SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Seekrieg

Kapitel 1: Die Grundlagen für die Führung des Seekriegs  (Forts.)
Konteradmiral Eberhard Heydel

[12] 3. Die übrigen Kriegsschauplätze und ihre strategischen Zusammenhänge
mit der Hauptkriegführung.

In mehr oder minder engem Zusammenhang mit der Hauptkriegführung stand die Seekriegführung auf den übrigen Kriegsschauplätzen.


Der Kreuzerkrieg.

Ohne weiteres tritt dies bei dem Kreuzerkrieg in die Erscheinung, dessen Grundlagen deshalb an dieser Stelle erörtert werden sollen.

Seine Führung war die Hauptaufgabe unserer Auslandskreuzer einschließlich des ostasiatischen Kreuzergeschwaders, Nebenaufgabe der Seekriegführung auf den übrigen Kriegsschauplätzen. Ziel des Kreuzerkrieges ist die Störung und Schädigung des Überseehandels der feindlichen Länder durch Wegnehmen, Zerstören der feindlichen und Aufbringen der Bannware führenden neutralen Tonnage. Energisch und mit Ausdauer geführt, konnte er als weit vorgeschobener Gürtel eine wirksame Ergänzung des U-Bootskrieges bilden. Aber auch eine wertvolle Unterstützung der Landkriegführung, insofern er die Überseeversorgung der feindlichen Kontinentalstaaten mit Kriegsbedarf, Rohstoffen und Nahrungsmitteln und den Nachschub von Truppen über See störte.

Leider fehlte den deutschen Auslandsstreitkräften eine der wichtigsten Bedingungen für eine nachhaltige Kreuzerkriegführung - die Stützpunkte, in denen sie Ausbesserung und Ergänzung ihrer Ausrüstung an Kohlen, Munition und anderem Material vornehmen konnten. Ihre Kohlen und den sonstigen Materialbedarf mußten sie daher an abseits gelegenen Plätzen oder auf hoher See aus aufgebrachten Schiffen auffüllen, auf die Munitionsergänzung aber verzichten. Es war daher von vornherein klar, daß der Kreuzerkrieg sich in absehbarer Zeit totlaufen mußte, daß die Kreuzer entweder in neutralen Häfen auflegen oder versuchen mußten, sich nach der Heimat durchzuschlagen.


Der Ostseekrieg.

Die Ziele, die der große Krieg der Seekriegführung in der Ostsee steckte, und das Kräftemaß, das zur Durchführung der Einzelaufgaben zur Verfügung stand, brachten Ost- und Nordseekriegführung in enge Wechselwirkung zu einander. Angesichts der überragenden Bedeutung der Nordseekriegführung konnten dem Ostseekriegsschauplatz nur schwache Kräfte belassen werden. Mit ihnen allein war die Hauptaufgabe der Ostseekriegführung, die Beherrschung der westlichen und mittleren Ostsee, einem rührigen und von offensivem Geist beseelten Gegner gegenüber nicht erfüllbar. Auf der Seeherrschaft gründete sich aber eine Reihe von Aufgaben, deren Erfüllung für die Gesamtkriegführung von einschneidender Bedeutung war:

[13] 1. Es bestand die Möglichkeit russischer Landungsunternehmungen an der Ostseeküste im Rücken des deutschen Ostheeres. Nachrichten deuteten darauf hin, und auch das im Frühjahr 1914 abgeschlossene englisch-russische Marineabkommen hat möglicherweise derartige Unternehmungen im Auge gehabt. Dem hierzu erforderlichen Offensivvorgehen der russischen Ostseeflotte, unterstützt vielleicht durch gleichzeitiges Vorstoßen englischer Flottenteile durch die dänischen Gewässer, mußte daher wirksam entgegengetreten werden können. Das wäre ohne starke Mitwirkung der Hochseestreitkräfte, die durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal jederzeit und schnell nach der Ostsee gezogen werden konnten, nicht möglich gewesen.

2. Die Beherrschung der Ostsee ermöglichte die Offenhaltung des Seeverkehrs mit den neutralen Staaten, insbesondere mit Schweden, das für die Versorgung unserer Kriegsindustrie mit Rohstoffen, namentlich hochwertigen Erzen, von größter Bedeutung war. Sie sicherte aber auch den Küstenverkehr, dessen Aufrechterhaltung nicht weniger wichtig war als die Sicherung der Ostseefischerei für die Volksernährung.
      Anderseits verhinderte sie die Versorgung Englands mit russischen Erzeugnissen auf dem Wege durch die Ostsee und förderte damit die U-Boots-Kriegführung. Sie unterband ferner die Versorgung Rußlands mit Kriegsmaterial, die nach Abschluß des Schwarzen Meeres nur noch auf dem weiten und im Winter ungangbaren Wege über das Weiße Meer oder auf dem Landwege über den Osten erfolgen konnte.

3. Daß der Besitz der Seeherrschaft in der Ostsee von Einfluß auf die Haltung der neutralen Ostseestaaten und daher von wesentlicher Bedeutung für die Gesamtkriegführung sein mußte, ist bereits an anderer Stelle angedeutet worden.

Die von dem Gros der russischen Flotte, abgesehen von wenigen Offensivunternehmungen, beobachtete Defensive hat ein Eingreifen der Hochseestreitkräfte im Sinne der vorerwähnten Aufgaben im allgemeinen nicht erforderlich gemacht. Erst im späteren Verlauf des Krieges wurde ihre Mitwirkung notwendig. Hier handelte es sich aber um deutscherseits planmäßig unternommene Offensivoperationen (Unternehmungen gegen Ösel und Dagö).

Die Hauptaufgaben der Ostseekriegführung konnten die schwachen Ostseestreitkräfte daher selbst erfüllen. Allerdings darf dabei die Fernwirkung der Hochseestreitkräfte als "Fleet in being" nicht übersehen werden.


Der Mittelmeerkriegsschauplatz.

Bei Ausbruch des Krieges befand sich an deutschen Seestreitkräften im Mittelmeer die aus dem Schlachtkreuzer "Goeben" und dem Kleinen Kreuzer "Breslau" bestehende Mittelmeer-Division. Sie sollte auf Grund des Dreibundabkommens planmäßig mit der österreichisch-italienischen Flotte zusammenwirken. [14] Das Herausbleiben Italiens aus dem Kriege, die Unbereitschaft der österreichischen Flotte bei Kriegsausbruch änderten die Lage. Die Schiffe wurden frei. Dem Chef der Mittelmeer-Division wurde freigestellt, nach dem Atlantischen Ozean oder nach Konstantinopel durchzubrechen. Er wählte das letztere und brachte damit die Stellungnahme der trotz Abschlusses eines Bündnisses mit den Mittelmächten noch schwankenden Türkei zur Entscheidung.

Der kühne und geschickte Ausbruch der Schiffe aus Messina, wo sie nach Rückkehr von einer Beschießung französischer Küstenplätze an der nordafrikanischen Küste unter der scharfen Kontrolle des zunächst noch streng neutralen Italiens den notwendigen Kohlenbedarf erhalten hatten, war ein Meisterstück. Der Durchbruch gelang trotz der starken Bewachung der Straße von Messina durch überlegene englische Seestreitkräfte und mutete wie ein Wunder an, so daß bei einer politischen Persönlichkeit Deutschlands die Vermutung entstehen konnte, England habe den Durchbruch geschehen lassen, um seine Abneigung gegen eine ernsthafte Kriegführung gegen Deutschland darzutun.

Die Mittelmeer-Division wurde das Rückgrat der türkischen Flotte und die Triebfeder ihrer Betätigung während des Krieges, die im wesentlichen unter deutscher Führung erfolgte. Sie hat die Verteidigung der Dardanellen in wirksamster Weise unterstützt, mit der die Schließung des Schwarzen Meeres stand und fiel.

Diese Schließung war für die gesamte Kriegführung von größtem Wert. Durch sie wurde die russische Schwarzmeerflotte der feindlichen Seekriegführung entzogen. Eine der wichtigsten Versorgungsquellen mit Getreide versiegte für die feindlichen Mächte, die nunmehr in der Hauptsache auf die Überseezufuhr von Nordamerika und Argentinien angewiesen waren: für den U-Bootskrieg eine wertvolle Unterstützung. Anderseits wurde die Versorgung Rußlands mit Kriegsbedarf und Truppen auf diesem Wege unmöglich, die, wie schon oben erwähnt, nur noch über das Weiße Meer und durch den asiatischen Kontinent erfolgen konnte; das war für die deutsche Landkriegführung auf der Balkanfront von erheblicher Bedeutung.

Welchen Wert die feindliche Kriegführung auf die Öffnung der Dardanellen legte, beweist der um letztere entbrannte Kampf und die spätere Blockade der Dardanellen. Eine stattliche Zahl englischer und französischer Seestreitkräfte wurde dadurch gebunden. Das entlastete nicht nur die Seekriegführung auf den anderen Kriegsschauplätzen, sondern schuf für deutsche U-Boote wertvolle Angriffsgelegenheiten, die mit gutem Erfolge ausgenutzt worden sind.

Mit Einbeziehung des Mittelmeers in den U-Bootskrieg wurde dieses Gewässer zu einem Kriegsschauplatz ersten Ranges. Seine günstigen militärgeographischen Verhältnisse ermöglichten es, den durch diese Handelsstraße erster Ordnung gehenden feindlichen Seehandel, der zum überwiegenden Teil England mit den Erzeugnissen der östlichen Ozeanländer versorgte und für den die [15] Benutzung dieser Handelsstraße unentbehrlich war, durch die U-Boots- und Minenkriegführung auf das Empfindlichste zu schädigen.

Die feindliche Kriegführung an der italienisch-österreichischen Front, auf dem südlichen Balkan, in Mesopotamien und Ägypten war auf das Mittelmeer als Versorgungsstraße angewiesen. Durch Schädigung der in ununterbrochener Folge das Mittelmeer durchfahrenden Transporte von Truppen und Kriegsmaterial konnte sie wirksam getroffen, die Kriegführung der Mittelmächte entlastet werden.

Dieser Teil der Mittelmeerkriegführung stand somit in denkbar engster Beziehung zur Seekriegführung gegen England wie zur Landkriegführung.

Die vorstehenden Ausführungen bezwecken, einen kurzen Überblick über die Grundlagen der Seekriegführung auf den einzelnen Kriegsschauplätzen, ihre wechselseitigen Beziehungen und ihre Auswirkungen auf die Landkriegführung zu ermöglichen, bevor auf die eingehenden Behandlung des Seekriegs auf den einzelnen Kriegstheatern eingegangen wird. Für letztere ist die Einteilung nach Kriegsschauplätzen gewählt, und zwar wird in gesonderten Abschnitten behandelt:


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte