicher Überwasserstreitkräfte auf besonderen
Befehl des ältesten Seebefehlshabers am Sund weitere Sperrungen
vornehmen sollte.
Eine wesentliche Änderung erfuhr die Lage am Sund durch das sogenannte
"Kogrund-Rinne-Abkommen", nach dem Schweden gegen deutsche
Zugeständnisse auf dem Gebiete der schwedischen Holzausfuhr die
Sperrung der Kogrund-Rinne vornahm. Nunmehr durften nur noch schwedische
Schiffe die Rinne passieren.
Die Folge davon war, daß die Patrouillenfahrten in die
Hanö-Bucht (Südschweden) und an die südschwedische
Küste zu Dampferverfolgungen merklich eingeschränkt und die
Vorstöße in das Kattegat zur Führung des Handelskrieges
vermehrt werden konnten. Diese Vorstöße wurden sowohl von
Torpedo- und Vorpostenbooten wie auch von den sogenannten Hilfsschiffen
(verkappte Hilfskreuzer, U-Bootsfallen) unternommen. Sie fanden meist nach
Anbruch der Dunkelheit statt, um ein Bemerken von schwedischer oder
dänischer Seite zu verhindern, und führten vielfach zum
Auf- und Einbringen von Bannwarenschiffen. Auf einem solchen Vorstoß
gelang es überdies dem Hilfsschiff "Vineta", nach Gefecht den englischen
Wilson-Dampfer "Eskimo" zu kapern und einzubringen.
In engem Zusammenhang mit diesen Offensivmaßnahmen gegen den
feindlichen und neutralen Bannwarenhandel standen die Schutzmaßnahmen
für den eigenen Handel. Sie fanden ihren Ausdruck in der Gründung
der "Handelsschutzflottille" und der "Suchflottille der Ostsee". Erstere
schützte den Handel durch Begleiten der deutschen und der in deutschem
Interesse fahrenden neutralen Handelsschiffe; letztere übte ihre
Schutztätigkeit dadurch aus, daß sie in der westlichen und mittleren
Ostsee das Seegebiet nach feindlichen
U-Booten und Minen absuchte. Beide Formationen, aus den verschiedenartigsten
Fahrzeugen zusammengewürfelt, haben dank der Tatkraft und Findigkeit
ihrer hervorragenden Flottillenchefs, des Kapitäns zur See Wolfram und
Korvettenkapitäns v. Rosenberg, glänzendes geleistet und
verdienen, im Rahmen des Ostseekriegs ganz besonders hervorgehoben zu
werden.
Zwei Hauptmomente gaben der Kriegführung durch
Überwasser-Seestreitkräfte in der östlichen Ostsee die
bestimmende Richtung für das Jahr 1916: Die restlose momentane
Vernichtung des Panzerkreuzers "Prinz Adalbert" Ende Oktober 1915 und der
allerorts in der Marine herrschende Personalmangel. Ersteres Ereignis zeigte in
blitzartiger Beleuchtung die Unzulänglichkeit der alten, mit mangelhaftem
Unterwasserschutz versehenen Panzerschiffe der Sprengwirkung moderner
Unterwasserwaffen gegenüber, und der Personalmangel machte das
Ausrangieren dieser alten Schiffe zu einer naheliegenden, natürlichen
Notwen- [169] digkeit. So wurden
bereits gegen Ende 1915 vier Schiffe der
"Wittelsbach"-Klasse aus dem Osten zurückgezogen; ihr folgten
"Mecklenburg" und der Panzerkreuzer "Roon" im Januar 1916. Im Osten
verblieben daher nur noch die beiden "modernsten" Linienschiffe,
"Braunschweig" und "Elsaß", und auch diese nur als vorläufiger
Ersatz für die von S. M. dem Kaiser bei seiner Anwesenheit in Libau
im Dezember 1915 angeordneten und bald darauf in Angriff genommenen
schweren Küstenbatterien. Fahrbereit waren diese beiden Schiffe nur
noch bedingt.
Die Kleinen Kreuzer, die vorübergehend zur Verstärkung der
östlichen Ostsee zugeteilt waren, erreichten entweder ihr Ziel gar
nicht - S. M. S. "Danzig" war im Oktober 1915 etwa
40 sm südlich von Gotland auf eine feindliche Sperre gelaufen und
sehr schwer beschädigt worden, und
S. M. S. "München" stieß auf dem Marsch nach
Osten mit einem Handelsdampfer zusammen und wurde dadurch außer
Gefecht gesetzt -, oder sie wurden für andere Zwecke
zurückgehalten, so S. M. SS. "Berlin" und
"Stuttgart".
Die dem östlichen Seebefehlshaber fest zugeteilt gewesenen Kleinen
Kreuzer bestanden nur noch zum kleinsten Teil: "Thetis" war bei dem
Riga-Einbruch auf eine Mine gelaufen, "Bremen" sank Dezember 1915 vor
Windau in die Tiefe, und "Lübeck" lief auf dem Marsch nach Westen zur
Winterreparatur am 13. Januar 1916 30 sm südlich der
"Danzig"-Sperre (Sperre des Unfalls S. M. S. "Danzig") auf
eine 31 sm lange feindliche Winkelsperre und erlitt dabei sehr ernste
Beschädigungen; den stolzen Rest bildete "Augsburg" allein.
Um den schwer fühlbaren Mangel wenigstens einigermaßen
auszugleichen, wurden der östlichen Befehlsstelle für das Jahr 1916
die beiden Kleinen Kreuzer S. M. S. "Kolberg"
(Schwesterschiff von S. M. S. "Augsburg") und
S. M. S. "Straßburg", der älteste der moderneren
Nordseekreuzer, zugeteilt.
Die Umformierung der Streitkräfte machte auch eine Umorganisation der
Befehlsstellen erforderlich. An Stelle der mit dem IV. Geschwader
eingehenden "Oberleitung" und des mit den Panzerkreuzern verschwindenden
"Führers der Aufklärungsstreitkräfte" der Ostsee unter dieser
wurde nun ein selbständiger "Befehlshaber der
Aufklärungsstreitkräfte der Ostsee"
(B. d. A. d. O.) eingesetzt, der die beiden genannten
Stellen in seiner Person vereinigte und daher gleichzeitig in engerer Beziehung
den Befehl über die beiden verbliebenen Linienschiffe als
V. Aufklärungsgruppe führte. Die Kleinen Kreuzer wurden in
der VI. Aufklärungsgruppe zusammengefaßt, zu ihrem
Führer (F. d. VI. A. G.) der bisherige
II. Admiral der Aufklärungsstreitkräfte ernannt. Diesem
wurden gleichzeitig die Torpedobootsstreitkräfte (VIII. und
X. Flottille) unterstellt.
Zum B. d. A. d. O. wurde der bisherige Chef der Oberleitung, Vizeadmiral
Schultz, und zum F. d. VI. A. G. der Kontreadmiral
Langemak bestimmt; der bisherige F. d. A. d. O. und
Eroberer von Libau, Kontreadmiral Hopman, erhielt ein Kommando nach der
Türkei.
[170] Mit dem Eintreffen der
Schiffe "Braunschweig" und "Elsaß" als schwimmende Batterien in Libau
wurde der Rest des V. Geschwaders, "Brandenburg" und "Wörth"
überflüssig; sie wurden zurückgezogen. Die Stelle des Chefs
des V. Geschwaders wurde in eine Landbefehlshaberstelle umgewandelt
und erhielt die Bezeichnung "Befehlshaber der Marineanlagen in Libau und
Kurland" (B. M. A.), organisatorisch wurde sie eine dem
Stationskommando der Ostsee nachgeordnete Dienststelle. Der erste
B. M. A. war Kontreadmiral Begas.
Die geschilderte Schwäche der deutschen Position in der östlichen
Ostsee mußte um so ernster bewertet werden, als die Russen in ihren
nunmehr voll verwendungsbereiten vier "Gangut"-Schiffen und ihren neuen
Zerstörern eines vergrößerten,
verhältnismäßig stark armierten Typs (nach dem ersten
Fahrzeug dieser Art "Nowik"-Typ genannt) einen bedeutenden
Kräftezuwachs erhalten hatten.
Dieser außerordentlich ernsten Lage gegenüber konnte nur eine
großzügige Massenverwendung der Mine helfen. Das gesamte
Seegebiet der nördlichen Ostsee zwischen den baltischen Inseln Ösel
und Dagö und der schwedischen Küste mußte durch und durch
mit Minen verseucht und diese Minenverseuchung so angelegt werden, daß
zwar alle nur möglichen, navigatorisch wahrscheinlichen Kurse an
irgendeiner Stelle über eine Sperre führten, aber dennoch den
eigenen Streitkräften die Möglichkeit blieb, sich unter gewissen
Umständen selbst in dem verseuchten Gebiet bewegen zu
können.
Unter den schwierigsten Verhältnissen, als noch die schweren
Südwest-Stürme des Vorfrühlings über die Ostsee
fegten, wurde von den Minenschiffen "Deutschland" und "Rügen"
(Bäder-Dampfer) unter Bedeckung der Kleinen Kreuzer und Torpedoboote
begonnen, Sperre auf Sperre zu legen. Etwa 5000 Minen sind in jener Phase des
Ostseekriegs unter der energischen Führung des Kontreadmirals Langemak
geworfen worden, und zwar mit einer Genauigkeit, die das Auffinden wohl fast
jeder einzelnen Mine gestattet haben würde.
An Verlusten hatte die deutsche Marine dabei die schwere Beschädigung
des Zerstörers "V 100" zu beklagen, der, zwischen Gotland und
Kurland von einem U-Boot erfolgreich angegriffen, sein Vorschiff verlor, das,
einer Taucherglocke gleich, noch etwa 1 bis 2 Minuten mit ungefähr 15
Mann darunter, aufrecht schwamm und dann versank, ein schrecklicher Anblick
für die überlebenden Kameraden.
Die Genauigkeit der Minenverseuchung war notwendig, um den eigenen
Seestreitkräften noch Unternehmungen und die Beobachtung des
Finnischen Meerbusens zu ermöglichen. Die Unternehmungen bestanden
hauptsächlich in Vorstößen der Kleinen Kreuzer und
Torpedoboote, die Flugzeuge möglichst nahe an die feindlichen
Stützpunkte herantragen sollten. Man hatte gelernt, auf den Kreuzern und
sogar den Torpedobooten Flugzeuge einzusetzen und mitzuführen. Als
Hauptangriffsobjekte galten Mariehamn auf Aaland, Utö, Abo,
Hangö und Hapsal im Moonsund.
