Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Seekrieg
Kapitel 2: Die Kampfhandlungen in der
Nordsee (Forts.)
Korvettenkapitän Otto Groos
2. Während der Offensive der
Hochseeflotte (bis zum Frühjahr 1917).
Vorbereitende Unternehmungen.
Von jetzt an prägte sich in allen Maßnahmen der Flotte der
Angriffsgeist des neuen Führers und der ihn hervorragend
ergänzenden Stabschefs v. Trotha und v. Levetzow aus.
Angriff und Abwehr beherrschte von jetzt an nur ein Ziel: den Feind unter allen
Umständen und mit Einsatz möglichst aller Streitkräfte zur
Schlacht zu stellen. Tatkräftiger als bisher wurden die Auslaufwege durch
den Minengürtel kontrolliert, neue eröffnet und der Kampf gegen die
blockierenden U-Boote aufgenommen. Durch häufige
Vorstöße der Torpedoboote über das Minengebiet hinaus
wurde das Vorgelände der Bucht auch bei Nacht und fehlender
Luftaufklärung überwacht, um neue Minenverseuchungen nach
Möglichkeit zu verhindern. Auch der Feind schob die Bewachung seiner
Stützpunkte zu dieser Zeit bis zu 140 sm von Rosyth und Scapa
Flow vor. Dennoch gelang es dem Hilfskreuzer "Möwe" unter
Korvettenkapitän Graf Dohna Anfang Januar von Westen her im Ausgang
des Pentland Firth Minen zu werfen. Von [79] einer solchen getroffen,
kenterte das Linienschiff "King Edward VII." am 6. Januar 12 Stunden
nach der Explosion bei schwerem Seegang.
Die Stürme des Januar rissen in der Deutschen Bucht viele englische Minen
los, selbst bis zu den Ankerplätzen der Flotte trieben solche. Als Wind und
Seegang nachließen, stießen in der Nacht zum 30. Januar die II., VI.
und IX. Flottille, die "Angriffsflottillen", zum Absuchen des Seegebiets westlich
der Minensperren vor, während Schlachtkreuzer und leichte
Streitkräfte zu ihrer Aufnahme in der Deutschen Bucht kreuzten. Nebel
beeinträchtigte das Unternehmen, und feindliche Streitkräfte wurden
nicht festgestellt.
Dem Vorstoß folgte am 31. Januar ein Angriff von neun Luftschiffen auf
das mittelenglische Handels- und Industriegebiet. Es ist deshalb besonders
bemerkenswert, weil "L 13", "14", "15" und "21" hierbei bis zur
Westküste Englands vordrangen und Liverpool, Manchester und andere
wichtige Städte und Industrieanlagen mit
Spreng- und Brandbomben bewarfen.
Trotz heftigem Gegenwind trafen alle bis auf "L 19" am 1. Februar gegen Mittag
in ihren Häfen ein. Dieser fehlte. Bei schwerem Schneetreiben machten
sich daher Flugzeuge, Minensuch-Divisionen, Flottillen, Kleine Kreuzer und
Schlachtkreuzer, mehrfach von U-Booten gefährdet, auf die Suche, bis ein
im Wasser treibender Benzinbehälter nördlich
Borkum-Riff keinen Zweifel mehr über das Schicksal des vermißten
Luftschiffes ließ. Auch zwei Flugzeuge mit ihren Besatzungen gingen im
Schneetreiben verloren. Nach späteren Nachrichten war "L 19",
Kapitänleutnant Loewe, nach dem Ausfall mehrerer Motoren über
Ameland treibend, obwohl in Seenot, von der holländischen
Küstenwache heftig beschossen worden und schwerbeschädigt nach
See treibend, auf dem Wasser niedergegangen und durchgebrochen. So fand ihn
der englische Fischdampfer "King Stephen" und verweigerte den
Schiffsbrüchigen die Rettung - eine Handlungsweise, die seinerzeit
die ausdrückliche Billigung der englischen öffentlichen Meinung
fand.
Das stürmische Wetter der nächsten Tage verhinderten jede
Luftaufklärung; sie mußte daher durch neue Vorstöße
der Torpedoboote ersetzt werden. Nachdem ein solcher am 6. Februar wegen
überkommender schwerer Sturzseen hatte abgebrochen werden
müssen, führte die Wiederholung in der Nacht zum 11. Februar
endlich zu einem, wenn auch bescheidenen Erfolg.
An der Südkante der Dogger-Bank stieß "G 101" um Mitternacht auf
den Feind und meldete 4 "Arethusas" in Sicht. Sofort schlossen unter
Führung des Kleinen Kreuzer "Pillau" die anderen Boote heran, aber erst
um 2 Uhr Vm. gelang es, den Feind von allen Seiten zu stellen, im
Torpedoangriff eines der feindlichen Schiffe zu vernichten, ein weiteres schwer zu
schädigen und 14 Mann, darunter den Kommandanten, zu Gefangenen zu
machen. Aus ihren Aussagen erfuhr man, daß das versenkte Schiff, die
"Arabis", ein neuer Schiffstyp von 1200 t Wasserverdrängung mit
einer Besatzung von 62 Mann, sich im Verbande [80] der 10.
Sloop-Flottille zur Abwehr von Luftangriffen und zum Minensuchen dort
befunden habe. Der Vorfall setzte, da dem Zusammentreffen der leichten
Streitkräfte möglicherweise weitere Ereignisse folgen konnten, die
englische wie die deutsche Flotte gleichzeitig zum Vorstoß nach der
Dogger-Bank in Bewegung. Als aber, von zwei Luftschiffen im Westen gesichert
und von Schlachtkreuzern aufgenommen, die deutschen Flottillen vor der Ems
eintrafen, machten auch die alarmierten Geschwader kehrt, während zwei
deutsche U-Boote noch tagelang auf das Erscheinen weiterer englischer
Streitkräfte warteten.
Erst mit abnehmendem Mond wurde die Flottentätigkeit wieder lebhafter.
Ende Februar und Anfang April [Scriptorium merkt an: März] hielt
das Auslaufen des Hilfskreuzers
"Greif" nach Norden, die Überführung von Spezialtorpedobooten von
Helgoland nach Zeebrügge sowie die Aufnahme der "Möwe" nach
ihrer ersten Kreuzfahrt bei Hornsriff die Vorpostenstreitkräfte in
ständiger Bewegung.
Diesen Ereignissen folgte am 5. März der erste größere
Vorstoß der gesamten Flotte unter der neuen Führung. Er richtete sich
gegen oft gemeldete feindliche Streitkräfte in den Hoofden; aber bis
50 sm nördlich der Scheldemündung und bis zur Themse
drangen die Schlachtkreuzer mit der II. Aufklärungsgruppe und den
Angriffsflottillen vor, während das Gros bis Texel marschierte, ohne den
Feind zu sichten. Auch ein daran anschließender Vorstoß der
Angriffsflottillen in Richtung auf den Firth of Forth und der
Flandern-Halbflottille gegen die Themse-Mündung führte zu keinem
anderen Ergebnis. Die nächsten zwei Wochen waren durch
Instandsetzungsarbeiten der Schiffe, Feststellung und Bezeichnung einer neuen
englischen Minensperre vor der Ems und Kontrollfahrten der Sperrbrecher
ausgefüllt. Als man dann gerade mit den Vorbereitungen für eine
neue Unternehmung begonnen hatte, erfolgte ein englischer Angriff.
Die planmäßige deutsche Luftaufklärung hatte am 25.
März wegen Regen- und Schneeböen nicht einsetzen können;
um so überraschender wirkte es daher, als plötzlich feindliche Flieger
und zahlreiche Zerstörer nordwestlich der Insel Sylt gemeldet wurden. Nun
stiegen auch die deutschen Flieger von List auf und trotz Nebel,
Schneeböen und niedriger Wolkendecke kam es bald zu heftigen
Kämpfen. Von den 7 englischen Fliegern, die aufgestiegen waren, verloren
drei im Schneesturm die Orientierung und wurden im Wattenmeer hinter Sylt von
deutschen Fliegern gefangengenommen.
Zweifellos hatte der Angriff, von Flugzeug-Mutterschiffen ausgehend und durch
zahlreiche Seestreitkräfte gedeckt, den Luftschiffhallen in Tondern,
vielleicht auch dem Kaiser-Wilhelm-Kanal gegolten. Wie die Flugzeuge
meldeten, zog der Feind gegen 2 Uhr Nm., mit einem schwer
havarierten Zerstörer im Schlepp, in nordwestlicher Richtung ab, aber bei
stark auffrischendem Winde brach gegen 9 Uhr Nm. die
Schleppleine. Nach Rettung der Besatzung ließ die englische Flottille den
havarierten Zerstörer, namens "Medusa", im Stich. Um 10 Uhr
[81] Nm. schlugen bereits
derartige Sturzseen über die verfolgenden deutschen Torpedoboote hinweg,
daß, abgesehen von schweren Beschädigungen, der Waffengebrauch
nicht mehr gewährleistet erschien. Die Boote hatten bereits kehrtgemacht,
als plötzlich die Rotte "G 193" und "G 194" kurz vor
Mitternacht vier Strich voraus drei feindliche Flugzeuge in solcher Nähe
sichtete, daß "G 193" nur noch mit hart
Backbord-Ruder und äußerster Kraft voraus von dem Bug des
Spitzenschiffes frei kam, während "G 194" von dem englischen
Kleinen Kreuzer "Cleopatra" gerammt und fast durchschnitten wurde. In das
Heulen des Sturmes und Brausen der Wogen mischte sich der Donner der
Geschütze, das Krachen der Kesselexplosionen des gerammten Bootes und
die Hurras auf Kaiser und Reich der in Nacht und Schneetreiben in der
schäumenden See versinkenden deutschen Besatzung. Der englische
Kreuzer schlug quer, und nun rammte "Undaunted", der Hintermann, das Schiff
und erlitt selbst so schwere Verletzungen, daß er, von "Cleopatra"
unterstützt, die See nur noch mit Mühe halten konnte.
Aber das blieben nicht die einzigen Ereignisse dieser Sturmnacht. Der I.
Führer der Torpedoboote hatte mit der IX. Flottille von Terschelling her
dem Feind auch den Rückzug nach Westen zu verlegen versucht. Hierbei
stieß "S 21" auf eine Mine und brach in zwei Teile und sank. 16
Mann konnten gerettet werden. Auf die eingehenden Funksprüche hin
entsandte die deutsche Flottenleitung noch in der Nacht weitere Geschwader nach
Hornsriff, und fast wären sie dort mit den britischen Schlachtkreuzern, die
mit der Aufnahme der havarierten englischen Schiffe beschäftigt waren,
zusammengestoßen, wenn nicht der immer heftiger wütende Sturm
ihrem Vormarsch vorzeitig ein Ende gesetzt hätte. Auch die englische
Schlachtflotte, die in der Nacht von Scapa ausgelaufen war, machte bald wegen
des schweren Südwest-Sturmes kehrt, die Aufnahme der vorgeschobenen
Streitkräfte dem V. Schlachtgeschwader überlassend. Nur dem
plötzlichen Hereinbrechen des außergewöhnlich schweren
Sturms ist es daher zuzuschreiben, daß der nach Hornsriff
vorstoßenden deutschen Flotte ein Erfolg gegen an Zahl unterlegene
Streitkräfte versagt blieb.
Der Untergang von "S 22" [Scriptorium
merkt an: 21?] hatte bewiesen, daß vor der Westeinfahrt der
Deutschen Bucht mit einer neuen Minenverseuchung zu rechnen war. Der genaue
Umfang mußte erst festgestellt werden, bevor die Flotte zu einer neuen
Unternehmung rüsten konnte.
Aber auch ohne dies war die Flotte in ständiger Bewegung. So wurde in der
Nacht vom 31. März ein Angriff von 7 Luftschiffen auf London und
Südengland von einem Vorstoß der Angriffsflottillen von Hornsriff
nach Westen begleitet. Gleichzeitig gingen die Vorpostenstreitkräfte
westlich Sylt in Aufnahmestellung und die übrigen Verbände der
Flotte in verschärfte Bereitschaft. Nach den Angriffen landeten alle
Luftschiffe im Laufe des Vormittag mit Ausnahme von "L 15", der
über London stark beschossen, in der Themsemündung sank.
Vergeblich liefen die Torpedoboote aus Zeebrügge ihm zur Hilfeleistung
entgegen.
[82] In der nächsten
Nacht wurde mit der gleichen Unterstützung durch Seestreitkräfte
der Angriff durch zwei Luftschiffe wiederholt, in der Nacht zum 3. April von vier
Luftschiffen. Letztere fügten insbesondere den Industrieanlagen am Tyne
schweren Schaden zu und drangen bis nach Leith und Edinburgh vor, von dort her
vergeblich durch das II. leichte Kreuzergeschwader verfolgt.
Als sich Ende April die Gerüchte von englischen Angriffsbewegungen
immer mehr verdichteten, erwartete Admiral Scheer den Feind nicht in den
Flußmündungen, sondern kreuzte mit der ganzen Flotte bei Hornsriff.
Dieses Gebiet war, wie jetzt feststeht, am 22. April auch das Ziel des englischen
Vorstoßes; doch erreichte die englische Flotte, entgegen dem Plan, an
diesem Tage erst das Skagerrak. Nebel beeinträchtigte den Fortgang der
britischen Operationen. Die Schlachtkreuzer "Australia" und "New Zealand" und
ebenso 3 Zerstörer rammten sich, ein neutraler Dampfer stieß mit
dem Linienschiff "Neptune" zusammen, es schien daher besser, die
Unternehmung abzubrechen. Die Schlachtkreuzer blieben in See, während
die Schlachtgeschwader am 24. April zur Brennstoffergänzung in ihre
Stützpunkte einliefen. Kaum war dies geschehen, als in der folgenden
Nacht die gesamten deutschen Hochseestreitkräfte zu einem Vorstoß
gegen die englische Küste ausliefen. In den Tagen vorher hatten
U-Boote die Ausgänge der Häfen vom Tyne bis zur Themse
ausgiebig mit Minen verseucht. Durch Beschießung der befestigten
Küstenplätze Lowestoft und Great Yarmouth sollten feindliche
Streitkräfte zum Auslaufen über die Minensperre veranlaßt
werden, während ihnen das Gros der deutschen Flotte von den Hoofden aus
in die Flanke fallen wollte. Folgte der Gegner dieser Herausforderung und griffen
die englischen Schlachtgeschwader ein, so konnte auf der
Terschelling-Bank eine Schlacht entbrennen, deren Bedingungen für einen
deutschen Erfolg günstig sein mußten.
Während des Vormarsches wurde um 4 Uhr Nm. das Flaggschiff des
Befehlshabers der Aufklärungsstreitkräfte,
S. M. S. "Seydlitz", nordwestlich
Borkum-Riff im vordersten Torpedobreitseitraum durch eine Mine getroffen.
Gleichzeitig wurden die anderen Schlachtkreuzer von
U-Booten angegriffen. Unbeirrt durch diesen Zwischenfall befahl Admiral Scheer
die Fortsetzung des Unternehmens auf einem anderen Weg, während
"Seydlitz" ohne fremde Hilfe in den Hafen zurückkehrte.
Vor den deutschen Kreuzern herlaufend, gerieten die Luftschiffe unmittelbar nach
Mitternacht als erste an den Feind. "L 17" und "21" warfen Sprengbomben
auf feuernde Batterien zwischen Ipswich und Norwich sowie bei Winterton,
"L 23" erreichte Harwich, den Stützpunkt leichter
Kreuzergeschwader. Starker Gegenwind hinderte an weiterem Vordringen. Gegen
5 Uhr Vm. stießen die Schlachtkreuzer auf die Küste
von Lowestoft. Gleichzeitig meldete aus der
Backbord-Seitendeckung der Kleine Kreuzer "Rostock" feindliche Schiffe und
Zerstörer in Westsüdwest. Es waren die
Harwich-Streitkräfte, die sofort [83] funkentelegraphisch
Admiralität und Schlachtflotte alarmierten. Letztere war noch in der Nacht
zum 25. April wieder ausgelaufen und befand sich bei Eingang der Meldung etwa
auf der Höhe des Firth of Forth, während die Schlachtkreuzer, nur
vom V. Schlachtgeschwader unterstützt, in der mittleren Nordsee
kreuzten und sich sofort zwischen die deutschen Schlachtkreuzer und ihre
Rückzugslinie zu schieben suchten. Inzwischen hatten die
Angriffsstreitkräfte die Beschießung der Hafenanlagen von Lowestoft
Panzerkreuzer "Derfflinger" während der
Schlacht vor dem Skagerrak, Breitseite feuernd.
"Derfflinger" eröffnete mit "Lützow", "Seydlitz",
"Moltke" und "von der Tann" das Feuer
auf die englische Flotte, um 4 Uhr 48 Min.
nachmittags des 31. Mai 1916. [Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit, S. 559.
|
und Yarmouth trotz dichtem Dunst über der Küste auf Entfernungen
von 10 bis 13 km mit guter Wirkung durchgeführt. Zwischen den
Sänden und der am 3. November 1914 von der "Stralsund" geworfenen
Minensperre schwenkten die Schlachtkreuzer - es waren "Lützow",
Kapitän zur See Harder, "Derfflinger", Kapitän zur See Hartog,
"Moltke", Kapitän zur See v. Karpf, und "Von der Tann",
Kapitän zur See Zenker - auf Südwest und gingen nunmehr
gegen die vorher gemeldeten Seestreitkräfte, mindestens 4 Kleine Kreuzer
und 12 Zerstörer, vor. Diese wendeten ab und liefen mit hoher Fahrt unter
Land nach Süden, bis auf 13 und 15 km verfolgt von den Salven der
deutschen Kreuzer und durch mehrere Treffer und daraufhin ausbrechende
Munitionsbrände schwer geschädigt. Bald darauf vereinigten sich die
deutschen Kreuzer mit ihrem Gros. Kurz vorher stieß das Torpedoboot
"G 41" auf den berüchtigten englischen Fischdampfer "King
Stephen". Er wurde versenkt und die Besatzung, die sich seinerzeit geweigert
hatte, die Schiffbrüchigen von "L 19" zu retten, gefangen
genommen.
Am frühen Morgen war nach Meldung des Marinekorps eine große
Zahl englischer Seestreitkräfte an der flandrischen Küste erschienen;
auf die Nachricht vom Auftreten der deutschen Kreuzer vor Lowestoft zogen sie
sich schleunigst zurück. Die Harwich-Streitkräfte hatten ihrerseits
auf jeden Versuch verzichtet, an dem deutschen Angreifer Fühlung zu
halten. Die Luftschiffe meldeten nirgendwo feindliche Streitkräfte. Das
alles deutete darauf hin, daß der Feind die Herausforderung nicht annehmen
wollte oder konnte. Daher blieb nichts übrig, als den Rückmarsch
anzutreten. Wenn man jedoch den englischen Angaben5 Glauben schenken kann, traf diese
Annahme der deutschen Führung nicht zu. Vielmehr stand, als die
deutschen Geschwader gegen Mittag Terschelling ostwärts passierten, die
englische Schlachtkreuzerflotte nur noch 50 sm nordwestlich von ihnen.
Etwas mehr Kriegsglück auf deutscher
Seite - und sie würde dem versammelten deutschen Gros in die Arme
gelaufen sein, ohne daß die zu jener Zeit noch 180 sm
zurückstehende britische Schlachtflotte hätte eingreifen
können. Das Bedauern, nicht mit dem Feind bei Terschelling
zusammengetroffen zu sein, ist daher auf deutscher Seite.
Bereits in der Nacht vom 2. zum 3. Mai griffen wieder 8 Marineluftschiffe den
mittleren und nördlichen Teil der Ostküste trotz stellenweise dichtem
[84] Schneegestöber
erfolgreich an. Hierbei drang eines derselben, "L 14", bis zum Firth of
Forth vor und belegte dort zwei der zu Anker liegenden feindlichen Schiffe mitten
im Hafen mit Sprengbomben. Dann aber verhinderte starker Schneesturm weitere
Angriffe. Während alle anderen Schiffe trotzdem ihre Stützpunkte
erreichten, wurde "L 20", Kommandant Kapitänleutnant Stabbert,
durch den zunehmenden Wind bis über die schottische
Nordwest-Küste verschlagen, landete aber schließlich bei Stavanger.
Die Besatzung wurde gerettet, das Schiff ging verloren.
In dieser Zeit konnte die planmäßige Reparatur von 4
Großkampfschiffen und die Entsendung des III. Geschwaders sowie
einiger Torpedoboots- und Kreuzerverbände zu dringenden Übungen
nach der Ostsee nicht länger aufgeschoben werden. Kaum war dies
eingeleitet, als ein englischer Angriff erfolgte. In der Nacht zum 4. Mai
stieß die gesamte englische Flotte nach Hornsriff vor, während zwei
Minenleger die West- und Nordausfahrt der Deutschen Bucht von neuem mit
Minen sperrten. Am andern Morgen sollte ein Fliegerangriff auf Tondern bei der
deutschen Flottenleitung den Eindruck einer bevorstehenden englischen
Flottenoffensive verstärken, um sie von der vermeintlichen Entsendung von
Streitkräften gegen Rußland abzuhalten. Bei bewegter See gelang es
jedoch nur einem der englischen Flugzeuge, aufzusteigen; es warf seine Bomben
statt auf Tondern auf dänisches Gebiet. Inzwischen war, unterstützt
von den List-Fliegern, ein Luftschiff, "L 7", nach Norden zur
Aufklärung entsandt worden, wurde aber beim Angriff auf das erste leichte
feindliche Kreuzergeschwader von Schiffen desselben durch Artilleriefeuer so
schwer beschädigt, daß es später bei
Vyl-Feuerschiff auf dem Wasser niedergehend, eine leichte Beute des
plötzlich auftauchenden englischen U-Bootes "E 31" wurde. Statt
seiner hatte "U 24", von einer Unternehmung zurückkehrend, starke
feindliche Streitkräfte nördlich Hornsriff gemeldet; aber noch bevor
die sofort vorstoßenden Vorposten-U-Boote und Torpedobootsflottillen die
Fühlung am Feind nehmen konnten, hatte die englische Flotte den
Rückmarsch angetreten. Nur "E 31" wurde in aufgetauchtem
Zustand in der folgenden Nacht von dem Geleitkreuzer "Rostock"
überrascht und erhielt beim Tauchen einen Treffer in den Turm. Das aus
der Ostsee zurückgerufene III. Geschwader machte bereits im Kanal
kehrt, um seine Übungen in Kiel fortzusetzen.
Die Schlacht vor dem Skagerrak.
Die folgenden Wochen wurden zur Schaffung eines minenfreien Weges aus der
Mitte der Deutschen Bucht heraus ausgenutzt, um bei der nächsten
Unternehmung unbemerkt auslaufen zu können. Auf einigen Schiffen des
III. Geschwaders auftretende Kondensatorhavarien verhinderte jedoch die
Durchführung der beabsichtigten Unternehmung bis nach dem 23. Mai.
Inzwischen wurde infolge der zeitweiligen Zurückstellung des
U-Bootshandelskrieges eine [85] größere
Anzahl von U-Booten für Zwecke der Flotte verwendbar. Schon am 17.
Mai suchten daher 9 U-Boote in breiter Aufklärungslinie die
nördliche Nordsee auf feindliche Kriegschiffe ab und nahmen vom 23. Mai
an 10 Tage lang Wartestellungen vor den englischen Stützpunkten ein, zwei
Boote vor dem Pentland Firth, die anderen vor dem Firth of Forth. In den
nächsten Tagen besetzte eine ganze Anzahl weiterer Boote Stellungen vor
dem Humber und bei Terschelling, während andere zum Minenlegen gegen
die Themse, den Firth of Moray und die Orkney-Inseln vorgingen.
Daß eine außergewöhnlich große Zahl deutscher
U-Boote in der Nordsee operierte, erfuhr der Feind bereits am 18. Mai.
Zurückverlegung der englischen Blockadelinien, Verstärkung der
Vorpostenstreitkräfte, Aufklärung durch leichte Kreuzergeschwader
und Absuchen minenfreier Wege bis zur Dogger-Bank waren die Folge,
während von deutscher Seite eine scharfe Bekämpfung der
feindlichen U-Boote in der inneren Deutschen Bucht und Bewachung der
Auslaufwege durch nächtliche Vorstöße der
Torpedobootsflottillen bis in die Linie
Terschelling - Hornsriff einsetzte. Aber vom 23. Mai ab wartete die
deutsche Flottenleitung vergeblich auf einen für Luftaufklärung
geeigneten Tag; dabei drängte die Zeit, denn am 1. Juni mußten die
U-Boote ihre Wartestellungen verlassen. Als daher auch am 30. Mai eine
Änderung der Wetterlage nicht abzusehen war, entschloß sich die
Flottenleitung, statt des zuerst geplanten Vorstoßes gegen die feindliche
Küste nach Norden vorzugehen, weil in dieser Richtung vom Fehlen der
Luftaufklärung geringere Nachteile zu erwarten waren. Durch das
Erscheinen der deutschen Flotte im Skagerrak sollte der Feind zum Vorschieben
von Streitkräften aus den Häfen der schottischen
Nordwestküste, dem Humber und Kanal, veranlaßt werden und
dadurch den auf der Lauer liegenden U-Booten Angriffsgelegenheiten bieten.
Falls die vorgeschobenen Kreuzer und Angriffsflottillen auf überlegene
feindliche Streitkräfte stoßen würden, sollten sie diese auf das
eigene Gros ziehen.
Am frühen Morgen des 31. Mai gelangte die Flotte auf dem von den
Minensuchformationen westlich der Amrum-Bank durch die feindlichen
Minenfelder gebahnten Weg sicher in die freie See. Einzelne
U-Bootsmeldungen vom Sichten feindlicher Streitkräfte an der schottischen
Ostküste ergaben ebensowenig ein Bild von den Absichten des Feindes, wie
eine Mitteilung der Entzifferungsstelle Neumünster, daß große
Kriegschiffe oder Verbände mit Zerstörern aus Scapa Flow
ausgelaufen seien. Sie nährten lediglich die Hoffnung, daß es
gelingen werde, einen Teil der feindlichen Streitkräfte zum Kampf zu
stellen.
In Wirklichkeit waren die Geschwader der "Große Flotte" bereits am 30.
Mai nach Anbruch der Dunkelheit aus den verschiedenen schottischen
Stützpunkten ausgelaufen, hatten sich am 31. Mai in See vereinigt und
standen um 3 Uhr Nm. etwa 120 sm westsüdwestlich
von Lindesnes. Die Schlachtkreuzerflotte mit dem V. Schlachtgeschwader
und den zugehörigen Leichten Streitkräften unter [86] Admiral Beatty stand
etwa 80 sm6 südsüdöstlich der
Schlachtflotte und war im Begriff, nordwärts steuernd, sich mit dieser zu
vereinigen. Nach Zusammenfassung aller Streitkräfte beabsichtigte Admiral
Jellicoe, der Höchstkommandierende, sodann, zu einer der üblichen
Aufklärungsfahrten in Richtung auf Hornsriff vorzustoßen.
Um die gleiche Zeit hatten die deutschen Schlachtkreuzer einen Punkt 60 sm
östlich der englischen erreicht; etwa 40 sm südlich von ihnen
stand das deutsche Gros. Die deutschen sowohl wie die englischen
Schlachtkreuzergruppen hatten zu ihrer Sicherung Aufklärungslinien
Kleiner Kreuzer und Torpedoboote halbkreisförmig in der
mutmaßlichen Richtung des Feindes vorgeschoben. Es dauerte nicht lange,
so waren diese in Gefechtsberührung. "Elbing", westlicher
Flügelkreuzer der deutschen Marschsicherung, stieß mit
"B 109" bei Untersuchung eines Dampfers um 328 Uhr auf "Galatea", das Flaggschiff
des I. leichten englischen Kreuzergeschwaders. Dieses und sieben andere Kleine
Kreuzer werden sofort von der II. Aufklärungsgruppe gejagt und drehen
nach Norden ab. Vom britischen Flugzeug-Mutterschiff "Engadine" steigt ein
Wasserflugzeug zur Aufklärung auf, dann sichten sich, aufeinander
zulaufend, um 420 Uhr die
Schlachtkreuzer beider Parteien. Sofort entwickelt Admiral Beatty nach
Süden zum Gefecht, Vizeadmiral Hipper, der Befehlshaber der deutschen
Aufklärungsstreitkräfte, faßt daher den Entschluß, ihn
auf das eigene Gros zu ziehen. Er ruft die nördlich von ihm jagenden
Kleinen Kreuzer und Flottillen zurück, staffelt im laufenden Gefecht auf
wirkungsvolle Schußweite heran und eröffnet 449 Uhr fast gleichzeitig mit dem Feind
auf etwa 15 km das Feuer.
Die Schlacht vor dem Skagerrak hatte begonnen. Erneut standen sich die Gegner
vom 24. Januar 1915 gegenüber. Für die deutschen Schlachtkreuzer
galt es, den "Blücher" zu rächen.
[80a]
Aufschlag einer deutschen Granate auf die "Lion".
|
Der deutschen Admiralsflagge auf "Lützow" folgen "Derfflinger",
Kapitän zur See Hartog, "Seydlitz", Kapitän zur See v. Egidy,
"Moltke", Kapitän zur See v. Karpf, und "Von der Tann",
Kapitän zur See Zenker. Neben ihnen her jagt auf 10 bis 15 km
Abstand, scharf von dem westlichen Horizont sich abhebend, "Lion", "Princess
Royal", "Queen Mary", "Tiger", "New Zealand", und "Indefatigable". Fünf
Kleine Kreuzer und 3 Flottillen begleiten die deutschen, 12 Kleine Kreuzer und
16 Zerstörer die britischen Großkampfschiffe. Unmittelbar nach
Feuereröffnung wird "Lion", kurz darauf werden "Tiger" und "Princess
Royal" mehrmals getroffen. Um
5 Uhr Nm. fegt eine Granate die Decke eines der
Geschütztürme des englischen Flaggschiffs hinweg; 6 Minuten
später trifft eine Salve des "Von der Tann" das Oberdeck des
"Indefatigable" hinter dem achteren Geschützturm. Eine
Munitionsexplosion folgt. Über das Heck sinkend, fällt das Schiff
aus der Linie. [87=Karte] [88] Die
nächste Salve schlägt im Vorschiff ein, "Indefatigable" kentert. Eine
ungeheure schwarze Rauchwolke von doppelter Masthöhe steigt zum
Himmel empor. Sofort hält die feindliche Linie ab, während Admiral
Hipper heranstaffelt, um dem schwer geschädigten Feind an der Klinge zu
bleiben. Jetzt aber laufen "Barham", "Valiant", "Malaya" und "Warspite", die im
V. Schlachtgeschwader vereinigten schnellsten und mächtigsten
Schiffe der englischen Flotte, mit einem Kleinen Kreuzer und 9 Zerstörern
von Nordwesten her ins Gefecht und überschütten die deutschen
Kreuzer aus 20 km Entfernung, schnell näherkommend, mit einem
Trommelfeuer von 38-cm-Geschossen. Ihr gut geleitetes Feuer ist um so
wirkungsvoller, weil der deutsche Gegner, durch die Schlachtkreuzer gebunden,
kaum ein Geschütz zur Erwiderung gegen sie freimachen kann. Schon vor
ihrem Eingreifen war "Seydlitz" bereits in den ersten 10 Minuten dreimal
getroffen worden. Wieder hatte, wie am 24. Januar 1915, eine Granate die
Barbette eines Geschützturmes durchbrochen und die Munition zur
Entzündung gebracht. Der Turm brannte aus unter Ausfall der ganzen
Besatzung. Auch "Moltke" war bis 527 Uhr ebenso oft getroffen worden;
jedoch hatten die Geschosse hier, obgleich in oder unter der Wasserlinie
einschlagend, nur wenig Schaden angerichtet. Bedenklicher war ein im
Hinterschiff einschlagender Treffer auf "Von der Tann", der fast die
Rudermaschine außer Gefecht gesetzt hätte. Auf diesem, dem letzten
Schiff der deutschen Linie, machte sich nunmehr das Eingreifen des englischen
Schlachtgeschwaders besonders fühlbar. Bald setzte eine schwere Granate
den vorderen Geschützturm außer Gefecht; dann drang eine zweite
durch das Panzerdeck in den Handwinderaum eines anderen Turmes ein. Einer
Übermacht von 10 Schiffen gegenüber mußte die Lage der
deutschen Schlachtkreuzer allmählich kritisch werden.
[87]
Skizze 4: Die Skagerrakschlacht. Wege der deutschen und englischen
Seestreitkräfte
bis zum Zusammentreffen der Schlachtkeuzer (430 Nm.) am 31. Mai 1916.
|
Ohne das Aufdampfen der II. Aufklärungsgruppe mit der II. und IV.
Flottille an die Spitze der Linie abzuwarten, setzte daher Korvettenkapitän
Goehle, der Chef der IX. Flottille, um 530 Uhr in schwerem feindlichen Feuer
zum Angriff an. Gleichzeitig brechen, gedeckt durch Kleine Kreuzer, 12 englische
Zerstörer zum Gegenstoß vor; aber noch ehe sie heran sind, fallen auf
9 bis 8 km 13 Torpedoschüsse der IX. Flottille gegen die
feindlichen Großkampfschiffe. Dann kommt es zwischen den Linien auf
Entfernungen von 1000 bis 1500 m zu einem erbitterten
Torpedobootskampf, in den von deutscher Seite die Mittelartillerie der
Schlachtkreuzer und des Kleinen Kreuzers "Regensburg" eingreift. 2
Zerstörer werden zum Sinken gebracht, 2 andere, "Nestor" und "Nomad",
so schwer beschädigt, daß sie bewegungslos liegen bleiben und
später den deutschen Linienschiffen zum Opfer fallen. Auch auf deutscher
Seite sinken, von schweren Granaten getroffen, zwei Boote, deren Besatzungen
durch "V 26" und "S 35" im feindlichen Feuer geborgen werden,
während der Feind die Rettung seiner Zerstörerbesatzungen den
Deutschen überläßt.
[88a]
"Queen Mary" fliegt in die Luft infolge deutschen Feuers.
|
Inzwischen staffelten beide Gefechtslinien vor den anlaufenden Torpedos mit
[89] Erfolg ab, jedoch
schwieg das Feuer der schweren Geschütze keine Sekunde. Um 523 Uhr erhielt "Barham", das
Flaggschiff des V. Schlachtgeschwaders, den ersten Treffer, dann brach
eine zweite Katastrophe über das englische Schlachtkreuzergeschwader
herein. Eine Salve, wahrscheinlich von "Seydlitz" gefeuert, trifft einen
Geschützturm der "Queen Mary"; gleichzeitig laufen vier von "Moltke"
auf sie geschossene Torpedos zum Ziel. Der vereinigten Wirkung von Torpedo
und Granate folgt eine Explosion, welche die vorhergehende auf "Indefatigable"
noch übertrifft. "Tiger", der Hintermann der "Queen Mary", fährt
durch eine dichte Rauchwolke, Trümmer in Massen prasseln auf seine
Decks nieder, das Schiff selbst ist verschwunden. Von den herbeieilenden
Zerstörern werden nur wenige Überlebende gerettet. Unmittelbar
darauf erscheint das deutsche Gros auf dem Kampfplatz, angesichts der
Übermacht, gegen welche die deutschen Panzerkreuzer zuletzt
gekämpft hatten, gerade zur rechten Zeit.
Als Admiral Scheer 535 Uhr die erste
Meldung über den Feind erhalten hatte, stand er mit dem Flottenflaggschiff
50 sm hinter den Schlachtkreuzern an der Spitze des I. Geschwaders.
Vor diesem befand sich das III., hinter ihm das II. Geschwader, alle Schiffe
fuhren in Kiellinie. Da es Admiral Hipper anscheinend gelungen war, einen Teil
der feindlichen Streitkräfte zu stellen und kämpfend auf das eigene
Gros zu ziehen, beabsichtigte der deutsche Flottenchef zunächst, dem
Gegner den vorzeitigen Rückzug zu verlegen und ihn, wenn möglich,
zwischen zwei Feuer zu bringen. Hierzu nach Westen ausholend, erhielt er jedoch
die Meldung vom Eingreifen des englischen Linienschiffsverbandes. Damit wurde
die möglichst schnelle Entlastung der nunmehr weit unterlegenen
Streitkräfte des Admirals Hipper wichtiger als die Einnahme einer
Vorbereitungsformation und -stellung. Auf dem kürzesten Wege eilte
Admiral Scheer unter Volldampf mit der Flotte den bedrängten Kreuzern zu
Hilfe. 532 Uhr kamen die
kämpfenden Linien in Sicht, 554 Uhr eröffnete das III. und
I. Geschwader das Feuer, während Admiral Hipper sich mit einer
Schwenkung an die Spitze des Gros setzte.
Für Admiral Beatty bedeutete das Erscheinen der versammelten deutschen
Schlachtflotte auf dem Kampfplatz eine Überraschung. Er schwenkte sofort
nach Steuerbord auf den nördlichen Kurs, während das
V. Schlachtgeschwader die Deckung des Rückzugs der hart
mitgenommenen englischen Schlachtkreuzer übernahm. Noch
während der Schwenkung wurden sie von der XI. Halbflottille
angegriffen. Obwohl alle deutschen Streitkräfte dem Feind bald mit
höchster Fahrt nachjagten, gelang es seinen Schlachtkreuzern dennoch, sich
bald nach 6 Uhr dem Feuer der I. Aufklärungsgruppe zu
entziehen. Dagegen lag diese wie auch die Spitzenschiffe des
III. Geschwaders noch auf 19 bis 20 km unter wirksamem Feuer der
"Warspite". Je zweimal schlugen 38-cm-Granaten auf "Lützow" und
"Seydlitz" und einmal auf "Derfflinger" im Vorschiff ein, und auch
"Kurfürst" und "Markgraf" wurden leck geschossen, während die
rings um [90] die Schiffe brandenden
Aufschläge gewaltige Wassersäulen aufwarfen und die Decks mit
Granatsplittern überschütteten. Die Hoffnung, daß eins der
gejagten Schiffe, lahm geschossen, dem Gros zum Opfer fallen würde,
erfüllte sich nicht, obwohl gute Feuerwirkung erzielt und um 630 Uhr Nm. einwandfrei
beobachtet wurde, daß ein Schiff des V. englischen Schlachtgeschwaders
nach mehreren Treffern abdrehte und sich mit geringer Fahrt und starker
Schlagseite nach Feuerlee aus dem Gefecht zog.
Nach anfangs klarem Wetter war es inzwischen immer unsichtiger geworden. Der
Wind war von Nordwest über Westen nach Südwesten
herumgegangen. Der Pulver- und Schornsteinrauch klebte auf dem Wasser und
benahm nach dem Feind zu jede Aussicht. Selbst die eigenen
Aufklärungsstreitkräfte waren vom Flottenflaggschiff aus nur noch
für Augenblicke auszumachen.
Auf den Schlachtkreuzern wurde Entfernungsmessen und Beobachten gegen die
untergehende Sonne immer schwieriger und das Feuer immer schwächer.
Diesen Umstand nutzte der Feind. Während die leichten Streitkräfte
zum Torpedoangriff gegen die deutsche Spitze vorgingen, schwenkte Admiral
Beatty um 635 Uhr
allmählich auf Nordnordost-Kurs, drehte heran und eröffnete von
neuem mit Kreuzern und Linienschiffen ein lebhaftes Feuer auf die deutschen
Schlachtkreuzer, das von diesen wegen der schlechten Sichtigkeit nur
unvollkommen erwidert werden konnte. Es blieb ihnen daher nichts übrig,
als abzustaffeln und schließlich in südwestlicher Richtung wieder
engeren Anschluß an das eigene Gros zu suchen. Überlegene
Geschwindigkeit und die plötzlich zu seinen Gunsten ändernden
Sichtigkeitsverhältnisse hatten es Admiral Beatty ermöglicht, die
deutsche Spitze außerhalb Schußweite zu überflügeln
und dann mit verstärktem Feuerdruck nach Osten abzubiegen. Bald sah sich
auch das III. deutsche Geschwader gezwungen, dieser Bewegung zu folgen.
715 Uhr Nm. wurde eine
heftige Detonation auf S. M. S. "Lützow"
wahrgenommen, wahrscheinlich von einem Torpedo des Zerstörers
"Onslaught" herrührend, wodurch u. a. die
F. T.-Haupt- und Reservestation ausfiel. Der Befehlshaber der
Aufklärungsstreitkräfte wurde dadurch verhindert, den Flottenchef
über die plötzliche Änderung der Gefechtslage an der Spitze
rechtzeitig zu unterrichten. Dieser übertrug daher die Wahl des weiter
einzuschlagenden Gefechtskurses dem Chef des III. Geschwaders,
Kontreadmiral Behncke, der an der Spitze der Linie von S. M. S. "König" aus einen besseren Überblick
über die Lage haben mußte. Gleichzeitig wurde die Fahrt der Flotte
auf 15 sm verringert, um die bis jetzt mit äußerster Kraft
vorgetriebenen Divisionen zu sammeln.
In diese Lage hinein dringt plötzlich von Osten her das Schnellfeuer
schwerer Geschütze; gleichzeitig schlagen von dort her Granaten in
nächster Nähe der Schlachtkreuzer ein. In Feuerlee vor ihnen
aufklärend, waren die Schiffe der II. Aufklärungsgruppe unter
Kontreadmiral Boedicker, "Frankfurt", "Wiesbaden", "Pillau" und "Elbing", auf
einen feindlichen Kleinen Kreuzer gestoßen, [91] hatten diesen durch
Abgabe des englischen Erkennungssignals getäuscht und auf 5000 m
in Brand geschossen. Hinter ihm herjagend, erhalten sie plötzlich aus dem
Dunst heraus schweres Feuer; "Wiesbaden", Kommandant Fregattenkapitän
Reiß, bleibt liegen, "Pillau" wird von einer 30,5-cm-Granate getroffen.
Abwendend feuern die deutschen Kreuzer Torpedos auf eine nun erkennbare Linie
mehrerer Großkampfschiffe, während gleichzeitig, den Ernst der
Lage erkennend, die XII. Halbflottille, des schweren Feuers nicht achtend,
zum Angriff bis auf 6 km an den Feind heranläuft. Im Dunst glauben
die Kommandanten der deutschen Boote zahlreiche Linienschiffe auf
Nordwestkurs zu erkennen, anscheinend das feindliche Gros! Sofort abdrehend
verschwinden die Schiffe, kaum erkannt, wieder in dichten Rauchschwaden. Auf
die durch Funkspruch an die ganze Flotte gemeldete Beobachtung entstand bei
den deutschen Führern, noch ehe die eigentliche Schlacht begonnen, von
vornherein eine falsche Vorstellung über Standort und Kurs des feindlichen
Gros. Sie sollte, wie sich später erwies, die weitere Entwicklung erheblich
zu deutschen Ungunsten beeinflussen.
Welche britischen Streitkräfte es waren, die hier so überraschend
eingegriffen hatten, erfuhr man erst später aus englischen Berichten. Auf
die erste Meldung vom Sichten leichter deutscher Streitkräfte hatte Admiral
Jellicoe, in der Erwartung, daß diese über das Skagerrak nach der
Ostsee zu entkommen suchen würden, das
III. Schlachtkreuzergeschwader, "Invincible", "Inflexible" und
"Indomitable", von der Schlachtflotte aus vorstoßen lassen, um sie
abzuschneiden. Als aber um 5 Uhr Nm. über die Anwesenheit
stärkerer deutscher Streitkräfte kein Zweifel mehr war, schien es
richtiger, die drei Schlachtkreuzer auf dem kürzesten Wege mit
höchster Fahrt Admiral Beatty zu Hilfe zu schicken. Gleichzeitig
stießen die englischen Schlachtgeschwader, die von der ersten Meldung
über den Feind überrascht, erst die Kesselfeuer auf
Höchstleistung bringen mußten, mit 20 sm Fahrt gegen den
von Admiral Beatty gemeldeten Standort vor. Der britische
Höchstkommandierende hoffte zuversichtlich, daß Admiral Beatty
auch ohne weitere Hilfe imstande sein müsse, mit einer Streitmacht von 6
Schlachtkreuzern und 4 der besten und schnellsten Schlachtschiffe den an
Geschützkaliber und Geschwindigkeit unterlegenen 5 deutschen
Panzerkreuzern schweren Schaden zuzufügen. Auch die spätere
Meldung vom Eingreifen der deutschen Schlachtflotte gab keinen Anlaß zu
Befürchtungen, da anzunehmen war, daß auch die Schiffe des
V. Schlachtgeschwaders durch überlegene Geschwindigkeit, wenn
notwendig, dem feindlichen Feuer würden ausweichen können. Es
war daher für die Briten eine wenig angenehme Überraschung,
daß die Schiffe der "König"-Klasse in der Verfolgung mit
23 sm Geschwindigkeit den nur 1 sm mehr laufenden Schiffen der
"Queen-Elizabeth"-Klasse hart auf den Fersen blieben.
Der Kleine Kreuzer "Southampton" war es, von dem Admiral Jellicoe durch einen
Funkspruch um 538 Uhr die
erste Nachricht über die Anwesenheit der deutschen Schlachtflotte erhielt.
Diese, wie auch die weiteren Meldungen waren [92] aber, wie sich
später erweisen sollte, insofern fehlerhaft, als sie den Standort der
deutschen Flotte um 12 sm zu weit südlich und östlich
angaben. So kam es, daß das III. Schlachtkreuzergeschwader, mit
25 sm vorausgeschickt, nicht wie beabsichtigt, auf die eigenen
Schlachtkreuzer sondern östlich von diesen und der deutschen Flotte
vorbeistieß. Die schlechte und jetzt unvermittelt zwischen 16 km in
einer und 2 km in anderer Richtung wechselnde Sichtigkeit tat das ihre, um
den Anschluß zu erschweren, aber um 630 Uhr wurde plötzlich im
Südwesten Geschützfeuer gehört. "Chester", einer der beiden
das Geschwader begleitenden Kleinen Kreuzer, sichtete erst einen, dann zwei,
dann mehrere deutsche Kleine Kreuzer. Es kam zu dem bereits geschilderten
Gefecht. Nach Ausfall von drei Geschützen, mit fünf Treffern in der
Wasserlinie, entging er der völligen Vernichtung nur dadurch, daß
nunmehr drei "Invincibles" sich zwischen ihn und seine Verfolger warfen. Die
Geleitzerstörer "Acasta" und "Shark" wurden durch Artilleriefeuer der
II. Aufklärungsgruppe schwer geschädigt und letzterer danach
durch zwei Torpedos der angreifenden deutschen Boote zum Sinken gebracht.
Alle diese Kämpfe waren jedoch nur ein Vorspiel. Denn jetzt erschien von
Norden her, in 24 bis 30 km Entfernung vom Kampfplatz, den deutschen
Schiffen noch unsichtbar, das englische Gros. In 6 Kolonnen zu je 4
Großkampfschiffen, begleitet von 8 Kleinen Kreuzer und 3 Flottillen, nahte
es heran. Vor ihm her 8 ältere Panzerkreuzer in Aufklärungslinie.
Gleichzeitig mit den "Invincibles" stoßen sie auf den Feind. Fast
hätten sie auf letztere das Feuer eröffnet, aber noch gerade rechtzeitig
erkennen sie das III. Schlachtkreuzergeschwader und
überschütten nun, auf 13 km beginnend, die Schiffe der II.
deutschen Aufklärungsgruppe mit schwerem Feuer. Ohne auf die
übrige Gefechtsentwicklung zu achten, stürzen sich "Defence" und
"Warrior" unter Kontreadmiral Sir Robert Arbuthnot auf die
manövrierunfähige "Wiesbaden". In demselben Augenblick
erscheinen von Westen her die Streitkräfte Beattys. "Duke of Edinburgh", "Black Prince" und andere Panzerkreuzer drehen rechtzeitig ab und geben ihnen
den Weg frei. "Defence" und "Warrior" aber kreuzen dicht vor dem Bug des
"Lion" den Kurs der heranjagenden Schlachtkreuzer und laufen bis auf
6 km an die "Wiesbaden" heran. Dort aber ereilt sie ihr Schicksal.
Die deutsche Linie, Schlachtkreuzer an der Spitze, hatte sich inzwischen dem
unglücklichen Schiffe bis auf 4 km genähert; "Defence" und
"Warrior" werden gesichtet und sofort von mehreren Schiffen mit Feuer
überschüttet. 719 Uhr schlagen auf "Defence" zwei
Salven unmittelbar nebeneinander ein, Munition fliegt auf, und das Schiff
versinkt. Auch "Warrior" bleibt manövrierunfähig liegen. Um
710 Uhr hatte auch
Kontreadmiral Hood, der Chef des III. Schlachtkreuzergeschwaders, "Lion"
und die ihm folgenden Schiffe gesichtet und setzte sich mit einer Schwenkung an
ihre Spitze. Um das Wrack der "Wiesbaden" entbrennt daher um diese Zeit ein
rasender Kampf. Seine Heftigkeit wird noch gesteigert, als um 730 Uhr, für die deutsche Linie
völlig unerwartet, von Norden her das [93] Feuer einer großen
Zahl von schweren Geschützen fast unsichtbarer Gegner aufblitzt. Bald ist
der Horizont von Nordwesten über Norden bis Osten ein einziges
Flammenmeer, während um die deutschen Schiffe unzählige
Wassersäulen einschlagender Granaten bis zur doppelten Masthöhe
emporsteigen und in prasselnden Kaskaden über den Schiffsdecks
zusammenstürzen. Die "Große Flotte" hat in den Kampf eingegriffen.
In dem Feuerorkan leiden die deutschen Spitzenschiffe am meisten. 730 Uhr schlagen auf "Lützow"
im Vorschiff drei schwere Granaten zugleich ein,
Bug- und Breitseittorpedoraum laufen voll Wasser, und das Schiff sinkt schnell
vorne tiefer. Auch "Derfflinger" wird mehrfach getroffen. Dagegen bleiben die
übrigen Schlachtkreuzer in dieser Gefechtsphase von schwereren
Ausfällen verschont. Von den Schiffen des III. Geschwaders hat
"König", das Flaggschiff, Kapitän zur See Brüninghaus, die
Schwere des Kampfes zu tragen. Nach zwei Treffern im Vorschiff bricht ein
Brand aus, dann trifft eine schwere Granate den Kommandostand und detoniert,
am Kruppschen
Stahl abgleitend, 50 m vom Schiff. Sprengstücke
verwunden den Geschwaderchef, Kontreadmiral Behncke. Von allen
übrigen Schiffen der Flotte wird zu dieser Zeit nur noch "Markgraf"
getroffen. Durch Verbiegungen der Außenhaut werden die Schraubwellen
der Backbord-Maschine festgeklemmt; diese steht; dennoch kann das Schiff
seinen Platz in der Linie behaupten.
[95]
Skizze 5: Die Skagerrakschlacht. Kampf der Flotten
gegen 730 Nm. (M.E.Z.) am 31. Mai 1916.
|
Um 733 Uhr übertönt
eine neue Riesenexplosion den Donner der Geschütze. "Lützow"
rächt sich. Von ihm und anderen deutschen Schiffen eingedeckt, liegt
"Invincible" schon einige Minuten im schwersten Feuer. Dann wird einer ihrer
Geschütztürme getroffen, die Turmdecke fliegt hoch, eine
Feuergarbe schießt zum Himmel, das Schiff bricht in der Mitte durch und
sinkt in die Tiefe. Nur 2 Offiziere und 4 Mann werden später durch einen
Zerstörer gerettet.
Gleichzeitig lief das III. leichte Kreuzergeschwader zum Torpedoangriff gegen die
deutschen Schlachtkreuzer an, und "Falmouth" und "Yarmouth" feuerten
Torpedos. Dem Druck auf die Spitze nachgebend und immer in dem Glauben,
daß das Gros der englischen Flotte im Osten statt im Norden stände,
schwenkten die Admirale Hipper und Behncke um diese Zeit scharf nach
Süden, eine Bewegung, der Beatty auf dem äußeren Kreise so
schnell als möglich zu folgen suchte.
Dem Eingreifen der englischen Schlachtflotte waren infolge der fehlerhaften
Standortangaben durch die "Southampton" Augenblicke größter
Unsicherheit und Spannung für den englischen
Höchstkommandierenden vorausgegangen. Admiral Jellicoe hatte nach den
funkentelegraphischen Meldungen über die Bewegungen der deutschen
Streitkräfte damit gerechnet, die deutsche Flotte rechts voraus und
erheblich später, als es nachher geschah, in Sicht zu bekommen.
[96a]
"Lion" dreht nach Norden ab.
|
Die britische Flotte war daher noch in tiefer Marschformation, als um 7 Uhr in
Südsüdwest, 5 sm ab, "Lion", gefolgt von anderen
Schlachtkreuzern, deren Zahl im Dunst nicht auszumachen war, in Sicht kam, in
heftigem Kampf mit einem von "Iron Duke" aus immer noch unsichtbaren Feind.
"Lion" meldet [94] durch Scheinwerfer
deutsche Schlachtkreuzer in Südost, aber erst auf ausdrückliche
Anfrage um 714 Uhr die
deutsche Schlachtflotte in Südsüdwest. Gleichzeitig beginnen bereits
Salven in der Nähe der westlichen Flügelkolonne der Schlachtflotte
einzuschlagen. Jellicoe entwickelt daher auf die östliche
Flügelkolonne zur Gefechtslinie und läßt diese auf
Südost-Kurs schwenken; gleichzeitig verhält er mit der Fahrt, um die
Schlachtkreuzer, welche die Batterien der Schlachtschiffe maskieren, mit zwei
Flottillen des Gros an die Spitze der Linie gelangen zu lassen. Schon
während des Einschwenkens kommt "Marlborough" mit seiner Division auf
13 km in ein kurzes Gefecht mit Linienschiffen der deutschen Vorhut.
Während die Schlachtkreuzer Beattys zwischen den Linien an die Spitze
laufen und sich mit den "Invincibles" vereinigen, stößt hinter ihm
Kontreadmiral Even-Thomas, der Führer des
V. Schlachtgeschwaders, auf die westliche Flügelkolonne, hält
diese zunächst für die Vorhut der bereits entwickelten Gefechtslinie
und will sich bereits vor diese setzen, als er seinen Irrtum erkennt. Um nunmehr
hinter den gesichteten britischen Schlachtschiffen einzuschwenken, sieht er sich
zu einem umständlichen Manöver gezwungen und gerät
während dieser Bewegung mit seinen Schiffen in ein heftiges Feuer des III.
deutschen Geschwaders. Dieses wird für "Warspite" verhängnisvoll.
Sie läuft mit havariertem Ruder aus der Linie auf den Feind zu und wird
nun von mehreren deutschen Schiffen gleichzeitig in ein so vernichtendes
Kreuzfeuer genommen, daß man auf deutscher Seite auf Grund der
beobachteten Waffenwirkung mit ihrem Untergang rechnete. Es gelang ihr jedoch,
mit schwer beschädigtem Heck die Gefechtslinie zu verlassen. Durch das
plötzliche Ausscheeren der "Warspite" aus der feindlichen Linie wurde das
Feuer der deutschen Schiffe von dem inzwischen manövrierfähig
gewordenen "Warrior" noch rechtzeitig abgelenkt, um letzteren vor dem
Schicksal der "Defence" zu bewahren. So drängte sich in einigen Minuten
unter ständiger Verschiebung der hohe Fahrt laufenden Streitkräfte
gegeneinander eine Fülle von Einzelereignissen, Kämpfen und
Katastrophen zusammen, deren Brennpunkt die manövrierunfähige
und nacheinander von fast allen Schiffen der britischen Gefechtslinie beschossene
"Wiesbaden" war.
Über ihren Verlauf vermochte bei dem Rauch und Dunst, der über
dem Ganzen lagerte, weder der britische noch der deutsche Flottenchef einen
Überblick zu erhalten. Waren schon Freund und Feind in gewissen
Gefechtsmomenten kaum auseinanderzuhalten, so war ein Erkennen von
Formation, Fahrt und Gruppierung des Gegners immer mehr zur
Unmöglichkeit geworden. Während von der englischen Nachhut her
die deutsche Linie wenigstens für einige Zeit von "König" bis
"Helgoland" zu erkennen war, wurden von den deutschen Flaggschiffen selten
mehr als drei feindliche Schiffe gleichzeitig gesichtet.
Unter diesen Umständen verstärkte sich gegen 735 Uhr bei dem deutschen Flottenchef
der Eindruck, daß der Druck auf die eigene Spitze unerträglich
werde. Um dem abzuhelfen, warf er kurz entschlossen die Flotte durch eine
Gefechts- [95=Karte] [96]
kehrtwendung nach Steuerbord auf West-Kurs herum, welche, glänzend
ausgeführt, von den Schlachtkreuzern durch gesteigertes
Artillerie- und Torpedofeuer gedeckt wurde. Dann aber bleibt "Lützow" im
feindlichen Feuer liegen. Das mit immer größerer Gewalt durch die
Schußlöcher eindringende Wasser zwingt ihn zum Stoppen. Die
Gefahr für das Flaggschiff rechtzeitig erkennend, brechen "G 88",
"V 73" und "S 32" zum Angriff vor, während andere Boote
der III. Flottille einen Rauch- und Nebelschleier zwischen "Lützow"
und die feindliche Linie legen. Während auf "G 39" Admiral Hipper
mit seinem Stabe das Flaggschiff verläßt, erhält dies noch
einige schwere Treffer, dann aber verstummt das feindliche Feuer. Die deutschen
Torpedos haben gewirkt, "Marlborough" wird in der Höhe der
Kommandobrücke getroffen. Mit schwerer Schlagseite weicht er drei
weiteren Torpedos aus und wendet mit den anderen Schiffen seines Geschwaders
für kurze Zeit vom Feinde ab. Inzwischen gelingt es "Lützow", mit
langsamer Fahrt sich dem Bereich der englischen Schiffsbatterien zu
entziehen.
Zu dieser Zeit passierte die englische Linie ein Wrack. Es ragte nur noch mit
Vordersteven und Heck aus dem Wasser, der mittlere Teil schien bei dem flachen
Wasser auf dem Meeresboden aufzustehen. Schon vermutete man auf "Iron Duke"
in diesem den Überrest eines deutschen Kleinen Kreuzers, als ein
Zerstörer Aufklärung gab. Es war die "Invincible".
Durch die Gefechtswendung der deutschen Linie nach West, welcher die
Schlachtkreuzer bis auf "Lützow" folgten, ging die Gefechtsfühlung
für die britische Linie vorübergehend verloren. Als dann aber
Admiral Jellicoe seine Kolonnen von Südost nach Süd wenden
ließ, während vor der Spitze Admiral Beatty mit den
Schlachtkreuzern aus Südwest scharf nachdrängte, wurde die
Umklammerung der "Hochseeflotte" immer vollständiger. Fast schien es,
als sollte unter dem Eindruck des überraschenden Auftretens der britischen
Flotte aus einer nicht zu übersehenden, aber, nach der Feuerwirkung zu
urteilen, zweifellos günstigen taktischen Position heraus die Initiative der
Hand des deutschen Führers entgleiten und auf die britische Flottenleitung
übergehen. Fast hatte es den Anschein, als sollten sich alle britischen
Vorteile infolge einer unberechenbaren Laune des Schlachtenglücks zum
Enderfolg der britischen Übermacht vereinigen. Aber ein neuer
Entschluß des deutschen Führers kam dem zuvor. Nur ein Mittel gab
|
es, die drohende Umklammerung zu zersprengen und die Pläne des Feindes
für den Rest des Tages über den Haufen zu werfen: ein zweiter
rücksichtsloser Vorstoß in derselben Richtung und ein Massenangriff
der Torpedoboote unter dem Schutz der eigenen schweren Geschütze. Um
755 Uhr warf Admiral Scheer
die Linie mit einer abermaligen Gefechtskehrtwendung nach Osten herum,
gleichzeitig wehte für die Flottillen das Angriffssignal, für die
Schlachtkreuzer die Flagge: "Ran an den Feind unter vollem Einsatz!"
Der nunmehr von neuem entbrennende Kampf übertraf alles bisher an
Erbitterung. Wieder trug die I. Aufklärungsgruppe und die
V. Division die ganze [97] Schwere des Gefechts.
Auf sie, die schon vorher stark gelitten, vereinigte sich von 810 Uhr an auf 12, dann auf 10 und
schließlich bei den Schlachtkreuzern auf 7 km das Feuer fast der
ganzen englischen Linie. Von Nordosten bis Südosten verwandelte sich der
grauschwarze Horizont unter dem Aufblitzen der Salven unsichtbarer Gegner
wieder in ein rasendes Feuermeer. Auf die ungewöhnlich geringe
Gefechtsentfernung bietet der deutsche Panzer selbst gegen die schlechtwirkenden
englischen Granaten keinen Schutz mehr.
Auf "Derfflinger" und "Seydlitz", "Moltke" und "Von der Tann", aber auch auf
"König" und "Kurfürst" schlägt Treffer auf Treffer ein.
Turmdecken werden durchschlagen, Panzerplatten abgesprengt,
Geschützrohre zerrissen, Dampfrohre durchschossen und Schornsteine
siebartig durchlöchert. Durch die gewaltigen Schußlöcher
dringt Wasser zu Tausenden von Tonnen ein, Munitionsbrände flammen
auf. Dampf, Gas, Wasser und Feuer vereinigen ihre Schrecken mit dem
Einschlagen neuer Granaten. Aber unerschütterlich steht die Mannschaft
auf ihrem Posten und wird der Gefechtsstörungen Herr. Kein deutsches
Schiff fliegt auf oder sinkt, und keins verläßt die Linie. Unentwegt
führen die Kommandanten, die Kapitäne zur See Hartog,
v. Egidy, v. Karpf, Zenker, Brüninghaus und Goette, ihre
Schiffe durch den Höllensturm gegen den Feind; dann brechen, wie
Infanteriemassen nach heftiger Feuervorbereitung, die Flottillen zum Angriff vor,
als erste die VI. und IX. unter Korvettenkapitän Max Schultz und Goehle,
vom Gros her folgen die III. und V. unter Korvettenkapitän Hollmann und
Heinecke. Vergeblich werfen sich ihnen britische Kreuzer und
Zerstörer entgegen. Zwar sinkt "S 35", aber alle anderen Boote der
VI. und IX. Flottille kommen gegen eine Linie von mehr als 20
Großkampfschiffen zum Schuß. Zurückjagend, legen sie einen
dichten Rauchschleier zwischen den Feind und die deutschen Geschwader. Das
Feuer verstummt. Als die III. und V. Flottille den Rauchschleier
durchbrechen, stoßen sie bereits nördlich der feindlichen
Schlußschiffe vorbei und treffen nur noch auf leichte Streitkräfte.
Admiral Jellicoe hatte es vorgezogen, den deutschen Torpedos rechtzeitig
auszuweichen. Statt hierzu auf den Feind zuzudrehen, wendete er treffenweise
von ihm auf Südost-Kurs ab. Dennoch liefen einige zwanzig Torpedos
zwischen den Schiffen des I. und V. Schlachtgeschwaders durch; jedoch
waren sie infolge des frühzeitigen Abwendens der englischen Flotte bereits
am Ende ihrer Laufstrecke und Geschwindigkeit, so daß ihnen von den
Schiffen ausgewichen werden konnte. Schon vorher hatte Admiral Scheer, als der
Zweck des zweiten Vorstoßes erreicht schien, die Linie durch
Gefechtskehrtwendung auf West-Kurs umgelegt. Er schwenkte dann über
Süd auf Südost zurück, um mit dem I. Geschwader eine
neue Umfassung rechtzeitig zu verhindern.
Obwohl das Abdrehen der deutschen Linie von Schiffen der englischen Nachhut
nicht unbemerkt geblieben war, erhielt Admiral Jellicoe keine Meldung
hierüber. Die Gefechtsfühlung, unter dem Ansturm der deutschen
Torpedoboote [98] einmal verloren,
ließ sich nicht wiederherstellen. Schiffe und Boote schlingerten und
stampften auf dem von Hunderten von Schrauben aufgewühlten Meere wie
im Sturm, dichte Rauchwolken aus unzähligen Schornsteinen vereinigten
sich mit dem Pulverqualm und den von Granaten zerstäubten
Wassermassen unter der niedrigen Wolkendecke der hereinsinkenden Nacht zu
einer undurchdringlichen Dunstschicht, die das Schlachtfeld bedeckte. Als die
britische Flotte um 841 Uhr in
Divisionskolonnen auf Südwest wendete, wurde bei der Nachhut noch
geschossen. Dort hatte das IV. leichte Kreuzergeschwader versucht, die
Fühlung aufrechtzuerhalten, wurde aber durch heftiges Feuer der Schiffe
der "Kaiser"-Klasse zurückgewiesen. Hierbei erhielt "Calliope", das
Flaggschiff, einen schweren Treffer. Um 855 Uhr erstarb auch dort das Feuer, und
selbst auf westlichem Kurs kam die Schlachtflotte nicht mehr an den Feind. Nur
den Schlachtkreuzern Beattys glückte um 920 Uhr noch ein kurzer und heftiger
Feuerüberfall gegen die deutsche Spitze. Dort hatten sich die deutschen
Schlachtkreuzer gerade vor die II. Division des I. Geschwaders
gesetzt; "Moltke" hatte gestoppt, um Admiral Hipper an Bord zu nehmen, als
ihnen plötzlich aus südöstlicher Richtung auf nächste
|
Entfernung heftiges Feuer entgegenschlug. Ohne vom Feind mehr zu erkennen als
das Aufblitzen der Salven und ohne das Feuer ernstlich erwidern zu
können, drehten die bereits stark havarierten Schiffe ab und schoben sich
zwischen dem II. und I. Geschwader hindurch nach Feuerlee. Hierbei
erhielten besonders "Seydlitz" und "Derfflinger" von neuem schwere Treffer.
Vor dem II. Geschwader stehend, war gleichzeitig die deutsche IV.
Aufklärungsgruppe unter Kommodore v. Reuter von
Panzerkreuzern der "Hampshire"-Klasse angegriffen worden. Als sie den
überlegenen Feind auf das II. Geschwader zu ziehen suchte, drehte
dieser jedoch ab und verschwand in der schnell hereinbrechenden Dunkelheit.
Die Fühlung zwischen beiden Flotten war endgültig abgerissen; aber
eine nächtliche Fortsetzung der Schlacht schien dem englischen
Höchstkommandierenden auch wenig ratsam. Er war von der deutschen
Überlegenheit im Nachtkampf vollständig überzeugt. Bei der
von ihm ausdrücklich anerkannten Überlegenheit der deutschen
Scheinwerfer, Mittelartillerie und Schiffstorpedowaffe, sowie der glänzen
den Schulung der deutschen Torpedoboote glaubte er allen Grund zu haben, einen
Zusammenstoß bei Nacht zu vermeiden. Er zog daher seine Geschwader auf
einen möglichst kleinen Raum zusammen, indem er sie nebeneinander in
Abständen von je einer Meile aufstellte und lief, die feindliche Flotte
westlich oder nördlich von seiner Position vermutend, von dieser her nach
Süden. Auf diese Weise erschwerte er zwar dem Feind das Auffinden der
englischen Geschwader; aber hätte dieser sie gefunden, so wäre
ihnen die gewählte Formation, bei der Unmöglichkeit, aus ihr heraus
Angriffe abzuwehren, mit Sicherheit zum Verhängnis geworden. Auch die
Zerstörerflottillen verwendete Admiral Jellicoe defensiv, indem er sie,
Flottille neben Flottille, in [99] breiter Formation als
Rückendeckung gegen deutsche Torpedobootsangriffe dem Gros folgen
ließ. Etwa 15 sm westlich von letzterem marschierten die
Schlachtkreuzer unter Beatty, und zwischen beiden die älteren
Panzerkreuzer. Gleichzeitig wurde der schnelle Minenleger "Abdiel" nach
Hornsriff entsandt, um dort den wahrscheinlichsten und bereits von englischen
U-Booten bewachten Einlaufsweg der deutschen Flotte mit Minen zu sperren (siehe Beilage 2 [Scriptorium merkt an: verkleinert rechts abgebildet]).
Im Gegensatz zur englischen Formation marschierte Admiral Scheer mit der
Flotte in langer Kiellinie auf Hornsriff, gleich bereit zu Angriff und Abwehr, das
I. Geschwader vorn, dieses und das III. im Kehrt, dahinter das
schwächere II. Geschwader; die II. Aufklärungsgruppe
als Vorhut, die IV. als Seitendeckung, und "Derfflinger" und "Von der Tann" als
Nachhut, während Admiral Hipper mit "Seydlitz" und "Moltke" nach vorn
aufdampfte. Die Flottillen wurden, soweit sie nicht ihre Torpedos verschossen
hatten, in dem Sektor von Ostnordost über Süd bis
Südsüdwest zum Nachtangriff angesetzt.
Von 10 Uhr Nm. bis 3 Uhr Vm. haben die beiden Flotten selten mehr als
15 sm auseinandergestanden. Bereits um 10 Uhr muß Admiral
Beatty die deutsche Kurslinie nur 5 sm vor der "Westfalen" gekreuzt
haben, um dann nach Süden zu schwenken. Um 1130 Uhr ist die deutsche Flotte, wie jetzt
feststeht, zwischen dem englischen Gros und zurückgebliebenen Teilen
seiner Rückendeckung hindurchgefahren, so daß diese nun von
Backbord her auf sie zuliefen. Dort trafen sie zunächst auf die
IV. Aufklärungsgruppe, bestehend aus den älteren Kleinen
Kreuzern "Stettin", "München", "Frauenlob", "Stuttgart" und "Hamburg"
unter Kommodore v. Reuter, die in der Dunkelheit gegen ihre Absicht auf
die östliche statt auf die westliche Seite der Flotte geraten war. Im Begriff,
vor der aufdampfenden "Moltke" und "Seydlitz" nach Backbord auszuweichen,
stieß sie plötzlich in nächster Entfernung auf vier von achtern
auflaufende feindliche Kleine Kreuzer der Städteklasse. Dem Befehl
"Scheinwerfer leuchten" folgt Salve auf Salve. "München" schießt
Torpedos. Auf "Southampton", dem feindlichen Spitzenschiff, erlöschen
die Scheinwerfer, ihre Geschütze schweigen. Auf "Dublin", dem zweiten
Schiff, lodern Brände auf, beide Kreuzer erleiden schwere Verluste, laufen
mit hoher Fahrt aus dem Gefecht und verschwinden im Dunkel. Aber auch auf
"Stettin" fallen zwei Geschütze aus, und "Frauenlob" scheert brennend aus
der Linie.
Nach den Aussagen einiger weniger Überlebender ist sie bald darauf unter
ihrem Kommandanten, Fregattenkapitän Georg Hoffmann, infolge eines
während des Gefechts erhaltenen Torpedotreffers gesunken.
Eine Stunde später stößt das I. Geschwader mitten in feindliche
Zerstörerflottillen hinein. Wie gereizte Wespen greifen diese an, aber die
deutsche Abwehr zeigt sich dank jahrzehntelanger planmäßiger
Übungen der schweren Aufgabe glänzend gewachsen. "Tipperary",
das Führerschiff der IV. Zerstörerflottille, bricht im rasenden
Schnellfeuer der deutschen Mittelartillerie brennend
zu- [100] sammen; "Broke",
Führerschiff der II. Halbflottille, rammt mit zerschossenem Ruder
den Zerstörer "Sparrowhawk", und "Spitfire" rennt gegen einen deutschen
Kleinen Kreuzer. "Sparrowhawk" sinkt gegen Morgen. Aber unerschüttert
durch die Verluste greift der Rest der VI. Zerstörerflottille gleich
darauf zum zweiten Male an. Zwischen ihr und dem I. Geschwader stehen
die Kleinen Kreuzer "Rostock" und "Elbing". Um die Feuerzone freizugeben,
durchbrechen sie die Kiellinie der Schlachtschiffe. Dabei wird "Rostock" im
Abdrehen von einem Torpedo erreicht, "Elbing" von "Posen" gerammt.
Gleichzeitig sinken die Zerstörer "Fortune" und "Ardent" im Feuer des
I. Geschwaders. Mitten in diesem Getümmel nähert sich
"Black Prince", ein englischer Panzerkreuzer, in dem Glauben, das englische Gros
vor sich zu haben, den Schlußschiffen des I. Geschwaders und dem
Flottenflaggschiff. Rechtzeitig erkannt und nach wenigen Sekunden auf
1500 m mit Salven überschüttet, geht er in Flammen auf. Mit
ihm verlöscht sinkend ein schauerliches Feuerwerk. Aber immer wieder
wird das Dunkel der kurzen Nacht vom Aufblitzen der Scheinwerfer,
Leuchtgranaten und Geschütze zerrissen. Um 130 Uhr stößt "Westfalen",
das deutsche Spitzenschiff, von achtern aufkommend, auf Zerstörer der IX.,
X. und XIII. Flottille. Sie rammt den Zerstörer "Turbulent", "Petard" wird
durch Geschützfeuer schwer beschädigt, die übrigen werden
zersprengt. Während dieser Kämpfe hatte die V. Division der
englischen Schlachtschiffe den Anschluß an die übrigen Geschwader
verloren und war achteraus geblieben, weil "Marlborough", ihr Flaggschiff, in der
Tagschlacht von einem Torpedo getroffen, die Flottenmarschgeschwindigkeit
nicht mehr halten konnte. Infolgedessen war auch die XII. Flottille, die
hinter ihr stand, immer weiter achteraus gekommen. Diesem Zufall verdanken die
Engländer die Vernichtung des einzigen auf deutscher Seite gesunkenen
Linienschiffes.
Um 245 Uhr sichtet die XII. Flottille
an Steuerbord Schlachtschiffe der "Kaiser"-Klasse, dampft mit 25 sm auf
und dreht dann zum Angriff auf Gegenkurs. In dem ungewissen Licht der
anbrechenden Morgendämmerung werden die Zerstörer erst im
letzten Augenblick von den Schiffen des III. Geschwaders erkannt, es
gelingt ersteren daher, Torpedos abzuschießen, bevor sie unter wirksames
Feuer genommen werden. Die Schiffe der "Kaiser"-Klasse wenden rechtzeitig ab,
aber hinter ihnen wird die "Pommern", Kommandant Kapitän zur See
Bölcken, von mehreren Torpedos getroffen. Nach schweren Detonationen
bricht eine Riesenflamme aus dem Schiff hervor, dann ist es verschwunden.
Zischend prasseln glühende Trümmer auf die Nachbarschiffe
hernieder. Schiff und Mannschaft sind verloren, die Angriffe der Zerstörer
beendet.
Doch, so sehr auch der Verlust der tapferen "Pommern"-Besatzung bedauert
werden mußte, schwerer als der Untergang dieses älteren
Linienschiffes von begrenztem Gefechtswert wog ein anderer. Um 245 Uhr Vm. hatten sich alle
Versuche, "Lützow" über Wasser zu halten, als vergeblich erwiesen.
Das Vorschiff hatte zu stark gelitten, 7000 t Wasser waren in das Schiff
eingedrungen. Die [101] Back war bis zum
Knopf des Göschstocks überspült, die Schrauben schlugen aus
dem Wasser. Die Besatzung, 1250 Mann, darunter auch alle Verwundeten, wurde
daher von "G 40", "G 37", "G 38" und "V 45"
übergenommen, dann wurde das Schiff durch einen Torpedoschuß
versenkt. Die mit Menschen überfüllten Torpedoboote stießen
noch zweimal auf feindliche Kreuzer und Zerstörer, griffen beide Male
unter Führung des ältesten Kommandanten, Kapitänleutnant
Richard Beitzen, an und bahnten sich mit Erfolg den Weg in die Deutsche Bucht.
Bei dem letzten Gefecht erhielt "G 40" einen Treffer in die Maschine und
mußte eingeschleppt werden. Zwischen 4 und 5 Uhr Vm.
ließen sich auch "Rostock" und "Elbing" wegen ihrer schweren
Beschädigung nicht mehr halten. Sie wurden gesprengt und die
Besatzungen einschließlich der Verwundeten von Booten der
III. Flottille geborgen. Obgleich die brennenden englischen Schiffe und
Zerstörer bei Nacht als weithin leuchtende Fanale den Weg der deutschen
Flotte zur Genüge bezeichnet hatten, war Admiral Jellicoe mit seinen
Geschwadern diesen Kämpfen ferngeblieben. Als sich die Sonne am 1. Juni
über der jütischen Küste durch die Morgennebel
kämpfte, fand sie die "Große Flotte" in einzelne Verbände
zersplittert. Die Zerstörerflottillen hatten in den Nachtkämpfen den
Anschluß verloren, die Kreuzer stießen erst um
7 Uhr Vm., die Schlachtschiffe der VI. Division erst am
Abend zum englischen Gros. Unter diesen Umständen verzichtete der
britische Höchstkommandierende darauf, Hornsriff anzusteuern und die
deutsche Flotte nochmals zum Kampf zu stellen; er schwenkte vielmehr
unmittelbar bei Hellwerden nach Norden um, seine Streitkräfte zu
sammeln. Als zu dieser Zeit "L 11", eines der fünf Luftschiffe, die
zur Frühaufklärung aufgestiegen waren, über dem Flaggschiff
des englischen Führers erschien, sichtete es zunächst nur 12
Linienschiffe, dann nördlich von diesen 6 weitere und 3 Schlachtkreuzer.
Trotz starker Beschießung hielt das Luftschiff Fühlung, bis der Feind
nach Westen abdrehte und in unsichtigem Wetter aus Sicht kam. Um dieselbe Zeit
meldete "L 24" einen anderen Verband von 12 Großkampfschiffen
und zahlreichen Kreuzern weit nördlich in der Jammerbucht. Die Schiffe
steuerten mit hoher Fahrt nach Süden. Leider verhinderte die niedrige
Wolkendecke genauere Feststellungen. Die englischen Angaben geben ebenfalls
keine Aufklärung.
Bei dem unsichtigen und die weitere Aufklärung durch Luftschiffe stark
behindernden Wetter mußte jeder Versuch, auf die von "L 11"
gemeldeten Streitkräfte mit der Flotte zu manövrieren, aussichtslos
erscheinen. Aus diesem Grunde sah Admiral Scheer von weiteren Operationen ab
und gab den Befehl zum Einlaufen. Hierbei stieß das Linienschiff
"Ostfriesland" auf die in der Nacht vorher von dem englischen Minenleger
"Abdiel" ausgelegte Sperre, konnte aber ohne Ausfall irgendwelcher
Gefechtswerte unter eigenem Dampf den Hafen erreichen. Mehrere
U-Bootsangriffe auf das einlaufende Gros blieben dank der Aufmerksamkeit der
deutschen Flieger erfolglos. Sie nahmen die Geschwader in der Höhe von
List auf und geleiteten sie bis zu den Flußmündungen.
[102] Aber auch die
deutschen U-Boote waren nicht sonderlich vom Erfolg begünstigt. Zwar
hatten die vor den englischen Häfen befindlichen sofort Anweisung
erhalten, wenn irgend möglich, noch einen Tag länger auf Station zu
bleiben; doch traf sie dieser Befehl zum großen Teil auf dem
Rückmarsch. Nur "UB 21" vor dem Humber und
"U 52" vor dem Firth of Forth erzielten je einen Treffer auf einen
Zerstörer, jedoch konnte der Erfolg wegen sofort einsetzender feindlicher
Gegenwirkung nicht beobachtet werden; dagegen verfehlte ein 60 sm
nördlich von Terschelling von "U 46" auf "Marlborough" gefeuerter
Torpedo sein Ziel.
Der deutsche Sieg war daher ein reiner Erfolg der
Überwasserstreitkräfte; U-Boote, Minensperren und Luftschiffe
hatten an ihm keinen Anteil. Sein taktisches Ausmaß ergibt sich aus
folgender Tabelle, in welcher die englischen Verluste aufs vorsichtigste bemessen
und lediglich solche, die bisher von der britischen Admiralität zugegeben
wurden, eingetragen sind.
Die Verluste in der Skagerrakschlacht: |
|
Großkampf-
schiffe |
|
Ältere Linienschiffe und Panzerkreuzer |
|
Kleine Kreuzer und
Zerstörer |
|
Gesamt-
tonnengehalt
der versenk-
ten Schiffe |
|
Gefallen |
|
Ver-
wundet |
|
|
|
Zahl |
|
Prozent |
Zahl |
|
Prozent |
Zahl |
|
Prozent |
|
Englisch |
3 |
8,1 |
3 |
37,5 |
8 |
8,6 |
117 750 |
6014 |
674 |
Deutsch |
1 |
4,8 |
1 |
16,6 |
9 |
11,8 |
60 730 |
2535 |
494 |
In der Tagesschlacht verloren die Engländer die Schiffe: "Queen Mary",
"Indefatigable", "Invincible" und "Defence", die Deutschen nur die "Wiesbaden".
In den Nachtgefechten verloren die Engländer den "Black Prince" und 8
Zerstörer bzw. Flottillenführerschiffe, die Deutschen die
"Pommern", "Elbing", "Rostock" und "Frauenlob". Auf dem Marsch nach den
Heimathäfen verloren die Engländer den "Warrior", die Deutschen
den "Lützow".
Die Mehrzahl der deutschen Linienschiffe blieb völlig unverletzt, nur die
Schlachtkreuzer und die Schiffe der "König"-Klasse hatten schwerer
gelitten. Sieht man von "Lützow" und "Wiesbaden" ab, so hatten die
Engländer trotz gewaltigem Munitionsaufwand im ganzen nur 75mal mit
schweren Granaten die deutschen Schiffe getroffen, davon kamen allein 45
Treffer auf die deutschen Schlachtkreuzer. Sie hatten keine Gelegenheit gefunden,
Gefangene zu machen; dagegen hatten die deutschen Torpedoboote 177
Engländer, darunter je einen Überlebenden der "Queen Mary" und
des "Indefatigable", gerettet. Obgleich 37 englische Großkampfschiffe 21
deutschen gegenüber das ganze Gewicht ihrer zahlenmäßigen
Übermacht in die Wagschale geworfen hatten, waren die britischen
Verluste doppelt so groß wie die deutschen. Mehr aber noch als die reinen
Verlustzahlen sprachen psychologische Momente für die deutsche
Überlegenheit in der Schlacht. In [103] dem Augenblick, als
Admiral Jellicoe, begünstigt durch ausgesprochenes
Schlachtenglück, die deutsche Flotte fest umklammert hatte, in dem
Augenblick, als die englische Übermacht trotz der großen Verluste zu
Beginn mit gewaltiger Wirkung zum Tragen kommen mußte, genügte
der Angriff der deutschen Schlachtkreuzer und Torpedoboote völlig, die
Wendung zu deutschen Gunsten herbeizuführen, den Gegner zum
Abdrehen zu zwingen und ihn die Fühlung mit den deutschen Geschwadern
verlieren zu lassen. Wie sehr die britische Flotte durch die Schlacht
erschüttert war, ergibt sich auch daraus, daß sie in der folgenden
Nacht den Zusammenhang verlor und trotz günstiger Stellung und der
absoluten Gewißheit über den Standort der deutschen Flotte den
Kampf nicht wieder aufzunehmen wagte.
Der Sieg war in erster Linie der alle Erwartungen übertreffenden
Widerstandsfähigkeit der deutschen Großkampfschiffe sowie der
vernichtenden Wirkung ihrer Panzersprenggranaten, ferner der guten
Schießausbildung und dem hervorragenden taktischen Zusammenarbeiten
aller Schiffsklassen zu verdanken. Unter diesen Umständen war es doppelt
zu bedauern, daß die ungünstigten Sichtigkeitsverhältnisse und
der Mangel einer genügenden Zahl schneller
Aufklärungsstreitkräfte dem deutschen Führer die Einnahme
einer günstigeren Anfangsstellung und ein völliges Durchschlagen
der Schlacht nicht ermöglicht hatte.
Die so häufig angegriffene Schiffsbaupolitik des Großadmirals v.
Tirpitz war glänzend gerechtfertigt. Kein englisches Schiff hat die
gewaltige Zahl schwerer Treffer auf nächste Entfernung auch nur
annähernd so ausgehalten, wie die deutschen Schiffe der
"Feldherrn"- und "König"-Klasse. Das an Kaliber gesparte Gewicht war
anderen Gefechtswerten zugute gekommen. Seitenpanzer und Panzerdecks waren
stärker und widerstandsfähiger als auf den gleichaltrigen englischen
Großkampfschiffen; der starke und in seiner Ausdehnung gewaltige
Torpedoschutz zur Erhöhung der Schwimmsicherheit fehlte auf letzteren
fast völlig. Vergleicht man die Wasserverdrängung der an der
Schlacht beteiligten englischen und deutschen Linienschiffe, so steht einer
englischen Durchschnittsziffer von 23 127 t eine deutsche von
22 585 t gegenüber. Bei den Schlachtkreuzern ergibt sich auch
in diesem Punkte mit 23 742 gegenüber 21 880 t eine
geringe Überlegenheit auf deutscher Seite.
Nichts kennzeichnet deutlicher die Bestürzung der englischen
Admiralität über die ersten Nachrichten aus See über die
Schlacht, als die Tatsache, daß sie die Meldungen der Öffentlichkeit
und dem Unterhaus, das sich am 2. Juni vertagte, bis zum 3. Juni vorenthielt,
während sich Mr. Churchill auf Ersuchen Balfours, damals I. Lord
der Admiralität, bemühte, eine beruhigende Auslassung für die
Presse abzufassen. So kam es, daß die Times am 1. Juni 1916
ahnungslos in hochtönenden Worten die Erinnerung an den "glorreichen 1.
Juni" feierte, an dem vor 122 Jahren die englische Flotte unter Lord Howe
siegreich gefochten hatte. Sie schloß diesen Artikel mit einem
hoffnungsvollen Ausblick in die [104] Zukunft, dem die
Bekanntgabe der Verluste in der Skagerrakschlacht als grimmige
Enttäuschung folgte. Den niederschmetternden Eindruck der ersten
Nachrichten geben die englischen Zeitungen jener Tage deutlich wieder:
"Die unheilvollste Kriegsbegebenheit
zur See", "die schwersten Verluste, welche die englische Flotte erlitten hat, seit
van Tromp den Kanal hinaufsegelte", "die schlimmste Nachricht, welche die
Regierung bis jetzt dem Lande mitzuteilen hatte", "eine schwarze Seite in unserer
Marinegeschichte"
und ähnliche Ausrufe englischer Zeitungen stehen im schärfsten
Gegensatz zu der damals hoffnungsfrohen Stimmung in Deutschland.
"Das Vaterland jubelt und dankt", mit diesen an den Sieger vom Skagerrak
gerichteten Worten wurde der Reichskanzler der Dolmetscher der Gefühle,
die aller Herzen bewegten. Dankbar gedachte man außer dem Sieger auch
des Erbauers der deutschen Flotte, des Großadmirals v. Tirpitz, und
ihres taktischen Lehrmeisters, Großadmirals v. Köster.
Trotz aller späteren englischen Versuche, die Skagerrakschlacht in einen
englischen Sieg umzudeuten, hat man es doch nicht gewagt, Admiral Jellicoe als
den Sieger anzuerkennen. Der englischen Tradition entspricht es, einem solchen
den Beinamen der gewonnenen Schlacht beizulegen. Jellicoe erhielt aber als
Viscount nicht den Beinamen "of Skagerrak" oder "Jütland", sondern "of
Scapa". Man nannte ihn nicht nach der Schlacht, sondern nach dem
Stützpunkt, von dem aus die britische Flotte gefahrlos die Hungerblockade,
den größten Völkerrechtsbruch aller Zeiten, jahrelang
ausgeübt hatte.
Nachklänge.
Bei der großen materiellen Reserve des Gegners lag die Erwartung nahe,
daß er diese zu einem überraschenden Angriff gegen die Deutsche
Bucht gerade in der Zeit nach der Schlacht ausnutzen werde. Aber der Juni
verging, ohne daß sich die britische Flotte regte. Erst Mitte Juli schien nach
den Meldungen deutscher U-Boote und entzifferten englischen
Funksprüchen eine größere Unternehmung bevorzustehen, so
daß die deutschen Hochseestreitkräfte mehrfach eine
Bereitschaftsstellung zwischen Helgoland und Hornsriff einnahmen. Gleichzeitig
stießen Luftschiffe bis zur norwegischen Küste vor, aber der Feind
ließ sich nirgends blicken. Am 21. Juli meldete "UB 22", daß die
englische Flotte wieder in Scapa eingelaufen sei, nachdem sie diesen
Stützpunkt am 17. Juli zur Abhaltung von Übungen verlassen hatte.
Zweimal habe das Boot die ganze feindliche Flotte passiert, sei auch zum
Schuß gekommen, aber dann von Zerstörern unter Wasser
gedrückt worden, ohne den Erfolg feststellen zu können. Da nach
englischen Angaben die britische Flotte im Juni und Juli nur dies eine Mal in See
war, ist es erklärlich, daß die Anfang und Ende Juli in
Verbänden von 10 bis 12 Fahrzeugen in der Nordsee operierenden
deutschen U-Boote, abgesehen von einem Hilfskreuzer und einigen bewaffneten
Fischdampfern und U-Bootsjägern, [105] die sie vernichteten,
kaum Ziele für ihre Torpedos fanden. Die bange Frage des Manchester
Guardian (28. Oktober 1916):
"Müssen wir uns noch einmal
der fürchterlichen Gefahr unterziehen, aus der wir nur durch Gottes
Vorsehung gerettet worden sind?"
wurde von der englischen Seekriegsleitung durch ihr Verhalten dahin beantwortet,
daß eine weitere Seeschlacht, von der das Schicksal Englands und der Welt
abhängen würde, wenn überhaupt, dann nur in unmittelbarer
Nähe der eigenen Küste angenommen werden sollte.
Bei dieser passiven Haltung der englischen Flotte war der Weg zwischen
Helgoland und Flandern frei. Bereits wenige Tage nach der Skagerrakschlacht war
daher die II. Flottille ungehindert in Zeebrügge eingelaufen, um die
dortigen Minensucher beim Räumen einer englischen Netzsperre vor dem
Hafen zu unterstützen und den
englisch-holländischen Verkehr über Nord
Hinder-Feuerschiff wenigstens zeitweise zu unterbrechen. Sie kehrte nach
erfolgreicher Tätigkeit Ende des Monats zurück. Während der
dann einsetzenden Neumondperiode griffen fast Nacht für Nacht 11 bis 12
Luftschiffe über England an, von denen das neueste, "L 31", unter
Kapitänleutnant Mathy, zweimal London erreichte. Zu ihrer Aufnahme
waren die Vorpostenstreitkräfte der Flotte und vielfach auch
U-Boote regelmäßig nach Westen vorgeschoben. Gleichzeitig wurden
die Unternehmungen der großen Minen-U-Boote "75", "76", "77" und "79"
über die schottischen Stützpunkte hinaus bis zur Küste von
Archangelsk ausgedehnt.
Von diesen hatte "U 75" unter Kapitänleutnant Beitzen schon
während der Vorbereitungen für den mit der Skagerrakschlacht
endenden Flottenvorstoß nach Norden am 29. Mai westlich der
Orkney-Inseln eine Minensperre auf dem üblichen Kriegschiffswege gelegt.
Schlechtes Wetter verhinderte die Engländer in den nächsten Tagen
am Minensuchen. Immerhin war die Sperre infolge eines Unfalls bereits gemeldet,
als Lord Kitchener mit einem Stabe von 6 Offizieren am 6. Juni auf dem
Panzerkreuzer "Hampshire" von Scapa nach Archangelsk in See ging. Schwerer
Nordwest-Sturm zwang die beiden Geleitzerstörer bald zur Umkehr. Um
7 Uhr Vm. aber geriet das Schiff auf die deutschen Minen und sank,
von Land beobachtet, bereits 15 Minuten nach dem Unglück. Boote und
Rettungsflöße zerschellten bei der schweren See an den Klippen, nur
12 Mann wurden gerettet.
Personen, die sich damals der "Große Flotte" anvertrauten, hatten kein
Glück damit. Bereits in der Skagerrakschlacht hatte ein japanischer Prinz
auf einem der vernichteten britischen Schlachtkreuzer den Tod gefunden; jetzt
beklagte England in Kitchener den Verlust eines Mannes, den es als Grundpfeiler
der Macht und Größe des Imperiums, als Sinnbild seiner nationalen
Einheit betrachtet hatte, wie dies Nachrufe bezeugten.
Aber auch der August war für die britische Flotte kein glücklicher
Monat. Auf deutschen Minen in den Hoofden verlor sie den Kleinen Kreuzer
"Cleopatra" und den Zerstörer "Lassoo"; der Hilfskreuzer "Duke of
Albany" wurde vor dem [106] Pentland Firth durch
ein U-Boot torpediert, und deutsche Minen vor dem Tyne verhinderten das
Auslaufen des Linienschiffes "Malborough" nach beendeter Reparatur für
längere Zeit.
Inzwischen war die Mehrzahl der in der Skagerrakschlacht beschädigten
deutschen Schiffe wieder hergestellt. Die so glücklich begonnenen
Versuche, den Feind unter günstigen Bedingungen zur Schlacht zu stellen,
wurden daher wieder aufgenommen. Luftschiffen und
U-Booten hatte man hierbei eine besondere Rolle zugedacht. Falls der Gegner auf
See nicht angetroffen würde, sollte eine kräftige Beschießung
von Sunderland ihn zum Herauskommen zwingen. Auf jeden Fall sollte England
die ungebrochene Kraft der deutschen Flotte vor Augen geführt
werden.
In der Nacht zum 19. August begann der Vorstoß. 8 Luftschiffe deckten die
Flotte nach allen Seiten oder standen unmittelbar vor den feindlichen
Stützpunkten. 6 U-Boote sicherten die Nord-, 4 die Südflanke der
Beschießungsstreitkräfte in Standlinien, die sich je nach der Lage zu
verschieben hatten. U-Boote des Marinekorps sperrten den Humber, die
Ausfallhäfen in den Hoofden und den Ausgang aus diesen
Gewässern nach Norden. Das II. Geschwader sicherte die Deutsche
Bucht.
Das plötzliche Auftreten zahlreicher U-Boote an der englischen
Küste blieb dem Feind auch diesmal nicht verborgen und ließ ihn,
trotzdem alle Mittel der Geheimhaltung angewendet worden waren, das
Bevorstehen einer größeren deutschen Flottenaktion rechtzeitig
erkennen. Die englische Flotte ging daher am 18. August ebenfalls in See. Noch
an demselben Abend wurde das Flaggschiff "Iron Duke" von einem
U-Boot angegriffen. Kaum aber brach der Morgen an, als der Kleine Kreuzer
"Nottingham", auf Zickzackkursen mit hoher Geschwindigkeit vor den
Schlachtkreuzern herfahrend, von zwei Torpedos getroffen wurde, ohne daß
man auch nur die Spur eines U-Bootes gesichtet hatte, eine hervorragende
Leistung von "U 52" unter Kapitänleutnant Walther. Trotz aller
Gegenwirkung brachte er das Schiff eine Stunde später durch einen dritten
Torpedo zum Sinken, konnte aber, von Zerstörern gejagt, seine wichtige
Meldung erst gegen 1 Uhr Nm. durch F. T. an den
Flottenchef abgeben.
Zu dieser Zeit passierte die deutsche Flotte, ohne es zu ahnen, eine englische
Minensperre, die erst im nächsten Monat entdeckt wurde. Gleich darauf
erhielt das Linienschiff "Westfalen", 55 sm nördlich Terschelling,
von dem englischen U-Boot "E 23" einen Torpedotreffer und mußte
mit 800 t Wasser im Schiff den Rückmarsch antreten. Die
während des Vorfalls gewechselten deutschen
Funk-Signale wurden von den englischen Richtungsstationen eingepeilt und
gaben zusammen mit der später eintreffenden Meldung von "E 23"
dem britischen Führer einen durchaus zuverlässigen Anhalt
über Standort und Kurs der deutschen Flotte. Er steuerte daher sofort mit
erhöhter Fahrt einen Punkt etwa 60 sm östlich von Newcastle
an, um von dort aus die deutschen Angriffsstreitkräfte entweder vor
[107] oder nach der
erwarteten Küstenbeschießung zu stellen und ihnen den
Rückweg nach ihren Stützpunkten abzuschneiden. Gleichzeitig
ließ er die II. U-Bootsflottille zum Schutz der Küste in langer
Linie von Newcastle bis Scarborough Aufstellung nehmen und gab den
Harwich-Streitkräften, die ebenfalls in See waren, Befehl, von Süden
her an die Große Flotte heranzuschließen. Gegen Mittag befand sich
die britische Flotte in der beabsichtigten Stellung; 1½ Stunden
später sichtete sowohl "Minotaur" wie "Boadicea" von neuem deutsche
U-Boote. Um dieselbe Zeit erhielt Admiral Jellicoe von den Richtungsstationen
an Land eine weitere Peilung der deutschen Flotte, nach der sie um 245 Uhr nur noch 42 sm von der
britischen entfernt war. Jeden Augenblick erwartete man die Meldung der
vorgeschobenen Kreuzer, daß der Feind in Sicht sei. Schon trug sich der
englische Flottenchef mit der Hoffnung, die deutsche Flotte zwischen seine
Schiffe und die englischen U-Boote zu manövrieren und fern von ihren
Stützpunkten unmittelbar unter der englischen Küste zur Schlacht zu
stellen. Schon wehten die Feuerverteilungssignale an den Dreibeinmasten der
Großkampfschiffe, aber die erwartete Meldung blieb aus. Ein Zufall hatte
den Willen der deutschen Flotte, an den Feind zu kommen, vereitelt.
Von 9 Uhr Vm. an gaben die von Neumünster aufgefangenen und
übermittelten Funksprüche der deutschen Flottenleitung zwar
ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß feindliche
Seestreitkräfte in See ständen; infolge verschiedener sich stark
widersprechender Meldungen von Luftschiffen und
U-Booten entstand aber gegen Mittag der Eindruck, daß der
größere und schneller erreichbare Teil der feindlichen Flotte im
Süden stände. Die deutschen Seestreitkräfte stießen
daher nach Süden vor und damit, wie sich bald herausstellte, ins Leere.
"L 13" hatte die Harwich-Flottillen mit schweren feindlichen
Streitkräften verwechselt. Diese erhielten von dem englischen Flottenchef
um 335 Uhr Nm. Befehl,
nach Terschelling vorzustoßen und bei Nacht die deutschen Geschwader
anzugreifen. Dagegen schien ein Nachdringen der britischen Schlachtflotte wegen
der Gefahr vom Feinde möglicherweise ausgelegter Minensperren und
U-Bootslinien nicht ratsam. Sie machte kehrt und war schon auf dem
Rückmarsch nach Norden, als um 420 Uhr vom III. leichten
Kreuzergeschwader wiederum U-Boote gemeldet wurden. 1½ Stunden
später wurde der Kleine Kreuzer "Falmouth" bereits von zwei Torpedos
getroffen. Kapitänleutnant v. Bothmer hatte mit "U 66" den
Angriff gefahren. Der Kleine Kreuzer "Chester" schützte das Schiff durch
Zickzackfahren, so daß ein weiterer Torpedo das Ziel verfehlte; dann
geleiteten 3 Zerstörer den schwer beschädigten Kreuzer unter immer
neuen U-Bootsangriffen an die Küste. Dort eilten zahlreiche
Zerstörer und Schlepper zur Unterstützung herbei; aber noch ehe die
"Falmouth" den rettenden Hafen erreichen konnte, wurde sie durch zwei Torpedos
von "U 63", Kommandant Kapitänleutnant Otto Schultze,
versenkt.
Inzwischen waren auch die Kleinen Kreuzer "Phaeton", "Dublin" und
"Southampton" mehrfach von U-Booten angegriffen worden, weiter meldeten bis
[108] zur Dunkelheit
"Galatea", "Lion", "Royal Sovereign" und "Queen Elizabeth" zahlreiche
U-Boote, denen fortgesetzt ausgewichen werden mußte, während
deutsche Luftschiffe an der Flotte Fühlung hielten. Um 850 Uhr griff "U 65" unter
Kapitänleutnant v. Fischel die britischen Schlachtkreuzer an und
beschädigte, wie bestimmt beobachtet, einen derselben schwer,
während nach englischer Behauptung die Torpedos nicht trafen,
sondern dicht hinter dem Heck der "Inflexible" vorbeiliefen. Nach Jellicoes
eigenem Ausspruch befand sich die britische Flotte bis zur Nacht in einem wahren
Kesseltreiben der deutschen U-Boote. Der deutsche Vorstoß hatte also
wenigstens insofern seinen Zweck erreicht, als er den ausgelegten
U-Booten Gelegenheit zu erfolgreichen Angriffen gab. Auf dem
Rückmarsch der Flotte wurden die von "L 11" gemeldeten 6
feindlichen Kreuzer und 2 Zerstörerflottillen, welche südlich von ihr
Fühlung hielten, um in der Nacht zum Angriff zu kommen, bald
abgeschüttelt.
Angesichts der am 19. August bewiesenen Möglichkeiten engsten
taktischen Zusammenarbeitens von U-Booten, Luftschiffen und
Flottenstreitkräften auf deutscher Seite kam der englische
Höchstkommandierende in Übereinstimmung mit der
Admiralität zu dem bedeutsamen Entschluß, daß man die
Große Flotte künftig nur noch im Falle einer drohenden deutschen
Invasion voll einsetzen dürfe. Dagegen müsse man
Küstenbeschießungen in Zukunft trotz ihrer großen
moralischen Wirkung über sich ergehen lassen, ohne auch nur den Versuch
zu machen, sie durch Streitkräfte der Flotte zu hindern. Diesem
Entschluß entsprechend trat die Große Flotte vom 20. August bis zum
Ende des Jahres 1916 nicht mehr südlich des Breitengrades vom Firth of
Forth in Erscheinung; sie beschränkte sich auf die Aufrechterhaltung der
Hungerblockade
aus der Ferne. Auf deutscher Seite behinderten andere
Gründe das Fortschreiten der erfolgreich beschrittenen Offensive. Ein Mitte
September beabsichtigter Flottenvorstoß konnte wegen anhaltend
schlechten Wetters nicht zur Durchführung kommen; im Oktober wurde der
U-Bootshandelskrieg nach Prisenordnung wieder aufgenommen, so daß die
Boote für weitreichende Unternehmungen der Flotte ausfielen. Ein von 10
Luftschiffen begleiteter Vorstoß am 10. Oktober wurde daher nicht
über die Linie Terschelling - Hornsriff ausgedehnt. Der Feind
wurde nicht gesichtet, dagegen wurden die Kleinen Kreuzer "Stettin" und
"München" von einem U-Boot getroffen. Der auf erstere gefeuerte Torpedo
detonierte nicht. Auch "München" erlitt nicht allzuschwere
Beschädigungen und konnte eingeschleppt werden.
Um ihre vollständige Zurückhaltung zu verschleiern, begnügte
sich die britische Flotte inzwischen mit einem Fliegerangriff. Am 22. Oktober
morgens wurden fünf englische Flugzeuge nacheinander über
Helgoland, Langeoog und Norderney gemeldet. Luftschiffe und
Funk-Flugzeuge stellten gleichzeitig einen Verband von 6 Kleinen Kreuzern und
15 Zerstörern vor der Helgoländer Bucht fest. Bald darauf
verschwanden die feindlichen Streitkräfte im Nebel. Wenn auch
unmittelbar ohne Wirkung, so hatte dieser Angriff immerhin dazu geführt,
daß die deutsche [109] Flottenleitung einen am
gleichen Tage geplanten Vorstoß der III. und IX. deutschen Flottille gegen
die britische Kanalbewachung fallen ließ. Dagegen wurden die folgenden
Neumondperioden zu einer ganzen Anzahl wirkungsvoller Luftschiffangriffe
ausgenutzt. Oft standen 9 bis 12 Luftschiffe gleichzeitig über England, und
London wurde im September nicht weniger als dreimal von mehreren Luftschiffen
mit Bomben belegt. Erst nach dem hundertsten Angriff wurde die Abwehr
wirklich wirksam. In der Nacht zum 3. November stürzte das
Armeeluftschiff "SL 11", in der Nacht zum 26. "L 31", von den
Brandgeschossen feindlicher Flieger getroffen, in Flammen gehüllt
über London ab. Mit letzterem verlor die deutsche Marine in
Kapitänleutnant Mathy ihren erfolgreichsten und verwegensten
Luftschiffkommandanten des Krieges. Aber schon der nächste Tag sah die
Luftschiffe von neuem zum Angriff aufsteigen, nur der auffrischende
West-Wind hinderte die Durchführung. Trotzdem die Marine Ende
November zwei weitere Luftschiffe über England verlor, beschloß
man die Angriffe fortzusetzen, um die in der Abwehr notwendigen erheblichen
Kampfmittel weiter in England festzuhalten und hierdurch die Front in Frankreich
zu entlasten. Nur sollten die Angriffe mehr als bisher auf besonders
günstige Gelegenheiten beschränkt werden, um Einsatz und Wirkung
in Einklang zu bringen.
Für Überwasserstreitkräfte blieb in dieser Zeit völliger
Zurückhaltung der englischen Flotte die Straße
Dover - Calais das einzige Gebiet, in dem mit Sicherheit feindliche
Streitkräfte angetroffen werden konnten. Am 24. Oktober liefen daher die
III. und IX. Flottille unter Korvettenkapitän Hollmann und Goehle
von Helgoland aus in Ostende und Zeebrügge ein, um in der Nacht zum 27.
bis in die Linie Folkestone - Boulogne vorzustoßen.
Sie überraschten die englischen Bewachungsstreitkräfte, 26
Zerstörer und eine Reihe von Fischdampfern, vollständig.
Überall eröffnete der Feind das Feuer zu spät. Auf
Gefechtsentfernung von 50 bis 100 m wurden der Zerstörer "Flirt"
und 6 Bewachungsfahrzeuge an der Netzsperre versenkt und drei andere schwer
beschädigt. Hinter der Bewachung wurde auf der Dampferstraße
jedoch nur der leere Truppentransportdampfer "Queen" angetroffen und versenkt,
die übrigen Transporte waren rechtzeitig zurückgehalten worden.
Auf dem Rückmarsch versuchte der Zerstörer "Nubian" eines der
deutschen Boote zu rammen, aber ein geschickt gefeuerter Torpedo riß ihm
das Vorschiff fort, während gleichzeitig der Zerstörer "Amazon"
durch zahlreiche Granattreffer schwer havariert wurde. Wieder einmal hatten die
deutschen Boote ihre Überlegenheit im Nachtgefecht glänzend
bewiesen. Die Folge war eine sofortige Verstärkung der
Dover-Patrouille durch Zerstörer der Harwich-Streitkräfte. Nach dem
erfolgreichen Ausgang des ersten deutschen Torpedobootsvorstoßes in
dieser Richtung erwartete der Feind mit Recht eine baldige Wiederholung, hielt es
aber für geraten, einem solchen am 1. November rechtzeitig
auszuweichen.
Am 3. November kehrte die III. Flottille nach der Deutschen Bucht zurück
[110] und wurde dort von
den Vorpostenstreitkräften der Hochseeflotte wieder aufgenommen.
Am nächsten Tage meldeten "U 20" und "U 30" durch Funkspruch,
daß sie vor Bovbjerg an der jütischen Küste festgekommen
seien. Gleichzeitig meldete Neumünster nach aufgefangenen englischen
Funksprüchen feindliche Streitkräfte auf der Kleinen
Fischer-Bank, also in nächster Nähe der Boote. Luftaufklärung
war wegen der Wetterlage nicht möglich; zur Hilfeleistung wurde daher die
IV. Torpedobootshalbflottille nach der nicht weniger als 200 sm von
der Jade entfernten Strandungsstelle entsandt, während die
Vorpostenstreitkräfte, durch das III. Geschwader verstärkt, zur
Aufnahme über Hornsriff hinaus vorstießen. Dort kam bei
auffrischendem stürmischen Wetter das englische
U-Boot "J 1" auf 4000 m zum Angriff auf das
III. Geschwader. Von vier zugleich gefeuerten Torpedos erreichten zwei
das Ziel, "Kronprinz" und "Großer Kurfürst" wurden getroffen. Nur
der außerordentlichen Widerstandsfähigkeit dieser Schiffe gegen
Unterwassertreffer war es zu verdanken, daß sie mit hoher Geschwindigkeit
weiteren Angriffen ausweichen und trotz schwerem Seegang ohne fremde Hilfe
den Hafen erreichen konnten. Immerhin wurden durch den Ausfall zweier so
wertvoller Großkampfschiffe größere Unternehmungen der
Flotte für die nächste Zeit vereitelt, zumal sich zwei weitere
Schlachtschiffe in Reparatur befanden, der Schlachtkreuzer "Von der Tann" bald
darauf durch eine Turbinenhavarie außer Kriegsbereitschaft kam, und auch
"Rheinland" und "Derfflinger" noch nicht voll verwendungsbereit waren. Trotz
der U-Bootsgefahr war der Einsatz der Großkampfschiffe des
Vorpostendienstes richtig gewesen, wollte man nicht auf jede Bewegungsfreiheit
der Flotte von vornherein verzichten und günstige Gelegenheiten, vielleicht
den Feind zu schädigen, vorübergehen lassen. "U 30" wurde
eingeschleppt; dagegen mußte das gestrandete "U 20" gesprengt und
von seiner Besatzung verlassen werden.
Als Anfang Dezember zum ersten Male nach langer Zeit stürmischen
Wetters Luftaufklärung und Minensuchen stattfinden konnte, wurden neue
Minenfelder auf der Linie Terschelling - Hornsriff festgestellt. Unter
diesen Umständen mußte eine geplante Flottenunternehmung
wiederum aufgegeben werden, um zunächst mit allen Mitteln neue
Auslaufwege durch die feindlichen Sperren zu schaffen.
Dennoch ging am 22. Januar die VI. Flottille nach Flandern in See. In der kalten,
sternenklaren Winternacht erstarrten die überkommenden Seen auf Decks,
Geschütz- und Torpedorohren sofort zu Eis. Um 4 Uhr Vm.
liefen vor der Maas-Mündung 3 bis 4 Kleine Kreuzer und mehrere
Zerstörer auf die Flottille zu. Als sie auf 1000 m heran waren,
wurden die Torpedos losgemacht, aber noch bevor ihre Wirkung festgestellt
werden konnte, eröffnete der an Zahl und Kampfkraft weit
überlegene Gegner das Feuer. Mit der zweiten Salve durchschlug eine
15-cm-Sprenggranate Schornstein, Kartenhaus und Back des Flottillenbootes
"V 69", tötete den Flottillenchef, Korvettenkapitän Max
Schulz, den Ruder- [111] gänger und
mehrere andere Leute auf der Kommandobrücke und am Geschütz
auf der Back, schleuderte den Kommandanten, Kapitänleutnant Boehm,
bewußtlos zur Seite und zerstörte mit der Kommandobrücke
und den Befehlselementen auch die Ruderleitung. Führerlos lief das Boot
mit äußerster Kraft und Hartsteuerbord-Ruder im Kreise,
während rings die Granaten herniederprasselten. Ein englischer
Zerstörer rammt das Boot, der hintere Schornstein wird umgeknickt und
halb vom Deck losgerissen. Die Nebelapparate am Heck flammen auf und
hüllen das Boot in graue Wolken, als gerade ein neuer Torpedo das Rohr
verläßt. Dann gelingt es dem Kommandanten, das Boot, mit den
Schrauben steuernd, auf nördlichen Kurs zu bringen, aber in diesem
Augenblick folgt aus dem Dunkel heraus der zweite furchtbare Rammstoß.
Ohne zu wissen, ob Feind oder Freund, hat "G 41" das Boot von neuem
gerammt. Die Backbordseite wird aufgerissen, und schnell füllen sich drei
Abteilungen mit Wasser. Die Gefechtspistole eines Torpedos detoniert, dieser
rutscht aus dem zerschossenen Ausstoßrohr, und das Ruder klemmt zum
zweiten Male. Dann entfernt sich der Gefechtslärm.
"G 41", Kommandant Kapitänleutnant Carl, ist in Nacht und
Gefechtsqualm verschwunden, um an die Flottille heranzuschließen.
Hierbei gerät dieses Boot von neuem mit feindlichen Streitkräften
zusammen; Treffer setzten das achtere Geschütz, ein
Torpedoausstoßrohr und einen Torpedo außer Gefecht,
Bereitschaftsmunition brennt, und Leute an Geschützen und Rohren fallen,
tot und verwundet. Im Aufblitzen der Geschütze wird ein Zerstörer
vor dem Bug gesichtet und gerammt. In Rauch und Dampf gehüllt, sackt er
achteraus. Auf "G 41" läuft das Vorschiff voll Wasser und
muß abgestützt werden; es ist bis zum Spill eingedrückt und
der Bug weit nach Backbord verbogen. Mit langsamer Fahrt gelangt das Boot
unverfolgt unter die holländische Küste, wird bei Hellwerden von
den übrigen Booten der Flottille vor der Westerschelde aufgenommen und
nach Zeebrügge eingebracht. Nur die Rotte "V 69" und "S 50"
fehlen.
"S 50", Kapitänleutnant Recke, hatte bei der Ruderhavarie des vor ihm
fahrenden Flottillenbootes den Anschluß verloren und steuerte allein nach
Schouwen-Bank-Feuerschiff. Schon glaubte es westlich von diesem die eigene
Flottille wiedergefunden zu haben, als die gesichteten Fahrzeuge sich als
englische Zerstörer erwiesen. Mit voller Fahrt heranlaufend, suchten diese
das deutsche Boot, von seinen Geschützen auf kürzeste Entfernung
mehrfach getroffen, zu rammen. Aber sie verfehlen das Ziel. Mit höchster
Fahrt, dicht hinter dem Heck auf 50 m zum laufenden Gefecht aufdrehend,
läuft der vorderste Zerstörer der achteren Rohrgruppe von
"S 50" in die Visierlinie. Im richtigen Augenblick losgemacht, schnellen
die Torpedos ins Wasser. Mit Klirren und Krachen reißt der
Zerstörer mitten auseinander, und mastenhoch lodert eine hohe gelbe
Flamme zum Winterhimmel empor, das Öl entzündet sich auf dem
Wasser, und das Meer brennt. In tagheller Beleuchtung reckt sich das Vorschiff
des Zerstörers hoch aus den Fluten und kentert.
[112] Von 10
Zerstörern umzingelt, mit heftigem Feuer überschüttet und im
Gebrauch der Waffen durch überkommende schwere Seen und starke
Eisbildung beeinträchtigt, gelang es "S 50" dennoch, durch
geschickte Manöver weiteren Rammversuchen auszuweichen, mit Granaten
und Torpedos den Durchbruch zu erzwingen und die weit überlegenen
Gegner abzuschütteln. Dann lief es, von Zeebrügge
abgedrängt, nach der Ems zurück. Es hatte nur einen Treffer erhalten,
aber zahlreiche Splitter hatten Schornstein und Kommandobrücke
durchsiebt.
Inzwischen war auch "V 69" von neuem auf feindliche Kreuzer gestoßen.
Diese eröffneten auf 1000 m das Feuer und setzten den achteren
Kommandostand mit der Rudermaschine und allen Kommandoelementen
außer Gefecht. Der achtere Mast stürzte über Bord, die
Überreste des vorderen gerieten in Brand; aber in Rauch und Qualm entzog
sich das nur halb manövrierfähige Boot dennoch seinen Gegnern.
Nicht mehr seefähig, lief es zur Behebung der schlimmsten Schäden
in Ijmuiden, dem nächstgelegenen holländischen Hafen, ein.
Weder hatten die Engländer ihre Übermacht in den einzelnen
Gefechten auszunutzen verstanden, noch hatten sie das Einbringen der havarierten
deutschen Boote nach Ijmuiden, Zeebrügge und der Ems zu verhindern
gewußt, so sehr standen sie unter dem Eindruck ihrer eigenen Verluste. Der
Herausforderung zu weiteren Kämpfen wichen sie aus; denn als in der
folgenden Nacht, trotz Eis- und Minengefahr, die II. und VI. Flottille von
Terschelling nach Nordwesten vorstießen, trafen sie dort ebensowenig
feindliche Streitkräfte, als bei einer Wiederholung des Vorstoßes am
30. Januar in den Hoofden und unter der englischen Küste bei Lowestoft.
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