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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Krieg um die Kolonien   (Forts.)
Oberst Dr. Ernst Nigmann

6. Kamerun.
Scriptorium merkt an:
bei diesem Abschnitt verweisen wir
noch besonders auf das Kapitel
"Kamerun erlag der Übermacht"
aus dem Sammelwerk
"Das Buch der deutschen Kolonien".

Die nordwestlich an Britisch-Nigeria, östlich und südlich an Französisch-Äquatorial-Afrika angrenzende Kolonie Kamerun hatte erst zwei Jahre vor Ausbruch des Weltkrieges als Entschädigung für den Verzicht Deutschlands in Marokko einen beträchtlichen, etwa ein Drittel seiner bisherigen Ausdehnung betragenden Gebietszuwachs erfahren. Für die Führung der neuen Grenze wie die der früheren waren ausschließlich Handelsinteressen maßgebend gewesen; militärische Gesichtspunkte hatten bei der Grenzführung nicht mitgesprochen. Auch die Küste, an der südlich das Stück Spanisch-Guinea einspringt, während die spanische Insel Fernando Po ihr gegenüber liegt, ist nirgends verteidigungsfähig. Wenn auch die Geschichte der Kolonie eine Reihe von Kämpfen mit den Eingeborenen in sich schließt, so war bei Ausbruch des Krieges doch die Verwaltung nahezu überall festgefügt, die Farbigen waren mit der deutschen Herrschaft zufrieden und anhänglich. Namentlich der Hauptstamm der Kolonie, die Jaundes, hat dies dargetan; sie haben fest zu den Deutschen gehalten, haben der Truppe Soldaten und Verpflegung gestellt und sind schließlich - ein ganzes Volk! - den deutschen, auf spanisches Gebiet übertretenden Truppen, freiwillig ihre geliebte Heimat verlassend, in die ungewisse Ferne gefolgt. Gewiß ein Beweis für deutsche kolonisatorische Befähigung wie in Ostafrika, so auch hier in Kamerun, und so zu Herzen sprechend, daß alle feindlichen Anwürfe über die mangelnde Fähigkeit, Farbige zu behandeln, sinnlos erscheinen.

Kamerun.

[379]
      Skizze 17: Kamerun.

Die Truppe zählte im Frieden etwa 150 weiße Führer und gegen 1600 farbige Soldaten, die meist den Eingeborenen der Kolonie selbst entstammten. Von den 12 Kompagnien der Truppe waren noch 10 im Verwaltungsdienst, d. h. die Führer waren gleichzeitig Verwaltungschefs des betreffenden Bezirks, und ihre Kompagnie war deshalb meist in zahlreiche Posten zerlegt, im Bezirk verteilt; ein [378] für die Ausbildung der Truppe allerdings recht hinderlicher Umstand. Zwei Kompagnien (je eine Expeditions- und Stammkompagnie) waren Reserve des Kommandos. Die Truppe befand sich gerade in der Umbewaffnung, im Übergang vom alten Einzellader M 71 zum Mehrlader; die Umbewaffnung war aber noch nicht abgeschlossen, es fehlte daher eine Reserve an Waffen und an Munition. An Maschinengewehren war kein Mangel, dagegen sah es mit Artillerie übel aus; sie bestand nur aus einem Dutzend meist veralteter kleinkalibriger Feld- und Gebirgsgeschütze, auf die verschiedenen Stationen verteilt und nur zur Wirksamkeit bei etwaigen Aufständen befähigt. Sondertruppen waren nicht vorhanden, auch die Befehlsübermittlung - oft auf 800 und mehr Kilometer - erfolgte zu Fuß. Die Plätze und Stationen im Innern waren nur so weit befestigt, daß sie bei einem Aufstand Widerstand leisten konnten; einer Beschießung mit europäischem Geschütz, selbst leichter Art, waren sie nicht gewachsen. - Außer der Feldtruppe stand noch in den bereits in Zivilverwaltung genommenen Gebieten eine Polizeitruppe, gleichfalls etwa 1500 Mann stark, zur Verfügung. Sie war in kleine und kleinste Abteilungen zersplittert, deshalb militärisch nicht so geschult wie die Feldtruppe, bildete aber, da gleicherweise ausgebildet und ausgerüstet, eine wertvolle Ergänzung für diese.