[171] Unter den
Unternehmungen dieser Art ist ein Vorstoß besonders hervorzuheben, bei
dem es am 17. Juli gelang, die Flugzeuge durch die Minenfelder hindurch bis vor
den Finnischen Meerbusen zu bringen und auf Reval anzusetzen. In
glänzender Flugleistung gelangten die angesetzten 4 Flugzeuge unter der
hervorragenden Führung des "Fliegers von Tsingtau",
Kapitänleutnant Plüschow, an ihr Ziel und warfen ihre Bomben mit
gutem Erfolge auf die Werftanlagen des gerade erwachenden Reval ab.
In engem Zusammenhang mit diesen kombinierten Flugzeugunternehmungen
muß ein Torpedobootsvorstoß erwähnt werden, der, angesetzt
von dem bereits erwähnten, von frischem Draufgängertum beseelten
F. d. VI. A. G., Kontreadmiral Langemak, von der
X. Flottille mit außerordentlichem Schneid unter dem Kommando
ihres vorzüglichen, vorbildlichen Flottillenchefs, Korvettenkapitäns
Wieting, eines der bewährtesten und verantwortungsfreudigsten
Unterführers der Ostseekriegführung, durchgeführt wurde,
aber sehr starke Verluste zeitigte.
U-Boote hatten die Nachricht aus dem Finnischen Meerbusen mitgebracht,
daß ein Torpedobootsangriff auf die Bewachungsstreitkräfte im
Eingang des Finnischen Meerbusens sehr lohnend sein würde.
Trotz peinlich gewissenhafter Vorbereitung und Ausarbeitung des Plans
führte der Vorstoß zu einem Mißerfolg: nur 4 der 11 Boote
starken Flottille kehrten zurück, 7 der modernsten, erst im Laufe des
Sommers für alte Boote eingetauschten Zerstörer liefen am 11.
November auf Minen und sanken. Man hatte trotz aller Vorsicht die Minengefahr
unterschätzt. Als ein Glück mußte es bezeichnet werden,
daß dank der opferfreudigen Haltung der unverletzten Boote die gesamten
Besatzungen von etwa 700 Mann bis auf 19 gerettet werden konnten. Der einzige
Erfolg dieses Vorstoßes war eine kurze Beschießung von
Baltischport.
Die U-Bootsunternehmungen litten zunächst darunter, daß der Ostsee
keine großen U-Boote zur Verfügung gestellt werden konnten. Die
großen Boote "U 9" und "U A" wurden zu Schulzwecken
gebraucht, und "U 10" ging Anfang Mai in der östlichen Ostsee auf
einer Wartestellung nördlich Gotland auf nicht aufgeklärte Weise
verloren. Von den kleinen U-Booten, den sogenannten
"U B"-Booten, waren im Jahr 1916 die Boote "U B 2",
"U B 5", "U B 20", "U B 30",
"U B 31", "U B 32", "U B 33",
"U B 36" nacheinander in der östlichen Ostsee tätig; an
minenlegenden Booten traten die
"U C"-Boote "U C 4", "U C 25" und
"U C 27" in Erscheinung, und von großen Booten hielten sich
vorübergehend "U 47", "U 19" und "U 22" im Osten
auf.
Die Haupttätigkeit der kleinen Boote bestand in der Besetzung von
Wartestellungen vor dem Rigaischen Meerbusen, dem Finnischen Meerbusen und
der Aalandsee. Mehrfach wurden sie jedoch zum Handelskrieg auch in die
Bottensee entsandt und hatten hier des öfteren schöne Erfolge, indem
sie Bannwarenschiffe [172] aufbrachten, mit einer
Prisenbesatzung nach Libau bringen ließen und dadurch doch häufig
eine Unterbrechung des für Deutschland unerwünschten
russisch-schwedischen Handelsverkehrs verursachten. Geeigneter und wirksamer
waren jedoch die großen Boote, die bedeutend länger auf Position
bleiben konnten und den Handel länger abstoppten.
Besonders erfolgreich waren die Minen-U-Boote, die trotz der enormen
Minenverseuchung im Finnischen Meerbusen, die Sperren untertauchend, ihre
Minen an der südlichen Seite des Busens vom Moonsund bis Reval hin
streuten und darüber hinaus sogar bis an die Inseln im östlichen Teil
des Finnischen Meerbusens trugen und so nicht nur den Weg vom Moonsund
nach Reval, sondern auch von Reval und Helsingfors nach Kronstadt mit Erfolg
gefährdeten. Die Leistungen der U-Boote im Finnischen Meerbusen
müssen besonders hoch anerkannt werden, da die schlauchartige, lange
Gestalt des Busens mit den intensiven Sperr- und Bewachungsmaßnahmen
der Russen ihre Arbeit zu einer außerordentlich schwierigen machten.
Das eigentliche Gebiet des Kleinkriegs in der höchsten Vollendung war der
Eingang zum Rigaischen Meerbusen - auch die
"Irbe-Straße" genannt. Die Irbe ist ein kleiner Fluß, der an der
nordkurländischen Küste mündet. Hier sind wohl alle Mittel
des Kleinkriegs eingesetzt und geradezu mit verblüffender
Meisterhaftigkeit gehandhabt worden.
Die Deutschen hatten die Aufgabe, dicht unter der kurländischen
Küste unter dem Schutz der dort im Sommer 1916 aufgestellten
Geschütze eine minenfreie Fahrstraße zu schaffen, um gegebenenfalls
zur Entlastung ihres linken Heeresflügels
U-Boote oder Torpedoboote in den Meerbusen hineinschicken zu können.
Die Russen suchten dies in Erinnerung an den deutschen Einbruch August 1915
mit allen Mitteln zu verhindern.
Die außerordentlich schwierigen navigatorischen Verhältnisse in der
Irbe-Straße machten das Motorboot zur Hauptwaffe. Tagaus, tagein, von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, suchten sich diese kleinen Fahrzeuge unter
der vorbildlichen Führung ihres Chefs, des Kapitänleutnants
Weidgen, mühsam einen Weg zu bahnen durch
Minen-, Netz- und Schiffssperren, dabei beschossen von feindlichen
Bewachungsstreitkräften und beworfen von feindlichen Fliegern. Ihr
schlimmster Gegner war aber das feindliche Motorboot, das bei Nacht und Nebel
sich ungesehen an die kurländische Küste heranpirschte und das eben
freigemachte Gebiet von neuem verseuchte.
Dieses Vorgehen der Russen führte auch deutscherseits zur Verwendung
des Minenräumbootes als Minenträger. Die Minenräumboote
konnten etwa drei kleine Minen nehmen. In schwierigen nächtlichen
Unternehmungen haben sie nach Vollendung ihres Tagewerks als
"Minenräumer" als "Minenträger" einen "Minenschild" vor ihr
tägliches Arbeitsgebiet gelegt, um sich so des Nachts vor Zerstörung
ihres Tagewerks zu schützen; ja, sie gingen noch weiter, sie benutzten
[173] diesiges, d. h.
unsichtiges Wetter, um Minen in die Bewachungsstellung der feindlichen
Seestreitkräfte zu tragen, mit gutem Erfolge, wie
später - am 21. August - durch Untergang des russischen
Zerstörers "Dobrowolez" erkannt wurde.
Diese Minentätigkeit genügte jedoch nicht, um die Russen
unschädlich zu machen: die Motorboote mußten mit
Maschinenkanonen bewaffnet werden und nächtlicherweile in den bei Tage
abgesuchten Strecken patrouillieren.
Um das Herannahen feindlicher Motorboote rechtzeitig zu bemerken, wurden an
Land "Geräuschempfänger" aufgestellt, auf deren Warnung hin das
fragliche Gebiet von den Geschützen mit "Leuchtgranaten" abgestreut
wurde; in deren Licht wurde dann der Feind entdeckt und von den eigenen
Motorbooten angegriffen. Diese intensive Kampftätigkeit auf dem Wasser
begleitete eine nicht minder hartnäckige Kampftätigkeit in der
Luft.
Von ihren Flugstationen Arensburg, Lebara (Ostseite der Halbinsel Sworbe auf
Ösel), Zerel (Südkap von Sworbe) und Kielkond (Westkap von
Ösel) suchten die Russen dauernd die Arbeiten der deutschen
Minenräumboote mit Bomben-und M. G.-Flugzeugen zu
stören. Sie haben ihren Zweck nie erreicht. Die deutschen Flugstationen in
Kurland (Libau, Windau, Angernsee an der Ostseite Kurlands) haben mit nie
rastendem Kampfeseifer und zäher Energie bei Tag und Nacht ihre
Kameraden auf dem Wasser geschützt und oft mit glänzendem
Erfolg die feindlichen Flugstationen angegriffen. So wurden durch
Bombenwürfe eine Halle in Arensburg und die Halle auf der kleinen Insel
Runö dem Erdboden gleichgemacht. Es ist mancher harte Luftkampf
ausgefochten worden, auch gegen die russischen Großflugzeuge, die
sogenannten Sikorskys (Konstrukteur), die von Riga aus es besonders auf
Angernsee abgesehen hatten. Aber der Schneid der deutschen Kampfeinsitzer hat
auch sie in Schach zu halten verstanden.
Besonderer Erwähnung bedürfen noch die Torpedoflugzeuge, die, im
Sturzflug bis dicht über das Wasser niedergehend, einen Torpedo auf
feindliche Fahrzeuge entsandten. Auf sie wird noch zurückzukommen sein.
Gleichzeitig konnten diese Flugzeuge auch eine bestimmte Art von Minen legen.
Sie waren im Angernsee stationiert und wurden zur Verseuchung der
"Irbe-Straße" und der Ansteuerung von Dünamünde (Riga)
herangezogen.
Zur Luftfernaufklärung standen im Laufe des Jahres verschiedene
Luftschiffe vorübergehend zur Verfügung. Sie haben vor allen
Dingen die im offenen Seegebiet minenfreie Fahrstraßen feststellenden
Minensuchverbände gesichert. Zu den geplanten großen Angriffen
auf Helsingfors und Reval kam es wegen ungünstiger
Wetterverhältnisse in der in Frage kommenden Jahreszeit der langen
Nächte nicht.
An Angriffsfahrten verdienen jedoch hervorgehoben zu werden ein Angriff von
"S L 8" auf die Befestigungen im Moonsund und auf die
Hafenanlagen von Pernau am 1. Mai und ein Angriff von "S L 9" auf
Mariehamn auf Aaland am [174] 26. Juli, wobei ein
großes Munitionslager zerstört wurde. Diese Fernfahrten nach dem
Aalandarchipel konnten erst unternommen werden, nachdem die Luftschiffhalle
bei Wainoden (40 sm östlich Libau an der Bahn
Libau - Mitau) am 4. Juni fertiggestellt war.
