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[Anm. d. Scriptorium:
eine detaillierte Karte
der deutschen Kolonien
finden Sie hier.]
Der Weltkrieg in den Kolonien   (Teil 2)
[279]

Wie Deutsch-Südwest verloren ging
Dr. Alex Haenicke

Als im August 1914 der Weltkrieg ausbrach, war die Stimmung unter den Buren der Südafrikanischen Union geteilt: die Mehrzahl stellte sich auf den Standpunkt, daß die Union am Kampf gegen Deutschland nicht teilnehmen
Scriptorium merkt an:
bei diesem Kapitel verweisen wir
noch besonders auf den Abschnitt
"Der Krieg um die Kolonien:
Deutsch-Südwestafrika"

aus dem Sammelwerk
"Der Weltkampf um Ehre und Recht".
dürfe, andere gingen einen Schritt weiter und bekundeten ihre Sympathie für die Angegriffenen, und schließlich stellte sich eine Anzahl, darunter die bekanntesten Führer, offen auf die Seite der Deutschen. Der alte Haß gegen die Engländer aus den Kriegen der vergangenen Jahrzehnte war keineswegs ausgestorben.

Nur einer war, samt seiner einflußreichen Umgebung, für einen Krieg gegen Deutschland: der General Botha. Nachdem er von England den Befehl erhalten hatte, die Feindseligkeiten zu eröffnen, wagte er zunächst nicht, den Kriegsentschluß zu verkünden - als er, mit vieler Mühe, am 9. September im Parlament die Genehmigung erhalten hatte, legte der Oberkommandierende, General Beyers, den Befehl nieder, und ein Aufstand brach aus, von dem wir damals nicht das geringste wußten! Die berühmtesten Führer aus dem letzten Krieg gegen England stellten sich an die Spitze der Rebellion: sie traten für eine freie Burenrepublik ein; vor allem war es der überragende General de la Rey, der den größten Einfluß, besonders in Transvaal, ausübte. Aber - wunderbar gelenkter "englischer" Zufall: er wurde am 15. September abends im Kraftwagen "versehentlich" erschossen, als der Chauffeur "auf Anruf nicht hielt"... "Der dramatische Tod von de la Rey", sagte ein englischer Bericht mit großer Genugtuung, "desorganisierte die Pläne der Verschwörer. Er beraubte sie des einen Mannes, der den ganzen Westen von Transvaal gegen Botha aufgebracht hätte, des einen Mannes, dessen militärische Talente die von Botha und Smuts in den Schatten gestellt hätten."

Trotzdem ging der Aufstand weiter; Botha vermochte es nicht, seiner auf friedliche Weise Herr zu werden. Nun übernahm er das Oberkommando über die Regierungstruppen - eine Handlungsweise, die ihn bei den meisten seiner Landsleute jedes Ansehens vollends beraubte, und besiegte die Aufständischen in schweren Bruderkämpfen. Die Rebellenführer wurden gefangengenommen und, wie Fourie, erschossen, oder wie De Wet und Kemp zu hohen Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Damit war der bewaffnete Widerstand gebrochen; der parlamentarische dauerte noch eine Zeitlang an, ohne viel zu erreichen. Es ist natürlich von den Engländern behauptet worden, die Deutschen hätten den Aufstand in die Wege geleitet und auf jede Weise unterstützt - leider, können wir nur sagen, ist dies nicht der Fall gewesen. Der damalige Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika, Dr. Seitz, gibt zwar zu, daß er mit den Burenführern wegen des Aufstandes gegen die Engländer verhandelt habe, und fährt dann fort (Südafrika im Weltkriege):

      "Die von feindlicher Seite aufgestellte Behauptung, ich hätte schon vor dem Kriege mit Maritz in Verbindung gestanden und den Aufstand vorbereitet, ist nicht wahr. Unsere finanziellen Mittel waren leider so gering, daß wir den Re- [280] bellen Unterstützung mit Geld in nennenswertem Maße nicht in Aussicht stellen konnten... Es klingt wie ein Hohn, wenn von unseren Gegnern immer wieder behauptet wird, die Rebellion sei mit deutschem Geld gemacht worden. Mit viel mehr Recht kann man sagen, die Rebellion sei durch englisches Geld im Entstehen lahmgelegt worden..."

Der Berliner Regierung schien der Burenaufstand gleichgültig und die Verbindung Dr. Seitz' mit den Buren unbequem - die alte, seltsame Verkennung in Fragen der Kolonien, durch die sich unsere Regierungen so oft ausgezeichnet haben! Die Gegner nützten natürlich den Aufstand zur heftigsten Propaganda gegen uns aus und faselten von Karten, die man nach der Eroberung Südwestafrikas gefunden habe: sie sollten das ganze südäquatoriale Afrika als "größeres Deutschland" verzeichnen. Welche Überschätzung! Nicht einmal für unsere paar Kolonialgebiete war genügend Interesse vorhanden!

Nach Unterwerfung der Rebellen im Dezember 1914 führte nun General Botha die gesamten Streitkräfte der Südafrikanischen Union, 67 000 Mann gegen nur 5000 Deutsche in Südwest. Bald war die kleine Schar von den Eisenbahnen abgeschnitten und auf Ochsenwagennachschub angewiesen; die Städte an der Küste waren den Landungen englischer Transporte aus Kapstadt vollkommen preisgegeben. Trotzdem wehrten sich die Deutschen nach dem tragischen, durch einen Rohrkrepierer verursachten Tod des Kommandierenden, Oberstleutnant v. Heydebreck unter Oberstleutnant Franke auf das tapferste, so daß Botha erst am 21. Mai 1915 Übergabeunterhandlungen anknüpfte. Der Gouverneur wies sie zurück, aber es konnte nur eine Frage der Zeit sein, wann die kleine deutsche Schar der erdrückenden Übermacht weichen mußte.

Truppenverladung in Deutsch-Südwestafrika auf dem Bahnhof in
Windhuk.
[323]      Truppenverladung in Deutsch-Südwestafrika
auf dem Bahnhof in Windhuk.
Einen lebendigen Bericht über die letzten Wochen dieses ungleichen Kampfes gibt Walter Suchier (Deutsch-Südwest im Weltkrieg), aus dem wir folgendes entnehmen:

      "Es war Mitte Juni geworden. Seit Tagen war es nach übereinstimmenden Patrouillemeldungen nicht mehr zweifelhaft, daß Botha den Angriff in großem Stil wieder aufzunehmen begann. War er bis dahin seinem Grundsatz im allgemeinen treu geblieben, den Vormarsch soweit wie möglich nur an der Hand der Bahnstrecken vorzutragen, so verließ er zu unserer Überraschung dieses Verfahren nunmehr vollständig. Der ganze Nachschub an Lebensmitteln, Wasser, Munition und Kriegsgerät aller Art wurde vollständig den Automobilkolonnen übertragen und der Anmarsch seiner Nordarmee in drei Angriffstruppen mit einer Geschwindigkeit durchgeführt, die für südwestafrikanische Verhältnisse einfach beispiellos war. In derselben Zeit, die wir brauchten, um auf unseren abgetriebenen Reittieren 20 km vorwärtszukommen, konnte der Gegner mit seinem Kraftwagen 100 km zurücklegen. Bei dieser Lage der Dinge waren wir im Bewegungskrieg vollkommen wehrlos.
      Unsere Freude, endlich wieder einmal zum Schießen zu kommen, war verfrüht. Wir wurden aus unserer Stellung bei Kalkfeld - Otjihaenemaparero mit [281] derselben Sicherheit hinausflankiert, wie es bisher fast stets der Fall gewesen war. Die gesamte Truppe mußte, ohne zu Schuß zu kommen, bis Otavifontein zurückgenommen werden, um ein letztes Mal der Einschließung zu entgehen. Wieder folgte eine Reihe anstrengender Nachtmärsche, die von unseren elenden Gäulen das Letzte verlangten, obschon fast ausschließlich Schritt geritten wurde. - Und wieder dröhnten nächtelang die schweren Detonationen hinter uns her, und die Sprengkommandos brachen die letzten Brücken ab hinter der langsam nordwärts ziehenden Truppe.
      Bei Kilometer 514 der Bahnstrecke Otavi - Tsumeb erhebt sich ein kleiner Gebirgsstock, dessen südlicher Ausläufer als flacher Sattel in die Ebene mündet. Das ist der sogenannte "Sargberg" - ein vielversprechender Name!
      Dieser Sattel war vom Kommandeur seit längerer Zeit als Haupt- und Aufnahmestellung für die zurückgehende Schutztruppe ins Auge gefaßt und durch Hauptmann Rothmaler mit seinem Infanteriebataillon in wochenlanger angestrengtester Arbeit zu einer für afrikanische Begriffe ungewöhnlich starken Befestigung ausgebaut worden.
      Nur eins fehlte, was in Südwest immer fehlt - das Wasser! Und dieser Mangel mußte den Wert der ganzen Stellung zunichte machen, wenn es den mit Hochdruck arbeitenden Bohrmaschinen nicht noch rechtzeitig gelang, ausreichende Wassermengen in unmittelbarer Nähe des Lagers zu erschließen; denn die nächstgelegenen Wasserquellen waren 12 (Otavifontein) und 6 km (Khorab) entfernt, so daß sie nicht für alle Fälle in Rechnung gestellt werden konnten. - Noch ahnten wir nichts Böses; noch hofften wir, von der Sargbergstellung aus der rund 25 000 Mann starken Bothaschen Nordarmee eine Schlacht liefern zu können, die uns zum ersten, wenn auch voraussichtlich letzten Male den Kampf im großen zeigen und, wenn es nun einmal sein mußte, das bittere Ende bringen sollte; denn noch wußten wir nicht, mit welch ungewöhnlicher Geschwindigkeit der Gegner seinen Vormarsch diesmal durchzuführen verstand.
      Botha setzte seine Streitkräfte in drei Angriffsgruppen an: Die mittlere, die er persönlich befehligte, stieß an Hand der Otavibahn nach Norden vor und hielt sich im wesentlichen auf der Spur der Schutztruppe; sie war etwa 15 000 bis 16 000 Mann stark. Die auf dem rechten Flügel marschierende Kolonne unter Myburg - etwa 4000 - 5000 Mann - ging über Waterberg, Esere, Rietfontein auf Tsumeb vor, auf dem linken Flügel Britz, in gleicher Stärke, über Ottjo, Okaukwejo auf Namutoni. - Bothas Verfahren war das gleiche wie immer: Flankierung! Nur die Schnelligkeit seines Vormarsches hatte sich vervielfältigt.
      Jetzt ging's mit Riesenschritten zu Ende. Es kam der 1. Juli 1915 und damit unser letztes Gefecht. Die noch etwa 2000 Mann starke Schutztruppe lag vor Otavi und Otavifontein in einer weit auseinandergezogenen Vorpostenstellung und wurde nach kurzem Kampf gezwungen, auf die Hauptstellung bei [282] Kilometer 514 zurückzugehen. - Und hier erwartete uns die ausschlaggebende Enttäuschung: Die Ereignisse hatten das Tempo unserer Bohrmaschine weit überholt, die Stellung hatte kein Wasser - sie war wertlos! -, abends rückten wir müde und durstig ein, um sie zwölf Stunden später noch durstiger wieder zu verlassen. Das »Wohin« stand nun schon nicht mehr in unserer Wahl; es gab nur eine Möglichkeit: Zur nächsten Wasserstelle - Khorab! Das war, wie sich bald herausstellen sollte, die einzige, die uns noch blieb.
      Grootfontein, zu dessen Verteidigung keinerlei Truppen mehr zur Verfügung standen, war aufgegeben worden, und der Gouverneur Dr. Seitz hatte es verlassen, um zur Schutztruppe zu stoßen. - Unsere linke Seitendeckung unter v. Kleist war von der Kolonne Myburg bei Ghaub angegriffen und gleichfalls auf Khorab zurückgedrückt worden; das unverteidigte Namutoni war den Automobilkolonnen der Buren unter Britz kampflos in die Hände gefallen. Das war ein harter Schlag, der unser Schicksal endgültig besiegelte. - Es scheint in der Absicht des Kommandos gelegen zu haben, über Tsumeb und Namutoni hinaus noch weiter nach Norden auszuweichen und, wenn es nicht mehr anders ging, im Ovambolande den letzten Widerstand zu leisten. Zu diesem Zweck waren am Otjikotosee bei Tsumeb 200 Ochsenwagen bereitgestellt und der letzte verfügbare Proviant des Schutzgebietes in der Feste Namutoni aufgehäuft worden. Nun war auch dieser Plan endgültig gescheitert, der Rückmarsch über Tsumeb war von der Kolonne Myburg flankiert und bedroht, Namutoni und damit unsere letzten Lebensmittelreserven in Feindeshand. - Wir saßen fest.
      Die Station Khorab mit ihrer Wasserstelle und einigen Quadratkilometern Land war der letzte Rest des deutschen Schutzgebietes, den wir in den ersten Tagen des Juli noch in unserer Hand hatten: In der Mitte einige Zelte für den Gouverneur und sein kleines Gefolge, den Kommandostab, ein Feldlazarett, außen herum kreisförmig zusammengeschlossen die Reste der Schutztruppe, die sich bereit machte, dem letzten Ansturm einen gebührenden Empfang zu bereiten; für 10 - 12 Tage Lebensmittel - und nirgends mehr ein Ausweg. - Das war das Schlußbild! - Im weiten Umkreis hatte Botha mit seinen 25 000 Mann den Ring um unser kleines Häufchen geschlossen und begann ihn allmählich zusammenzuschrauben. - Er griff nicht an! Wozu sollte er auch! Wir saßen so rettungslos eingekeilt, daß an ein Durchkommen nirgends mehr zu denken war, und er sich ruhig gedulden konnte, bis uns der Proviant ausging, ohne einen Tropfen kostbaren Burenblutes zu opfern. Er hatte ja Zeit! - Einmal würden wir schon mürbe werden!
      Ich habe später mit einem englischen Offizier viel über diese letzten Tage in Khorab gesprochen und ihn gefragt, ob sie uns angegriffen hätten, wenn unser Vorrat an Lebensmitteln reicher gewesen und damit eine längere Belagerung nötig geworden wäre. Aber er meinte: »Warum sollten wir? Wir hatten ja unsere weittragenden Geschütze! Wir hätten sie auf 8000 oder [283] 10 000 m aufgestellt und 48 Stunden lang Ihre einzige Wasserstelle unter Feuer gehalten; das hätte in jedem Fall genügt!«"

Allerdings!

Am 4. Juli 1915 fanden neue Verhandlungen zwischen den Kriegführenden statt. Gouverneur Dr. Seitz berichtet:

      "Am 9. Juli kam auf Grund mündlicher Verhandlungen der Übergabevertrag zustande... Alle Zivilpersonen wurden entlassen und konnten frei ihrem Beruf nachgehen. Die nach Südafrika... deportierten Deutschen wurden nach dem Schutzgebiet zurückgebracht, die deutschen Schulen blieben unter unserer eigenen Aufsicht bestehen. Die Selbstverwaltung der Gemeinden und der ländlichen Bezirke blieb unter Aufsicht der englischen Bezirksbeamten bestehen, die deutschen Krankenhäuser und das Erholungsheim des Roten Kreuzes in Swakopmund konnten ihren Betrieb weiterführen..."

Aber als der Waffenstillstand vom November 1918 kam, änderte sich das Bild.

      "Man muß es den Engländern lassen, sie haben die Aufhebung des Vertrags von Khorab gründlich ausgenützt. Über 6000 Deutsche, Beamte, Schutztruppe, Farmer, Kaufleute und fast sämtliche deutschen Arbeiter wurden gewaltsam aus dem Lande weggeführt. Was die englische Politik aber nicht zu vernichten vermochte, das ist der starke Einschlag deutschen Wesens und deutscher Kultur, den unsere dreißigjährige Arbeit dem Lande gegeben hat. Wir haben ein Land verloren, dessen Wirtschaft aufgebaut ist mit dem Schweiße deutscher Arbeit, dessen Boden gedüngt ist mit deutschem Blut und benetzt von den Tränen deutscher Mütter. Aber angesichts des Gesamtergebnisses dieses Krieges, dessen Zweck die Vernichtung deutschen Wesens und deutscher Kultur war, wird sich auch der Engländer fragen müssen, ob denn in der Tat sein Volk der wahre Sieger ist, ob nicht vielmehr der Ausgang dieses Krieges mit seiner Umwälzung aller nationalen und wirtschaftlichen Beziehungen auch den Anfang bedeutet vom Ende der britischen Weltherrschaft."

Staaten entstehen, Staaten verschwinden; Länder werden erworben, umkämpft, verloren: der wechselnden Geschichte ewiger Lauf. Das letzte Wort über Südwestafrika ist noch nicht gesprochen: einst wird auch dort wieder deutscher Boden sein, der bereit ist, Menschen aus dem Mutterlande zur ersehnten zweiten Heimat, zu Leben, Besitz, Glück und Frieden zu verhelfen.

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Das Buch der deutschen Kolonien
Herausgegeben unter Mitarbeit der früheren Gouverneure
von Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo und Deutsch-Neuguinea.
Vorwort von Dr. Heinrich Schnee.