Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Seekrieg
[16]
Kapitel 2: Die Kampfhandlungen in der
Nordsee
Korvettenkapitän Otto Groos
1. Kampfhandlungen während der Defensive
der Hochseeflotte
(bis zum Frühjahr 1916).
Der Aufmarsch und die strategische Lage.
Mobilmachung, Aufmarsch und Einleitung der ersten Unternehmungen litten auf
dem Nordseekriegsschauplatz von vornherein unter den Hemmungen der Politik.
Erst als die Absperrung der Nordsee gegen den Atlantischen Ozean und die
Abschneidung Deutschlands vom Weltverkehr durch die englische Flotte bereits
begonnen hatte, trat am 31. Juli das Flottenflaggschiff mit dem III. und II.
Geschwader im Anschluß an die I. U-Bootsflottille den Marsch durch
den Kaiser-Wilhelm-Kanal nach der Nordsee an.
Auf den gleichzeitig ausgegebenen Befehl, "Maßnahmen für drohende
Kriegsgefahr", fiel den Verbänden der Hochseestreitkräfte die
Nordsee als Hauptkriegsschauplatz zu. Sie gliederten sich nach dem Stand vom
10. August 1914 folgendermaßen:
I. Verband der
Hochseestreitkräfte
Chef der Hochseestreitkräfte: Admiral v. Ingenohl.
Flottenflaggschiff: "Friedrich der Große" . |
a. Linienschiffe:
I. Geschwader (Vizeadmiral v. Lans): |
Großkampflinienschiffe:
"Ostfriesland" , "Thüringen",
"Helgoland", "Oldenburg",
"Posen" ,
"Rheinland", "Nassau", "Westfalen". |
II. Geschwader (Vizeadmiral Scheer): |
Linienschiffe: "Preußen" , "Schlesien", "Hessen", "Lothringen", "Hannover"
, "Schleswig-Holstein", "Pommern",
"Deutschland". |
III. Geschwader (Kontreadmiral Funke): |
Großkampflinienschiffe: "Prinzregent
Luitpold" , "Kaiserin", "Kaiser", "König Albert",
"König" ,
"Großer Kurfürst".
(Die beiden letzten Schiffe am 2. August dem Geschwader
eingegliedert, jedoch noch nicht kriegsbereit.) |
IV. Geschwader (Vizeadmiral Schmidt):
(Schiffe noch in Ausbildung begriffen.) |
Linienschiffe: "Wittelsbach" , "Wettin", "Mecklenburg", "Schwaben",
"Braunschweig" , "Elsaß",
"Zähringen".
[17] |
V. Geschwader (Vizeadmiral
Grapow):
(Schiffe noch in Ausrüstung.) |
Ältere Linienschiffe: "Kaiser
Wilhelm II." , "Kaiser Wilhelm der
Große", "Kaiser Barbarossa",
"Kaiser Friedrich III." , "Kaiser Karl der Große", "Wörth",
"Brandenburg". |
VI. Geschwader (Kontreadmiral Eckermann):
(Schiffe am 12. August in Dienst gestellt.) |
Küstenpanzerschiffe: "Hildebrand" , "Heimdall", "Hagen", "Frithjof", "Aegir", "Odin",
"Beowulf", "Siegfried". |
b. Kreuzer:
I. Aufklärungsgruppe (I. Befehlshaber der
Aufklärungsschiffe Kontreadmiral Hipper): |
|
Schlachtkreuzer: "Seydlitz" , "Moltke", "Blücher" (vom
8. August ab), "Von der Tann" (3. Admiral des I. B. d. A.
Kontreadmiral Tapken), "Derfflinger" (erst Anfang
September). |
II. Aufklärungsgruppe (2. Admiral des
I. B. d. A. und I. Führer der Torpedoboote.
Kontreadmiral Maaß): |
|
Kleine geschützte Kreuzer: "Cöln"
, "Mainz", "Stralsund", "Kolberg",
"Rostock" (II. Führer der
Torpedoboote: Kapitän zur See Hartog), "Straßburg", "Graudenz"
(10. August in Dienst). |
III. Aufklärungsgruppe: |
|
Kleine geschützte Kreuzer: "München",
"Danzig", "Stuttgart", "Frauenlob", "Hela". |
IV. Aufklärungsgruppe (II. Befehlshaber der
Aufklärungsschiffe Kontreadmiral v.
Rebeur-Paschwitz): |
|
Panzerkreuzer: "Roon" , "York", "Prinz Adalbert", "Prinz Heinrich". (Schiffe noch in Ausrüstung und Ausbildung begriffen. Wurde
später III. Aufklärungsgruppe.) |
V. Aufklärungsgruppe (2. Admiral des II. B. d. A. (Führer
der Reserve- und Neuformationen Kontreadmiral Jasper): |
|
Große Kreuzer: "Hansa" , "Vineta", "Viktoria Luise", "Hertha". (Am 12. August formiert.) |
c. Torpedoboote: |
|
I. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän Wallis):
11 Boote |
II. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän Schuur):
11 Boote |
|
III. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän Hollmann):
11 Boote |
IV. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän Herzbruch):
11 (bzw. 12) Boote |
|
V. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän v. d. Knesebeck):
11 Boote |
VI. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän Max Schultz):
11 Boote |
|
VII. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän v. Koch):
11 Boote |
VIII. Torpedobootsflottille
(Korvettenkapitän Adolf Pfeiffer):
11 Boote |
[18] |
d. U-Boote:
I. U-Bootsflottille (Korvettenkapitän Hermann Bauer): |
Kleiner geschützter Kreuzer "Hamburg" , 1. Halbflottille Führerboot "D 5":
"U 5", "U 7", "U 8", "U 9",
"U 10". - 2. Halbflottille; Führerboot "S 99":
"U 13", "U 14", "U 16", "U 17", "U 18". |
II. U-Bootsflottille (Korvettenkapitän Otto Feldmann): |
Kleiner geschützter Kreuzer "Stettin" , 3. Halbflottille; Führerboot "S 100":
"U 19", "U 20", "U 21", "U 22",
"U 24". - 4. Halbflottille "S 101": "U 23",
"U 25", "U 27", "U 28". (Diese 4 Boote
noch in Ausrüstung bzw. militärischer Ausbildung.)
Reserveboote in Ausrüstung: in Danzig , "U 6", "U 11" und
"U 12", in Kiel "U 26",
norwegische U-Boote "A 5" und "U 29". |
e. Fahrzeuge für den Minendienst: |
Minenschiffe "Nautilus", "Albatroß", "Pelikan",
Hilfsstreuminendampfer: "Königin Luise", "Kaiser", "Preußen",
"Silvana", "Apollo". |
f. Fahrzeuge für den Minensuchdienst: |
|
I. Minensuchdivision
(Korvettenkapitän Bobsien):
15 Boote |
II. Minensuchdivision
(Kapitänleutnant Schömann):
15 Boote |
|
III. Minensuchdivision
(Kapitänleutnant Wolfram):
13 Boote |
g. Beobachtungsdampfer für die Flotte: |
40 Fischdampfer in Ausrüstung, erhalten 12 Seemeilen
Heringsloggernetze für U-Bootsabwehr. |
h. Schiffe für den Hilfsdienst:
(Chef des Trosses: Kapitän zur See von Ammon): |
"Württemberg", "König Wilhelm", 4
Lazarettschiffe, 5 Lazarettschiffe, 2 Flugzeugmutterschiffe (in Vorbereitung), 9
Sperrbrecher, 3 Werkstattschiffe (davon 1 für größere Schiffe,
2 für Torpedoboote), 4 Pumpendampfer. |
i. Zufuhrschiffe: |
34 Kohlenschiffe, 7 Munitionsschiffe, 2
Wasser- und Heizölschiffe, 2 U-Bootsvorratsschiffe mit je 500 t
Petroleum bzw. Motoröl, 5 Heizöldepotdampfer, 5
Depotdampfer. |
II. Hafenflottillen. |
Ems (Chef: Korvettenkapitän v. Hippel [Wilhelm]): |
Kleiner geschützter Kreuzer "Arcona" (zugleich Minenschiff), 3 Torpedoboote (ältere),
14 Vorpostenboote, Hilfsminensuchdivision der Ems. |
Jade/Weser (Chef: Kapitän zur See Seebohm): |
Kleiner geschützter Kreuzer "Ariadne" , "Berlin", "Niobe", Kleiner Kreuzer "Zieten", "Blitz",
"Hay", "Drache", 7 Torpedoboote (ältere), Hilfsminensuchdivision
Wilhelmshaven und Jade.
[19] |
Elbe (Chef:
Fregattenkapitän Evers): |
Kleiner geschützter Kreuzer "Nymphe" , "Medusa", Kleiner Kreuzer "Pfeil", "Fuchs". 6
Torpedoboote (ältere), Hilfsminensuchdivision Kuxhaven. |
Helgoland: |
5 Torpedoboote (ältere), "Helga". |
Eider: |
"Hyäne". |
III. Schiffe für besondere
Aufgaben. |
Hilfskreuzer "Viktoria Luise" (rüstet ab), "Berlin" (zur
Verfügung der Hochseeflotte), "Kaiser Wilhelm der Große"
(ausgelaufen). |
IV. Luftfahrzeuge. |
Luftschiff "L 3", Wasserflugzeuge: 6, später 9, in
Helgoland; Landflugzeuge: 8 in Wilhelmshaven, jedoch erst vom 10. bis 15.
August ab, 4 in Geestemünde, 4 in Kuxhaven. |
Erklärung: |
Großkampfschiffe
Sperrdruck. = Flaggschiff des
Führers eines Schlachtgeschwaders, = Flaggschiff des 2. Admirals eines
Schlachtgeschwaders, = Flaggschiff
des I. Befehlshabers der Aufklärungsschiffe, = Flaggschiff des Führers einer
Aufklärungsgruppe bzw. des Führers eines Kreuzerverbandes oder
einer Flottille. |
Mit dem Inkrafttreten der Kriegsgliederung war jedoch die Kriegsbereitschaft der
in dieser [Tabelle] aufgeführten Streitkräfte noch keineswegs
hergestellt, vielmehr konnten die vielen Schiffe der Reserveformationen erst nach
Ausspruch der Mobilmachung in Dienst gestellt und mit Besatzungen
aufgefüllt werden, ein Stadium, das die britische Flotte durch die
"Probemobilmachung" bereits hinter sich hatte.
Während der an sich durchaus planmäßig verlaufenden
Mobilmachung brachte man über die wahrscheinliche Aufmarschstellung
der englischen Streitkräfte und ihre Kriegsgliederung nur wenig in
Erfahrung. Man vermutete zwar die schweren Verbände der I. Flotte
an der Ostküste Schottlands; auch war es ziemlich sicher, daß die
Linienschiffsgeschwader der III. Flotte in den Kanalhäfen gesammelt
werden würden; dagegen war es zweifelhaft, ob die
Linienschiffsgeschwader der II. Flotte bei der I. Flotte oder etwa
südlicher, vielleicht in der Themse, Aufstellung nehmen würden. Die
tatsächliche Kriegsgliederung der britischen Seestreitkräfte, wie sie
erst nach dem Kriege bekannt wurde, war folgende:
I.
Flotte
(auch als "Große Flotte" im engeren Sinne bezeichnet).
Oberstkommandierender: Admiral Sir John Jellicoe.
Flottenflaggschiff: "Iron Duke" .
Zugeteilt: Kleiner geschützter Kreuzer "Sappho", Zerstörer
"Oak". |
Schlachtflotte:
I. Schlachtgeschwader: |
"Marlborough" , "St. Vincent" , "Colossus", "Hercules",
"Neptune", "Vanguard", "Collingwood", "Superb". Zugeteilt: Kleiner
geschützter Kreuzer "Bellona", Werkstattschiff "Cyclops".
[20] |
II. Schlachtgeschwader: |
"King George V." ,
"Orion" , "Ajax", "Audacious", "Centurion",
"Conqueror", "Monarch", "Thunderer". Zugeteilt: Kleiner geschützter
Kreuzer "Boadicea", Werkstattschiff "Assistance". |
IV. Schlachtgeschwader: |
"Dreadnought" ,
"Temeraire", "Bellerophon". Zugeteilt: Kleiner geschützter Kreuzer
"Blonde". |
III. Schlachtgeschwader: |
Linienschiffe: "King Edward VII." , Hibernia" ,
"Commonwealth", "Zealandia", "Dominion", "Africa", "Britannia", "Hindustan".
Zugeteilt: Kleiner geschützter Kreuzer "Blanche". |
I. Schlachtkreuzergeschwader (Viceadmiral Sir David Beatty): |
Schlachtkreuzer: "Lion" ,
"Princess Royal", "Queen Mary", "New Zealand". |
II. Kreuzergeschwader: |
Panzerkreuzer: "Shannon" , "Achilles", "Cochrane", "Natal". |
III. Kreuzergeschwader: |
Panzerkreuzer: "Antrim" , "Argyll", "Devonshire", "Roxburgh". |
I. Leichtes Kreuzergeschwader (Kommodore W. E. Goodenough): |
Geschützte Kreuzer: "Southampton" , "Birmingham", "Lowestost", "Nottingham". |
Zerstörerflottillen:
II. Flottille: |
Kleiner geschützter Kreuzer "Active" und 20 Zerstörer. |
IV. Flottille: |
Führerschiff "Swift"
und 20 Zerstörer. |
Minensuch-Kanoneboote: |
"Skipjack" , "Circe",
"Gossamer", "Leda", "Speedwell", "Jason", "Seagull". |
Shetland Patrol Force: |
"Forward" (Scout) und 4
Zerstörer der River-Klasse. |
Harwich-Streitkräfte:
I. Flottille: |
Kleiner geschützter Kreuzer "Fearless" und 20 Zerstörer. |
III. Flottille: |
Kleiner geschützter Kreuzer "Amphion" und 15 Zerstörer.
Bemerkung: Die U-Boote, außer denen der
B- und C-Klasse, welche zum Schutze der englischen Küste und
Häfen verwendet wurden, unterstanden der Admiralität unmittelbar.
Die Boote der C-Klasse waren für größere Unternehmungen
untauglich, so daß zur Verwendung gegen die deutsche Küste
zunächst nur 8 U-Boote der D- und 9 der E-Klasse verfügbar
waren.
[21] |
II.
Flotte
Viceadmiral Sir Cecil Burney.
Flottenflaggschiff: "Lord Nelson" .
V. Schlachtgeschwader: |
Linienschiffe: "Prince of Wales" , "Agamemnon", "Bulwark", "Formidable", "Implacable",
"Irresistible", "London", "Queen", "Venerable". |
VI. Schlachtgeschwader: |
Linienschiffe: "Russell" , "Cornwallis", "Albemarle", "Duncan", "Exmouth",
"Vengeance". |
V. Kreuzergeschwader: |
Kleine geschützte Kreuzer: "Carnarvon" , "Falmouth", "Liverpool". |
VI. Kreuzergeschwader: |
Panzerkreuzer: "Drake" , "Good Hope", "King Alfred", "Leviathan". |
Minenlegergeschwader: |
"Naiad" , "Andromache",
"Apollo", "Intrepid", "Iphigenia", "Latona", "Thetis". |
III. Flotte:1 |
|
VII. Schlachtgeschwader: |
VIII. Schlachtgeschwader: |
|
(Aus den ältesten Schlachtschiffen
bestehend.) |
|
VII. Kreuzergeschwader: |
IX. Kreuzergeschwader: |
|
(Aus den ältesten Kreuzern
bestehend.) |
X. Kreuzergeschwader: |
Große geschützte Kreuzer: "Crescent" , "Edgar", "Endymion", "Gibraltar", "Grafton", "Hawke",
"Royal Arthur", "Theseus".
(Kurz nach Ausbruch des Krieges zur "Großen Flotte" getreten und im
Blockadedienst verwendet.) |
|
XI. Kreuzergeschwader: |
XII. Kreuzergeschwader: |
|
(Aus den ältesten Kreuzern
bestehend.) |
Erklärung: |
=
Flottenflaggschiff, = Flaggschiff des
Führers eines Schlachtgeschwaders, = Flaggschiff des Unterführers eines
Schlachtgeschwaders, = Flaggschiff
des Führers eines Kreuzergeschwaders, = Führerschiff kleinerer
Verbände. Großkampfschiffe Sperrdruck. |
Während die erste oder "Große Flotte" von Norden her operieren und
sich auf Scapa Flow als Hauptbasis stützen sollte, fiel der II. und
III. Flotte der Schutz des Kanals und der Truppentransporte zu.. Dagegen
arbeiteten die in Harwich stationierten Zerstörerflottillen wechselnd mit den
nördlichen und südlichen Seestreitkräften zusammen.
Für die Entwicklung des Stärkeverhältnisses war von
deutscher Seite die Begründung zum Flottengesetz 1900 bis zum
Kriegsausbruch maßgebend geblieben. Diese lautete:
[22] "Deutschland
muß eine so starke Schlachtflotte besitzen, daß der Krieg auch
für den seetüchtigsten Gegner mit derartigen Gefahren verbunden ist,
daß seine eigene Machtstellung in Frage gestellt
wird."
Das nie verlassene Ziel der deutschen Flottengesetzgebung war also ein
kriegsvorbeugendes und rein defensives; dies wird bei einem Vergleich der
tatsächlich bei Kriegsausbruch vorhandenen Machtmittel im Auge behalten
werden müssen. Beschränkt man den Stärkevergleich auf die
englischen und deutschen im August 1914 für den Flottenkampf in der
Nordsee verfügbaren Streitkräfte, so erhält man folgendes
Bild:
August
1914 |
|
Großkampfschiffe |
|
Ältere
Linien-
schiffe |
|
Ältere
Große
Kreuzer |
|
Kleine
Kreuzer |
|
Zerstörer |
|
U-Boote |
Linien-
schiffe |
|
Schlacht-
kreuzer |
neuere |
|
ältere |
voll-
offensiv |
|
bedingt
offensiv
u. Küsten-
schutz |
|
Englisch |
20 |
4 |
36 |
20 |
35 |
78 |
77 |
7 |
51 |
Deutsch |
13 |
3 |
22 |
5 |
14 |
42 |
46 |
10 |
18 |
Berücksichtigt man, daß fünf weitere englische
Schlachtkreuzer aus dem Mittelmeer und Australien jederzeit auf dem
Nordseekriegsschauplatz erscheinen konnten, so ergab sich allein an
Großkampfschiffen eine doppelte Übermacht des britischen Gegners.
Der Zuwachs an Neubauten änderte dies Verhältnis nur weiter
zuungunsten Deutschlands. Diese Feststellung erhielt für die Frage des
Einsetzens der Flotte um so größere Bedeutung, als
Seestreitkräfte und insbesondere Großkampfschiffe mit ihrer
verwickelten Technik und ihren eingespielten Besatzungen sich im Laufe des
Krieges als unersetzlich erwiesen; kein einziger Ersatzbau ist in Deutschland trotz
der langen Kriegsdauer fertig geworden. Dieser Umstand erklärt einen Teil
der bei Freund und Feind immer wieder in gleicher Weise auftretenden schweren
Bedenken gegen den allzu schnellen Einsatz dieser Kampfmittel.
An Kreuzern verfügte England fast über die dreifache, an
Torpedobooten über die doppelte Zahl von Streitkräften. Nur an voll
offensiv verwendungsfähigen U-Booten besaß Deutschland ein
allerdings geringes zahlenmäßiges Übergewicht.
Dem durchweg etwas stärkeren Geschützkaliber der schweren
Artillerie auf englischer Seite stand die stärkere Sprengwirkung und
größere Durchschlagskraft der deutschen Granaten gegenüber.
Eine weitere Stärkung der deutschen Schiffe lag, insbesondere für
das Nachtgefecht, in ihrer zahlreichen und guten Mittelartillerie, über
welche die englischen Großkampfschiffe erst von der
"Iron-Duke"-Klasse ab verfügten. Vor allem aber waren letztere an
Ausdehnung und Stärke des Panzers wie des Unterwasserschutzes und
damit der Festigkeit und Schwimm- [23] fähigkeit den
deutschen gleichalterigen Schiffen unterlegen; auch die zahlenmäßige
Überlegenheit der Torpedoarmierung sowie die starke Sprengwirkung der
Torpedos war als Vorteil auf deutscher Seite in Rechnung zu stellen. Ganz
unsicher war dagegen die Beurteilung der Geschwindigkeit der britischen
Großkampfschiffe, insbesondere der Schlachtkreuzer, im Vergleich zu der
entsprechenden der deutschen Schiffsklassen.
Indes nicht Schiffe kämpfen letzten Endes, sondern Menschen. Die
Beurteilung der von Führung und Personal zu erwartenden Leistungen
mußte daher in den strategischen Berechnungen eine besondere Rolle
spielen. Aber auch in diesem Punkte verbot die Tradition der englischen Marine,
das gute seemännische Können und die durch die lange Dienstzeit
erleichterte gründliche Ausbildung des Personals jede
Unterschätzung des Feindes. Wie aber waren die geographischen
Verhältnisse zu beurteilen?
Die Ziele der Seekriegführung sind andere als die des Landkriegs.
Während der Landkrieg durch Vernichtung der feindlichen Heere und
Besetzung des feindlichen Gebiets den Gegner dem eigenen Willen zu
unterwerfen sucht, kann der Seekrieg sein Ziel nicht so unmittelbar erreichen.
Seine Wirkung besteht vornehmlich in dem politischen und wirtschaftlichen
Druck, den er durch Behauptung oder Erringung der Seeherrschaft über die
Seehandelsstraßen auszuüben vermag. Die beispiellos günstige
Lage Englands und seiner Stützpunkte zu den Welthandelsstraßen
ermöglichte aber der britischen Seekriegsleitung, diesen Druck sofort und
unmittelbar einsetzen zu lassen. Hierzu genügten die Abschneidung der
deutschen Seeverbindungen nach dem Atlantischen Ozean in der
nördlichen Nordsee zwischen Schottland und Norwegen, eine
Maßnahme, die sich dort infolge der großen Entfernung von den
deutschen Stützpunkten fast ohne Gefährdung der
Blockadestreitkräfte und ohne Einsatz der "Großen Flotte"
durchführen ließ. Die noch leichtere Bewachung des östlichen
Kanalausgangs zwischen Dover und Calais vervollständigte die
Absperrung. Demgegenüber besaß die deutsche Flotte keinerlei
Stützpunkte an den Welthandelsstraßen; auch hatte Deutschland
keine Bundesgenossen, die über solche verfügten, noch stand die
Eroberung solcher - man denke an Brest oder die Küste
Norwegens - etwa in Aussicht. Abgesehen von dem in der ersten Kriegszeit
aus politischen Gründen nicht ausgenutzten Wege von Kiel um Skagen war
die Helgoländer Bucht die einzige Operationsbasis. Sie lag nach
Abschneidung der deutschen Überseeverbindungen aber zu allen
bedeutenden Welthandelsstraßen ganz ausgesprochen im toten Winkel.
Zwischen den deutschen Seestreitkräften und dem britischen Handel stand
die "Große Flotte", nur über diese hinweg führte der Weg mit
entscheidender Wirkung an die Welthandelsstraßen heran. Für
England galt es Behauptung, für Deutschland Bestreitung der
Seeherrschaft; das Bestreben zum Schlagen mußte auf deutscher Seite
größer sein. Während aber die britische Flotte als
Ausgangsbasis ihrer Bewegungen über die ganze Küste von den
Shetland-Inseln bis zur Themse mit einer Reihe [24] ausgezeichneter
Häfen verfügte, stand der deutschen Flotte nur die Helgoländer
Bucht zu Gebote. Jeder deutsche Vorstoß wurde daher von britischen
Stellungen flankiert, jeder britische war infolge des Mangels an deutschen
Flankenstellungen vor Überraschungen sicher. Angesichts dieser
strategischen Lage schien der Ausgang eines sofortigen Entscheidungskampfes
zum mindesten fraglich; sicher aber war, daß eine entscheidende
Niederlage, abgesehen von der Bedeutung eines solchen Ereignisses für die
Haltung der Neutralen, Deutschland auch die Seeherrschaft in der Ostsee kosten
mußte. Wenn also die Erwartung nicht täuschte, daß mit
Sicherheit günstigere Vorbedingungen für den Entscheidungskampf
wenigstens in Hinsicht auf das Stärkeverhältnis geschaffen werden
konnten, aber auch nur dann war es richtig, diesen aufzuschieben, bis solche
erreicht waren. In einem Kräfteausgleich als Folge des Ergebnisses von
Vorstößen gegen die angenommenen britischen
Blockadestreitkräfte der Deutschen Bucht sowie in einer bis an die britische
Küste vorgetragenen rücksichtslosen
Minen- und U-Bootsoffensive glaubte man Möglichkeiten hierzu finden zu
können. Erst wenn die so stark überlegene britische Flotte hierdurch
größere Verluste erlitten hätte und die deutsche Flotte
verstärkt worden wäre, sollte versucht werden, sie unter
günstigen Umständen zur Schlacht einzusetzen. Trotz dieser
zunächst defensiven Einstellung des Operationsplans wurde jedoch kein
Zweifel gelassen, daß, im Falle sich schon vorher eine günstige
Gelegenheit zum Schlagen biete, diese ausgenutzt werden müsse.
Die Sicherung der Deutschen Bucht.
Zunächst unterblieb die Einleitung militärischer Operationen gegen
England auf ausdrücklichen Wunsch der politischen Leitung. Selbst als am
3. August, 6 Uhr Nm., der Kriegszustand mit Frankreich eintrat und
die Kriegserklärung Englands als unmittelbar bevorstehend galt, durften
Schiffsbewegungen nach Westen noch nicht eingeleitet werden. Nach wie vor
begab sich die Seekriegsleitung erheblicher militärischer Vorteile
zugunsten einer immer noch auf Verständigung hoffenden Politik. Unter
dieser Lähmung der eigenen Initiative erhoffte man in der Flotte um so
mehr einen feindlichen Angriff, und diese Erwartung beherrschte den Geist der
Besatzungen. Jedem, der es erlebt hat, wird es unvergeßlich
bleiben - das Bild der zum ersten Male unter "Klar Schiff zum Gefecht"
auslaufenden Schlachtkreuzer und Schiffe des I. Geschwaders, die Decks
frei von allem, was sonst die Bestreichungswinkel der Geschütze
behinderte, die Offiziere auf der Kommandobrücke, die Mannschaften an
Deck, während der brausende Gesang vaterländischer Lieder und der
Hurraruf der Besatzungen sich mit dem der Bevölkerung an Land mischte
und den Hafen erfüllte. Hell loderten damals die Flammen todesmutiger
Begeisterung; noch wußte niemand auf der Flotte, wie schwer es sein
würde, im Laufe langer und ereignisarmer Kriegsjahre den Funken immer
wieder zu neuer Glut zu entfachen.
[25] Um gegen den
erwarteten Angriff gewappnet zu sein, wurde dem Befehlshaber der
Aufklärungsstreitkräfte, Kontreadmiral Hipper, vom 1. August ab die
Sicherung der Deutschen Bucht übertragen. Hierzu wurden ihm alle
Kreuzer, Torpedobootsflottillen, U-Flottillen, Minensuch-Divisionen, Flieger und
Luftschiffe unterstellt, die alsbald in dreifacher Linie im Kreisbogen von etwa
120 km Ausdehnung zwischen den Inseln Langeoog und Amrum mit
entsprechender Ablösung als Vorposten kreuzten.
Deutsche Minen-, U-Boots- und Kreuzeroffensive.
Als am 4. August, 730 Uhr Nm., der
Kriegszustand mit England bekanntgegeben und hiermit der unklaren
militärischen Lage ein Ende gemacht wurde, ging ein allgemeines
Aufatmen durch die Flotte. Wenn ihr auch ein schlagartiges Vorgehen von
Streitkräften in großzügigem Umfange infolge des defensiven
Operationsbefehls vorläufig versagt blieb, so konnten doch nunmehr
Unternehmungen des Kleinkriegs beginnen. Um 730 Uhr Nm. verließen
daher gleichzeitig der Hilfskreuzer "Wilhelm der Große" und der auf der
Ems unter Dampf liegende Hilfsstreuminendampfer "Königin Luise" von
der Hamburg-Amerika-Linie die Häfen. Letzterer hatte folgenden Befehl
erhalten:
"Sofort mit höchster Fahrt
auslaufen in Richtung auf Themse. Minen möglichst nahe an englische
Küste bringen. Minen nicht in der Nähe neutraler Küste
werfen und nicht nördlicher als 53 Grad
Nordbreite."
Ihm fiel damit die ehrenvolle Aufgabe der Eröffnung der Feindseligkeiten
gegen England zu. Ob es ihm gelingen werde, die fest angenommene enge
Blockade der Deutschen Bucht durch leichte englische Streitkräfte zu
durchbrechen, war allerdings ungewiß. Wider Erwarten wurden aber weder
in der hellen Vollmondnacht noch am anderen Morgen feindliche
Streitkräfte angetroffen. Erst als das Schiff in voller Fahrt unter dem Schutz
einer Regenbö die Nordeinfahrt der Themse zu gewinnen suchte, tauchten
aus dieser plötzlich der Kleine Kreuzer "Amphion" und 16 Boote der
"L"-Klasse ("Lance", "Landrail" usw.) auf, die sofort mit höchster
Geschwindigkeit das Schiff jagten und östlich und westlich
umfaßten. Nach späteren Äußerungen der englischen
Offiziere war die "Königin Luise" erwartet worden, man hatte von der
Unternehmung gewußt. Schnell wurden die Minen geworfen; der Versuch
aber, die Verfolger über die Sperre zu ziehen, blieb ohne Erfolg. Bei seiner
21 sm betragenden Geschwindigkeit war das Schiff bald eingeholt. Es
konnte sich nur noch darum handeln, der "Königin Luise" einen ehrenvollen
Untergang zu sichern und dem Feinde die Sperre geheimzuhalten. Nach
einstündigem Gefecht, in dem das Schiff sich mit seinen
2 - 3,7-cm-Revolverkanonen und Handwaffen heldenhaft gegen die
10,2-cm-Geschütze der Zerstörer wehrte, war es kampfunfähig
gemacht. Das Ruder ließ sich nicht mehr legen, die Munition war verfeuert,
das Schiff brannte an verschiedenen Stellen und lag mit
Backbord-Schlagseite klar zum Kentern. Die [26] Verluste waren
außerordentlich groß. Um weitere zu vermeiden und das Schiff
keinesfalls dem Feinde in die Hände fallen zu lassen, gab der Kommandant,
Korvettenkapitän Biermann, den Befehl zum Versenken. Nachdem der
Feind auch seinerseits das Feuer auf das wehrlose Schiff eingestellt hatte, wurde
es von der Mannschaft verlassen und ging gleich darauf unter den Hurras der
schwimmenden Gruppen mit im Vortopp wehender Flagge unter.
Der überlebende Teil der Besatzung wurde von den Zerstörern gut
aufgenommen und ritterlich behandelt. Nach dem Gefecht machte die englische
Flottille mit den Gefangenen an Bord einen Vorstoß in Richtung der
Deutschen Bucht. Auf dem Rückweg nach Harwich aber wurde der
Kommandant der "Königin Luise" Zeuge, wie der Führerkreuzer
"Amphion" auf die deutsche Sperre lief und nach wenigen Sekunden mit einem
Verlust von etwa 150 Mann unterging, unter diesen leider auch 18 der Geretteten
der "Königin Luise". Keiner der braven deutschen Seeleute hatte dem Feind
Aussagen über die Sperre gemacht. Ihre genaue Lage blieb den
Engländern auch weiterhin unbekannt. Inzwischen vermutete die deutsche
Flottenleitung das englische Gros etwa auf der Mitte der Linie Firth of
Forth - Skagen als Rückhalt einer Vorpostenkette von leichten
Streitkräften und U-Booten in der Linie
Terschelling - Hornsriff. Mit Torpedobooten war ihm jedoch wegen
der zur Zeit noch kurzen und sehr hellen Vollmondnächte und der vom
Stützpunkt aus zurückzulegenden Entfernung kaum beizukommen,
dagegen schienen sich für U-Boote günstigere Aussichten zu bieten.
Am 1. August liefen, von den Kleinen Kreuzern "Hamburg" und "Stettin" bis
100 sm außerhalb Helgolands geleitet, 10 Boote der
I. U-Flottille aus, um in breiter Aufklärungslinie bis zur Höhe
der Orkney-Inseln vorzustoßen und, wenn möglich, die "Große
Flotte" durch Angriff zu schädigen. Aber obgleich die Boote mit einer
Ausnahme den Vorstoß planmäßig bis fast zum 60. Breitengrad
durchführten, eine damals noch überraschende Leistung, gelang es
ihnen nicht, feindliche Streitkräfte zu stellen.
Erst auf dem Rückmarsch kam es zu kurzen Zusammenstößen
mit dem Gegner. So sichtete "U 18" in der Frühe des 9. August etwa
in der Linie Stavanger - Moray Firth während
vorübergehender Regenschauer und Windstärke 6 bei hoher
Dünung und unsichtigem Wetter plötzlich auf 1 sm Abstand
ein Fahrzeug mit 3 oder 4 Schornsteinen, das als englischer Kreuzer angesprochen
wurde, aber nach beschleunigtem Tauchen durch das Sehrohr nicht mehr
auszumachen war. Anderthalb Stunden später sichtete auch "U 8"
für kurze Zeit ein feindliches Torpedoboot, das nach seinen Kursen zu
urteilen, vielleicht zu einer Bewachungslinie gehören konnte. Wegen des
unsichtigen Wetters war es jedoch keinem der Boote zum Bewußtsein
gekommen, daß sie sich zu diesem Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe
der "Großen Flotte" befunden hatte, ein Zusammentreffen, das
unglücklicherweise in die einzige Schlechtwetterperiode des Unternehmens
fiel und einem, wenn nicht zwei deutschen Booten zum Verderben [27] wurde. "U 13"
und "U 15" kehrten nicht mehr zurück. Wie sich später
herausstellte, war "U 15", Kommandant Kapitänleutnant Richard
Pohle, bereits um 5 Uhr Nm. am 9. August in dem unsichtigen
Wetter von einem Schiff der Marschsicherung der "Großen Flotte", dem
Kleinen Kreuzer "Birmingham", gerammt und vernichtet worden; über die
vielleicht ähnlichen Begleitumstände des Unterganges von
"U 13", Kommandant Kapitänleutnant Graf Arthur [28] v. Schweinitz,
schwebt weiterhin Dunkel.
[27]
Skizze 1: Die Unternehmungen der I.
U-Bootsflottille gegen das britische Gros
(6. bis 11. August 1914).
|
Die Feststellung deutscher
U-Boote in so großer Entfernung von ihren Stützpunkten konnte auch
auf den Gegner ihren Eindruck kaum verfehlen. Wie weit diese Wirkung
tatsächlich gegangen ist, war damals jedoch auch nicht annähernd zu
ermessen. Sie wird im Zusammenhang mit dem Problem der Schädigung
der englischen Truppentransporte geschildert werden, vor dessen Lösung
sich die Flottenleitung gestellt sah, noch ehe die Boote der
I. U-Flottille von ihrer Fahrt zurückgekehrt waren.
Auf den vollen Einsatz der Flotte für diesen Zweck hatte die Oberste
Heeresleitung auf Befragen ausdrücklich verzichtet. Sie schien die
Wirksamkeit des zwar vollwertigen, aber zahlenmäßig schwachen
Expeditionskorps nicht allzu hoch einzuschätzen. Ein Vorstoß gegen
den Kanal mußte die Flotte auch dem Angriff zahlreicher
U-Boote, Torpedoboote und Minenleger aussetzen, ohne daß sie bei der
Kürze des Weges von England nach dem Festland mit Sicherheit an die
feindliche Transportflotte selbst herangekommen wäre. Diese hätte
stets rechtzeitig sichere Häfen aussuchen können. Ohne
Unterstützung der Flotte war es aber bei den kurzen, hellen
Mondnächten auch für Torpedoboote und Minenleger kaum
möglich, in den Kanal einzudringen und an die feindlichen
Truppentransportdampfer heranzukommen; das konnten unter diesen
Umständen nur U-Boote.
Wie sich erst später herausstellte, hatten die Vorbereitungen für die
Überführung des Expeditionskorps bereits einige Tage vor der
Kriegserklärung begonnen. Die Einschiffung von 1
Kavallerie-Division und 4 Infanterie-Divisionen erfolgte bereits am 9. August. Bei
der lebenswichtigen Bedeutung, welche die schnelle Überführung
für den weiteren Verlauf des Landkrieges haben mußte, hatte sich die
britische Admiralität entschlossen, auch ohne zuvor einen vernichtenden
Schlag gegen die deutschen Seestreitkräfte geführt zu haben, die
Verantwortung für die Sicherheit der Transporte zu übernehmen. Um
aber die Haupttransportstraße nach Möglichkeit dem Zugriff
feindlicher Seestreitkräfte zu entziehen, wurde sie in die Mitte des
Englischen Kanals verlegt. Haupteinschiffungs- und Ausschiffungshäfen
waren Southampton und Le Havre. Der westliche und östliche
Kanalausgang wurde durch zahlreiche U-Boote, Torpedoboote und Kreuzer
abgesperrt, die durch 19 Linienschiffe der Kanalflotte und 5 französische
Panzerkreuzer einen starken Rückhalt erhielten. Zwischen North Foreland
und Ostende wurden sie durch Flugzeug- und Luftschiffpatrouillen gegen
Überraschungen gesichert, und vor diesen wieder bildete die I. und III.
Zerstörerflottille von Harwich aus eine leicht bewegliche und verschiebbare
Aufklärung im Gebiet der Hoofden. Gleichzeitig hielt sich die
"Große Flotte" zwischen Scapa Flow und der norwegischen Küste
bereit, auf die erste Nachricht vom Auslaufen der deutschen
Hochseestreitkräfte sofort nach Süden vorzustoßen.
Inzwischen hatten sich im deutschen Hauptquartier am 8. August die Nachrichten
verstärkt, daß die Überführung des englischen
Expeditionskorps nach Zeebrügge, Ostende, Dünkirchen und Calais
im Gange wäre. Es wurden daher [29] 4
U-Boote gegen die Bedeckungsstreitkräfte der Transporte entsandt. Ihr
Einsatz erfolgte jedoch wegen der zu erwartenden starken Gegenwirkung durch
Zerstörer und der navigatorischen Schwierigkeiten infolge der großen
Zahl von Untiefen und des starken und schwer berechenbaren Gezeitenstromes im
Gebiet des östlichen Kanalausgangs mit so großer Vorsicht,
daß ein Erfolg nicht erzielt wurde. Sie kehrten in der Linie
Harwich - Rotterdam um, ohne lohnende Angriffsobjekte gesichtet
zu haben.
Dagegen hatte der Vorstoß der I. U-Flottille nach Norden, wie erst nach
Kriegsende bekannt wurde, die Linienschiffsverbände und Schlachtkreuzer
der "Großen Flotte" veranlaßt, sich bereits am 10. August in das
Gebiet westlich der Orkney- und Shetland-Inseln zurückzuziehen, um erst
am 15. August die Bereitschaftsstellung in der Nordsee wieder einzunehmen,
obgleich die Überführung des Hauptteils des Expeditionskorps
bereits am 12. August begonnen hatte. Leider blieb diese strategische Wirkung
des ersten U-Bootsvorstoßes der deutschen Flottenleitung völlig
unbekannt. Die unerwartete Bewegungsfreiheit für die
Hochseestreitkräfte wurde nicht ausgenutzt, das System der Sicherung der
britischen Truppentransporte blieb ungefährdet. Die
Nachrichtenabdrosselung, welche den Engländern durch die insulare
Abgeschlossenheit ihres Landes wesentlich erleichtert wurde, hatte sich als
außerordentlich wirksam erwiesen. Selbst die spärlichen Nachrichten,
die man auf deutscher Seite erhielt, trafen stets so spät ein, daß sie bei
der Möglichkeit überaus schneller Verschiebungen der
Seestreitkräfte meist als überholt gelten mußten. Auch neue
Vorstöße von drei deutschen U-Booten bis in die Blockadelinie
zwischen Norwegen und Schottland sowie bis unmittelbar vor den Firth of Moray,
Firth of Forth und Humber gaben keine weiteren Aufschlüsse.
Aber auch auf englischer Seite führte der eigenartige Zustand völlig
fehlender Bindung der beiderseitigen Seestreitkräfte zu ernsten
Besorgnissen. In dieser Ungewißheit glaubte man mit einem
plötzlichen Gegenschlag rechnen zu müssen, wenn nicht gar mit der
Invasion. Zum Schutz der britischen Ostseeküste wurde daher die 6.
Infanterie-Division aus Irland nach Cambridge überführt. Das
Schwergewicht des Widerstandes lag aber weder bei diesen Truppen noch bei den
Streitkräften des Kanals, sondern bei der "Großen Flotte". Diese
wurde mit allen Streitkräften auf der Breite von Aberdeen
zusammengefaßt. Hierbei kreuzten sich ihre Kurse einmal mit denen des
deutschen U-Bootes "U 21", Kommandant Kapitänleutnant Hersing,
in einem Abstand von nur 40 sm. Das feindliche Gros festzustellen und
anzugreifen war jedoch wieder nicht gelungen. Während "U 21" die
"Große Flotte" nunmehr vor dem Moray Firth zu stellen versuchte,
stieß diese bis zum Breitenparallel von Hornsriff vor; gleichzeitig
vollendeten das VII. Kreuzergeschwader, bestehend aus den alten Panzerkreuzern
der "Cressy"-Klasse, und die beiden Harwich-Flottillen die enge Umklammerung
der Deutschen Bucht von Westen und Süden her. Unmittelbar vor der Jade
[30] und Weser standen je 2
englische U-Boote, um jedes Auslaufen deutscher Streitkräfte sofort zu
melden. In dieser Stellung blieben die britischen Streitkräfte jedoch nur
für wenige Stunden am Vormittag des 16. August, um sich dann vor der
deutschen U-Boots- und Torpedobootsgefahr beschleunigt in ihre
Anfangsstellungen zurückzuziehen. Inzwischen liefen die Transporte vom
15. bis 17. August nicht weniger als 137 mal hinüber und herüber.
Aber nichts rührte sich scheinbar bei der deutschen Flotte, so daß die
britischen Seestreitkräfte am 17. August teilweise in die Häfen
entlassen wurden. Kaum war dies jedoch geschehen, als am 18. August der erste
deutsche Vorstoß gegen die Kanalbewachung einsetzte. Während die
letzten bedeutenden Transporte, etwa 34 Schiffe mit einer
Gesamtwasserverdrängung von 130 000 t, etwas weniger als
der Durchschnitt der letzten drei Tage, abgelassen wurden, brachen bei
Hellwerden die Kleinen Kreuzer "Stralsund" und "Straßburg", begleitet von
2 U-Booten, in kühnem überraschendem Angriff 150 sm
entfernt vom nächstgelegenen deutschen Stützpunkt in die englische
Vorpostenlinie ein, die nördlich der Straße
Dover - Calais auf dem Breitengrad
Yarmouth - Amsterdam auslag. Nachdem sie 3 englische
U-Boote durch Artilleriefeuer zum Tauchen gezwungen hatten, jagten sie die auf
dem Breitengrad Yarmouth - Amsterdam stehenden Zerstörer
der I. Flottille mit dem Kleinen Kreuzer "Fearless" auseinander. Selbst von
mehreren Torpedos ohne Erfolg beschossen, beobachtete "Stralsund" auf
mehreren Zerstörern Artillerietreffer, konnte aber die Verfolgung bei der
hohen Geschwindigkeit des Gegners nicht fortsetzen, nachdem ein Versuch, sie
durch die weiter westlich stehende "Straßburg" abzuschneiden,
mißlungen war. Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit und
der herannahenden Unterstützung durch den Kleinen Kreuzer "Amethyst"
und die III. Zerstörerflottille, wich der Feind dem Kampf aus. Der
Engländer hat zur See grundsätzlich während des ganzen
Krieges die Vermeidung eigener Verluste rücksichtslosem Einsatz
vorgezogen.
[40a]
V 69 nach dem siegreichen Gefecht in den Hoofden im Hafen von
Ymuiden.
|
Das Erscheinen der deutschen Kleinen Kreuzer genügte bereits, um
sofortige Änderung des Bewachungssystems im östlichen
Kanalausgang eintreten zu lassen. Die Schlachtkreuzer "Invincible" und "New
Zealand" sowie 3 der modernsten Kleinen Kreuzer der neuen
"Arethusa"-Klasse wurden nach dem Humber verlegt, um im Wiederholungsfalle
die deutschen Angreifer von dort aus abzuschneiden. Als Ersatz für diese
Streitkräfte wurden der "Großen Flotte" die Schlachtkreuzer
"Inflexible" und "Indomitable" zugeteilt, welche hierzu aus dem Mittelmeer
zurückgezogen wurden.
Fast mehr noch als der deutsche Vorstoß in die Hoofden machten jedoch die
Vorgänge auf dem Festland und die dadurch bedingte Ausdehnung der
Transportaufgaben die Heranziehung schneller und wertvoller
Großkampfschiffe in die südliche Nordsee erforderlich. Infolge des
Zusammenbruchs der französischen Feldzugseröffnung war die Lage
der britischen Armee so stark gefährdet, daß sofort die 6., bisher auf
die Ostküste Englands verteilte Division als Verstärkung [31] auf das Festland
hinübergeworfen werden sollte. Vom 20. August ab trat daher der volle
Kanalschutz von neuem für fünf weitere Tage in Kraft. Dennoch
wurde die Lage für England immer kritischer. Nach dem Rückzug
von Mons am 23. August waren Ostende, Boulogne, Calais und damit das ganze
Verteidigungssystem des Kanals ernstlich bedroht. Es wurde bereits mit einer
Verlegung der Hauptoperationsbasis von Le Havre nach Cherbourg und
einer solchen der "Großen Flotte" nach Süden gerechnet für
den Fall, daß die Deutschen das Dover-Defilée durchbrechen und in
Calais und im angrenzenden französischen Gebiet festen Fuß fassen
sollten. Wäre das eingetreten und die "Große Flotte"
tatsächlich nach Süden verlegt worden, so wäre damit das von
der deutschen Seekriegsleitung heiß ersehnte Ziel erreicht und die britische
Flotte endlich dem Zugriff deutscher Seestreitkräfte ausgesetzt gewesen.
Auf deutscher Seite wurde diese gewaltige Rückwirkung der Entwicklung
des Landkriegs auf den Seekrieg nicht ausreichend erkannt und leider
versäumt, die Verwirrung beim Gegner infolge des unaufhaltsamen
Vordringens zu Lande durch entsprechende Vorstöße zur See noch zu
vermehren und die "Große Flotte" hierdurch in Reichweite der eigenen
Minen-, Torpedo- und U-Bootswaffe zu bringen. Ein Vorstoß des II
Führers der Torpedoboote mit den Kleinen Kreuzern "Rostock" und "Straßburg" sowie der VI. Torpedobootsflottille mit 3
U-Booten nach der Dogger-Bank am 21. bis 23. August zur Schädigung der
meist dort arbeitenden englischen Fischerflotte samt ihren
Bedeckungsstreitkräften hatte als einziges Ergebnis die Vernichtung von 9
Fischdampfern zur Folge; Kriegschiffe wurden überhaupt nicht
angetroffen.
Mehr versprach man sich dagegen von der geplanten Minenoffensive gegen die
britische Küste, für welche mit den dunkleren Nächten der
Zeitpunkt endlich gekommen schien.
In der Nacht zum 25. August erreichten die Minenleger "Albatros" und
"Nautilus", gedeckt durch die Kreuzer "Stuttgart" und "Mainz" und die II. und III.
Torpedobootsflottille, in zwei Gruppen an verschiedenen Punkten fast gleichzeitig
die feindliche Küste. Kurz nach Mitternacht wurden unmittelbar vor dem
Tyne und Humber Minensperren von 10 sm Länge ausgelegt, dann
kehrten die Streitkräfte, ebenso unbehindert wie beim Anmarsch, nach den
heimischen Stützpunkten zurück.
Wie wenig der Feind solche Unternehmungen für möglich gehalten
hatte, geht daraus hervor, daß er lange Zeit geglaubt hat, die Minen
wären unter Mißbrauch der neutralen Flagge durch Handelsschiffe
oder Fischdampfer gelegt worden. Erst nach Kriegsende hat man erfahren,
daß die Schlachtkreuzer "Invincible" und "New Zealand" nur durch einen
Zufall der Sperre vor dem Humber entgangen sind, indem einen Tag vor ihrem
Auslaufen eine der Minen im Netz eines Fischdampfers explodierte. Als die
Kreuzer dann am 27. August den Humber zu einem Vorstoß gegen die
Deutsche Bucht verließen, waren sie [32] gewarnt und umgingen
die Sperre im Süden. Auch auf die Tyne-Sperre lief bereits am 26. August
ein Fischdampfer. Solange Lage und Ausdehnung der Sperren nicht festgestellt
worden war, galten Tyne und Humber nicht mehr als voll verwendbare
Stützpunkte.
Der Kampf um die Kanalhäfen.
Gleichzeitig mit dem Vorgehen der deutschen Minenleger gegen die englische
Ostküste erschienen deutsche Kavalleriepatrouillen vor Ostende. Am 25.
August war die englische Armee auf Le Cateau zurückgeworfen
worden. Zu ihrer Entlastung beschloß die britische Admiralität, 3
Marine-Bataillone über See nach Ostende zu werfen, um von hier aus die
rückwärtigen Verbindungen der deutschen Armee zu bedrohen,
während zum Ersatz der schweren Verluste beim Rückzug ein
großer Truppennachschub von Southampton nach Le Havre einsetzte.
Um während der Transporte gegen einen feindlichen Einbruch gegen den
Kanal sicher zu sein, begnügte sich die britische Admiralität diesmal
nicht mit der Deckung und Unterstützung des Unternehmens durch die
Linienschiffe der "Kanalflotte" an Ort und Stelle, sondern befahl eine
gleichzeitige Demonstration der beiden Schlachtkreuzer vom Humber zusammen
mit dem VII. Kreuzergeschwader und den
Harwich-Flottillen gegen die Helgoländer Bucht.
Hiermit wurde die erste englische Offensivunternehmung gegen die
Hochseestreitkräfte eingeleitet. Der Öffentlichkeit sollte endlich ein
Beweis für die Schlagfertigkeit der englischen Flotte gegeben werden,
nachdem bisher die Initiative offensichtlich bei der viel schwächeren
deutschen Flotte gewesen war. Wie wenig dagegen eine Entscheidungsschlacht
beabsichtigt war, geht schon daraus hervor, daß erst auf dringende
Vorstellungen des Admirals Jellicoe in letzter Stunde die
Angriffsstreitkräfte durch das I. Schlachtkreuzergeschwader und II. Leichte
Kreuzergeschwader der "Großen Flotte" verstärkt wurden,
während diese selbst ohne Möglichkeit des Eingreifens weit im
Norden zurückblieb.
Bei der deutschen Flottenleitung wußte man nichts von den Absichten des
Feindes. Rege Flug- und Luftschiffaufklärung sowie häufig
wiederholte Vorstöße von Torpedobootsflottillen bis zu
150 sm außerhalb Helgolands hatten bisher wider Erwarten zu
keinem Zusammentreffen mit feindlichen Streitkräften geführt.
Dagegen wurde die Deutsche Bucht immer auffallender durch englische
U-Boote blockiert. Ein dreifacher Sicherheitsgürtel aus
Torpedo-, Minensuchbooten und Fischdampfern außerhalb Helgolands
sollte ihnen das Eindringen in die Helgoländer Bucht erschweren und die
Flotte gegen Überraschungen sichern. Kleine Kreuzer gaben den Vorposten
Rückhalt. Tag und Nacht auf feindliche Angriffe durch
Über- und Unterwasserstreitkräfte gefaßt und von letzteren oft
genug gefährdet, war die persönliche und materielle Beanspruchung
dieser Streitkräfte erheblich.
Am 28. August befand sich die I. Torpedobootsflottille in der äußeren
Vor- [33] postenlinie. Bei glatter
See wehte leichter Nordwest, der Himmel war bedeckt, das Wetter trübe.
Es war nichts Ungewöhnliches, daß kurz nach
6 Uhr Vm. "G 194" dort mit zwei Torpedos beschossen
wurde und ein U-Boot sichtete, zu dessen Bekämpfung sofort die V.
Torpedobootsflottille von Helgoland in See ging, während sich Flugzeuge an
der Jagd beteiligten. Dann aber brachen, während fast zu gleicher Zeit in
Ostende die letzten Truppenlandungen erfolgten, nordwestlich von Helgoland
zum ersten Male feindliche Überwasserstreitkräfte in die deutsche
Vorpostenlinie ein. Es waren die kleinen Kreuzer "Arethusa" und "Fearless" mit
der I. und III. Zerstörerflottille, insgesamt 31 Booten. Trotz der
Überraschung gelang es den dort stehenden deutschen Torpedobooten bis
auf eins nach kurzen Gefechten ohne Verluste zu entkommen. Sie wurden von der
V. Flottille aufgenommen, die ihrerseits bald durch den Kleinen Kreuzer "Stettin"
Unterstützung erhielt. In kurzem heftigen Feuergefecht zwang dieser den
Feind zum Abdrehen, ohne daß die Geschütze von Helgoland wegen
einer [34] dazwischenliegenden
Nebelschicht in das Gefecht eingreifen konnten, dessen Kanonendonner auf der
Insel deutlich gehört wurde.
[33]
Skizze 2: Die Gefechte in der Deutschen Bucht am 28. August 1914.
|
Nach Südwesten weiterlaufend, war der Feind inzwischen auf die mittlere
Vorpostenlinie und die dort stehenden Boote der III. Minensuchdivision
gestoßen, die sich trotz ihrer veralteten Armierung mit
5-cm-Geschützen heldenhaft wehrten, bis auch ihnen durch einen
Vorpostenkreuzer Hilfe gebracht wurde. Es war S.M.S. "Frauenlob", die 11 Jahre
älter und fast 1000 t kleiner, den ungleichen Kampf mit dem
9 sm schnelleren englischen Führerkreuzer "Arethusa" und einer
großen Zahl von Zerstörern mit so durchschlagendem Erfolg
aufnahm, daß ersterer, in 10 Minuten nicht weniger als 35mal getroffen,
nach Außergefechtsetzung seiner sämtlichen Geschütze und
Torpedorohre bis auf eins mit brennendem Deck den Kampfplatz verließ.
Dagegen hatte "Frauenlob" trotz einer Anzahl Toter und Schwerverwundeter
keine nennenswerte Gefechtswerte eingebüßt.
Im Kielwasser der Zerstörer hatte weiter westlich auch das II. Leichte
Kreuzergeschwader, in drei einzelnen Treffen zu je 2 Kreuzern, in die Verfolgung
der deutschen Vorposten eingegriffen und hierbei "V 187", das
Führerboot der I. Flottille, abgeschnitten. Von 2 Kreuzern und 8
Zerstörern umstellt und bis zur letzten Granate kämpfend, wurde es
schließlich von der eigenen Besatzung gesprengt und ging mit wehender
Flagge unter.
Dies war das einzige Ergebnis des nach genauer Erkundung der deutschen
Vorpostenstellung durch U-Boote mit überwältigender
Übermacht und, begünstigt durch das unsichtige Wetter,
überraschend geführten englischen Angriffs. Der Verlust von
"V 187" wurde durch die schwere Schädigung der "Arethusa"
völlig aufgewogen, die englischen an den Angriff geknüpften
Erwartungen hatten sich nicht erfüllt. Acht in der Bucht verteilte englische
U-Boote waren überhaupt nicht zum Angriff gekommen; allerdings hatten
sich auch den deutschen U-Booten in den sofort eingenommenen Wartestellungen
zwischen Jade und Helgoland keine Ziele geboten.
Unter dem günstigen Eindruck des bisherigen Verlaufs der Gefechte und
ohne Kenntnis der auf See im Gegensatz zu den Flußmündungen sich
stellenweise bis zu dichtem Nebel verschleiernden Sichtigkeit gab der
Befehlshaber der Aufklärungsstreitkräfte, Kontreadmiral Hipper,
unter Billigung des Flottenchefs, Admiral v. Ingenohl, den Befehl zur
Verfolgung. In dem unwiderstehlichen Drang zum Angriff hefteten sich darauf,
aus Elbe und Jade vorstoßend, die Kleinen Kreuzer dem abziehenden Feind
an die Fersen, während "Mainz" ihm von der Ems aus in den Rücken
fiel. Und fast schien es, als ob die "allgemeine Jagd" glücken sollte. Von
12 Uhr mittags ab entspannen sich 35 sm westlich von Helgoland
neue Gefechte, in die in schneller Aufeinanderfolge "Straßburg",
"Stralsund", "Mainz" und "Köln" eingriffen, während "Ariadne",
"Stettin", "Danzig" und "Kolberg" dem gleichen Kampfplatz zustrebten. Eine
glänzende Kreuzerleistung angesichts der sich überstürzenden
und vielfach wider- [35] sprechenden
F. T.-Meldungen, überraschender Zwischenfälle und
wechselnder Sichtverhältnisse!
Auch auf den deutschen Schlachtkreuzern waren inzwischen Geschütze und
Turbinen klar zum Gefecht, noch aber konnten sie ihren kleineren
Gefährten nicht folgen, weil die Fahrwasserverhältnisse auf der
Jadebarre diesen Riesenschiffen mit ihrem gewaltigen Tiefgang das Passieren erst
nach einsetzender Flut bei steigendem Wasser um 1 Uhr Nm.
gestattete. Bei den Engländern herrschte zu dieser Zeit große
Verwirrung. Unbegreiflicherweise waren weder die Zerstörerflottillen noch
die U-Boote über die Beteiligung des II. Leichten Kreuzergeschwaders und
der britischen Schlachtkreuzer unterrichtet. Angriffe englischer
U-Boote und Zerstörer auf die eigenen Kreuzer wurden daher im Nebel nur
noch eben vermieden. Dieser Umstand in Verbindung mit dem heftigen
Wiedereinsetzen deutscher Kreuzerangriffe führten bald zu dringenden
funkentelegraphischen Hilferufen der britischen
Zerstörer- und U-Bootsführer, die Admiral Beatty, der Chef des
britischen Schlachtkreuzergeschwaders, in seiner Bereitschaftsstellung
30 sm nördlich der Ems erreichten. Schnell entschlossen stieß
er mit höchster Fahrt mit 4 Schiffen des II. Leichten Kreuzergeschwaders,
die sich inzwischen bei ihm eingefunden hatten, und den Schlachtkreuzern
"Lion", "Princess Royal", "Queen Mary", "Invincible" und "New Zealand" nach
Osten vor. Eine Nebelwand zog vor ihm her und verdeckte, den deutschen
Schiffen zum Verhägnis, den Anmarsch. Bald waren "Arethusa" und
"Fearless" mit den Zerstörerflottillen von ihren Angreifern befreit, und
nacheinander fielen "Mainz", "Ariadne" und "Cöln" mit dem I.
Führer der Torpedoboote, Kontreadmiral Leberecht Maß, der
vernichtenden Übermacht zum Opfer. Eben noch siegesgewiß, nun
den sicheren Tod vor Augen, wehrlos der furchtbaren Wirkung von Granaten
schwersten Kalibers auf nächste Entfernung ausgesetzt, kämpften die
Besatzungen dieser Schiffe einen Heldenkampf, der auch dem Feind
Bewunderung abnötigte. Zum Wrack geschossen, eine rauchende
Hölle, aus der trotz allem Geschütze noch Tod und Verderben spien,
verweigerten die deutschen Kreuzer die Übergabe und sanken mit
wehender Flagge, von der eigenen Besatzung gesprengt.
|
Der Rückrufbefehl erreichte nur "Straßburg". Für
"Cöln" und "Mainz" kam er zu spät. Als Kontreadmiral Hipper mit
den deutschen Schlachtkreuzern um 4 Uhr Nm. an der
Untergangsstelle der "Ariadne" erschien, während sich die Geschwader der
Linienschiffe zu seiner Unterstützung bereit hielten, war alles
vorüber, die Fühlung am Feind verloren und ein Ansetzen von
Torpedobootsnachtangriffen, wie zuerst geplant, nicht mehr möglich. Der
Feind hatte seine havarierten Schiffe dem weiteren Zugriff entzogen und befand
sich auf dem Rückmarsch. Als die Nacht herniedersank, wußte man
auf deutscher Seite noch nichts über das Schicksal der "Mainz" und
"Cöln", deren letzte Funkspruchmeldungen plötzlich abgerissen
waren. Erst der englische Bericht brachte volle [36] Klarheit. 712 Mann
waren auf deutscher Seite gefallen und 149 verwundet, 381 waren, zum Teil
verwundet, in Gefangenschaft geraten.
Man muß es tragisch nennen, daß gerade der deutsche Angriffsgeist
es war, der hier zum Verderben führte. In dem Vorgehen nach Westen,
einzeln und ohne Unterstützung durch schwere Schiffe, lag bei der
herrschenden Unsichtigkeit der Hauptfehler des Tages. Im übrigen aber
hatte der Angreifer die Schwäche ausgenutzt, die in dem Sicherungssystem
an sich lag. In seiner Starrheit war es leicht durch
U-Boote auszukundschaften. Keine Gegenmaßnahme konnte es rechtzeitig
gegen überraschenden Angriff durch Übermacht sichern. Schwer
lastete die Erkenntnis auf der Flotte, daß bei nur etwas günstigerer
Gestaltung des Stärkeverhältnisses der Erfolg auf deutscher Seite
gewesen wäre. Alle, auch die älteren deutschen Schiffe, hatten sich
im Einzelgefecht dem Feind überlegen gezeigt. Aus diesem Gefühl
heraus hat die Angriffsfreudigkeit der deutschen Streitkräfte unter den
schweren Verlusten des ersten Zusammentreffens mit dem Feind nicht gelitten.
Vielmehr wurde der Geist vom 28. August, wie er sich in den
Einzelkämpfen gezeigt hatte, vorbildlich für alle weiteren
Kämpfe in der Nordsee. Er führte schließlich zum Siege vor
dem Skagerrak.
Infolge des für England günstigen Ausgangs der Gefechte in der
Deutschen Bucht befürchtete die britische Admiralität einen Angriff
deutscher Seestreitkräfte gegen die Kanalstellung nicht mehr in demselben
Maße wie bisher. Am 30. August wurden 4000 Belgier in Ostende
ausgeschifft, denen 16 000 von Le Havre folgen sollten; jedoch
wurde der hier beabsichtigte Flankenstoß von See durch den Rückzug
der Ententeheere hinter die Marne vereitelt. Nun galt auch die
Hauptnachschublinie für die britische Armee von Le Havre nicht
mehr als sicher. Sie wurde schon am 29. August nach St. Nazaire an der
Mündung der Loire verlegt.
Ostende und alle Kanalhäfen, soweit sie als Stapelplätze verwendet
waren, mußten geräumt werden, Dünkirchen und Calais aber
wurden in Verteidigungszustand gesetzt; denn auf dem Besitz dieser Häfen
beruhte die Seemachtstellung Englands im östlichen Kanal.
Um während der kritischen Lage jeden Vorstoß der deutschen
Seestreitkräfte zu verhindern, verließ am 7. September die britische
Schlachtflotte den Stützpunkt Loch Ewe und stand am 10.
September 120 sm nordwestlich von Helgoland, die Schlachtkreuzer
50 sm vorgeschoben, während von den Hoofden aus die Kanalflotte
mit dem VII. Kreuzergeschwader die Umklammerung der Deutschen Bucht
vervollständigte. Bei Hellwerden brachen die
Harwich-Flottillen in ähnlicher Weise wie am 28. August in die Deutsche
Bucht ein; der Vorstoß wurde aber nicht bis zur Fühlungnahme mit
den deutschen Vorposten durchgeführt, so daß von einer
Herausforderung der deutschen Flotte nicht gut gesprochen werden konnte. Schon
gegen Mittag erfolgte der Rückmarsch in die üblichen
Blockadestellungen. Auf deutscher Seite hatte man aus den Erfahrungen des 28.
August [37] gelernt. Eine
Minensperre zog sich von Norderney bis Helgoland, 2 Schlachtkreuzer und 2
Linienschiffsdivisionen waren jederzeit bereits zum Auslaufen, während
der Rest in zwei Stunden folgen konnte, um die an den Sperrlücken und
zwischen Helgoland und Eider aufgestellten
Torpedo- und U-Boote rechtzeitig unterstützen zu können. Aber bis
zum Dezember 1914 vermied der Feind jeden weiteren tatsächlichen
Angriff.
Das einzige Mittel ihn zu schädigen blieben daher vorläufig
U-Boots-Fernunternehmungen. Vor dem Firth of Forth erreichte am 5. September
der erste deutsche Torpedo sein Ziel. "U 21", Kommandant
Kapitänleutnant Hersing, hatte mit "U 20" zusammen die britischen
Vorposten durchbrochen und den Kleinen Kreuzer "Pathfinder", das
Führerschiff der Bewachungsflottille, tödlich getroffen. Die
Munition detonierte, und der Kreuzer sank in 4 Minuten mit der ganzen
Besatzung. Diesem Ereignis folgte aber bereits am 13. September der Verlust des
deutschen Kleinen Kreuzers "Hela", der durch das englische
U-Boot "E 9" innerhalb der Helgoländer Bucht torpediert wurde;
jedoch gelang es in diesem Falle, fast die ganze Besatzung zu retten. Das Schiff
selbst war ohne jeden Gefechtswert, sein Verlust bedeutete daher keinen
Ausgleich für den englischen.
Inzwischen war an der Landfront der deutschen Offensive der Rückzug an
der Aisne gefolgt; es begann der Kampf um die Sicherheit des nördlichen
Flügels, der Wettlauf an die See. Bereits am 11. September wurden von
neuem von See her Truppen nach Ostende geworfen, um von dort aus gegen die
deutschen rückwärtigen Verbindungen vorzugehen. Zum Schutz
kreuzte das VII. Kreuzergeschwader mit den
Harwich-Flottillen zwischen der Dogger-Bank und der holländischen
Küste, aber am 16. September mußten letztere wegen schlechten
Wetters zurückgezogen werden. Der schwere West-Sturm machte den
britischen Zerstörern das Auslaufen auch in den folgenden Tagen
unmöglich, konnte aber das deutsche U-Boot "U 9" nicht hindern,
sich durch Sturzseen hindurch gegen den Kanal vorzuarbeiten, wo es die
Truppentransporte nach Ostende angreifen sollte. Die Hartnäckigkeit seines
Kommandanten, Kapitänleutnant
Otto Weddigen, wurde belohnt. Als
der Sturm abflaute, stieß er am Morgen des 22. September bei
Maas-Feuerschiff auf "Cressy", "Hogue" und "Aboukir", Panzerkreuzer des VII.
Kreuzergeschwaders. Dem Entschluß, sie alle zu vernichten, folgte die Tat.
Nach einer Stunde versank auch das letzte dieser Schiffe kieloben in den Fluten:
sechs Torpedoschüsse eines einzigen U-Bootes hatten genügt, um
das britische Geschwader zu vernichten. Die größte
U-Bootstat aller Zeiten war geschehen; die unfaßbare Sorglosigkeit der
Engländer, das Fehlen jeder Zerstörersicherung hatte sie erleichtert.
Holländische Schiffe retteten 837 Mann, 1460 waren geblieben.
Ein ausgesprochener Stimmungsrückgang in England gegenüber der
Zuversicht nach dem 28. August war die Folge. Ihm stand die
Überschätzung der [38] strategischen Bedeutung
des deutschen U-Bootserfolges in Deutschland,
Österreich-Ungarn und einem Teil der neutralen Länder
gegenüber. Solange die großen Ereignisse zur See noch nicht einmal
begonnen hatten, war die Behauptung verfrüht, daß das
Großkampfschiff nunmehr ausgespielt habe und der Geschwaderkampf eine
Utopie sei. Mit zunehmender Kriegserfahrung ergaben sich für beide
Parteien Methoden, welche die Gefahr erfolgreicher
U-Bootsangriffe wesentlich herabsetzten und entscheidende Kriegschiffverluste
durch U-Boote tatsächlich verhindert haben. Eins aber kündete sich
in den Begleiterscheinungen des ungleichen Kampfes dreier Panzerkreuzer gegen
ein U-Boot an: Als Ursache und Wirkung der Zurückhaltung der
Großkampfschiffe trat an die Stelle von Gefechten unter klar ersichtlichen
Kampfbedingungen, in denen Leistung und Tapferkeit noch gewogen wurde, mehr
denn je das schleichende Gift unsichtbarer Waffen des Seekriegs, der Mine und
des Torpedos. Sie nahmen den Kämpfen zur See fast alle Romantik und
erfüllten die kriegerischen Geschehnisse vielfach mit furchtbarer
Tragik.
Den Taten der deutschen Minenleger und U-Boote durch eine Offensive der
"Großen Flotte" ein Ende zu machen, scheute sich die britische
Admiralität; vielmehr sah sie das einzige Ziel der englischen
Seekriegführung nach wie vor in der Erdrosselung des deutschen Handels,
der Bekämpfung der deutschen U-Boote mit allen nur möglichen
Mitteln des Kleinkriegs und nunmehr auch der Sperrung ganzer Seegebiete durch
Minen und andere Maßnahmen.
Am 1. Oktober 1914 wurden alle Häfen der Ostküste für
neutrale Fischerfahrzeuge geschlossen und ihnen auch der Aufenthalt in einem
größeren Seegebiet vor dieser Küste untersagt. Mit dieser
Kriegsgebietserklärung machte England den Anfang zu einer Reihe von
Völkerrechtsverletzungen, die unter Verzicht auf eine Entscheidung im
Flottenkampf den Seekrieg immer mehr zu einer Reihe
völkerrechtsfeindlicher Vergeltungsmaßregeln entarten
ließ.
S. M. S "Helgoland", 30,5 cm-Geschütze feuernd.
[54a]
Boot der II. Flottille legt Nebelschleier.
|
Unter der gezwungenen Zurückhaltung mußte der hervorragende
Angriffsgeist der deutschen Flotte mit der Zeit leiden. Der Flottenchef, Admiral
v. Ingenohl, wies daher im September in einem Bericht an den Kaiser auf
die Gefahren der bisherigen strikten Defensive hin und forderte eine
größere Handlungsfreiheit in der Verwendung seiner
Streitkräfte. Seine Ausführungen wurden von Großadmiral
v. Tirpitz und Kontreadmiral Behncke, dem
stellvertretenden Chef des Admiralstabes, auf das entschiedenste
unterstützt. Die Einflüsse des Reichskanzlers, des
Admiralstabs- und Kabinettschefs, Admiral v. Pohl und
v. Müller, erwiesen sich jedoch als stärker. Eine Kaiserliche
Entscheidung vom 6. Oktober 1914 bestimmte, daß weiter abgewartet
werden sollte, bis die englische Flotte herankäme. Oberster Grundsatz
für die Flottenverwendung bleibe ihre ungeschwächte Erhaltung als
unbedingt notwendig für die Durchführung des Krieges.
Unter der Aussichtslosigkeit, zum Schlagen zu kommen oder mit unzureichenden
Mitteln zu schlagen, entstanden in der Folgezeit schwere militärische
[39] Nachteile. War aber die
Flotte zur Zurückhaltung verurteilt, so wurde die
U-Bootsoffensive um so tatkräftiger aufgenommen. Für den Einsatz
der Boote gab es zwei Richtungen: im Norden die englische Blockadelinie und die
Stützpunkte, und im Süden die Truppentransporte und ihre
Bedeckungsstreitkräfte im Kanal. Hier starke Wirkungen zu erzielen,
geboten die Vorgänge auf dem Festlande. Zum Entsatz Antwerpens sollte
in diesen Tagen die 7. britische Infanterie-Division von England nach
Dünkirchen oder Ostende geworfen werden, während die
Hauptnachschublinie des nunmehr selbständig in Flandern verwendeten
britischen Expeditionskorps von St. Nazaire wieder nach Le Havre
zurückverlegt wurde.
Nur unvollkommene Nachrichten gelangten hierüber an Admiralstab und
Flottenleitung, und seit dem 23. September befand sich nur ein deutsches
U-Boot, "U 18", nach der belgischen Küste unterwegs. Es traf vor
Ostende am 26. September jedoch so wenig Dampferverkehr, daß der
Kommandant, Kapitänleutnant v. Henning, in der Annahme, der
Platz sei bereits aufgegeben, nach Dover - Calais vorstieß. Am
27. September 1914 erreichte "U 18" als erstes deutsches
U-Boot diese Linie. Dort kam es trotz der Behinderung durch 7 englische
U-Boote zum Angriff auf den gestoppt liegenden Führerkreuzer der VI.
Zerstörerflottille, "Attentive", jedoch ging der auf 250 sm gefeuerte
Schuß anscheinend unter dem Schiffe durch. Eine Wiederholung des
Angriffs wurde durch die Begleitfahrzeuge vereitelt. Wegen aufkommenden
schweren Wetters mußte dann nach einer 19stündigen
Unterwasserfahrt der Rückmarsch angetreten werden. Das Erscheinen des
U-Boots zwischen Dover und Calais veranlaßte die Engländer von
nun an nicht nur zu erheblicher Vorsicht im Einsatz von Kriegschiffen an der
belgischen Küste, die der deutschen Landfront sehr zustatten kam; vielmehr
wurden in dem Glauben, es wären zwei U-Boote in den Kanal
eingedrungen, alle weiteren Transporte vorläufig bei Tage gestoppt, eine
Störung, die wegen der kritischen Lage auf dem Festlande als ganz
unerträglich empfunden wurde. Um den Kanal künftig von
U-Booten freizuhalten, blieb der britischen Admiralität nichts übrig,
als den östlichen Kanalausgang durch ein breites Minenfeld zwischen den
Goodwin-Sänden und Ostende im Süden und dem Breitengrad von
Kentisch - Knock-Feuerschiff im Norden zu schließen,
obgleich dadurch ein großes freies Seegebiet in offenbarem Verstoß
gegen das Seekriegsrecht für die neutrale Schiffahrt gesperrt und diese
dadurch erheblich gefährdet wurde. Eine andere, für die Neutralen
weniger lästige Möglichkeit, die Verseuchung der Helgoländer
Bucht und der deutschen Flußmündungen mit Minen, war als zu
gefährlich verworfen worden. Obgleich die Zeit drängte, weil nach
dem Fall des Südforts von Antwerpen sofort 50 000 Mann Truppen
zur Hilfeleistung nach Dünkirchen, Boulogne und Ostende geworfen
werden sollten, wurden die Sperren nicht vor der Nacht zum 6. Oktober fertig.
Dann erst am 7. Oktober wurden die Truppen unter großen
Vorsichtsmaßnahmen gelandet, [40] aber infolge der vielen
Verzögerungen, die das Erscheinen von "U 18" hervorgerufen hatte,
nur noch rechtzeitig, um den Rückzug der Besatzung von Antwerpen zu
decken.
Deutsche U-Boote im Englischen Kanal, deutsche
U-Boote und Minenleger im Blockadegebiet und vor den Stützpunkten
der "Großen Flotte".
Schon am 3. Oktober liefen dringende Anforderungen bei der deutschen
Flottenleitung ein, die nicht unbekannt gebliebenen Truppenbewegungen im
Kanal durch U-Boote zu schädigen. Wegen schlechten Wetters konnte
jedoch "U 28" erst am 6. und "U 19" erst am 7. Oktober von der
Ems auslaufen. Noch dazu mußte letzteres schon vor der Schelde infolge
einer Beschädigung des Druckkörpers umkehren. Dagegen gelang es
"U 28" die starke Gegenwirkung durch Zerstörer bei
Maas-Feuerschiff sowie die Gefahren der Sände und Minen
glücklich zu überwinden und bis nach Calais vorzudringen; aber
trotz zweitägigem, durch Nebel beeinträchtigtem Aufenthalt
unmittelbar vor dem feindlichen Hafen blieben seine wiederholten
Angriffsversuchte auf Truppentransportdampfer erfolglos. Am 16. Oktober traf
das Boot wieder in Wilhelmshaven ein.
Aber schon am 10. waren auch "U 8" und "U 20" ausgelaufen, um gegen vor
Ostende gemeldete Kriegschiffe und aus Kanada in Boulogne erwartete
Truppentransporte vorzugehen; sie kamen jedoch bei der Schwierigkeit,
Transportdampfer als solche auszumachen, weder dort noch vor Cherbourg zum
Angriff. Am 20. Oktober mußte "U 8" nach einem vergeblichen
Angriff auf flachgehende englische Monitore die Rückfahrt nach Osten
antreten; dagegen entschloß sich Kapitänleutnant Dröscher, der
Kommandant von "U 20", nachdem er vor Portsmouth auf nächste
Entfernung in unsichtigem Wetter fast von einem britischen Zerstörer
gerammt worden war, um der zu erwartenden starken Gegenwirkung im
östlichen Kanalausgang zu entgehen, als erster zu dem gewagten und
langen Rückmarsch um Irland. Auf diese Weise gelangte zum ersten Male
ein deutsches U-Boot in das Gebiet westlich von Scapa Flow, wohin sich die
"Große Flotte" vor den U-Booten in der Nordsee von neuem
zurückgezogen hatte, und fast wäre ihm nördlich der Hebriden
der Angriff auf eine Division von vier ahnungslosen Kreuzern oder Linienschiffen
gelungen, wenn nicht die Abenddämmerung diesem Versuch ein Ziel
gesetzt hätte. Zwischen den Shetland- und Orkney-Inseln durchbrechend,
erreichte "U 20" ohne weitere Ereignisse nach einer Fahrt von
2200 sm Helgoland am 20. Oktober. Zwei Tage vorher traf "U 21"
nach einer abenteuerlichen Unterwasserfahrt auf der Flucht vor Zerstörern
über die Sände von Schouwen-Bank vor Ostende ein, wo das
Geschützfeuer von Nieuport deutlich an Bord zu vernehmen war; leider
zwangen aber, kaum im Operationsgebiet angelangt, allerlei Havarien das Boot
zur Rückfahrt. Obgleich infolge der Schwierigkeit, bei dem regen
Handelsverkehr im Kanal Transportdampfer als solche zu erkennen, es keinem der
U-Boote gelungen war, dem Feind [41] tatsächliche
Verluste beizubringen, übertraf die strategische Wirkung ihres Erscheinens
doch alles, was man damals davon erwarten konnte. So genügte das
einmalige Sichten von "U 28" bei Kap Gris Nez und von "U 8" bei
Portsmouth vollständig, um das Einlaufen des kanadischen Geleitzuges in
Southampton zu verhindern; er mußte vielmehr, sehr gegen den Wunsch der
britischen Heeresleitung, am 14. Oktober in Plymouth Zuflucht suchen, wodurch
die Verwendung der kanadischen Truppen auf dem Festland erheblich
verzögert wurde. Aus demselben Grunde liefen zwei weitere Transporte aus
Ägypten und Indien noch weiter westlich, nämlich in Liverpool,
ein.
Ähnliche Wirkungen erzielte das gleichzeitige Auftreten deutscher
U-Boote im Norden. Dort befand sich zur Deckung der Überfahrt des
kanadischen Geleitzuges über den Atlantischen Ozean vom 2. bis 10.
Oktober die gesamte "Große Flotte" in Blockadestellung: 3
Kreuzergeschwader auf der Linie
Peterhead - Lindesnes, 4 Schlachtgeschwader dahinter als
Rückhalt, in einer zweiten Linie das I. und II. Schlachtkreuzergeschwader
zwischen Orkney-, Shetland- und Faröer-Inseln. Ohne es zu ahnen, gerieten
4 deutsche U-Boote, die das Skagerrak und die Südküste Norwegens
bis hinauf nach Stavanger absuchen sollten, in die Nähe dieser Stellungen.
Vergeblich suchte "U 12" 4 Tage lang auf einen Kreuzer der
"Arethusa"- und einen der Städteklasse zum Angriff zu kommen,
vergeblich hielt "U 16" volle 15 Tage aus. Zwar gelang es diesem Boot, am
9. Oktober 20 sm südwestlich von Skudesnes auf den alten
Panzerkreuzer "Antrim", das Flaggschiff des III. Kreuzergeschwaders, zwei
Schüsse zu feuern, jedoch wich dieser rechtzeitig aus.
Die britischen Kreuzer hatten aus dem Untergang der "Cressy" gelernt; sie
hielten sich mit Zickzackkursen in hoher Fahrt und vermieden es, zum Anhalten
von Handelsschiffen zu stoppen. Es war daher nur der Anwesenheit der deutschen
U-Boote in diesem Gebiet zu danken, daß in diesen Tagen
beträchtliche Vorräte aller Art nach Deutschland hereinkamen.
Am 12. Oktober kehrten die Schlachtgeschwader nach Scapa Flow zum Kohlen
zurück, während die Schlachtkreuzer mit dem Leichten
Kreuzergeschwader einen Vorstoß nach der Dogger-Bank unternahmen und
die alten Kreuzer des X. Kreuzergeschwaders die Linie
Peterhead - Lindesnes besetzt hielten. Am folgenden Tage waren
"U 9" und "U 17" von Helgoland her im Anmarsch gegen Scapa
Flow. Östlich des Firth of Forth trafen sie auf Schiffe des X.
Kreuzergeschwaders. In energisch geführtem Angriff vernichtete
"U 9" den Kreuzer "Hawke"; wenige Stunden später kam "U 17" gegen den nach Norden fliehenden "Theseus" zum Angriff. Dieser
entging nur durch schnelles Abdrehen dem Schicksal "Hawkes".
Am nächsten Morgen stand Weddigen mit seinem Boot unmittelbar vor dem Stützpunkt der "Großen Flotte" und griff, weil wertvollere
Objekte fehlten, gleichzeitig zwei Zerstörer an. Hierbei wurde er fast
gerammt und konnte nur [42] mit Mühe einer
dreistündigen Verfolgung entgehen. Das Erscheinen des
U-Bootes genügte aber, um in Scapa Flow helle Aufregung hervorzurufen.
Das Boot wurde wenige Stunden später mitten im Hafen gemeldet, und bei
anbrechender Dunkelheit verließ das Flottenflaggschiff "Iron Duke"
zusammen mit allen Großkampfschiffen, die noch dort lagen, fluchtartig
den unsicheren Stützpunkt. Die Engländer hatten jedoch Gespenster
gesehen; "U 9" war bereits zur norwegischen Küste
hinübergesteuert, fand aber auch dort keine Angriffsgelegenheit mehr und
kehrte nach Abreiten eines schweren Ost-Sturmes am 23. Oktober nach Helgoland
zurück. Inzwischen hatte "U 17" als erstes
U-Boot ein feindliches Handelsschiff, den Dampfer "Glitra", angehalten und nach
Bergung seiner Besatzung nach Prisenrecht versenkt.
Der Untergang der "Hawke" so kurz nach der Vernichtung der "Cressy" machte
in England gewaltigen Eindruck. Die Linie
Peterhead - Lindesnes wurde daher aufgegeben und eine neue
Vorpostenlinie weiter nördlich zwischen den
Shetland-Iinseln und Norwegen eingerichtet. Gleichzeitig wurde die "Große
Flotte" in die entlegensten Plätze an der Nordwestküste Schottlands
und der Nordküste Irlands verlegt, bis der Stützpunkt Scapa durch
Netzsperren besser als bisher gegen U-Boote geschützt werden konnte.
Um so glücklicher traf es sich, daß gleichzeitig die deutsche
Flottenleitung mit einer Minenunternehmung gegen die Downs und den Firth of
Forth auch eine solche gegen die Westküste, und zwar gegen die
Zufahrtstraßen von Glasgow oder dem Firth of Clyde, plante. Die
Durchführung dieser Aufgabe fiel dem Hilfskreuzer "Berlin" zu. Sie wurde
dadurch erleichtert, daß "U 9" durch das Abschießen des
Kreuzers "Hawke" Bresche in die feindlichen Blockadelinien geschlagen und ihre
Rückverlegung nach Norden herbeigeführt hatte. Während die
Umgruppierung noch im Gange war, passierte der 17 000 t
große Hilfskreuzer, ursprünglich ein Postdampfer des Norddeutschen
Lloyd, ungesehen die Linie der englischen Schiffe und näherte sich am 21.
Oktober der Nordküste Irlands von Westen. Dort war die "Große
Flotte" schon am 17. Oktober eingetroffen. Am 22. Oktober war das I. und IV.
Schlachtgeschwader in Lough Swilly, dem neuen Stützpunkt, eingelaufen.
Ohne auch nur etwas von diesen Bewegungen zu ahnen, hatte sich der
Kommandant der "Berlin", Kapitän zur See Pfundheller, in der Nacht
vorher entschlossen, seine Minen nicht weit von diesem Stützpunkt
entfernt, bei Tory Island, dem wichtigsten Ansteuerungspunkt an der
Nordküste Irlands, zu werfen. Dann war der deutsche Blockadebrecher,
weit nach Westen ausholend, in das Gebiet der Schneestürme zwischen
Island und Grönland verschwunden, um später, das Eismeer
durchquerend, am 4. November vor Archangelsk zu erscheinen und
schließlich am 17. November in Drontheim abzurüsten.
Inzwischen sammelten die englischen Schlachtgeschwader am 26. Oktober zu
einem neuen Vorstoß nach der Nordsee, 30 sm nordwestlich von
Tory Island, wo [43] sie sich vor jeder
deutschen Gegenwirkung sicher wähnten; aber bereits um
9 Uhr Vm. geriet "Audacious", das 3. Schiff des II.
Schlachtgeschwaders, auf die Minensperre der "Berlin" und mußte 12
Stunden später bei schwerem Seegang von der Mannschaft verlassen
werden. Nach einer heftigen Explosion sank das Schiff bald darauf nicht weit
entfernt von dem rettenden Hafen. Der schwere Verlust eines der besten
Schlachtschiffe traf die englische Flotte in einem sehr kritischen Augenblick, da
gleichzeitig nicht weniger als 5 Großkampfschiffe wegen Maschinenhavarie
oder laufender Reparaturen außer Kriegsbereitschaft waren. Jellicoe
verfügte daher zur Zeit nur über 17 voll gefechtsbereite
Großlinienschiffe und 5 Schlachtkreuzer gegen 19 deutsche
Großkampfschiffe. Dies war um so bedenklicher, als, wenn
überhaupt, so jetzt der Zeitpunkt für den befürchteten
Einbruch der deutschen Flotte in den Kanal gekommen war. Die Schlacht um
Calais hatte ihren Höhepunkt erreicht, und die Schleusen von Nieuport
sollten gerade an diesem Tage geöffnet werden. Zudem konnte auch die
kurz bevorstehende Entscheidung der Türkei für Deutschland oder
die Entente durch die Nachricht von dem Untergang eines englischen
Großkampfschiffs sehr ungünstig beeinflußt werden. In dieser
Lage entschied ein Kabinettsrat vom 28. Oktober, daß "in Hinsicht auf die
militärische Lage und die Haltung der Türkei" der Verlust bis auf
weiteres mit allen Mitteln geheim zu halten sei, ein Versuch, dessen Gelingen nur
bei der insularen Abgeschlossenheit Englands möglich war.
Am folgenden Tage sah sich der erste Seelord der Admiralität, Prinz Louis
von Battenberg, gezwungen, wegen der englischen Pressehetze gegen alles, was
deutschen Namens oder Stammes war, zurückzutreten. Sein Nachfolger,
Lord Fisher, eine Persönlichkeit, die wie keine andere den Charakter
englischer Geistesverfassung und politischer Methoden verkörpert, griff
sofort zu einer sehr bezeichnenden Maßnahme. Die Gefährdung der
englischen Kriegschiffe durch deutsche U-Boote und Minen hatten einen Grad
erreicht, daß dadurch die Wirksamkeit der Handelsblockade ernstlich in
Frage gestellt schien. Schon am 9. Oktober hatte daher Admiral Jellicoe gefordert,
auch die neutrale Schiffahrt unter Androhung von Gewaltmaßnahmen in die
Nähe der englischen Häfen und Küsten zu zwingen, um die
Durchsuchung gefahrloser ausführen zu können.
Damals hatte man noch in England gezögert, den Seehandel aller
Völker, soweit er die Nordsee berührte, in dieser Weise unter
englische Seetyrannei zu stellen. Lord Fisher kannte aber solche
Rücksichten auf bestehendes Völkerrecht nicht. Am 2. November
ließ er die ganze Nordsee als Kriegsgebiet erklären, in welchem
fortan die Handelsschiffe aller Art und aller Länder den schwersten
Gefahren durch englische Minen und Kriegschiffe ausgesetzt wären, wenn
sie von dem Wege durch den Englischen Kanal, die
Dover-Straße, weiter an der Ostküste Englands entlang bis Farn
Island und von dort nach Lindesnes und zurück auch nur wenige Meilen
abweichen würden.
In Wirklichkeit war man in England schon aus Mangel an Minenmaterial, [44] dann aber auch, um die
Tätigkeit der eigenen Flotte nicht lahmzulegen, gar nicht in der Lage, die
hier angekündigte allgemeine Minengefährdung der Nordsee zur
Tatsache zu machen. Dennoch übte der englische Bluff mit geringen
Ausnahmen und fast ohne Widerspruch der Neutralen die gewünschte
Wirkung aus. Um die offenbare schwere Verletzung des Völkerrechts der
Welt schmackhafter zu machen, war nichts einfacher, als sie als Folgeerscheinung
angeblicher deutscher Schandtaten darzustellen.
Die Minensperre der "Berlin" bot hierzu den willkommenen Vorwand. Man
brachte nur zu unterstellen, daß diese Minen gar nicht von einem deutschen
Kriegschiff, sondern nur von Handelsschiffen unter Mißbrauch der
neutralen Flagge gelegt sein könnten, um vor der Welt den Schein des
Rechts auf seine Seite zu bringen. Daß Deutschland bereits am 7. August
alle Neutralen vor deutschen Minen in unmittelbarer Nähe der englischen
Häfen gewarnt hatte, wurde selbstverständlich unerwähnt
gelassen. Statt dessen wurde im Gegensatz zu allen Tatsachen die Behauptung
aufgestellt, Minenleger unter neutraler Flagge und Spionage durch
Fischerfahrzeuge, Lazarettschiffe und neutrale Dampfer seien die Kennzeichen
deutscher Seekriegführung.
Trotz dieser moralischen Entrüstung, hinter der sich der Ingrimm
über den Verlust des "Audacious" nur mühsam verbarg, war man
aber merkwürdigerweise geneigt, nun selbst die eben noch
verächtlich gemachten Methoden noch dazu in erheblich
größerem Maßstabe anzuwenden, freilich nicht, wie die
Deutschen, zur Gefährdung, sondern zum Schutze der friedlichen Schiffahrt,
wie in der Erklärung ausdrücklich betont wurde. Es gibt kein
besseres Dokument, um die Wege zu kennzeichnen, auf welche sich die englische
Seekriegführung infolge des ängstlichen Ausweichens vor jeder
Kampfentscheidung gedrängt sah.
Gleichzeitig mit der "Berlin" waren auch "Kolberg" und "Nautilus" ausgelaufen,
um den Firth of Forth mit Minen zu sperren. Nur noch 90 sm von ihrem
Ziel entfernt, wurden sie jedoch am 17. Oktober durch zwei feindliche
Kriegschiffe nach Süden abgedrängt und liefen unverrichteter Sache
am folgenden Tage wieder in die Jade ein.
Inzwischen hatte sich weiter südlich in den Hoofden ein tragischer Kampf
abgespielt. In der Morgenfrühe des 17. Oktober waren "S 119",
"115", "117" und "118" von der 7. Torpedobootshalbflottille, ältere und
weniger schnelle und kampfkräftige Boote, mit freiwilligen Besatzungen zu
einer tollkühnen Unternehmung ausgelaufen. Sie sollten in der folgenden
Nacht südlich der Themse-Mündung die Hauptverkehrsstraße
vom Kanal nach London, die Downs, durch Minen sperren. Überraschendes
Auftreten und die Dunkelheit der Neumondnacht sollten den Erfolg
gewährleisten. Im Notfalle konnte Ostende bereits als Zufluchtsort dienen.
Es kam anders. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatte der Feind einiges
über die geplante Unternehmung erfahren und bei Texel den neu in Dienst
gestellten Führerkreuzer der III. Zerstörerflottille, "Undaunted" mit
[45] vier der neuesten und
schnellsten Zerstörer, ausgesuchte Streitkräfte, auf die Lauer gelegt.
Von Terschelling her meldete ein englische U-Boot den Anmarsch der deutschen
Boote. So stießen sie 2½ Stunden vor Dunkelheit auf den Feind.
Schnell waren die Minen über Bord, Torpedorohre und Geschütze
klar zum Gefecht, dann begann die allgemeine Jagd, aber der Feind war schneller,
ein Entkommen unmöglich.
Als der deutsche Führer, Korvettenkapitän Thiele, auf "S 119"
dies erkennt, befiehlt er, treu den besten Traditionen seiner stolzen Waffe, den
Angriff. Der rotgezackte Stander "Z" über dem Qualm der Schornsteine
gibt das Signal, die Boote brechen vor. Zwar sinken "S 115" und
"S 117" im rasenden Schnellfeuer der Feinde, die erst jetzt die Gefahr
für ihr Führerschiff erkennen, dann aber ist "S 119" an den
Feind heran und feuert auf 800 m den ersten, auf 300 m den zweiten
und dritten seiner Torpedos, die an dem hart abdrehenden Kreuzer nur auf 10 bis
15 m vorbeilaufen. Der Halbflottillenchef fällt, sein Boot sinkt, und
ihm folgt bald darauf auch "S 118" mit wehender Flagge in den Untergang.
Ein Offizier und 20 Mann wurden gerettet, 240 hatten ihre Treue zu Kaiser und
Reich mit dem Tode besiegelt. Ohne Besinnen waren die tapferen Freiwilligen der
IV. Torpedobootsflottille Feind und Tod entgegengefahren, tragisch war ihr
Geschick, unvergeßlich ihr Heldenmut.
Der Ausgang des Gefechts brachte der britischen Admiralität eine
Erleichterung. Sie hatte angesichts der schweren Kämpfe an der belgischen
Küste nicht mit Unrecht größere Anstrengungen der deutschen
Flotte erwartet, denen sie bei der Entwertung der älteren Linienschiffe und
Panzerkreuzer durch den Erfolg Weddigens zunächst nur die
Harwich-Flottillen im Kanalausgang entgegenstellen konnten. Die Frage, ob die
Yser-Linie gehalten werden könnte oder ob der deutsche Durchbruch nach
Calais und Dünkirchen unabwendbar sei, war für die britische
Seekriegsleitung nicht weniger wichtig als für die Heeresleitung des
Feindverbandes. Fielen die Häfen in feindliche Hand, so war das Problem
der sicheren Verbindung über den Kanal unlösbar geworden und die
Grundlagen britischer Seekriegführung in den heimischen Gewässern
unterminiert.
Die Schlacht um Calais.
Am 13. Oktober waren Ostende und Zeebrügge von den Engländern
geräumt worden; jedoch unterließen sie, in der Hoffnung, den Hafen
bald wieder zu gewinnen, die Zerstörung der
Molen- und Hafeneinrichtungen. Diese leisteten später der deutschen
U-Bootkriegführung wertvolle Dienste. Die Lage war kritisch. Calais und
Dünkirchen wurden nur durch sechs geschwächte und
erschöpfte belgische Divisionen an der Yser verteidigt; die britische Armee
befand sich noch in der Umgruppierung. Nur die energische Flankierung der
deutschen Linien von See her konnte helfen; jedoch ging die britische
Admiralität wegen der deutschen U-Bootgefahr auch an diese Aufgabe nur
zögernd. Am 17. Oktober trafen zwar [46] drei Monitore sowie die
Scouts2 und Zerstörer der
Dover-Patrouille ein; die Absicht, auch zwei Linienschiffe der
"Formidable"-Klasse dort einzusetzen, wurde aber wegen des Vorstoßes der
deutschen VII. Halbflottille aufgegeben, da man mit weiteren
Torpedobootsunternehmungen gegen den Kanal rechnete. Schon am folgenden
Tage griffen die britischen Streitkräfte mit
15,2- und 10,2-cm-Geschützen sowie 12-cm-Haubitzen in die Landgefechte
ein, beschossen deutsche Batterien bei Westende-Bad, Lovie und
Blockhuis-Farm und schrieben sich den Erfolg zu, daß der deutsche Angriff
auf Lombartzyde abgeschlagen wurde.
Anderseits beeinträchtigte die Furcht vor U-Bootsangriffen, obwohl infolge
der vorgelagerten Sände fast unmöglich, alle britischen
Maßnahmen zur Unterstützung der hartbedrängten Landfront.
Trotz der kritischen Lage wurden wertvollere Streitkräfte nicht eingesetzt,
vielmehr zog man statt dessen die ältesten Kanonenboote für die
Verwendung an der flandrischen Küste heran. Die
U-Bootsfurcht ging so weit, daß am 21. Oktober, als das Gerücht
auftrat, "U 21" sei in Ostende eingelaufen, die englischen Kreuzer und
Zerstörer sofort zurückgezogen wurden, während die
Franzosen in der nächsten Nacht bei Ostende Minen warfen. In der Tat war
"U 21" am 18. Oktober bis nach Ostende vorgedrungen, hatte aber kurz
darauf den Rückmarsch antreten müssen. Am 20. Oktober ging
jedoch bei der deutschen Flottenleitung die Weisung des Großen
Hauptquartiers ein, daß sofort weitere
U-Boote gegen die Seestreitkräfte vor der flandrischen Küste
vorgehen sollten. Am folgenden Tage wurde mitgeteilt, daß der Generalstab
großen Wert auf die Vertreibung feindlicher Schiffe lege, die dem
deutschen rechten Flügel vor Dünkirchen Verluste zufügten;
auch sei die Störung der englischen Truppentransporte im Kanal
erforderlich. Daraufhin waren "U 24", "U 27" und "U 30" nach
Boulogne, Calais und Le Havre und etwas später "U 19" und
"U 28" nach Nieuport und Dünkirchen entsandt worden, um die
Anstrengungen der Armee, Dünkirchen und Calais einzunehmen, von See
her zu unterstützen. Die vorgelagerten Sände und die mangelhafte
F. T.-Verbindung mit der Landfront verhinderten aber das Eingreifen in die
von ihnen deutlich beobachteten Kämpfe; dennoch trugen sie allein durch
ihr Erscheinen wesentlich zur Entlastung der Landfront bei.
Inzwischen war es französischen Verstärkungen an Land unter dem
Schutz des britischen Feuers von See her gelungen, die Schleusen von Nieuport
zu halten. Wer aber diese besaß, der konnte jedem weiteren Vordringen der
deutschen Truppen durch Überschwemmung ein Ende machen. Dagegen
hatten sich außerhalb des Bereichs der britischen Schiffsgeschütze
die deutschen Truppen auf dem Westufer der Yser festsetzen können. Als
am 26. Oktober ein schwerer deutscher Angriff auf der ganzen Linie begann,
setzten die Engländer zum ersten Male ein Linienschiff, die "Venerable",
ein. Mit den übrigen Seestreitkräften [47] zusammen
überschüttete dieses Schiff Lombartzyde mit einem solchen Hagel
von Geschossen, daß die deutschen Truppen dort nicht Fuß fassen
konnten. Nur wo sie den Schiffsgeschützen unerreichbar blieben, zwangen
sie die Belgier auf die Eisenbahnlinie
Dixmuiden - Ypern zurück. Wenn es letzteren nicht gelang,
den Eisenbahndamm so lange zu halten, bis die Wasserdurchlässe verstopft
waren und die Überschwemmung einsetzen konnte, war die Schlacht an der
Yser für die Verbündeten verloren. Am folgenden Tage raste von den
Dünen bis zur französischen Front die Schlacht von Ypern. Ein
schweres deutsches Geschütz deckte die deutsche Seeflanke mit so gutem
Erfolg, daß nur die "Venerable", von Leichtern mit Netzen zum Schutze
gegen U-Boote umgeben, länger in ihrer Bombardementsstellung aushielt.
Aber die Meldung von einem deutschen U-Boot zwang auch dies Schiff
schließlich zum Rückzug nach Dünkirchen. Überall
waren die Alliierten in die Verteidigung gedrängt. Da riefen sie die
Elemente selbst zur Hilfe und öffneten die Schleusen von Nieuport. In der
Überschwemmung erstarben die weiteren deutschen Angriffe an der
Landfront, und auch an der Seefront wurde es ruhiger, nachdem 2 Zerstörer
und 1 Kanonenboot außer Gefecht gesetzt und die "Venerable" abermals
durch U-Bootsalarm vertrieben worden war.
Es scheint in erster Linie das Verdienst von "U 27", Kommandant
Kapitänleutnant Wegener, gewesen zu sein, diese ständige
Beunruhigung der britischen Seestreitkräfte im Höhepunkt der
Gefechte herbeigeführt zu haben. Es hatte am 24. Oktober nicht weit von
diesen Kämpfen einen durch Sände und englische Minensperren in
gleicher Weise geschützten sicheren Platz gefunden, wo es nachts
ungestört von feindlichen Bewachern, wenn auch im ständigen
Kampf mit unberechenbaren und gefährlichen Strömungen, auf dem
Grund ausruhen konnte, während es tagsüber von dort nach Calais
vorstieß und in der Meerenge kreuzend vergeblich auf Angriffsobjekte
lauerte, jedoch mehrfach gemeldet wurde. Am 30. Oktober war das
Flugzeug-Mutterschiff "Hermes" von Portsmouth mit Wasserflugzeugen in
Dünkirchen eingetroffen und ging am 31. Oktober von dort wieder in See.
8 sm westnordwestlich von Calais wurde es von "U 27" angegriffen
und mit 2 Torpedoschüssen versenkt. Sofort jagten Zerstörer in
hellen Scharen das U-Boot, welches sich vor ihnen in das ihm bereits
wohlbekannte englische Minengebiet zurückzog, wohin keiner ihm
folgte.
Schon vorher war es "U 24", Kommandant Kapitänleutnant Schneider,
gelungen, von Boulogne einen durch Zerstörer gesicherten und auch durch
andere Anzeichen ausnahmsweise als Truppentransportschiff kenntlichen
Dampfer zu versenken, dagegen hatte sich vor Le Havre für
"U 30" keine Angriffsgelegenheit ergeben.
Die Wirkung der Erfolge von "U 24" und "U 27" war wieder erheblich. Sofort
wurden alle Schiffe von der belgischen Küste zurückgezogen, um sie
nicht länger der U-Bootsgefahr auszusetzen. Auf dem Höhepunkt der
Schlacht hatte [48] man auf englischer Seite
bestimmt mit einem Eingreifen deutscher Überwasserstreitkräfte von
See her gerechnet und Maßnahmen dagegen getroffen; aber erst jetzt, als die
Entscheidung an Land bereits gefallen war, schien der erwartete deutsche Angriff
zur See gegen den östlichen Kanalausgang zur Tatsache werden zu
sollen.
Schon am 30. Oktober hatte die deutsche Flottenleitung den Plan gefaßt,
Minenleger unter dem Schutz schwerer Streitkräfte gegen die englische
Ostküste vorzubringen, um das für die englische Schiffahrt
besonders wichtige Gebiet vor Yarmouth mit Minen zu verseuchen,
während eine Beschießung der 3 Küstenbatterien durch die
Schlachtkreuzer die Aufmerksamkeit des Feindes von den Minenlegern ablenken
sollte. Von dem Erscheinen deutscher Großkampfschiffe so nahe der
Themse-Mündung versprach man sich einen nicht unbedeutenden
moralischen Eindruck in England, welcher die britische Flotte zwingen sollte,
dem Druck der öffentlichen Meinung nachgebend, endlich aus ihrer der
deutschen Führung höchst unerwünschten
Zurückhaltung herauszugehen und vielleicht auch die britischen
Seestreitkräfte von der flandrischen Küste abzuziehen.
