Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Seekrieg
[291]
Kapitel 5: Der
Auslandskreuzerkrieg1
Fregattenkapitän Emil Huning
1. Einleitung.
Unter dem Zwang der politisch-militärischen und der finanziellen
Verhältnisse des Reichs hat der Heimatschutz durch eine starke
Schlachtflotte stets an erster, die Vertretung der deutschen Auslandsinteressen
durch Kreuzer dagegen an zweiter Stelle stehen müssen. So ist es zu
erklären und zu verstehen, daß bei Kriegsausbruch das Aufgebot an
Kreuzern auf den ausländischen Stationen
verhältnismäßig schwach war, ausgenommen auf der
ostasiatischen Station als dem Brennpunkt der internationalen
Handelsbeziehungen, mit dem einzigen befestigten Stützpunkte
Kiautschou.
Hier hat von jeher der Schwerpunkt der deutschen
Auslandsstreitkräfte, verkörpert durch das Kreuzergeschwader,
gelegen.
Bei Ausbruch des Krieges 1914 waren die deutschen
Auslands-Kriegsfahrzeuge wie folgt verteilt:
Das Kreuzergeschwader war stark auseinandergerissen. Der Geschwaderchef
befand sich mit S. M. Panzerkreuzern "Scharnhorst" und "Gneisenau" auf
einer Kreuzfahrt von der ostasiatischen Station nach den Gewässern der
Südsee. S. M. Kleiner Kreuzer "Emden" war als
Stationär in Tsingtau zurückgeblieben, mit ihm S. M. Kleiner
Kreuzer "Cormoran" und S. M. Kanonenboote "Iltis", "Jaguar", "Tiger"
und "Luchs", sowie S. M. Flußkanonenboote "Otter", "Vaterland"
und "Tsingtau" mit dem Torpedoboot "S 90". Die ebenfalls zum
Kreuzergeschwader gehörenden Kleinen Kreuzer S. M. SS.
"Nürnberg" und "Leipzig" befanden sich an der Westküste von Mexiko, ersterer im Begriff, die Reise nach der Südsee zur
Wiedervereinigung mit dem Kreuzergeschwader anzutreten. S. M.
Kanonenboot "Geier" kreuzte im Indischen Ozean, S. M. Kleiner Kreuzer "Königsberg" und S. M. Vermessungsschiff "Möwe"
befanden sich an der Ostküste von Afrika; S. M. Kanonenboot
"Eber" lag auf der westafrikanischen Station; S. M. Kleiner Kreuzer "Dresden" erwartete an der Ostküste von Mexiko den von der Heimat
kommenden Kleinen Kreuzer S. M. S. "Karlsruhe", um dann
selbst die Rückreise nach Deutschland anzutreten, und S. M.
Vermessungsschiff "Planet" ankerte vor einer Insel des deutschen Schutzgebiets
in der Südsee.
In dieser Verteilung wurden die deutschen Auslands-Seestreitkrafte im August
1914 vom Kriege überrascht - fürwahr ein winziges
Häuflein gegenüber [292] der
erdrückenden Übermacht der englischen, französischen,
russischen und japanischen Flotten; für friedliche Zeiten eben hinreichend,
um die deutsche Kriegsflagge auf dem Weltmeer zu zeigen, den
Kolonialvölkern Achtung einzuflößen und nötigenfalls
Strafexpeditionen auszuführen, schließlich auch ausreichend
für einen Krieg gegen Rußland-Frankreich, niemals aber gegen eine
Mächtegruppierung, wie sie damals gegen das Deutsche Reich auftrat.
Man hat im Seekrieg scharf zu unterscheiden zwischen Haupt- und
Nebenkriegführung. Die Hauptkriegführung wird getragen von dem
Kern der beiderseitigen Schlachtflotten mit dem zugehörigen Apparat an
leichten Streitkräften; ihr Ziel ist rein militärischer Natur, d. h.
die Vernichtung der feindlichen Hauptseestreitkräfte. Die
Nebenkriegführung dagegen ist nur Mittel zum Zweck: sie soll die
Hauptkriegführung ergänzen und unterstützen durch
weitestgehende Schädigung des Gegners hauptsächlich in
wirtschaftlicher Beziehung. Dieses ist ein charakteristischer Zug der
Seekriegführung im Vergleich zum Landkriege, weil das Seekriegsrecht
den Schutz des Privateigentums auf See nicht kennt, sondern die Benutzung der
militärischen Machtmittel auch gegen die feindliche Handelsschiffahrt
grundsätzlich gestattet. Daher spielt der sogenannte Handelskrieg im
Seekrieg eine besondere, oft wesentliche und ausschlaggebende Rolle. Die
Führung des Nebenkrieges zur See fällt naturgemäß
denjenigen Streitkräften zu, welche vom Hauptkriegsschauplatz weiter
entfernt sind oder besonders zu diesem Zweck nach entfernter gelegenen
Operationsgebieten entsandt werden. So ist es denn die natürliche Aufgabe
der bereits im Frieden im Auslande befindlichen Seestreitkräfte, im Falle
des Krieges den Handelskrieg gegen die feindliche Schiffahrt zu
führen.
Das Kriegschiff ist aber abhängig von der Kohle, und wenn diese nicht zu
ergänzen ist, bleibt es ein hilfloses, dem Feinde preisgegebenes Fahrzeug;
findet es keine Gelegenheit, an irgendeinem Zufluchtsort
Grund- oder sonstige größere Reparaturen auszuführen,
Munition und Nahrungsvorräte zu ergänzen, dann ist
es - wenigstens für einen länger dauernden
Seekrieg - unbrauchbar. Zwar gestattet das Seekriegsrecht ein Anlaufen
neutraler Häfen, aber doch nur für eine nach Stunden bemessene
Frist; und wenn die betreffende neutrale Macht dem Fremdling nicht wohlgesinnt
ist, so kann die erhoffte Unterstützung allzuleicht ausbleiben.
Betrachtet man unter diesem Gesichtswinkel die Lage der deutschen
Auslandskreuzer bei Beginn des Krieges und schätzt man danach ihre
Aussichten und Erfolgmöglichkeiten ab, so kann das Ergebnis nur ein
höchst trauriges sein. Tausende von Seemeilen von der Heimat und deren
Hilfsquellen entfernt und der Möglichkeit beraubt, mit ihr in direkte
drahtliche Verbindung zu treten; außer Kiautschou ohne irgendeinen
befestigten Stützpunkt, und Kiautschou selbst so gut wie wertlos wegen der
Nähe des japanischen Gegners; gegenüber den vielen,
übermächtigen Feinden nicht in der Lage, die Hilfe und
Unterstützung der deut- [293] schen Kolonien in
Anspruch zu nehmen, geschweige denn diese zu schützen; in bezug auf
Ergänzung der Kohlenvorräte und allgemeiner
Schiffsausrüstung angewiesen auf deutsche Dampfer, die jeden Augenblick
vom Feinde gekapert werden konnten; Nachrichten über die Kriegslage in
der Welt und besonders in der Heimat schmerzlich vermissend, wenigstens
solche, auf die man sich verlassen konnte: feindliche Lügenmeldungen
mehr als erwünscht, Nachrichten aus neutraler Quelle unkontrollierbar,
solche aus der Heimat kamen nicht durch. Und schließlich die Neutralen:
wenn sie wenigstens wirklich neutral gewesen wären! Die einen wollten es
nicht sein, die andern konnten es nicht sein. Bei der Überzahl von Feinden
kamen für die deutschen Auslandskreuzer als neutrale Mächte
eigentlich nur die Vereinigten Staaten und Holland in Betracht. Die ersteren
standen, wie sattsam bekannt, bereits von Beginn des Krieges auf seiten Englands,
und das kleine Holland hätte sofort die englische Knute zu fühlen
bekommen, wenn es gewagt hätte, eine für das Deutsche Reich
wohlwollende Neutralität zu üben.
Es liegt die Frage nahe, ob die deutsche Seekriegführung in der Heimat
durch diese bedrängte Lage, in der sich die Auslandsseestreitkräfte
befanden, überrascht wurde. Es bedarf keiner besonderen Betonung,
daß der deutsche Admiralstab, ebenso wie der Große Generalstab,
jeden innerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Kriegsfall in seine
Überlegung einbezogen und im Frieden vorbereitet hatte, daß also
auch die Geschwaderchefs und Kommandanten in Übersee für jeden
solchen Kriegsfall ihre Anweisungen hatten. Man wird freilich nicht annehmen
können, daß auch der Fall eines "Krieges gegen die ganze Welt"
vorgesehen war. Insofern ist die deutsche Seekriegführung und sind die
Kommandanten im Auslande allerdings überrascht worden. Aber der
deutsche Soldat, und nicht zuletzt der deutsche Seemann, ist gewohnt gewesen,
im Falle der Überraschung "den Umständen entsprechend"
selbständig zu handeln und das beste aus der ihm anvertrauten Waffe
herauszuholen. Wie dies geschehen ist, sollen die folgenden Zeilen berichten.
2. Das Etappenwesen.
Um die Schwere der den deutschen Auslandskreuzern gestellten Aufgaben zu
verstehen, muß etwas über das Etappenwesen gesagt werden. Ohne
ein im Frieden gut vorbereitetes Etappensystem ist eine erfolgreiche
Auslandkriegführung nicht denkbar, besonders dann nicht, wenn die
kriegführende Macht nicht über eigene Stützpunkte
verfügt. Etappen werden vorgesehen an wichtigen, mit guten
Kabel- oder Funkspruchverbindungen versehenen Handelsplätzen der
ganzen Welt. In erfolgversprechende Tätigkeit werden diese
naturgemäß nur insoweit treten können, als sie zu neutralen
Staaten gehören, und je wohlwollender der betreffende Staat seine
Neutralität ausübt, um so wichtiger und [294] bedeutungsvoller wird
die Rolle sein, die die Etappe spielen wird. Ihr fällt die Aufgabe zu,
Nachrichten zwischen der Heimat und den Auslandsschiffen einerseits und unter
den letzteren anderseits zu vermitteln, Nachschübe an Kohlen,
Schiffsausrüstung und Proviant für die Kreuzer bereitzustellen und in
Marsch zu setzen, als Hilfskreuzer geeignete Handelsschiffe heranzuziehen, deren
Ausrüstung vorzubereiten und in die Wege zu leiten, sowie
schließlich die Kommandanten der Auslandsschiffe in jeder Beziehung so
zu unterstützen, wie es nach Lage der Verhältnisse zum Zwecke
einer erfolgreichen Handelskriegführung möglich und geboten ist. Es
liegt auf der Hand, daß eine solche Tätigkeit ein hohes Maß
von Organisationstalent, Dispositionskunst, Verantwortungsfreudigkeit,
Entschlußfähigkeit und nicht zuletzt diplomatischer Geschicklichkeit
erfordert. Wären diese Eigenschaften bei den Persönlichkeiten, die
die deutschen Etappen leiteten, nicht in dem Maße vorhanden gewesen, so
wäre zweifellos mancher schöne Erfolg der
Auslandsstreitkräfte nicht zu verzeichnen.
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