Zwei Luftschiffe gingen im Laufe des Jahres in der Ostsee verloren. Am 1. Mai
stieß "S L 3" infolge Ruderklemmens zwischen Gotland und
Kurland aufs Wasser auf, brach durch und mußte durch Leuchtsterne in
Brand geschossen werden; am 28. Dezember setzte der Kommandant von
"L 38" sein durch Eis- und Schneelast manövrierunfähig
gewordenes Luftschiff nördlich Libau bei Seemuppen auf einen Wald, um
nicht ins Wasser zu fallen. Das Luftschiff ging dabei verloren.
Um dem mühevollen Kleinkrieg zu einem Erfolge zu verhelfen und
möglichst alle Kampfmittel im Zusammenwirken am Schluß der
guten Jahreszeit noch einmal auf die Bewachungsstreitkräfte im
Riga-Busen ("Slawa", "Diana", "Amur", Torpedoboote) anzusetzen,
entschloß sich der Kontreadmiral Langemak, der nach Zurückziehung
der letzten Linienschiffe als einziger Admiral und
B. d. A. d. O. im Osten verblieben war, zu einem
Scheineinbruch in den Riga-Busen. Vorher sollten die drei
U-Boote "U B 30", "U B 31" und
"U B 33" auf der inzwischen fertiggestellten Einbruchsstraße,
vom Feinde unbemerkt, hinter der Minensicherung zweier
Minenräumboote - natürlich in angemessenen
Abständen - hineingebracht werden.
Dieses Hineinbringen der U-Boote stellte naturgemäß den
wesentlichsten und schwierigsten Teil der ganzen Unternehmung dar. Dank der
hervorragenden Vorbereitung der Operationen gelang der Einbruch wider
Erwarten am 11. September ausgezeichnet; am 12. September waren alle drei
U-Boote auf der befohlenen Position innerhalb des Busens. Gleichzeitig war ein
großes U-Boot in den Finnischen Meerbusen entsandt, um etwa von dort zu
Hilfe auslaufende Streitkräfte anzugreifen.
Zur weiteren Vortäuschung eines Unternehmens auf breitester Basis
ließ der B. d. A. d. O. den Torpedobooten der
X. Flottille durch leichte Scheibenleinwand-Aufbauten die Konturen
moderner Panzerkreuzer geben und sie in großer Entfernung von Ösel
eine Beobachtungsstellung einnehmen. Ebenso wie die
U-Boote waren die Torpedoflugzeuge auf den Scheineinbruch vorbereitet, sie
sollten angreifen, sobald sich die schweren Streitkräfte zur Verteidigung
der "Irbe-Straße" näherten.
Nachdem so alles auf Position geschickt und genau unterrichtet war, stieß
der B. d. A. d. O. selbst mit den drei Kleinen Kreuzern
und seinen Torpedobooten von Windau aus unter der nordkurländischen
Küste vor, um die russischen Streitkräfte aus dem Moonsund und der
Arensburger Bucht anzulocken und auf die eigenen
U-Boote zu ziehen oder sie den T-Flugzeugen zum Angriff in die Arme zu
treiben. Das Herauslocken gelang durchaus, nur blieb leider der erwünschte
[175] U-Bootserfolg aus. Die
U-Boote hatten zu wenig Schießpraxis, sie schossen vorbei oder aber
kamen gar nicht zum Schuß. Dafür gelang es der
Torpedoflugzeugstaffel, den Erfolg der Unternehmung zu retten. Im heftigen
Feuer der "Slawa" ging sie unter Führung des Oberleutnants z. S.
Edler, verschleiert durch die anderen Flugzeuge, gegen dieses Linienschiff in der
Arensburger Bucht vor, das sich, gesichert durch 6 Zerstörer, in Fahrt
befand. Bedauerlicherweise drehte die "Slawa" selbst noch rechtzeitig ab;
dafür wurde aber ein Zerstörer das Opfer des Angriffs und der Preis
des glänzend angelegten, wenn auch nicht mit vollem Erfolg
durchgeführten Unternehmens. Dennoch bleibt es ein der
Überlieferung würdiges Zeichen für den Unternehmungsgeist
der Führung und den Schneid der Unterführer und ihrer
Untergebenen.
Zur Vervollständigung der Kriegsereignisse sei erwähnt, daß
am 1. August die Nordbatterie Libaus und am 5. September die Südbatterie
fertiggestellt wurde. Beide bestanden aus je vier
24-cm-S K (Schnell-Lade-Kanonen) der alten
"Kaiser-Friedrich"-Klasse.
Wenn auch den Ostseestreitkräften 1916 kein "Skagerrak" beschieden war,
so durften sie doch das stolze Bewußtsein haben, den Nordseekameraden
ein "Skagerrak" ermöglicht zu haben.
Das Kriegsjahr 1917.
Der die beiden Jahre 1916 und 1917 verbindende Winter zeichnete sich durch
ungewöhnliche Kälte und dadurch bedingte starke Eisbildung
allenthalben aus. Besonders in der westlichen Ostsee traten Eisverhältnisse
ein, die für diese Gegend als besonders ungünstig angesprochen
werden mußten. Die überall sich bildenden großen Eisfelder
und Eisblöcke führten zum zeitweisen Einstellen jeglicher
Bewachung. Selbst das Linienschiff am Sund, die schwimmende Festung,
mußte im Februar für eine Zeit der elementaren Gewalt des Eises
weichen. Die Sperren litten naturgemäß auch unter dem Eise; die
Minen wurden vielfach losgerissen oder auch zur Detonation gebracht, und die
Netzsperren hatte man vor Beginn der Eisperiode zum großen Teil versenkt,
um ein Zerreißen der Netze und Abreißen der Bojen zu
verhindern.
Erst ganz allmählich konnte die Bewachung in der zweiten Hälfte
des Februar hier und da wieder aufgenommen und anschließend daran im
Frühjahr die Erneuerung aller Sperrmittel durchgeführt werden, die
sich dann bei ihrer Vielseitigkeit bis weit in den Sommer hinein erstreckte.
Der Beginn des Jahres brachte der westlichen Ostsee in dem Vizeadmiral Schmidt
v. Schwind einen neuen Befehlshaber, der das Kommando über die
Küstenschutz-Division von dem Vizeadmiral Mischke am 8. Januar
übernahm. Mit diesem schied ein Admiral aus dem Ostseeverbande, dessen
Name in der Geschichte der Verteidigung der Ostsee stets einen guten Klang
behalten wird.
[176] Der Krieg am Sund
erfuhr insofern eine Veränderung, als im Mai der Sundbewachung zum
ersten Male U-Boote zu Operationen im Kattegat und Skagerrak zur
Verfügung gestellt wurden.
Der hervorragend funktionierende Nachrichtendienst an der schwedischen und
dänischen Küste ließ die Torpedobootsvorstöße
immer aussichtsloser erscheinen; man wollte daher den Handelskrieg durch
schwerer zu beobachtende U-Boote wirksamer gestalten, "U C 79",
"U B 33" und "U B 35" wurden zu diesem Zweck der
Küstenschutzdivision zugeteilt. Ihre Unternehmungen dauerten im
allgemeinen zwei Wochen. Sie sollten auf der Höhe
Skagen - Christiansand Handelskrieg führen, den Verkehr vor
Christiansand beobachten und die Schiffahrt im Kattegat auf ihrem
Hin- und Rückmarsch unter Kontrolle nehmen. Anfänglich haben die
U-Boote ganz schöne Erfolge erzielt und mehrfach Prisen einbringen
können, da der Schiffsverkehr bei Skagen auf offener See noch ziemlich
rege war. Bald nach Beginn der U-Bootstätigkeit änderte sich jedoch
das Bild. Man begann auf seiten der Handelsschiffahrt auch im Kattegat und
Skagerrak die Hoheitsgrenzen genau auszufahren und dadurch den
U-Booten das Beutemachen bedeutend zu erschweren. Da die Beute so immer
geringer wurde, zog man im Juli die U-Boote wieder zurück; sie hatten
insgesamt 21 Schiffe eingebracht, von denen 5 mit der Ladung verfielen. Bei 4
Schiffen wurde die Ladung gelöscht, der Rest durfte unbehelligt die
Weiterreise antreten.
Der am 1. Februar 1917 eröffnete uneingeschränkte
U-Bootskrieg hatte zwar keinen unmittelbaren Einfluß auf das
Ostseegebiet - denn hier wurde kein
Kriegs- oder Sperrgebiet erklärt -, dennoch machte er sich aber
mittelbar insofern auch in der Ostsee und besonders am Sund fühlbar, als
mit zunehmender Verseuchung der Nordseeflußausgänge durch die
Engländer die deutschen U-Boote immer mehr auf den
An- und Rückmarsch durch das Kattegat und Skagerrak angewiesen
wurden.
Diese Tatsache führte zu einem ausgedehnten Lotsen- und Geleitdienst der
Bewachungsstreitkräfte am Sund für die
U-Boote und stellte erstere auch in den Dienst des
U-Bootskrieges. Naturgemäß übten die
Bewachungsstreitkräfte am Sund nun ihrerseits eine erhöhte
Anziehungskraft auf die Engländer aus. So kam es, daß Anfang
November englische leichte Streitkräfte ins Kattegat einbrachen. Das
Hilfsschiff "K", das zu der Zeit im östlichen Kattegat operierte, kam mit
den englischen Streitkräften ins Gefecht und wurde abgeschossen.
Außer diesem Hilfsschiff fielen den Engländern bei diesem
Vorstoß noch einige Fischdampfer, die bei Anholt ihrem Beruf oblagen, in
die Hände.
Neben dem Lotsen- und Geleitdienst für die eigenen
U-Boote blieb die Überwachung des Handels am Sund in unverminderter
Anstrengung bestehen. Zwar hatte der
U-Bootskrieg die Zahl der größeren Dampfer und damit den Umfang
der Tonnage herabgesetzt; dafür verkehrten aber um so mehr kleinere
Fahrzeuge durch den Sund, besonders schwedische Segler. Wie schwer aber der
Unter- [177] suchungsdienst an
solchen kleinen Segelschiffen ist, kann nur der ermessen, der solche
Unternehmungen an Bord eines Torpedobootes miterlebt hat.
In diesem Zusammenhang sei festgestellt, daß im Jahre 1917 4852 von
Norden und 5108 von Süden kommende, also insgesamt 10 000
Schiffe, untersucht worden sind.
Die umfangreichen Aufgaben der Küstenschutz-Division, deren
Befehlsbereich die ganze westliche und mittlere Ostsee einschließlich der
Ostseeausgänge umfaßte, verlangte im Sommer 1917 eine Trennung
in zwei Befehlsbereiche. So wurde am 15. August 1917 durch Allerhöchste
Kabinettsorder der Sicherungsverband der westlichen und der mittleren Ostsee
(B. S. w. O. und B. S. m. O.) gebildet,
während gleichzeitig die Küstenschutz-Division aufgelöst
wurde. An die Spitze der ersteren trat Kontreadmiral Nordmann.
Sein Befehlsbereich umfaßte das Ostseegebiet westlich der Linie
Marienleuchte (Fehmarn) - Hyllekrog (Inselchen südlich
Laaland) und die Belte, also kurz die Kieler Bucht und ihre Zugänge.
Neben den bisherigen Aufgaben der Küstenschutz-Division kamen noch als
besonders wichtige hinzu, die Vorarbeiten für etwaige die Ostsee
angehende neue Kriegsfälle zu treffen, deren
Entwicklungsmöglichkeit auf Grund des
U-Bootskrieges nicht von der Hand zu weisen war.
Die Streitkräfte des B. S. w. O. waren
S. M. S. "Deutschland", später dafür
S. M. S. "Stettin", Division Aarösund,
Vorpostenhalbflottille Kiel, die Minenschiffe "Nautilus", "Deutschland",
"Möwe", der Netzsperrverband der Ostsee (2 Dampfer und eine Anzahl
Netzleichter), der Sicherungsverband Heiligenhafen (die Fischermotorboote) und
das Hilfskriegschiff "Prinz Waldemar".
Der B. S. m. O. umfaßte die mittlere Ostsee mit dem Sund und bildete die
Brücke zwischen dem B. S. w. O. und
B. d. A. d. O. Seine Dienstobliegenheiten
übernahm der bisherige Chef der Küstenschutz-Division.
Der laufende Seekrieg in der östlichen Ostsee im Jahre 1917 kann mit
wenigen Worten abgetan werden. Zunächst schlossen die
Eisverhältnisse bis in den April hinein jegliche Kriegstätigkeit aus;
noch im Mai befanden sich in dem südöstlichen Teil des Rigaischen
Meerbusens große Eisfelder. Dann ließen die politischen
Verhältnisse in Verfolg der ersten russischen Revolution ein Einstellen der
offensiven Tätigkeit für eine geraume Zeit zweckmäßig
erscheinen, und schließlich war wegen der noch weiteren
Beschränkung der Seekriegsmittel, besonders der
U-Boote, angeordnet worden, auch die wenigen Zufahrten zu dem großen
Minengebiet in der nördlichen Ostsee (vgl. 1916) lückenlos zu
schließen, eine Aufgabe, deren sich der mit Jahresbeginn aus der
Türkei zurückgekehrte, neu zum
B. d. A. d. O. ernannte Kontreadmiral Hopman schnell
ohne Zwischenfall entledigte.
Mit Rücksicht auf den uneingeschränkten U-Bootskrieg in der
Nordsee standen nur die U-Boote "U C 57", "U C 58"
und "U C 78" sowie "U B 27" der östlichen
Ostsee zur Verfügung. Da Riga- und Finnen-Busen für offensive
Tätigkeit lange Zeit gesperrt waren, führten die Fahrten der
U-Boote hauptsächlich in [178] die Bottensee, um hier
Handelskrieg zu führen und die Zufahrten zu den finnischen Häfen
Wasa, Mäntyluoto, Raumo, Abo (Nordschären) und Mariehamn
durch Minen zu verseuchen. Trotz der sehr schwierigen Passage durch die stark
mit Minen verseuchte Aalandsee erreichten sie stets ihr Ziel und führten
alle ihre Aufträge mit sehr viel Geschick und Ausdauer durch.
Ihre Hauptleistung liegt jedoch in der Unterstützung der Armee bei der
Eroberung von Riga, wobei "U C 78" und "U C 57" im
Rigaischen Meerbusen angesetzt worden waren. Dank der erfolgreichen
Kleinkriegstätigkeit in der "Irben-Straße" seitens der
Minenräumer und Flieger, die ihre Arbeit gleich zäh und
opferfreudig fortsetzten, war der recht schwierige Einbruch in den Rigaischen
Meerbusen kurz vor Beginn der Armeeoperationen bei Riga gelungen.
Planmäßig haben dann die beiden
U-Boote Sperren vor dem Südausgang des Moonsundes gelegt,
planmäßig haben sie die Ostküste des
Riga-Busens beschossen und dadurch den Feind im Rücken beunruhigt und
sich so lange der energischen Verfolgung zu entziehen gewußt, bis ihnen
kurz nach dem Falle Rigas von den über Land nach Mitau und von da die
Aa abwärts geschafften Minenräumboote eine freie Einfahrt nach
Dünamünde ermöglicht war. So unscheinbar ihre Hilfe auch
äußerlich erscheinen mochte, so haben sie doch wesentlichen Anteil
an dem Erfolg, indem sie die Russen daran hinderten, die Seeherrschaft im
Meerbusen zur Geltung zu bringen und der Armee Unterstützungen
über Wasser zuzuführen.
Das wichtigste und ein militärgeschichtlich auch für alle Zukunft
bedeutungsvolles Ereignis bildete die Eroberung der baltischen
Inseln.
Den Seestreitkräften, die unter dem Vizeadmiral Ehrhard Schmidt mit
Kapitän z. S. v. Levetzow als Chef des Stabes einen
"Sonderverband für Ostsee" bildeten, war die Aufgabe gestellt:
1. Ein Landungskorps, bestehend aus einer
verstärkten
Infanterie-Division unter dem Befehl des Generalkommandos XXIII. R. K.
sicher nach Ösel überzuführen und dort zu landen.
2. Durch baldiges Eindringen in den Rigaischen
Meerbusen die rechte Flanke des Landungskorps gegen See zu sichern und den
Angriff gegen den Brückenkopf Orissar (am Übergange nach der
Insel Moon) und gegen die Insel Moon selbst mit allen Kräften zu
unterstützen.
Die Buchten Ösels im Rigaischen Meerbusen kamen für eine
Landung nicht in Frage, solange die
"Irben-Straße" von den schweren Geschützen bei Zerel (1917 neu
angelegt, Schußweite 30 km) beherrscht wurde. Der gegebene
Ausschiffungsort für das Landungskorps war daher die
Tagga-Bucht, die, an der Westseite der Insel gelegen, nach Größe und
Lage allen Anforderungen entsprach. Fliegeraufnahmen bestätigten,
daß die Russen die von der Bucht her drohende Gefahr erkannt und versucht
hatten, sie durch Batterien auf Kap Hundsort und Ninnast und
Schützenstellungen abzuwenden. Die Landung mußte also, sollte sie
nicht schwere Opfer kosten, überraschend mit Sonnenaufgang erfolgen.
[179=Karte] [180] Dies
bedingte den Anmarsch durch die Minenfelder westlich Ösel bei Nacht
und, mit Rücksicht auf die unzuverlässigen Mittel der Transporter,
eine umfangreiche Befeuerung, die erst in der letzten
Nacht - gegen Land abgeblendet - ausgelegt werden durfte. Zur
Täuschung und Ablenkung des Feindes sollten gleichzeitig mit dem Angriff
auf die Tagga-Bucht die Befestigungen von Sworbe (südliche Halbinsel
Ösels) und die Fluganlagen von Papensholm (Kielkond auf der Westseite
Ösels) unter Feuer genommen werden.
Vor dem eigentlichen Anmarsch mußte der beabsichtigte Weg unbemerkt
vom Feinde auf Minenfreisein kontrolliert werden.
Die Landung selbst konnte erst nach Niederkämpfung der Batterien und
Einnahme einer Brückenkopfstellung erfolgen. Die hierfür
erforderlichen Truppen - etwa 4500
Mann - mußten als Vortrupp von den Seestreitkräften
übergeführt werden.
Mit dem Einlaufen der Transportflotte in die Tagga-Bucht war diese und das
Seegebiet zwischen Ösel und Dagö gegen
U-Boote und feindliche Überwasserstreitkräfte zu sichern.
Hierfür und für die späteren Operationen in der
Kassar-Wiek, die den Übergang der Armee von Ösel nach Moon zu
unterstützen hatten, mußten die Seestreitkräfte Herren des
Soëlo-Sundes zwischen Ösel und Dagö sein, d. h.
Pamerort auf der Südseite des Sundes nehmen und die auf der
Südspitze Dagös liegende Batterie Toffri unschädlich machen.
Die Landung von rund 500 Mann genügte für diese Aufgabe. Die
Armee forderte aber in Verfolg dieses Gedankens die Landung von weiteren 3000
Radfahrern und einigen Geschützen, um durch diese am
Brückenkopf von Orissar die Ösel-Besatzung abzuschneiden.
Dazu bedurfte es wiederum des rechtzeitigen Vordringens der
Seestreitkräfte durch die "Irben-Straße" bis zum Moonsund. Die
"Irben-Straße" und der nordwestliche Teil des Rigaischen Meerbusens
waren vom Feinde dicht mit Minen gesperrt. Die schweren Geschütze auf
Zerel beherrschten die Enge und forderten für einen gewaltsamen
Durchbruch hohen Einsatz. Sie mußten daher vor dem eigentlichen
Durchbruch fallen. Die minenfreie Durchfahrtsstraße für schwere
Streitkräfte war jedoch inzwischen beschleunigt so weit vorzubereiten,
daß der Einbruch sofort nach dem Fallen der Batterie Zerel erfolgen
konnte.
Im Moonsund lagen nach Fliegerbeobachtung zwei ältere Linienschiffe,
Panzerkreuzer, Kleine Kreuzer, Kanonenboote, Zerstörer und
Torpedoboote. Ihre Rückzugsstraße durch den Nordmoonsund
mußte vorher durch Minen von U-Booten aus gesperrt und durch
U-Boote bedroht werden. Gleichzeitig war der Südausgang des
Moonsundes von U-Booten so lange zu bewachen, bis die deutschen
Überwasserstreitkräfte zur Stelle sein konnten.
Auf Grund all dieser Erwägungen wurde im Einvernehmen mit dem
Generalkommando XXIII. R. K. und unter Billigung des die
Oberleitung führenden A. O. K. 8 vom "Chef des
Sonderverbandes für Ostsee" ein genauer Operationsplan aufgestellt.
[181] Trotz der sehr
ungünstigen Witterung Ende September und Anfang Oktober konnten die
vorbereitenden Minensucharbeiten in der
"Irben-Straße" - der Angelpunkt der
Gesamtoperationen - bis zum 8. Oktober so weit gefördert werden,
daß man den Beginn der Operationen auf den 11. Oktober festsetzen
durfte.
Es waren überzusetzen rund 23 000 Köpfe, 5000 Pferde, 1400
Fahrzeuge, 150 Maschinengewehre, 54 Geschütze (von
7,6- bis 21-cm-Kaliber), 12 Minenwerfer und Munition und Proviant für 30
Tage.
Dafür waren - abgesehen vom Vortrupp - 17 Dampfer bereitgestellt,
Größe im allgemeinen 6000 bis 7000 Tonnen, der größte
11 515 Tonnen, der kleinste 1753 Tonnen. Dazu kam der erforderliche
Troß, bestehend aus einem Flugzeugmutterschiff, drei
Kohlen- und Heizölfahrzeugen, einer Bergungsgruppe, mehreren
Schleppern mit Seeleichtern und drei Lazarettschiffen. Die gesamte
Handelsschifftonnage betrug 153 664 Tonnen. Der Dampferpark
genügte nicht, um das Landungskorps mit voller Bagage in einer Fahrt
überzuführen; es mußten zwei Staffeln gebildet werden.
Am 10. Oktober war alles eingeschifft. Die Transportflotte lag klar zum Auslaufen
im Kriegshafen, der Troß auf der Reede von Libau.
Die Tagga-Bucht war durch ein U-Boot erkundet worden, der Weg dorthin war
abgesucht und ein Weg für Großkampfschiffe bis Michailowsk an der
nordkurländischen Küste gebahnt worden.
Mittags trat als erste die Suchflottille unter Fregattenkapitän
v. Rosenberg mit dem Landungskorps für Pamerort und den
auszulegenden Feuerschiffen den Vormarsch an.
"Moltke" - das Flaggschiff des Sonderverbandes - mit dem III. und IV.
Geschwader lag in der Putziger Wiek (innerhalb Hela) klar, die
II. Aufklärungsgruppe, der I. Führer der Torpedoboote
und das Gros der Torpedobootsflottillen in Libau, der
B. d. A. d. O. mit seinen Streitkräften in
Windau.
Die Landung: Das Auslaufen aller Gruppen am 11. Oktober morgens
ging planmäßig vor sich. Das Wetter war gut. Am 12. Oktober,
3 Uhr Vm., lag die Flotte mit einer Stunde Verspätung vor der
Tagga-Bucht vor Anker. Die Ausschiffung der auf dem III. Geschwader
überführten Truppen in die Motorruderbarkassen der großen
Schiffe und das Sammeln des Vortrupps unter Bedeckung der I. Flottille
vollzog sich glatt. Die II. Flottille übernahm die Spitze des
Vortrupps und lief voraus.
Um 420 Uhr Vm. nahm die Flotte die
Bombardementsstellungen ein:
Der I. Führer der Torpedoboote, Kommodore Heinrich, mit "Bayern" zur
Deckung der Landung, bei Pamerort,
der Chef des III. Geschwaders, Vizeadmiral Behncke, mit "König",
"Kronprinz", "Großer Kurfürst" und "Markgraf" vor Batterie
Ninnast,
[182] der II. Admiral des IV.
Geschwaders, Kommodore Meurer, mit "Kaiser", "Kaiserin" und "Prinzregent
Luitpold" gegenüber Batterie Hundsort. "Moltke" folgte dem Vortrupp in
die Tagga-Bucht.
Beim Einnehmen der Bombardementsstellungen liefen "Bayern" und
"Großer Kurfürst" auf Minen; beide blieben bereit, ihre Aufgabe
durchzuführen.
530 Uhr Vm. begann die Landung.
Sie erfolgte vollkommen überraschend und stieß nur auf geringen
Widerstand, der schnell gebrochen wurde. Auch die Batterien waren schnell zum
Schweigen gebracht. 645 Uhr Vm. konnte die
Transportflotte in die Tagga-Bucht einlaufen. 815 Uhr Vm. begann die
Ausschiffung, 10 Uhr Vm. war sie in vollem Gange.
7 Uhr Vm. ging ein Funkspruch vom Führer der
Torpedoboote auf "Emden" ein, daß die Landung bei Pamerort begonnen
habe, die Batterie bei Toffri auf Dagö niedergekämpft sei. 830 Uhr Vm. meldete die
13. Halbflottille, daß Flug- und F. T.-Station Papensholm
beschossen seien, 840 Vm. der
Chef des IV. Geschwaders, Vizeadmiral Souchon, daß die
Demonstration gegen Sworbe beendet sei, der Feind nicht gefeuert habe. Der erste
Abschnitt war damit restlos beendet.
[176a]
Unternehmung gegen Oesel. Die Insel unter dem Feuer der deutschen
Flotte.
|
Die Eroberung von Ösel, Moon und Dagö: Noch
während der Ausschiffung des Landungskorps bei Pamerort ging der Chef
der Suchflottille v. Rosenberg nach Erkundung und Betonnung des
Soëlo-Sundes mit seinen Booten in die
Kassar-Wiek (Gewässer innerhalb der Inseln
Ösel - Dagö) vor, damit den Kampf um die Herrschaft
in diesem Gebiet noch am Landungstage eröffnend. Er hat mehrfach zu
erfolgreichen Gefechten geführt, meist gegen einen an Zahl und Artillerie
überlegenen Gegner. Unter Führung des
I. F. d. T., Kommodore Heinrich, haben Boote der
II. Flottille, 12. und 13. Halbflottille, unterstützt und gedeckt
durch das Feuer von "Kaiser" und "Emden", den Feind bis in den Moonsund
zurückgeworfen. Hierbei wurde am 14. Oktober der Zerstörer
"Grom" genommen und ein Kanonenboot vernichtet. Die deutsche Kriegsflagge
hat auf "Grom" über der russischen geweht. Leider ist das Boot beim
Einschleppen gekentert; auf deutscher Seite waren drei Minentreffer auf drei
Torpedobooten zu verzeichnen, von denen eins gesunken ist.
Die Zerstörung der Batterien auf Sworbe: Am 14. Oktober
morgens erbat Infanterie-Regiment 131 das Feuer der Schiffsgeschütze
gegen die Batterien von Sworbe. 3 Uhr Nm. war der Chef des
IV. Geschwaders, Vizeadmiral Souchon, mit "Friedrich der Große",
"König Albert" und "Kaiserin" zur Stelle. Um 4 Uhr Nm.
eröffneten die schweren russischen Batterien von Zerel das Feuer. Darauf
begann deutscherseits die Beschießung, die bis Dunkelwerden fortgesetzt
wurde. Am nächsten Morgen wurde erkannt, daß der Feind die
Batterie aufgab und durch Feuer und Sprengung zerstörte. Damit war der
dritte Abschnitt, der Einbruch in den Rigaischen Meerbusen, vorbereitet.
Der Einbruch in den Rigaischen Meerbusen: Der B. d. A. d. O.,
Kontreadmiral Hopman, hatte die Minenräumarbeiten in der
"Irben-Straße" trotz des [183] Feuers der Batterie
Zerel mit Nachdruck weiterbetrieben und bis 13. Oktober gute Fortschritte erzielt,
obgleich Sperre auf Sperre folgte. Am Abend des 13. Oktober erhielt der
B. d. A. d. O. den Befehl, ohne Rücksicht auf
Zerel, dessen Fall für den nächsten Tag zu erwarten war, in Richtung
Arensburg durchzubrechen. Zu seiner Unterstützung wurde der Chef des
III. Geschwaders, Vizeadmiral Behncke, mit "König" und
"Kronprinz" herangerufen. Dem Befehl wurde, dank der Energie der
Führer, mit einer Schnelligkeit entsprochen, die alle Erwartungen
übertraf. Als Sworbe am 16. Oktober morgens fiel, standen die
Seestreitkräfte vor Arensburg, am Abend des gleichen Tages bereits vor
dem Südausgang des Moonsundes. Damit war die Insel Ösel von
deutschen Streitkräften umstellt, dem von deutschen Truppen nach dem
Südosten der Insel gedrängten Feind das Entweichen über See
unmöglich gemacht. Am 17. Oktober Morgens war der Moonsund erreicht,
die Batterien auf Werder (auf der Ostseite) und Moon wurden
niedergekämpft, die russischen Seestreitkräfte und die
bereitgehaltenen Transporter in der Richtung nach Norden vertrieben, das
Linienschiff "Slawa" vernichtet. Damit gehörte der "Ruhm" ("Slawa"
bedeutet zu deutsch "Ruhm") dieses tapferen, stets geachteten Gegners der
Vergangenheit an.
Ganz besondere Anerkennung verdienen in diesem Zusammenhange die
Minensuchverbände, die ihren großen Brüdern den Weg
bahnten und ihnen erst ihren Erfolg ermöglichten.
Während der Chef des III. Geschwaders den Moonsund von Osten forcierte,
drang von Westen her der B. d. A. d. O. mit "Kolberg"
und "Straßburg" in den sogenannten "kleinen Sund" ein, bereit, der Armee
die für den Übergang erforderliche Hilfe zu leisten. Landungstruppen
der Kreuzer besetzten am 17. Oktober die Batterien von Woi auf
Süd-Moon.
Als in der Nacht vom 17. zum 18. Oktober die deutschen Truppen nach Moon
übersetzten, war auch diese Insel von Osten, Süden und Nordwesten
von deutschen Seestreitkräften umklammert. An ein Entkommen des
Feindes nach dem Festlande war nicht mehr zu denken. Der Eroberung von Moon
folgte am 19. Oktober die Besetzung von Dagö durch etwa 3700 Mann,
nachdem eine Landungsabteilung (Kapitänleutnant v. Ahlefeld)
einen Brückenkopf gegen Übermacht gehalten hatte.
Somit waren alle drei Inseln innerhalb einer Woche erobert.
Die geplante Unternehmung, den russischen Seestreitkräften durch
Vorgehen gegen den Nordausgang des Moonsundes den Rückweg
abzuschneiden, kam nicht mehr zur Durchführung, da der Feind den
Moonsund zu schnell fluchtartig nach Osten räumte.
Mit der Eroberung der baltischen Inseln fand das Kriegsjahr 1917 seinen
Abschluß. Deutschland kann stolz sein auf diesen Ausgang, der der
verständnisvollen Zusammenarbeit von Heer und Marine, sodann der
selbständigen Mitarbeit [184] und dem frischen
Draufgehen aller Unterführer sowie schließlich der Hingabe der
Besatzungen zu danken war und alle Zeit ein Ruhmesblatt in der Geschichte
deutscher Seekriegführung bleiben wird.
Das Kriegsjahr 1918.
Das Kriegsjahr 1918 erhielt im allgemeinen sein Gepräge durch den
Waffenstillstand und den im März 1918 folgenden Frieden mit
Rußland. Die Widerstandskraft des einst so gewaltigen russischen Reiches
war gebrochen, sein Zusammenbruch durch seine zweite Revolution im
November 1917 besiegelt. Dieses gewaltige Ereignis mußte
naturgemäß auch auf den Ostseekrieg zurückwirken, seine
Rückwirkung trat in einem allgemeinen Abbau des Kriegsschauplatzes der
Ostsee in die Erscheinung.
Ein sehr großer Teil der Ostseestreitkräfte wurde der Nordsee
zugeführt, ein weiterer Schulzwecken zur Verfügung gestellt, wieder
ein anderer aufgelöst. Die Befehlsverhältnisse über die in der
Ostsee verbleibenden Seestreitkräfte wurden wie folgt neugeregelt:
Die Dienststelle des O. d. O. (Ostseebefehlshabers) wurde am 24. Januar
aufgelöst; ihre Aufgaben übernahm das
Marine-Stationskommando der Ostsee. - Die Dienstobliegenheiten der
bisherigen Befehlshaber der mittleren und westlichen Ostsee übernahm als
Befehlshaber der Sicherung der Ostsee (B. S. O.) der bisherige
B. S. w. O. Im Osten wurde die Dienststelle des
B. d. A. d. O. aufgelöst; seine Rechte und
Pflichten gingen entsprechend der Neuregelung bei den vorgesetzten
Behörden auf den dem Stationskommando unterstellten Befehlshaber der
Marineanlagen in Libau und Kurland (B. M. A.) über. Zum
B. S. O. traten: "Kolberg", "Hannover",
IV. Torpedobootsflottille, 6 Hilfsstreuminendampfer, Vorpostenflottille der
mittleren Ostsee, Aarösund-Division, Vorpostenhalbflottille Kiel,
Netzsperrverband der Ostsee. Dem B. M. A. in Libau wurden zum
Minenräumdienst unterstellt: 19. Torpedobootshalbflottille,
III. Minenräumflottille und Vorpostenhalbflottille Ost.
Wenn auch mit dem Einstellen der Feindseligkeiten gegen Rußland
östlich des 15. Längengrades eine grundlegende Änderung der
Gesamtlage eingetreten war, so blieben doch in der westlichen Ostsee, d. h.
in der Hauptsache im Sund, in den Belten und im vorgelagerten Kattegat, noch
wesentliche Aufgaben zu erfüllen. Ihre erfolgreiche Lösung war um
so schwieriger, je mehr die eigentlichen Kampfmittel abgebaut worden waren und
sich der Schwerpunkt der Tätigkeit des B. S. O. in das
Kattegat hinein vorschob.
Neben dem bisherigen Schutz der Ostsee gegen Eindringen feindlicher
Streitkräfte von Norden her traten als neue Aufgaben das
Aus- und Einbringen von U-Booten, Absuchen des Kattegats auf Minensperren,
Vorgehen gegen feindliche
U-Boote und U-Bootsfallen und nicht zuletzt die Handelskriegführung im
Kattegat in den Vordergrund. Diese Steigerung der Aufgaben war in erster Linie
[185] bedingt durch die
Anfang Mai einsetzende Minenverseuchung des Kattegats durch die
Engländer, mit der schon längst gerechnet worden war.
Dem Vorgehen der Engländer wurde durch Auslegen einer deutschen
Minensperre auf der Linie
Skagen - Paternoster entgegengewirkt.
Gleichzeitig mit der Abwehr der englischen Offensivmaßnahmen im
Kattegat erschien eine schärfere Kontrolle der Handelsschiffahrt in diesem
Gebiet zur Unterstützung des U-Bootskriegs notwendig. Infolge Fehlens
geeigneter Überwasserstreitkräfte mußten diese Aufgaben den
Flugzeugen mit übertragen werden, die sie mit wechselndem Erfolge neben
ihrer eigentlichen Aufklärungstätigkeit versehen haben. Der
englische Angriff gegen Zeebrügge und Ostende im Frühjahr 1918
hatte gezeigt, wie der U-Bootskrieg England immer mehr zuzusetzen begann; ein
ähnliches englisches Vorgehen gegen die Ostseeausgänge erschien
daher nicht unwahrscheinlich. Dieser erneut in den Bereich größerer
Wahrscheinlichkeit rückenden Gefahr wurde durch die Verstärkung
der von den auslaufenden U-Booten hauptsächlich benutzten
Aarösund-Passage Rechnung getragen, indem auf der Insel Aarö und
bei Stagodde (nördlich der Haderslebener Föhrde) je
4 - 15-cm-Haubitzen aufgestellt wurden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß auch mit den verringerten
Mitteln alles getan worden ist, um die mit der fortschreitenden Minenverseuchung
in der Nordsee an Bedeutung für den deutschen
U-Bootskrieg gewinnenden Ostseeausgänge vor dem Feinde zu
schützen. Der erreichte Erfolg ist der Tatsache zu danken, daß auch
auf dem stark zusammengeschmolzenen Rest der Ostseestreitkräfte im
Jahre 1918 der Kampf- und Siegeswille ungebrochen war.
Zwar war mit dem Einsetzen der Waffenstillstandsverhandlungen mit
Rußland im Anschluß an seine zweite Revolution der reguläre
Krieg in der östlichen Ostsee zu Ende; dafür stellten aber die durch
die Novemberrevolution 1917 in Rußland eingetretenen innerpolitischen
Verhältnisse die deutsche Marine in der östlichen Ostsee vor eine
neue, außerordentlich schwierige Kriegsaufgabe.
Die roten Horden, die mit furchtbarem Terror in Rußland die Gewalt an sich
gerissen hatten, hatten in Finnland eine gleiche Bewegung ausgelöst und
dieses nach nationaler Selbständigkeit ringende Land ebenfalls einer roten
Schreckensherrschaft unterworfen.
Anfang des Jahres 1918 erbaten daher finnische Bevollmächtigte in Berlin
von der deutschen Regierung tatkräftige Hilfe, um ihr Land von der Macht
der Roten befreien zu können, eine Bitte, deren Erfüllung ihnen das
mit der Welt um seine eigene Existenz ringende Deutsche Reich zusagte.
Der militärischen Lage in Finnland entsprechend - die Unternehmung zur
Befreiung Finnlands war von dem Oberbefehlshaber der finnischen Weißen
Garden, General der Kavallerie Freiherr v. Mannerheim, von der
Westküste Finnlands aus angesetzt
worden - wurde beabsichtigt, auch das deutsche
Hilfsheer - die Ostseedivision unter dem Generalmajor Graf
v. d. Goltz in [186] Stärke von etwa
12 000 Mann - nach einem geeigneten Hafen an der westfinnischen
Küste in der Bottensee zu überführen. In Aussicht genommen
waren dafür die beiden Häfen Raumo und Mäntyluoto.
Bei der sehr großen Entfernung genannter Häfen von Kiel und
Danzig, etwa 725 sm und 580 sm, mußte ein
dazwischenliegender Etappenstützpunkt zuvor geschaffen werden.
[186]
Skizze 7: Finnischer Meerbusen.
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Die Wichtigkeit dieses Etappenstützpunktes, wie die Bedeutung der
Finnland-Unternehmung überhaupt, vermag man nur dann richtig
einzuschätzen, wenn man bedenkt, daß die
Operationen - vom maritimen Standpunkt aus
betrachtet - in der allerungünstigsten Jahreszeit haben
durchgeführt werden müssen. Einmal schließen im
kältesten Monat Februar undurchdringliche Eismassen Finnland im Westen
und Süden von der Ostsee und den anliegenden Ländern ab; dazu
kommt, daß die Monate Februar und März auch häufige Nebel
bringen, die die Navigierung in dem klippen- und untiefenreichen
Schärengebiet außerordentlich ungünstig beeinflussen, und
schließlich gewinnt die durch den Krieg bedingte Minengefahr durch die
schlechte Jahreszeit eine erhöhte Bedeutung, da schlechte Sicht, starke
Winde und Eisfelder ein Arbeiten der kleinen, empfindlichen
Minensuch- und Minenräumfahrzeuge ausschließen.
Als Etappenstützpunkt war Aaland in Aussicht genommen.
Die Tätigkeit der Marine bei der Finnland-Unternehmung gliederte sich
demnach in drei Hauptabschnitte:
- Die Aaland-Unternehmung zur Schaffung des
Stützpunktes.
- Die Vorbereitungen für die Hauptunternehmung nach Schaffung des
Stützpunktes.
- Die Hauptunternehmung selbst.
[187] Für die
Finnland-Unternehmung mußten naturgemäß Teile der
Hochseestreitkräfte zur Verfügung gestellt werden. Es wurde daher
am 21. Februar abermals ein "Sonderverband für Ostsee" unter dem Befehl
des Kontreadmirals Meurer zusammengestellt, der sich, den verschiedenen Phasen
der Unternehmung entsprechend, aus folgenden drei Staffeln zusammensetzen
sollte:
I. Staffel: Die beiden Linienschiffe "Westfalen" und "Rheinland",
ersteres als Flaggschiff des Chefs des Sonderverbandes, die
III. Sperrbrechergruppe (3 alte Handelsdampfer, die als "Sperrbrecher"
mit besonderem Minenschutz versehen waren) und die
9. Minensuchhalbflottille (Fischdampfer), dazu kamen ein Eisbrecher, ein
Pumpendampfer und ein Tonnenleger. (Staffel zur Besetzung des
Stützpunktes.)
II. Staffel: Minenschiff "Nautilus", Transportdampfer "Gießen", 2
Torpedoboote der IV. Flottille in Warnemünde, ein Lazarettschiff
und ein Kohlendampfer. (Staffel zum Ausbau des Stützpunktes.)
III. Staffel: Eine Transportflotte von 10 großen und 2 kleinen
Transportdampfern. Die Zuteilung weiterer Streitkräfte blieb vorbehalten.
(Staffel zur Durchführung der Hauptunternehmung.)
Am 28. Februar Nm. lief die I. Staffel bei herrlichem, klarem, winterlichem
Sonnenwetter in Richtung Öland Südspitze zum Marsch nach Aaland
von Danzig aus. Der I. Staffel wurden noch zwei Verkehrsdampfer (nach Art der
Elb- und Wesertender) angeschlossen.
Zusammengesetzt aus den verschiedenartigsten Fahrzeugen, schweren
Linienschiffen des Dreadnought-Typs, Sperrbrechern in Gestalt von älteren,
schwerfälligen Handelsdampfern, unhandlichen Fischdampfern,
Verkehrsdampfern der Unterelbe und schließlich einigen
Hafenverteidigungstorpedobooten ältester Zeit, stellte der Verband an die
Führereigenschaften seines Chefs und das seemännische
Können der Kommandoleute und Führer der einzelnen Schiffe und
Verbände die höchsten Anforderungen. Trotz dieser
Buntscheckigkeit des Verbandes und der außerordentlich schwierigen
Eisverhältnisse vor der Aaland-See - zweimal mußte wegen
unabsehbarer, starker Eisfelder und Nebels kehrtgemacht
werden - gelang es dem Chef des Sonderverbandes, die I. und II.
Staffel - letztere war, soweit aus starken Schiffen bestehend, nach dem
ersten Kehrtmachen der I. Staffel an diese herangezogen
worden - am 5. März, 630 Uhr Nm., auf der Reede vor
der Insel Eckerö (West-Aaland) zu Anker zu bringen.
Schnell waren, dank der Geschicklichkeit des gleichzeitig als Chef des Stabes
fungierenden I. Admiralstabsoffiziers, Kapitänleutnants Kiep, die
erforderlichen Vereinbarungen mit dem bereits dort befindlichen schwedischen
Hilfskorps über die Interessenabgrenzung getroffen, und nach ganz kurzer
Zeit war von dem auf den Linienschiffen überführten
Mecklenburgischen Jäger-Bataillon Nr. 14 unter seinem
Kommandeur, dem Major Frhr. Schenck zu Schweinsberg, die Etappe
eingerichtet, der erste Abschnitt der Unternehmung beendet.
[188] Die in der
südlichen Aaland-See angetroffenen und in der südlichen Bottensee
gemeldeten äußerst schwierigen Eisverhältnisse machten eine
Umänderung des Hauptplans erforderlich.
Raumo und Mäntyluoto waren in der vorgesehenen Jahreszeit unerreichbar.
Als einziger, am wenigsten durch Eis behinderter Hafen kam für die
Ausschiffung des Expeditionskorps nur Hangö am Westeingang des
Finnischen Meerbusens in Frage. Die Benutzung dieses Hafens bedingte jedoch
die Herstellung einer minenfreien, gut und sicher bezeichneten Fahrstraße
durch das große Sperrgebiet in der nördlichen Ostsee (vgl. die
ausgedehnten Verseuchungen in den Jahren 1916 und 1917) bis hinauf nach
Hangö, eine Aufgabe, die schier über menschliche Kraft zu gehen
schien, aber dennoch geleistet werden mußte, wenn die Hilfe für das
arg bedrängte finnische Volk noch zur rechten Zeit kommen sollte.
Und auch diese Arbeit ist geleistet worden. Mit großer Umsicht,
hervorragender Geschicklichkeit im Disponieren und seltener Energie und
Tatenfreudigkeit verstand es der bereits während der Eroberung der
baltischen Inseln in gleicher Stellung rühmlichst hervorgetretene
Führer des für die Finnland-Unternehmung besonders
zusammengestellten "Suchverbandes der Ostsee", Fregattenkapitän
v. Rosenberg, alle Hindernisse in einer erstaunlich kurzen Zeit zu
überwinden und durch Minen, Eis und Nebel die Bahn für die
Transportflotte freizumachen. Neben dem Führer haben die Verbandschefs,
Kommandanten und Besatzungen ohne Ausnahme, entweder an Deck in Sturm
und Schnee, oder unten in der Maschine und vor den Feuern, ihr Bestes
hergegeben, um den schnellen Erfolg der Unternehmung zu sichern.
Am 31. März Abends konnte an den Chef des Sonderverbandes in Danzig
gemeldet werden, daß die Fahrstraße im großen und ganzen
fertiggestellt sei. Zwei Fischdampfer haben diese Vorbereitungen an
Minenverlusten gekostet, von denen der eine mit Mann und Maus in die Tiefe
sank.
Am 2. Osterfeiertag, den 1. April, konnte die eigentliche
Hauptunternehmung, die Überführung des Expeditionskorps,
beginnen. Bei herrlichem Osterwetter lief die III. Staffel in folgender Gliederung
aus:
1. Vortrupp: 4. Minensuchhalbflottille, III. Sperrbrechergruppe,
Finnischer Eisbrecher "Sampo" (war inzwischen aus dem westlichen Finnland
herangezogen),
2. Gros: "Westfalen" und "Posen", 2 Torpedoboote, Verkehrsdampfer
"Vorwärts", erste Transportgruppe ("Kolberg", 5 Transportdampfer), zweite
Transportgruppe ("Nautilus", 3 Transportdampfer), dritte Transportgruppe
(Hilfskreuzer "Möwe", 3 Transportdampfer), Schleppergruppe (1
Pumpendampfer, 2 Schlepper mit je einem
500-t-Seeprahm im Schlepp). "Rheinland" war vor Eckerö (Aaland)
verblieben, um dort die Vorbereitungen für das beabsichtigte
Übersetzen des
Jäger-Bataillons nach dem finnischen Festlande zu leiten.
In endlos langer Reihe zogen all die genannten Fahrzeuge ihre Straße nach
[189] Norden,
zunächst dicht unter der Küste bis Steinort, dem Kap nördlich
Libau, dann in das freie Seegebiet hinüberhaltend und schließlich in
die genau abgesuchte und mit den alten, schwerfälligen Feuerschiffen der
westlichen Ostsee und der Nordsee mühsam bezeichnete Fahrstraße
hineinsteuernd.
Planmäßig wurden alle markanten Punkte trotz Eises, auffrischenden
Windes und Regens erreicht; am Mittwoch, den 3. April, 425 Uhr Vm., d. h. zur
festgesetzten Zeit kurz vor Hellwerden, stand "Westfalen" vor der Einfahrt von
Hangö.
Um 530 Uhr landete der vorher
ausersehene Parlamentär auf der dem Hafen von Hangö
vorgelagerten befestigten Insel Russarö, um festzustellen, wie sich die
ehemals russischen Befestigungen - die Befestigungen in Finnland waren
noch von russischem Militär besetzt - bei der Landung in
Hangö verhalten würden. Die Linienschiffe lagen auf etwa
8000 m Entfernung klar, um etwa feuernde Batterien sofort
niederzukämpfen.
Um 540 Uhr meldeten aber bereits die
verabredeten weißen Sterne, daß Russarö sich bedingungslos
ergeben hatte.
Inzwischen hatten sich die Minensucher weiter vorgeschoben. "Westfalen" stand
querab Russarö. An der Mole von Hangö erfolgten etwa vier
gewaltige Detonationen, und ein großer Brand mit starker
Rauchentwickelung loderte auf. Man sah einen Eisenbahnzug sich eilends nach
Osten entfernen, in der Luft flogen die Trümmer von den Detonationen
umher. Auf dem Rathaus wehte eine riesige rote Flagge im scharfen
Südostwind. Über Hafen und Stadt kreisten die von den
Sperrbrechern mitgeführten deutschen Wasserflugzeuge.
Die Bucht und die Reede von Hangö waren mit dichtem Treibeis bedeckt.
Minensuchen war ausgeschlossen, die Sperrbrecher gingen daher mit hoher Fahrt
vor und brachen zusammen mit dem finnischen Eisbrecher "Sampo" das Eis in
der Bucht auf. Um 630 Uhr
wehte die deutsche Kriegsflagge auf der Signalstation Russarö. um
750 Uhr wurde sie auf dem
Leucht- und Wasserturm Hangö, dem höchsten Punkt der ganzen
Stadt, gesetzt. Bald war die Stadt von der Roten Garde gesäubert.
Um 745 Uhr konnte der Befehl zum
Einlaufen der Transportflotte gegeben werden, und bald lag die ganze Flotte zu
Anker, während die Minensucher im Südosten bereits an dem
minenfreien Weg nach Reval arbeiteten.
Mit dem Zu-Anker-Liegen der Transportflotte und der Ausschiffung der Armee
war der Hauptabschnitt für die Marine beendet. Eine große
Transportflotte war trotz des Eises sicher durch alle Minenfelder geführt
und ohne Verluste am Reiseziel zu Anker gebracht worden. An Beute fielen den
Seestreitkräften ein U-Bootsmutterschiff und drei englische
U-Boote, allerdings in ausgebranntem und versenktem Zustande, in die
Hände.
In schnellem Siegeslauf eroberte nun in den folgenden Tagen die
Ostsee-Division Südfinnland, wobei ihr das durch die Marine auf in Aaland
genomme- [190] nen Schiffen nach dem
finnischen Festland überführte
Jäger-Bataillon wertvolle Dienste leistete. Bei dieser
Überführung kam das Jäger-Bataillon auf den Inseln Nagu und
Korpo (Abo-Schären) roten Garden und dem roten Kanonenboot "Bobr"
gegenüber in eine sehr bedrängte Lage, aus der es durch "Kolberg"
(Kommandant Kapitän z. S. Franck) inmitten der schwierigen
Schärenfahrwasser trotz Schnee und Nebel befreit wurde. "Kolberg" nahm
bei dieser Gelegenheit den von Roten besetzten finnischen Eisbrecher "Murtaja"
und einen Schärendampfer "Dragsfjärd" und brachte sie nach
Hangö. Später wurde noch das inzwischen desarmierte Kanonenboot
"Bobr" von dem Hilfskreuzer "Möwe" gelegentlich einer Patrouillenfahrt in
den Schären angetroffen und nach Hangö
übergeführt.
Das nächste Hauptziel, das sich die Ostsee-Division gesetzt hatte, war die
Eroberung der Hauptstadt Helsingfors. Da hier noch mit den besetzten
Befestigungen der Feste Sveaborg und der Anwesenheit starker russischer
Kriegschiffe gerechnet werden mußte, war die Mitwirkung der
Seestreitkräfte beim Vorgehen gegen Helsingfors unerläßlich,
wenn auch mit Vertretern der russischen Flotte in dem sogenannten
"Hangö-Abkommen" die strikte Neutralität aller russischen Schiffe
und Küstenwerke vereinbart war.
Mit äußerster Energie wurde daher an dem minenfreien Wege
über Reval nach Helsingfors gearbeitet.
Obgleich die Armee wider Erwarten schnell vorwärts kam und daher vor
dem ursprünglich in Aussicht genommenen Termin vor Helsingfors stand,
erreichten auch die Seestreitkräfte rechtzeitig das Ziel ihrer
Operationen.
Noch einmal sollten sie allerdings vor eine starke Geduldsprobe gestellt werden.
Am Abend des 11. April, noch eben kurz vor Dunkelwerden, konnte der Verband
vor Grahara, der kleinen Ansteuerungsinsel vor Helsingfors, in dichtem Packeis
zu Anker gebracht werden, nachdem der Leuchtturm von Grahara und die
leuchtenden Kuppeln der Kathedrale auf Sveaborg gerade noch hatten ausgemacht
werden können.
Am folgenden Tage, den 12. April, herrschte dichter Nebel. Ein frischer
Ostsüdost wehte. Das Eis war in Bewegung und schob sich zu immer
dicker werdendem Packeis zusammen. Die Lage schien äußerst
kritisch zu werden, da die Ankerketten eine derartige Beanspruchung auf die
Dauer nicht aushalten konnten und die Schiffe nach einem Bruch derselben
unweigerlich den großen Sperrfeldern westlich der Hafeneinfahrt von
Helsingfors zutreiben mußten. Einige Stunden nach Hellwerden kam das
Eis aber zur Ruhe, und die Hauptgefahr war vorüber.
In dieser Lage klarte es plötzlich um 5 Uhr Nm. schnell auf. Kurz
entschlossen lichtete der Verbandschef sofort die Anker und lief ein. Eben vor
Grahara bezeichneten auf dem Eise herumliegende Trümmer und ein
gewaltiger Ölfleck die Stelle, wo einige Tage vorher die englischen, noch in
Helsingfors befindlichen U-Boote gesprengt worden waren.
[191] Unter
"Klar-Schiff zum Gefecht" wurde an den mit Kanonen aller Kaliber
buchstäblich gespickten Inseln vorbei in den Hafen eingelaufen und vor der
alten Feste Sveaborg, etwa eine Seemeile von der Stadt entfernt, geankert. Noch
am gleichen Abend wurden alle Landungskorps an Land gesetzt, um am
nächsten Morgen sofort zur Stelle zu sein.
Der nächste Tag brachte die heißen Kämpfe um Finnlands
Hauptstadt Helsingfors. Während die Armee von Norden her gegen die
Stadt operierte, fiel dem Landungskorps die Aufgabe zu, von dem
südlichen Stadtteil, dem auf einer Art Landzunge gelegenen Skatudden, aus
gegen die Roten in Helsingfors vorzugehen. Diese Aufgabe war
außerordentlich schwer, da die Roten sich in den Häusern um den
Marktplatz (Salu Torget) herum eingenistet hatten und von hier aus die
Anmarschstraße, d. h. die enge Stelle, die Skatudden mit der
eigentlichen Stadt (dem Marktplatz) verbindet, unter heftigem Feuer halten
konnten. Dem mustergültigen Draufgehen der Landungskorps und dem
geschickten Eingreifen der Artillerie der an den verschiedenen Anlegestellen
verteilten Minensuchboote jedoch gelang es, im Laufe des Tages bis zum
frühen Nachmittag den Widerstand der Roten zu brechen und sie in dieser
Gegend restlos zur Übergabe zu zwingen. Etwa 1500 Gefangene, sehr viele
Maschinengewehre und Gewehre, sowie eine Unmenge Munition und sonstigen
Kriegsgeräts wurden die Beute der Marine.
Durch das Vorgehen der Marine wurden der Armee ihre sehr schwierigen
Operationen erleichtert, und die Marine ihrerseits war stolz darauf, in
harmonischem Zusammenwirken mit ihrer großen, ruhmreichen Schwester
an der Eroberung von Finnlands schöner Hauptstadt teilgenommen zu
haben.
Mit der Einnahme der finnischen Hauptstadt waren die Operationen für die
Marine in der Ostsee beendet.
Die Folgezeit stand nun für die Marine im Zeichen der Sicherung,
Befestigung und des weiteren Ausbaus der erreichten Erfolge. Neben der
Herrichtung der örtlichen Seeverteidigung Helsingfors durch
Wiederherstellung einiger Küstenbatterien und Vorbereitung von
Minensperren ging gleichzeitig die Anleitung der Finnen im Marinedienst her, die
sich besonders im Minensuchdienst bis über den ganzen Sommer hinaus
erstreckte.
Überdies fiel den Seestreitkräften die Aufgabe zu, die gesamte
finnische Küste zu bewachen und gegen Piratenfahrten der Roten oder auch
Angriffe bolschewistischer russischer Seestreitkräfte zu schützen.
Die zu diesem Zweck angeordneten Patrouillenfahrten führten die
deutschen Seestreitkräfte einmal im Finnischen Meerbusen bis zum Fort
Ino, dem nördlichen Außenfort von Kronstadt, und auf der
südlichen Seite bis Narwa, nachdem die Armee das Südufer des
Finnischen Meerbusens bis zur Narova in ihren Besitz gebracht hatte, und
anderseits im [192] Bottnischen Meerbusen
bis zur nördlichen Grenzstation Finnlands, der Stadt Tornea, hinauf.
Daraus erhellt, daß mit Abschluß der Finnland-Operationen die
gesamte Ostsee - abgesehen von der russischen Festung
Kronstadt - sich restlos in der Gewalt der deutschen Marine befand, und
ungestört konnte die Flagge des nach Auflösung des
Sonderverbandes neuernannten "Befehlshabers der baltischen Gewässer",
des Kontreadmirals v. Ußlar, der als Chef des Stabes beim
Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte bereits von August 1915 an
ruhmreichen Anteil an den Erfolgen der Ostseekriegführung genommen
hatte, überall in der östlichen Ostsee wehen.
Es war für den deutschen Seebefehlshaber ein erhebender und gleichzeitig
geschichtlicher Moment, als er an einem klaren Septembermorgen, auf den
Trümmern des gewaltigen Forts Ino stehend, die Herbstsonne in den
goldenen Kuppeln der Kathedrale von Kronstadt spielen sah und in der Ferne
sogar einige Schornsteine von Rußlands Hauptstadt St. Petersburg
grüßen konnte. Zu seinen Füßen suchten die deutschen
Minensucher unmittelbar vor der Reede von Kronstadt Minen, um gegebenenfalls
auch dorthin noch vordringen und so den Schlußstein zu den Erfolgen der
Ostseekriegführung legen zu können.
Ein tragisches Geschick hat es anders gefügt. So gewaltig die Erfolge in der
Ostsee gewesen waren, so niederschmetternd und vernichtend war das Ende.
Als die ersten ernsten Nachrichten aus Kiel in Libau, dem Haupthafen des
Befehlshabers der baltischen Gewässer, eintrafen, da hatte man
zunächst noch eine, wenn allerdings auch nur schwache Hoffnung,
wenigstens im besetzten Gebiet die Bewegung hintanhalten zu können; als
aber die Kunde durchkam, daß auf vielen Schiffen der Hochseeflotte bereits
die rote Flagge wehte, da war auch Libau und mit ihnen das Baltikum verloren.
Der letzte Versuch des Befehlshabers der baltischen Gewässer, noch von
Reval, das ja durch die Minen gegen deutsche revolutionäre
Streitkräfte gut geschützt war, die kaisertreuen Streitkräfte zu
sammeln, scheiterte - bei seiner Ankunft in Reval wehte dort bereits die
rote Flagge. Selbst auf den Streitkräften im
Björkö-Sund bei Ino mußte die siegreiche alte Kriegsflagge
dem roten Wimpel weichen.
Nach Bekanntwerden der drückenden, außerordentlich schweren
Waffenstillstandsbedingungen und der kurzen Räumungsfristen für
die besetzten Gebiete im allgemeinen, gab es für die Streitkräfte kein
Halten mehr; die Furcht, noch im letzten Augenblick von den Engländern
abgefangen zu werden, führte zu einer Massenflucht nach Deutschland, die
nur mühsam von den Führern und verständigeren Elementen
gedämpft werden konnte. Alles, was nicht
niet- und nagelfest war, wurde noch schnell zu Geld gemacht, die Proviantlager
zum größten Teil geplündert. Das, was in harter Kriegsarbeit in
vier langen Kriegsjahren erobert und erworben worden war, wurde skrupellos in
wenigen Stunden aufgegeben.
[193] Ja, selbst die
Feuerschiffe, die "Meilensteine" und "Wegweiser" auf der minenfreien
Fahrstraße nach Finnland, die wie das tägliche Brot zum Abtransport
der deutschen Truppen aus Finnland und zu der davon abhängenden
Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen gebraucht wurden,
verließen trotz inständiger Vorstellungen der vorgesetzten
Dienststellen ihre Posten und waren nur durch hohe Zulagen zur Rückkehr
für kurze Zeit zu bewegen. Dennoch hat die Führung auch diese
Aufgaben des Waffenstillstands restlos erfüllt und dadurch in jenen
schweren Wintertagen auch auf diese Weise zum Wohle des Vaterlandes
gewirkt.
Es war ein bitter empfundener und tief schmerzender Augenblick, als am Sonntag,
den 1. Dezember, nachmittags gegen 4 Uhr, bei kaltem Sprühregen
englische Zerstörer im Vorhafen von Libau zu Anker gingen, und damit die
Engländer die Übernahme der Herrschaft in der Ostsee nach
außen hin kenntlich machten, derselben Ostsee, die für sie
während des ganzen Krieges dank der Tüchtigkeit und
Opferfreudigkeit der deutschen Ostseestreitkräfte verschlossen geblieben
war.
Und noch bitterer wurde jene Stunde am 10. Dezember von allen
deutschdenkenden Elementen empfunden, als am Nachmittag nach Dunkelwerden
der letzte Befehlshaber von Libau mit seinem Stabe auf dem Hilfskreuzer
"Möwe" diesen Hafen verließ und im Vorhafen im Scheinwerferlicht
der englischen Zerstörer kontrolliert wurde, auf derselben "Möwe",
die im Kriege auf offenem Weltmeer bei all ihren Kreuzerfahrten den
Engländern unerreichbar geblieben war.
5. Rückblick.
Und doch! Zwar endete mit dieser Heimfahrt die traurigste Phase des
Ostseekrieges, aber auch gleichzeitig eine besonders glanzvolle Epoche deutscher
Seekriegführung. Es bleibt als geschichtliche Tatsache bestehen, daß
in der Ostsee mit außerordentlich geringen und vielfach mehr als
dürftigen Mitteln ein ganzes Meer durch einen von festem Siegeswillen
getragenen Offensivgeist einer großen Übermacht gegenüber
genommen und gehalten worden ist, es bleibt ebenso als geschichtliche Tatsache
bestehen, daß die Ostseestreitkräfte bis zuletzt getreulich ihre Pflicht
erfüllt haben, bis zum Augenblick, wo die heimischen Streitkräfte
ihnen das Rückgrat zerbrachen und sie in den Strudel des allgemeinen
Zusammenbruchs hineinzogen. Deshalb wird der Glanz der Ostseeerfolge in der
Geschichte das dunkle Ende überstrahlen und unter dem Namen ihres
hohen, vorbildlichen und selten verantwortungsfreudigen Oberbefehlshabers die
Namen aller Mitkämpfer und besonders derjenigen erstrahlen lassen, die im
Glauben an Deutschlands Größe und in dem Bewußtsein ihr
Leben dahingegeben haben, daß ohne Sieg in der Ostsee auch der Weltkrieg
nicht hätte gewonnen werden können.
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