Die englische Flotte hat es trotz ihrer Übermacht während des
ganzen Krieges nicht ein einziges Mal gewagt, deutsche
Küstenbefestigungen zu beschießen; um so kühner war das
deutsche Unternehmen. Der Aufenthalt der britischen "Große Flotte" war so
gut wie unbekannt, dennoch sollten die deutschen Schlachtkreuzer die Nordsee
bis an die feindliche Küste überqueren, während die
Hochseeflotte 120 sm weiter östlich auf der Mitte zwischen Humber
und Helgoland eine Aufnahmestellung einnahm. Eine Linie von 4
U-Booten nordwestlich von Terschelling verstärkte diese Stellung. Auf der
Ems und Jade wurden die Minenleger "Albatros" und "Nautilus" klar zum
sofortigen Auslegen taktischer Minensperren bereit gehalten. Auf diese Weise war
man gerüstet, auch eine Schlacht anzunehmen, wenn die deutschen Kreuzer
auf dem Rückmarsch etwa abgeschnitten würden oder sich sonst
Streitkräfte zeigen sollten.
Schlechtes Wetter verzögerte das Auslaufen, aber in der Nacht zum 3.
November brachen die Schlachtkreuzer "Seydlitz", "Moltke", "Von der Tann"
und der Panzerkreuzer "Blücher" mit den Kleinen Kreuzern
"Straßburg", "Graudenz", "Kolberg" und "Stralsund", letztere mit 150
Minen an Bord, ungesehen von den blockierenden englischen
U-Booten, aus der Deutschen Bucht aus und erreichten bei Hellwerden die weit
nach Osten vorgeschobenen Sände von Yarmouth. Dicker Dunst
über der Küste erschwerte die Navigierung, zahllose
holländische und englische Fischdampfer mit ausgebrachten Netzen
verzögerten den Vormarsch. Kontreadmiral Hipper ließ daher die
Schiffe in größerem Abstand von der Küste, als
ursprünglich beabsichtigt, zur Beschießung aufdrehen, als
plötzlich zwei kleinere englische Schiffe, das
Minensuch-Kanonenboot "Halcyon" und der Zerstörer "Lively" aus dem
Dunst auftauchten. Sie hielten die herannahenden großen Schiffe ersichtlich
für ein britisches Geschwader, bis ein Hagel [49] einschlagender schwerer
Geschosse sie eines anderen belehrten. Inzwischen hob sich die
Nelson-Säule am Strand von Yarmouth über den tieflagernden Dunst
heraus und bot einen Anhaltspunkt für die Beschießung der
Küstenforts. Jedoch konnten wegen der großen Entfernung die
Geschütze nur mit höchster Erhöhung ihre Landziele
erreichen, dann warnten treibende englische Minen vor weiterem Verweilen an
der feindlichen Küste. Erst nachträglich erfuhr man, daß auf
den ersten Kanonenschuß 3 U-Boote, die zufällig klar zur
Fernunternehmung im Hafen von Yarmouth lagen, bereits zum Angriff auf die
deutschen Schiffe vorgegangen waren, als diese abdrehten. Dabei kam eins der
Boote, "D. 5", angeblich nicht auf die deutsche Sperre, aber auf eine
treibende englische Mine und sank unmittelbar darauf mit der ganzen
Besatzung.
Während der Küstenbeschießung hatte "Stralsund" auf
wechselnden Kursen ihre Minen geworfen, leider nicht ungesehen von den
englischen Fischern.
Das Erscheinen deutscher Großkampfschiffe vor Yarmouth rief in England
eine gewaltige Aufregung hervor, zumal die eigentlichen Vorgänge auf See
von der Küste aus nicht zu erkennen waren. Alarmmeldungen gingen sofort
an die Admiralität und von hier nach Cromarty, dem Aufenthaltsort der
Schlachtkreuzer und Kleinen Kreuzer, sowie nach Dünkirchen an den Chef
der dortigen Seestreitkräfte. Unter dem ersten Eindruck hielt die
Admiralität die Beschießung nur für die Ablenkung von einer
größeren deutschen Unternehmung, die sich entweder nach Norden
oder gegen den Kanal richten konnte. Letztere Möglichkeit machte ihr die
meiste Sorge, weil die alten Linienschiffe der Majestic-Klasse in der Themse dem
deutschen Ansturm kaum gewachsen sein konnten. Zum Eingreifen der
"Große Flotte" aber war es zu spät. Sie befand sich in einzelnen
Geschwadern verteilt an der Nordwest-Küste Schottlands, während
der Höchstkommandierende, Admiral Jellicoe, einer Konferenz in London
beiwohnte. Das einzige, was geschehen konnte, war ein Vorstoß der
englischen Schlachtkreuzer und Kleinen Kreuzer gegen die Deutsche Bucht,
während die Harwich-Flottillen Fühlung am Feind zu nehmen
suchten; sie wurden aber bereits am Nachmittag zurückgerufen.
Die deutschen Kreuzer hatten den Beweis geliefert, daß sie die englische
Küste angreifen konnten, ohne von der britischen Flotte gestellt zu werden.
Sehr zur Enttäuschung der deutschen Besatzungen war es zu einem
Zusammenstoß mit stärkeren feindlichen Streitkräften nicht
gekommen. Der folgende Tag brachte leider ein tragisches Nachspiel.
S. M. S. "York", der zur Marschsicherung des deutschen Gros
gehört hatte, kam auf der Jade in dickem Nebel auf eine deutsche
Minensperre. Nach zwei gewaltigen Detonationen kenterte der Panzerkreuzer
unter Verlust eines großen Teiles seiner Besatzung.
Selbstverständlich brachte der Feind diesen Verlust mit der ihm
unangenehmen Unternehmung gegen Yarmouth in Zusammenhang, obgleich er
sich selbst keinerlei Verdienst daran zuschreiben konnte.
[50] Entsprechend dem
Abflauen der Kämpfe an der Seefront in Flandern befand sich in der 2.
Hälfte des November zunächst nur ein deutsches
U-Boot, "U 21", im Kanal. Vor Le Havre schoß es mit seinem
Geschütz 2 englische Dampfer in Brand, nachdem die Besatzung zuvor in
die Boote geschickt worden war. Dann kreuzte es vor der flandrischen
Küste, wurde jedoch durch Zerstörer gehindert, in die weiteren
Kämpfe einzugreifen.
Dort hatten bereits am 23. November zwei englische Linienschiffe, durch 6
Zerstörer gesichert, die Hafenanlagen von Zeebrügge und die
Marinedivision vor Nieuport beschossen. Es war jedoch infolge der
uneingespielten F. T.-Verbindung der
U-Boote mit dem Marinekorps nicht möglich gewesen, "U 21" noch
auf diese Streitkräfte anzusetzen. Dagegen lief "U 11" am 26.
November in Zeebrügge ein und bald folgten weitere Boote, von denen
jedoch zwei bereits bis Ende Dezember in dem schwierigen Fahrwasser auf
englischen Minen verloren gingen.
Neue deutsche Anstrengungen zur Schädigung der
"Großen Flotte".
Dem Abflauen der Kämpfe in Flandern entsprechend und im engsten
Zusammenhang mit den Operationsabsichten der deutschen Flottenleitung
verschob sich inzwischen der Schwerpunkt der deutschen
U-Bootstätigkeit immer mehr nach dem Norden. Die Unternehmungen der
U-Boote dorthin tragen jedoch einen ganz anderen Charakter als im Englischen
Kanal. Obgleich die Boote im letzteren Gebiet durch Minen, Sände, die
starke Gezeitenströmung, Gegenwirkung durch zahlreiche Zerstörer
und auch schon durch Flieger besonderen Gefahren ausgesetzt waren,
ermöglichte es ihnen anderseits dort der flache und sandige Boden fast
überall, während der Nacht auf dem Grunde liegend, die
Besatzungen neue Kräfte sammeln zu lassen. Diese Erleichterung fiel im
Norden wegen der Tiefe der Gewässer oder des felsigen Grundes fort; dabei
waren die navigatorischen Schwierigkeiten jedenfalls in der Nähe der
feindlichen Stützpunkte infolge des noch stärkeren Gezeitenstromes,
der Felsen und Risse, sowie der Verdunkelung der meisten Leuchtfeuer kaum
weniger groß als im Süden. Dazu kam, daß gewaltige
Novemberstürme die Strapazen für die
U-Bootsbesatzungen fast über das Menschenmögliche hinaus
steigerten. Dennoch wurden Leistungen erzielt, die heute noch die Bewunderung
jedes seebefahrenen Mannes erregen, obgleich den Booten infolge einer Reihe
offensichtlicher Zufälle das Kriegsglück bei diesen Fahrten nicht
hold gewesen ist.
Die Hoffnung, daß die Beschießung von Yarmouth die Große
Flotte aus ihrer Zurückhaltung herauslocken werde, hatte sich nicht
erfüllt. Diese hielt sich weiter im Gebiet der Hebriden und
Shetland-Inseln, während die Kreuzergeschwader von dort bis zur
norwegischen Küste kreuzten, um die Handelsblockade
aufrechtzuerhalten.
Zu dieser Zurückhaltung der "Großen Flotte" trug wesentlich bei,
daß [51] Admiral Jellicoe sein
zahlenmäßiges Übergewicht über die deutsche Flotte in
dieser Zeit für eine offensivere Betätigung als zu gering ansah.
Bereits am 5. November hatten die Schlachtkreuzer "Invincible" und "Inflexible"
die Flotte verlassen, um in den südamerikanischen Gewässern das
deutsche Kreuzergeschwader zu stellen, während der Schlachtkreuzer
"Princess Royal" nach Halifax ging, um die nordamerikanische Station vor einem
Überfall durch den Grafen Spee
zu schützen. Als Ersatz war zwar der
neue Schlachtkreuzer "Tiger" zur Flotte gekommen; da aber, abgesehen von dem
ständigen Ausfall zweier Linienschiffe zu regelmäßigen
Reparaturen, häufig bis zu 3 Linienschiffe gleichzeitig infolge von
Kondensatorhavarien nicht kriegsbereit waren, verfügte Admiral Jellicoe
zeitweise nur über 18 Großkampf-Linienschiffe.
Da er nicht kam, sollten deutsche U-Boote ihn bei den Hebriden und nordwestlich
von Schottland aufsuchen. Bis Mitte November waren 2
U-Boote vergeblich, teilweise bis zum Pentland Firth, vorgestoßen.
Schweres Wetter und Havarien zwangen sie vorzeitig zur Umkehr; aber
ungeachtet der Novemberstürme wurde der Versuch schon am 15.
November von "U 22" wiederholt, während am 17. 5 andere Boote
gegen das feindliche Gros ausliefen. Dies verließ an demselben Tage Scapa
Flow und nahm mit dem II. Schlachtgeschwader westlich, mit den übrigen
Streitkräften östlich der Shetland-Inseln Aufstellung, um etwa zur
Unterstützung des deutschen Kreuzergeschwaders von der Heimat
auslaufenden deutschen Schiffen den Weg in den Atlantischen Ozean
abzuschneiden. So kam es, daß "U 22" am 17. November zweimal
einen Kreuzer der Städte-Klasse sichtete, ohne aber wegen der hohen
Dünung zum Angriff zu kommen. Dagegen blieben ihm die schweren
Streitkräfte verborgen, während es selbst noch mehrfach von
feindlichen Schiffen gesichtet und gemeldet wurde. Als es dann unter vollem
Einsatz in die Buchten der schottischen Westküste und Hebriden eindrang,
fand es das Nest leer. Die Mühe war vergeblich gewesen; doch der
Kommandant, Kapitänleutnant Hoppe, ließ sich nicht so schnell
enttäuschen, vielmehr drang er am 22. November von Westen aus in den
Pentland Firth ein und verfolgte einen Flottillenführerkreuzer mit 8 bis 10
Zerstörern, bis die Dunkelheit ihn zur Umkehr zwang. Kaum hatte er
kehrtgemacht, als die englische Flotte im Schutz der Dunkelheit auf demselben
Wege, wie der gesichtete Kreuzer, Scapa zu einem Vorstoß gegen die
Deutsche Bucht verließ.
Am 24. November stand die "Große Flotte" bei Hellwerden etwa 100 sm
nordwestlich Helgoland, die Kreuzer auf 60 sm an die Insel
herangeschoben. Von Westen her sollten 3 Leichte Kreuzer der
Harwich-Streitkräfte mit 8 Zerstörern einen Fliegerangriff gegen die
Deutsche Bucht, wie er ähnlich schon Mitte Oktober, aber auch damals
ohne Erfolg, versucht worden war, durch Sichern der
Flugzeug-Mutterschiffe unterstützen. Im letzten Augenblick befahl jedoch
die britische Admiralität davon Abstand zu nehmen, da sie Nachrichten
erhalten hatte, [52] daß starke
deutsche Streitkräfte in der Bucht ständen. Das aber bewog Admiral
Jellicoe, eine Wiederholung des 28. August zu versuchen. Hierzu drangen die
Harwich-Streitkräfte zusammen mit den Panzerkreuzern des II.
Kreuzergeschwaders fast bis zur deutschen Minensperre und in Reichweite der
Geschütze von Helgoland vor. Diese feuerten ihren ersten und einzigen
Schuß im Kriege gegen den Feind, der es vorzog, verfolgt von deutschen
U-Booten, kehrtzumachen. Dabei warf das Flugzeug "25" aus 500 m
Höhe 5 Bomben auf den Kreuzer "Liverpool", von denen eine als Treffer
beobachtet wurde. Dagegen kamen die mit Dunkelheit vorstoßenden
deutschen Torpedobootsflottillen nicht mehr zum Angriff. Am 25. November
liefen die Schlachtkreuzer, Kleinen Kreuzer und Zerstörer in Rosyth und
Invergordon ein, während die übrigen Schiffe erst am 27. November
nach schwerem Südsturm dort eintrafen. In der kurzen Abwesenheit der
Flotte war ihr Stützpunkt nicht nur das Ziel von "U 22" gewesen.
Am 18. und 19. November, als die britische Flotte noch in Scapa lag, hatten die 5
am Tage vorher nach Norden entsandten U-Boote sie vergeblich in der Linie Farn
Island - Lindesnes gesucht. Ein Funkspruch der Flottenleitung wies
sie in das Gebiet westlich und östlich der Shetlands als den
wahrscheinlichsten Aufenthaltsort der "Großen Flotte". Es muß der
britischen Admiralität gelungen sein, diesen Funkspruch zu entziffern, denn
es wurde dem X. Kreuzergeschwader schon am 20. November befohlen, den an der
Ostküste der Shetlands gelegenen Hafen Swarbachs-Minn wegen eines
bevorstehenden U-Bootsangriffes zu räumen. Am folgenden Tage standen
"U 8", "U 16", "U 17" und "U 21", 2 Tage später
auch "U 22" in diesem Gebiet, ohne Kriegschiffe zu sichten. Am 22.
November lief "U 16", Kommandant Kapitänleutnant Hansen, in den
Burra Firth im Norden der Shetlands und am 23. November unter Wasser in
Lerwick ein, kam im innersten Zipfel des Hafens vor dem Queens Hotel fest,
gelangte aber nach schwierigem Unterwassermanöver zwischen Dampfern
und Schwimmkränen hindurch wieder in die freie See.
Zu derselben Zeit stieß "U 18", Kommandant Kapitänleutnant v.
Hennig, bis auf die Reede von Scapa vor. Die Besatzung hatte ihr Leben umsonst
gewagt - der Hafen war leer, die Flotte in der Nacht vorher ausgelaufen.
Um nicht ganz ohne Erfolg den Hafen zu verlassen, griff "U 18" daher
gegen Mittag einen englischen Zerstörer an. Hierbei kam das Boot infolge
fehlerhafter Tiefensteuerung im Seegang an die Oberfläche und wurde von
dem Fischdampfer "Dorothy Grey", 1 sm von der Einfahrt entfernt,
gerammt. Trotz der Verletzung der Tauchtanks kam das Boot noch auf Tiefe,
stieß dann aber so heftig auf die Felsen auf, daß
Tiefen- und Vertikalruder sich kaum mehr bewegen ließen. In
schräger Lage, ein Spielball der reißenden Strömung, immer
wieder unter Wasser, dröhnend und in allen Nieten krachend, gegen die
Felsen geworfen, wurde das Boot von dem Kommandanten und der durch seine
Kaltblütigkeit zur Höchstleistung angespornten Besatzung dennoch
aus dem Hafen gesteuert. Nach dem Auftauchen aber ließ sich [53] das fest geklemmte und
verbogene Vertikalruder nicht mehr lösen, das Boot fuhr dauernd im
Kreise. Mit Notsignalen rief man die weit entfernten Zerstörer herbei, dann
wurden die Seeventile geöffnet. Auf sinkendem Schiff stimmte die
Besatzung das Flaggenlied an und schwamm dem Feind entgegen. Hinter ihr
bäumte sich "U 18" hoch auf und schoß in die Tiefe hinab.
Am anderen Morgen erneuerten "U 22" und "U 16" den Angriff auf Scapa,
stellten aber, von Osten her in den Pentland Firth eindringend,
übereinstimmend auf der Reede weder Rauchwolken noch Fahrzeuge fest
und traten daher den Rückmarsch an.
Bei der Rückkehr nach Scapa erreichten den englischen
Höchstkommandierenden die Nachrichten von der auffallend starken und
keine Gefahren scheuenden Tätigkeit der deutschen
U-Boote in der Nähe der britischen Stützpunkte. Insbesondere
beunruhigte ihn das Eindringen deutscher U-Boote in den Hafen von Scapa und
die Buchten der Shetlands, Hebriden und schottischen Westküste. Die
Einfahrten nach Scapa waren bereits vorher bis auf zwei durch Versenken von
Schiffen gesperrt worden. Auch diese wurden nun beschleunigt durch
behelfsmäßige Netzsperren geschlossen, während
Zerstörer und Patrouillenfahrzeuge alle Buchten an der Westküste
absuchten und dort Grundminen zur Explosion brachten, um etwa noch auf dem
Meeresboden liegende deutsche U-Boote zum Auftauchen zu bringen.
Ohne zu wissen, daß sich der deutsche U-Bootsvorstoß nach Norden
mit einer Unternehmung der "Großen Flotte" nach Süden gekreuzt
hatte, und unter dem Eindruck, daß sich die britischen
Großkampfschiffe nach wie vor außer Bereich der deutschen
U-Boote und Minen hielten, faßte die deutsche Flottenleitung nunmehr den
Plan, durch einen neuen und noch kräftigeren Angriff gegen die englische
Ostküste die "Große Flotte" endlich aus ihrer Zurückhaltung
herauszubringen. Für den Angriff wurden die militärisch wichtigen
Anlagen von Hartlepool, Whitby und Scarborough in Aussicht genommen.
Noch während der Vorbereitungen traten jedoch englische
Streitkräfte vor Helgoland auf;3 gleichzeitig
wurde in englischen Zeitungen ein Angriff der deutschen Hochseeflotte auf die
englische Küste, vielleicht sogar unter Landung von Truppen, als
unmittelbar bevorstehend bezeichnet. Der Gedanke an Verrat lag daher nahe, ohne
sich jedoch später zu bestätigen. Immerhin führten diese
Umstände in Verbindung mit dauernd ungünstigen
Wetterverhältnissen zum Aufschub des Unternehmens. Als aber
"U 27" nach einer zweiten Aufklärungsfahrt in der Neumondperiode
des Dezember den Weg frei meldete, lief Kontreadmiral Hipper mit den deutschen
Schlachtkreuzern und 4 Kleinen Kreuzern, unter diesen die mit Minen beladene
"Kolberg", am 15. Dezember noch vor Morgengrauen aus, steuerte auf
irreführendem Kurs nach der Nordkante der Dogger-Bank und stieß
von dort in der nächsten Nacht mit hoher Fahrt zwischen den deutschen
[54] Minensperren vor Thyne
und Humber nach Whitby vor. Zu seiner Unterstützung wollte Admiral
v. Ingenohl bei Tagesanbruch mit der ganzen Flotte 120 sm
östlich von Whitby auf dem Ostzipfel der Dogger-Bank stehen.
Letztere bildete offenbar eine Wetterscheide, denn kaum hatten die Kreuzer sie
passiert, als starker Wind aus NW zu blasen begann. Um 7 Uhr Vm.
meldete "Straßburg" bereits von der Vorhut her, daß ein Gebrauch der
Artillerie unter Land kaum möglich sein werde, die Kleinen Kreuzer und
Torpedoboote könnten schon jetzt den Kurs nicht mehr halten. Sie wurden
daher mit Ausnahme der "Kolberg" zum Gros entsandt. Gleich darauf trennten
sich die Schlachtkreuzer in 2 Gruppen: "Seydlitz", Kapitän zur See
v. Egidy, "Moltke", Kapitän zur See v. Levetzow, und
"Blücher", Kapitän zur See Erdmann, steuerten die flache
Küste von Hartlepool, "Von der Tann", Kapitän zur See Hahn,
"Derfflinger", Kapitän zur See v. Reuter, und "Kolberg",
Kapitän zur See Widenmann, die plötzlich aus dem Dunst im
Morgengrauen hoch aufsteigende Felsenküste von Whitby und Scarborough
an. So dicht fuhren die Schiffe der Südgruppe unter Kontreadmiral Tapken,
in der hohen Dünung schwer stampfend, unter der englischen Küste
entlang, daß Eisenbahnzüge und Häuser an Land bald in allen
Einzelheiten zu erkennen waren. Der Sturm setzte jetzt in voller Wucht ein, nach
See zu wurde es daher unter dem mit zerrissenen Wolkenschleiern grau
verhangenen Himmel immer unsichtiger.
Um so überraschender brachen plötzlich gegen die nördliche
Gruppe kurz vor Hartlepool 4 Zerstörer der "River"-Klasse auf
6000 m aus dem Dunst hervor, 3 Boote drehen im Feuer der
Schlachtkreuzer ab, aber das vierte kommt schwer beschädigt zum Angriff.
Seine Torpedos laufen trotz sofortigem Ausweichmanöver dicht am Heck
von "Seydlitz" und "Blücher" vorbei; hätten sie getroffen, so
wäre die Lage der havarierten Schiffe so nahe der feindlichen Küste
äußerst gefährdet gewesen.
Kaum war dieser unerwartete Angriff abgewehrt, als von Land her
Kanonendonner dröhnte: 2 englische Batterien hatten das Feuer
eröffnet. Bald schlugen Granaten auf den Schlachtkreuzern ein, "Seydlitz"
erhielt 3, "Blücher" 6 Treffer, 9 Mann fielen, ohne daß wesentlicher
Materialschaden angerichtet wurde. Inzwischen brauste das deutsche Feuer wie
ein Orkan über die englischen Batterien, die bald zum Schweigen gebracht
waren, und die sonst militärisch wichtigen Punkte der Stadt. Gasometer
explodierten, Schiffe im Hafen, darunter der Kleine Kreuzer "Patrol", und solche
auf der Helling wurden getroffen, wertvolle Werft-, Hafen- und Eisenbahnanlagen
vernichtet, Werkstätten und andere Bauten fielen wie Kartenhäuser
zusammen. Als die Kreuzer den Rückmarsch antraten, flammten an
mehreren Stellen Brände auf. Vergeblich nahm ein U-Boot die Verfolgung
auf.
Die südliche Gruppe hatte keine Gegenwirkung gefunden, obgleich nach
späteren englischen Nachrichten beim Herannahen der Schiffe auch in
Scarborough [55] Artillerie und Infanterie
auf dem Posten gewesen waren. Vor der Schanze und den Baracken auf dem
hochaufragenden Scarborough-Felsen waren Drahtverhaue deutlich erkennbar.
Die Wirkung der Beschießung war die gleiche. Als die Schiffe nur
2000 m von Land das Feuer eröffneten und die Granaten über
die Hausdächer zu jagen begannen, wurde die mit den Schrecken des
Krieges noch unbekannte Einwohnerschaft aus dem Gefühl
vollständiger Sicherheit jäh emporgeschreckt und von Panik
ergriffen. Die Menschen verließen Schiffe und Häuser und
stürmten die Eisenbahnstation, um mit dem gerade einlaufenden Zug so
schnell wie möglich den Ort des Schreckens zu verlassen. Kurze Zeit
darauf vor Whitby dasselbe Bild. Unter der 2. Salve
S. M. S. "Von der Tann" brach das Gebäude der
Küstenwachstation mit dem Signalmast und der englischen Kriegsflagge
zusammen.
Durch die Beschießung der englischen Aufmerksamkeit entzogen, hatte
"Kolberg" inzwischen südlich von Scarborough im Anschluß an die
Minenfelder vor dem Humber das Fahrwasser mit Minen verseucht, bei der
schweren See bis 12 Grad nach beiden Seiten überholend und mit
den Kippbühnen Wasser schöpfend. Dann sammelten die beiden
Kreuzergruppen; aber noch während dies geschah, hatten sich in ihrem
Rücken beträchtliche englische Streitkräfte
zusammengezogen.
Durch Auffangen und Entziffern der deutschen Funksprüche hatte der
Feind vorzeitig von der deutschen Absicht erfahren, und so nahm bereits am 15.
Dezember von Scapa, Cromarty und Rosyth aus das II. Schlachtgeschwader mit
den Leichten Kreuzern, Schlachtkreuzern und dem III. Kreuzergeschwader Kurs
auf den Ostzipfel der Dogger-Bank, den es auffallenderweise gleichzeitig mit dem
deutschen Gros im Morgengrauen des nächsten Tages erreichen wollte.
