[Anm. d. Scriptorium:
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der deutschen Kolonien
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Der Weltkrieg in den Kolonien (Teil
3)
Kamerun erlag der
Übermacht
Dr. Alex Haenicke
Die Übertragung der kriegerischen Feindseligkeiten auf die Kolonien wurde
in Kamerun zwar für wahnsinnig gehalten angesichts "der Sünde
wider die Zivilisation", wie selbst ein englischer Gelehrter später die
Tatsache bezeichnete. Dennoch traf der Gouverneur,
Dr. Ebermaier, mit dem Kommandeur der
Schutz- [284] truppe, Major
Zimmermann, Vorkehrungen, um einem feindlichen Einfall in das
Schutzgebiet begegnen zu können. England und Frankreich waren auf
diesen kommenden Krieg in den Kolonien längst vorbereitet. Starke
feindliche Streitkräfte standen in den westafrikanischen Besitzungen an den
Kameruner Grenzen zum Angriff bereit. Da man die Schwäche der
Kameruner Schutztruppe kannte, brauchte ein Angriff auf Nigeria nicht erwogen
zu werden. Außerdem war man in dem Glauben, daß die
Eingeborenen deutschfeindlich und daher leicht zum Abfall und zum Verrat bereit
sein würden. Während noch am 1. August 1914 das Kolonialamt
Berlin drahtete, daß den Kolonien keine Gefahr drohe, war der
Überfall der Alliierten auf Kamerun, der am 31. Juli in Brazzaville in
Französisch Kongo besprochen war, schon in Vorbereitung. Man wollte
rasch soviel Eroberungen wie möglich machen, um bei
Friedensschluß Tauschgegenstände in der Hand zu haben.
Während in Duala, Buea und Kribi in Eile drei Abteilungen deutscher
Wehrpflichtiger zusammengestellt wurden, überfielen bereits die Franzosen
ahnungslose Zollposten im Bezirk Bonga im Südosten. England
sammelte im Norden und Nordwesten seine Kolonnen zum Angriff. Man hoffte,
die schwachen, verstreut im Lande stehenden deutschen Abteilungen in ihren
Standorten zu überrennen, noch ehe sie etwas vom Kriegszustand erfahren
hätten. Knapp 4000 Gewehren auf deutscher Seite standen etwa
fünfzehnmal so viel technisch sehr viel besser ausgerüstete alliierte
Streitkräfte gegenüber.
Major Zimmermann plante anfangs die Verteidigung des Hochlandes von
Ngaundere, um den vermutlich von allen Seiten anrückenden
Feind durch kampfkräftige Abteilungen in allen Gauen zunächst
festzuhalten und dann von der natürlichen Festung des Hochlandes aus
vernichtend zu schlagen. Bei der erhofften kurzen Dauer des Krieges glaubte man,
Kamerun halten zu können. An Streitkräften besaß er
zunächst 205 Europäer und 1650 Schwarze. Mit ihnen sollte er ein
Land von der anderthalbfachen Größe Deutschlands ohne
Artillerie - von vier alten Feldkanonen
abgesehen - verteidigen. Jede seiner 12 Kompanien besaß 2 bis 5
Maschinengewehre. Weit verstreut über die ganze Kolonie lag
außerdem die kleine Polizeitruppe von 30 Europäern und 1650
Farbigen mit 17 Maschinengewehren. Das war alles, gegenüber 18
schlagfertigen feindlichen Kompanien, die reichlich mit Munition und Artillerie
ausgerüstet waren. Am 7. August verlangte der Feind kurzfristig die
Übergabe Kameruns. Darauf verkündeten die Negertrommeln durch
das ganze Land den Kriegszustand. Die Deutschen packte eine ungeheure
Erbitterung. Sie waren in das Land gekommen, um zu arbeiten, sich eine Existenz
zu gründen und die Eingeborenen zur Arbeit anzuleiten. Sie hatten mit dem
Land gerungen, viele hatten hier ihr frühes Grab gefunden. Und nun kamen
Fremde, die nicht einmal ihre eigenen, übergroßen Kolonien
bewirtschaften konnten, und wollten ihnen ihren mühselig erworbenen
Besitz rauben. So wurden sie Soldat, um ihre zweite Heimat gegen
niederträchtige Raubgelüste zu verteidigen. Während noch die
Truppenaufstellungen sich ordneten, übernahm der Gouverneur die
Organisation der Ausrüstung und Verpflegung der militärischen
Verbände wie [285] der kriegsbetroffenen
Bevölkerung. Trägerkolonnen mußten zusammengestellt
werden, Munition beschafft und befördert, Ausrüstungen für
die sich massenhaft freiwillig zum Kriegsdienst stellenden Eingeborenen
hergestellt und die Warenbestände der Faktoreien der Allgemeinheit
nutzbar gemacht werden.
Der Überfall der Franzosen auf entlegene Zollstationen hatte den Krieg
eröffnet. Er begann mit dem Kampf um die Grenzen. Die geringen
deutschen Kräfte hielten zunächst erfolgreich den Vormarsch der
Alliierten sowohl im Sangha- wie im Tschadseegebiet auf. Die
Senegalneger hielten dem deutschen Geschoßhagel nicht stand. Die
eingeborenen Herrscher des Nordens hielten sich auf die Seite des Siegers. Der
Angriff auf die Morastellung bei Garua, das die Engländer
überrennen wollten, mißlang. Hauptmann von Raben
bezog mit seiner Kompanie hier eine heldenhaft vom 10. August 1914 bis zum 18.
Februar 1916 verteidigte Felsenstellung, die erst nach dem Übertritt der
deutschen Truppen nach dem neutralen spanischen Muni, als die letzte Munition
verschossen war und Krankheit, Hunger und die letzte verschüttete Quelle
ferneren Widerstand sinnlos machten, schweren Herzens übergeben wurde.
Im Süden vermochten die Franzosen nicht, über Ebolowa
nach Kribi durchzustoßen und damit die Verbindung nach Muni
abzuschneiden. Die Nachricht von der englischen Niederlage bei Garua
im Norden, wo zahlreiche Beute gemacht wurde, lief in Windeseile durch ganz
Westafrika und hob das Ansehen der Deutschen. Eine zweite Schlappe holten sich
die Engländer am Croßfluß. Nach diesen
Mißerfolgen planten die Alliierten eine gemeinsame Unternehmung gegen
Duala, in dessen Besitz sie kommen mußten, um ihren Truppen
die notwendige Stütze durch die Heimat bieten zu können. Duala
gegen die feindlichen Kriegsschiffe zu halten, war wenig aussichtsreich, da der
deutsche Dampfer, die "Renate Woermann", mit seiner Munitionsladung
Kamerun nicht mehr erreicht hatte. So blieb nichts anderes übrig, als Minen
im Kamerunfluß zu legen, um dem Feind die Einfahrt zu erschweren. Um
an das feindliche Kriegsschiff, die "Cumberland", heranzukommen, brauchte man
ein Torpedoboot, das man zwar nicht besaß, aber schleunigst provisorisch
baute. Der Matrose Bauch meldete sich freiwillig, es in die Nähe
des Kreuzers zu steuern. Leise pirschte er sich durch die dunklen
Mangrovenwälder heran, als der Mond unvermutet das Gewölk
durchbrach und den Angriff zuschanden machte. In der nächsten Nacht
verfehlte das Torpedo leider sein Ziel. Darauf rammte das Regierungsschiff
"Nachtigall" furchtlos den Kreuzer in dessen hellem Scheinwerferlicht und
beschädigte ihn schwer. Die Tollkühnen fanden meist den Tod in den
Fluten. Hinter den wenigen Geretteten versank die "Nachtigal", deren Mast heute
auf dem Hof der Kameruner Traditionskompanie in Frankfurt a. O. steht,
mit wehender Flagge. Als dann das feindliche Expeditionskorps mit zahlreichen
Schiffen erschien und die bedingungslose Übergabe der Kolonie verlangte,
die Zimmermann ablehnte, blieb nur die Räumung Dualas, das nicht als
Fort ausgebaut war, übrig. Der Funkturm wurde zerstört und die
Stadt an den englischen Kommandeur übergeben. General Dobell
bürgte für Sicherheit und Leben, für Privateigentum [286] und anständige
Behandlung der Zivilbevölkerung. Aber der Haß der Engländer
kehrte sich nicht daran. Wie Vieh
wurden die 684 Deutschen durch die Stadt
getrieben. Eine schwere Leidenszeit für sie begann, die ihre Lebensarbeit
umsonst an Kamerun gesetzt hatten.
Die Franzosen brachten Dampfer, mit Geschützen bestückt, um vom
Sanaga aus die deutsche Front zu umgehen und zu zerstören. An der
Nordbahn wichen sie jedem Zusammenstoß mit dem Feinde aus. Posten
für Posten ging trotz tapferer Gegenwehr verloren, da die Kolonie als
Ganzes mit den schwachen Kräften nicht zu halten war. Aus mancher schon
behaupteten Stellung wurde der Feind wieder hinausgeworfen. Jede schwache
Stelle wurde erkundet und ausgenutzt. Am meisten schadete die
übermächtige feindliche Artillerie, die für die farbigen
Truppen etwas völlig Unbekanntes war. Es blieb nichts anderes
übrig, als nach Einsatz der Artillerie, noch ehe die Senegalesen oder Haussa
mit wildem Gebrüll zum Angriff vorgingen, eine unhaltbare Stellung
schleunigst unbemerkt zu räumen und in den Urwald zu verschwinden.
Immer wieder gelang es, sich rechtzeitig vom Feinde zu lösen.
General Dobell mühte sich, das ganze Küstengebiet so
schnell wie möglich in die Hand zu bekommen. Buea war trotz
tapferster Gegenwehr mit den abgekämpften Soldaten nicht zu halten und
wurde am 6. Oktober 1914 von den Engländern besetzt. Sie ließen es
dabei zu, daß die aufgehetzten Eingeborenen die weißen Pflanzer in
der gemeinsten Weise mißhandelten. Selbst Speise und Trank verweigerten
sie ihnen. Viktoria wurde geplündert und alles zerschlagen, was
ihnen nicht wertvoll erschien. In den Besitz der Südküste gelangten
sie erst nach dem Übertritt der Truppe nach Muni.
Im Süden kamen die Franzosen nicht vorwärts, obwohl das Gebiet
erst wenige Jahre zuvor von Frankreich abgetreten war. Der wilde, kriegerische
Stamm der Ntums metzelte zwar deutsche Patrouillen und
Meldegänger nieder und fing Verpflegungskolonnen ab. Trotzdem
mußten die Franzosen hier das Vorgehen zunächst aufgeben.
Am Sangha suchte Hauptmann Eymael, dem Feind den Weg stromauf
zu sperren. Es kam zu blutigen Kämpfen, in denen der Franzose so schwere
Verluste hatte, daß er trotz seiner gepanzerten Dampfer, die in den Kampf
eingriffen, die Sanghalinie zunächst aufgab. Erst als die Bajas,
von französischen Sendboten aufgewiegelt, den Deutschen in den
Rücken fielen, ging man nach Altkamerun, nach Baturi
zurück, um von dort aus die Straßen von Molundu, Nola
und Gesa zu sichern. Der völlig erschöpfte Feind folgte ihm
nicht dorthin. Vor der deutschen Front brannte hell der Aufruhr der Baja. Farmen
gingen in Flammen auf, Haussa-Händler und ihre Familien wurden
erschlagen und verspeist. An den verlassenen Feuerstellen fanden die deutschen
Patrouillen - französische ließen sich im Aufruhrgebiet nicht
blicken - massenhaft abgenagte Menschenknochen und in der Sonne
dörrende Leichenteile.
Nachdem die Sanghalinie von den Deutschen aufgegeben und das
Küstenvor- [287-288=Fotos] [289] land
verloren war, stand der Feind an der Bahn
Ebolowa - Jaunde zum Angriff bereit. Das Gebiet um
Ebolowa lieferte aber außer verläßlichen Soldaten
Arbeitskräfte und Lebensmittel und durfte keinesfalls verlorengehen. Der
Waffen- und Munitionsmangel konnte nur durch Überfälle auf den
Feind ausgeglichen werden. Jetzt sollte ein Vorstoß der Alliierten auf das
Nordwestkameruner Hochland gegen Fontschanda aufgehalten und die
Verbindung der Abteilungen untereinander gesichert bleiben. Kommandeur
Zimmermann faßte daher die verstreuten Kompanien zu
einheitlichen Abteilungen zusammen, um im Westen die Gebirgsaufstiege zu
sichern. Versagten auch am Sangha die Ndsimus der französischen
Truppenleitung ihre Führerdienste, so war doch nach der Räumung
Molundus Jukaduma gegen Süden und Osten zu sichern.
Während die Briten im Norden gegen Garua vorgingen, sollten
die Franzosen auf Jaunde rücken, glaubte man doch Ende des
Jahres 1914 die Deutschen mürbe genug, um zur Besetzung des
Nordwestkameruner Hochlandes schreiten zu können, ohne
unüberwindlichen Schwierigkeiten zu begegnen. Zwar konnte mit den
eigenen schwachen Kräften nicht verhindert werden, daß Ende
Dezember 1914 der Feind auch in Altkamerun festen Fuß faßte,
daß von der Nordbahn her das Zentrum der deutschen Westabteilung bei
Fongdonera durchbrochen und ein fruchtbares und für die
deutsche Verpflegung wertvolles Gebiet besetzt wurde, aber es blieb doch die
Endstation der Mittellandbahn in deutscher Hand. Vom Sangha her rückten
die Franzosen gegen Ngaundere vor, und durch das
Zurückweichen der Westabteilung lag der Weg in den Rücken und in
die rechte Flanke der Edeastellung zwischen Sanaga und
Njong offen. Ein Angriff auf die Stellung der Franzosen bei
Edea scheiterte. Im Januar gelang es aber dem Führer der
Westabteilung, Major Rammstedt, den auf das Gerücht vom
Erscheinen deutscher Kriegsschiffe in Duala zurückgegangenen General
Dobell durch ständige Beunruhigung unfähig zu energischem Angriff
zu machen. Viermal wurde der englische Vorstoß auf das Hochland
vereitelt. England lehnte den Einsatz indischer Truppen ab und empfahl, einen
entscheidenden Schlag gegen Nordkamerun zu führen, um Truppen
für den Vorstoß freizubekommen. Als überraschend die
Sprengung der Mittellandbahn gelang, stockte die Zufuhr zwischen Duala und
Edea. An der Ostfront war der Feind stark verschanzt. Die Franzosen waren
über den Kadei gesetzt und hatten Bertua und
Njassi eingenommen, waren aber ohne Fühlung mit ihren
Nachbarn. Hier wurden sie auf ihrem rechten Flügel aus ihren starken
Stellungen, ohne Artillerie, unter schweren Verlusten hinausgeworfen und
mußten wieder hinter den Kadei zurück. Damit schliefen die
Kämpfe an der Ostfront ein. Der Feldzug erstarrte hier zum Stellungskrieg.
Dafür rührten sie sich wieder bei Molundu. Zwischen
diesem Ort und der Südküste dehnte sich unabsehbar der
menschenarme, riesige afrikanische Urwald, der weder Träger noch
Verpflegung liefern konnte, noch wollte. Das einzige, was die Franzosen hier
erreichten, war, daß die Eingeborenen, nachdem sich die Senegalneger an
ihren Frauen vergangen hatten, alte Weiblein und kranke Männer als
Träger stellten. So sah sich der [290] französische
General Aymérich hier in die Verteidigung gedrängt. Ein
versuchter Gegenangriff kam durch die einsetzende Regenzeit zum Stehen.
Der Nordabteilung gegenüber hatten die Engländer am Benuë
ein festes Lager bezogen. Um sie von dem Vormarsch auf Ngaundere
abzuhalten, mußte ihnen der Aufstieg auf das Hochland verlegt werden.
Unablässige Überfälle beunruhigten den Feind nicht nur,
sondern schadeten auch seinem Ansehen in Nordnigeria und im Sudan. Dabei
gelang es nicht, die Deutschen aus ihren starken Stellungen bei Garua
herauszulocken und sie im freien Felde mit überlegenen Kräften zu
schlagen. Durch Abfangen eines Meldereiters kannten die Engländer den
Plan Zimmermanns, den Endkampf auf dem Hochland von Ngaundere zu
führen, wagten aber nicht, vorzugehen, ehe nicht Garua gefallen war.
Als im April 1915 die Regenzeit einsetzte, standen zwar die deutschen
Abteilungen noch durchaus im Vorgelände ihrer Widerstandsstellung, aber
durch die weiten Entfernungen und schlechten Verbindungen war die einheitliche
Führung der Schutztruppe sehr erschwert. Menschen und Material waren
abgenutzt. Während der Regenzeit machten die Überschwemmungen
zwar den Aufstieg des Feindes zur Unmöglichkeit, aber auch die Abwehr
der feindlichen Vorstöße äußerst schwierig. Wegen ihrer
wuchernden Phantasie waren die Schwarzen als Patrouillengänger nicht
sonderlich zu brauchen, aber im Gefecht standen sie glänzend ihren Mann.
Sie kannten das Gelände und verstanden, es hervorragend auszuwerten.
Begeistert waren sie zu Beginn des Krieges eingerückt. Ungefragt und
ungezwungen lernten sie die deutschen Kommandos. Für den Kleinkrieg
wie geschaffen, machten sie dem Feinde ernstlich Schwierigkeiten. Meister waren
sie im unbemerkten Abmarsch. Hätte es nicht von vornherein an Waffen
und Munition gefehlt, hätten wir ein Vielfaches an eingeborenen Soldaten
einstellen können. Und wenn auch die Missionen fieberhaft
Ausrüstungsstücke nähten und alte Eisenbestände zu
"Wellmannbüchsen" verwandelt wurden, in Jaunde Behelfsmunition
angefertigt wurde, so reichte doch all das nicht aus, um das Fehlende zu ersetzen.
Allmählich verschlechterten sich die Patronen, die immer wieder in die
alten Hülsen gefüllt wurden, derart, daß das Vertrauen der
Farbigen zu ihrer Waffe sank. Dennoch hielten sie bei ihren weißen Herren
aus, blieben sie stolz darauf, deutsche Soldaten zu sein. Oftmals deckten sie mit
ihren Leibern ihre Vorgesetzten, die wiederum auch ihre Leute nie im Stich
ließen.
Mit der Regenzeit setzten Seuchen ein. Typhus und Pocken brachten
Garua zu Fall, da es an Medikamenten fehlte. Die Unterstände auf
den Schanzen standen infolge eines Wolkenbruchs unter Wasser. Dabei bestand
die Gefahr, daß der neue englische Oberbefehlshaber Cunliffe vor
Garua eine Belagerungstruppe zurückließ und mit den übrigen
Truppen nach Ngaundere und Banjo rückte. Nach
schwerer Beschießung mit französischen
7,5 Zentimetergeschützen, die die Schanzwerke so gut wie
zertrümmerten, entschloß sich der Kommandant von Garua,
Hauptmann v. Crailsheim, zur Aufgabe und zum Abzug, der
allerdings nicht mehr gelang, weil der vorzeitig stark angeschwollene
Benuë keinen hinüberließ. Nach [291] erneuter schwerer
Beschießung, die eine furchtbare Panik bei den Farbigen auslöste,
wurde Garua dem Feind ausgeliefert.Wie gepeitscht verließen die
Garualeute in ihrer Angst, in Nacht und Dunkelheit, die Stadt. Viele verschlangen
die Fluten des hochgehenden Benuë, manch einen trafen noch auf der
Flucht englische Geschosse. Nur wenige retteten sich in die Freiheit. "Ehre auch
diesem Verzweiflungstod seiner schwarzen, treuen Brüder! Umsonst
stritten diese Armen!" (Surén: Kampf um Kamerun. Garua, Berlin
1934.) Unberechenbare Naturmächte vollendeten das grausige Geschick
Garuas.
Am 1. Mai 1915 setzte der allgemeine Vormarsch der Verbündeten auf
Jaunde ein. Die Deutschen hielten ihre Stellungen so lange wie
möglich und wichen dann langsam der wachsenden Übermacht. Die
Schwäche der Abteilungen wurde durch Verschleierungsmanöver
verborgen. Dabei wuchs die Gefahr, eingekreist zu werden, beständig. Bei
trostlosem Wetter, bei Regenfällen, die alle Schützengräben
verschlammte, bei mangelhafter Verpflegung, währten die Kämpfe
wochenlang, ohne daß Ablösung erfolgte oder jemand sich krank
meldete. Die Weißen bissen die Zähne zusammen, um den Farbigen
ein Beispiel zu geben. Schüttelte auch das Fieber ihre ausgemergelten
Körper, so durfte doch die Stimmung nicht sinken. Die dauernden
Rückzüge ließen das Selbstvertrauen der Farbigen nicht
steigen. Dazu drängte der Gegner immer heftiger. Sein Vormarsch auf
Jaunde war nicht mehr aufzuhalten, Reserven zum Einsatz an bedrohten Stellen
fehlten. Die Lage wurde ernst. Aber auch dem Feind hatte die Regenzeit stark
zugesetzt. Trotz Einsatzes schwerer Artillerie kam er kaum vorwärts. Im
Gegenteil wurden seine Kolonnen bei Wum Biaga fast völlig
aufgerieben. Provianttransporte fielen mehrfach in die Hände der
Deutschen, die ihnen vorübergehend Hilfe brachten. Monatelang trotzten
die tapferen, schwarzen Truppen an der Jaundestraße der mit so
großen Hoffnungen unternommenen Offensive der Alliierten. Immer wieder
fesselten sie den Sieg an die deutschen Fahnen.
Nach dem Verlust von Garua entschloß sich der Kommandeur der
Schutztruppe dazu, den Schwerpunkt der Verteidigung von Ngaundere nach
Jaunde zu verlegen. Die Engländer hatten Ende Juni 1915 im Schutz eines
schweren Gewitters den Aufstieg zum Hochland erzwungen und nach kurzen
Gefechten Tschamba und Kontscha besetzt, so daß die
Gefahr bestand, daß die deutsche Westabteilung im Rücken bedroht
wurde. Mit wenigen Kompanien war eine Front in der Ausdehnung von
Königsberg bis Köln zu decken. Es blieb nur noch der letzte
Ausweg, auf neutrales Gebiet überzutreten und die Reste der Schutztruppe
vor der Gefangennahme zu bewahren. Zimmermann verlegte daher jetzt
das Verteidigungszentrum nach Jaunde-Ebolowa, südlich des
Njongflusses. Dorthin wurden alle Bestände abgeführt. Die
Bergstellung auf dem Banjoberg übernahm die Rolle Garuas und
hielt den Gegner im Norden auf. Die Westabteilung stand in einem riesigen Bogen
zwischen Kongola und Ossidinge am Nordrand des
Westkameruner Hochlandes, in einer Linie, die vom Feind nicht
durchstoßen werden durfte, wenn es gelingen sollte, die Hauptmasse der
Kämpfer und [292] des Trosses nach
Spanisch Muni auf neutrales Gebiet hinüberzubringen. An der
Südfront waren die Kämpfe mit den Franzosen wieder aufgelebt,
doch wurde ihr Vorgehen am Kje und Ntam zum Stehen
gebracht. Auch die Engländer vermochten nicht, die Nordgrenze von Muni
zu blockieren. Besonders schwierig wurde unsere Lage noch dadurch, daß
die Soldaten der Südostfront jetzt erklärten, sie hätten genug
vom Krieg und machten nicht mehr mit. Obwohl natürlich Nachrichten von
diesen Schwierigkeiten durchsickerten, waren doch die Franzosen im Augenblick
zu abgekämpft, um unsere Notlage ausnützen zu können. Es
gelang ihnen nur, die beiden Flügel der Ostabteilung
zurückzudrängen, das Zentrum bei Bertua
einzudrücken und Dume zu erobern.
Die Verbündeten setzten dann im Oktober 1915 mit der allgemeinen
Offensive gegen Jaunde ein. Trotz beträchtlicher
Verstärkungen, die die Engländer über Duala erhielten, blieb
ihr Angriff am Sanaga stecken, und auch die Franzosen konnten die
Südabteilungsfront nicht eindrücken. Ein Vorstoß gegen
Amban-Ebolowa scheiterte. Nur langsam gingen die Pässe des
Nordwestkameruner Hochlandes an die Engländer verloren. Um jedes
Gehöft, jede Hecke, jede Farm wurde erbittert gekämpft. Aber aller
Schneid konnte die Mangelhaftigkeit unserer Infanteriewaffen nicht mehr
verdecken. Dennoch wurde, alter militärischer Überlieferung
gemäß, von Gegenstößen gegen den Feind auch jetzt
nicht abgesehen. Die Banjostellung nahmen die Engländer unter heftiges
Artilleriefeuer. Unsere Farbigen packte die Wut. "Ihr Hundessöhne, ihr
Feiglinge", riefen sie den feindlichen Haussa zu, "wenn ihr auch Kanonen habt,
wir sind doch zehnmal stärker als ihr, denn wir sind deutsche Soldaten!"
Die Engländer kamen erst vorwärts, als sie die Feuerwalze
anwendeten. Uns fehlten Handgranaten, um dagegen vorzugehen. Als gegen
Mittag die letzten Patronen ausgegeben waren, faßte Hauptmann
Schlosser den Entschluß, durchzubrechen, was auch im Schutze
eines Wirbelsturms gelang, der den Feind wegen Unsichtigkeit zwang, das Feuer
einzustellen. 6 Europäer und 42 schwarze Soldaten verließen
ungesehen die Bergstellung, und die Engländer fanden das Nest leer. Ihre
Verfolgung hinderte sie nicht, hinter den schützenden Mbamfluß
abzurücken. Die Überrumpelung des britischen Depots in
Bali brachte erwünschte Auffüllung der deutschen
Bestände.
Auch der Vorstoß General Aymérichs gegen die Ost- und
Südostabteilung zwang erst nach umfassenden Umgehungen die Deutschen
zum Abzug. Langsam, unter zäher Verteidigung, wurden die Etappenlinien
zurückgenommen. Immer wieder hielt unser Gewehrfeuer den
nachrückenden Feind auf. Immer wieder blieben die feindlichen Kolonnen
abgekämpft liegen. Immer wieder sperrten deutsche
Geländehindernisse wirkungsvoll den Weg. Trotz der drohenden Gefahr,
beim Rückzug überrannt zu werden, wurden alle Angriffe siegreich
abgewehrt. Wie Hornissen umschwärmten die deutschen Abteilungen den
Feind, der sich vergeblich mühte, die deutschen Stellungen an der
Jaundestraße zu nehmen.
Am 30. November 1915 standen die deutschen Abteilungen unter dem harten
Druck des nachrückenden Feindes zwischen Jaunde und Kribi, wo noch die
deutsche [293] Flagge das Meer
grüßte. Unter rücksichtslosem Einsatz von Menschen und
Munition hatten die Verbündeten das Mittelkameruner Hochplateau
erklommen. Hier war das Gelände für den Kleinkrieg günstig,
aber der Mangel an Munition erlaubte ihn nicht mehr. Man mußte warten,
bis der Feind angriff, und abziehen, wenn die Gefahr der Umgehung gegeben war.
General Dobell wollte verhindern, daß sich die Reste der deutschen Truppe
bei Jaunde sammelten. Der Munitionsmangel mußte schließlich das
Schicksal der abgekämpften Truppe und damit der Kolonie entscheiden. So
wurde Jaunde aufgegeben. Menschen und Material zogen in voller Ordnung ab,
während inzwischen der Feind mit letzter Kraft zwischen Sanaga
und Njong aufgehalten wurde, um den Abzug zu decken. Ernsthafter
Widerstand war ausgeschlossen, die meisten Europäer waren krank. Es
blieb also nichts anderes übrig, als den für den äußersten
Fall vorgesehenen Rückzug nach Muni in die Wege zu leiten. Damit war
die Kolonie aufgegeben. Der Njong wurde überschritten, ohne daß es
dem Feind gelang, die fast ohne Munition kämpfenden deutschen
Truppenschleier zu durchstoßen. Am 30. Dezember verließ die
Regierung Jaunde, das am folgenden Tage von den Engländern
besetzt wurde. "Viele Augen Weißer und Schwarzer schauten über
die braunen Wasser des Njong, voll heißer Wut und Schmerz, daß sie
ihre Heimat verloren." Den Farbigen wurde freigestellt, die Truppe zu verlassen
und in ihre Heimat zurückzukehren. Aber sie lehnten das ab: "Wir haben
bisher mit euch zusammen gekämpft. Wir denken nicht daran, jetzt
davonzulaufen. Wir folgen euch nach Spanisch Muni." Unabsehbare
Trägerkolonnen trugen Verpflegungslasten der Regierung durch die
Urwaldstraßen nach Muni. Manche kamen von den entferntesten Grenzen
des Graslandes daher. Die reichen Gebiete von Bamum, Bagam und Tikar
schickten ihre Erzeugnisse bis in den Urwald des Südens. Dazwischen sah
man Häuptlinge mit ihrem Gefolge schreiten. Das Oberhaupt der
Jekabaleute, der alte Nanga Eboko, stellte seine Kisten voll
Ein- und Zweimarkstücke, seinen Staatsschatz, dem Gouverneur zur
Auszahlung von Löhnungen zur Verfügung, als er hörte,
daß das Geld knapp sei. Im Eilschritt wanderten Männer, Weiber und
Kinder, mit drei Tagen Vorsprung vor dem Feind, durch den Urwald, um dem
verhaßten Feind nicht dienen zu müssen. Trotz aller Fürsorge
Dr. Ebermayers wurde die Verpflegung immer knapper, und der Feind, der
am Njong erschienen war, mußte von der
Rückzugstraße nach Ngoa ferngehalten werden, was den deutschen
Feldwachen nur mit äußerster Anstrengung gelang. Angriffe der
Engländer wurden auch jetzt noch abgeschlagen. Als am 26. Januar 1916
die Mehrzahl der Truppenabteilungen bei Ngoa sich zusammengefunden
hatte, wurde noch einmal Kaisers Geburtstag durch eine Parade gefeiert. Durch
viele Munitionsversager kam die deutsche Truppe dann in dem schweren Gefecht
bei Njila noch einmal in eine höchst kritische Lage. Da ein Drittel
der Gewehre unbrauchbar war, mußten die Franzosen mit Bajonettangriff
abgeschlagen werden. Unterdessen begann am 3. Februar der geordnete
Übertritt der Truppe nach Muni, der am 14. beendet war,
nachdem "buchstäblich die letzte Patrone aus dem Lauf gejagt war". 95
Offiziere, 450 europäische Dienst- [294] grade, 5000 farbige
Soldaten gaben die so lange siegreich geführten Waffen an die Spanier ab.
Etwa 40 000 Eingeborene gingen mit. Unbesiegt verließen die
Deutschen den Boden Kameruns. Keine Last, keine geschlossene deutsche
Kampfabteilung, kein Gewehr fiel in die Hände des Feindes, "ein
Meisterstück deutscher Führerleistung". Der ruhmvoll
durchgeführte Kampf war durch den glücklichen Durchbruch durch
die feindliche Umklammerung ehrenvoll abgeschlossen.
Nur hoch im Norden von Adamaua wehte noch einsam und verlassen die deutsche
Flagge über der Morastellung. Als die Munition knapp wurde und
die letzte Quelle von den Engländern verstopft war, schickte General
Cunliffe einen Parlamentär, der die Räumung Kameruns mitteilte
und die ehrenvolle Übergabe anheimstellte, zu der Hauptmann
von Raben nunmehr seine Einwilligung geben mußte, um
nutzlose Blutopfer zu vermeiden. Am 18. Februar wurde die Stellung feierlich
übergeben. Die englische Kompanie präsentierte vor dem tapferen
Gegner das Gewehr zum Zeichen ihrer Hochachtung. Die Offiziere behielten ihre
Säbel und die Mannschaften ihre Seitengewehre.
"Gegen überwältigende
Übermacht, von allen Seiten eingeschlossen, ohne Hoffnung auf Hilfe von
der Heimat, fochten sie einen tapferen Kampf. Ihr Mut, ihre Ausdauer, ihre
Erfindungskunst erlahmten nie. Ohne Artillerie, mit schwindenden
Beständen an Lebensmitteln und Munition, haben sie uns ein paar
gehörige Schläge versetzt... Und wie ihre farbigen Soldaten zu den
deutschen Offizieren hielten, das war eine der Überraschungen des
Feldzuges. Alle Hochachtung vor dem deutschen Kommandeur, seinen Offizieren
und Mannschaften!" (Tagebuch des englischen Oberst Gorges, nach
Erich Student: Kameruns Kampf
1914 - 1916, Berlin 1937.)
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