Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Seekrieg
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Kapitel 3: Der Ostseekrieg1
Korvettenkapitän Max Bastian
1. Der Ostseekrieg im Rahmen des
Gesamtseekrieges.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Ostseekrieg denjenigen maritimen
Kriegsschauplatz umfaßt, über den am wenigsten geschrieben und
gesprochen worden ist; er schien dem großen Geschehen des Weltkrieges
gegenüber bescheiden in den Hintergrund treten zu sollen.
Man mag zunächst den Grund hierfür in der geographischen
Abgeschlossenheit der Ostsee suchen; ein Blick auf das ebenfalls abgeschlossene
und dabei doch stark hervortretende Schwarze Meer zeigt jedoch, daß dieser
Grund nur zu einem kleinen Teil als Erklärung herangezogen werden
kann.
Den Schlüssel für die Gründe des allgemeinen
Zurücktretens des Ostseekriegsschauplatzes wird vielmehr ein Blick auf
diejenigen Teile und Gebiete des Seekrieges an die Hand geben, die im
Vordergrunde des öffentlichen Interesses gestanden haben.
An erster Stelle tritt dabei dem Volke der vielumstrittene U-Bootskrieg vor die
Seele; er schien, eine ganz neue Epoche des Seekrieges heraufführend, dazu
berufen zu sein, der alten Meerbeherrscherin Britannia den Dreizack aus der Hand
zu schlagen und dadurch der Geschichte eine entsprechende Wendung zu geben.
Der Luftkrieg mit seinen hochentwickelten lenkbaren Luftschiffen und
Groß- und Riesenflugzeugen mit ihren Abwurfwaffen drückte dem
Weltkrieg - gegenüber allen früheren
Kriegen - insofern einen ganz besonders eigenartigen Stempel auf, als er
erlaubte, den englischen Inselbewohner auf seiner heimischen Insel anzugreifen
und dem englischen Wirtschaftskörper nicht nur an seinen Gliedern,
sondern auch an seinem Haupte empfindliche Wunden zu schlagen. Der
Kolonial- und der Kreuzerkrieg zeigten der Welt den Heldenkampf deutscher
Marineteile zu Lande und zu Wasser gegen englische Übermacht
draußen in anderen Erdteilen, sei es auf den verlorenen Außenposten
der Kolonien, sei es auf den Kreuzern und Hilfskreuzern, die, abgeschlossen von
der Heimat und ihren Stützpunkten, nicht nur der englischen, sondern auch
ihren großen verbündeten Flotten zu trotzen verstanden. Und
schließlich mußten der Nordsee- und Mittelmeerkrieg, der Kanonendonner vom Skagerrak
und an den Dardanellen nicht nur das deutsche
Volk, sondern die ganze Welt mit gespanntester Aufmerksamkeit aufhorchen
lassen; lagen sich doch hier die Hauptfronten der deutschen oder [134] auf deutscher Seite
kämpfenden und englischen Seestreitkräfte an entscheidender Stelle
gegenüber.
All diesen erwähnten Teilen und Gebieten des Seekrieges ist die
ausgesprochen scharf gegen England - und dieses hatte das deutsche Volk
allmählich als seinen gefährlichsten Gegner anzusehen
gelernt - gerichtete Front gemeinsam.
Die Ostsee schien infolge ihrer schwierigen Zufahrten gegen englische Angriffe
verhältnismäßig gut geschützt; an dieser Auffassung
vermochte auch der Einbruch einzelner englischer U-Boote nichts zu
ändern. Die Ostsee galt also in der Öffentlichkeit als der einzige
maritime Kriegsschauplatz, wo der Hauptgegner England nicht vertreten war. Mit
dem Beteiligtsein Englands aber war das öffentliche Interesse an den
maritimen Ereignissen aufs engste verknüpft. Hinzu kam noch, daß
Deutschlands Gegner in der Ostsee, die russische Seemacht, nach dem
Russisch-Japanischen Kriege ihren Ruf verloren hatte und als vollwertiger Gegner
nicht betrachtet wurde.
Und doch, wenn auch die Bedeutung des eigentlichen Ostseekrieges im Rahmen
des Gesamtseekrieges und Gesamtkrieges überhaupt in der
Öffentlichkeit nicht zur Geltung gekommen ist, so ist er dennoch nicht
minder als die anderen Teile des Seekrieges ein integrierender Bestandteil des
gesamten Seekrieges gewesen. Auch seine erfolgreiche Führung stellte eine
Bedingung dar, von deren Erfüllung eine glückliche Beendigung des
gesamten Krieges abhängig bleiben mußte.
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