Hierbei müssen die englischen Streitkräfte schon bald nach
Mitternacht den Kurs der deutschen Schlachtkreuzer innerhalb weniger Seemeilen
gekreuzt haben. 12 sm Backbord querab von dem II. Schlachtgeschwader
marschierten 7 Zerstörer. Diese stießen um 630 Uhr Vm. auf den
nördlichen Flügel der Marschsicherung des deutschen Gros, wurden
aber von "V 155" rechtzeitig gemeldet und unter heftigem und trotz der
Übermacht erfolgreichem Gefecht geschickt vom eigenen Gros nach
Norden abgezogen. Dieses drehte, um sich der Gefahr nächtlicher
Zerstörerangriffe zu entziehen, sofort auf Gegenkurs, während nun
auch der Kleine Kreuzer "Hamburg" die Zerstörer unter vernichtendes
Feuer nahm und einen schwer beschädigte. Ohne die an sich richtige
Schwenkung nach Osten wäre die deutsche Flotte wahrscheinlich bei
Tagesanbruch überraschend auf die englischen Streitkräfte
gestoßen. Es würden dann 14 deutsche Großkampfschiffe 10
englischen mit 7 Zerstörern gegenübergestanden haben; 5
Torpedobootsflottillen und die von Westen her zu erwartenden deutschen
Schlachtkreuzer sowie die älteren Schiffe des II. Geschwaders gar nicht
gerechnet - eine Gelegenheit für einen überwältigenden
deutschen Sieg, wie sie niemals wiederkam und hier durch einen Zufall verloren
ging! Aber selbst nach [56] Tagesanbruch drehte der
Flottenchef nicht mehr nach Westen, um die planmäßige
Aufnahmestellung aufzunehmen, mit der Kontreadmiral Hipper und seine Kreuzer
bestimmt gerechnet hatten; vielmehr setzte er, in der Besorgnis, bereits mehr
gewagt zu haben, als der Operationsbefehl ihm gestattete, den Rückmarsch
fort, noch ehe er Meldung von der planmäßigen Durchführung
der Küstenbeschießung erhalten hatte.
Durch "Hamburg" und um 9 Uhr Vm. durch "Stuttgart" nochmals schwer
bedrängt, waren die britischen Zerstörer rechtzeitig
abgeschüttelt worden, und zwei von ihnen mußten, schwer
beschädigt, sofort die heimischen Häfen aufsuchen. Von deutscher
Seite gestört, erreichten ihre F. T.-Signale nur unvollständig
und verspätet den Chef des II. Schlacht- und des I.
Schlachtkreuzergeschwaders, und unbegreiflicherweise erhielt Admiral Jellicoe
erst zwei Stunden nach Beginn der Beschießung von Scarborough Kenntnis
von der Anwesenheit deutscher Streitkräfte vor der Doggerbank. Die
"Große Flotte" lief daher erst mittags von Scapa aus und war nicht mehr
imstande, noch an diesem Tage in irgendwelche Gefechte einzugreifen. Dagegen
konnte das III. Schlachtgeschwader vom Firth of Forth noch rechtzeitig auslaufen,
um den deutschen Schlachtkreuzern den Weg nördlich der Minensperre vor
dem Tyne zu verlegen, während sich das II. Geschwader und die
Schlachtkreuzer mit den Leichten Kreuzern etwa 70 sm östlich der
Sperrlücke der Tyne- und Humbersperre aufstellten. Von Süden her
strebten ihnen die Harwich-Streitkräfte zu. Die Sichtweite betrug
5 sm, wurde aber bei hoher Fahrt der Schiffe durch helle Seen, die sich
über die Kommandobrücken ergossen, noch weiter
eingeschränkt. Gegen 1230 Uhr mittags tauchten von Westen
her nacheinander drei Kleine deutsche Kreuzer, "Stralsund", "Straßburg"
und "Graudenz" mit je einer Halbflottille auf und liefen an der Stelle, wo sie das
deutsche Gros zu erwarten glaubten, in die feindliche Falle.
Als vorderster Kreuzer sichtete "Stralsund", Kapitän z. S. Harder, in
Dunst und Spritzwasser den Gischt einer weißen Bugwelle, dann erst das
Schiff, und bald ein zweites und drittes, Kreuzer der
Städte-Klasse, auf nordwestlichem Kurs. "Stralsund" eröffnet das
Feuer, das erst nach der vierten Salve erwidert wird; der Feind dreht auf
Südost zum laufenden Gefecht, in das nun auch die anderen deutschen
Kreuzer mit ihren Halbflottillen eingreifen. Bei den Wetterverhältnissen
wurden auf beiden Seiten keine nennenswerte Erfolge erzielt. Plötzlich
tauchen im Süden auf 5000 m 6 Linienschiffe des II.
Schlachtgeschwaders auf; die deutschen Kreuzer sind aufs höchste
gefährdet, aber das Geschwader hält sie, getäuscht durch das
sofort mit Scheinwerfern abgegebene englische Erkennungssignal, anscheinend
für die eigenen Kleinen Kreuzer; seine Geschütze schweigen. Auch
die feindlichen Kleinen Kreuzer drehen auf ein mißverstandenes Signal
Admiral Beattys hin plötzlich nach Nordwesten ab und geben damit
überraschend den Weg nach der Deutschen Bucht frei. Bald haben sich
beide Parteien im Dunst und Gischt aus Sicht verloren.
[57] Als die ersten
F. T.-Meldungen der Kleinen Kreuzer bei Admiral Hipper eingingen, schien es
zunächst, als ob sie zwischen zwei Linienschiffsverbände geraten
wären. Hilfe vom Gros war nicht zu erwarten, nach seiner Meldung stand
es bereits 120 sm vom Kampfplatz entfernt; sie konnte also nur von den
Schlachtkreuzern kommen. Bald ertönt Trommel und Horn, und ohne
Rücksicht auf die feindliche Übermacht von 10
Großkampfschiffen steuert Admiral Hipper mit höchster Fahrt auf
den Feind zu. Erst als "Stralsund" diesen aus Sicht meldet, schwenkt "Seydlitz"
mit den anderen Schlachtkreuzern auf Norden, eine Stunde später auf
Nordost, und so gelingt es, die Übermacht zu umgehen. Der Erfolg des
Tages ist für die deutsche Partei gerettet. Alle Schiffe erreichen, trotzdem
die Fahrt des Gros mehrfach durch treibende oder verankerte Minen geht und die
Marschsicherung zweimal Torpedolaufbahnen und feindliche
U-Boote meldet, ohne weitere Zwischenfälle die heimischen Häfen.
Das auf der Elbe bereitgehaltene IV. Geschwader und die Minenleger auf Ems,
Jade und im Lister Tief kommen ebensowenig zum Einsatz wie drei deutsche
U-Boote, die während der Unternehmung vor dem Humber Aufstellung
genommen hatten. Schon in den nächsten Tagen aber gerieten mehrere
englische Dampfer auf die Sperre der "Kolberg".
Fast 2000 15-cm- und 8,8-cm-Granaten waren auf die militärisch wichtigen
Anlagen der drei Städte verfeuert worden. In der Welt und wohl auch in
England selbst hatte die englische Küste für unantastbar gegolten. In
Holland rief daher, wie damals berichtet wurde, nichts anderes eine
größere Aufregung hervor, wie die Nachricht von diesem
kühnen und wohlgelungenen Angriff. Seit dem Jahre 1667, dem Eindringen
des holländischen Admirals de Ruyter in die Themse, hatten
feindliche Kanonen nicht mehr die Ruhe der Insel gestört. Der Ingrimm des
seegewaltigen Englands kannte keine Grenzen. Es suchte Schutz hinter
Bestimmungen des Völkerrechts, wie immer, wenn der wirksamere durch
seine Großkampfschiffe versagt hatte. Die Beschießung sei auf Grund
des 9. Abkommens der II. Haager Konferenz vom 18. Oktober 1907
völkerrechtswidrig, weil offene Plätze ohne vorherige
Ankündigung beschossen und dadurch der Tod zahlreicher Zivilpersonen
herbeigeführt worden wäre. Obgleich gerade Mächte des
Feindverbandes diesen Vertrag nicht ratifiziert hatten und sich daher am
wenigsten auf seine Bestimmungen berufen konnten, obgleich englische
Seestreitkräfte im Krimkriege ohne weiteres offene russische
Küstenplätze bombardiert und noch vor kurzem die Häuser
der Zivilbevölkerung von Ostende keineswegs geschont hatten, war
entgegen all den entrüsteten Behauptungen der Feinde eben das Abkommen
von den deutschen Seestreitkräften eingehalten worden. Es berechtigte nach
Artikel I und II ausdrücklich zur Beschießung aller
verteidigten Plätze sowie aller militärisch verwendbaren
Einrichtungen in unverteidigten Plätzen. Diese Voraussetzungen trafen
für alle drei Städte zu; insbesondere gehört Hartlepool auch
nach den amtlichen britischen Listen zu den in Kriegs- und Friedenszeiten von
britischen Landstreitkräften besetzten Küstenbefestigungen; aber
auch Scarborough [58] hatte solche
aufzuweisen, während Whitby Küstenwachstation war. Auch das
Unterlassen einer Ankündigung vor der Beschießung war nach den
Bestimmungen des Abkommens durchaus zulässig und durch die
militärische Lage als selbstverständlich gegeben. So bedauerlich es
an sich war, daß den Angriffen der deutschen Schiffe auch Zivilpersonen
zum Opfer fielen, so nachdrücklich mußte doch betont werden,
daß sich die Angriffe durchaus in den Grenzen der völkerrechtlich
erlaubten Kriegführung gehalten hatten. Sie waren letzten Endes nur die
Folge der von England beliebten Kriegspolitik, dem Entscheidungskampf der
Seestreitkräfte auszuweichen und an seine Stelle Kriegsmaßnahmen
gegen die Bevölkerung zu setzen. Gegenüber der Hungerblockade
waren die Schrecken der deutschen Küstenbeschießungen gering.
Erstere wurde aus dem Hinterhalt ausgeübt, letztere verlangte den
kühnen Einsatz von Schiff und Besatzung. Ihr Zweck war, den Feind
endlich zu Gegenangriffen zu veranlassen.
Englische Gegenmaßnahmen.
Nachrichten über einen bevorstehenden Angriff auf die deutsche
Küste wurden seit dem 1. Dezember immer zahlreicher. In Liverpool
sollten 200 Dampfer, darunter als Kriegschiffe maskierte Handelsfahrzeuge, zu
einem großzügigen Sperrversuch gegen Elbe, Jade, Weser und Ems
bereit liegen. Die deutsche Flotte hielt sich daher in erhöhter Bereitschaft;
eine große Zahl von U-Booten wurde in Wartestellungen in der Deutschen
Bucht zurückgehalten, um den Feind vielleicht im Anmarsch
während der Nacht zu überraschen. Die Minensperre vor Helgoland
wurde durch "Nautilus" und "Pelikan" in der Nacht um 13 sm nach Norden
verlängert, und mehrfach wurden Vorstöße der Kleinen
Kreuzer und Torpedobootsflottillen bis 100 sm außerhalb Helgolands
ausgeführt. Endlich am 25. Dezember schien bei Hellwerden
Kanonendonner nordwestlich von Wangeroog und Neuwerk den erwarteten
Angriff anzukündigen, und bald meldete Helgoland 18 sm
nördlich der Insel einzelne feindliche Streitkräfte. Bei der
großen Sichtweite wurden 2 Flottillenführerkreuzer, 3
Zerstörer und 4 Dampfer erkannt, die zunächst als Minenleger
angesprochen wurden, sich aber dann als
Flugzeug-Mutterschiffe herausstellten.
Die Flotte geht in verschärfte Bereitschaft, klar zum sofortigen Auslaufen.
Zum Aufklärungsflug steuert "L 5" von Cuxhaven her nach
Nordwesten. Über der Weser sichtet er eine Staffel von drei britischen
Wasserflugzeugen, die er sofort an die Luftschiffhallen in Nordholz durch
Funkspruch meldet. Dann steigt das Luftschiff zum Angriff auf große
Höhe, aber die Flieger drehen ab und sind bald aus Sicht. Schon quillt
Nebel in den Flußmündungen auf und erschwert den Fliegern das
Finden der Ziele. Nur zwei von sieben angesetzten Flugzeugen gelingt es daher,
Nordholz zu erreichen; aber ihre Bomben verfehlen Hallen und Gasometer und
fallen 400 m von diesen entfernt in den Wald. Dann wird den Flugzeugen
über Weser, Jade und Wangeroog von den dortigen
Vorpostenstreit- [59] kräften, Kleinen
und Großen Kreuzern und Landbatterien, mit heftigem Geschützfeuer
ein heißer Empfang bereitet. Inzwischen haben sich die englischen
Seestreitkräfte zur Aufnahme der Flugzeuge eben außerhalb der
deutschen Minensperre von Helgoland nach Norderney gezogen. Vergeblich
versuchen einige deutsche U-Boote aus ihren Wartestellungen heraus auf die
schnell beweglichen Schiffe zum Angriff zu kommen, während andere, aus
der Ems auslaufend, mit englischen U-Booten ins Gefecht verwickelt werden.
Dann aber stürzen sich die Helgoländer Flugzeuge "25" und "26"
unter Kapitänleutnant Berthold und Oberleutnant zur See
v. Tschierschky aus niedriger Wolkendecke hervor in 800 und 500 m
Höhe auf den Feind. Ein Zerstörer, ein Kleiner Kreuzer und ein
Flugzeug-Mutterschiff werden mit Reihen von 5 bis 7 Bomben belegt und Treffer
erzielt. Auf letzterem bricht ein schwerer Brand aus. Zwar zerschmettert ein
5-cm-Volltreffer auf "Nr. 25" den vorderen Holm, aber das Flugzeug kann
sich halten und fliegt, was der Motor hergibt, hinter den anderen nach Helgoland
zurück, um neue Munition zu holen.
Auch "L 6", Oberleutnant zur See Frhr. v. Buttlar, kommt zum Angriff trotz
lebhaftem Gewehr- und Geschützfeuer, das seine Hülle an mehreren
Stellen zerreißt, während "L 5" und die Flugzeuge "80" und
"84" den Feind nicht aus den Augen lassen und jede seiner Bewegungen sofort an
die Flottenleitung melden, bis sich langsam Nebel aus den
Flußmündungen nach See zu ausbreitet. Zwar gelingt es den
Engländern, 2 Flugzeuge einzusetzen, dann laufen sie mit hoher Fahrt nach
Westen ab; 3 Flugzeuge aber bleiben, zum Teil havariert, 25 sm
westsüdwestlich von Helgoland liegen. Kaum sichtet "L 5",
Oberleutnant zur See Hirsch, diese, als er sie mit Bomben belegt; aber fast
gleichzeitig taucht ein englisches U-Boot auf, nimmt die Flugzeugbesatzungen in
größter Eile an Bord und entgeht weiteren Angriffen des Luftschiffes
durch Tauchen. 2 weitere Flugzeuge sinken an anderer Stelle. Die übrigen
Streitkräfte kommen um 120 Uhr Nm. nördlich der
Ems aus Sicht.
Eine Unterstützung durch ihre eigene Flotte hatten sie nicht zu erwarten.
Zwar befanden sich nicht weniger als 4 Schlachtgeschwader mit Kreuzern und
Flottillen in See; sie standen aber um 2 Uhr Nm. erst 160 sm
östlich des Firth of Forth und wurden durch falschen
U-Bootsalarm im Vormarsch gehindert. Dann setzte ein schwerer Sturm ein, so
daß sich beim Einlaufen nach Scapa Flow unter seiner Einwirkung auch
noch 2 Großkampfschiffe, "Monarch" und "Conqueror", schwer rammten.
Zwischen Kräfteaufwand und Ergebnis des englischen Angriffs bestand
daher ein ausgesprochenes Mißverhältnis. Nach zweimaligem
rücksichtslosen Vordringen der deutschen Schlachtkreuzer bis an die
feindliche Küste muß man das englische Gegenstück, den
Einsatz von sechs Flugzeugen, als recht bescheiden bezeichnen.
Schon vor dem Fliegerangriff gegen Cuxhaven hatten englische Linienschiffe die
Beschießung der flandrischen Küste wieder aufgenommen. Zur
Gegenwehr [60] war daher "U 24",
Kommandant Kapitänleutnant Schneider, bereits am 22. Dezember nach
Zeebrügge und von dort am 27. in den Englischen Kanal ausgelaufen.
Zwischen der Isle of Wight und Plymouth wurden mehrfach große Schiffe
gesichtet; in der Neujahrsnacht aber stieß "U 24" bei schwerem
Südsturm, der das Tiefensteuern nicht wenig erschwerte, im Mondschein
auf ein nach Westen marschierendes Geschwader. Zwar blieb der Angriff auf die
vordere Gruppe von drei abgeblendeten großen Kriegschiffen erfolglos;
dann aber wurde das letzte Schiff einer zweiten Gruppe von 5 Linienschiffen nach
dem Kommando: "3. und 4. Rohr los!" von einem Torpedo getroffen und blieb
mit schwerer Schlagseite liegen, während die anderen sich, ohne auch nur
mit dem Scheinwerfer zu leuchten, eiligst entfernten und das havarierte Schiff, es
war die "Formidable", fast wehrlos seinem Schicksal überließen. Der
zweite Angriff führte "U 24" in dem ungewissen Licht zu nahe an
den Gegner heran, um 4 Uhr Vm. aber erreichte der zweite Torpedo
sein Ziel. Zahlreiche Schiffstrümmer prasselten auf das tauchende
U-Boot hernieder und richteten selbst dort noch Verwüstungen an.
Minenabweiser und Sehrohr wurden verbogen. Da die Torpedos bis auf zwei
verschossen und der Gefechtsrudergänger schon vor dem Angriff durch
eine schwere See über Bord gespült war, lief Kapitänleutnant
Schneider nach dem Angriff in Zeebrügge ein.
Inzwischen war als einziges Schiff der Kleine Kreuzer "Topaze" herbeigeeilt,
konnte aber wegen des zunehmenden Seeganges nur wenige Leute retten. Bei
Tagesgrauen sank die "Formidable" und mit ihr 600 Mann. Die langsame Fahrt
der in Kiellinie fahrenden Schiffe, das Fehlen jeder Zerstörersicherung und
der helle Mondschein hatten den deutschen Erfolg begünstigt.
Die Empörung über die wiederum fehlerhaften Maßnahmen
der britischen Admiralität kannte daher in England keine Grenzen. In
Deutschland weckte dagegen der Neujahrsgruß von "U 24"
große Begeisterung, schien er doch von guter Vorbedeutung für den
Verlauf des Seekrieges im Jahre 1915. Aber schon die ersten Tage des Januar
brachten insofern eine Enttäuschung, als mit dem Auffinden der ersten
englischen Minensperren in der Deutschen Bucht deutlich erkennbar wurde,
daß der Feind noch mehr als bisher auf die erwartete Offensive zu
verzichten beabsichtigte und auch seinerseits zum Kleinkrieg überging.
Schon bei dem englischen Vorstoß in den Weihnachtstagen 1914 war der
Verdacht aufgetaucht, daß eine Minenverseuchung der deutschen
Auslaufwege vielleicht mit ihm verbunden gewesen sei. Schwere Stürme
verhinderten aber nähere Feststellungen, bis das Auflaufen des
norwegischen Dampfers "Castor" auf englische Minen westlich der
Amrum-Bank die Vermutungen bestätigte. Statt des bisherigen Absuchens
der Flußmündungen und der Helgoländer Bucht auf Minen und
U-Boote standen die Minensuch-Divisionen nun zum ersten Male vor der
Aufgabe der Feststellung und Räumung scharfer feindlicher Minensperren.
Sie entledigten sich dieser in hervorragender Weise. Sehr bald aber erkannte man,
daß [61] das systematische
Absuchen und Räumen selbst eines Quadrats von nur 5 sm
Seitenlänge bei ungünstigen Wetterverhältnissen Wochen
beanspruchen mußte. Hand in Hand gehend mit der Einstellung von
Fischdampfern in Minensuch-Divisionen und Vermehrung der
Spezialminensuchboote beschränkte man sich schließlich mit
zunehmender Verseuchung der ganzen Bucht durch englische Minen auf das
Freihalten von Auslaufwegen in den verschiedensten Richtungen, während
man die feindlichen Sperren im übrigen in das Verteidigungssystem der
Deutschen Bucht eingliederte.
Aber auch an feindlicher Gegenwirkung fehlte es nicht. Am 25. Januar wurde die
III. Minensuch-Division in ihrem Arbeitsgebiet von einem feindlichen
U-Boot angegriffen; Torpedoboote mußten daher nunmehr die Sicherung
übernehmen. Am 13. Februar kehrte eins von diesen, "V 25", von
diesem Dienst nicht mehr zurück. Boote der IX. Flottille fanden nur
Leichen und Trümmer und wurden bei der Bergung von einem
U-Boot beschossen, dem wahrscheinlich auch "V 25" zum Opfer gefallen
war.
Die Feststellung von drei dichten, in Staffeln ausgelegten Minensperren bei
Amrum-Bank, deren Beseitigung erst am 27. April beendet wurde, verdient aus
dem Grunde besonderes Interesse, als sie offensichtlich aus der ausgebojten und
öffentlich als Handelsschiffweg bekanntgegebenen Fahrstraße weit
außerhalb der Dreimeilengrenze ausgelegt waren, ein Verfahren, das um so
sonderbarer berühren mußte, als England es bisher feierlich als
völkerrechtswidrig bezeichnet hatte. Während es nicht
genügend Ausdrücke der Entrüstung über die
angebliche Gefährdung der neutralen Handelsschiffahrt durch die
Minensperre der "Berlin" vor seiner eigenen Küste hatte finden
können, verfolgte es mit seinen eigenen Sperren bei
Amrum-Bank keinen anderen Zweck als die Unterbindung des loyalen Handels
der Neutralen mit Deutschland, insbesondere der Baumwollzufuhr aus Amerika,
nachdem sich die Neutralen nicht ohne weiteres dem britischen Verbot des
völkerrechtlich erlaubten Seeverkehrs mit Deutschland gefügt hatten.
Um so weniger schienen für die deutsche Seekriegführung
Hemmungen in dieser Richtung noch angebracht. Es wurden daher die befestigten
Plätze Englands und insbesondere die Docks und militärischen
Anlagen an der Themse unter ausdrücklicher Schonung der eigentlichen
Stadt London für Luftschiffangriffe freigegeben; außerdem wurde
eine Minenverseuchung des Gebietes 50 sm östlich des Humber in
Aussicht genommen.
Im Gegensatz zu der englischen Unternehmung gegen die Amrum-Bank war aber
die deutsche in erster Linie gegen Kriegschiffe gerichtet, da man seit einiger
Zeit - vielleicht getäuscht durch englische
Scheinkriegsschiffe - zahlreiche schwere Streitkräfte im Humber
vermutete. Die Durchführung der Aufgabe sollte diesmal durch das
Vorgehen der ganzen Flotte unterstützt werden; aber wegen der
beginnenden englischen Minenverseuchung der Deutschen Bucht sowie der
immer zuverlässiger lautenden Nachrichten von einem großen
englischen Sperrversuch [62] gegen die deutschen
Flußmündungen sah man schließlich davon ab, damit die Flotte
nicht bei ihrer Rückkehr die eigenen Häfen blockiert
fände.
Während drei U-Boote, "U 19", "U 22", "U 31", vor der Themse
Aufstellung nahmen, wo man zu dieser Zeit ebenfalls Schiffe der I. und II.
englischen Flotte vermutete, liefen die Kleinen Kreuzer "Stralsund" und
"Straßburg" in der Nacht zum 15. Januar allein gegen den Humber aus.
Selbst die begleitenden Torpedoboote hatten sie wegen zunehmender grober See
bald zurücklassen müssen. Das beabsichtigte Gebiet wurde gegen
Morgen von "Straßburg" ohne jegliche Gegenwirkung verseucht, aber auch
auf dem Rückmarsch nach der Jade trafen die Kreuzer kein feindliches
Schiff.
Noch während sie in See waren, lief jedoch bei der deutschen
Flottenleitung folgende sehr bestimmte Nachricht aus Amerika ein: "Blockschiffe
sammeln sich Belfast. 3000 Mann für die Unternehmung verpflichtetes
Maschinenpersonal werden bis zum 20. Januar zurückerwartet." Obgleich
man auf deutscher Seite einen Sperrversuch mit Blockschiffen gegen die Deutsche
Bucht stets als abenteuerlich angesehen hatte, konnte auf diese bestimmte
Nachricht nicht länger mit Vorbereitungen zur Abwehr gezögert
werden. Vom 16. Januar befanden sich daher alle Geschwader, insbesondere auch
die verstärkten Ems-Streitkräfte, klar zum sofortigen Auslaufen auf
den Außenreeden, Minenleger bereit zum Auslegen von Minensperren,
U-Boote in Wartestellungen außerhalb Helgolands, während bei Tage
Flieger und Luftschiffe, bei Nacht Torpedobootsflottillen die äußere
Bucht auf feindliche Streitkräfte absuchten. Und in der Tat schienen am 19.
Januar Vm. Flugzeugmeldungen die abenteuerlichen Vermutungen zu
bestätigen. Das Flugzeug Nr. "80" sichtete 11 Uhr Vm.
nordwestlich Helgolands, gesichert durch Zerstörer und Kleine Kreuzer,
eine Flotte von über 100 Fahrzeugen, deren Spitzenschiffe als Kriegschiffe
ausgemacht wurden. Auch von den ausliegenden Booten "U 8",
"U 14" und "U 17" sowie von dem Flugzeug Nr. "78" wurden
nicht nur leichte feindliche Streitkräfte, sondern auch 5 Schlachtkreuzer der
"Lion"-Klasse mit Bestimmtheit ausgemacht, die sich Helgoland bis auf
40 sm näherten. Eine Zeit lang befand sich daher die zu spät
gewarnte III. Minensuch-Division in ihrem Arbeitsgebiet auf der
Amrum-Bank in großer Gefahr, vorgeschobene Bojenboote sichteten bereits
Masten und Rauchwolken des Feindes. Aber gegen Mittag war der Feind
plötzlich verschwunden. Gegen Abend befanden sich nach den Meldungen
der Flugzeuge und Luftschiffe keine feindlichen Streitkräfte mehr zwischen
Terschelling und Hornsriff. Der Zweck des britischen Vorstoßes blieb daher
rätselhaft; man konnte nur annehmen, daß der Feind, als er sich durch
die deutschen U-Boote und Flugzeuge verraten sah, seine Unternehmung vorzeitig
abgebrochen hatte, um sich vor dem zu erwartenden Nachstoß deutscher
Torpedobootsflottillen in der kommenden Nacht rechtzeitig in Sicherheit zu
bringen. Ferner ließ die Schnelligkeit, mit welcher der Rückzug
erfolgt war, darauf [63] schließen,
daß sich zum mindesten bei den gesichteten Schiffen keine in Blockschiffe
verwandelte Handelsdampfer befunden hatten. Wie dem auch sei, die sofort zur
Verfolgung angesetzten Flottillen trafen nichts mehr vom Feind. Wie später
von englischer Seite behauptet,4 soll es sich nur um eine
Aufklärung der Deutschen Bucht durch die Kreuzergeschwader gehandelt
haben.
Deutsche Luftschiffs- und Kreuzeroffensive Anfang
1915.
Noch in der folgenden Nacht stießen "L 3" und "L 4" unter den
Kapitänleutnants Fritz und Graf v. Platen gegen die englische
Küste vor, während "L 6" wegen großer Regenbelastung
schon bei Terschelling hatte kehrtmachen müssen. Den Humber, Norfolk
und Yarmouth in Höhen von 250 bis 1200 m überfliegend,
trafen ihre Spreng- und Brandbomben trotz Regen, Nebel, Scheinwerfern und
heftiger Beschießung wichtige Ziele. Der erste Luftschiffangriff gegen
England war geglückt.
Um die Minensperre vor dem Humber bald zur Wirkung zu bringen, hatte die
deutsche Flottenleitung inzwischen bei dem Admiralstab angeregt, in England die
Nachricht verbreiten zu lassen, daß in der Nacht zum 20. Januar ein
deutscher Vorstoß dorthin geplant sei. Infolge verspäteter
Übermittlung durch die Agenten entstand jedoch bei der britischen
Admiralität der Eindruck, daß dieser Angriff am 24. Januar erfolgen
würde. Auf die Meldung hin wurde in aller Eile die gesamte Flotte zum
Gegenstoß angesetzt. Im Morgengrauen des 24. Januar trafen sich daher das
I. und II. britische Schlachtkreuzergeschwader und das I. Leichte
Kreuzergeschwader mit den Harwich-Streitkräften auf der
Dogger-Bank, das II. Schlacht- und III. Kreuzergeschwader als Rückhalt,
während 3 weitere englische Schlachtgeschwader und 4
Kreuzergeschwader mit 28 Zerstörern demselben Treffpunkt
zustrebten.
Ohne zu ahnen, daß der Pfeil, den er abgeschossen hatte, im Begriff war,
auf den Schützen zurückzukehren, hatte Admiral Jellicoe für
den gleichen Zeitpunkt einen kurzen Vorstoß der Kreuzer nach der
Dogger-Bank befohlen, um nach dem erfolgreichen Verlauf häufiger
Nachtvorstöße der Torpedoboote das nach langer Zeit einmal
günstige Wetter zur Schädigung der dort ständig vermuteten
Leichten Streitkräfte und Fischdampfer auszunutzen. Den Schlachtkreuzer
"Von der Tann" und den Kleinen Kreuzer "Straßburg" wegen dringender
Instandsetzungsarbeiten in der Werft zurücklassend, war Kontreadmiral
Hipper am 23. Januar in der Dunkelheit ausgelaufen und stand mit Tagesanbruch
bei auffrischendem Wind auf der Südostkante der
Dogger-Bank, "Graudenz" und "Stralsund" als Vorhut, "Kolberg" und "Rostock"
als Backbord- und Steuerbordseitendeckung, bei jedem Kleinen Kreuzer eine
Torpedobootshalbflottille, dahinter die Kiellinie der Schlachtkreuzer, "Seydlitz",
Kapitän zur See v. Egidy, "Moltke", [64] Kapitän zur See
v. Levetzow, "Derfflinger", Kapitän zur See v. Reuter, und
"Blücher", Kapitän zur See Erdmann.
Als es hell wird, ertönt an Backbord Kanonendonner. "Kolberg"
beschießt den Kleinen Kreuzer "Aurora" von den
Harwich-Streitkräften, der erst nach drei Minuten das Feuer erwidert.
Hinter dem Feind werden Zerstörer und mehrere Rauchwolken gesichtet,
aber auch von "Stralsund" solche in Nordnordwest gemeldet. Zahl und Art der
feindlichen Streitkräfte sind in der Morgendämmerung bei grauer
See, grauem Himmel und dem grauen Anstrich der Schiffe nicht auszumachen.
Kontreadmiral Hipper schwenkt daher, einer alten Kreuzerregel folgend,
zunächst vom Feind ab auf Südost und läßt sammeln.
Inzwischen entwickelt sich das Bild achteraus schon bedrohlicher: im Norden 4
Kreuzer der "Chatham"-, 3 der "Arethusa"-Klasse und etwa 26 Zerstörer,
hinter diesen weitere Rauchwolken, während in Nordnordwest mindestens
8 große Schiffe von "Stralsund" gemeldet werden. Das eigene Gros ist nicht
in See, der Kampf soll daher erst in größerer Nähe der
Deutschen Bucht angenommen werden. "Kurs Südost, hohe Fahrt,
Torpedoboote und Kleine Kreuzer an die Spitze der Linie", lautet der
Signalbefehl. Der Feind folgt, und 935 Uhr schiebt sich steuerbord
achteraus, durch fünf starke Rauchwolken angekündigt, die Kiellinie
der britischen Schlachtkreuzer "Lion", "Princess Royal", "Tiger", "New Zealand"
und "Indomitable" über den Horizont; ungewiß ist, was an
Geschwadern noch folgt. Bald steigern die ersten drei ihre Geschwindigkeit bis auf
28,5 sm und kommen Knoten um Knoten auf, während die
deutschen Schlachtkreuzer, mit Rücksicht auf den langsameren
"Blücher", noch nicht 24 sm erreichen. Die Schlacht steht bevor,
Funksprüche melden es dem britischen und deutschen Flottenchef. Admiral
Jellicoe geht mit der Flotte sofort auf 19 sm, um den Kampfplatz so bald
als möglich zu erreichen, während er das II. Leichte
Kreuzergeschwader mit höchster Fahrt dem Führer der Kreuzer,
Admiral Beatty, entgegenschickt. Gleichzeitig befiehlt er dem III.
Schlachtgeschwader und III. Kreuzergeschwader, sofort Kurs auf Helgoland zu
nehmen, um die deutschen Kreuzer abzuschneiden.
Den deutschen Flottenchef trifft die Meldung völlig überraschend. Er
hatte die schweren englischen Streitkräfte bestimmt beim
Kohlenauffüllen in ihren Häfen vermutet, eine Annahme, die in der
Tat bis zum Eintreffen des von ihm selbst lancierten Angriffsgerüchtes
zutreffend gewesen war. Sein III. und kampfkräftigstes Geschwader ist zu
dringenden Übungen nach Kiel entsandt; die übrigen
Streitkräfte befinden sich in dem normalen Bereitschaftszustand und
müssen erst auf den Außenreeden sammeln, um
vorzustoßen.
Der englischen Küste näher als der deutschen, hat inzwischen
draußen auf See der Kampf begonnen. Dicke Rauchschwaden ziehen hinter
den mit äußerster Kraft dahinjagenden Geschwadern und Flottillen
her und verdecken bei dem nach Westen wehenden Wind für die deutschen
Visiere mehr oder weniger das Ziel. Noch sind die feindlichen Schlachtkreuzer
kaum mit den Aufbauten über dem [65] Horizont, als bereits
hochaufspritzende Aufschläge im deutschen Kielwasser anzeigen,
daß "Lion" das Feuer auf eine Entfernung von nicht weniger als
20 km eröffnet hat. Langsam schießt er sich mit
Einzelschüssen an "Blücher" heran, und 1012 Uhr schlägt dort die erste
Granate ein. Inzwischen hat auch "Tiger", dann "Princess Royal" zu feuern
begonnen. 1010 Uhr sind die
britischen Schlachtkreuzer auf 18 km heran, und nun erst gestatten die
Lafetten, daß auch "Derfflinger" und nach ihm die anderen deutschen
Schlachtkreuzer mit allen schweren Geschützen der Steuerbordseite das
Feuer eröffnen. Das Wirkungsschießen beginnt, und um 1021 Uhr erhält "Lion" seinen
ersten Treffer. Jetzt verhält der Gegner und weicht jedem Heranstaffeln der
deutschen Schiffe aus, bestrebt, an der Grenze der Reichweite der deutschen
Geschütze die eigenen um so wirksamer zum Einsatz zu bringen.
In beiden Linien schieben sich die Schiffe hin und her, um Aufschlägen
auszuweichen und es dem Gegner zu erschweren, am Ziel zu bleiben.
Einschläge aber sind wegen des großen Einfallwinkels um so
furchtbarer, weil sie, statt auf dem Seitenpanzer, auf Decks und Turmdecken
aufschlagend, diese bei ihrer geringen Panzerung leicht durchbrechen und ihre
verheerende Wirkung von oben her tief in das Schiff hineintragen, um so
vernichtender, wenn der Zufall es will, daß sie lebenswichtige Räume
des Schiffes erreichen. Der Vorteil der Zahl, des stärkeren Kalibers, der
größeren Geschwindigkeit und der schießtechnisch
günstigeren Stellung zum Winde ist beim Feind. Bald neigt sich auch das
Kriegsglück ihm zu. Um 1043 Uhr lodert auf dem deutschen
Flaggschiff eine haushohe Flamme empor, aus der, plötzlich verstummend,
die geschwärzten Geschütze der zwei hinteren Artillerietürme
starren. Eine schwere englische Granate hat das Oberdeck und die 230 mm
starke Barbette des achteren Turmes durchschlagen. Glühende
Sprengstücke dringen in die Umladekammer und entzünden dort
einige Kartuschen. Die Stichflamme schießt nach oben in den
Geschützturm und nach unten in die Munitionskammer und findet dort
reiche Nahrung. Munitionsmänner reißen mit letztem Atemzug die
Tür zur Kammer des Nachbarturms auf, aber die Flamme schießt
über sie hinweg auch in diesem Turm nach oben und leckt mit hell
lodernder Fackel über beide Türme hinweg bis hinauf zu den
Masten, 165 Menschen mit einem Schlage in ihrer Glut begrabend. Aber schon
sind von unerschrockener Hand die Flutventile geöffnet, Seewasser rauscht
in die glühenden Munitionskammern, und so wird die Explosion
verhindert. Gas- und Brandschwaden verpesten das Achterschiff und erreichen die
Ruderräume, die für eine halbe Stunde verlassen werden
müssen. Während das Achterschiff in hellen Flammen steht, setzt das
Salvenfeuer der drei vorderen Geschütztürme keinen Augenblick
aus, ein Anblick, schrecklich und erhaben zugleich. Nur zwei Minuten
später dringt auch auf dem britischen Flaggschiff eine Granate durch den
Panzer bis zu einer Munitionskammer vor, und nur ein Zufall verhindert,
daß es das Schicksal der drei, später in der Skagerrakschlacht
auffliegenden britischen Schlachtkreuzer erleidet.
|
[66] Die wilde Jagd rast
weiter, aber große Zwischenräume trennen das britische Geschwader
in drei Gruppen. Von Norden her suchen sich jetzt leichte Streitkräfte des
Gegners den deutschen Schiffen zu nähern, aber der Granatenhagel der
deutschen Mittelartillerie erstickt den Versuch im Entstehen. Um 1125 Uhr schlägt auf
"Blücher" ein Treffer ein, der sich als der verhängnisvollste des
Tages erweisen sollte. Er trifft das Schiff an seiner empfindlichsten Stelle, der
durch zwei Drittel seiner Länge gehenden Munitionstransportbahn im
Mittelgange, einer Einrichtung, die nur auf diesem Schiff versuchsweise
vorhanden war. Zwischen den beiden vorderen Geschütztürmen
durchbricht die britische Granate die Decks und entzündet 35 bis 40
21-cm-Kartuschen auf der Transportbahn. Stichflammen schlagen durch die
Geschoßaufzüge in die vorderen Seitentürme, und sofort sind
diese, Mittelgang und Zentrale, ein einziges Flammenmeer. Giftige Gase dringen
durch Sprachrohre und Lüftungsschächte auch in viele andere
Räume und in den Kommandostand. Alle Feuerleitungsapparate,
Kommandoelemente und das Rudergestänge fallen auf einem Schlag aus;
dennoch gelingt es dem Schiff, wenn auch immer langsamer, den übrigen
noch längere Zeit zu folgen. Als die feindlichen Schlachtkreuzer daraufhin
heranzudrehen versuchen, schlug nach der englischen Darstellung Granate auf
Granate auf "Lion" ein. Es erhielt in dieser Zeit nicht weniger als 6 Treffer und
mußte schließlich nach Ausfall einer Maschine mit starker Schlagseite
abdrehen. Zwar übernimmt "Princess Royal" die Führung,
während die anderen in unregelmäßigen Abständen
folgen; aber die Erschütterung des Gegners durch den plötzlichen
Ausfall des "Lion" ist unverkennbar. Diese ausnutzend, geht Admiral Hipper mit
einer Wendung von zwei Strich nach Steuerbord scharf an den Feind heran und
gibt gleichzeitig das Signal zum Angriff der Torpedoboote. Zwischen und hinter
den Schlachtkreuzern durchbrechend, stoßen diese mit höchster Fahrt
gegen den Feind vor; aber noch ehe der Angriff wirksam werden kann, dreht
dieser nach Norden ab, um sich der Gefahr zu entziehen und dann auf den immer
weiter achteraus sackenden "Blücher" zu stürzen. Die Torpedoboote
zurückrufend, um zwecklosen Einsatz zu vermeiden, dreht "Seydlitz" auf
Süden: der Führer beabsichtigt, zum Kreisgefecht
überzugehen, um den "Blücher" zu retten. Kaum ist jedoch dieser
Entschluß in die Tat umgesetzt, als dem Admiral gemeldet wird, daß
die achteren Geschütztürme auf seinem Flaggschiff endgültig
ausfallen, das Achterschiff stark voll Wasser ist und nur noch 200 Schuß
Munition für die schwere Artillerie vorhanden sind. Zudem lassen starker
feindlicher F. T.-Verkehr und andere Anzeichen auf die unmittelbare
Nähe weiterer feindlicher Geschwader schließen, während die
eigenen Linienschiffe noch 150 sm vom Kampfplatz entfernt sind. Eine
sofortige Wendung auf den Feind zu, um "Blücher" zu entlasten, kommt
daher ebensowenig in Frage wie das Kreisgefecht. Sie würde nur die
feindlichen Zerstörer in günstige Angriffsstellung gebracht, die
eigenen Torpedoboote und Kleinen Kreuzer dagegen vollständig [67] ausgeschaltet haben.
Schweren Herzens schwenkt Admiral Hipper mit seinen Streitkräften auf
Südost und muß, ohne daß ihm der Feind weiter zu folgen
wagt, "Blücher" seinem Schicksal überlassen. Dieser schwere
Entschluß wäre ihm erspart geblieben, wenn die deutschen
Streitkräfte stark genug gewesen wären, das Gefechtsfeld zu
behaupten. Daß dies nicht der Fall war, lag in dem Verzicht der
Flottenleitung, den Kreuzern einen Rückhalt am eigenen Gros zu geben,
weil sie ohne ausreichende Gründe nur mit leichten feindlichen
Streitkräften gerechnet hatte. Erst vor Norderney wurden die von der
Dogger-Bank zurückkehrenden Schiffe um 3 Uhr Nm. durch
den Flottenchef mit dem I. und II. Geschwader aufgenommen.
Um 12 Uhr Mittags hatte man von den Kreuzern den "Blücher" noch
Backbord achteraus inmitten zahlreicher Aufschlagssäulen liegen sehen,
das Feuer kräftig nach allen Seiten erwidernd; um 1215 Uhr kam er, in eine einzige riesige
Dampf- und Wassersäule eingeschlossen, heftig weiter schießend, aus
Sicht, während vor ihm der Mast eines anscheinend von ihm vernichteten
Zerstörers aus dem Wasser ragte. Um 1210 Uhr schwieg das Feuer auf
"Seydlitz", "Moltke" und "Derfflinger" und um 145 war der Feind aus Sicht. Über
"Blücher" schwebte jetzt "L 5" und meldete ungeachtet heftiger
Beschießung durch Kleine Kreuzer und Torpedoboote die weiteren
Vorgänge.
Wie ein angeschossener Eber gegen die Meute, so verteidigt "Blücher" sich
hartnäckig gegen die Überzahl seiner Feinde. Unausgesetzt
umkreisten die vier britischen Schlachtkreuzer unter heftigem Salvenfeuer das in
hellgelbe Brandwolken gehüllte Schiff, das von 70 bis 100 schweren
Granaten getroffen wird, während die Zerstörer immer wieder zum
Angriff ansetzen. Nacheinander schweigen die Geschütztürme auf
dem unglücklichen Schiff bis auf einen; längst ist das Handruder
besetzt, dann klemmt das Ruder hart Backbord. Das Schiff fährt im Kreise.
Auf dem Hauptgefechtsverbandplatz richtet eine Granate fürchterliche
Verheerungen an; das elektrische Licht versagt, nur Brände und
Explosionen weisen in den dunklen Räumen noch den Weg durch
Schußlöcher nach dem Oberdeck. Der Panzer des achteren
Geschützturmes widersteht allen Treffern. Dort drängen sich die
letzten Geschützmannschaften an die Rohre. Zwar reißt eine Granate
das eine bis zu den Schildzapfen fort, aber das andere feuert, feuert bis zum
letzten Augenblick. Solange denkt keiner an Ergebung, keiner holt die Flagge
nieder: 7 Torpedos sind notwendig, um den wütenden "Blücher"
verstummen zu lassen. Das Vorschiff steht in Flammen. Kommandant und Erster
Offizier, Kapitän zur See Erdmann und Korvettenkapitän Roß,
liegen verwundet oder bewußtlos vor dem Kommandostand. Dort und auf
der Schanze sammeln sich die Überlebenden und stimmen "Deutschland
über alles" und das Flaggenlied an. Um 107 kentert das Schiff.
Die Kleinen Kreuzer und Zerstörer eilen herbei, um 287 Überlebende
zu retten. In diesem Augenblick stößt, ohne zu ahnen, daß ein
Rettungswerk deutscher [68] Kameraden sie auf
dieser Stelle hält, das deutsche Flugzeug "83" durch die niedrige
Wolkendecke und greift trotz einiger Treffer von Schrapnells und
Gewehrgeschossen den Feind aus 300 m Höhe mit 6 Bomben an.
Auch von 3 U-Booten, die auf die ersten Meldungen aus ihren Wartestellungen
dem Kampfplatz zugesteuert waren, kommt "U 32" zum Angriff auf 2
Zerstörer, ohne daß jedoch eine Wirkung festgestellt werden konnte.
Der Kampf ist zu Ende.
Als Admiral Beatty, der sein Flaggschiff bereits um 12 Uhr verlassen hatte, auf
dem Zerstörer "Attack" den übrigen Schlachtkreuzern
entgegensteuert, trifft er diese bereits auf dem Rückmarsch. 120 Uhr setzt er auf
"Princess Royal" seine Flagge.
Um 3 Uhr Nm. fiel auf "Lion", der im ganzen nicht weniger als 11 schwere
Treffer erhalten hatte, die Steuerbordmaschine ganz aus. Bei diesem schwer
havarierten Zustand und der verringerten Marschgeschwindigkeit des Schiffes
schien die Gefahr deutscher U-Boots- und Torpedobootsangriffe so bedrohlich,
daß Admiral Jellicoe sämtliche Zerstörer der Flotte zu seinem
Schutz entsandte. Um 6 Uhr mußte das Schiff von "Indomitable" in
Schlepp genommen werden und erreichte erst am 26. Januar in dichtem Nebel
Rosyth. Ein Dock für das Riesenschiff war weder dort noch auf dem Tyne
verfügbar; an letzterem Ort wurde es schließlich in langwieriger
Arbeit mit Hilfe von Kofferdämmen wiederhergestellt. Auch der
Zerstörer "Meteor", durch "Blücher" schwer havariert, mußte
vom Kampfplatz geschleppt werden.
Als "Lion" ausfiel, stand das englische III. Schlachtgeschwader nur noch
50 sm nordwestlich der Schlachtkreuzer; 3 Uhr Nm. sichtete
es diese und 4 Uhr Nm. die Große Flotte. Ein Versuch der
deutschen Schlachtkreuzer, den "Blücher" zu retten, würde daher in
der Tat zum aussichtslosen Kampf gegen mehrere Geschwader geführt
haben. Auch die Absicht, die deutschen Torpedobootsflottillen zum Angriff auf
den abmarschierenden Feind, insbesondere den havarierten "Lion" anzusetzen,
wurde aufgegeben; sie hätten den starken
Kreuzer- und Zerstörerschutz kaum durchbrechen können.
Der Munitionsverbrauch der britischen wie der deutschen Schiffe
überstieg die bisherigen Vorstellungen erheblich. Bei einer Salvenfolge
von etwa 40 Sekunden hatten allein "Seydlitz", "Moltke" und "Derfflinger"
zusammen über 1000 schwere Panzersprenggranaten verfeuert. Der
Munitionsaufwand des Gegners war nicht viel geringer. Die von beiden Parteien
erreichte Trefferzahl stand dazu infolge der riesigen Entfernungen in keinem
Verhältnis. Um so größer war wegen des steilen
Einfallswinkels die Wirkung des einzelnen Geschosses. Wenn Admiral Jellicoe
aber den entscheidenden deutschen Treffer auf "Lion" einen glücklichen
Zufall nennt, so ließe sich dasselbe mit gleichem Recht von den beiden
verhängnisvollen Treffern auf "Blücher" und "Seydlitz" behaupten.
Alle übrigen deutschen Schiffe blieben voll gefechtsbereit;
Beschädigungen, noch dazu sehr [69=Karte] [70]
geringfügiger Art, hatten überhaupt nur "Derfflinger" und "Kolberg"
davongetragen. Auf dem Gürtelpanzer von "Derfflinger" waren alle
Geschosse wirkungslos abgeprallt.
Beim Feinde hatte man auch auf dem zweiten Schiff während des Gefechts
zahlreiche Treffer und große Brände zu beobachten geglaubt.
Verschiedene Offiziere und Mannschaften auf "Moltke" wollten sogar gesehen
haben, daß dieses Schiff nach einer gewaltigen Explosion gesunken sei.
Diese Beobachtung fiel mit der Tatsache zusammen, daß ein deutsches
Torpedoboot, "V 5", in seiner Geschwindigkeit vorübergehend
heruntergesetzt, zwischen die beiden Linien gesackt war und diese Gelegenheit,
von Feind und Freund unbemerkt, zu 2 Torpedoschüssen auf die Linie der
britischen Schlachtkreuzer ausnutzte, von denen nach Ansicht seines
Kommandanten und mehrerer Beobachter mindestens einer getroffen hatte. Bei
der Schwierigkeit solcher Beobachtungen, während die Schiffe, wegen der
großen Entfernung nur als Schattenrisse erkennbar, umgeben von
gewaltigen Aufschlagsäulen und Detonationen ihre Stellungen zueinander
fortgesetzt änderten, hielt man auf deutscher Seite diese Angaben
noch keineswegs für ausreichend, um mit dem Verlust eines englischen
Schlachtkreuzers endgültig zu rechnen. Erst als auf Anfragen bei dem
Luftschiff "L 5" auch dieses, noch über der feindlichen Linie stehend,
meldete, daß es trotz großer Sichtweite nur 4 Schlachtkreuzer in Sicht
habe, glaubte man mit gutem Grund den Verlust des "Tiger"
veröffentlichen zu können. Daß er von englischer Seite nicht
zugegeben wurde, schien nach den Erfahrungen mit "Audacious" nicht mehr
sonderbar; dennoch wird man jetzt annehmen müssen, daß die
Beobachtungen seiner Zeit auf Sinnestäuschungen beruht haben.
Das Gefecht vom 24. Januar 1915 war die erste Begegnung zwischen
Großkampfschiffen im Kriege. Die Bedeutung des Tages lag einmal in der
sehr geringen Zahl der von den englischen Schlachtkreuzern im Feuergefecht
erzielten Treffer, vor allem aber in dem vorzeitigen Abbruch des Gefechts durch
die Engländer, als alle Anzeichen für einen vernichtenden Sieg
ihrerseits vorhanden zu sein schienen - eine Folge des gewaltigen
Eindrucks der deutschen Geschoßwirkung und Schießkunst.
Rückblickend auf die bisherigen Kämpfe urteilte der Corriere
della Serra vom 26. Januar 1915 folgendermaßen:
"Moral, Disziplin, Tapferkeit und
Geschicklichkeit, die einen so beträchtlichen Teil des Sieges ausmachen,
sind in den beiden starken, im Kampf befindlichen Rassen, der teutonischen und
der angelsächsischen, gleich. Die deutsche Marine hat in der Tat, obwohl
sie erst in unseren Tagen und in einem ausgesprochen kontinentalen Land geboren
worden ist, bewiesen, daß sie eine Schulung des Personals erreicht hat, die
derjenigen gleichkommt, die die englische Marine von einer Erfahrung
Jahrhunderte alter Kämpfe und dem insularen Charakter des Landes geerbt
hat."
[71] Die Erstarrung
im Minenkrieg.
Die bisherigen deutschen Verluste waren mitverschuldet durch die Halbheit eines
Operationsbefehls, an den sich Admiral v. Ingenohl mit
übertriebener Starrheit gehalten hatte. Daß an seiner Stelle am 2.
Februar der für eben diesen Operationsbefehl verantwortliche Chef des
Admiralstabes, Admiral v. Pohl, die Flotte übernahm, war
Eingeweihten ein neues Zeichen, daß an der strikten Defensive der Flotte
auch weiterhin festgehalten werden sollte. Daran änderte auch nichts,
daß dem neuen Führer die Ermächtigung erteilt worden war,
nach eigenem Ermessen öfters Vorstöße in die Nordsee zu
unternehmen. Infolgedessen trat zwar eine straffere Zusammenfassung der ganzen
Flotte bei Vorstößen ein. Ein Wille aber, den Feind auch in
größerer Entfernung von der Deutschen Bucht zur Schlacht zu
stellen, war weniger denn je zu verspüren. Der mit der erstmaligen
Eröffnung des U-Bootshandelskrieges im Februar verbundene Mangel an
U-Booten für militärische Zwecke der Flotte und die Absicht,
Mißerfolge im Kampf der Überwasserschiffe in dieser Zeit nach
Möglichkeit zu vermeiden, insbesondere veranlaßt durch die
Rücksicht auf die unsichere Haltung Italiens, bestärkten den neuen
Flottenchef in seiner abwartenden Haltung. Wie sehr aber gerade in dieser Epoche
eine gesteigerte Tätigkeit der Flotte die Engländer in der wirksamen
Abwehr des U-Bootskrieges behindert und wie günstig Erfolge auf
unsichere Neutrale und die Feinde gewirkt haben müßten, wurde bei
diesen Erwägungen zu wenig beachtet. Überdies schränkten
die unberechenbaren Wetterverhältnisse der Nordsee die
Möglichkeiten für größere Vorstöße
häufig genug ein, so daß in den ungünstigen Monaten Februar
und März nur je einer, in den günstigeren April und Mai wenigstens
vier stattfinden konnten. Ihr Kennzeichen war zwar das nunmehr geschlossene
Vorgehen der ganzen Flotte unter wirksamer Luftaufklärung, anderseits
aber die stets zu geringen Ausdehnung, um tatsächlich mit dem Feind in
Fühlung zu kommen, wenn dieser sie nicht zufällig von seiner Seite
suchte. So sichtete am 12. April von den 3 der auslaufbereiten Flotte zur
Aufklärung vorausgesandten Luftschiffen "L 5" bei Terschelling
mehrere feindliche Kleine Kreuzer, zahlreiche Zerstörer und 5
U-Boote, von denen einzelne ihn verfolgten und beschossen, während die
anderen nach Westen abdrehten. Sofort nachstoßende deutsche
Torpedoboote befanden sich bald in dichtem Nebel, während mehrere
Torpedoangriffe auf deutsche Sperrbrecher die Anwesenheit zahlreicher
englischer U-Boote auf den Auslaufwegen der Flotte verriet. Erst nach energischer
Abwehr dieser brachen die Kleinen Kreuzer "Graudenz", "Pillau", "Rostock" und
"Kolberg" mit der minenbeladenen "Stralsund" und "Straßburg" in der
Nacht zum 18. April ungesehen nach Westen aus und legten 50 sm
östlich von Yarmouth eine 30 sm lange Sperre, von der man baldige
Erfolge gegen die außerhalb der dortigen Sände passierenden
englischen Kriegschiffe erhoffte. In Erwartung feindlicher Gegenwehr wurden
die [72] Kleinen Kreuzer bei
Hellwerden von den deutschen Schlachtkreuzern 100 sm westlich
Helgolands aufgenommen, während 30 sm östlich von diesen
die Geschwader der Hochseeflotte aufmarschiert waren. Trotz mancher Meldung,
daß englische Kriegschiffe in See wären, verlief der
Rückmarsch ohne weitere Ereignisse.
Nach Beginn des U-Bootshandelskriegs und infolge der immer
größeren Zurückhaltung der feindlichen "Große Flotte"
war der Minenkrieg das einzige, was dem Flottenchef noch Aussicht auf eine
Schädigung der feindlichen Seestreitkräfte zu bieten schien. Da aber
die bisher unmittelbar an der feindlichen Küste gelegten Sperren, fast
immer schnell entdeckt, dem Gegner wenig Abbruch getan hatten, sollte es
diesmal mit einer Sperre mitten in der Nordsee versucht werden. Die
Durchführung der für die minenbeladenen Kleinen Kreuzer
besonders gefährlichen Unternehmung erfolgte in der Nacht zum 18. Mai
durch "Pillau", "Regensburg", "Stralsund" und "Straßburg" ohne jede
Gegenwirkung. Wie man erst nach dem Kriege erfuhr, wurde das Minenfeld
jedoch in England vorzeitig bekannt. Schon am 21. Mai begannen die Arbeiten
englischer Minensucher von Aberdeen und Harwich aus zur Feststellung der
Sperre. Im Juni wurden sie unter Bedeckung von 4 Kleinen Kreuzern und
mehreren Zerstörern fortgesetzt. Leider kam dies weder durch
Luft- noch Kreuzeraufklärung zur Kenntnis der deutschen Flottenleitung.
Dennoch hat die Sperre in ihrer strategisch außerordentlich günstigen
Lage nach eigener Angabe Jellicoes, des ehemaligen
Höchstkommandierenden der englischen Flotte, die Bewegungen seiner
Geschwader häufig gehindert und hätte im Falle der Notwendigkeit,
die deutsche Flotte zur Schlacht zu stellen, zu erheblichen taktischen
Schwierigkeiten führen können.
Auch am 18. Mai hatte die deutsche Flotte bei Hellwerden die während des
Minenlegens bis zu 100 sm vorgeschobenen Kleinen Kreuzer
aufgenommen. Auf dem Rückmarsch geriet der Kleine Kreuzer "Danzig",
in der Marschsicherung 10 sm vor dem Gros herfahrend, etwa 40 sm
westlich von Sylt, mitten in ein feindliches Minenfeld. Eine Mine detonierte am
Heck und mit stark beschädigtem Achterschiff und verbogenen
Schraubenwellen mußte das Schiff von der "Berlin" eingeschleppt werden.
Die Flotte, auf diese Weise rechtzeitig gewarnt, bahnte sich durch zahlreiche
treibende Minen einen Weg südwestlich der Sperren. Am 29. Mai
stieß sie von neuem vor. Der Kurs sollte diesmal zwischen der
Dogger- und Swarte-Bank-Sperre hindurchführen. Als jedoch beim
Vormarsch die Kleinen Kreuzer "Frauenlob" und "Hamburg" von der
südlichen Marschsicherung her kurz nach Hellwerden eine neue verankerte
Minensperre auch in diesem Gebiete meldeten, wurde der Vorstoß wegen
der unberechenbaren Minengefahr vorzeitig abgebrochen. So begann die immer
stärkere Minenverseuchung der Deutschen Bucht die Bewegungsfreiheit
der Hochseestreitkräfte allmählich ernstlich einzuschränken,
zumal die Zahl der Minensucher und Sperrbrecher bald kaum mehr ausreichte, um
bei den oft widrigen Wetterverhältnissen und [73] der großen
Entfernung der Sperren von Helgoland der Flotte stets einwandfreie Auslaufwege
zu bahnen.
Die Überwachung der deutschen Flottenbewegungen hatten Schiffe und
Mannschaften der englischen Flotte im Jahre 1914 stark mitgenommen. Mit der
Umstellung vom kurzen Vernichtungs- auf einen langen Zermürbungskrieg
wurde eine größere Schonung der Kräfte erforderlich. Die mit
der Zeit größere Sicherheit über das Verhalten des deutschen
Gegners, wozu ein vorzüglich organisierter Nachrichtendienst das Seine tat,
schaffte hierzu die Möglichkeiten. Aus der anfangs gewollten
Zurückhaltung wurde aber durch Abgabe von Zerstörern der Flotte
für die U-Bootsabwehr im Handelskrieg im Juli und August sowie durch
Brennstoffmangel infolge Streiks in den Kohlenbergwerken bald eine
erzwungene. Die gelegentlichen Vorstöße der englischen
Großkampfgeschwader kamen über die Linie
Humber - Hanstholm nicht mehr hinaus. Vielfach waren es nur die
Schlachtkreuzer, welche das Vorgehen eigener Minenleger, Minensucher oder
leichter Beobachtungsstreitkräfte gegen die Linie
Terschelling - Hornsriff deckten, während die "Große
Flotte" in verschärfter Bereitschaft in den Häfen blieb. Keineswegs
von dem Willen beseelt, an den Feind zu kommen, drang Admiral Jellicoe bei der
Admiralität darauf, die Deutsche Bucht immer mehr durch Minen
abzuschließen, womit er auf eine Verwendung der "Großen Flotte" in
diesem Gebiet ausdrücklich verzichtete.
Trotz dieser Zurückhaltung der "Großen Flotte" gelang es am 18.
März keinem anderen als Otto Weddigen, sie auf der Mitte zwischen
Schottland und Norwegen aufzufinden. "Neptune", das letzte Schiff des
I. Geschwaders, entging dem Torpedoschuß nur durch die
rechtzeitige Wendung der Flotte; ein zweiter Angriff Weddigens brachte ihn
infolge einer unerwarteten und zufälligen Schwenkung eines der englischen
Geschwader in gefährliche Nähe der "Dreadnought". Diese sichtet
plötzlich an Backbord voraus ein Sehrohr, bricht aus der Linie aus, folgt
seiner Spur und rammt es, noch ehe Weddigen auf sichere Tiefe gelangt war.
Hoch hebt sich der Steven seines Bootes "U 29" aus dem Wasser, dann
versinkt es für immer in den Fluten. Kein Überlebender zeugt von
dem heldenhaften Untergang.
Das Ziel war des Einsatzes und Weddigens würdig. Um so kleinlicher
berührt die Berechnung der Engländer, die sie die Art seines
Untergangs lange verschweigen ließ. Sie hofften damit eine
Einschüchterung anderer deutschen
U-Bootsbesatzungen zu erreichen, eine Hoffnung, in der sie jedoch bald die
Wirkungen des U-Bootshandelskrieges grimmig enttäuschen sollten.
Um bei den Neutralen, vor allem in Amerika, trotz der Zurückhaltung der
Schlachtflotte den Eindruck einer effektiven Blockade der Deutschen Bucht
aufrechtzuerhalten, waren die Kreuzergeschwader häufig in See.
Außer den festen Bewachungslinien hoch im Norden wurde das Gebiet
zwischen dem Firth of Forth [74] und dem Skagerrak,
sowie der norwegischen Küste oft von ihnen befahren. Hierbei wurden am
19. und 20. Juni die Kreuzer "Birmingham", "Argyll", "Nottingham" und
"Roxburgh" mehrfach von einem deutschen U-Boot angegriffen und letzterer
schließlich im Vorschiff getroffen. In schwer beschädigtem Zustande,
der ihn für längere Zeit ausfallen ließ, erreichte der
Panzerkreuzer mit Mühe den Stützpunkt.
Waren die Engländer auf See nirgends vor deutschen U-Booten sicher, so
beunruhigten deutsche Minen sie in den Häfen. Kaum war Admiral Jellicoe
am 7. August mit seinem Flaggschiff "Iron Duke" zur Besprechung mit
Mitgliedern des Kabinetts in Cromarty eingelaufen, als ihm gemeldet wurde,
daß der Hafen durch Minen gesperrt sei. Der deutsche Hilfskreuzer
"Meteor" unter Korvettenkapitän v. Knorr hatte sie in der Nacht
vorher geworfen. Das Schiff war im Mai 1915 in Dienst gestellt worden, um
zunächst die Zufuhr von Kriegsmaterial nach Archangelsk durch
Verseuchung der dortigen Gewässer mit Minen zum Stillstand zu bringen.
Nach glücklicher Durchführung dieser Aufgabe war der Hilfskreuzer
am 6. August, von einem U-Boot und Luftschiff begleitet, wieder mit 450 Minen
ausgelaufen und in der folgenden Nacht, von mehrfach gesichteten
Zerstörern und bewaffneten Dampfern ungehindert, durch die
Vorpostenlinie in den Moray Firth eingedrungen. Auf dem Rückmarsch
aber wurde er nach Hellwerden von dem englischen Hilfskreuzer "Ramsey" als
vermeintlicher Handelsdampfer angehalten. Über die weiteren
Vorgänge berichtet Korvettenkapitän v. Knorr
folgendermaßen:
"Während auf dem
Engländer das Signal »ich werde ein Prisenkommando an Bord
schicken« in die Höhe ging, drehte »Meteor« auf. Die
Mannschaft lag gedeckt auf ihren Stationen, alle sichtbaren Personen waren in
Zivil, alle Attrappen waren klar zum Wegfliegen, die Flagge im Vortopp klar zum
Heißen. »Meteor« fuhr jetzt mit Höchstfahrt direkt zum
Torpedoschuß auf den Gegner zu. Erst auf 600 m wurde das erste
laute Kommando gegeben. »Feuererlaubnis!« Die Flagge flog in die
Höhe, die Hüllen fielen, Torpedo- und Geschützrohre suchten
ihr Ziel. Von drüben hörte man deutlich den entsetzten Ruf:
»Germans! They torpedo us!« Dann schlug schon die erste
10,5-cm-Granate in die feindliche Brücke, Bereitschaftsmunition,
Funkenbude, alles in eine große, dichte Sprengwolke hüllend. Die
Maschinenkanone und der Gewehrschützenzug überschüttete
das feindliche Deck mit kleinen Geschossen, und daneben lief der Torpedo zum
Ziel. Hatte schon mit dem ersten 10,5-cm-Treffer die Spannung der Besatzung in
brausendem Hurra einen Ausweg gesucht, so brach der Siegesjubel um so
überschwenglicher hervor, als der Torpedo sein Ziel erreichte und den
Gegner in den Maschinenraum traf. Noch eine Sekunde atemloser Spannung, dann
übertönten 3 Hurras für Kaiser und Reich das Krachen der
Explosion, die den Gegner in zwei Stücke zerriß, die in wenigen
Minuten in die Tiefe sanken."
[75] Nach Rettung von 48
Überlebenden steuerte "Meteor" Hornsriff an, aber 3 Geschwader kleiner
Kreuzer jagten ihm nach. Bald meldeten Luftschiffe dem Kommandanten,
daß er umstellt sei. Für Hilfe von der eigenen Flotte war es zu
spät, ein Entkommen oder Kampf gleich aussichtslos. Als daher die
Schornsteine von 4 Verfolgern über dem Horizont erschienen, sprengte der
Kommandant sein Schiff. Während seine Gefangenen von englischen
Kreuzern aufgenommen wurden, gelang es ihm selbst, sich mit seiner Besatzung
rechtzeitig von diesen zu trennen und auf einem schwedischen Fischkutter zu
entkommen. Seine Minen im Moray Firth aber forderten noch manche Opfer.
Außer dem Minenkrieg ist es der Luftkrieg, der insbesondere die zweite
Hälfte des Kriegsjahres 1915 kennzeichnet. Aus der großen Zahl
erfolgreicher Einzel- und Geschwaderangriffe dieser Epoche sollen nur zwei, auch
nach englischen Angaben besonders wirkungsvolle, hervorgehoben werden.
In der Nacht zum 16. Juni steuerte Kapitänleutnant Hirsch mit
"L 10" das Industriegebiet des Tyne an, das sich schon vor der Küste
her aus 2300 m Höhe durch hellodernde Hochofenwerke verriet.
Einem angreifenden Wasserflugzeug durch Ballastabgabe ausweichend, schwebte
"L 10" bald über hellerleuchteten ausgedehnten Industrieanlagen, die
der Befehl zum Löschen der Lichter zu spät erreicht hatte. Unbeirrt
von dem einsetzenden heftigen Schrapnellfeuer, das durchweg unter dem Schiff
blieb, warf er 2500 kg Spreng- und Brandbomben ab. Nach englischen
Angaben trafen nicht weniger als 7 Sprengbomben und 5 Brandgeschosse die
Munitionsfabrik von Palmer in Jarrow auf dem Südufer des Tyne. Neben
umfangreichem Materialschaden wurden 17 Arbeiter getötet, 72 verwundet,
während in den unfern gelegenen Marine Engineering Works ein
Materialschaden von 600 000 Goldmark entstand.
Dieser Erfolg wurde von Kapitänleutnant Mathy mit "L 9" am 8.
September noch übertroffen. Vor dem Wind fliegend, erschien das
Luftschiff von Wash her um 1030 Uhr Nm. über den
nördlichen Vorstädten von London. Die Stadt selbst war hell
erleuchtet, der Schein davon schon nördlich von Cambridge gut zu
erkennen. Der friedensmäßig erleuchtete Regents Park erleichterte
das Zurechtfinden über der Stadt. 1135 Nm. wurde bei High Holborn aus
2800 m Höhe langsam mit dem Abwerfen der Bomben begonnen.
Sofort vereinigten sich 20 Scheinwerfer auf das Schiff, während die
Sprengpunkte der Abwehrgeschosse immer näher rückten. Daher
ließ Mathy das Schiff unter fortwährenden Kursänderungen auf
4300 m steigen und fand hinter einer kleinen, dünnen Wolke vor den
Scheinwerfern Schutz. Gleichzeitig ging er zum Schnellfeuer über. Die
Wirkung war gewaltig. Bald wurde der Lichtschein der Stadt durch die
ausbrechenden Brände überstrahlt, während ganze Komplexe
von Lichtern in dem Aufschlag der 300 kg Bomben verschwanden. Die
Beobachtungen vom Luftschiff aus fanden nach dem Kriege durch englische
Angaben ihre Bestätigung. Die ersten Bomben trafen "Goldens Green", die
Umgebung des Bahnhofs [76] "Euston" und eine
Kaserne. In der City wurde ein Auto-Omnibus und das Bahngeleise der
Great-Eastern-Railway zerschmettert. In Woodstreet gingen 2 Petroleumtanks in
Flammen auf. Alles in allem trafen 15 Sprengbomben und 55 Brandgeschosse die
City von London; die entstandenen Brände waren die schwersten, die je ein
Luftschiff in England verursachte. Der Materialschaden allein belief sich auf 10
Millionen Goldmark.
Diesem Fluge folgten mehrere große Geschwaderangriffe, u. a. der vom 13.
Oktober, zu dem 5 Luftschiffe ("L 11", "12", "14", "15" und "16") zu
einem Angriff auf London vereinigt waren. Nach englischem Urteil zeichneten
sich alle Flüge trotz wechselnder Erfolge durch ungewöhnliche
Kühnheit und ein fast unheimliches Geschick der Luftschiffbesatzungen
aus, ihr Ziel in dunklen Nächten auf immer neuen Wegen und trotz stets
verstärkter Gegenwirkung zu finden. Die Bekämpfung der
Luftschiffe setzte daher bei Angriffs- und Aufklärungsfahrten immer
häufiger bereits in der Linie Terschelling - Hornsriff ein. Dort
wurde "L 5" am 2. Juni von 3 feindlichen Kleinen Kreuzer beschossen.
Bald schlossen andere Luftschiffe heran und gingen zum Bombenangriff bis auf
300 m herunter, konnten aber den Feind in dem inzwischen aufsteigenden
Dunst nicht mehr finden. Bei anderen Gelegenheiten lieferten sie Kämpfe
mit feindlichen U-Booten, in die häufig eigene U-Boote und Flugzeuge
eingriffen. Ein bezeichnender Tag dieser Art wurde der 4. Juli. Schon am 3. hatte
man aus Holland erfahren, daß 12 englische U-Boote und ein
Flugzeug-Mutterschiff im Anmarsch gegen die Deutsche Bucht seien. Kurz nach
Mitternacht stiegen daher 6 deutsche Luftschiffe auf.
Im nördlichen Teil der Bucht liegt dichter Nebel. Vor Norderney wird ein
abgeblendetes großes Fahrzeug, vor Langeoog ein
U-Boot von Vorposten gemeldet; dann sichtet bei Hellwerden "L 9" einen
Kreuzer der "Arethusa"-Klasse und 12 Zerstörer mit 2
Flugzeug-Mutterschiffen bei Borkumriff. "L 6" schließt zur
Fühlung heran, während Zerstörer mit heftigem
Geschützfeuer die Luftschiffe abzudrängen versuchen. Von
Helgoland steigen 6 Flugzeuge auf. Die Flotte, über jede Bewegung des
Gegners durch die Luftstreitkräfte unterrichtet, geht in verschärfte
Bereitschaft. Um 535 Uhr Vm. erscheint endlich ein
feindlicher Flieger über Borkum. Von zwei Fliegern in 1000 m
Höhe verfolgt, rettet er sich vor ihrem Maschinengewehrfeuer auf
holländisches Gebiet. Auftauchende englische
U-Boote werden von Fliegern und Luftschiffen mit Bomben beworfen; dann teilen
sich die feindlichen Überwasserstreitkräfte und treten mit hoher
Fahrt den Rückweg an, ein Unternehmen aufgebend, das an der
Wachsamkeit der deutschen Luftschiffe und Flieger gescheitert war.
Bei diesen Kämpfen gestaltete sich die Verfolgung des Feindes über
die Linie Terschelling - Hornsriff hinaus durch
Überwasserstreitkräfte immer schwieriger; gab es doch schon Ende
Juli zeitweise nur drei Ausfahrten von beschränkter Ausdehnung durch den
englischen Minengürtel. Für den Feind war es um so [77] leichter, diese durch
U-Boote zu bewachen und so von jedem Ausfall der deutschen Flotte rechtzeitig
Kenntnis zu erhalten. Ein dennoch geplanter Vorstoß mußte vor den
wichtigeren Aufgaben in der Ostsee zurücktreten. Dagegen kreuzten die
leichten Streitkräfte, in Erwartung weiterer Fliegerangriffe, jetzt
häufiger in der Deutschen Bucht und stießen bei Nacht oft über
das Minengebiet vor - die 2. Halbflottille einmal bis zum 56.
Breitengrad -; aber nur einmal war ihnen ein Zusammentreffen mit
feindlichen Streitkräften beschieden. In der Nacht zum 18. August sichteten
fünf Boote der II. Flottille bei Hornsriff einen feindlichen Kreuzer
mit 8 Zerstörern. "B 98", das Führerboot, Kommandant
Kapitänleutnant Hengstenberg, feuerte zwei Torpedos; der Kreuzer kenterte
und ein Zerstörer brach in der Detonation auseinander. Die anderen
verschwanden fluchtartig im Dunkel.
Im September versuchte man den von Harwich aus gegen die Deutsche Bucht
vorstoßenden leichten Streitkräften daher auf andere Weise, und zwar
durch Minen, beizukommen, die in der Nacht zum 12. September von Kreuzern
der II. Aufklärungsgruppe auf der Mitte zwischen Humber und Ems
geworfen wurden. Bei Hellwerden standen die Schlachtkreuzer 40 sm
nordöstlich von ihnen zur Aufnahme bereit, dahinter die Flotte mit dem I.,
II. und III. Geschwader, während 5
U-Boote gegen Norden, ein weiteres gegen Südwesten und 4 Luftschiffe im
Umkreis von 150 sm um Helgoland sicherten. Wie erst später
bekannt wurde, war zufälligerweise in derselben Nacht das I. und III.
englische Schlachtkreuzergeschwader mit dem I. und II. leichten
Kreuzergeschwader und 16 Zerstörern zu einer ganz ähnlichen
Unternehmung in See. Während im Westen die deutschen Minen fielen,
verseuchten die Engländer von der Amrum-Bank aus nach
Südwesten ein größeres Seegebiet der Deutschen Bucht, zogen
sich aber so rechtzeitig zurück, daß sie bei Hellwerden wieder
außerhalb des Bereichs der deutschen Luftschiffe standen. So kam es,
daß die deutsche Flotte auf ihrem Rückmarsch nördlich
Helgoland erst durch die Kreuzer der Marschsicherung von den eben ausgelegten
englischen Minen erfuhr - immerhin rechtzeitig genug, um in langer
Kiellinie allen Sperren, die sich durch Oberflächenstände verrieten,
rechtzeitig auszuweichen. Nur ein Torpedoboot, "G 196", stieß dicht
bei Amrum-Bank auf eine Mine. Es konnte jedoch von anderen Booten mit
Stahlleinen aufgefangen und nach Wilhelmshaven eingeschleppt werden.
Am 16. Oktober erwies sich, daß auch der mittlere Ausgang aus der
Helgoländer Bucht mit Minen gesperrt und nur die Wege unmittelbar unter
der Küste nach Westen und Norden noch minenfrei waren. Die
künftige Bewegungsfreiheit der Hochseestreitkräfte hing daher ganz
von der Leistungsfähigkeit der Minensuchverbände ab. Neben der I.
und III. Minensuch-Division war es die aus Fischdampfern bestehende
Hilfsminensuchflottille der Nordsee unter Korvettenkapitän Krah, die sich
nunmehr durch schnelles Räumen von Sperren auszeichnete. Mit der
starken Stahlleine des schweren Minensuchgeräts unter Wasser bis zu
[78] 10 Minen gleichzeitig
zusammenfassend und zur Detonation bringend, schaffte sie mit
verhältnismäßig geringen Verlusten an Minensuchbooten
schnell die befohlenen Sperrlücken. Schon am 23. Oktober konnte die
Flotte daher zu einer größeren Unternehmung gegen das Skagerrak in
See gehen; jedoch wurde der Vorstoß abgebrochen, als die Luftschiffe
wegen schlechten Wetters einlaufen mußten. Auf dem Rückwege
wurde die Flotte mehrfach, teilweise sogar unmittelbar vor den
Flußmündungen, von U-Booten angegriffen. Die Abgabe einer
größeren Zahl an Streitkräften für die
Ostseekriegführung verhinderte dann die Wiederholung des
Vorstoßes mit der ganzen Flotte; jedoch wurde er am 16. Dezember von den
leichten Streitkräften allein durchgeführt, während in der
Nordsee die Schlachtkreuzer und das I. Geschwader, in der Ostsee das
II. Geschwader zur Aufnahme bereit gehalten wurden. "Regensburg",
"Pillau", "Frankfurt", "Wiesbaden", "Rostock", "Straßburg" und
"Stralsund" stießen mit der II., VI. und IX. Flottille unter Führung
von Kontreadmiral Boedicker über Hornsriff in das Skagerrak und Kattegat
vor; aber von 52 Dampfern und Segelschiffen, die durchsucht wurden, verfiel nur
einer mit Grubenholz der Einbringung. Feindliche Streitkräfte wurden nicht
gesichtet, so daß der Marsch um Skagen nach der Ostsee zu keinen weiteren
Ereignissen führte.
Kurz vor Jahresschluß geleiteten die Schlachtkreuzer die "Möwe" zu
ihrer ersten Ausfahrt in See. Damit fand die Ära Pohl ihren Abschluß. Eie
schwere Erkrankung des bisherigen Flottenchefs führte bald zu seinem
Ableben. Admiral Scheer heißte seine Flagge auf
S. M. S. "Friedrich der Große" und führte sie,
beseelt von dem Willen, an den Feind zu kommen, bald zum Siege.
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