SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Seekrieg

Kapitel 2: Die Kampfhandlungen in der Nordsee   (Forts.)
Korvettenkapitän Otto Groos

3. Im Dienste des uneingeschränkten U-Bootshandelskrieges.

Verstärkte Tätigkeit der Minensucher und Luftschiffer in der Deutschen Bucht.

Mit dem Beginn des U-Bootskrieges am 1. Februar 1917 mußten auch auf deutscher Seite alle Mittel der Kriegführung fast ausschließlich in den Dienst der U-Bootswaffe gestellt werden. Immer neue Wege mußten von den Minensuchern durch das bis über die Linie Terschelling - Hornsriff hinaus immer stärker verseuchte Gebiet gebahnt werden, Linienschiffe und Schlachtkreuzer mußten dem Minensuch- und U-Bootsgeleitdienst in diesem, dem Bereich der eigenen Küstengeschütze vollständig entzogenen Gebiet ständig als Rückhalt dienen. Bald wurde das Randgebiet der Schauplatz fast täglicher Luftkämpfe. Luftschiffe bewarfen feindliche Seestreitkräfte an der Sperrgrenze mit Bomben, und Flieger und Torpedoboote jagten die feindlichen Flugzeuge nach Westen. Bald gehörten Kampfflugzeuge zum ständigen Schutz der Luftschiffe der Westsicherung. Dennoch ging "L 43" am 14. Juli durch einen Fliegerangriff verloren. Durch die Flieger [113] machte der Feind auch die neuen Arbeitsstellen der Minensucher bald ausfindig. Schon am 17. Juni wurden daher westlich der deutschen Durchbruchsstelle neue Sperren festgestellt. Man mußte sich schließlich damit behelfen, die äußeren Sperren von den U-Booten untertauchen zu lassen und nur innerhalb derselben ein minenfreies Tauchbecken zu schaffen. Nächtliche Stichfahrten von Sperrbrechern, Minensuchern und Torpedobooten mit ausgebrachtem Gerät und ein ständiger Kampf um die minenfreien Wege durch Minenräumen und -werfen kennzeichnet die nächsten Monate.

Bis zum Juli gingen 2 U-Boote und 3 Geleitboote durch Minentreffer verloren.

Am 30. Juli 1916 erweiterte England das Sperrgebiet im Norden bis Hanstholm, im Süden bis Texel, wodurch die an der schmalsten Stelle des Minengürtels zu schaffende Durchbruchsstelle wieder um 20 bis 25 sm nach außen verlegt wurde. Immer weiter mußten die Geleitzüge von Torpedobooten, Minensuchern und Fischdampfern die U-Boote nach Norden und Westen begleiten.

Am 1. September fiel dabei ein Geleitzug von 4 Fischdampfern, die mit den Booten "U 80" und "U C 55" bei Lyngvig nach Süden steuerten, 4 Kreuzern der "Arethusa"-Klasse und 15 Zerstörern zum Opfer. Die Dampfer liefen brennend auf den Strand, während die U-Boote wegen zu geringer Wassertiefe und Minengefahr nicht angreifen konnten. Auf dem Grunde liegend, entzogen sie sich dem Feind, während Flugzeuge ihn trotz heftigem Abwehrfeuer mit Bomben belegten.

Auch die Gefahren für die Luftschiffe hatten ständig zugenommen. Am 26. Juli wurde "L 46" nördlich Terschelling von einem feindlichen Flugboot in 3000 m Höhe überraschend angegriffen und konnte sich, ebenso wie "L 44", nur unter heftigem Maschinengewehrfeuer erst in der schwindelnden Höhe von 5600 m dem Angreifer entziehen.

Unter solchen und ähnlichen Kampfbedingungen stellten die ständigen Aufklärungsflüge an die Nerven der Luftschiffbesatzungen und die Geistesgegenwart ihrer Kommandanten erhebliche Anforderungen. Wegen der Fliegergefahr mußten sich die Luftschiffe ständig auf Höhen über 4000 m halten, wobei Kälte und künstliche Sauerstoffatmung die körperliche und geistige Spannkraft erheblich herabsetzten.

Bald begnügte sich der Feind nicht mehr mit dem Angriff auf die Luftschiffe, sondern überfiel auch die Minensuchverbände unmittelbar. Als am 16. August die V. Minensuchhalbflottille von 3 Kleinen Kreuzern und 8 Zerstörern angegriffen wurde, mußte sie zwar ihr Minensuchgerät im Stich lassen, ging dann aber, vom Feind in der diesigen Luft anscheinend für ein Geschwader gehalten, zum Angriff über, worauf sich dieser in größter Eile nach Westen zurückzog, ehe stärkere deutsche Streitkräfte eingreifen konnten.


[114] Torpedoboots-, Luftschiffs- und Kreuzeroffensive.

Unter Anspannung aller Kräfte im "Stellungskrieg" trat die Offensivtätigkeit der Hochseestreitkräfte in den Hintergrund. Erst während der Neumondperiode im März 1917 konnten wenigstens die III. und VI. und die besonders aufgestellte Flandernflottille eine regere Tätigkeit gegen den immer zunehmenden Geleitzugverkehr zwischen Holland und England und gegen die Bewachung des Kanalausganges unternehmen, um den U-Booten das Eindringen in denselben zu erleichtern. Aus der großen Zahl dieser Unternehmungen sei die Beschießung von Dover und Calais und der ihr folgende Kampf in der Nacht zum 22. April besonders hervorgehoben. Zwei Gruppen von je 6 deutschen Booten unter den Korvettenkapitänen Gautier und Albrecht sowie 3 Boote unter Kapitänleutnant Zander gingen hierzu von Zeebrügge in See.

Kurz nach Mitternacht wurde die Kanalsperre passiert. Eine Stunde später stand die Gruppe Gautier vor der abgeblendeten Küste von Dover, die Gruppe Albrecht vor Calais. Die beiden befestigten Häfen wurden völlig überraschend mit etwa 350 10,5-cm-Granaten beschossen. Als sich wider Erwarten auch während des langsamen Zurückdampfens zur Kanalsperre kein Feind zeigte, ließ Korvettenkapitän Gautier kehrtmachen und auf die Downs zuhalten, in der Absicht, etwa dort auslaufende Seestreitkräfte anzugreifen. Bei dem South Goodwin-Feuerschiff kommen abgeblendete feindliche Schiffe in Sicht, und bald befindet sich die Führerbootsgruppe "V 71", "V 73" und "V 81" im Passiergefecht mit feindlichen Zerstörern und einem bedeutend größeren und stärker bewaffneten Führerschiff. Letzteres wird anscheinend von einem Torpedo von "V 81" getroffen, denn nach einer starken Explosion glaubt man es über das Heck wegsinken zu sehen. Ein Zerstörer sucht gleichzeitig die deutschen Boote zu rammen und durchbricht die Linie, wobei ihm Bordwand und Kommandobrücke zusammengeschossen werden, während das Achterschiff in Brand gerät. Als die deutsche Führerbootsgruppe zum laufenden Gefecht aufdreht, kommt der Feind in der dunklen Nacht aus Sicht. Inzwischen war die hintere Gruppe, "S 53", "G 85" und "G 42", in einen heftigen Kampf mit zwei doppelt so großen Flottillenführerschiffen geraten. "Swift", das vordere von diesen, versucht "S 53" zu rammen. Dieses weicht aber dem Rammstoß durch sofortiges Angehen der Maschinen auf dreimal äußerste Kraft noch rechtzeitig aus. Vom Artilleriefeuer geblendet und von mehreren Granaten getroffen, läuft "Swift" 20 m hinter dem Heck von "S 53" durch die Linie. Hierbei feuert er einen Torpedo auf "G 85". Gleichzeitig rammt "Broke", das zweite englische Führerschiff, "G 42", das letzte Boot der Gruppe. Krachend bohrt sich der starke Steven in die Flanke des deutschen Bootes, während die Geschütze des Engländers mit gesenkter Mündung buchstäblich Granaten in das unglückliche Schiff hineinpumpen. Am Bug aufenternd, stürzt sich ein Teil der deutschen Mannschaft an Deck des "Broke", wo es zu [115] wildem Handgemenge kommt, aber die Deutschen erliegen der Übermacht. "G 42" sinkt buchstäblich unter dem Steven des "Broke". Dieser wendet sich, mittschiffs und auf der Brücke brennend und durch eine Kesselexplosion in seiner Geschwindigkeit stark herabgesetzt, "G 85" zu, das trotz dem erhaltenen Torpedotreffer seinen Gegner mit heftigem Artilleriefeuer empfängt. Selbst ein zweiter und dritter Torpedo, den "Broke" mit Erfolg abschießt, vermag den Widerstand des deutschen Bootes nicht zu brechen. "Broke" wird mit 7 Treffern von dem Zerstörer "Mentor" nach Dover eingeschleppt. 23 Mann waren tot und 33 verwundet.