Kommandeur der Schutztruppe war Major Zimmermann, selbst aus der Kameruner Schutztruppe hervorgegangen, ein ausgezeichneter Kenner des Landes und der Truppe selbst, die zu ihm, seiner Erfahrung, seiner sachkundigen, tatkräftigen und umsichtigen Führung festes Vertrauen hegte. Dies Vertrauen war ein gegenseitiges, kannte doch auch Zimmermann die Truppe aus Krieg und Frieden genau, und wußte er, daß seine braven farbigen Soldaten treu und tapfer zu ihm und ihren weißen Führern stehen würden. Und die braven Farbigen haben, wie in Deutsch-Ost, auch hier ihren weißen Führern heldenhaft und unverbrüchlich fest bis zum Ende die Treue gehalten.

Ein besonderer Mobilmachungsplan bestand nicht. Als sich zur Zeit der Marokkokrise die Lage auch in Europa zuspitzte, hatten die auf die ganze Kolonie auseinandergezogenen Kompagnien nur die allgemeine Weisung bekommen, sich, im Falle feindlichen Angriffs auf die Kolonie, fechtend auf das Hochland von Ngaundere zurückzuziehen. Dort, auf diesem verpflegungsreichen Hochplateau, dachte man die Truppe einheitlich in die Hand zu bekommen und den Kern des Schutzgebiets so lange zu halten, bis - woran auch hier niemand zweifelte - in wenigen Monaten die Kriegsentscheidung in Europa gefallen war.

Die Truppe verfügte mithin insgesamt über gegen 200 weiße Führer, 3200 farbige Soldaten und etwa ein Dutzend Geschütze der verschiedensten Art.

Am 1. August war noch ein Telegramm eingegangen, daß sich das Schutzgebiet außer Gefahr befände, am 6. August jedoch aus Togo die Funkenmitteilung gekommen, daß der dortige Neutralitätsvorschlag von der englischen und französischen Nachbarkolonie abgelehnt worden sei. Soweit dies noch möglich war, [379] hatte man sich daraufhin gegen einen Überfall zu sichern versucht, insbesondere war das wertvolle Duala, der Ausgangspunkt der beiden Bahnen und Mittelpunkt der Verpflegung und Ausrüstung, durch Anlage einer Sperre in der Fahrrinne und Einbau der vier Feldgeschütze gegen Handstreich gesichert worden.

[380] Der deutschen bescheidenen Heeresmacht standen gegenüber:

In Nigeria rund 300 Europäer, 6000 Mannschaften, 12 Geschütze
" Französisch-Äquatorial-Afrika " 500 " 9000 " 6 "
" Belgisch-Kongo " 200 " 4000 " ? "

(Hierbei ist gerechnet, daß im belgischen Kongo etwa ein Viertel der dortigen Gesamtmacht gegen Kamerun angerechnet werden konnte.)

Mithin hatte Kamerun mit einem Gesamtgegner von etwa 1000 Europäern, 18 000 Mannschaften, 25 Geschützen zu rechnen. Die deutsche Truppe hatte also gegen eine mindestens sechsfache Übermacht zu kämpfen.

Schon am 6. August überfielen die Gegner zwei ahnungslose Posten am Kongo bzw. Ubangi, wovon das Kommando nur durch zufällig mitgehörten Funkspruch Kunde erhielt. Ende August erfolgte dann der erste konzentrische Angriff aller drei Gegner, Frankreichs, Englands und Belgiens, an sieben Fronten zugleich.

Am 20. August überschritt der Gegner auf der Ossidinge-Front die Grenze. Dort waren insgesamt etwa drei Kompagnien (Führer: Hauptmann Rammstedt) vereinigt. Rammstedt griff die Engländer am 6. September bei Nssanakang an, schlug sie unter beiderseitigen schweren Verlusten und warf sie wieder aus dem deutschen Gebiet hinaus.

Auf der Garua-Front erhielt der dortige Führer, Hauptmann v. Crailsheim, zwar keine Kenntnis vom Kriegsausbruch, zog aber aus der veränderten Haltung der englischen Behörde in Yola seine Schlüsse, verstärkte sich durch Einziehung entlassener Soldaten, zog auch noch andere Verstärkung heran und verschanzte sich bei Garua. Als Ende August die Engländer mit zwei Bataillonen seine Stellung angriffen, wurden sie derart gründlich abgewiesen, daß sie schleunigst nach Yola zurückfluteten. Die Abteilung Crailsheim wurde danach noch durch die Kompagnie aus Banjo verstärkt.

Im äußersten Norden lag die dritte Kompagnie der Truppe unter ihrem trefflichen Führer Hauptmann v. Raben in Mora. Als Ende August eine vierfach überlegene englische Kolonne gegen diese vorrückte, ging die Kompagnie in eine inzwischen im Mandara-Gebirge vorbereitete Bergstellung zurück. Hier leistete Hauptmann v. Raben mit seiner braven Kompagnie unter den größten Anstrengungen und oft unter den schwersten Entbehrungen allen Angriffen des Feindes Widerstand und fesselte dauernd eine fünffache Übermacht des Feindes. Und erst nach mehr denn 1½ Jahren, als die übrige Schutztruppe bereits auf spanisches Gebiet übergetreten war, räumte er unter den ehrenvollsten Bedingungen seinen Posten.

Im Osten rückte die Kolonne des Obersten Morisson vor. Vor ihr ging die 6. Kompagnie (Singa) und 5. Kompagnie (Buar) auf Nola zurück, indem sie ihre stark verzettelten Posten heranzog. Sie vereinigten sich mit der 9. Kom- [381] pagnie (Dume) hinter dem Mambere-Abschnitt und traten dort unter den Befehl des Hauptmanns Eymael.

Gegen den unteren Dscha gingen im Südosten Franzosen und Belgier vor. Hier hatte sich der Gegner mit seinen weit überlegenen Kräften leider Wessos am Dscha bemächtigen können, des Schlüsselpunktes für seinen Nachschub auf dem Wasserwege. Auch die nach dorthin beorderte 9.  Kompagnie Dume konnte keine Wendung mehr herbeiführen.

Auf der Südfront waren bei Oyem etwa 3 Kompagnien zusammengezogen worden; sie hatten Ende August und Anfang September zwei französische Einfälle verlustreich zurückgewiesen.

Anfang September kamen vor der Küstenfront die ersten englischen Schiffe an: 2 Kreuzer, 1 Kanonenboot und einige 20 größere und kleinere Sonderfahrzeuge. Hierzu trat später noch eine kleine französische Flottille. - Wie erinnerlich, war schon in den ersten Tagen der Mobilmachung die Fahrrinne durch Versenken einiger Frachtdampfer gesperrt worden; leider hatte sich die starke Strömung daneben selbst eine Fahrrinne gegraben. Da diese nicht mehr im Bereich der eingebauten alten Feldgeschütze lag, gelang es den feindlichen Aufklärungsschiffen, in den Hafen zu kommen. Sonst war deutscherseits getan, was sich mit bescheidenen Mitteln nur irgend machen ließ; die Leuchtfeuer waren gelöscht, die Seezeichen entfernt, eine Minensperre war angelegt, die beiden Regierungsdampfer "Nachtigal" und "Herzogin" waren als Aufklärungsschiffe armiert worden. Die "Nachtigal", Namensträger des Mannes, der vor 30 Jahren an der Küste von Kamerun die deutsche Flagge gehißt hatte, fand hier bei den Kämpfen mit dem feindlichen Aufklärungsschiff "Dwarf" ein ruhmvolles Ende; beim Versuch, den Gegner zu rammen, geriet die "Nachtigal" selbst in Brand und sank. Auch die Sperren, die ja nur einfacher Art waren, hatte der Gegner bald weggesprengt; am 25. September fuhren drei englische Schiffe durch die Sperre bis auf 800 m heran und warfen Anker; der englische General Dobell forderte jetzt angesichts seiner überlegenen Kräfte die bedingungslose Übergabe des Schutzgebiets, andernfalls würde am nächsten Morgen das Bombardement Dualas beginnen. Major Zimmermann beantwortete die Übergabe-Aufforderung nicht. Am 26. September setzte deshalb die Beschießung Dualas ein, gleichzeitig erfolgte ein Landungsversuch von gegen 1000 Mann unter dem Schutz mehrerer gepanzerter, gut bestückter Barkassen. Es wäre verfehlt gewesen, die geringen Besatzungstruppen Dualas, die noch für den aussichtsreicheren Kampf im Innern dringend gebraucht wurden, hier einzusetzen; Duala wurde daher geräumt, die Besatzung ging in Richtung auf Jabassi - Edea zurück, wohin der Feind mit stärkeren Kräften folgte.

Ende 1914 war die Lage: An der Küstenfront und im Südostteil der Kolonie, d. h. da, wo ihm die See oder schiffbare Flüsse den ungehinderten Einsatz seiner [382] überlegenen Kampfmittel ermöglicht hatten, war der Gegner eingedrungen, ebenso in den spitzen, nicht zu haltenden Nordzipfel. An allen übrigen Fronten war er bisher mit erheblichen Verlusten abgewiesen worden.

Der Weitergang des Kampfes konnte deutscherseits nur defensiv sein, ein Objekt für eine offensive Tätigkeit im größeren Umfange, etwa wie in Ostafrika die britische Ugandabahn war, fehlte, dann mußte auch die ohnehin schon sehr auseinandergezogene Truppe in Rücksicht auf ihre allmählich immer stärkere Abnutzung mehr und mehr zusammengehalten werden, sollte sie nicht Gefahr laufen, von dem von Tag zu Tag überlegener werdenden Gegner einzeln abgetan zu werden. So blieb nun Ngaundere, wie in der Mobilmachungsanweisung vorgesehen, zwar zunächst noch Verteidigungszentrum, doch mußte die Verschiebung der Verteidigung nach dem Sanaga-Südufer, nach der Gegend von Yaunde, bereits in Erwägung gezogen werden, hauptsächlich weil dort, in der Nähe der Küste, noch ein gewisser Munitionsersatz möglich war. Hatte doch die Truppe für jeden Mehrlader nur insgesamt 180, für jedes Gewehr 71 nur 90 Patronen, d. h. so viel, wie für einen entscheidenden Gefechtstag gerechnet zu werden pflegt! Dazu kam, daß inzwischen General Dobell von Duala her den Sanaga-Fluß erreicht, Edea als starken Stützpunkt befestigt und mit Artillerie gut ausgestattet hatte. Gegen die ihm gegenüberstehenden Abteilungen, Kompagnien Gaiser und 4. Kompagnie, stieß er mit stark überlegenen Kräften vor, so daß diese der Übermacht nicht standhalten konnten. Gleichzeitig ließ Dobell eine andere Kolonne von Ossidinge her antreten, die mit überlegener Artillerie die deutsche Infanterie auf Entfernungen, wo diese mit ihren Gewehren nicht antworten konnte, aus ihren Stellungen herausschoß, während seine eigene Infanterie rauchend und mit zusammengesetzten Gewehren zuschaute! So konnte er Dschang in Besitz nehmen und damit den Schlüssel zu dem Mittelkameruner Hochland, dessen Besitz den Verlust der hauptsächlichsten Verpflegungszufuhr bedeutete, außerdem auch die nördlich operierenden Truppen von den südlichen endgültig getrennt hätte. Das mußte verhindert werden.

Zimmermann entschloß sich, den Ausgangspunkt dieser Offensive auf das Mittelkameruner Hochland, Duala, zu bedrohen und hierzu Edea anzugreifen. Die Stärke der infanteristischen Kräfte auf beiden Seiten war annähernd gleich, Artillerie und Befestigung war allein auf seiten des Feindes, - die Tapferkeit und Zuverlässigkeit der braven farbigen Truppe mußte dies ausgleichen. Der Angriff, in den frühen Morgenstunden angesetzt, war verlustreich und wurde abgeschlagen. Aber sein Zweck wurde doch erreicht; Dschang wurde eiligst geräumt; die ausgezeichnete Tapferkeit der farbigen deutschen Truppe hatte dem Gegner zu gewaltigen Eindruck gemacht. So war das Mittelhochland wieder frei. Um seinen Kernpunkt, Jaunde, zu nehmen, d. h. um die 150 km lange Strecke vom Sanaga-Fluß bis Jaunde zurückzulegen, brauchte der Gegner noch mehr wie ein Jahr. Vorerst bedurfte er aber dringend einer Kampfpause und längerer Vorbereitung für sein weiteres Vorgehen.

[383] Auf den anderen Fronten hatten sich zur selben Zeit und bis etwa Mitte 1915 folgende Ereignisse vollzogen:

Auf der Ossidinge-Front war der Gegner nach Räumung von Dschang zurückgegangen und hatte Bare an der Bahn stark befestigt. Die gegenüberstehende deutsche Abteilung beherrschte das freie Feld, jedoch glückte ihr die Einnahme dieses feindlichen Stützpunktes nicht.

Auf der Garua-Front hatten zwei feindliche Kolonnen, eine englische und eine später eingetroffene französische, südlich des Benue Lager bezogen und beobachteten aus ziemlicher Entfernung Garua, das allmählich zu einem starken Stützpunkt geworden war.

Die Nord-Front wies in der Mora-Stellung nach wie vor alle Angriffe der vereinigten Engländer und Franzosen ab.

Auf der Ost- und Südost-Front kamen die Franzosen und Belgier, dank der außerordentlich tatkräftigen Kampfführung des Hauptmanns Eymael, nur langsam vorwärts; der bereits bis Bertua vorgedrungene Morisson wurde sogar bis hinter den Kadei zurückgeworfen, wo er bis Juli verblieb. Dagegen gewann Hutin - nachdem beide deutschen Führer gefallen - ein Gefecht bei Eta, wagte jedoch nicht, mit seiner Kolonne allein, ohne die Nachbarkolonne Morisson, über Lomie hinaus vorzugehen.

Der ausgezeichnete Hauptmann v. Hagen hatte im Südwesten es verstanden, die Küstenfront: Richtung von Kampo, und die Südfront: von Oyem her, zu decken und so die einzige Verbindung nach außen, nach Bata auf spanischem Gebiet, zu erhalten.

Der Hauptangriff mit stark überlegenen Kräften erfolgte auf der Edea-Front; hier wurden die deutschen Truppen, auch die von Jabassi herangezogene Abteilung Haedicke, von dem Gegner, der infolge seiner zahlenmäßigen starken Überlegenheit sie ständig zu überflügeln vermochte, zurückgedrückt; auch Brücken- und Wegezerstörungen konnten den mit Lastautos reichlich versehenen Feind nur wenig aufhalten. Am 12. Juni traf ihn jedoch bei Ngok ein Flankenstoß von drei Kompagnien, der ihn in seine Ausgangsstellung vom April zurückwarf.

Aber Mitte Juni erhielt das inzwischen nach Jaunde zurückgegangene Kommando eine Hiobspost: Garua war am 10. Juni gefallen. Der Gegner hatte auf den durch die Regenzeit schiffbar gemachten Flüssen schwere Artillerie herangezogen und das einem solchen artilleristischen Aufwand nicht gewachsene Garua in zehntägiger Beschießung aus weiter Entfernung in Trümmer gelegt. Einige 200 farbige Soldaten waren schwimmend über den Ngaundere entkommen, der Rest wurde kriegsgefangen. Der Gegner war nachgestoßen und hatte Ngaundere besetzt.

So war jetzt das Südufer des Sanaga, Jaunde, Mittelpunkt der deutschen Verteidigung. Schon seit Mai waren die in seiner Nähe gelegenen Etun-Berge, die eine vortreffliche natürliche Bergfeste bildeten, auf ihrer West- und Ostfront [384] ausgebaut worden. Außer den militärischen Gesichtspunkten sprachen auch gewichtige politische Gründe dafür, Jaunde zum Schwerpunkt der Endverteidigung zu machen. Weitaus den stärksten und besten Anteil an den Mannschaften der Truppe stellten die Jaundes, und gerade ihre Heimat, der Jaundebezirk, war unter dem tüchtigen Häuptling Atangana der treueste und opferwilligste der Kolonie. Unverdrossen war die Bevölkerung, Männer und Frauen, Kinder und Greise, tätig in Bestellung der Felder wie im Leisten von Trägerdiensten für die Truppe. Hier entstand auch unter Leitung des Bezirksamtmanns Dr. Winter eine Munitionswerkstätte, die mit den wenigen zu Gebote stehenden Mitteln eine Ersatzmunition herstellte. Gewiß konnte diese der heimischen nicht ebenbürtig sein, aber ihr Vorhandensein allein ermöglichte überhaupt die Weiterführung des Kampfes. Und in gleicher Weise arbeitete eine improvisierte Waffenfabrik, um aus altem Eisen wieder gebrauchsfähige Büchsen M 71 herzustellen. Den braven, ehrgeizigen Jaundes war es ein Stolz, daß ihr Bezirk der Brennpunkt des ganzen Kampfes geworden war, und es entwickelte sich die allgemeine Anschauung, daß hier, in der Etun-Stellung, der End- und Entscheidungskampf geführt werden sollte. Aber der Kommandeur war jetzt zu folgenden Erwägungen gezwungen: Selbst bei den größten Anstrengungen fiel die Menge der hergestellten Ersatzpatronen den unversiegbaren Patronenmengen des Feindes gegenüber nicht ins Gewicht. Die zahlenmäßige Unterlegenheit hatte sich bisher durch die gute Ausbildung, vor allem die gute Schießfertigkeit der deutschen Leute etwas ausgleichen lassen; aber gerade die letztere ließ sich, bei der zu Ende gehenden Munition, nicht mehr zur Geltung bringen. Was also tun? Der Gedanke an eine Endoffensive mußte, eben wegen des Munitionsmangels, fallen gelassen werden; denn selbst bei geglückter Endoffensive konnte der Gegner, wenn die Truppen ihm dann doch mit leeren Patronentaschen gegenüberstanden, die schimpflichsten Bedingungen diktieren. Es blieb nur eins: den Widerstand so lange als möglich hinauszuziehen und sich dann zum neutralen Gebiet hin durchzuschlagen.

So waren die Endkämpfe in Jaunde schwer; der Gegner verdoppelte und verdreifachte seine Kräfte, trieb seine Truppen unter starkem Artillerieeinsatz und mit Hilfe reichlicher Alkoholgaben immer wieder vor, während den braven deutschen Farbigen die Tagesmunition: 10 bis 20 Patronen minderwertiger Ersatzmunition, zugezählt werden mußte, mit denen sie, unzureichend ernährt, einen ganzen Tag lang in der weitausgedehnten Stellung aushalten mußten.

Immer fester machte sich jetzt die Umklammerung durch den übermächtigen Gegner geltend. Noch einmal wurde die über Bertua vorgedrungene Kolonne Morisson durch einen Flankenstoß der Abteilung Rammstedt nach Bertua zurückgeworfen; aber im Oktober/November 1915 schloß sich der Ring immer fester und enger. Mitte Dezember war der letzte Augenblick gekommen, wenn anders nicht die Truppe Gefahr laufen sollte, abgeschnitten zu werden; so setzte denn um diese [385] Zeit der Abmarsch nach Bata im spanischen Guinea ein. Als am Silvester der Feind bis an Jaunde selbst herangelangt war und den Platz mit Granaten bewarf, waren die Trains schon auf dem südlichen Ufer des Ngong-Flusses; Abteilung Hagen hielt gegen feindlichen Vorstoß von Westen (von Ebolowa) und von Osten (von Ojem) her den Durchzug auf spanisches Gebiet frei. Noch einmal wurde an dem großen Nordbogen des Kampo-Flusses eine Verteidigungsstellung eingenommen und befestigt, bis schließlich Verpflegungs- und völliger Munitionsmangel die Truppe zwang, vom 5. Februar bis 15. Februar fechtend in tadelloser Ordnung und in geschlossenen Verbänden auf spanisches Gebiet überzutreten. - Der größte Teil der Europäer wurde nach Spanien verbracht, die treuen Farbigen wurden mit einer Anzahl weißer Vorgesetzter nach der Insel Fernando Po überführt.

Dem Abmarsch der Truppe schlossen sich eine große Anzahl Häuptlinge und anderer Eingeborenen freiwillig an, die ihre Treue zu ihren deutschen Herren hierdurch aller Welt kundtaten. Ohne Zaudern und getrosten Mutes verließen sie Heimat, Hof und Haus, nur im Vertrauen auf das Wort ihrer deutschen Führer und aus Anhänglichkeit an diese. Stets gerechte Behandlung, väterliche Fürsorge und Teilen aller Entbehrungen und Strapazen hatte in den Herzen dieser Braven diese vorbildliche Treue auszulösen verstanden. Wie unsäglich töricht stellt sich da der Vorwurf dar, daß die deutschen Barbaren unfähig zur Kulturarbeit an den Eingeborenen seien! Wenn nur das geringste hieran wahr gewesen wäre, hätten dann nicht die Eingeborenen diese günstigste aller Gelegenheiten benützen müssen, um das angeblich barbarische deutsche Joch abzuschütteln, um blutigste Vergeltung zu üben? Nichts von alledem - im Gegenteil: Truppe und Bevölkerung standen in einer Treue, wie sie keine Kolonie der Feinde diesen gehalten haben würde, bis zum letzten, bitteren Ende zu ihren Herren und folgten ihnen, selbst ihre geliebte Heimat verlassend, in die ungewisse Verbannung. Schönere, selbstlosere Treue hat die Weltgeschichte selten, die Kolonialgeschichte nie gesehen, wie die der deutschen Farbigen in Kamerun und in Ostafrika.

Und das soll ihnen unvergessen sein!


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte