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der deutschen Kolonien
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Der Weltkrieg in den Kolonien (Teil
1)
[263]
Der Kampf um Ostafrika
Dr. Alex Haenicke
Die geringe Zahl unserer Streitkräfte schien, als der Weltkrieg ausbrach,
einen längeren Widerstand gegen die Übermacht der Alliierten
unmöglich zu machen. Aber General von
Lettow-Vorbeck, unterstützt vom Gouverneur Dr. Heinrich
Schnee, der den
ganzen Feldzug bei der Truppe mitgemacht hat, gelang es,
sich den ganzen Krieg hindurch nicht nur gegen die Verbündeten
erfolgreich zu verteidigen, sondern sogar zur Offensive überzugehen und
bei Abschluß des Waffenstillstandes unbesiegt den Feinden
gegenüberzutreten. Es ist an allen Fronten des großen Ringens
Übermenschliches, Unvorstellbares geleistet worden, und wir wollen hier
nicht abwägen, ob die Kalkwüste der Champagne, die
Wasseröde Flanderns oder der Fieberbusch Ostafrikas größere
Anforderungen an die Nerven der Kämpfenden stellten. Es genügt,
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sich darüber klar zu sein, daß die Verteidigung Ostafrikas durch die
Schutztruppe unter Führung
Lettow-Vorbecks zu den erstaunlichsten, zu den ganz heroischen, ganz unerwartet
großartigen Leistungen gehört.
Es ist das für uns als Deutsche besonders schön; denn die
Askaris der Schutztruppe, die farbigen Soldaten, haben sich mit nicht
geringerer Tapferkeit und vor allem mit nicht geringerer Liebe zu
Deutschland geschlagen - trotz der verlockendsten Angebote der
Engländer stand "die gesamte Eingeborenenbevölkerung wie ein
Mann zu den Deutschen, selbst unter schwersten Opfern an Gut und Blut, die sie
freiwillig, nicht notgedrungen oder gezwungen, brachte". Man kann es nicht oft,
nicht laut genug in alle Welt schreien, daß die ostafrikanischen Neger,
vielleicht in noch höherem Maße als ihre Stammesgenossen in
Westafrika, deutsch sein wollen, daß sie Leben und Eigentum
genau so für Deutschland gegeben haben wie die Deutschen
selbst - damit endlich, endlich wieder Gerechtigkeit in die Welt komme
und die bösartigen Lügen der Konkurrenzneider
übertöne. Deutschland muß schon aus dem Grund allein seine
Kolonien wieder haben, weil die Neger mit ihrem Blut erklärt haben,
welchem Land sie die Treue halten wollen.
Aber abgesehen von allem Heldentum, allen ethischen Einflüssen, hatte die
erfolgreiche Verteidigung einen sehr realen Vorteil für die an den
europäischen Fronten Kämpfenden: Es wurden sehr bedeutende
alliierte Streitkräfte in Ostafrika gefesselt, die sonst auf den anderen
Kriegsschauplätzen auf uns losgelassen worden
wären - so bedeutende, wie wir damals gar nicht geahnt haben.
Lettow-Vorbeck sagt:
"Für die feindlichen
Stärken stehen mir authentische Angaben nicht zur Verfügung, und
ich muß den englischen Offizieren und den Pressemeldungen, auf die ich
mich berufe, [264] die Verantwortung
für die Richtigkeit der ihrigen überlassen. Nach diesen haben
über 130 (!!) Generäle gegen uns im Felde gestanden; die
Gesamtstärke der feindlichen Soldaten betrug rund 300 000, die
Verluste an europäischen und indischen Toten 20 000, an Pferden
und Maultieren 140 000. Diese Zahlen, besonders die Zahl der
Generäle, scheinen mir allerdings selbst etwas zu hoch gegriffen; ich kann
deswegen nur wiederholen, daß sie aus englischer Quelle stammen.
Jedenfalls sind es aber recht achtbare Verluste gewesen. Unter
Berücksichtigung des Umstandes, daß die Zahl der gefallenen und
gestorbenen schwarzen Soldaten nicht bekannt gegeben ist, dürfte die
Gesamtzahl der feindlichen Toten nicht unter 60 000 Soldaten betragen.
Der Gefechtskalender weist schon heute, obwohl die Nachrichten von Tafel und
Wintgens noch fehlen, mindestens 1000 Gefechte auf."
Die Engländer beziffern ihre Truppenstärke wie folgt: 52 000
Inder, 43 000 Südafrikaner, 3000 Koloniefreiwillige, 15 000
aus verschiedenen afrikanischen Regimentern, 15 000 Belgier und
20 000 Portugiesen - alles gegen ein paar tausend Mann Askaris und
ein paar hundert Weiße! Schließlich können wir ja
nur geschmeichelt sein!
Natürlich bot das Land einer so vorzüglich geschulten Truppe wie
der deutschen und so erfahrenen Offizieren außerordentliche Vorteile. Ein
englischer Bericht urteilt so:
"Das Land war für eine
längere Verteidigung vorzüglich geeignet, wenn es einen
entschlossenen und harten Kommandeur hatte, als der
Lettow-Vorbeck sich bewies. Ein großer Teil des Landes ist mit Busch
besetzt, das heißt mit Unterholz, mehr oder weniger offen, aber durchweg
dicht, aus dem Bäume bis zu 30 Fuß Höhe hervorragen.
Dieser Busch bedeckt Berge und Täler, selbst dürre Steppen und
schießt an der Küste in üppige Dschungel auf. Einige Gebiete
sind mit dichten Wäldern bedeckt, andere mit Elefantengras von
6 - 10 Fuß Höhe und darüber. Fast alle
Flußtäler sind sumpfig und fieberverseucht. Während der
Regenzeit sind weite Gebiete überschwemmt. In der Trockenzeit herrscht
oft Wassermangel. Wilde Tiere bilden eine schwere Gefahr, besonders für
die Verwundeten. Das Klima ist tropisch und sehr ungesund, ausgenommen einige
wenige Hochebenen; in einigen Berggebieten ist sogar Malaria heimisch. Solcher
Art war die Lage in Ostafrika, einem Lande von doppelter Größe wie
Deutschland selbst. Der »Busch« war der größte
Aktivposten für die Verteidigung."
Der Burengeneral Smuts, der Lettow-Vorbeck gegenüberstand,
meinte:
"Im afrikanischen Busch mit seiner
beschränkten Übersichtlichkeit ist es praktisch unmöglich,
einen Feind einzuschließen, der entschlossen ist zu entkommen. Die
Methode ist einfach. Wenn einer Truppenmacht so hart beigesetzt wird, daß
die Vernichtung unvermeidlich scheint, der Widerstand aber fortgesetzt werden
soll, so wird der Befehl gegeben, »schlagt euch in den Busch,«
worauf die Truppe sich in Partien zu dreien und vieren auflöst und im
Busch verschwindet. Verfolgung ist hoffnungslos, und der versprengte Feind,
wenn er gut geschult ist, sammelt sich wieder an einem verabredeten Punkte.
Noch mehr, so dicht ist der Busch auf viele Tausende von Quadratmeilen,
daß beträchtliche Streitkräfte bei einer Meile Entfernung
aneinander vorbeimarschieren können, ohne einander gewahr zu werden.
Diese Faktoren erklären es, warum bei genügender Bewaffnung und
Nahrungsversorgung" - hier färbt Smuts die Lage der Deutschen
rosiger, als sie war, um sich selbst zu
entschuldigen - "Lettow-Vorbeck noch im Felde stand, als der
Waffenstillstand in Europa unterzeichnet wurde, trotz der Isolation und der weit
überlegenen Kräfte, die seit dem Jahre 1916 ins Feld geschickt
wurden."
[265] Gouverneur Dr.
Heinrich Schnee gibt folgende Übersicht über den Verlauf
des Feldzuges:
"Der Krieg in Deutsch-Ostafrika
läßt sich in vier Zeitabschnitte einteilen.
Der erste Abschnitt umfaßt die Zeit vom
Kriegsausbruch bis zum Beginn der großen englischen Offensive, das ist
vom August 1914 bis März 1916. Innerhalb dieses Zeitraumes verblieb das
Schutzgebiet, abgesehen von kleinen unbedeutenden Teilen, in deutschem Besitz;
es gelang der Schutztruppe nicht nur, feindliche Angriffe auf die Kolonie
abzuwehren, sondern auch erfolgreiche Vorstöße in die dem
Schutzgebiet benachbarten feindlichen Kolonien zu machen und ein kleines
Gebiet in Britisch-Ostafrika zu besetzen.
Der zweite Abschnitt umfaßt die Zeit vom
Beginn des feindlichen Vordringens in den nördlichen Teil des
Schutzgebietes bis zum Verlust der Zentralbahn und damit des
größten Teiles der Kolonie, das ist vom März 1916 bis
September 1916. Innerhalb dieser Zeit drangen starke feindliche Kräfte
sowohl von Norden (Kilimandscharo) wie von Nordwesten (Kiwusee), Westen
(Tanganjika) und Südwesten (Njassa) wie auch vorübergehend von
Süden (Portugiesisch-Ostafrika) in das deutsche Gebiet ein. Obwohl dem
Feind jeder Fußbreit Bodens streitig gemacht wurde, mußte die
Schutztruppe doch unter beständigen Kämpfen vor den an
[270]
Ein Baumverhau im Kampfgebiet Mahenge in
Deutsch-Ostafrika.
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Truppenzahl wie an Kriegsmaterial jeder Art weit überlegenen feindlichen
Streitkräften allmählich zurückweichen. Ende September 1916
befanden sich im wesentlichen die Gebiete südlich des Rowuma und
kleinere Teile nördlich des unteren Rowuma sowie der westlich
angrenzende Mahengebezirk noch in deutschem Besitz.
Der dritte Abschnitt reicht bis zur
Räumung des Schutzgebietes durch die Reste der Schutztruppe und
Übergang dieser über den Rowuma in portugiesisches Gebiet, vom
September 1916 bis Ende November 1917. Während dieses Zeitraumes
hielt die Truppe unter täglich schwieriger werdenden Verhältnissen
den weit überlegenen Gegner auf und brachte ihm trotz seiner gewaltigen
Überzahl wiederholt schwere Verluste bei, so daß der Feind
über ein Jahr brauchte, um unsere Truppe zur Aufgabe dieses letzten Teiles
unserer Kolonie zu zwingen.
Der vierte Abschnitt umfaßt die Zeit vom
Übergang über den Rowuma bis zum Waffenstillstand, d. i.
vom November 1917 bis November 1918. Die kleine noch mobile Truppe hielt
sich nach dem Rowuma-Übergang zehn Monate lang in portugiesischem
Gebiet, ihre Munition und Ausrüstung durch Wegnahme feindlicher
Bestände und Eroberung portugiesischer Forts ergänzend und die
Verpflegung aus dem Lande entnehmend. Teile der Truppe gingen östlich
bis zur Küste, westlich bis in die Nähe des Njassasees, die ganze
Truppe dann bis in die Gegend von Quelimane nach Süden,
schließlich, nachdem stärkere englische Truppen in
Portugiesisch-Ostafrika zu ihrer Einkreisung zusammengezogen waren,
über den Rowuma nach Deutsch-Ostafrika zurück. In den letzten
anderthalb Monaten wurde der Südwesten von
Deutsch-Ostafrika durchquert und dann nach Nordostrhodesien hineinmarschiert.
Bei Kasama in Rhodesien (etwa zehn [266] Tagemärsche
von der deutsch-ostafrikanischen Grenze entfernt) erreichte uns die Nachricht
vom Waffenstillstand."
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Einige Kämpfe waren
besonders bestimmend für den Verlauf des
Feldzuges und bezeichnend für den Geist der Truppe, ebenso die erste
Schlacht, die im November 1914 geschlagen wurde: Das etwa 8000 Mann starke
englisch-indische Expeditionskorps wurde von Lettow-Vorbeck mit etwa 1000
Mann schwer geschlagen. Die Engländer beziffern ihre Verluste auf 795
Mann, davon 141 englische Offiziere und Mannschaften, außerdem verloren
sie 16 Maschinengewehre; unsere Verluste geben sie mit 15 gefallenen Deutschen
und 44 gefallenen Askaris an. Dann brachte am 11. März 1916 Major
Kraut am Kilimandscharo der ersten Brigade der zweiten
ostafrikanischen Division eine so schwere Niederlage bei, daß der General
Malleson bat, seines Kommandos enthoben zu werden. Die
verlustreichste Schlacht für die Engländer fand im Oktober 1917 bei
Mahiwa statt: Lettow verlor von 1500 Mann 519, die Engländer
büßten 3000 ein. Nach dem Übertritt auf portugiesisches
Gebiet hatte Lettow noch im ganzen 2000
Mann - die Portugiesen schickten etwa 20 000 aus der Heimat
herüber, was natürlich viel zu wenig war, und auch keinen weiteren
Zweck hatte, als die Schutztruppe mit Waffen, Ausrüstungsstücken
und Munition zu versehen. Dieser Aufgabe wurden die Portugiesen auf das beste
gerecht.
Die Verlustliste der Deutschen betrug: Gefangene 1741, Vermißte
1135, Gestorbene 247, Gefallene 287, Verwundete 874, bei der Marine 160. Die
Verluste unserer Askaris betrugen an Toten 10 292, an Verwundeten 3669
Mann.
General von Lettow-Vorbeck beschreibt in seinem Buche Meine
Erinnerungen an Ostafrika die Schlacht bei Tanga
folgendermaßen:
"Erbeutete englische Zeitungen
berichteten, daß Deutschland den Verlust seiner geliebten Kolonien, seiner
»Küchlein,« so besonders schmerzlich empfinden
würde, und daß Deutsch-Ostafrika der »wertvollste
Happen« sei. Erbeutete Post sprach von der demnächstigen Ankunft
eines indischen Expeditionskorps von 10 000 Mann, und da ich sowieso
aus allgemeinen Erwägungen heraus schon immer mit einer feindlichen
Landung größeren Stiles in der Gegend von Tanga
gerechnet hatte, reiste ich Ende Oktober dorthin, fuhr mit meinem
mitgenommenen Auto die Gegend ab und besprach mich an Ort und Stelle mit
Hauptmann Adler, dem Führer der 17. Kompanie, sowie dem
Bezirksamtmann Auracher. Erfreulicherweise trat dieser meiner
Auffassung bei, daß bei einer ernsthaften Bedrohung Tangas vor allem
einheitliches Handeln notwendig sei, und ich versicherte ihm, daß ich
selbstverständlich für alle hieraus hervorgehenden Konsequenzen die
Verantwortung übernähme. Dies war besonders deshalb von
Bedeutung, weil nach den gegebenen Anweisungen des Gouverneurs eine
Beschießung von Tanga unter allen Umständen vermieden werden
sollte. Die Ansichten darüber, was im gegebenen Fall zu tun oder zu lassen
sei, konnten also sehr verschieden sein.
[267]
Wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Neumoschi, am 2.
November, wurde von Tanga aus gedrahtet, daß 14 feindliche
Transportschiffe und zwei Kreuzer vor Tanga erschienen seien. Diese verlangten
die bedingungslose Übergabe der Stadt; die Verhandlungen darüber
zogen sich in die Länge, da Bezirksamtmann Auracher, der an Bord
gegangen war, darauf aufmerksam machte, daß er besondere Weisung
einzuholen habe, und das angedrohte Bombardement durch die Bemerkung
verhinderte, daß Tanga ein offener und unverteidigter Ort sei. Hauptmann
Baumstark, der mit zwei Kompanien nördlich Tanga im
Grenzgebiet war, wurde sofort auf Tanga in Marsch gesetzt. Ebenso wurden aus
der Gegend von Taveta und vom Kilimandscharo die beiden
Europäerkompanien und die Askarikompanien im Eilmarsch nach
Neumoschi herangeholt. Zwei Lastautos, die zum Verpflegungstransport auf der
Strecke Neumoschi - Taveta dienten, taten bei dieser
Truppenverschiebung wertvolle Dienste.
Meine Absicht, alle verfügbaren Truppen gegen die
zweifellos in Tanga bevorstehende Landung mit größter Schnelligkeit
dort zu sammeln, war trotz der den Truppen zugemuteten starken Märsche
nur durchführbar, wenn die Nordbahn ihre
Leistungsfähigkeit auf das äußerste anspannte, und das war bei
den wenigen Lokomotiven - es waren nur acht - viel verlangt. Die
etwa 300 km lange Strecke ist eine Schmalspurbahn, auf der im voll
ausgelasteten Zuge von 24-32 Achsen nur eine Kompanie mit vollem
Gepäck oder zwei Kompanien ohne Gepäck und ohne Träger
befördert werden konnten. Nur dem Entgegenkommen aller mit diesen
Transporten beschäftigten
Personen - ich nenne besonders den als Leutnant zur Truppe eingezogenen
Eisenbahnkommissar Kröber und den Betriebsdirektor
Kühlwein -, die die Züge bei Tanga bis auf das
Gefechtsfeld und in das Feuer hinein vorführten, ist es zu danken,
daß diese Transporte überhaupt ausgeführt werden konnten.
Noch am 2. November wurden die gerade in Neumoschi anwesenden
Truppenteile, anderthalb Kompanien, mit der Bahn abtransportiert, am 3. morgens
das Kommando mit einer weiteren Kompanie; drei andere Kompanien folgten
später. Ebenso wurden alle kleineren Formationen des Bahnschutzes nach
Tanga herangezogen. Die Stimmung der abfahrenden Truppen war
glänzend; dies mag jedoch weniger darauf zurückzuführen
sein, daß der Askari sich über den Ernst der Lage klar war, als
vielmehr darauf, daß für ihn eine Eisenbahnfahrt unter allen
Umständen ein großes Vergnügen bedeutete.
Das Kommando traf am 3. November abends in Korogwe
ein. Ich begab mich zu dem dort eingerichteten Lazarett und sprach die aus dem
Gefecht von Tanga am 3. November zurückgekommenen Verwundeten.
Einer derselben, Oberleutnant d. L. Merensky, berichtete mir,
daß am 2. November bei Tanga Posten- und Patrouillengefechte in der
Gegend von Ras Kasone stattgefunden hatten und daß am 3.
November ein anscheinend mehrere tausend Mann starker Feind, der bei
Ras Kasone gelandet war, die 17. Kompanie östlich von
Tanga angegriffen hatte. Diese, durch die Europäer und Polizeiaskari aus
Tanga unter [268] dem Oberleutnant
Auracher verstärkt, hatte dem Angriff standgehalten, bis die ersten von
Neumoschi eintreffenden anderthalb Kompanien eingriffen, sofort gegen die linke
Flanke des Feindes vorstürmten und ihn zurückwarfen. Oberleutnant
Merensky hatte den Eindruck, daß der Feind vollständig
geschlagen und die Wiederholung eines Angriffes unwahrscheinlich wäre.
Die während der Eisenbahnfahrt stückweise eintreffenden
Telegramme hatten mir ein klares Bild der Lage nicht geben können, als
das Kommando am 4. November um 3 Uhr morgens 6 km
westlich von Tanga die Bahn verließ und dort den Hauptmann Baumstark
antraf.
Dieser hatte die Lage anders beurteilt und glaubte bei der
großen Überlegenheit des Feindes, daß bei einem erneuten
Angriff Tanga nicht zu halten sei. Er hatte deshalb seine von Norden kommenden
zwei Kompanien und die Teile, die am 3. November bei Tanga im Gefecht
gestanden hatten, am Abend dieses Tages 6 km westlich von Tanga
gesammelt und in der Stadt selbst nur Patrouillen belassen. Ob Tanga frei oder
vom Feinde besetzt war, darüber herrschte keine Klarheit. Starke
Offizierspatrouillen wurden sofort über Tanga hinaus auf
Ras Kasone zu vorgetrieben. Glücklicherweise hatte das Kommando
einige Fahrräder mitgebracht, und so konnte ich, um schnell
Aufklärung durch persönlichen Augenschein zu schaffen, sogleich
mit Hauptmann v. Hammerstein und dem Kriegsfreiwilligen
Dr. Lessel zum Bahnhof Tanga hinein vorfahren. Von der hier
angetroffenen vorgeschobenen Postierung der 6. Feldkompanie konnte ich auch
nichts Näheres über den Feind erfahren und fuhr weiter durch die
leeren Straßen der Stadt vor. Die Stadt war vollständig verlassen, und
die weißen Europäerhäuser leuchteten in den Straßen,
durch die wir fuhren, im klarsten Mondschein. So erreichten wir den Hafen am
jenseitigen Stadtrande; Tanga war also frei vom Feinde. 400 m vor uns
lagen hell erleuchtet die Transportschiffe, auf denen großer Lärm
herrschte; es war kein Zweifel, daß die Landung unmittelbar bevorstand. Ich
bedauerte sehr, daß unsere Artillerie - wir hatten nämlich auch
zwei Geschütze C/73 - noch nicht zur Stelle war. Hier, im hellen
Mondschein, auf so nahe Entfernung, hätte sie trotz der Anwesenheit der
feindlichen Kreuzer vernichtend wirken können.
Wir fuhren dann weiter auf Ras Kasone zu,
ließen im deutschen Gouvernementshospital unsere Räder stehen und
gingen zu Fuß an den Strand, an dem dicht vor uns ein englischer Kreuzer
lag. Auf unserem Rückweg wurden wir am Hospital anscheinend von
einem indischen Posten - wir konnten die Sprache nicht
verstehen - angerufen, sahen aber nichts. Wir setzten uns auf die
Räder und fuhren zurück. Der Tag begann zu grauen, und linker
Hand von uns hörten wir die ersten Schüsse fallen. Es war dies die
Offizierspatrouille des Leutnants Bergmann der 6. Feldkompanie,
die westlich Ras Kasone auf feindliche Patrouillen gestoßen war.
Einer meiner Radfahrer brachte nun an Hauptmann Baumstark den Befehl,
sogleich mit allen Truppen auf Bahnhof Tanga anzutreten. Für die Art, wie
ich das sicher [269-270=Fotos] [271]
bevorstehende Gefecht zu führen gedachte, war die Beschaffenheit des
Geländes mit ausschlaggebend. Im Norden boten die Häuser der am
Hafen gelegenen Europäerstadt Schutz gegen Sicht und daher auch gegen
das Artilleriefeuer der nahe gelegenen Kreuzer. Umgeben war die Stadt von
ununterbrochenen Kokospalmen- und Kautschukpflanzungen, die sich fast bis
Ras Kasone ausdehnten, und in die außer der Eingeborenenstadt auch
einige Anpflanzungen von Eingeborenen eingestreut waren. Unterholz war nur an
wenigen Stellen vorhanden und das Gelände durchaus flach. Es war
wahrscheinlich, daß der Feind, mochte er nun bei Ras Kasone allein
oder gleichzeitig an mehreren Stellen, zum Beispiel auch bei Mwambani, landen,
einen Druck gegen unseren südlichen, also rechten Flügel
ausüben würde. Auch für uns war hier südlich von
Tanga die Aussicht auf größere Bewegungsfreiheit durch die
Beschaffenheit des Geländes gegeben. Ich beschloß, den sicher zu
erwartenden feindlichen Angriff am Ostrande von Tanga anzunehmen und starke
Reserven hinter unserem rechten Flügel zum Gegenstoß gegen die
feindliche Flanke zu staffeln.
Bei den verschiedenen Aufgaben galt es, die Eigenart der
Truppenteile zu berücksichtigen. In der damaligen Zeit hatte jede
Kompanie noch nach der Art ihrer Zusammensetzung und dem Standpunkte ihrer
Ausbildung ihr besonderes Gepräge. Die gute 6. Feldkompanie, die
im Frieden in Udjidji auch mit Maschinengewehren eine
sorgfältige Ausbildung im Schießen erhalten hatte, wurde beauftragt,
in einer breiten Front den Ostrand von Tanga zu besetzen. Rechts
rückwärts von dieser, außerhalb Tanga, wurde das Bataillon
Baumstark, bestehend aus der aus Polizei gebildeten 16. und 17. Feldkompanie
sowie kleineren, zu einer Kompanie zusammengezogenen Formationen, gestaffelt.
Rechts rückwärts hiervon, an der Telegraphenstraße
Tanga - Pangani, blieben drei gute Kompanien, nämlich die
aus Europäern bestehende 7. und 8. Schützenkompanie mit
ihren vier Maschinengewehren, zu meiner Verfügung. Das Kommando
selbst blieb zunächst an der Straße
Tanga - Pangani und schloß sich an die dortige Drahtleitung
an. Die 4. und 9. Feldkompanie sowie die zwei
Geschütze C/73 (Batterie Hauptmann Hering) waren noch im
Anrollen und die Zeit ihres Eintreffens ungewiß. So verblieb die Lage im
wesentlichen bis zum Nachmittag. In der heißen Sonne der
Küstenzone litten wir nicht wenig unter Durst, stillten ihn aber durch das
Wasser der jungen Kokosfrüchte. Auch sonstige Getränke gab es
damals noch in Tanga; wir hatten noch Wein und Selterswasser. Sogar warme
Würstchen wurden den Truppen vom Schlächtermeister Grabow
gebracht.
Die Vorgänge bei den feindlichen Schiffen wurden
dauernd scharf beobachtet. Man sah jedes Boot, das von ihnen abstieß, und
dessen Besatzung. Ich schätzte die Summe der bis zum Mittag gelandeten
Feinde auf 6000. Aber auch bei dieser noch zu niedrigen Schätzung des
Feindes mußte ich mir die Frage vorlegen, ob ich es wagen durfte, mit
meinen tausend Gewehren einen entscheidenden Kampf aufzunehmen. Ich habe
die Frage aus verschiedenen Gründen bejaht. Es war zu wichtig, den Feind
an einem Festsetzen bei Tanga zu hindern. Wir [272] würden ihm
sonst die beste Basis für Unternehmungen gegen die Nordbezirke
überlassen; bei seinem Vordringen würde er in der Nordbahn ein
glänzendes Hilfsmittel für seinen Nachschub haben, und immer neue
Truppen und Kampfmittel könnten bequem und überraschend
heran- und vorgeführt werden. Dann war aber mit Sicherheit zu erwarten,
daß das Gebiet der Nordbahn für uns unhaltbar würde, und
unsere bisherige so erfolgreiche Art der Kriegführung mußte
aufgegeben werden. Gegen diese gewichtigen sachlichen Gründe
mußten enge Bedenken, wie der Befehl des Gouverneurs, die
Beschießung von Tanga unter allen Umständen zu vermeiden,
zurücktreten.
Einige Umstände sprachen auch zu unseren
Gunsten. Einmal war mir persönlich von früher her, aus Ostasien, die
Schwerfälligkeit englischer Truppenbewegungen und englischer
Gefechtsführung bekannt, und es war sicher, daß diese
Schwierigkeiten in dem sehr gedeckten und dem Feinde unmittelbar nach seiner
Landung ganz unbekannten Gelände ins Unendliche wachsen
würden. Die geringste Störung der Ordnung mußte
weitgehende Folgen nach sich ziehen. Ich hatte Aussicht, mit meiner Truppe,
deren Europäer die Gegend von Tanga gut kannten und deren Askari im
Busch zu Hause waren, die Schwächen des Feindes durch geschicktes und
schnelles Manövrieren auszunutzen.
Freilich, wenn die Sache unglücklich ablief, war es
schlimm. Schon bisher war die Art meiner aktiven Kriegführung
mißbilligt worden. Kam hierzu noch eine große Niederlage im
Gefecht, so war es mit dem Vertrauen der Truppe wahrscheinlich endgültig
vorbei, und mit Sicherheit würden mir auch von vorgesetzter Stelle aus
unüberwindbare Schwierigkeiten in der Kommandoführung bereitet
worden sein. Mein Entschluß war nicht leicht, und seine in der
kriegerischen Lage begründete Schwere wurde dadurch noch in
unnötiger Weise vergrößert, daß die Bestimmungen dem
eigentlich verantwortlichen Führer nicht die genügende Freiheit
einräumten. Aber es half nichts: es mußte alles an alles gesetzt
werden.
Noch am Vormittag gab ich an Hauptmann v.
Prince persönlich den Befehl, mit seinen zwei
Europäerkompanien nach Tanga hineinzurücken, um bei einem
Angriff gegen die am Ostrande des Ortes liegende Askarikompanie schnell und
ohne Befehl eingreifen zu können. Schon fing ich an zu zweifeln, ob der
Feind am 4. November überhaupt noch angreifen würde, als
um 3 Uhr nachmittags ein Askari in seiner einfachen und strammen Art die
Meldung machte: "Adui tajari" ("Der Feind ist bereit"). Das kurze Wort
werde ich niemals vergessen. Im nächsten Moment ging gleichzeitig das
Gewehrfeuer auf der ganzen Front los, und man konnte auf den raschen Verlauf
des Gefechts mit seinem
Hin- und Herwogen nur aus der Richtung des Knalles der Schüsse
Schlüsse ziehen. Man hörte, daß das Feuer sich vom Ostrande
Tangas her in die Stadt hineinzog: hier war also die 6. Kompanie
zurückgeworfen worden. Bis dicht an den Bahnhof und in die Stadt hinein
war der Feind mit zwanzigfacher Übermacht vorgedrungen. Hauptmann
v. Prince war mit seinen beiden Europäerkompanien [273] sofort
vorgestürmt und hatte die zurückgehenden braven Askari
augenblicklich zum Stehen und Wiedervorgehen gebracht. Das britische, nur aus
Europäern, langgedienten Mannschaften, bestehende
North-Lancashire-Regiment, 800 Mann stark, wurde mit schweren Verlusten
zurückgeworfen, und auch der zwischen diesem Regiment und dem Strande
vorgehenden indischen Brigade (Kaschmir-Schützen) wurden die von ihr
genommenen Häuser in hartnäckigem Straßenkampf
entrissen.
Aber auch südlich von Tanga hatte Hauptmann
Baumstark seine Kompanien an der Front eingesetzt, und nach etwa
einstündigem Gefecht beobachtete ich, wie hier die Askari durch die
Palmen bis an die Straße
Tanga - Pangani zurückgingen. Die Europäer des
Kommandos liefen sofort hin und brachten die Leute zum Stehen. Ich sehe noch
heute den temperamentvollen und zähen Hauptmann v. Hammerstein
vor mir, wie er voller Empörung einem zurückgehenden Askari eine
leere Flasche an den Kopf warf. Es waren ja schließlich zum großen
Teil junge, gerade erst aufgestellte Kompanien, die hier fochten und durch das
starke feindliche Feuer verblüfft waren. Aber als wir Europäer uns
vor sie hinstellten und sie auslachten, kamen sie schnell wieder zu sich und sahen,
daß eben nicht jede Kugel traf. Aber im ganzen war der Druck, der gegen
unsere Front ausgeübt wurde, doch so stark, daß ich glaubte, mit dem
Herbeiführen der Entscheidung nicht länger warten und zum
Gegenstoß ansetzen zu müssen. Hierzu stand allerdings nur eine
einzige Kompanie zur Verfügung, aber es war die gute
13. Feldkompanie. Die 4. Kompanie, deren Ankunft ich von Minute
zu Minute sehnsüchtigst erwartete, war noch nicht eingetroffen.
Das bisherige Gefecht hatte gezeigt, daß der Feind
sich mit seiner in der Flanke ungesicherten Front nicht weiter nach Süden
ausdehnte, als der rechte Flügel unserer Front reichte. Hier also
mußte ihn der Gegenstoß vernichtend treffen, und jedem Teilnehmer
wird der Moment unvergeßlich sein, als hier die Maschinengewehre der
13. Kompanie mit ihrem Dauerfeuer einsetzten und den sofortigen
Umschwung des Gefechts herbeiführten. Die ganze Front raffte sich auf
und stürzte sich mit jubelndem Hurra vorwärts. Inzwischen war auch
die 4. Kompanie eingetroffen; wenn sie infolge eines
Mißverständnisses auch nicht noch weiter über die 13.
ausholend eingesetzt wurde, sondern sich zwischen dieser und unserer Front
einschob, so kam sie doch noch vor Dunkelheit zum wirksamen Eingreifen. In
wilder Flucht floh der Feind in dichten Klumpen davon, und unsere
Maschinengewehre, aus Front und Flanke konzentrisch auf ihn wirkend,
mähten ganze Kompanien Mann für Mann nieder. Mehrere Askari
kamen freudig strahlend heran, über dem Rücken mehrere erbeutete
englische Gewehre und an jeder Faust einen gefangenen Inder. Die
Handfesseln aber, die wir bei diesen vorfanden, zum Gebrauch an
deutschen Gefangenen, wandte niemand von uns ihnen gegenüber
an.
Man stelle sich diesen Augenblick vor; im dichten Walde,
alle Truppenteile, vielfach sogar Freund und Feind durcheinander gemischt, die
verschiedensten [274] Sprachen
durcheinander geschrien, und dazu die rasch hereinbrechende tropische
Dunkelheit, und man wird verstehen, daß die von mir angesetzte
Verfolgung gänzlich mißglückte. Ich hatte mich auf dem
rechten Flügel befunden und schnell die zunächst erreichbaren Teile
in der Richtung auf Ras Kasone zu energischem Nachdrängen
angesetzt. Dann hatte ich mich auf den linken Flügel begeben. Dort fand
ich von unseren Leuten fast nichts vor; erst nach längerer Zeit hörte
ich in der Nacht Schritte von den Nagelstiefeln einer Askariabteilung. Ich war
froh, endlich eine Truppe zu haben, wurde aber etwas enttäuscht, als es eine
Abteilung des rechten Flügels unter Leutnant Langen war, die die Richtung
auf Ras Kasone verfehlt hatte und so auf unseren linken Flügel
geriet. Aber nicht genug mit diesen Reibungen. Auf unerklärliche Weise
glaubte die Truppe, auf einen Kommandobefehl wieder in das alte Lager westlich
von Tanga abrücken zu sollen. Erst im Laufe der Nacht gewann ich am
Bahnhof in Tanga Klarheit darüber, daß fast alle Kompanien dahin
abmarschiert waren. Sie erhielten selbstverständlich Befehl zu sofortiger
Rückkehr. Leider war hierdurch aber doch eine solche Verzögerung
eingetreten, daß es nicht möglich war, die Geschütze der
nachträglich eingetroffenen Batterie Hering noch in der Nacht bei
Mondschein gegen die Schiffe in Wirkung zu bringen.
Erst am Morgen des 5. November trafen die Truppen,
deren starke Erschöpfung ja begreiflich war, wieder in Tanga ein und
besetzten im wesentlichen wieder die Stellung des vorigen Tages. Jetzt mit allen
Kräften gegen die feindliche Einschiffung bis Ras Kasone
vorzurücken, war nicht angebracht, da die dortige Gegend ganz
übersichtlich war und von den beiden in unmittelbarer Nähe
liegenden Kreuzern beherrscht wurde. Aber den starken Patrouillen und einzelnen
Kompanien, die zur Störung des Feindes auf Ras Kasone vorgingen,
gelang es doch, einzelne Abteilungen des Feindes, einige seiner Boote und auch
das Deck des am Hospital liegenden Kreuzers überraschend unter
Maschinengewehrfeuer zu nehmen. Im Laufe des Tages verstärkte sich der
Eindruck immer mehr, daß die Niederlage des Feindes gewaltig gewesen
war. Zwar wurden die Verluste in ihrem vollen Umfange zunächst nicht
bekannt, aber die vielen Stellen, wo Hunderte und wieder Hunderte von
gefallenen Feinden sich häuften, sowie der Verwesungsgeruch, der unter
der Einwirkung der tropischen Sonne auf der ganzen Gegend lag, gaben uns einen
Anhalt. Wir schätzten den Verlust sehr vorsichtig auf etwa 800 Tote; ich
glaube aber, daß diese Zahl viel zu niedrig ist. Ein höherer englischer
Offizier, der genau über Einzelheiten unterrichtet war, hat mir später
gelegentlich eines Gefechts, dessen englische Verluste er auf 1500 Mann angab,
gesagt, daß die Verluste bei Tanga ganz erheblich größer
gewesen seien. Ich halte sie jetzt mit 2000 Mann noch für zu niedrig
geschätzt. Größer noch war die moralische Einbuße des
Feindes. Er fing beinahe an, an Geister und Spuk zu glauben; noch nach Jahren
wurde ich von englischen Offizieren danach gefragt, ob wir bei Tanga
»dressierte Bienen« verwandt hätten, aber ich kann jetzt wohl
verraten, daß bei uns, bei einer Kompanie, im
entscheidenden [275] Moment alle
Maschinengewehre durch diese »dressierten Bienen« außer
Gefecht gesetzt wurden, wir also unter dieser Art der Dressur genau so gelitten
haben wie die Engländer.
Der Feind fühlte sich vollständig geschlagen
und war es auch tatsächlich. In wilder Auflösung waren seine
Truppen geflohen, Hals über Kopf in die Leichter gestürzt. Die
Möglichkeit eines erneuten Kampfes wurde überhaupt nicht
erwogen. Aus Gefangenenaussagen und aufgefundenen offiziellen englischen
Schriftstücken ging hervor, daß das gesamte
englisch-indische Expeditionskorps, 8000 Mann stark, von unserer wenig
über 1000 Mann starken Truppe so vernichtend geschlagen worden war.
Erst am Abend wurde uns die Größe dieses Sieges vollständig
klar, als ein englischer Parlamentäroffizier, Hauptmann
Meinertshagen, erschien und mit dem von mir entsandten Hauptmann
von Hammerstein über Auslieferung von Verwundeten
verhandelte. Hauptmann von Hammerstein begab sich in das Hospital, das
mit schwerverwundeten englischen Offizieren angefüllt war, und
genehmigte in meinem Namen, daß diese auf ihr Ehrenwort, in diesem
Kriege nicht mehr gegen uns kämpfen zu wollen, von den
Engländern abgeholt werden durften.
Die Beute an Waffen gestattete, mehr als 3
Kompanien modern zu bewaffnen; die 16 erbeuteten Maschinengewehre waren
uns hierbei besonders willkommen. Der Geist der Truppe und das Vertrauen in
die Führer hatte sich mächtig gehoben, und mit einem Schlage war
auch ich von einem großen Teil der Schwierigkeiten befreit, die sich als
hemmende Gewichte an die Führung hingen. Das dauernde Feuer der
Schiffsgeschütze, das in dem ganz unübersichtlichen Gelände
wirkungslos gewesen war, hatte in den Augen unserer braven Schwarzen seine
Furchtbarkeit verloren. Die Materialbeute war erheblich; außer den
600 000 Patronen hatte der Feind sein gesamtes Telephongerät und
so viele Bekleidung und Ausrüstung liegen lassen, daß wir auf
mindestens ein Jahr unseren eigenen Ansprüchen, besonders an warmen
Mänteln und wollenen Decken, genügen konnten.
Die eigenen Verluste, so schmerzlich auch an
[287]
Auch hier in Tanga, Deutsch-Ostafrika,
fielen Helden für Deutschlands
Größe.
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sich, waren an Zahl doch gering. 15 Europäer, unter ihnen auch der
treffliche Hauptmann von Prince, und 48 Askari und
Maschinengewehr-träger waren gefallen. Die Europäer wurden in
einem würdigen Kriegergrab unter dem Schatten eines prachtvollen
Bujubaumes bestattet, wo eine einfache Gedenktafel ihre Namen
verzeichnet. Die Aufräumung des Gefechtsfeldes und die Bestattung der
Toten erforderte mehrere Tage angestrengtester Arbeit für die ganze
Truppe; die Straßen waren buchstäblich besät mit Gefallenen
und Schwerverwundeten. In unbekannter Sprache flehten sie um Hilfe, die ihnen
trotz des besten Willens nicht immer gleich gewährt werden konnte.
Auf unserem innerhalb von Tanga gelegenen
Hauptverbandsplatze hatte unser männliches und weibliches
Pflegepersonal im Feuer auch der schweren Schiffsgeschütze Freund und
Feind gewissenhaft versorgt. Noch
am Abend des [276] 4. November hatte ich
die Verwundeten aufgesucht. Ich ahnte nicht, daß der Leutnant
Schottstaedt, der hier mit schwerem Brustschuß auf einem Stuhle
saß, nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Der englische Leutnant
Cook, vom 101. indischen Grenadierregiment, lag mit schwerem
Beinschuß da. Die Verwundung dieses frischen jungen Offiziers, der im
Brennpunkt des Gefechtes auf dem indischen linken Flügel in unsere
Hände gefallen war, vermochte seine heitere Stimmung nicht zu
beeinträchtigen. Mit dem Hauptteil der anderen Verwundeten wurde er im
Feldlazarett Korogwe von unserem besten Chirurgen, dem Stabsarzt
Dr. Müller, dreiviertel Jahr lang behandelt. Er ging bereits
wieder umher, als ein unglücklicher Fall auf der Treppe leider zu
tödlichem Ausgange führte.
Die Gefechtstage von Tanga stellten zum erstenmal
erhebliche Ansprüche an die Verwundetenfürsorge. Zu
diesem Zweck waren in Korogwe sowie an verschiedenen anderen Orten der
Nordbahn Lazarette eingerichtet worden, zu denen die Kranken mit der Bahn ohne
Umladen transportiert werden konnten. Für den Transport waren besondere
dauernde Lazaretteinrichtungen nicht getroffen worden, und es hat auch niemals
Schwierigkeiten gemacht, das Erforderliche zu improvisieren.
Trotz der zweifellosen Niederlage bei Tanga war es doch
wahrscheinlich, daß die britische Zähigkeit diese Entscheidung nicht
als eine endgültige hinnehmen würde. Auch nach seiner Niederlage
war der Feind uns um ein Mehrfaches numerisch überlegen und ein
Landungsversuch an anderer Stelle nicht unwahrscheinlich. Eine Fahrt zu Rad am
6. November in nördlicher Richtung, an die Mansabucht,
überzeugte mich aber, daß die feindlichen Schiffe hier offenbar nur
zum Zweck der Pflege ihrer Verwundeten und Beisetzung ihrer Toten eingelaufen
waren und keine Landung beabsichtigten. Die Schiffe fuhren dann auch bald in
der Richtung auf Sansibar ab.
Interessant war nun dann ein kurzer Besuch in unserem
Regierungshospital bei Ras Kasone, das inzwischen von den auf Ehrenwort
entlassenen englischen Verwundeten geräumt worden war. Es lagen hier
unter anderen zwei am 3. November bei Tanga sowie andere in einem
früheren Gefecht verwundete deutsche Offiziere, die die Vorgänge
während des Hauptkampftages am 4. November hinter der
englischen Front vom Lazarett aus hatten beobachten können. Mit
größter Spannung hatten sie die Landung bei Ras Kasone und
den Vormarsch gegen Tanga verfolgt, hatten dann am Nachmittag das
entscheidende Einsetzen unseres Maschinengewehrfeuers und die
Beschießung durch die feindlichen Schiffsgeschütze gehört,
sowie dicht am Hospital die wilde Flucht des Feindes gesehen. Die zahlreich in
der Nähe des Lazarettes einschlagenden Geschosse hatten erfreulicherweise
keinen Schaden verursacht. Am 5. November, ganz früh, hatten sie
plötzlich wieder Geschützfeuer vernommen, und zwar von Tanga
her; sie hatten erkannt, daß es deutsche Geschütze sein
müßten. Es waren dies unsere zwei Kanonen C 73, denen es
zwar nicht mehr gelungen war, in der Nacht bei Mondschein die eng- [277] lischen
Transportschiffe aufs Korn zu nehmen, die aber wenigstens nach Tagesanbruch
noch einige erfolgreiche Treffer anbringen konnten. Ein längeres
Wirkungsschießen war leider nicht möglich, da die
Rauchentwicklung den Standpunkt der Geschütze sofort verriet und das
Feuer der Schiffsgeschütze auf sich zog.
Inzwischen war es klar geworden, daß der Angriff
des Feindes bei Tanga keine einzelne Unternehmung, sondern im
größeren Rahmen gleichzeitig mit anderen gedacht war.
Nordwestlich des Kilimandscharo, am Longidoberg, den Hauptmann
Kraut mit 3 Askarikompanien und einer berittenen
Europäerkompanie besetzt hatte, erschienen im Morgennebel des
3. November überraschend englische Truppen. Gerade als am
Longido heliographisch der Befehl eintraf, Hauptmann Kraut solle nach Moschi
abrücken, schlugen die ersten Geschosse ein. Der etwa tausend Mann starke
Feind hatte den in der freien Steppe gelegenen mächtigen Longidoberg an
mehreren Stellen unter der Führung von Massais erstiegen, die unseren
Posten zuriefen: »Wir sind Leute vom Hauptmann Kraut.« Aber
unseren sich rasch entwickelnden drei Feldkompanien gelang es, die Teile des
Feindes im felsigen Gelände zu umfassen und rasch zurückzuwerfen.
Eine feindliche berittene Europäerabteilung, die in der Steppe am
Fuße des Berges sichtbar wurde und diesen anscheinend von Süden
her ersteigen oder auf unsere Verbindung wirken wollte, wurde unter wirksames
Feuer genommen und schnell zurückgetrieben.
Wahrscheinlich im Zusammenhange mit diesen
Ereignissen im Gebiete der Nordbahn standen feindliche Unternehmungen am
Viktoriasee. Ende Oktober waren zahlreiche Wagandakrieger von Norden in den
Bezirk Bukoba eingedrungen. Zur Unterstützung ging am
31. Oktober eine Truppe von 670 Gewehren, 4 MG.,
2 Geschützen von Muanza auf dem kleinen Dampfer
»Muanza« mit 2 Schleppern und 10 Dhaus
[270]
Ein Posten in Deutsch-Ostafrika mit selbstgebautem
Geschütz.
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(Booten) ab. Kurz nach dem Auslaufen wurde dieser Transport durch bemannte
englische Dampfer angegriffen, gelangte aber unbeschädigt nach Muanza
zurück. Ein englischer Landungsversuch bei Kajense, nördlich
Muanza, scheiterte an dem Feuer unserer Posten.
Es lag also Anfang November ein an mehreren Stellen
großzügig angelegter konzentrischer Angriff gegen unsere Kolonie
vor. Sein Scheitern erweckte in jedem die Erwartung, daß wir uns
würden halten können, so lange die Heimat hielt. Die
lückenhaften Nachrichten aber, die wir von dort auffangen konnten,
flößten uns Zuversicht ein. Wir hatten zwar zur Zeit des Gefechts bei
Tanga den Namen Hindenburgs
noch nicht gehört, wußten aber auch
nichts von dem Rückschlag an der Marne und standen noch unter dem
erhebenden Eindruck des siegreichen Vormarsches nach
Frankreich."
Der Übergang über den Rowuma und die
Eroberung eines portugiesischen Lagers
Am 25. November 1917 überschritt die Vorhut der deutschen Schutztruppe
den Grenzfluß der Kolonie, den Rowuma, und betrat portugiesisches
Gebiet. Das [278] Gefühl, von
allen Hilfsmitteln entblößt zu sein, und die völlige
Unsicherheit aller Zukunft hatten, wie Lettow-Vorbeck schreibt, in den meisten
das Gefühl "allgemeiner Wurschtigkeit" gezeitigt, so daß
unbekümmert um die taktische Lage das Leben ruhig weiter ging,
Jagdpatrouillen unterwegs waren und sogar angesichts des Feindes ruhig im
Flusse gebadet wurde.
Bald begannen die Feindseligkeiten mit den Portugiesen, die Vorhutkompanien
stießen auf feindliche Späher; die Deutschen gelangten dicht an das
feindliche Lager heran und konnten eine größere Truppenanzahl
sowie Trägerkolonnen feststellen. Nach kurzer Zeit trat eine in Kaki
gekleidete Askarikolonne der Portugiesen den Vormarsch auf die Deutschen an,
und das Gefecht entwickelte sich. Lettow sagt darüber:
"Ich selbst befand mich auf einem
kleinen Hügel westlich des Lagers, in der Nähe unseres
Geschützes. Unmittelbar hinter mir marschierte die zuletzt über den
Fluß gehende Abteilung des Generals Wahle nach und nach in einer
Geländesenkung auf... Die Maschinengewehre des Gegners schossen nicht
schlecht, und ihre Garben lagen mehrfach auf unserem kleinen Sandhügel,
von wo ich eine Anzahl Europäer und Askari, die sich hier
unnötigerweise angesammelt hatten, in Deckung zurückschicken
mußte. Der uns von früher bekannte helle Klang der feindlichen
Gewehre und das Fehlen der Minenwerfer machten es wahrscheinlich, daß
der Gegner aus Portugiesen bestand"...
Unsere Askaris waren diesem Gegner gegenüber infolge ihrer Bewaffnung
mit dem alten 71er Gewehr nicht so im Nachteil, wie den Engländern
gegenüber; "heute ist der Tag der alten Gewehre", riefen sie ihren
Führern zu und griffen nach kurzem Feuergefecht im Sturm die feindlichen
Befestigungen an, die nun beim ersten Anlauf genommen wurden. Der Gegner
war durch das konzentrische Feuer stark geschwächt und erschüttert,
von 1000 Mann dürften nach Lettows Angabe kaum 300 entkommen sein.
Die deutschen Askaris stürzten sich sofort auf die reiche Beute, die im
Lager gefunden wurde, und nahmen, was man den durch die langen Entbehrungen
erschöpften Leuten nicht übelnehmen kann, was sie fanden, vor allen
Dingen Konserven. Die gefangenen portugiesischen Askaris beteiligten sich mit
größtem Vergnügen an dieser Tätigkeit; "es war ein
furchtbares Durcheinander", und der General wurde gezwungen, "recht deutlich
zu werden" - was, wie es heißt, eins von
Lettow-Vorbecks größten Talenten war.
Die Beute, besonders an Munition, war gewaltig; etwa 1 Million Gewehrpatronen
wurden gefunden. Die Hälfte der deutschen Truppe konnte neu bewaffnet
werden. "Aus den Beutepapieren ging hervor, daß die portugiesischen
Europäerkompanien erst wenige Tage vorher bei Ngomano eingetroffen
waren, um den unmöglichen englischen Befehl auszuführen, das
Entweichen der Deutschen über den Rowuma zu verhindern. Es war
wirklich ein reines Wunder, daß diese Leute alle so rechtzeitig für
uns in Ngomano versammelt waren, daß die Einnahme des Ortes sich
wirklich lohnte und wir mit einem Schlage von einem großen Teil unserer
Verlegenheiten befreit waren."
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