Inzwischen hatte "Swift" die Verfolgung von "S 53" aufgenommen, erhielt aber von diesem einen so schweren Treffer im Vorschiff, daß das hereinbrechende Wasser zum Stoppen zwang. Weiter hinzukommenden Zerstörern entzieht sich "S 53" in heftigem Artilleriefeuer durch scharfe Kursänderungen. Als sich die Verfolger ins Kielwasser setzen, dreht es mit hoher Fahrt zum Torpedoangriff auf Gegenkurs. Die Drohung genügt, die Gegner laufen mit höchster Fahrt ab. "S 53" findet den Anschluß an die vordere Gruppe und kehrt mit dieser in den Hafen zurück.

Bereits in der Nacht zum 27. April standen die deutschen Flottillen wieder an der feindlichen Küste. Ramsgate an der Themsemündung wurde mit 360 Granaten beschossen, ohne daß sich Handelsverkehr oder Bewachungsfahrzeuge zeigten. Auch in der Nacht zum 30. April blieb die Suche nach solchen erfolglos. Erst bei einem Vorstoß gegen den Geleitzugverkehr zwischen Holland und England am 3. Mai kam es bei Noord Hinder-Feuerschiff zu einem zweiten Zusammenstoß. Die deutschen Boote wurden durch drei der neuesten englischen Kleinen Kreuzer und 4 Zerstörer gejagt; aber kaum blieben die Kreuzer zurück, als sie ihrerseits zum Angriff gegen die Zerstörer vorgingen und diese verjagten, noch ehe eine zweite englische Flottille von 12 Booten herankam. Die Hauptaufgabe der Flottillen blieb, oft im feindlichen Feuer durchgeführt, das Wegräumen der Sperrnetze und Minen vor Zeebrügge, um den U-Booten freie Bahn zu schaffen und zu erhalten. Verluste und Beschädigungen durch Minen und Fliegerbomben blieben nicht aus; ein Boot wurde durch Torpedoschüsse zweier englischer Motorboote vernichtet. Demgegenüber hatte die englische Dover-Flottille bereits in der Zeit von 1915 bis 1917 die Hälfte ihres Bestandes verloren.

Ebenso rege wie die deutschen Flottillen schritten die Luftschiffe in allen Neumondperioden zum Angriff. In der Nacht zum 27. März standen von 5 Luftschiffen, die nach England geflogen waren, 2 über London, und Ende Mai waren wieder 6 Luftschiffe über England. Von diesen belegte "L 43" die Dockanlagen zu beiden Seiten der Themse mit 1850 kg Munition. Auf dem Rückmarsch erwarteten feindliche Flieger, auf dem Wasser liegend, die Luftschiffe bei Terschelling und gingen bei ihrem Herannahen sofort zum Angriff vor, wurden aber mit Erfolg abgeschlagen. Bei dem nächsten Angriff von 4 Luftschiffen am [116] 16. Juni hatte man auch für diesen Fall Vorkehrungen getroffen. Von Hellwerden ab hielten sich deutsche Kampfflugzeuge bei Terschelling zur Aufnahme bereit und verjagten zwei feindliche Großflugzeuge, bevor die Luftschiffe herankamen. Immer mehr wurde das Flugzeug die Hauptgefahr für das Luftschiff. Noch im Angriff wurde "L 48" vor Yarmouth durch einen Flieger abgeschossen, während "L 42" erst, nachdem es Dover äußerst wirksam mit Bomben belegt hatte, einem ähnlichen Angriff nur durch Überhöhung auf 5000 m entging. London war diesmal mehr durch Gewitter als durch seine Luftabwehr geschützt worden. Der nächste Angriff von 8 Luftschiffen im August erfolgte unter besonders schwierigen Verhältnissen. Schnee und Eis belasteten die Schiffe erheblich. In den oberen Luftschichten trafen sie bei 18° Kälte, bei der die Kompasse einzufrieren begannen, heftige Westwinde. "L 46" wurde über England abgeschossen. Bei dem Rückmarsch wurden die Schiffe von feindlichen Seestreitkräften stark beschossen, dann aber durch die Kampfstaffeln, durch "L 49" und die auf allen Auslaufwegen verteilten Minensucher und Kleinen Kreuzer aufgenommen.

Glücklicher verlief der Septemberangriff. Von 11 Luftschiffen fanden 9 gute Angriffsziele, und alle kehrten trotz heftiger Beschießung mit Brandmunition und trotz der Verfolgung durch Kreuzer unbeschädigt zurück. Ein besonderer Unstern schwebte dagegen über dem Angriff vom 19. Oktober. Zwar wurden London, Manchester und andere Städte mit Erfolg mit Bomben belegt, aber von 11 Luftschiffen gingen 5 infolge außergewöhnlicher atmosphärischer Störungen verloren. Nordwind von unberechenbarer Stärke packte über England die Schiffe und trieb sie mit unglaublicher Geschwindigkeit über den Englischen Kanal nach Frankreich. "L 44" wurde in der Nähe von Luneville durch Flakgeschütze in 4000 m Höhe in Brand geschossen. "L 45" trieb von London über Hastings und den Kanal in das Kampfgebiet und dann durch das Rhône-Tal nach Süden. Zwischen Grénoble und Toulon schritt das Schiff zur Notlandung und wurde von seiner Besatzung verbrannt, während "L 49" nicht weit davon infolge der schweren Erschöpfung seiner Mannschaft fast unbeschädigt in Feindeshand fiel. "L 50" trieb in den Golf von Lyon und ging dort verloren, jedoch wurde der größere Teil der Besatzung gerettet. Ein weiteres Luftschiff strandete in Westfalen.

In derselben Neumondperiode war auch ein Vorstoß der Torpedobootsflottillen unter Mitwirkung der ganzen Flotte gegen feindliche Streitkräfte an der englischen Ostküste und im Skagerrak und Kattegat beabsichtigt; jedoch mußte infolge der Entsendung des größeren Teiles der Geschwader nach der Ostsee zum gemeinsamen Vorgehen mit der Armee gegen die baltischen Inseln Dagö und Ösel davon abgesehen werden. Die in der Nordsee zurückbleibenden Streitkräfte mußten sich darauf beschränken, den Fortgang des U-Bootskrieges sicherzustellen und eine Störung der Unternehmungen durch englische Angriffe in der Nordsee oder im Kattegat zu verhindern.

Um aber wenigstens einen Teil der geplanten Angriffsunternehmung in der [117] Nordsee durchzuführen, wurden am 16. Oktober die Kleinen Kreuzer "Brummer" und "Bremse" unter den Kommandanten, Fregattenkapitän Leonhardi und Westerkamp, von der jütischen Küste nach Norden vorgeschickt, um den Handelsschiffsverkehr auf der Linie Bergen - Lerwik anzugreifen. Noch vor Beginn der Morgendämmerung trafen sie dort genau in Richtung des Vormarsches auf einen von 2 Zerstörern und 2 bewaffneten Fischdampfern gesicherten Geleitzug kleiner und mittelgroßer Frachtdampfer. In dem Glauben, englische Schiffe vor sich zu haben, gab "Mary Rose", der vordere Zerstörer, ein Scheinwerfersignal an "Brummer" ab, und erst die einschlagenden Granaten belehrten ihn eines besseren. Nach der zweiten Salve blieb er, in Dampf gehüllt, bewegungslos liegen und sank nach weiteren Treffern. Inzwischen hatte ein Teil der Handelsdampfer gestoppt und Boote ausgesetzt, die beiden letzten suchten nach Osten zu entkommen. Sie wurden bis auf drei durch Granatfeuer von "Brummer" und "Bremse" versenkt.7

Während dieser Zeit war der am Ende der Formation fahrende Zerstörer "Strongbow" aus Sicht gekommen, näherte sich aber bald wieder dem Kampfplatz. Nach längerem Gefecht wurde er durch Treffer in die Heizölzellen in Brand geschossen und schließlich durch zwei Vollsalven auf 400 m ebenfalls versenkt. Ein Versuch, die außerordentlich tapfere Mannschaft dieses Zerstörers zu retten, mußte aufgegeben werden, da ein Unterseeboot gemeldet wurde. Unter diesen Umständen verbot sich ein längeres Stoppen der nicht durch Torpedoboote gesicherten Kreuzer von selbst. Sämtliche Offiziere und Mannschaften der beiden Zerstörer fanden daher ihren Untergang; dagegen wurden die der Handelsfahrzeuge bald darauf von herannahenden englischen Wachschiffen aufgenommen. Wie sich später herausstellte, war das gesichtete U-Boot kein englisches, sondern ein deutsches gewesen, und zwar "U B 66", das auf der Ausreise nach dem Mittelmeer begriffen, das Gefecht zufällig beobachtet hatte.

Den Tag über liefen die deutschen Kreuzer weiter nach Nordost, um der Verfolgung von Scapa Flow oder dem Skagerrak her auszuweichen. Nach Beobachtung des feindlichen Funkverkehrs erreichte jedoch die Nachricht von der Vernichtung des Geleitzuges die britische Flottenleitung erst am Nachmittag. In der folgenden Nacht brachen "Brummer" und "Bremse" nach Süden durch und standen am nächsten Morgen bei Lyngvik. Bei Hornsriff wurden sie von S. M. S. "Regensburg", ihrem Flaggschiff, und der 14. Torpedobootshalbflottille aufgenommen.

Durch alle offiziellen Versuche, das Vorgehen von "Brummer" und "Bremse" als völkerrechtswidrig zu brandmarken, ließ sich die englische öffentliche Meinung nicht darüber täuschen, daß das Prestige der britischen [118] Flotte durch die Initiative deutscher Seestreitkräfte wieder eine empfindliche Niederlage erlitten hatte. "Von 100 Sachverständigen", so schrieb das Journal of Commerce vom 25. Oktober, "würden 99 gesagt haben, daß es unmöglich sei, Geleitzüge in unseren Gewässern bei den Shetland-Inseln anzugreifen und unbehelligt wieder davonzufahren."


Der Stellungskrieg vor der Deutschen Bucht.

Die Times vom 1. November sprach offen von der Untüchtigkeit der "Großen Flotte" und ihrer großen Abneigung, Gefahren ins Auge zu sehen, und selbst die Daily Mail vom 25. Oktober äußerte in ihrem lebhaften Unwillen über die jüngste Schlappe, daß schon die Skagerrakschlacht zum Gegenstand einer kriegsgerichtlichen Untersuchung hätte gemacht werden müssen. Mit den Worten: "Eine schweigende Flotte kann sich auch zu schweigsam verhalten", übte die Westminster Gazette eine empfindliche Kritik an der vielumstrittenen Strategie der "fleet in being", einer Flotte, die sich damit begnüge, nur durch ihr Vorhandensein zu wirken. Selbst die Entblößung der Deutschen Bucht von den kampfkräftigsten Geschwadern während der Ostseeunternehmung gegen Dagö und Ösel hatte sie nicht aus ihrer Zurückhaltung herauslocken können. Auch für die Zukunft schien bei der starken Minenverseuchung der Deutschen Bucht kaum mehr mit einem englischen Angriff zu rechnen zu sein. Schon im Beginn des Monats hatten sich bei dem Untertauchen der äußeren englischen Sperren zum ersten Male U-Bootsverluste ereignet - ein deutlicher Beweis, daß selbst auf größerer Wassertiefe neue Gefahren in Gestalt von tiefstehenden Minen und Netzen den U-Booten drohten. Das Randgebiet durfte daher nur noch über Wasser passiert werden. Damit aber die Ein- und Austrittspunkte an der Sperrgebietsgrenze von den dort lauernden feindlichen Über- und Unterwasserstreitkräften möglichst lange verborgen blieben, mußte die Durchfahrt bei Nacht erfolgen. In besonderen Stichfahrten mußten die Minensuchverbände neue Auslaufrichtungen erkunden.

Nach wiederholten Unternehmungen dieser Art sollte am 17. November, etwa von dem Mittelpunkt der Linie Hornsriff - Terschelling ausgehend, eine solche Stichfahrt in nördlicher Richtung stattfinden. Hierzu gingen die VI. Minensuchflottille, die 2. und 6. Hilfsminensuchhalbflottille, die 12. und 14. Torpedobootshalbflottille, die 4. Sperrbrechergruppe und die Kreuzer der II. Aufklärungsgruppe unter Führung von Kontreadmiral v. Reuter in See. Die Linienschiffe "Kaiser" und "Kaiserin" bildeten westlich von Helgoland den Rückhalt. Luftschiffe konnten wegen der Wetterlage nicht aufklären, und auch die zum Einsetzen auf den Kreuzern bestimmten Flugzeuge hatten diese wegen unsichtigen Wetters nicht rechtzeitig erreicht. Es wehte leichter Nordnordwest bei mäßig bewegter See, als die Minensuchverbände gegen 8 Uhr Vm. die Geräte ausbrachten, während der Führer mit S. M. S.  "Königsberg" zwei noch fehlende [119] Halbflottillen heranholte. In diesem Augenblick schlugen von Nordwesten her plötzlich Granaten schweren und mittleren Kalibers ein, ohne daß am diesigen Horizont Schiffe zu erkennen waren. Sofort stießen die Kleinen Kreuzer "Nürnberg", "Pillau" und "Frankfurt" unter Führung des ältesten Kommandanten, Kapitäns zur See Hildebrand, vor, um die Minensuchverbände zu decken, während die Torpedoboote, nach Westen und Nordwesten ausholend, eine Nebelwand zwischen den Feind und die Minensucher legten. Diese schlippten ihr Gerät und dampften unter Entwicklung von Nebel nach Osten. Der Feind folgte den wertvolleren Kreuzern, sich wegen der Minengefahr nach Möglichkeit innerhalb des von den deutschen Schiffen befahrenen Streifens haltend. Soweit im Dunst erkennbar, wurde die Verfolgung von mindestens 4 Schlachtkreuzern der

Deutsche Torpedoboote bei schwerer See zum Angriff übergehend.
Deutsche Torpedoboote bei schwerer See
zum Angriff übergehend.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 547.
"Courageous"-Klasse sowie 6 bis 8 Kleinen Kreuzern, darunter solchen der "Concord"-Klasse und etwa 18 Zerstörern aufgenommen. In dem nun einsetzenden heftigen Artilleriekampf erzielten die deutschen Kreuzer und Torpedoboote sehr bald Treffer. Nach starken, deutlich sichtbaren Explosionen drehte ein feindlicher Schlachtkreuzer und ein Zerstörer ab. Um 1030 Uhr kamen die Linienschiffe "Kaiser" und "Kaiserin" in Sicht und eröffneten beide ein lebhaftes Feuer gegen die Kleinen Kreuzer der "Concord"-Klasse. Nach einem Treffer auf ihrem Spitzenschiff drehten die Engländer ab; aber eine der letzten 38-cm-Granaten der britischen Schlachtkreuzer schlug auf der "Königsberg" ein und erzeugte dort einen schweren Bunkerbrand. Dann hörte das Feuer wie mit einem Schlage auf, das Gefecht war beendet. Der Feind lief mit höchster Fahrt nach Nordwest ab und konnte trotz sofortiger Verfolgung durch den auf "Pillau" übergestiegenen Führer der II. Aufklärungsgruppe und die inzwischen durch "Hindenburg" und "Moltke" verstärkten Linienschiffe und die II. Torpedobootsflottille nicht mehr eingeholt werden. Nur Flugzeuge blieben am Feind und bewarfen ihn mit Bomben; dann kam er in dem immer unsichtiger werdenden Wetter völlig aus Sicht. Die in der Nacht vorstoßende 7. Torpedobootshalbflottille fand daher ebensowenig Angriffsziele wie zwei sofort eingesetzte U-Boote. Flugzeugbeobachtungen und andere Meldungen ließen aber keinen Zweifel, daß der englische Vorstoß durch mindestens ein Linienschiffsgeschwader gedeckt worden war.

Auf den feindlichen Panzerkreuzern hatte man 5, auf den Kleinen Kreuzern und Zerstörern 13 Treffer einwandfrei beobachtet, dagegen waren die deutschen Kreuzer nur dreimal von Granaten schweren und dreimal von solchen mittleren Kalibers getroffen worden. Durch keinen der Treffer hatte die Gefechtsfähigkeit auch nur eines der Schiffe gelitten. Die einzige Schiffseinheit, die verloren ging, war der Vorpostendampfer "Kehdingen", der als Markschiff den Ausgangspunkt der Stichfahrt bezeichnet hatte.

Die energische Zurückweisung des Überfalls nahm dem Gegner die Lust zu einer Wiederholung; um so mehr blieb er bemüht, mit einem gewaltigen Aufwand [120] von Material die vollständige Absperrung der Deutschen Bucht mit Minen nach Möglichkeit zur Tatsache zu machen. Nachdem bis zum Januar 1918 nur 1 U-Boot und 2 Minensuchboote durch Minentreffer verlorengegangen waren, ereignete sich am 19. Januar in der äußeren Sperrzone der erste jener tragischen Vorfälle, wie sie für den weiteren Verlauf des mit immer größerer Erbitterung geführten Minenkrieges bezeichnend werden sollten: Beim Hereinbringen von "U B 78" stößt ein Vorpostenboot 50 sm nordwestlich von Helgoland auf Minen und sinkt. Das U-Boot ankert mit dem Geleit und wird durch Torpedoboote und Werftdampfer aus seiner Lage befreit. Unglücklicherweise aber wird infolge der Schwierigkeiten der Standortsbestimmung eine zu weit nördliche Lage der Sperre gemeldet. Infolgedessen trifft ein auslaufender Geleitzug von 3 Sperrbrechern auf dasselbe Minenfeld. "U B 22" und das Torpedoboot "S 16" sinken, die Sperrbrecher ankern. Bei Hellwerden treffen 3 Minensuchhalbflottillen, gedeckt durch Vorpostenkreuzer und Linienschiffe, an der Unfallstelle ein. Bei dem Vordringen gegen die zu Anker liegenden Schiffe laufen auch die Minensuchboote "A 73" und "A 77" auf Minen. Von ihrer Besatzung werden nur ein Offizier und zehn Mann gerettet, während ein Rettungsfloß mit sechs Mann über die Sperre treibt und nicht mehr erreicht werden kann. In gefahrvoller Arbeit gelingt es schließlich, die Sperrbrecher zu befreien. Als das Floß nach langem Suchen am 22. Januar gefunden wird, ist es leer. Dagegen landen in der Nacht zum 4. Januar nach viertägiger Fahrt bei Winterkälte im offenen Boot 16 Mann von "A 77" in völliger Erschöpfung an der dänischen Küste.

Aufgefangene Funksprüche ließen Anfang Februar einen neuen englischen Überfall erwarten; daher wurden Kreuzer und Minenschiffe näher als sonst an die Minensuchverbände herangeschoben. Hierbei geriet der Kleine Kreuzer "Stralsund" auf eine Mine, welche unmittelbar unter der vorderen Munitionskammer explodierte. Die Wirkung hätte für das Schiff vernichtend sein müssen, wenn die Munition mit aufgeflogen wäre. Dies geschah jedoch nicht; ein neuer glänzender Beweis für die Sicherheit derselben. Das Schiff wurde eingeschleppt und war in nicht allzulanger Zeit wieder kriegsbereit.

Hochgehende englische Mine.
Hochgehende englische Mine.
Deutsches Minensuchboot
durch Zufall vom Untergang
bewahrt.   [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner rauhen Wirklichkeit, S. 567.

Durch Auffahren auf eine Mine zerstörtes Torpedoboot.
Durch Auffahren auf eine Mine
zerstörtes Torpedoboot. Das
Vorschiff wurde abgerissen.
[Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner rauhen Wirklichkeit, S. 567.
An demselben Abend stieß der Geleitzug für "U 104" und "U B 75" ebenfalls auf eine Sperre. 7 Vorpostenboote sinken nacheinander in der Nacht und am folgenden Tage, ehe es gelingt, den Rest des Geleitzuges aus der mörderischen Sperre zu befreien.

Bis Ende März gingen insbesondere auf den von englischen U-Booten gelegten Minensperren nicht weniger als 8 Minensuchboote und mehrere U-Boote verloren. Am 27. März aber ereignete sich wieder ein größerer Unfall. Für ein auslaufendes Geleit waren zwei äußere Stellungen durch Vorpostenboote besetzt, die als Feuerschiffe dienen sollten; jedoch wurden im Morgengrauen drei durch feindliche Streitkräfte vernichtet. Schlimmer war, daß der Feind dabei den neuen Weg entdeckt und sofort mit Minen verseucht hatte. Als die [121] 14. Torpedobootshalbflottille am 30. März von einer Kontrollfahrt zurückkehrte, lief sie um 4 Uhr Vm. 60 sm nordwestlich Helgolands in ein dichtes, flachstehendes Minenfeld. Zwischen 4 und 7 Uhr Vm. stießen "G 87", "G 94" und "G 93" nacheinander auf Minen und sanken, während "G 92" mit der 2. Geleithalbflottille sich zu Anker halten und den größten Teil der Besatzung der sinkenden Boote retten konnte; 66 Mann aber, darunter 4 Offiziere, fanden den Tod. Die Rettungsaktion durch die 1. Minensuchhalbflottille, 6. Minenräumdivision, 2 Pumpendampfer, die "Emden" mit 2 Flottillen, die IV. Aufklärungsgruppe, "Moltke", "Hindenburg" und die I. Linienschiffsdivision wurde durch dichten Nebel verzögert; erst gegen Abend konnten sich die am weitesten vorgeschobenen Streitkräfte durch die Sperren hindurcharbeiten und den Rest des Geleitzuges aus seiner gefährlichen Lage befreien.

Die ständige Anwesenheit feindlicher Streitkräfte an der Sperrgrenze zwang die U-Boote in der Folge, dieses Gebiet, das wegen tiefstehender Minen und Netze nicht getaucht durchlaufen werden konnte, nur noch bei Nacht zu passieren und gegebenenfalls die Dunkelheit, auf dem Grunde liegend, abzuwarten.

Am 7. April begannen die Minensuchflottillen mitten durch alte, schon bekannte Sperren einen neuen Weg nach Norden zu bahnen. Am 15. April war er nach der Räumung von Hunderten von Minen bereits in einer Breite von 4 sm befahrbar. Eine neue Ausfallpforte, auch für Linienschiffsgeschwader ausreichend, war hiermit geschaffen. Nach Westen zu war der neue Weg durch Gegensperren gesichert worden, eine Aufgabe, welche die Kreuzer "Bremse" und "Arcona" trotz Nebel und Minengefahr inzwischen hervorragend gelöst hatten.

Dagegen blieben alle Versuche, etwa 20 bis 50 sm nördlich Terschelling nach Westen vorzudringen, weiter verlustreich. Als die 8. Minensuchhalbflottille dort am 19. April 4 Torpedoboote der III. Flottille zur Fahrt nach Flandern herausbringen wollte, stieß sie bereits 20 sm nordwestlich Terschelling auf flachstehende und anscheinend miteinander verbundene, also besonders gefährliche Minen. "M 46" erhielt mehrere schwere Minentreffer. Auch "M 95" und "M 39" sanken, als sie zur Rettung herbeieilten. Die anderen Boote ankerten und retteten 60 Mann, aber 100, darunter der Chef der Minensuchhalbflottille, wurden vermißt. Während sich am nächsten Tage die Boote der 6. Minensuchhalbflottille und Motorboote der 6. Minenräumdivision, gedeckt durch die IV. Aufklärungshalbflottille und den I. Führer der Torpedoboote, mit der 1. und 2. Torpedobootshalbflottille mühsam an die in der Sperre liegenden Fahrzeuge heranarbeiten, erscheint gegen Mittag ein feindlichen Flugzeug, das, von den Booten der III. Flottille heftig beschossen, bald abdreht. Ihm folgt um 625 Uhr Nm. aus südwestlicher Richtung der Angriff von 4 Zerstörern unter Führung eines Kleinen Kreuzers. Glücklicherweise waren die Motorboote zu dieser Zeit gerade durch die Sperre bis zu den Booten vorgedrungen. Der Flottillenchef, Korvettenkapitän Gautier, läßt Anker aufgehen, setzt sich mit den Torpedobooten [122] zwischen die Minensuchverbände und den Feind und erzielt in einstündigem Gefecht mehrere Treffer, während die IV. Aufklärungsgruppe, "Emden" und die anderen Flottillen auf dem schmalen Weg zwischen den Sperren unter Volldampf heranlaufen. Aber noch ehe sie Feuer eröffnen, dreht der Feind ab. Eine Verfolgung über die Sperre hinweg ist nicht möglich. Das Vorpostengeschwader der Linienschiffe, bereits in Scheinwerferreichweite, findet keine Gelegenheit mehr zum Eingreifen.


Die Tätigkeit der Torpedobootsflottillen vom November 1917 bis März 1918.

Trotz dieser immer wirksameren Minenblockade der Deutschen Bucht hat es von November 1917 bis März 1918 keineswegs an kleineren Vorstößen von Teilen der Hochseeflotte, besonders in den Dunkelperioden, gefehlt. So waren in der Nacht zum 13. November 1917 die IX. Flottille und Boote der VI. in die Hoofden, die II. bis zur westlichen Dogger-Bank vorgestoßen, während Feuerschiffe, Bergungsdampfer und Vorpostenstreitkräfte auf den Auslaufwegen verteilt, ihre Rückkehr erwarteten. Am 16. November stießen 4 Boote der IX. Flottille gegen den Geleitzugverkehr Holland - England vor, am 22. November liefen 5 Torpedoboote von der Deutschen Bucht nach Flandern; aber alle diese Unternehmungen hatten zu keinem nennenswerten Ergebnis geführt. Ein für den 28. November geplanter Überfall des Geleitzugverkehrs zwischen England und Holland durch die IV. Aufklärungsgruppe und Boote der II. Flottille mußte wegen schlechten Wetters unterwegs abgebrochen werden. Dagegen waren die Vorstöße während der Neumondperiode des Dezember mehr vom Glück begünstigt. Am 11. Dezember stießen 4 Boote der II. Flottille, "G 101", "103", "104" und "V 100" unter Kapitänleutnant Kolbe, in Wiederholung des "Brummer"- und "Bremse"-Unternehmens, gegen die Linie Shetland - Norwegen vor, 4 andere Boote, "B 97", "109", "110", "112", unter Korvettenkapitän Heinecke, gegen die englische Küste zwischen Blyth und Longstone. Die letztere Gruppe versenkte unmittelbar vor der Tynemündung zwei Handelsdampfer und vernichteten nach kurzem Gefecht mit einer größeren Zahl bewaffneter Fischdampfer zwei derselben, während die Gruppe Kolbe einen ganzen Geleitzug von 6 Dampfern mit dem Zerstörer "Pelion" und 4 Fischdampfern zur Strecke brachte. Nur dem Zerstörer "Pelion" gelang es trotz schwerer Beschädigungen zu entkommen. Auf deutscher Seite fiel nur ein Mann, einer wurde schwer verwundet. Die Verluste wären schwerer gewesen, wenn ein englischer Torpedo, der "V 102" traf, detoniert wäre. Mit 47 Kriegs- und 22 Zivilgefangenen kehrte die Gruppe Kolbe um Skagen durch die Ostsee zurück. Mit Recht konnte die II. Flottille stolz sein auf diese Leistung.

Am 17. Dezember gingen 8 Torpedoboote nach Flandern, während ein Vorstoß der IX. Flottille nach der Dogger-Bank wegen schlechten Wetters abgebrochen wurde.

[123] Infolge dieser Tätigkeit der deutschen Seestreitkräfte hörte man in England um die Jahreswende vielfach die Ansicht, daß die englische Flotte unter allen Umständen die hinter den Minensperren liegende deutsche aufsuchen und vernichten müsse, um des U-Bootkrieges Herr zu werden. "Was nützen alle Siege zu Lande," rief man aus, "wenn die deutsche Flotte unversehrt bleibt!"

Auf diese erregten Stimmen der öffentlichen Meinung fand die Morning Post vom 31. Dezember nur folgende resignierte Antwort:

      "Trotz der Verminderung der Blockadewirkung durch den deutschen Sieg über Rußland wird in Fachkreisen ein Vorgehen der englischen Flotte gegen die Deutsche Bucht selbst nach der Verstärkung durch amerikanische Linienschiffe als zu gefährlich angesehen."

Das Jahr 1918 eröffnete die III. und die Z-Flottille Mitte Januar mit einem Vorstoß von der flandrischen Küste gegen den Handelsverkehr nördlich der Themsemündung. Da aber keinerlei Schiffe angetroffen wurden, beschossen die deutschen Torpedoboote Lowestost, um wenigstens Seestreitkräfte herauszulocken, aber vergebens. Auf dem Rückweg kam "V 67" auf eine Mine und mußte eingeschleppt werden. Ein fast gleichzeitig angesetzter Vorstoß der II. Flottille von der Deutschen Bucht aus wurde in dichtem Nebel abgebrochen.

Dagegen war ihr Mitte Februar ein besonders schöner Erfolg beschieden. Nach einem durch Nebel vereitelten Anlauf am 13. Februar gelangte die Flottille unter ihrem Chef, Korvettenkapitän Heinecke, am 14. ohne Schwierigkeiten aus der Deutschen Bucht in die Hoofden, um, ohne erst Zeebrügge anzulaufen, sofort gegen die englischen Streitkräfte zwischen Dover und Calais vorzugehen. Die Überraschung gelang völlig. Bald nach Mitternacht passierte die Gruppe Heinecke mit dem Flottillenboot "B 97" und der 4. Halbflottille, "V 100", "B 109" und "B 110", die alte, unbeleuchtete Kanalsperre. Eine halbe Stunde später befand sie sich vor der neuen, von den deutschen U-Booten besonders gefürchteten Lichtsperre. Sie bestand aus quer über die Doverstraße verankerten Fahrzeugen, die teils mit Scheinwerfern, teils mit Magnesium-Leuchtkörpern das Fahrwasser absuchten. Schon auf mehrere Meilen war diese Beleuchtung zu erkennen. Zahlreiche bewaffnete Fischdampfer, Motorboote und U-Bootsjäger kreuzten in der Nähe der Sperre, um bei Auftauchen eines deutschen U-Bootes alsbald zum Angriff vorzugehen.

Sofort entschloß sich Korvettenkapitän Heinecke, die vor ihm liegende Sperre aufzuräumen. Unbemerkt kamen seine Torpedoboote gegen ein in der Mitte der Sperre liegendes großes Fahrzeug mit besonders hellen Scheinwerfern heran und setzten es auf 300 m durch Artilleriefeuer in Brand. Dann ließ ein Torpedo von "B 97" aus dem Qualm und Rauch des brennenden Fahrzeuges eine hohe Detonationssäule hervorschießen. Es sank. Noch ehe sich die anderen Fahrzeuge von ihrer Überraschung erholt und überhaupt die Geschütze besetzt hatten, liefen die Boote an der Sperre entlang und zerschmetterten nacheinander [124] ein Motorboot, das anzugreifen suchte, einen U-Bootsjäger, einen Fischdampfer und andere Schiffe mit Vollsalven.

Bald erleuchten brennende und explodierende Mengen von Magnesium taghell den Kampfplatz. Gegen 230 Uhr Vm. sind ein Torpedoboot, 13 Bewachungs- und Jagdfahrzeuge und 2 Motorboote auf 100 bis 200 m Entfernung durch Artilleriefeuer vernichtet. Alle Scheinwerfer in der Sperre erlöschen, in der Ferne steigen weiße Sterne auf. Sirenen heulen, während von Süden Geschützdonner herüberdringt. Dort war die 3. Halbflottille unter Kapitänleutnant Kolbe von Calais aus nach überraschender Versenkung eines großen bewaffneten Fischdampfers weiter nach Westen vorgedrungen, schoß eine ganze Anzahl anderer mit Scheinwerfern und Magnesiumfeuern arbeitenden Fahrzeuge in Brand und vernichtete etwa 12 von diesen.

Wieder hatte sich die deutsche Torpedobootsschulung glänzend bewährt. Bei dem ununterbrochenen Geschützfeuer, dem Pulverqualm und dem Rauch der brennenden Fahrzeuge war von den Kommandanten in der sicheren Führung der Boote Hervorragendes geleistet worden. Mit geringem Munitionsaufwand wurde in kürzester Zeit dank der vortrefflichen Haltung und freudigen Begeisterung der seit 48 Stunden unermüdlich in äußerster Anspannung tätigen Besatzungen der Zweck des Vorstoßes völlig erreicht. Die Straße Dover - Calais war für die deutschen U-Boote wieder frei, denn der Feind hatte die Sperre aufgegeben, wie von Torpedobooten des Marinekorps in der folgenden Nacht festgestellt wurde.

Von November 1917 bis April 1918 erhielt bei der Notwendigkeit ständiger Aufklärung in der Linie Terschelling - Hornsriff die Luftwaffe eine immer steigende Bedeutung. Um so schmerzlicher wurde der Verlust von 6 Luftschiffen empfunden, die am 5. Januar einer unaufgeklärten Explosion von vier Hallen in Ahlhorn zum Opfer fielen. Der nächste Angriff gegen England mußte daher bis zum 13. März verschoben werden. "L 53", "54", "61", "62" und "63" unter Korvettenkapitän Strasser nahmen daran teil und bewarfen mit je 1500 kg Sprengmunition erfolgreich ihre Ziele. Dennoch kehrten alle trotz der Beschießung mit schrapnellartigen Brandgeschossen unbeschädigt in ihre Hallen zurück. Bereits am nächsten Tage sollte der Angriff durch 3 Luftschiffe wiederholt werden, jedoch wurden sie unterwegs wegen rechtsdrehender Winde zurückgerufen. Als das Signal eintraf, sah "L 42" bereits die hellerleuchteten Industriestädte zwischen Tees und Tyne vor sich liegen. Die günstige Angriffsgelegenheit ausnutzend, belegte er daher in überraschendem Angriff die Hafenstadt Hartlepool mit der ganzen Munition, ehe er dem von den anderen befolgten Befehl auch seinerseits entsprach.


Flottenvorstoß bis Stavanger. Ständige Verschärfung des Stellungskriegs.

Im März schloß die Abgabe von Streitkräften nach der Ostsee zur Teilnahme an der Befreiung Finnlands größere Unternehmungen in der Nordsee aus; um so [125] lebhafter war die deutsche Flottentätigkeit im April. Einem Vorstoß der II. Flottille ins Skagerrak zur Aufbringung feindlicher und Bannware führender neutraler Handelsschiffe folgte am 23. April eine große Unternehmung der gesamten Hochseestreitkräfte. Sie richtete sich gegen den starken englischen Geleitzugverkehr zwischen dem Firth of Forth und Bergen und war, weiter nach Norden ausholend als je zuvor, besonders geeignet, die in England so häufig verkündete Meinung zu widerlegen, daß der Ausgang der Skagerrakschlacht den Angriffsgeist der deutschen Flotte gebrochen habe. Wenn solche Vorstöße nach 1916 seltener geworden waren, so lag dies an anderen Gründen. Die Flotte hatte sich mit der Eröffnung des uneingeschränken U-Bootskrieges den Bedürfnissen des letzteren unterordnen müssen. Welcher Kräfteaufwand hierdurch auch von den Überwasserstreitkräften gefordert wurde, ist aus den vorher geschilderten Einzelheiten des Minenkriegs ersichtlich.

Der Vorstoß war bereits seit längerer Zeit durch die Arbeiten an dem neuen 4 sm breiten Weg nach Norden vorbereitet worden. Hinter den Minensuchflottillen vollzog sich daher der Ausmarsch durch das Sperrgebiet ohne jeden Unfall. Leider mußte die Luftaufklärung wegen starker östlicher Winde ausfallen. Dagegen hatten alle in den letzten Tagen zum Handelskrieg auslaufenden U-Boote Befehl erhalten, 24 Stunden lang vor den Häfen der schottischen Ostküste auf Angriffsgelegenheiten zu warten. Am Morgen des 24. April befand sich die Flotte auf der Höhe von Stavanger. Dort war kurz vorher der Schlachtkreuzer "Moltke" mit schwerer Maschinenhavarie von der weit vor der Flotte stehenden I. Aufklärungsgruppe zurückgelassen worden, während diese mit der II. Aufklärungsgruppe und zwei Flottillen weiter nach Norden vorstieß. Aber selbst zwischen dem 59. und 60. Breitengrad wurden weder feindliche Streitkräfte noch Geleitzüge gesichtet. Als das Gros bei "Moltke" anlangte, war diese vollständig manövrierunfähig geworden. Wie sich später herausstellte, war das Zahnrad der Handdrehvorrichtung einer Turbine in voller Fahrt von der Welle abgeflogen und hatte mit der Sprengwirkung eines Geschosses den Hilfskondensator durchschlagen. Wasser war in die Mittel- und Backbord-Seitenmaschine eingedrungen und konnte wegen Ausfalls der Hälfte aller Lenzeinrichtungen erst zum Stehen gebracht werden, nachdem bereits 2000 t im Schiff waren. Um11 Uhr wurde "Moltke" von dem Linienschiff "Oldenburg" in Schlepp genommen. Den Schleppzug sichernd, trat das Gros unter Admiral Scheer, die feindlichen Häfen in der Flanke, den Rückmarsch an, während Vizeadmiral Hipper, bevor er der Flotte folgte, nochmals mit Kreuzern und Torpedobooten bis Ustire vorstieß, um einen gemeldeten Geleitzug von 30 Schiffen abzufangen, leider ohne Erfolg. Inzwischen hatten Taucher das Leck auf der "Moltke" gedichtet, so daß die Maschinen langsam in Gang gebracht werden konnten.

Während der Nacht ließ der zunehmende feindliche Funkverkehr die Möglichkeit eines Zusammentreffens mit feindlichen Streitkräften für den anderen Morgen [126] erhoffen, aber nichts geschah. Infolgedessen ließ sich die Flotte um 9 Uhr Vm. am 25. April von den Minensuchverbänden nördlich der äußersten Sperrlücken wieder aufnehmen und in neun Stunden durch den Minengürtel lotsen. Hierbei sank "M 67" unmittelbar neben den Geschwadern infolge einer doppelten Minenexplosion. Nach dem Passieren des Sperrgürtels warf "Moltke" die Schlepptrosse los, um mit eigener Maschinenkraft einzulaufen. Hierbei wurde sie infolge ihrer herabgesetzten Geschwindigkeit kurz vor Helgoland von einem englischen U-Bootstorpedo getroffen. Wieder lief eine Maschine voll Wasser, jedoch konnte das Schiff, von einer größeren Zahl von Torpedobooten gegen weitere Angriffe gedeckt, ohne neuen Zwischenfall eingebracht werden. Eine in nächster Nähe beobachtete Minendetonation ließ den Schluß zu, daß das angreifende U-Boot im Ablaufen auf eine Sperre geraten und gesunken sei.

Mit diesem Vorstoß hatte die deutsche Flotte wieder vergeblich den Kampf gesucht. Trotz der Ausdehnung desselben über die ganze Nordsee bis zur norwegischen Küste hatte sie selbst 400 sm entfernt von ihren Stützpunkten drei Tage lang kein einziges feindliches Schiff getroffen. Noch wußte keiner auf der Flotte, daß dieser letzten großen Unternehmung noch in demselben Jahre die kampflose Auslieferung an einen Feind folgen sollte, der vier Jahre lang der Entscheidung im Kampf (auch in der Skagerrakschlacht) ausgewichen war.

Der Mai und Juni brachte unter weiterem Auslegen englischer Minen- und deutscher Gegensperren mancherlei heftige Kämpfe von Luftschiffen mit englischen Flugbooten, U-Booten und Motorbooten im Randgebiet; aber nur einmal, und zwar am 1. Juli, sichteten die deutschen Kampfstaffeln nordwestlich von Terschelling ein feindliches Geschwader, außerdem englische Linienschiffe, Kreuzer der Arethusa-Klasse und Zerstörer, darüber in 200 m Höhe drei Fesselballons, im ganzen etwa 32 Einheiten. Die Kampfstaffel griff sofort mit Bomben an und zwang einen "Spad"-Eindecker nach dem dritten Anlauf auf 25 m mit Maschinengewehrfeuer zum Abdrehen. U-Boote und vier Zerstörer mit "Curtis"-Flugbooten im Schlepp wurden von der "7. Kampfstaffel" erfolgreich mit Bomben belegt. Dann kam der Feind aus Sicht. Vorzeitig entdeckt, hatte er anscheinend auch diesmal auf ein weiteres Vordringen gegen die deutschen Gewässer verzichtet.

Aber schon am 5. Juni hatte die Kampfstaffel 6 wieder ein erfolgreiches Gefecht mit 5 "Curtis"-Booten unmittelbar vor den Inseln Vlieland und Terschelling.

Auch die deutschen Minensucher in diesem Gebiet blieben von feindlichen Streitkräften unbehelligt.

Am 30. Juni meldete ein Flugzeug 5 feindliche Flieger dicht vor der Ems. Vor Vlieland stießen 6 deutsche Aufklärungsflugzeuge auf 5 "Curtis"-Flugboote, die ihnen anscheinend den Einblick in die Vorgänge an der Sperrgebietsgrenze verwehren sollten. Als die 8. Geleithalbflottille diese im Morgengrauen 100 sm westnordwestlich von Helgoland erreicht hatte, wurde sie von 2 feindlichen Schnell- [127] booten mit Maschinengewehrfeuer und Torpedos angegriffen, schoß eins derselben in Brand und schlug den Angriff ab.

Schwer waren die Verluste der Geleitflottillen im Juli. 7 Boote gingen auf neuen feindlichen Minensperren mit 10 Offizieren und fast 200 Mann verloren. Am 31. mußte ein Geleitzug 100 sm nördlich Terschelling in mühsamer Räumarbeit drei Minensperren hintereinander durchbrechen, um "U 95" an die Grenze des Sperrgebietes zu bringen. Auf dem Rückmarsch ging "M VI" nach einem Minentreffer unter.

Am 17. Juli wurde von einem Flugzeug ein Boot mit 2 Offizieren und 19 Mann von einem der durch Minentreffer vernichteten Torpedoboote aufgefunden, welches sich nach einer siebentägigen Fahrt voll unendlicher Leiden von der Unfallstelle bis nach Hornsriff vorgearbeitet hatte. Flugzeuge, Torpedoboote und Lazarettschiffe brachten die bereits Totgeglaubten in die Heimat zurück.

Die Tätigkeit der feindlichen Streitkräfte im Randgebiet wurde immer lebhafter. Am 19. Juli führte ein Angriff englischer Landflugzeuge auf die Luftschiffhallen und Baracken von Tondern zum ersten Male zum Erfolg. Von Bomben getroffen, brannten die Luftschiffe "L 54" und "L 60" in den Hallen ab. Nach dem Angriff landeten drei der englischen Flugzeuge, die ihr Mutterschiff nicht mehr erreichten, in Dänemark. Von den sofort zum Gegenangriff gestarteten Fliegern von List trafen nur noch einige auf den Feind. Sie sichteten vor Lyngwig ein Flugzeugmutterschiff, Panzerkreuzer und 8 Zerstörer. Die bis Hornsriff vorstoßende II. Aufklärungsgruppe und der I. Führer der Torpedoboote mit der VI. Flottille kamen nicht mehr zum Eingreifen. Am 27. standen nach einer Flugzeugmeldung 2 feindliche Kreuzer und 5 Zerstörer 60 sm nordwestlich von Terschelling; am 1. August meldeten Luftschiffe mehrere feindliche Verbände in der freien Rinne, darunter ein Geschwader von 9 Linienschiffen, 2 Schlachtkreuzer, 2 Kleine Kreuzer, einen Fesselballon und 22 Zerstörer, letztere zum Teil mit Flugzeugen im Schlepp, darüber in 500 bis 600 m Höhe 3 Fesselballons und 1 Luftschiff. "L 70" griff sofort einen der Schlachtkreuzer und 2 Zerstörer mit 100 kg Bomben an und verfolgte den Feind, bis dieser, mit höchster Fahrt ausweichend, unter einer niedrigen Wolkendecke aus Sicht kam. Inzwischen war die deutsche Flotte in verschärfte Bereitschaft gegangen, jedoch blieb der Feind verschwunden. Am 2. August sichtete "L 64" 40 sm nordwestlich Terschelling 6 feindliche Doppeldecker unmittelbar unter sich. Sie beschossen das Schiff mit Sprengmunition, wurden aber durch Bombenabwurf zum Abdrehen gezwungen. Nachdrängend stellte "L 64" 70 sm nordwestlich Terschelling eine feindliche Zerstörerflottille fest.

Trotz der Fliegergefahr an der Sperrgrenze führte Korvettenkapitän Strasser am 5. August fünf seiner besten Luftschiffe zum letzten Male gegen England. Der Angriff gelang; aber er selbst stürzte mit dem in Flammen [128] aufgehenden "L 70" vor Boston am Wash ab. Mit ihm verlor die Marine einen Mann von glänzenden Fachkenntnissen und Führereigenschaften, unermüdlich in der zielsicheren Verwendung der Waffe in Aufklärung und Angriff, und trotz aller Rückschläge und Verluste unverzagt immer wieder das äußerste wagend.

Der letzte Vorstoß der Engländer in die deutsche Bucht vor Borkum.
Der letzte Vorstoß der Engländer in die deutsche
Bucht vor Borkum. August 1918.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 576.
Zwei Tage später holte Admiral Scheer seine Flagge nieder, um die Seekriegsleitung zu übernehmen. Admiral v. Hipper wurde Flottenchef, und fast schien es, als ob ihm schon am 11. August vergönnt sein sollte, sie in den Kampf zu führen. Wieder meldeten Flieger mehrere feindliche Geschwader mit Zerstörern, Flugzeugen und Fesselballons von Terschelling her im Anmarsch. Gleichzeitig sichteten die Kampfstaffeln von Norderney und Borkum 6 feindliche Schnellboote nördlich von Ameland, stürzten sich auf diese, vernichteten fünf derselben und trieben das sechste brennend auf den Strand von Terschelling. In dem Gefecht geht auch ein deutsches Flugzeug mit der Besatzung verloren. Von der Ems aus stößt die 8. Halbflottille vor; "L 53" schließt ebenfalls an den Feind heran, wird aber von feindlichen Fliegern angegriffen und 70 sm nördlich Ameland aus großer Höhe brennend zum Absturz gebracht. Teile der Flotte nehmen die Minensuchverbände auf den Arbeitsgebieten auf, während sich die Kleinen Kreuzer, die 15., 17. und 18. Halbflottille unter dem I. Führer der Torpedoboote zum Vorstoß vereinigen. Alle übrigen deutschen Schiffe und Flottillen rüsten sich gefechtsbereit zum Auslaufen. Inzwischen hatten die Flugzeuge von Borkum und Norderney an den vor Vlieland kreuzenden feindlichen Geschwadern Fühlung. Bis 130 Uhr Nm. werden 6 Panzerkreuzer, 25 Linienschiffe und mehrere Zerstörerflottillen festgestellt. Mehrfach geraten die deutschen Kampfstaffeln in heftige Fliegerkämpfe und erzielen in verwegenem Angriff Treffer auf einem Panzerkreuzer und einem Zerstörer. Auf letzterem explodiert ein Kessel; schwer havariert wird er von anderen Booten mit Stahlleinen aufgefangen, während deutsche Torpedoboote eigene Flugzeuge bergen. Nach Beobachtungen der 18. Halbflottille werden zwei englische Schnellboote innerhalb der Hoheitsgrenze von holländischen Torpedobooten festgehalten und unter Land gebracht. 730 Uhr Nm. aber sind alle feindlichen Streitkräfte aus Sicht. Für die Nacht nehmen die deutschen Kleinen Kreuzer und Torpedoboote auf der Ems Aufstellung, am nächsten Morgen ist alles von neuem in verschärfter Bereitschaft. Aber vom Feind wird durch vorgeschickte Luftschiffe kein Schiff mehr gesichtet. Um bei der Wiederholung des englischen Vorstoßes den etwa beabsichtigten Einbruch in die Deutsche Bucht so verlustreich wie nur möglich zu machen, wurden in den nächsten Tagen von der II. Aufklärungsgruppe 1300 auf 30 Tage eingestellte Zeitminen zum Schutze der Ems und der nach Westen führenden Wege ausgelegt. Gleichzeitig ersetzte man die Luftschiffe in der Sicherung durch Flugzeuge, um weitere Verluste durch Fliegerangriffe zu vermeiden und sie um so wirksamer in der Fernaufklärung zu verwenden.


[129] Rückkehr der Torpedoboote und U-Boote aus Flandern.

Unaufschiebbare Reparaturen einer ganzen Anzahl von Großkampfschiffen standen im August und September einer offensiven Betätigung der Hochseestreitkräfte im Wege. Im Oktober wirkten die Ereignisse an der Westfront bereits auf die Vorgänge in der Nordsee zurück. Flandern mußte geräumt werden, und Aufgabe der Hochseestreitkräfte war es, die von dort auslaufenden Torpedobootsflottillen und U-Boote aufzunehmen. Das Einbringen der Torpedoboote gelang trotz der feindlichen Bewachungsstreitkräfte in der freien Fahrrinne und der englischen Minensperren ohne jeden Verlust. Als aber 5 U-Boote, gedeckt von Streitkräften der Flotte, in ähnlicher Weise aufgenommen wurden, lief während des Geleits "S 34" 80 sm nördlich Terschelling auf Minen und sank. 70 Mann kamen dabei um, die anderen Boote ankerten in der Sperre. Kaum war dies geschehen, als eines derselben, "S 33", von dem englischen U-Boot "L 10" torpediert wurde. Gleich darauf wurde das U-Boot an der Wasseroberfläche sichtbar und von "S 33", "S 52" und "V 79" durch Artilleriefeuer zum Sinken gebracht. Dann mußte auch "S 33", das trotz aller Mühe nicht mehr zu halten war, durch Torpedoschuß versenkt werden.

Als am nächsten Tage die drei letzten U-Boote aus Flandern auf demselben Wege aufgenommen werden sollten, versperrten neue englische Minen das Fahrwasser. Bei dem Versuch, sie zu räumen, sanken "T 122" und 2 Vorpostenboote der 8. Geleithalbflottille in der Sperre. Aufkommendes schlechtes Wetter verhinderten die Fortsetzung der Minenräumarbeiten, so daß die drei vor der Sperre wartenden U-Boote durch die Ostsee zurückkehren mußten. Bei Skagen wurden sie von der 2. Torpedobootshalbflottille aufgenommen.


Der letzte Flottenvorstoß und der Zusammenbruch.

Als am 13. Oktober die Wetterlage die Aufnahme der Arbeiten gestattete, kamen auch "M 42" und "M 22" auf Minen. Am 17. Oktober zwangen die Ereignisse auf dem Festlande bereits zu einer teilweisen Einschränkung der Bereitschaft der Seestreitkräfte mit Rücksicht auf den verfügbaren Ölbestand. Um aber die wankenden Front in Frankreich zu stützen, beschloß die Seekriegsleitung den Einsatz der Flotte. Je überraschender er für den Feind kam, um so günstiger mußten sich die Kampfbedingungen gestalten. Die Vorbereitungen wurden daher unter größter Geheimhaltung des tatsächlichen Zwecks getroffen. Die aus dem Handelskrieg zurückgezogenen U-Boote sollten vor den feindlichen Häfen und auf den Anmarschwegen der feindlichen Flotte Aufstellung nehmen, zahlreiche Minensperren, von der IV. Aufklärungsgruppe geworfen, sollten sie während des Anmarsches schädigen und die Flanke der vorstoßenden deutschen Flotte sichern. Diese selbst sollte gegen den Kanal vorgehen und durch die Kreuzer und Torpedoboote die Seeflanke des feindlichen Heeres und die englische Küste unter Feuer [130] nehmen. Griff die feindliche Flotte an, so hoffte man, sie durch die deutschen U-Boote und Minensperren bereits vor Beginn des eigentlichen Kampfes so geschädigt zu haben, daß die sich etwa bei Terschelling entwickelnde Schlacht unter günstigen Bedingungen geschlagen werden könnte.

Nach der ganzen Kriegslage schien auch der Feind mit einem Vorstoß der deutschen Flotte zu rechnen. Am 24. Oktober meldeten Flugzeuge bei Terschelling feindliche Panzerkreuzer, Kleine Kreuzer und Minensuch-Divisionen mit einer großen Zahl von Zerstörern, die Flugboote schleppten. Am 25. Oktober begann der Aufmarsch für den deutschen Vorstoß. 10 U-Boote liefen unter dem Geleit von Sperrbrechern aus, am 29. folgten 12 weitere. Die IV. Aufklärungsgruppe ging zur Übernahme von 1100 Minen nach Cuxhaven.

Als am Abend die Geschwader auslaufbereit auf Schillig-Reede sammelten, kam es auf Schiffen des III. Geschwaders zu Unruhen, deren ganze Bedeutung und Tragweite erst später erkannt wurde. Am 30. Oktober abends meuterten auch Mannschaften auf "Thüringen" und "Helgoland", Schiffen des I. Geschwaders. Der Vorstoß mußte aufgegeben werden. Am 31. wurde das III. Geschwader zu Übungen nach Kiel entlassen, die IV. Aufklärungsgruppe erhielt Befehl, die Minen abzugeben. Auf "Thüringen" und "Helgoland" rottete sich ein Teil der Besatzungen in der Vorbatterie zusammen und wurde von Seesoldaten gefangen von Bord gebracht. Als das IV. Geschwader am 1. November von Wilhelmshaven nach Schillig-Reede dampfte, rissen auf "Friedrich der Große" Heizer die Feuer aus den Kesseln, um das Auslaufen zu verhindern, jedoch übernahm dies Geschwader am 3. November ohne weitere Zwischenfälle den Vorpostendienst. Kreuzer, Torpedoboote, U-Boote und Minensucher blieben von den Unruhen noch unberührt. Am 3. November wurde das I. Geschwader nach Brunsbüttel verlegt. Als es am 5. November auf die Nachricht von den Unruhen in Kiel nach der Elbe auslaufen wollte, wurde dies von den Aufständischen von Land her verhindert. Gleichzeitig verließ in Wilhelmshaven ein großer Teil der Besatzung das Flottenflaggschiff "Baden". Kurz darauf versammelte der Flottenchef dort alle Offiziere und regierungstreuen Mannschaften, um die Kriegsflagge zu verteidigen, bis Hilfe von außen eintreffen würde. Als das Stationskommando und die Kommandantur Wilhelmshaven die Möglichkeit hierzu verneinten, vor allem aber die Vertrauensleute der Mannschaften versicherten, sie würden an der Kriegsflagge unbedingt festhalten, wurde der Widerstand aufgegeben und der Weg der Verhandlungen beschritten.

Vom Hauptquartier aus befahl die Seekriegsleitung, Schiffe mit roter Flagge als feindliche zu behandeln. Noch einmal erwachte der Entschluß zur Tat. Zu spät! Wie durch Flieger festgestellt wurde, wehte über Kiel und Cuxhaven bereits die rote Flagge. Der Flottenchef befahl daher, durch Einwirkung der Offiziere auf die Mannschaften zur Aufrechterhaltung der Ruhe beizutragen, solange die Bewegung vom Standpunkt der Regierungssozialisten nicht abweichen [131] würde. Kontreadmiral Michelsen, der Befehlshaber der U-Boote, verließ daraufhin mit den fahrbereiten U-Booten Wilhelmshaven und ging nach Helgoland in See. Gleichzeitig ging das IV. Geschwader zur Sicherung der Deutschen Bucht nach Borkum-Reede, wo der Führer der II. Aufklärungsgruppe, Kommodore Harder, mit den Kleinen Kreuzern "Königsberg" und "Cöln" den Vorpostendienst versah. Dagegen befanden sich die Stützpunkte Emden, Wilhelmshaven, Cuxhaven und Helgoland bereits seit dem 7. November vollständig in Händen des von der Regierung nicht anerkannten Arbeiter- und Soldatenrats. Allmählich wurden den Schiffen auf Außenreeden und Vorposten Proviant, Brennstoff und Nachrichten von Land aus abgeschnitten.

Inzwischen melden Flieger 2 feindliche Kleine Kreuzer und 5 Zerstörer nordwestlich der Ems. Auf "Königsberg" und "Cöln" wird der Befehl "Klar Schiff zum Gefecht" mit Begeisterung aufgenommen; 45 Minuten später laufen sie mit den Torpedobooten "B 98", "V 6", "G 9", "G 10" und einem U-Boot dem Feind entgegen, während von der Helgoländer Bucht aus der Befehlshaber der U-Boote und II. Führer der Torpedoboote, die Kommodore Michelsen und Quaet Faslem, mit "Graudenz" und der 4. Torpedobootshalbflottille in derselben Richtung vorgehen. Als bis 430 Uhr Nm. keine weiteren Meldungen vom Feind einlaufen, machen sie kehrt und besetzen mit U-Booten zusammen die Flußmündungen. 5 Luftschiffe halten sich unter Führung ihrer Offiziere ebenfalls zum Eingreifen bereit. Dagegen wurde auf einzelnen Schiffen in Wilhelmshaven an diesem Tage, trotz der Versicherung des Soldatenrats, die Kriegsflagge niedergeholt und die rote Fahne geheißt. Um 2 Uhr Nm. wurde sie auch vom Flottenflaggschiff gesetzt; gleichzeitig ließ der Chef seine Flagge niederholen und verließ das Schiff. Im Emden erklärten die U-Bootsoffiziere, daß sie ihre Boote unter roter Fahne nicht mehr betreten würden. Nachmittags ankerte das I. und IV.Geschwader auf Wilhelmshaven-Reede. Als 9 Linienschiffe ohne Befehl einschleusten, befahl der Arbeiter- und Soldatenrat das Einlaufen sämtlicher Streitkräfte. Die Abwehr eines feindlichen Angriffs war dadurch kaum mehr möglich; dennoch versuchte der Flottenchef, mit dem Führer der II. Aufklärungsgruppe auf "Königsberg" und dem Befehlshaber der U-Boote auf "Graudenz", die Sicherung der Deutschen Bucht aufrechtzuerhalten. Von Berlin traf die Nachricht ein, daß der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts die Geschäfte vorläufig weiterführen werde und das gleiche von allen Offizieren und Beamten im Interesse des Vaterlandes erwarte. Am 10. November setzten alle Schiffe in Wilhelmshaven die rote Fahne. Als der Soldatenrat von Helgoland um Auskunft bat, wie sich die Flotte bei einem feindlichen Angriff verhalten werde, erwiderte der Soldatenrat der Flotte, daß in diesem Falle die weiße Flagge gesetzt werden solle. So weit erniedrigten sich Angehörige einer Marine, deren todesmutige Besatzungen einst bei Coronel, Falklands und Skagerrak und in den unzähligen Großtaten der U-Boote, Hilfskreuzer, Minensucher, Luftschiffe und Flieger unvergängliche Lorbeeren errungen [132] hatten. In der Absicht, noch Schlimmeres zu verhüten, befahl der Flottenchef, daß trotzdem die Offiziere der Flotte, unbeschadet der weiteren politischen Entwicklung, zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes und des Restes an Schlagfertigkeit auf ihren Dienststellen zu verbleiben und den Dienst im Einvernehmen mit den Arbeiter- und Soldatenräten zu regeln hätten. Am 11. November, 12 Uhr Mittags, trat der um 6 Uhr Vm. unterzeichnete Waffenstillstand in Kraft. Erst am folgenden Tage liefen "Königsberg" und "Cöln" mit dem Rest der treugebliebenen Seestreitkräfte unter der Kriegsflagge in Wilhelmshaven ein. Mit U-Booten, Torpedobooten, Fliegern und Luftschiffen hatten sie ihre Treue dem Vaterland bewahrt bis zum bitteren Ende.


7 [1/117]Handelsschiffe, welche sich nicht scheuen, das Geleit von Kriegschiffen einer kriegführenden Macht anzunehmen, erhalten damit völkerrechtlich selbst den Charakter von Kriegschiffen und werden mit Fug und Recht als solche behandelt. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte