Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der Krieg um die
Kolonien (Forts.)
Oberst Dr. Ernst Nigmann
7. Deutsch-Ostafrika.
Durch nichts ist der
britische Vorwurf: "Der Deutsche verstände nicht zu
kolonisieren und die Eingeborenen zu behandeln" schlagender entkräftet,
durch nichts ist der gegenteilige Beweis glänzender erbracht worden, wie
durch die Kämpfe in Deutsch-Ostafrika und wie durch das Verhalten der
Eingeborenen dieser wohl schönsten und zukunftsreichsten deutschen
Kolonie. Nur ein knappes Vierteljahrhundert war die Kolonialgeschichte
Deutsch-Ostafrikas alt, eine für Kolonialverhältnisse winzige Spanne
Zeit, und welch ein festes Band zwischen Deutschen und Farbigen ist in diesen
wenigen Jahren deutscher Herrschaft geknüpft worden! [386] Mehr denn vier Jahre
lang haben die Eingeborenen in rührender, selbstlosester Hingebung ihren
deutschen Herren die Treue gehalten, haben ihnen immer und immer wieder
Soldaten, Träger, Noten, Verpflegung, alles, dessen sie bedurften, gestellt,
haben sich, ihren Besitz, ihr Blut, ihr Leben der gegen oft zwanzigfache
Übermacht kämpfenden, also verlorenen deutschen Sache geweiht,
haben sich durch nichts, durch keine Verlockungen des Feindes, keinen Preis,
keine Versprechungen, in ihrer hingebenden Treue wankend machen lassen.
Überall, jederzeit haben die Eingeborenen alles für die Deutschen
getan, haben ihr letztes hergegeben. Bis zuletzt haben sich die Eingeborenen
aufgeopfert, und selbst als ihre ehemaligen deutschen Herren hinter dem
britischen Stacheldraht gefangen saßen, haben sie diesen an Verpflegung,
Kleidung, Nachrichten, ja selbst von ihren kleinen Geldmitteln gebracht, was sie
konnten. Hut ab vor solchen Farbigen, aber auch Hut ab vor jenen deutschen
Ostafrikanern, die ein solches Band zu knüpfen verstanden haben, das bei
dieser schwersten Belastungsprobe, der eines aussichtslosen, jahrelangen Krieges,
so wunderbar gehalten hat. Über die Größe dieser Leistung
wird man sich erst klar, indem man sich vergegenwärtigt: Wenn deutsche
Truppen mit mehr denn zwölffacher Übermacht in einer der
Kolonien der Feinde eingefallen wären, wer glaubt da im Ernste, daß
die Eingeborenen dort ihren Herren vier Jahre lang die Treue gewahrt
hätten? Keine vier Monate, nicht vier Wochen hätte es gedauert, und
der Aufstand wäre überall hell aufgeflammt und hätte den
Feind vom Rücken her vernichtet!
Nachdem den Engländern nicht gestattet wurde, mit drei Dampfbeibooten in das Innere des Hafens einzufahren, wurde am 28. und 29. November 1914 Daressalam durch britische Kriegsschiffe beschossen. Das Bild zeigt das zerschossene Gouvernementsgebäude. [Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit, S. 536.
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Die Kolonie, etwa 1½ mal so groß wie das Deutsche Reich, hatte vor
Kriegsausbruch etwa 4000 Weiße, davon 3600 Deutsche
einschließlich Frauen und Kinder, und gegen 7 Millionen Farbige, letztere
zumeist Bantu-Stämmen angehörig. Die Kolonie war in
kräftigem Emporblühen; nicht sprungweise, sondern
gleichmäßig und stetig hoben sich Anbau, Kulturen, Handel, Verkehr
und Siedelung. Es war eine helle Freude, die sichtbare Entwicklung der Kolonie
zu verfolgen, und jeder, Pflanzer und Kaufmann, Handwerker und Missionar,
Beamter und Soldat, tat sein Bestes, um die Kolonie, auf die jeder Ostafrikaner
stolz war, zu fördern. Reger Pflanzungsbetrieb: Baumwolle, Sisalhanf,
Gummi, Kaffee, Erd- und Kokosnußkultur waren besonders im Norden,
nahe dem Kilimandjaro und in Usambara, wie im Süden, im Lindibezirk,
und längs der Mittelbahn im Gange. Residenz des Gouverneurs war
Dar-es-Salam, eine an einem idealen Hafen märchenhaft schön
gelegene und musterhaft saubere Hafenstadt, die die Bewunderung aller
Durchreisenden, nicht zum geringsten der Fremden, fand.
[387]
Skizze 18: Deutsch-Ostafrika.
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Das britische Weltreich hat gewaltige, ja ganz
unverhältnismäßige Anstrengungen gemacht, um die doch nur
über geringe militärische Kräfte verfügende Kolonie zu
erobern. Der Grund liegt auf politischem Gebiet; bei dem
großen Kampf um die Weltherrschaft war Ostafrika keineswegs ein
nebensächlicher
Schauplatz, sondern ein wesentlicher Bestandteil. England mußte sich in
seiner Weltherrschaft stets von einem deutschen Ostafrika bedroht sehen. Die
nördlich an- [387] grenzenden
britisch-ostafrikanischen Gebietsteile, vor allem der Sudan, mußten,
zusammen mit der ausgesprochen englandfeindlichen ägyptischen Armee,
jeder jungägyptischen Bewegung eine Aufstandsbasis geben, die von einem
Deutsch-Ostafrika genährt werden und
Groß-Britannien tödlich in Ägypten und am
Suez-Kanal treffen konnte. Und selbst wenn Ägypten außerhalb der
Betrachtung bleibt, war Ostafrika ein Hemmschuh in dem Bestreben, aus dem
Indischen Ozean eine britische See zu machen; britischer Handel wie politischer
Einfluß waren von dort aus im nahen und fernen Osten stets Gefahren
ausgesetzt. Und, dachte man an das jenseits des Meerestores von Singapore
lauernde Japan, vergegenwärtigte man sich, daß Deutschland die
vortrefflichen ostafrikanischen Häfen ausbauen, zu
Flottenstützpunkten umwandeln und dann vielleicht Japan die Hand
[388] reichen konnte, so ist
es einleuchtend, daß England Deutsch-Ostafrika als einen der wichtigsten
Siegespreise in dem gewaltigen Kampfe betrachten mußte.
Wenn man die wundervolle Haltung der eingeborenen farbigen Truppe richtig
würdigen will, so ist es aus Gründen streng gerechter Beurteilung
nötig, einen kurzen Rückblick auf ihre Entstehung zu werfen. Als
Deutschlands größter Ostafrikaner, Hermann v. Wissmann,
1889 zur Niederwerfung des Araberaufstandes und zur Eroberung der Kolonie
entsandt wurde, mußte er sich mit geringen Mitteln eine Kampftruppe selbst
schaffen, die, im tropischen Klima, eben nur eine klimatisch geeignete, also
farbige sein konnte. Daß die Farbigen bei der ersten Eroberung Landfremde
sein mußten, war klar. So griff er auf die Sudanesen zurück, die
entlassenen Soldaten der damals aufgelösten ägyptischen Armee, die
England als unruhige Elemente gern abgab. Die Sudanesen sind die schwarzen
Landsknechte; sie gleichen den deutschen Altvorderen; wie diese sind sie tapfer,
treu, verläßlich, teilen allerdings auch mit ihnen die Neigung zu
Trunk und Spiel. Sie bildeten den Stamm der farbigen Truppe; in den von ihnen
gebildeten festen Rahmen fügten sich dann, als der Nachersatz der
Sudanesen stockte, die Eingeborenen der Kolonie als "Askari"
(Askari = Schütze, Soldat) von selbst ein. Wissmanns
geradezu mustergültige Grundsätze für die Behandlung der
farbigen Soldaten: gute Löhnung, Verpflegung, strenge Gerechtigkeit,
straffe Disziplin, Teilnahme und offenes Ohr für alle persönlichen
Anliegen, hatte die Askari glänzend geschult; seine Nachfolger hatten in
seinem Sinne weitergearbeitet, und so war ein vollkommenes Soldatengeschlecht
entstanden, "harten Körpers und fröhlichen Sinnes, wie es die rauhe
afrikanische Kriegführung erfordert". Und die Askari wußten sich
unbedingt eins mit ihren weißen Führern, denen sie ohne Besinnen in
Kampf und Sieg, in Not und Tod, in Hunger und Entbehrung folgten. Daß
die ostafrikanische Truppe, von hochgezogenem soldatischen Geiste bis zum
jüngsten Rekruten beseelt, unbedingt standhalten würde,
darüber ist kein alter Ostafrikaner - auch Verfasser gehört zu
diesen - auch nur einen Augenblick im Zweifel gewesen. Schon vor dem
Kriege sah jeder deutsche Askari auf die britischen, belgischen oder gar
portugiesischen Askari, obwohl doch derselben Abstammung, mit unendlicher
Geringschätzung herab und hätte es gut und gern mit der zehnfachen
Übermacht aufgenommen. Daß die Schöpfung Wissmanns, die
ostafrikanische Truppe, namentlich in ihrem Geiste auf so hohe Stufe gebracht
worden ist, ist vorzugsweise ein Verdienst des langjährigen, hochverdienten
Kommandeurs und Vorgängers Lettows, Oberst v. Schleinitz.
Die Truppe war vor Ausbruch des Weltkrieges außer dem Kommando
(Dar-es-Salam) in 15 Askari-Kompagnien gegliedert, die, jede mit einigen
Maschinengewehren versehen, über die ganze Kolonie verteilt waren. Sie
war im wesentlichen noch mit der alten Jägerbüchse M 71
ausgerüstet, eine für den Buschkrieg bei Aufständen
ausreichende, aber nicht gegen eine europäisch ausgerüstete Truppe
wirksame Waffe. An Sonderwaffen bestanden nur
Signal-(Heliographen-) [389] Abteilungen, Artillerie
war nicht vorhanden. Jede Kompagnie bestand aus etwa 4 bis 6 Weißen
(Offiziere und Unteroffiziere) und gegen 150 Farbigen (Unteroffiziere und
Mannschaften). Sie war insgesamt gegen 200 Weiße und 2500 Farbige
stark. Außerdem waren noch 50 Weiße und 2100 Farbige der
Landespolizei vorhanden, die zur Auffüllung der Truppe verwendet werden
konnten.
Die geringe Zahl, die veraltete Bewaffnung, die Verteilung über die ganze
Kolonie erklärt sich eben daraus, daß man bestimmt mit Innehaltung
der Kongo-Akte rechnete, die vorsah, daß im Falle europäischer
kriegerischer Verwicklungen Mittelafrika neutralisiert bleiben sollte. Man
mußte ja auch annehmen, daß es England in erster Linie darauf
hätte ankommen müssen, niemals Farbige gegen Weiße
auszuspielen; lief es doch bei seiner gewaltigen Anzahl unterworfener Farbiger
sonst selbst größte Gefahr! Daß man sich in dieser Beurteilung
der Maßnahmen Englands wie in der mancher anderen getäuscht hat,
hat allerdings dann der Weltkrieg schlagend
dargetan. - Der erst kurz vor Beginn des Weltkrieges, Mai 1914, in
Deutsch-Ostafrika eingetroffene neue Kommandeur der Schutztruppe,
Oberstleutnant v. Lettow, hatte in dieser Hinsicht offenbar Anschauungen,
die über die bisherigen hinausgingen; er bemühte sich alsbald, die
Gefechtsausbildung der Schutztruppe auch zum Kampfe gegen einen
europäischen Gegner umzustellen. Immerhin war eine Grundlage für
eine Mobilisation gegen einen von allen Seiten hereinbrechenden
europäischen Gegner nicht vorhanden, und konnte es ja auch nach Lage der
Dinge nicht sein.
Als bereits am 8. August zwei englische Kreuzer die Funkenstation
Dar-es-Salam beschossen, war die Lage geklärt; die
Kongo-Akte war zerrissen. Daß der Gegner aus Ostindien und
Südafrika beliebige Massen von Truppen und jedenfalls in
überwältigender Zahl heranführen konnte, war klar. So
handelte es sich zunächst um Aufstellung einer wirklichen Streitmacht und
um Sicherung der Durchführung ihrer Mobilisation. Letztere Aufgabe
löste Lettow aktiv: er ließ die auf britischem Gebiet liegende
Wasserstelle Taveta stürmen, so den Krieg in feindliches Gebiet tragend
und die Ugandabahn bedrohend; dann zog er alle zunächst
verfügbaren Kräfte bei Moschi, an der Nordgrenze, zusammen, so
das reiche Gebiet am Kilimandjaro schützend und mit weiterem Einfall in
das benachbarte, ebenfalls reiche britische Gebiet drohend.
Was an Europäern nur halbwegs wehrhaft war, eilte zur Truppe, so
daß zunächst gegen 2300 Europäer in diese eintraten, im
Verhältnis zu den, einschließlich Frauen und Kindern, insgesamt
3600 Deutschen eine gewiß achtungswerte Zahl. Diese wurden, soweit sie
nicht als europäische Führer in die
Askari-(Feld-)Kompagnien eingestellt wurden, in besonderen
"Schützen"-Kompagnien zusammengefaßt. An farbigen Rekruten war
kein Mangel, die Eingeborenen drängten sich zur Truppe, und man
hätte unbegrenzt Formationen aufstellen können, wenn nicht der
schmerzlich empfundene Mangel an Bewaffnung dem ein Ziel gesetzt
hätte. Es waren nur wenige Kompagnien mit modernen Gewehren [390] ausgerüstet, die
meisten hatten noch M 71, und auch von diesen mußten für die
Neuaufstellungen die ältesten, oft schon längst als unbrauchbar
ausrangierten Gewehre wieder hervorgesucht werden; ja einzelne Kompagnien
mußten zunächst nur teilweise mit Gewehren, sonst mit Speeren
bewaffnet bleiben. Die Bitten um Waffen und Munition für neue
Formationen brachten vom Kommando oft nur die Antwort: "Holt sie Euch beim
Feinde." Und das ist denn auch im Verlaufe des ostafrikanischen Feldzuges
redlich geschehen.
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Artillerie war knapp; vier alte M 73-Feldkanonen, die als Salutgeschütze in
Dar-es-Salam standen, wurden wieder zurechtgemacht; eine bunte Gesellschaft
von Gebirgs- und Schnellfeuergeschützen der verschiedensten
Konstruktionen und Jahrgänge wurde von den Stationen zusammengerafft.
Dazu kamen dann später noch die Nordgeschütze des Kreuzers "Königsberg", einige mit einem Hilfsschiff durchgelangte Geschütze
und, wie jetzt schon gesagt sein möge, zahlreiche dem Feinde
abgenommene.
Anfang 1915 war eine Truppenmacht von rund 2100 Deutschen, 8000 Askari, 21
sehr buntscheckigen Geschützen und 75 Maschinengewehren zusammen.
Diese Macht stieg im Laufe des ersten Kriegsjahres auf 10
Schützen-, 31 Feldkompagnien und verschiedene, zur Irreführung
des Feindes mit Buchstaben bezeichnete andere Kompagnien. Die
größte Heeresmacht, die Lettows Truppen erreicht haben, sind 3500
Europäer, 12 000 Askari gewesen; in dieser Zahl ist aber alles,
Etappe, Sanitätsmannschaften, Depots, einbegriffen.
Gouverneur war Dr. Schnee; ihm stand eine vortrefflich eingespielte, erfahrene
Verwaltung zur Seite, wenn diese auch infolge der zahlreichen, zur Fahne geeilten
Beamten stark gelichtet war. Kommandeur war, wie schon oben erwähnt,
seit Mai 1914 Oberstleutnant v. Lettow, ein Offizier, der, militärisch
hervorragend geschult, stets in leitenden Stellungen gestanden und den
Überseekrieg durch Teilnahme an den südwestafrikanischen
Kämpfen und an der
China-Expedition gründlich kennengelernt hatte. Unbeugsamer Wille,
rücksichtslose Energie, ein Pflichtgefühl, das an sich selbst wie an
seine Untergebenen die höchsten Anforderungen stellte und keine
Schwierigkeiten kannte, diese Charaktereigenschaften, verbunden mit weitem
Blick und umfassender Organisationsgabe, ließen in seiner Person alle
Eigenschaften des gegebenen afrikanischen Führers sich vereinigen. Und er
übernahm in der in treuer soldatischer Gesinnung durch Jahrzehnte
hindurch erzogenen farbigen Truppe ein Werkzeug, wie es sich besser und
vollkommener für die große Aufgabe nicht erdenken ließ.
Der Kriegsschauplatz - das war von vornherein klar - mußte eben die
Kolonie selbst sein. Und da richteten sich Englands begehrliche Blicke
zunächst nach dem Norden der Kolonie, dem durch deutschen
Siedlerfleiß herrlich erblühten Hinterland von Tanga, längs der
von dort nach dem Kilimandjaro führenden Bahn. Dieses Gebiet war ein
Kampfpreis, der einen hohen Einsatz lohnte. Und der märchenschöne
Schneegipfel des Königs der afrikanischen Berge, der im
Abend- [391] schein seinen
Schneeglanz in Purpur hüllt, hat, ins englische Land
hinüberleuchtend, die Sehnsucht, ihn zu besitzen, entfachen müssen.
Der Zauber seines ewigen Schnees unter der sengenden Sonne der Tropen, im
Lande der blumenreichen Steppe, ist unvergleichlich. Und hier in diesem Gebiet
verbinden sich die größten landschaftlichen Schönheiten mit
den höchsten wirtschaftlichen Werten; gesundes Klima, fruchtbarster
Boden, reichliches Wasser geben hier die Bedingungen zur größten
Entwicklung. Daß also der Norden des Schutzgebiets der erste
Kriegsschauplatz sein würde, war klar; und dem trugen auch die ersten
Maßnahmen des Kommandeurs volle Rechnung.
An Verkehrsmitteln waren die beiden bekannten Bahnen vorhanden: im Norden
die von Tanga nach dem Kilimandjaro, in der Mitte die von
Dar-es-Salam nach den Binnenseen führende Zentralbahn. Fahrbare
Straßen gab es wenige, Kraftfahrzeuge nur vereinzelt, außer mit den
Bahnen erfolgte der Lastenverkehr vom Innern und ins Innere mit
Lastenträgern. Telegraphenlinien bestanden längs der Bahn mit
einigen Abzweigungen, außerdem unterhielt die Truppe noch ein System
von Heliographenstationen. Ein größerer Funkenturm war, leider sehr
gefährdet, bei Dar-es-Salam, kleinere Anlagen im Innern am
Viktoriasee.
Gerade die Hartnäckigkeit der Verteidigung
Deutsch-Ostafrikas, die eben nur bei dauernder, hinreichender Verpflegung
möglich war, hat dargetan, welche gewaltigen wirtschaftlichen Werte die
Kolonie besitzt, größere Werte, als selbst Kenner dieses Landes je
geahnt haben. Der Vieh- und Wildbestand war gewaltig und gab Fleisch und
Fette, welch letztere noch durch die Pflanzenfette nahezu unbeschränkt
ergänzt wurden. Getreide wie Kartoffeln waren vorhanden,
Kaffee-und Tabakanbau hinreichend, Alkoholika wurden selbst gebraut, und das
auch für die Tropen unentbehrliche Fieberheilmittel, das Chinin, wurde von
der landwirtschaftlichen Versuchsstation in Amani trefflich hergestellt. An
Europäer- wie an Eingeborenenverpflegung war bis zuletzt kein
Mangel. - Das Bargeld verschwand allerdings ziemlich rasch aus dem
Verkehr. Es ist aber ein glänzender Beweis für das felsenfeste
Vertrauen, das nicht nur die Askari, sondern alle Farbigen zu Deutschland hatten,
daß das recht unvollkommen hergestellte Papiergeld im vollsten Vertrauen
auf die spätere Einlösung überall ohne Murren
entgegengenommen wurde.
Das Schutzgebiet grenzte nördlich an Britisch-Ostafrika und das
Uganda-Protektorat, westlich an das belgische Kongogebiet, südwestlich an
Rhodesia und Britisch-Nyassaland, südlich an
Portugiesisch-Afrika. So war es von Feinden umgeben.
Entsprechend gewaltig überlegen waren auch gleich bei Kriegsausbruch die
feindlichen Kampfmittel. Der insgesamt bei ihrem Höchststande,
einschließlich Europäern, etwa 15 000 Mann starken Truppe
stellten die Engländer allein 50 000 Europäer und gegen
250 000 Farbige gegenüber. Was an belgischen und
portu- [392] giesischen Truppen
gegen die kleine Schar außerdem noch aufgeboten worden ist,
läßt sich nicht angeben; so viel aber dürfte feststehen,
daß zeitweise insgesamt gegen 500 000 Mann feindlicher
Kräfte gegen die Ostafrikaner im Felde gewesen sind. Sicher ist zeitweise,
namentlich gegen Ende des Feldzuges, die hundertfache Übermacht
feindlicherseits in Bewegung gewesen. Dem Feinde standen alle modernen
Kampfmittel, Artillerie, technische Truppen, Telegraph, Flugzeug, Kraftfahrzeug
im reichsten Maße zu Gebote. Die Engländer geben z. B.
selbst zu, über 12 000 Kraftfahrzeuge, meist zu
Verpflegungszwecken, im Gange gehabt zu haben. Also auf jeden deutschen
Askari allein ein feindliches Lastauto! Reittiere haben die Engländer allein
gegen 150 000 eingeführt, auf jeden deutschen Askari 12! Und trotz
dieser beinahe unglaublichen Zahlen wehte nach 4½ Jahren die deutsche
Flagge noch unbesiegt in der Kolonie! —
Nachdem am 8. August 1914 die Engländer den Funkenturm bei
Dar-es-Salam beschossen und ziemlich gleichzeitig an der westlichen Grenze auf
dem Nyassa-See den ahnungslosen deutschen Dampfer Hermann
v. Wissmann gekapert hatten, war der Kriegszustand völlig
klargestellt, und das Kommando zögerte denn auch nicht mehr, durch
Einnahme der Wasserstelle Taveta den Krieg in englisches Gebiet zu tragen;
ungefähr gleichzeitig erfolgten auf dem ganzen Umkreise der Grenze des
Schutzgebiets, hauptsächlich am Viktoriasee, am südlichen
Tanganjikasee und am Nordende des Nyassasees Angriffsbewegungen. Wenn
diese in Anbetracht der numerisch weit überlegenen
gegenüberstehenden feindlichen Kräfte keine besonderen taktischen
Erfolge hatten, so war der Erfolg doch auf einem anderen Gebiete ein sehr
wesentlicher: er täuschte den Gegner über die geringen deutschen
Kräfte; - behaupteten doch englische Zeitungen, die deutsche
Kolonie hätte mehr denn 40 000
Streiter! - und veranlaßte ihn zu einer uns sehr erwünschten
Zersplitterung seiner Kräfte.
Taveta war eine der Nordgrenze der Kolonie nahe gelegene englische
Wasserstelle, hinter der ein breiter wasserloser Landstrich auf englischem Gebiet
liegt; war also Taveta in deutschem Besitz, so konnte der Engländer nicht
größere Massen durch diesen wasserlosen Strich führen, ohne
zuvor diese Wasserstelle erkämpft zu haben. Dem Umstande, daß
hier schnell angefaßt wurde, ist es sicher mit zu verdanken, daß die
Deutschen Jahr und Tag lang in bestrittenem Besitz des nördlichen
Siedlungsgebiets geblieben sind. - Zahlreiche Patrouillen gingen von
Taveta aus gegen die Ugandabahn vor, in der ersten Zeit allerdings mit nur
geringem Erfolge, bis auch diese Kriegführung, die Fernpatrouille, zu
Fuß und mit improvisierter berittener Infanterie, sich eingespielt hatte und
dann vortreffliche Erfolge zeitigte. 6 Tage ohne Wasser mußten diese
Sprengpatrouillen laufen, aber die Furcht vor ihnen war so groß, daß
zeitweise der englische Lokomotivführer nur gegen 1000 Pfund zu
bewegen war, die Maschine zu führen, da er ständig gewärtig
sein mußte, mit seiner Maschine in die Luft zu fliegen!
Die Zusammenziehung der verfügbaren Truppen im Nordosten war anfangs
[393] Oktober beendet;
allerdings hatten einzelne Kompagnien außerordentliche Marschleistungen
zu überwinden gehabt, so die vom Kiwusee Mitte August abgerückte
11. Feldkompagnie, die über 1000 km ununterbrochenen
Marsches zurückgelegt hatte. Die Grenzwacht im Norden hatte inzwischen
mancherlei Kämpfe, allerdings nur kleinerer Abteilungen, in der Gegend
des Kilimandjaro; bei einem dieser Gefechte stieß die 10. Kompagnie
(Hauptmann Tafel) mit englischen weißen Freiwilligen, Farmern und
Buren, zusammen. Diesen vortrefflichen Reitern und Schützen gingen die
deutschen Askari aber mit aufgepflanztem Seitengewehr derart zu Leibe,
daß mehr denn die Hälfte des Feindes auf dem Platze blieb, und
daß die englischen Farmer und Buren für eine ganze Weile aus der
Front verschwanden.
Für den Nachschub, insbesondere das Verpflegungswesen, mußte
nun, in Rücksicht darauf, daß der Norden auf längere Zeit
hinaus Hauptkriegsschauplatz werden würde, gründlich gesorgt
werden. Nachteilig war, daß die Nordbahn, von Tanga ausgehend, mit der
Zentralbahn, von Dar-es-Salam ausgehend, keine Schienenverbindung hatte. Im
Frieden war die Verbindung zwischen diesen beiden Ausgangspunkten an der
Küste zu Schiff erfolgt, das war nun nicht mehr möglich. So
entstanden zwei Etappenstraßen, die die Orte Morogoro und Dodoma an der
Zentralbahn mit den Orten Korogwe und Aruscha an der Nordbahn verbanden.
Ebenso wurde das reiche Südwestgebiet (Langenburg) und das nicht minder
reiche Nordwestgebiet (Viktoriasee) mit Etappenstraßen an Tabora und
damit an die Zentralbahn angeschlossen (siehe
Skizze auf S. 398).
Besonders großes Verdienst um die ganze Organisation des Nachschubs,
insbesondere die Beschaffung und den weiteren Anbau der Verpflegung, erwarb
sich der langjährige Pflanzer, Hauptmann d. L. Feilke.
Bisher war es gelungen, den Krieg in Feindesland zu tragen; Ostafrika war nun
schon seit 3 Monaten von dem so stark überlegenen Feinde
unberührt, ein Zustand, der dem englischen Ansehen höchst
unangenehm sein mußte. So ergab sich leicht der feindliche Versuch,
nunmehr von der Küste her ins Innere zu stoßen und auf diesem
Wege sich in den Besitz des begehrten Nordens der Kolonie zu
setzen. - Am 2. November 1914 erschienen zwei Kriegschiffe und 14
große Transportdampfer vor Tanga, auf denen ein großes
englisch-indisches Expeditionskorps eingeschifft war. Der Bezirksamtmann
Auracher, zur bedingungslosen Übergabe
der - offenen! - Stadt aufgefordert, und, obwohl Parlamentär,
mit dem Tode bedroht, lehnte dieses Ansinnen glatt ab. Ein Versuch, am Abend
des 2. November noch Truppen zu landen, wurde von der schwachen Besatzung
Tangas (eine halbe Kompagnie Adler) abgewiesen; am 3. November früh
gelang aber nördlich der Stadt Tanga eine feindliche Landung, doch leistete
dort die schwache Kompagnie Adler dem Vordringen des Feindes, der inzwischen
gegen 2000 Mann gelandet hatte, zähen Widerstand. Gegen Morgen traf
endlich Verstärkung ein, 2 Kompagnien, die das Kommando von Moschi
her mit der [394] Nordbahn entsandt
hatte. Ihre Weisung lautete nur: wenn der Feind gelandet ist, werft ihn ins Meer!
Drei Kilometer vor Tanga hielt der Zug; im "Marsch, Marsch" ging es auf das
Gefechtsfeld, das aus hohen Getreidefeldern und hohem Palmenwald bestand.
Nicht auf 50 m konnte man sehen, wie der Gegner aussah; ob weiß,
schwarz oder gelb, erkannte man erst, als man ihm Auge in Auge
gegenüberstand. "Seitengewehr pflanzt auf, marsch, marsch, hurra", das
alte Sturmsignal ertönte, und mit blankem Seitengewehr unter Siegesgeheul
stürzten sich die braven Askari auf die Inder, die von Grausen gepackt
zurück der Küste zustürzten und in heller Flucht ihre Schiffe
erreichten. 200 Mann hatten 2000 des Feindes geschlagen; allein über 200
Tote ließ der Feind auf dem Kampffelde zurück.
Daß aber noch Schwereres bevorstand, damit mußte gerechnet
werden; war doch die Stärke des feindlichen Expeditionskorps gegen 9000
Mann, ein weißes Regiment (North Lancashire Rgt.), 8 indische Regimenter
und Sondertruppen jeder Art, die von zahlreichen Schiffsgeschützen
wirksam unterstützt werden konnten. Ihnen konnten, nach Heranziehung
aller verfügbaren Truppen vom Kilimandjaro her, nur etwa 900 Mann
deutscher Truppen entgegengestellt werden. Am 4. November, gegen 1 Uhr
nachmittags, gingen die Engländer zum Angriff vor, in der Mitte das
europäische Regiment, links und rechts angelehnt die indischen
Regimenter. Gleichzeitig griffen die Schiffsgeschütze ein und nahmen
Tanga planmäßig unter Feuer. Das
Lancashire-Regiment, alte langgediente Mannschaften, griff außerordentlich
brav an, und stieß gegen die Mitte vor, wo die deutschen
Schützenkompagnien standen: Pflanzer, Kaufleute, Missionare,
Handwerker und Beamte, die hier ihr neues Vaterland grimmig verteidigten und
zäh standhielten, auch als ihr Führer, der alte Afrikaner Tom von
Prince, fiel. Hier stockte der Angriff der Lancashires, und sie begannen,
zunächst noch langsam und geordnet, zurückzugehen, bis sich ihr
Rückzug, als sie Maschinengewehrfeuer aus der Flanke bekamen, in volle
Flucht wandelte. Gegen 4 Uhr setzte der Kommandeur seine Reserve, die
vortreffliche 13. Feldkompagnie, zum Gegenstoß auf der rechten
Flanke ein, die gegnerische Front stutzte, und gleichzeitig stürzte die ganze
Front mit jubelndem Hurra vor. Die Maschinengewehre hämmerten
furchtbar in die in dicken Klumpen zurückflutenden Inder hinein, und erst
die einbrechende Tropennacht deckte die wilde Flucht des Feindes. Der Erfolg
war ein gewaltiger: der Gegner meldete selbst 800 Tote, darunter 150
Europäer. Sein Gesamtverlust ist daher mindestens mit 2000 Mann an
Toten, Verwundeten, Gefangenen anzunehmen. Die eigenen Verluste waren
dagegen ganz gering: 16 Europäer, 48 Askari tot. Auch die Kriegsbeute war
für afrikanische Verhältnisse enorm; vor allem 600 moderne
Gewehre, die sofort zur Bewaffnung der Askari verwendet wurden, eine halbe
Million Patronen, Telephonleitungen, Ausrüstungen, Verpflegung und
wichtige Akten, die ergaben, wie gründlich und seit wie langer Zeit die
Engländer die Kolonie ausspioniert hatten. Und noch ein [395] anderes: Tanga ist die
Schlacht der Einzelhandlungen; eigentlich allerorts wurde hier Mann gegen Mann
gekämpft. Und da zeigte sich die außerordentliche
Überlegenheit der deutschen Askari, deren jeder einzelne gründlich
durchgebildet, von glänzendem Geiste beseelt, straff diszipliniert und
deshalb selbst einem Mehrfachen des Feindes unbedingt überlegen war. Die
indischen Truppen waren, wie nachher Gefangene berichteten, nach ihrem
Mißerfolg am 3. November bereits so entmutigt gewesen, daß sie nur
nach Ausgabe von Alkohol und unter Anwendung der Peitsche in die Leichter
getrieben worden waren. In dicken Klumpen geballt hatten die Inder angegriffen,
im Gänsemarsch liefen sie davon. Tanga beweist, daß deutsche
Arbeit jedes Menschenmaterial auszubilden und zu bewundernswerten Leistungen
zu befähigen vermag. Das war der Haupterfolg der Schlacht; die
Begeisterung und das Selbstgefühl der braven Askari wuchs ins Ungeheure,
und das Vertrauen in die eigene Kraft wurzelte nunmehr unzerreißbar fest in
der ganzen Truppe.
Der Feind bootete noch in der Nacht zum 5. November ein; da er mit seiner
völlig zerrütteten Truppe nichts mehr anfangen konnte, fuhr er nach
Norden ab.
Das englische Unternehmen gegen den Kolonie-Norden war groß angelegt
gewesen. Gleichzeitig am 3. November hatte er nämlich nordwestlich des
Kilimandjaro am Longiddo-Berg angefaßt. Dort griffen im Morgennebel
etwa 1000 Mann an und erstiegen, unter der Führung von Massais, den aus
der freien Steppe herausragenden Berg, den Major Kraut mit 3
Askari- und 1 Europäer-Kompagnie verteidigte. Der Feind wurde
umfaßt, rasch zurückgeworfen und auch dieser Kampf endete mit
einer gründlichen Niederlage der Engländer.
Der Erfolg von Tanga war ein außerordentlicher; nicht nur den
Europäern war der Wille zum äußersten Kampf gestärkt,
auch von den Farbigen strömten nunmehr die Besten ihrer Stämme
herbei und drängten sich zum Dienst in der ruhmbedeckten Truppe.
Das Kommando hatte die bei Tanga eingesetzt gewesenen Kompagnien wieder
alsbald in das Kilimandjaro-Gebiet zum Schutze des Nordens
abtransportiert. Der Gegner versuchte nun die Eroberung des Nordens auf einem
anderen Wege. Anfangs Januar 1915 gingen die Engländer von ihrem
Hafen Mombassa aus an der Küste vor, überschritten die Grenze und
setzten sich auf einer hart an der Grenze gelegenen deutschen
Sisalagavenpflanzung, namens Jassini, fest. Die Gefahr erkennend,
beschloß das Kommando, den Feind hier ungesäumt hinauszuwerfen;
die Hauptmacht der am Kilimandjaro versammelten Truppe wurde mit der Bahn
nach Tanga gebracht, und von da im Gewaltmarsch nach Jassini
herangeführt. Der Feind hatte sich hier gut verschanzt, hatte das
Fabrikgebäude stark befestigt, vor allem ein zusammenhängendes,
etwa 200 m im Viereck großes Erdwerk so ausgezeichnet angelegt,
daß es erst auf kürzeste Entfernung überhaupt zu entdecken
war. Die stachlichen Sisalagaven der umliegenden Felder waren das [396] wirksamste Hindernis,
weit besser als ein Stacheldrahtnetz. - Am Morgen des 18. Januar wurde
angegriffen, die Fabrikanlagen genommen, das Erdwerk wurde vollständig
eingeschlossen, ein starker Entsatzversuch von Norden her abgeschlagen. Ein
schweres Feuergefecht, mit großer Erbitterung geführt, setzte nun auf
kurze Entfernung ein, bei der Gluthitze - der Januar ist der heißeste
Monat der Tropen - in den stachligen Agavenfeldern, ohne
Wasser, - nur die frischen Kokosnüsse boten gelegentlich
Labsal -, eine harte Leistung, um so mehr, als der Gegner in seinem
Erdwerk vollkommen eingedeckt und nur durch schmale Schießscharten zu
treffen war. Am Morgen des 19. Januar versuchte der Feind nochmal einen
Ausfall, der mißglückte, worauf er die weiße Fahne hißte.
Vier Kompagnien Inder, mit reichlicher Munition, streckten die Waffen. Es war
erhebend zu sehen, wie die wundervollen Askari lautlos, aber mit kriegerischem
Stolz im Gesicht diese ihnen weit überlegene Schar Gefangener an sich
vorbeiziehen ließen. Eine englische Brigade (General Tighe) hinter Wall
und Graben war von 9 Kompagnien im Angriff überwältigt und
erledigt worden. Kein Wunder, daß sich die Truppe allmählich
für unüberwindlich und den Kampf gegen eine große
Überzahl für ganz selbstverständlich hielt. Der Gegner hatte
gegen 700 Mann eingebüßt, die Schutztruppe gegen 100; unter den
gefallenen Europäern leider den vortrefflichen Bataillonsführer
Major Keppler.
Auf den übrigen Fronten der Kolonie hatten sich inzwischen verschiedene
kleinere Kämpfe abgespielt; eine Kolonne (v. Langenn) hatte,
allerdings erfolglos, die befestigte englische Grenzstation Karonga in
Britisch-Rhodesia anzugreifen versucht; von Muansa aus hatte eine andere
Kolonne in Britisch-Ostafrika ein Gefecht gehabt; Hauptmann Wintgens hatte
einen belgischen Posten auf einer im Kiwusee gelegenen Insel überfallen
und später selbst einen Angriff erheblich überlegener belgischer
Kräfte bei Kissenji zum Scheitern zu bringen verstanden. Brennpunkt des
Kampfes blieb jedoch nach wie vor der Norden; dort wurde jetzt mit Patrouillen
kräftig und erfolgreich gegen die britische Hauptverkehrsader vorgegangen
und Brücken wie ganze Züge immer wieder in die Luft gesprengt.
Die Patrouillen, aus 3 bis 6 Köpfen bestehend, waren in wasserloser
150 km breiter Steppe oft 2 bis 3 Wochen allein unterwegs; jede dieser
Patrouillen stellt eine vorbildliche Heldentat dar.
An Marinestreitkräften war auf ostafrikanischer Station nur der kleine
Kreuzer "Königsberg", Kommandant Kapitän z. S. Looff. Die
"Königsberg" hatte in den ersten Kriegsmonaten in den indischen
Gewässern gekreuzt und ein großes Transportschiff mit reicher
Ladung aufgebracht. Am 20. September griff die "Königsberg" im
morgendlichen Dämmerlicht den gleich großen englischen Kreuzer
"Pegasus" auf der Reede von Sansibar an; die tadellos arbeitende Artillerie der
"Königsberg" setzte Breitseite auf Breitseite in den Feind, eine Explosion
erfolgt, der "Pegasus" sinkt. Heller Jubel hierüber ging durch das
Küstengebiet; war es doch gerade der "Pegasus" gewesen, der an allen
offenen [397]
Küstenstädten der Kolonie der Reihe nach ungestraft seinen
Übermut ausgelassen hatte.
Munitions- und Kohlenmangel zwang jedoch nunmehr die "Königsberg",
sich in die Mündung des Rufidji zurückzuziehen. Am 6. Juni
1915 - so lange sollte es noch dauern - wurde der
Vernichtungskampf gegen den einsamen, festliegenden Kreuzer
"Königsberg" mit einer Machtentfaltung von 4 Kreuzern, 3 Hilfskreuzern, 7
armierten Walfischfängern, 2 Monitoren begonnen, nach
neunstündigem Gefecht abgebrochen, jedoch 5 Tage darauf wiederholt.
Nach heldenmütigem Kampfe und nach völligem Aufbrauchen der
Munition wurde der Kreuzer auf Befehl des schwer verwundeten Kommandanten
gesprengt. Die 10-cm-Schiffsgeschütze wurden später wieder
gehoben und haben der Truppe bei den ferneren Kämpfen im Innern
vortreffliche Dienste geleistet.
April 1915 traf ein Hilfsschiff aus der Heimat ein, nachdem es die englische
Blockade durchbrochen hatte; der Führer (Christiansen) mußte es
aber, von einem englischen Kreuzer gejagt, auf Strand setzen. Doch gelang es mit
unermüdlicher treuer Hilfe der braven Eingeborenen Kiste für Kiste
der Ladung herauszuholen und diese in 4 Wochen zu
bergen. - Vorweggenommen sei hier gleich mit erwähnt, daß
noch ein zweites Hilfsschiff, die "Marie", im März 1916 durchkam und
wertvolles Material: 4 Feldhaubitzen, 2 Gebirgskanonen, Reservelafetten und
reichlich Munition für Artillerie und Infanterie mitbrachte. Auch hier halfen
wieder die braven Farbigen wacker, indem sie zu Tausenden unermüdlich
die Wege und Brücken für die Transporte der Geschütze zur
Front herstellten.
Der Rest des Jahres 1915 sah zahlreiche kleinere Unternehmungen,
deutscher-, wie feindlicherseits in dem heftig umstrittenen Gebiet des
Kilimandjaro. Im übrigen wurde tüchtig an Wiederergänzung
der Vorräte, die sich allmählich aufbrauchten, gearbeitet. Es ist
hochinteressant zu sehen, wie die Kolonie sich aus eigenen Mitteln das meiste zu
schaffen verstand: Baumwollspinnereien und Webereien entstanden, mit einer
braungrünlichen, dem afrikanischen Busch angepaßten, selbst
hergestellten Farbe wurden die Stoffe gefärbt; mit dem von den
Pflanzungen gewonnenen, selbst vulkanisierten Gummi wurden Fahrräder
und die wenigen vorhandenen Automobile bereift, statt des Benzol wurde ein
ähnliches Antriebmittel - Trebol
genannt - hergestellt; Kerzen und Seifen gekocht, Leder gegerbt, gute
Stiefel selbst hergestellt; Verpflegung wurde allerorts gesammelt, die Truppe
[398]
Skizze 19: Ereignisse im Norden.
|
durch weitere Einstellungen erhöht. Dies war nötig, denn alle
Anzeichen sprachen schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1915
dafür, daß der Feind nunmehr zu einem großen Angriff
schreiten werde. Da er mit indischen und Eingeborenentruppen bisher wenig
Erfolge gehabt hatte, griff er jetzt auf die Südafrikaner zurück, die
um so leichter zu haben waren, da ihnen wegen ihres
verhältnismäßig leichten Erfolges über
Deutsch-Südwestafrika der Kamm etwas geschwollen war. Sie sollten aber
in Deutsch-Ost etwas anders belehrt werden. Erhöhter Dampferverkehr in
Mombassa, verstärkter Zugverkehr auf der Ugandabahn, intensives
Vortreiben der Zweigbahn von Voi aus auf Moschi zu (siehe [398] Skizze 19 [Scriptorium merkt an: rechts]), alles Anzeichen, die in
aufgefangenen Briefen ihre Bestätigung fanden und für einen
beabsichtigten großen Angriff sprachen. Die weit in die Steppe hinaus
vorgeschobenen kleinen deutschen Posten wurden daher aufgegeben, und eine
besser zu verteidigende
Bergstellung auf dem El Oldorobbo-Hügel östlich Taveta
eingenommen. Anfangs Februar 1916 entfalteten die Engländer dieser
[399] gegenüber ihre
neue Macht in eigenartiger Weise; in blanker Grassteppe rückten
sie wie auf dem Exerzierplatz vor: Schützenlinie, dahinter
Unterstützungszüge, dahinter Reserven, hinten geschlossene
Kavallerie-Regimenter, etwa 2000 Mann stark, von 3 km bis auf
500 m heran und blieben dann liegen. Da die deutsche
Truppe keine Artillerie und nur wenig
Infanterie-Munition hatte, war befohlen, den Gegner bis 200 m
heranzulassen und ihn erst dann mit Feuer zu überfallen. Aber nach
zweistündigem Warten ging der Gegner, wie er gekommen war,
zurück; es fiel kein Schuß. —
Wenige Tage darauf griff der Feind wirklich mit 8000 Mann, durchweg
weißen Truppen, die 3 Kompagnien unter Major Kraut in der
El Oldorobbo-Stellung an, wurde aber mit schweren Verlusten abgewiesen;
vor den Bajonetten der wenigen hundert zum Gegenstoß antretenden
deutschen Askari wandten sich die Tausende weißer Gegner zur Flucht. Die
Südafrikaner gestanden später ein, daß ihnen dieses erste
Gefecht mehr Leute gekostet habe als der ganze Feldzug in
Deutsch-Südwestafrika.
In diesen Tagen erschienen auch zum ersten Male feindliche Flieger. Durchaus
verständlich war es, daß diese den Eingeborenen zunächst
großen Schrecken einflößen mußten, um so mehr, als die
Engländer verbreitet hatten, dies sei ein neuer Gott, der ihnen jetzt zur Hilfe
käme und dem man sich unterwerfen müsse, wenn man nicht
rettungslos zugrunde gehen wolle. Als aber das erste Flugzeug abgeschossen, und
die Teile des Apparats unter ungeheurem Jubel der Schwarzen ins Lager gebracht
worden waren, war es mit dem Respekt vor dem neuen Gott endgültig und
auf Nimmerwiederkehr vorbei.
Der neue englische Befehlshaber, der Burengeneral Smuts, verfügte im
ganzen über 8 Brigaden Buren, glänzend ausgerüstet und mit
allen Mitteln der modernsten Kriegstechnik versehen. Am 6. März ging er
zum größeren Angriff über, beschäftigte mit
Scheinangriff die Stellung am El-Oldorobbo-Berge, stieß aber mit seiner
Hauptmacht westlich vorbei, weshalb die Stellung vorn geräumt und eine
weiter südlich am Reata-Berg eingenommen wurde. Hier kam es in den
Tagen vom 9. bis 11. März zu schweren Kämpfen; in mehrmaligem
Sturmanlauf und erbittertem Nachtgefecht versuchten die entschieden tapferen
Südafrikaner die Paßhöhe des Berges zu nehmen. Der Gegner,
der seine eingeborenen Truppen betrunken gemacht hatte und sie mit Gewalt
vortrieb, griff mit wild tosendem Angriffsgeheul an, das in der dunklen
Tropennacht allerdings wohl die für solche Eindrücke leicht
empfänglichen Farbigen hätte wankend machen können; aber
fest saß in unseren Askari die Disziplin, unerschütterlich wiesen sie
den Gegner immer wieder ab, bis er den Angriff abbrach und auf Taveta
zurückging.
Aber leider war, während diese Kämpfe sich auf der Ostseite des
Kilimandjaro abspielten, eine englische Kolonne westlich des Berges
durchgedrungen und bedrohte nun ernstlich die rückwärtigen
Verbindungen der deutschen Hauptmacht. So mußte der Kommandeur
schweren Herzens den Kilimandjaro
preis- [400] geben und in eine
Stellung bei Kahe zurückgehen. Auch diese mußte vor starken
umfassenden Kräften aufgegeben, und eine neue bei Lembeni
eingenommen werden. Diese wurde sorgfältig ausgebaut; gleichzeitig
wurde in ruhigem Betrieb an der Ausbildung der jungen Mannschaft weiter
gearbeitet.
Inzwischen hatte die große Regenzeit eingesetzt. General Smuts, der nun
das Kilimandjaro-Gebiet besetzt hatte, baute zunächst seine Verbindungen
aus, vor allem schloß er die von Voi an der Ugandabahn abgehende
Stichbahn an die deutsche Nordbahn an, während er den General
van Deventer mit 4 Reiter-Regimentern auf
Kondoa-Irangi vorsandte. Wenige Kompagnien, die ihm das Kommando nur
entgegenstellen konnte, vermochten nicht zu verhindern, daß er Kondoa in
die Hand bekam. Nun konnte van Deventer, weil die
Pferdesterbe - die Tsetsefliege tritt in der Regenzeit besonders stark
auf - unter seinem Bestand stark aufräumte, allerdings
zunächst nicht weiter vor, obwohl er gern bis an die Zentralbahn
vorgedrungen wäre. Diese zu halten, mußte, nachdem der Norden
allmählich hatte aufgegeben werden müssen, die nächste
große Etappe des deutschen Widerstandes sein. Deshalb rückte der
Kommandeur Mitte April mit dem Gros seiner Truppe dorthin ab, die weitere
Verteidigung des Nordens dem Major Kraut überlassend. Dieser Marsch in
der Regenzeit war eine Gewaltleistung, kilometerweise ging es bis zum Leib
durch Wasser, namentlich für die armen Träger, die ihre 30 kg
schweren Lasten auf dem Kopfe zu balancieren hatten, eine furchtbare
Anstrengung. Der Kommandeur hatte so unter Aufbietung aller Kräfte etwa
15 Kompagnien mit einigen Geschützen versammelt, mit denen er am 9.
Mai gegen Abend angriff. Ein schweres verlustreiches Nachtgefecht; aber der
Feind hielt seine Stellungen. Auch die deutsche Truppe ging nun in Stellung, und
es begann jetzt in dem Bergland, in einer weit über 30 km
auseinandergezogenen Linie ein Stellungskampf, in dem die kleine deutsche
Truppe alle Versuche des fünfmal stärkeren, mit reicher Artillerie
versehenen Gegners, die beherrschenden Höhen zu nehmen oder von
rückwärts zu fassen, zwei Monate lang immer wieder abwies.
Während sich die Truppen van Deventers und Lettows Hauptkräfte
bei Kondoa-Irangi gegenüber lagen, war General Smuts mit der englischen
Hauptmacht an der Nordbahn weiter vorgegangen, woselbst, wie erinnerlich, das
Kommando den Major Kraut mit nur geringen Kräften
zurückgelassen hatte. Langsam ging Kraut an der Bahn nach Süden
zurück, immer wieder sich setzend und den Gegner aufhaltend. Die
für den Gegner so wichtige Bahnlinie wurde dabei gründlich
zerstört, Züge wurden ineinander gefahren oder auf bereits
gesprengte Brücken geschoben, alle Gebäude und Anlagen wurden
gesprengt; kurz, der Feind konnte von der Bahn zunächst nur wenig
benützen. Dann bog Kraut nach Süden, in Richtung auf Morogoro,
ab.
Sitz des Gouvernements und der Etappenleitung war bisher Morogoro gewesen;
dort waren die Hauptwerkstätten und Magazine alle noch
wohlgefüllt. [401] Aber sie waren jetzt
durch das Vordringen Smuts, der Kraut unmittelbar folgte, stark gefährdet.
Deshalb gab Lettow Ende Juni den Kampf bei
Kondoa-Irangi auf, ließ dort nur schwache Kräfte zurück,
rückte nach Morogoro und vereinigte sich nördlich davon, bei
Tuliani, mit der Abteilung Kraut. Aber der hier erwartete Angriff der
Engländer blieb lange aus, wohl weil bei ihm Stockungen im Nachschub
eingetreten waren. So setzte beiderseits starke Patrouillentätigkeit ein; der
Gegner hatte diese durch seine zahlreichen Flieger recht einfach, während
die deutschen Truppen es mit ihren Fußpatrouillen erheblich weniger
|
bequem hatten. Aber diese arbeiteten glänzend: Da wurde ein Transport
überfallen, dort flog ein auf eine Mine gefahrenes Lastauto in die Luft, hier
wurde eine Streckenpatrouille abgefangen, dort ein Personenauto
zusammengeschossen, kurz, die Engländer wurden gezwungen,
außerordentliche Kräfte und umfassende Maßnahmen zur
Sicherung ihres Rückens zu verwenden. Schwierig war allerdings auch
für die Engländer, daß, während die Deutschen alles,
auch im Etappenbereich, mit Trägern beförderten, sie sich jedesmal
für ihren nur auf Lastautos bewirkten Nachschub immer wieder neue
Verkehrsstraßen anlegen mußten.
Die wenigen unter Hauptmann Otto bei Kondoa-Irangi zurückgelassenen
Kompagnien wurden allmählich von Deventer auch auf Morogoro
zurückgedrängt. Mit dem Augenblick, wo der Feind bei Dodoma die
Zentralbahn erreichte, war nunmehr auch die Verbindung zwischen dem Osten
und dem Westen der Kolonie zerstört. Die Führung im Osten behielt
Lettow, die im Westen der General z. D. Wahle; von der Tätigkeit
der Abteilungen im Westen wird noch später die Rede sein.
Smuts hatte anscheinend gerechnet, daß die deutsche Schutztruppe hier, bei
Morogoro, im Uluguru-Gebirge zum letzten Widerstand rüsten
würde. Da meldeten ihm aber erstaunlicherweise seine Flieger, daß
die Deutschen auf zwei Etappenlinien über das steile
Uluguru-Gebirge hinweg alles nach Kissaki südlich dieser Berge
abschleppen ließen. Was die braven Träger beim Übergang
über das Uluguru-Gebirge geleistet, ist fast übermenschlich. Immer
und immer wieder hin und her pendelnd, kaum zur dürftigsten Ruhe
kommend, sind die braven Farbigen mit ihren mehr denn ½ Zentner
schweren Lasten auf dem Kopf unermüdlich, immer unverdrossen und
willig, über die steilen, kaum von menschlichen Füßen
betretenen Pässe des unwirtlichen Gebirges geklettert.
Smuts warf nunmehr westlich um das Uluguru-Gebirge herum zwei berittene
Burenbrigaden auf Kissaki, um so der Truppe ihre Lebensadern und den Weg
nach Süden zu nehmen. Lettow gab daraufhin die Verteidigung von
Morogoro auf und eilte über das Uluguru-Gebirge nach Kissaki. Dort
wurden beide feindlichen Brigaden in zwei schweren Gefechten, eine nach der
anderen, gründlich geschlagen und geworfen. Inzwischen wurde auch die
weiter östlich vorrückende Hauptmacht des Generals Smuts von
Lettow, der ihr sofort entgegengeeilt war, in schweren Kämpfen vom 11.
bis 13. September zum Stehen gebrach. Hier,
hart südlich [402] Kissaki, am
Mgeta-Fluß, blieb die deutsche Truppe stehen; die Mgetalinie wurde jetzt
wieder festgehalten. - Zu großen Stößen war die
Smutssche Armee fürs erste nicht mehr fähig. Hier in dieser Gegend
herrschen die tropischen Krankheiten besonders: Malaria, Ruhr,
Schwarzwasser- und Rückfallfieber hausten furchtbar unter dem
Feinde und rafften Tausende fort. Es ist eben eine alte Erfahrung, daß
größere weiße Truppenmassen für Kriegführung
in den Tropen ungeeignet sind. Auch die Pferdesterbe hatte die Reittiere des
Feindes gewaltig gelichtet. Mensch wie Tier waren durch den Krieg beim Gegner
gründlich mitgenommen. Dabei hatte der Gegner den schwersten Teil, die
Kriegführung in dem weniger erschlossenen, verpflegungsärmeren,
unwirtlicheren und unwegsameren, dabei auch von der eigenen Basis weiter
entfernten Süden der Kolonie noch vor sich! Und die deutsche Truppe
stand, wenn auch geschwächt, doch vollkommen kampfkräftig und
felsenfest zum Widerstand bis aufs Messer entschlossen vor ihm! Kein Wunder,
daß General Smuts es mit Parlamentieren versuchte und an Lettow Anfang
Oktober 1916 schrieb: "Da der Krieg in ein Land mit tödlichem Klima und
ohne Hilfsmittel getragen wurde, müssen Sie sich fragen, ob Sie es
verantworten können, den Krieg fortzusetzen. Ich biete Ihnen heute noch
höchst ehrenvolle Bedingungen für eine Kapitulation. Wenn Sie dies
Angebot ausschlagen, so werden die Generale Hunger und Fieber sicher in
wenigen Wochen Ihre Truppe vernichten. Und dann wird Ihnen nur
bedingungslose Übergabe übrig
bleiben." - Wenn der Engländer edelmütig ist, so weiß
er, der ihn kennt, Bescheid: Smuts war zur Zeit eben am Ende seiner Machtmittel.
Er schickte auch tatsächlich seine zusammengebrochenen
Südafrikaner nach Hause, fuhr selbst nach England, ließ sich dort aus
Vorschuß als Sieger über
Deutsch-Ostafrika feiern und überließ es seinem Nachfolger, dem
englischen General Hoskins (der bald darauf von General van Deventer
abgelöst wurde), sich neue Truppen, diesmal vorwiegend Farbige, aus
Rhodesia, Britisch Nyassa-Land, Nigeria, von der Goldküste, aus Indien,
dem Kongo-Staat und selbst aus Westindien zusammenzuholen. So entstand hier
eine mehrmonatliche Kampfpause bis zum Anfang des Jahres 1917.
Nun noch ein kurzer Blick auf die übrigen Fronten der Kolonie: Dort hatte
gleichzeitig mit der Smutsschen die feindliche Offensive an den verschiedensten
Stellen eingesetzt.
Im Norden, am Viktoria-See, waren schon im Mai 1916 starke englische
Kräfte gelandet worden und hatten die dortigen schwachen Abteilungen
von Bukoba und Muansa (die sich vereinigt hatten) gegen Tabora
zurückgedrückt.
An der nordwestlichen Ecke der Kolonie hatte der ausgezeichnete Hauptmann
Wintgens länger denn 1½ Jahre lang allen feindlichen (belgischen)
Angriffen auf die reiche Landschaft Ruanda erfolgreich widerstanden; erst als
noch eine zweite belgische Kolonne vom Süden des Kiwusees her und eine
dritte englische Kolonne vom Osten her ihn in seiner zäh verteidigten
Stellung von Kissenji (am Nordrand [403] des Kiwu)
einzuschließen drohten, räumte er diese und ging in die Landschaft
Urundi zurück, wo er auch die Truppen vom Nordende des Tanganyikasees
an sich zog. Dort konnte er den weiteren Vormarsch der mehr denn zehnfachen
belgischen Übermacht trotz tapferer Rückzugsgefechte auf die Dauer
nicht hindern; er ging daher weiter in Richtung auf Tabora zurück, sich
inzwischen auch mit den gleichfalls auf Tabora zurückgehenden
Bukoba- und Muansa-Truppen vereinigend. - Wie erinnerlich, waren
dadurch, daß der Gegner bei Dodoma die Zentralbahn erreicht hatte, die
deutschen Hauptstreitkräfte im Osten von den Westkräften getrennt
worden, weshalb der zum Besuch seines Sohnes in der Kolonie anwesende
General Wahle in Tabora als Westbefehlshaber daselbst bestimmt worden
war.
Im Westen war auf dem Tanganyikasee eine kleine Flotte improvisiert worden,
besonders dadurch, daß ein dort noch im Bau begriffener
1200-Tonnen-Dampfer "Graf Goetzen" tatkräftig fertiggestellt und armiert
wurde. Hier, an die Endstation der Mittellandbahn, den Hafen Kigoma, hatte der
Kommandant des im August 1914 im Hafen von
Dar-es-Salam versenkten Vermessungsschiffs "Möwe" seine Besatzung
hingeführt und mit ihr seine kleine Flotte auf dem Tanganyikasee besetzt.
Diese beherrschte von dem Stützpunkt Kigoma aus den See und zwang die
Belgier lange, größere Truppenmassen am Tanganyika in Bereitschaft
zu halten, die der Kriegführung im Norden, am Kiwusee, entzogen blieben.
Als der Feind im Norden aber weiter vordrängte und die winzige Besatzung
von Kigoma Gefahr lief, abgeschnitten zu werden, wurde Kigoma im Juli 1916
geräumt, und die Besatzung ging nach Zerstörung des "Graf
Goetzen" gleichfalls auf Tabora zurück.
Von Rhodesia aus hatte General Northey, die geringen deutschen Truppen vor
sich herdrückend, in nordöstlicher Richtung, auf Iringa zu,
vorrücken und sich dort mit den über Dodoma nach Süden
vorgehenden Truppen des Generals Smuts vereinigen können.
Um Tabora spielten sich länger denn zehn Tage heftige Kämpfe ab;
die von Westen anrückenden belgischen Brigaden wurden ebenso
gründlich zurückgeschlagen wie eine von Norden anrückende.
Schließlich wurde Tabora jedoch kampflos von den Verteidigern
geräumt, weil man hoffte, die Stadt und ihre darin zurückbleibenden
mehr denn 200 weißen Frauen und Kinder auf diese Weise vor den
Gewalttätigkeiten der miserabel disziplinierten belgischen Askari noch am
ehesten zu bewahren. Man täuschte sich; die belgischen Truppen,
Weiße wie Farbige, haben in Tabora schlimm gehaust.
Wenn auch nun durch die Vereinigung des Generals Northey mit den Truppen des
Generals Smuts die Trennung zwischen den deutschen
Ost- und Westtruppen vollkommen geworden war, gelang es doch der von Tabora
in südöstlicher Richtung zurückgehenden und so die
Vereinigung mit den Truppen Lettows anstrebenden Westabteilung Wahle, in
mehreren kühnen Gefechten den [404] Durchzug durch die
englische Kette zu erzwingen. Sie vereinigte sich im November 1916 mit der
Abteilung Kraut, die zum Schutz des reichen
Mahenge-Bezirks vom Kommando in diesen entsandt worden
war. - So stand Ende 1916 alles, was an deutschen Kräften noch
verfügbar, etwa in der Gegend der nördlichen
Mahenge-Bezirks-Grenze nahe beieinander.
Das große feindliche Kesseltreiben war also gegen Ende 1916 zu einem
gewissen Abschluß gelangt. Die deutsche Schutztruppe war mit ihrer
Hauptmacht im Morogoro-Bezirk, in der Mgetaflußstellung, mit ihren
Westtruppen in dem benachbarten Mahengebezirk, zusammengedrückt.
Nur mehr der Weg nach Süden lag ihr offen. Sehr ernst wurde von da ab
die Verpflegungslage, und das war für Weiterführung des Kampfes
jetzt das Entscheidende. Neun Zehntel der Kolonie und damit die
verpflegungsreichsten Bezirke waren in Feindeshand, in dem, auch nur noch
teilweise, zugänglichen Südosten der Kolonie waren nur einzelne
Gebiete, die der Verpflegungsbeschaffung in größerem Umfange
nutzbar gemacht werden konnten. Dies waren besonders die Küstengebiete,
die Landschaften bei Dar-es-Salam, Mohoro und Kilwa. Hier mußte noch
geborgen werden, was sich irgend bergen ließ. Als daher die
Engländer, nachdem sie Anfang September das unverteidigte
Dar-es-Salam besetzt hatten, von da aus nach Südosten vorrückten,
ging Lettow ihnen entgegen und ließ, während er den Feind festhielt,
alle Vorräte einsammeln und abtransportieren. In gleicher Weise verfuhr er
gegen die von Kilwa aus vorrückenden Engländer.
Auch die Portugiesen waren mittlerweile in den Krieg eingetreten; ihre Versuche,
den Grenzfluß Rowuma zu überschreiten, waren allerdings von den
deutschen schwachen Grenzpostierungen bisher stets verhindert worden. Da
rüsteten sie ein starkes Expeditionskorps aus, das nach Überschreiten
des Rowuma den durch wenige Gewehre verteidigten kleinen Grenzposten
Newala nahm. Dieser "große Sieg in Afrika" wurde von den Portugiesen
gebührend gefeiert; sogar eine Straße in Lissabon wurde
Newala-Straße genannt. Aber dieser frisch gepflückte portugiesische
Lorbeer war noch nicht getrocknet, als ein Detachement unter Kapitän
z. S. Looff (dem früheren Kommandanten der "Königsberg")
die dreifache feindliche Übermacht angriff und die Portugiesen in wilder
Flucht über den Rowuma zurückjagte, wobei eine gewaltige Beute in
deutsche Hände fiel. Hierunter befanden sich portugiesische Zeitungen, die
im drolligen Gegensatz zu dem vollkommenen portugiesischen Zusammenbruch
schrieben: "Jetzt ginge der Krieg erst richtig an; die Südafrikaner seien
keine Soldaten, die Portugiesen würden ihnen jetzt zeigen, wie es gemacht
werden müsse." Infolgedessen hatten die gefangenen Südafrikaner
eine gehörige Wut auf die Portugiesen und versäumten keine
Gelegenheit, ihren mitgefangenen Bundesgenossen ihre unverhohlene Verachtung
kundzutun.
Anfang 1917 begann wieder die englische Offensivtätigkeit an der
Mgeta-Front. Auf dem rechten Flügel stand Hauptmann Otto, der mit
außerordentlicher [405] Energie eine
Umfassung dieses Flügels abwehrte. Auch verhinderte er das feindliche
Vorgehen über den Rufidjifluß, indem er Übergangsversuche
des Feindes unter schweren Verlusten zum Scheitern brachte. Die deutsche
Haupttätigkeit war aber während dieser, Januar 1917 beginnenden
außerordentlich stark einsetzenden Regenperiode das Einbringen von
Verpflegung; denn nur so wurde es überhaupt möglich, den Krieg
weiter zu führen. Alle unnützen Esser, Farbige des Trosses, und
gegen 1000 Träger wurden entlassen und die Zahl der letzteren aufs
geringste beschränkt. So gab es für die Feldtruppe selbst wie
für den geringen, als unumgängig nötig bei ihr verbleibenden
Trägerbestand schwere Arbeit, es mußte geerntet, oft von weitem
antransportiert und auch wieder angebaut werden. Dabei war die Verpflegung
selbst äußerst knapp und bestand für Farbige wie
Europäer oft wochenlang nur aus etwa 600 Gramm recht minderwertigen
Maismehls pro Tag. Und immer wieder war es bewundernswert, wie die Farbigen
in unerschütterlichem Opfermut geduldig und pflichttreu alle
Entbehrungen, Hunger und Nässe mit den Weißen durchhielten.
Allerdings mußte das Kommando eben aus diesen Verpflegungssorgen
heraus das Gros der Truppe weiter nach Süden verschieben, in die vom
Gegner am meisten bedrohten Verpflegungsgebiete von Kibata und Kilwa. Eine
dreiste deutsche Patrouille mit einem Gebirgsgeschütz drang sogar in das
von den Engländern besetzte Kilwa vor und schoß ein im Hafen
liegendes englisches Transportschiff in Brand!
Um weitere Verpflegungsmöglichkeiten zu schaffen, ließ Lettow im
Januar 1917 zwei Abteilungen, Kraut und Wintgens, durch den feindlichen
Einschließungsring nach Westen durchbrechen. Wintgens stieß durch
bis zum Nordende des Nyassa-Sees, schlug die ihm entgegengeworfenen
englischen Truppen bei Utengule gründlich und rückte dann, immer
im Rücken des Feindes, auf Tabora. Hier mußte sich Wintgens, der
schwer an Schwarzwasserfieber erkrankt war, allerdings persönlich dem
Feinde ergeben; doch die vereinigten Engländer und Belgier
täuschten sich gründlich, als sie diese persönliche
Gefangennahme des gefürchteten, jetzt todkranken Führers als
großen Sieg feierten; die Kolonne zog unter dem Oberleutnant Naumann
weiter, überschritt die Zentralbahn,
rückte - immer quer durch die rückwärtigen
Verbindungen des Feindes - nach Norden zum Meru, überfiel die
Station Moschi am Kilimandjaro und rückte dann weiter nach
Südosten, bis Naumann - nach einem Marsch von über
2000 km immer quer durch das vom Feinde besetzte
Gebiet! - mit dem Rest seiner Truppe: 3 Europäer, 35 Askari,
gänzlich ausgehungert und ohne jegliche Munition, südlich Kilossa
die Waffen strecken mußte. Es war, wie man in den englischen Berichten
nachher lesen konnte, den Engländern besonders peinlich gewesen,
daß sie gegen den einen deutschen Leutnant einen ganzen General mit allen
dazu gehörigen Truppen hatten ansetzen müssen; es war aber nicht
zu ändern, Naumann erfuhr seine Beförderung zum Hauptmann erst
nach Schluß seines ruhmreichen Zuges. Diese Unternehmung war den
Engländern höchst fatal; General van Deventer, der den
[406] General Hoskins als
Oberkommandierenden inzwischen abgelöst hatte, beschäftigte sich
in seinen Berichten damals eigentlich ausschließlich mit dem Leutnant
Naumann.
Mit dem Ende der großen Regenzeit, dem ostafrikanischen
Spätfrühjahr, begann van Deventer die Offensive auf allen
Fronten gleichzeitig, diesmal mit dem Hauptangriff von der Küste, von
Kilwa und Lindi aus, dort auch persönlich leitend. So hatte er seine beiden
Kolonnen durch den Seeweg in fester Verbindung, während die deutsche
Truppe jedesmal erst einen schweren mehr denn zehntägigen
Fußmarsch zurückzulegen hatte, wenn eine Front der anderen zu
Hilfe kommen wollte.
Die Lindi-Kolonne ging zunächst auf das fruchtbare Lukuledital vor.
Lettow rückte deshalb sofort dorthin; gerade kam er zurecht, wie ein ganzes
indisches Regiment ein aus zwei deutschen Kompagnien bestehendes Lager
überfallen hatte; - und nun wurde der Feind furchtbar zugerichtet,
das ganze Regiment im Nahkampf tatsächlich aufgerieben. Weitere
schwere Kämpfe brachte der September der tapferen kleinen Abteilung
Koehl. Diese mußte vor überlegenen Kräften des Feindes, die
ihr mit steter Umfassung drohten, zwar zurückgehen, griff den Gegner aber
in seinem Vormarsch immer und immer wieder an, so daß er nur ganz
langsam und unter schweren Verlusten vorwärts kam.
Währenddessen waren vor Kilwa die geringen unter Hauptmann
v. Liebermann zurückgelassenen Truppen ebenfalls angegriffen
worden, hatten bei Narumgombe - 6 Kompagnien gegen nahezu eine
Division! - gefochten und diese gründlich geschlagen. Leider konnte
der Sieg nicht ausgenützt werden, weil schließlich jeder der Sieger
nur noch ganze 5 Patronen hatte. Der Patronenmangel war so groß gewesen,
daß schließlich die Munition von den Zugführern rahmenweise
an die Askari ausgegeben worden war; gewiß ein Beweis von
Feuerdisziplin, wie sie die beste europäische Truppe nicht zeigen kann.
Wegen des Patronenmangels mußte die brave Truppe zurück; der
Feind hatte aber so furchtbare Verluste erlitten, daß er eine Zeitlang nicht zu
folgen vermochte. - Das Gefecht von Narumgombe (Hauptleute
v. Liebermann und Spangenberg) ist eines der ruhmvollsten des ganzen
ostafrikanischen Feldzuges: die Leistungen der Truppe in diesem Gefecht, das
Aushalten dem weit überlegenen Gegner gegenüber unter
schwerstem Patronenmangel, das Abweisen jeder der unaufhörlich
heranrollenden Angriffswellen war unvergleichlich. Selbst der feindliche
Führer - es waren vom Feind so viel Regimenter angesetzt, wie die
Deutschen Kompagnien hatten! - berichtete, daß kein Fußbreit
Erde ohne Kampf vom Deutschen aufgegeben sei und daß die vortrefflich
geleiteten deutschen Askari Gegner gewesen seien, würdig des Angriffs der
besten Truppe. - Auch aus Portugiesisch-Afrika drangen Engländer
und Portugiesen zusammen von Süden her in die Kolonie ein. Aus allen
Richtungen drängte jetzt der Feind; Lettow war mit seiner Truppe
ständig hin und her, bald da, bald dort, um den kleinen Abteilungen, die an
ihren Fronten einen weit über- [407] legenen Gegner
aufhalten mußten, zu helfen. Dazwischen mußte noch Verpflegung
geschafft werden, und die Munition ging reißend zur Neige. Schon hatten
wieder die alten Jägerbüchsen M 71, die Einzellader mit
rauchstarkem Pulver, hervorgeholt werden müssen, da für diese
allein noch etwas Munition vorhanden war. Das war aber schlimm, denn die an
der Rauchentwicklung kenntlichen Stellungen wurden dann
regelmäßig vom feindlichen Minenwerferfeuer furchtbar zugerichtet.
Der Feind drang jetzt von allen Seiten und mit aller Macht vor, um den Rest der
deutschen Truppen zu zerquetschen. Lettow entschloß sich deshalb auch zu
einem größeren Schlage, und zwar dazu, die
Lindi-Kolonne des Gegners, die der Abteilung des Generals Wahle bei Mahiwa
gegenüberstand, zu überraschen und zu schlagen. Schon beim
Anmarsch am 16. Oktober hörte er Feuer, das Gefecht war also bereits im
Gange. Bis zum 18. Oktober, also drei Tage lang stürmten immer wieder
neue Angriffswellen gegen die deutschen Linien an, aber allmählich
ließ sich erkennen, daß die Wucht des Gegners nachließ. Am
18. Oktober, um Abend des Tages der Völkerschlacht bei Leipzig, hatte die
deutsche Truppe mit etwa 1500 Mann insgesamt 6500 Mann des Gegners
vollständig geschlagen; es dürfte dies, nächst Tanga, seine
schwerste Niederlage gewesen sein. Die Engländer geben selbst ihre
Verluste in der Schlacht bei Mahiwa auf über 2000 Mann
an. - Aber ohne Ruhe mußte Lettow sofort
umdrehen, - nachdem er diesen Schlag nach rechts geführt,
mußte er auch einen nach links führen; trotz der ständigen
Eilmärsche und der vortägigen Kämpfe ging er sofort nach
Westen, wo der Gegner bei der Mission Lukuledi in seinen Rücken gelangt
war. Nach heftigem Gefecht räumte der Gegner die Mission.
Diese beiden Schläge hatten für einige Wochen Luft geschafft, aber
der Gewehr- und Patronenmangel erschwerte die Kampfführung immer
mehr; jetzt war es bereits so, daß jede Kompagnie nur 40 Gewehre hatte, der
Askari verschoß also seine 100 Patronen, durfte dann zurückkommen
und sein Gewehr einem anderen geben, der nun seinerseits vorging und seine 100
Patronen verschoß. Dazu die durch die Rauchentwicklung der alten
Gewehre weithin kenntliche Stellung, die jedesmal vom feindlichen Schwerfeuer
furchtbar zugedeckt wurde. Aber ohne Murren und mit Todesverachtung ertrugen
die herrlichen Askari ihre täglich schwerer werdenden Verluste.
Immer schärfer drückte der Gegner vor, immer enger schloß
sich der Kreis um die kleine deutsche Heldentruppe. Mitte November waren die
letzten Bestände an rauchloser Munition ausgegeben worden; die
Geschütze waren, bis auf wenige, nach Verschießung ihres letzten
Schusses gesprengt worden, Verpflegung ging zu Ende, das für die Tropen
so wichtige Chinin und das Verbandmaterial reichten nur noch für ganz
kurze Zeit. Lettow war auf die Makonde-Hochebene zurückgegangen; dort,
so hoffte der Engländer, würde er seine letzte Patrone
verschießen und dann kapitulieren; war doch jetzt seine Umklammerung
vollendet. Aber sie hatten die unbeugsame Willenskraft des deutschen
Führers, den unvergleichlichen [408] Opfermut der
deutschen Truppe noch immer nicht richtig
eingeschätzt. - Lettow entschloß sich, das deutsche Gebiet zu
verlassen und den Krieg in das portugiesische Gebiet zu tragen. Mehr als die
Hälfte der Europäer und Askari war krank, verwundet oder ganz
geschwächt; so wurde denn alles, was nicht im höchsten Sinne
marschfähig war, zurückgelassen, und eine ausgesuchte Schar von
Männern, wohl die kampferprobtesten, die je afrikanischen Boden
beschritten: 300 Deutsche, 1600 Askari, 3000 Träger, jeder Askari mit
insgesamt 100 Patronen, jeder Mann mit zehntägiger Verpflegung, zog am
18. November 1917 über den Grenzfluß Rowuma und dann
rowumaaufwärts einer unbekannten Zukunft entgegen. Nach
Eingeborenennachrichten sollte rowumaaufwärts bei Ngomano ein Fort
sein, das von gegen 2000 Engländern und Portugiesen besetzt wäre;
das war das einzige, was man wußte; die
Gegend - auf den Karten ein weißer
Fleck - war gänzlich unbekannt. Selbst diese letzte schwere Probe
auf seine Zuverlässigkeit und Hingabe an seine deutschen Führer
bestand der Askari; mit diesen, die in der letzten und höchsten Not
kämpften, zog er gern und willig in das Ungewisse, in ein fremdes
unbekanntes Land.
Hauptmann Tafel hatte im April 1917 für den zur Lindifront berufenen
General Wahle das Kommando über die Truppen im
Mahenge-Bezirk, den Rest der Westabteilungen, übernommen. Sie hatten
sich tapfer dort gewehrt, hatten im Oktober aber auch zurückgehen
müssen und in südöstlicher Richtung Verbindung mit den
Abteilungen Lettows vor Lindi-Kilwa zu bekommen versucht. Sie trafen aber dort
erst ein, als Lettow, der noch bis zuletzt auf die Abteilung Tafel gewartet hatte,
gerade vor wenigen Tagen abgerückt war. Völlig erschöpft,
ohne jede Verpflegung, blieb auch Tafel unter dem furchtbaren Zwang des
Hungers nichts übrig, als Waffen und Munition im Fluß zu versenken
und sich zu ergeben. Nur eine Kampfpatrouille, 20 Europäer und Askari,
unter dem schon so oft rühmlich hervorgetretenen Hauptmann Otto wurde
mit den letzten Vorräten ausgerüstet und machte sich auf den Weg zu
Lettow, den sie im Dezember erreichte.
Die braven 2000 weißen und farbigen Krieger und die ihnen folgenden nicht
minder wackeren 3000 Träger waren wohl das kampferprobteste, das je
afrikanischen Boden beschritten hatte. Ihre Waffen, Ausrüstung, Munition
und Verpflegung waren am Ende; was sie brauchten, mußten sie sich vom
Feinde verschaffen, und daß ihnen dies gelingen würde, daran
zweifelte, als mit dreimaligem Hurra die
deutsch-portugiesische Grenze überschritten wurde, auch der jüngste
Askari keinen Augenblick.
Da, wo der Lugenda, vom Süden kommend, sich in den Grenzfluß
Rowuma ergießt, lag die Feste Ngomano, gut verschanzt und stark besetzt.
Wie stark die Besatzung war, wußte man nicht, aber das wußte jeder:
wir haben keine Patronen mehr und müssen die Feste haben! Um
1 Uhr nachmittags wurde gestürmt, um 3 Uhr war die Feste
mit allem, was darin war, unser; 300 Portugiesen waren gefallen, 700
gefangen. - "Heut ist der Ehrentag unserer alten [409] Gewehre!" riefen die
Askari jubelnd aus, als sie aus dem hellen Klang der Geschosse erkannten,
daß sie es drüben nur mit Portugiesen zu tun hatten, die sie mit ihren
alten, ihnen wohl vertrauten Gewehren M 71 gründlich zudecken
konnten; denn, wenn der deutsche Askari sich schon dem englischen weit
überlegen fühlte, so hatte er - schon im
Frieden - für den portugiesischen Soldaten nur das Gefühl
grenzenloser Verachtung; war ihm doch deren koloniale Mißwirtschaft wie
militärische Schlaffheit wohl bekannt. Jetzt wurde die Truppe wieder mit
den modernen Beutegewehren ausgerüstet, und mit festem Vertrauen ging
es weiter nach Süden. Da nur geringe Vorräte an
Eingeborenen-Verpflegung gefunden waren, mußte der Vormarsch ins
Innere in verpflegungsreichere Gebiete beschleunigt werden. Aus all seinen
über das ganze Land verzettelten kleinen Befestigungen verschwand der
Portugiese so schnell, daß er nur selten noch erreicht werden konnte. Der
Schrecken von Ngomano war ihm furchtbar in die Glieder gefahren, und die
Askari, selbst die winzigsten Streifabteilungen, hielten sich diesem Feind
gegenüber für völlig unüberwindlich; meist ohne
Feuervorbereitung stürmten sie mit blanker Waffe die feindlichen Werke,
in denen meist reiche Beute, namentlich an Munition und Verpflegung, gefunden
wurde. Und auch die Eingeborenen des Landes waren ebenso hoch erfreut
über das Kommen der Deutschen, wie über das eilige Verschwinden
ihrer portugiesischen Herren und Peiniger. Aus freiem Willen gewährten
sie jede Unterstützung und baten nur immer wieder, die Deutschen
möchten doch dableiben und die Portugiesen um's Himmelswillen
fernhalten. Eine schärfere Verurteilung der
englisch-portugiesischen Mißwirtschaft kann es eigentlich gar nicht geben,
als das Verhalten der dortigen Eingeborenen gegenüber der deutschen
Truppe. Deshalb bekam auch der Feind keinerlei Nachricht durch die
Eingeborenen über die Deutschen, über die "Malimau" (das
verstümmelte portugiesische "Alhemmannos"), deren Ruhm durch das
ganze Land erklang.
Seit Januar 1918 macht sich wieder unter zielbewußterer englischer
Führung die erneut versuchte Einkreisung geltend. Zwar wichen die
Portugiesen immer noch den deutschen Vorhuten eiligst aus, aber die
Engländer drängten jetzt auf der "Jagd auf Lettow" heftig nach;
immer wieder versuchten sie ihn einzukreisen, er ließ sie eben so oft nahe
herankommen, um sie im letzten Augenblick abzuschütteln und ihnen zu
entgleiten. Die glänzend im Feuer disziplinierte Truppe ließ den
Gegner im Busch dicht aufprallen und empfing ihn dann auf kurze Entfernung mit
wohlgezieltem Feuerüberfall, der ihm viel Blut kostete und ihn zum
Stocken zwang, ging dann selbst mit geringen Verlusten zurück, nahm neue
Stellung, abermals mußte der Gegner neu vorfassen, und das Spiel
wiederholte sich. Von Norden, Westen, Südwesten zog der englische
Gegner jetzt heran, in der festen Hoffnung, diesmal endgültig die kleine
deutsche Schar fangen zu können. Mit eiserner Ruhe ließ Lettow den
Feind herankommen; als der Gegner zum letzten Schlage ausholte, entglitt er ihm.
In Gewaltmärschen, ohne sich um die portugiesischen Straßen zu
kümmern, marschierte er geradeaus nach Süden, so daß die
[410] Verfolger die deutsche
Spur verloren und ihre verschiedenen Abteilungen sich häufig nur
gegenseitig beschossen.
Zur grenzenlosen Überraschung des Feindes erschien Anfang Juli Lettows
Vorhut im äußersten Süden der portugiesischen Kolonie vor
Nhamakurra, wenige Meilen von Quelimane entfernt. Bereits am 1. Juli wurde
durch die deutsche Vorhut, 3 schwache Kompagnien, der portugiesische Teil des
Lagers von Nhamakurra genommen, am 2. der von Engländern gehaltene
Teil umstellt, am 3. auch dieser durch die Askari mit der blanken Waffe
[411]
Skizze 20: Zug der Schutztruppe durch Portugiesisch-Ostafrika.
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gestürmt; die ganze Besatzung wurde erledigt, was nicht auf der Stelle
liegen blieb, wurde in den Fluß gedrängt und ertrank, 3
portugiesische, 2 englische Bataillone waren restlos vernichtet, Riesenmagazine,
die die Hauptbasis für die gesamte Kriegführung bilden sollten,
waren genommen. Nur wenige Tage später wurden noch weitere englische
Abteilungen vollkommen aufgerieben. Spaßig war es zu sehen, mit welcher
Verachtung die gefangenen Engländer auf ihre "Bundesgenossen", die
Portugiesen, blickten, und wie sie jedesmal schadenfroh schmunzelten, wenn
diese eine neue Schlappe erlitten.
Nach dem kräftigen und so grenzenlos überraschenden Schlage von
Nhamakurra, im entlegensten Winkel der portugiesischen Kolonie, blieben die
anderen verfolgenden englischen Abteilungen zunächst halten. "Sie
fühlten sich", so schreibt ein Teilnehmer dieses wunderbaren Kriegszuges,
"zu schwach und folgten dem stolzen Hirsch nicht mehr, der zwar mit struppigem
Fell und dürrem Leib, aber hart wie Stahl und Eisen durchs Gelände
zog. In diesen Tagen schliefen die Leute in Quelimane nachts auf Schiffen, weil
sie glaubten, die ostafrikanische Schutztruppe käme." Aber Quelimane
selbst blieb verschont; der unüberschreitbare Sambesifluß hätte
zu leicht Anlaß werden können, daß die Truppe sich festlief
und eingekreist wurde. Deshalb zog Lettow, nachdem er in
Kreuz- und Querzügen von über 2000 km Länge die
portugiesische Kolonie gründlich beunruhigt, einen gewaltigen englischen
Kriegsapparat dauernd in Bewegung gesetzt und den Gegner schwer
geschädigt hatte, wieder nordwärts, der deutschen Grenze
entgegen.
Noch manches Gefecht war zu bestehen, noch manches Mal verstand es die kleine
Heldenschar, den ständigen Umzingelungsversuchen des Feindes zu
entschlüpfen, ehe sie am 28. September 1918 den Grenzfluß Rowuma
wieder überschritt, um zum ersten Male wieder auf deutschem
Kolonialgebiet zu lagern: 164 Deutsche und etwa 2/3 der Farbigen waren der
Rest der Truppe, die vor einem Jahre das deutsche Gebiet verlassen hatte. Ohne
Unterbrechung ging es nun nach Norden, freudig begrüßt von allen
Eingeborenen, die von weither herankamen und freiwillig an Verpflegung
brachten, was sie nur aufbieten konnten. Zuversichtlich hofften sie auf das Ende
des Kampfes und auf die Rückkehr ihrer alten deutschen Herren; traurig
sahen sie die deutsche Truppe wieder weiter ziehen. Viele deutsche Askari,
verwundet in ihre Heimat entlassen und wieder genesen, [411] oder aus englischem
Gefangenenlager entwichen, kamen wieder und schlossen sich voll Begeisterung
der Truppe zu neuen abenteuerlichen Taten an. Und treu blieben sie bei ihren
Führern, selbst als von ihnen die schwerste Probe gefordert wurde: als
Lettow seinen Vormarsch nach Norden, in die Kolonie hinein, abbrach und ihr
zum zweiten Male den Rücken
kehrte. - Der Engländer hatte in der Annahme, Lettow werde den
Marsch nach Norden fortsetzen, seine Truppen [412] mit der Mittellandbahn
nach Tabora gebracht und diese im weiten Bogen, vom Tanganyikasee über
Tabora bis in die Gegend von Mahenge hin, aufgestellt. In diese Falle ging Lettow
nicht, er bog zur sprachlosen Verwunderung des Gegners nach Westen ab und
rückte zwischen Tanganyika- und Nyassasee in
Britisch-Rhodesia ein. Seine Absicht war, den schwarzen Erdteil zu durchqueren
und den Herren Portugiesen in ihrer westafrikanischen Kolonie Angola einen
Besuch abzustatten. Die militärische Lage war jetzt so günstig wie
bisher kaum je: auf Hunderte von Meilen kein ernstlicher Feind; Munition, Chinin
waren reichlich vorhanden, neue Verpflegungsmagazine der Engländer
winkten in erreichbarer Nähe; der geniale Gedanke des Führers hatte
also alle Aussicht auf Verwirklichung, und er wäre auch zur
Ausführung gekommen, wenn nicht am 13. November 1918 früh
durch zwei englische Motorfahrer die Nachricht vom Waffenstillstand
eingetroffen wäre.
Zuerst glaubte man an eine Kriegslist der Engländer, bis zweifelsfreie
Bestätigung eintraf. Stolze Freude bewegte aller Herzen, war doch die
ostafrikanische Schutztruppe in dem ungleichen Waffengange unbesiegt
geblieben, wehte doch die Flagge schwarz-weiß-rot hoch und unbefleckt
über Afrikas heißer Erde. - Dann kamen die näheren
Vereinbarungen des heimischen Waffenstillstandes; ihnen zufolge mußte
auch diese unbesiegte - und vielleicht
unbesiegliche! - Truppe zähneknirschend sich auf Gnade und
Ungnade dem Feinde ergeben.
Bei Abercorn wurde der Rest der deutschen Schutztruppe: 20 Offiziere, 10
Sanitätsoffiziere und Beamte, 125 andere Europäer, 1168 Askari und
1520 Träger, übergeben. Dann wurden die Europäer nach
Dar-es-Salam, die Farbigen nach Tabora in die Gefangenenlager verbracht.
Damit ist der Kampf - der ruhmreichste Kolonialkrieg, den die Geschichte kennt
und vielleicht je kennen wird - zu Ende. Herrlich sind die Waffenleistungen
der Truppe, hell klingt der Name des genialen, von stählerner Willenskraft
beseelten Führers. Möglich jedoch waren diese wunderbaren
Leistungen nur dadurch, daß die Eingeborenen der Kolonie ohne Ausnahme
treu und aufopfernd bis zuletzt zu ihren deutschen Herren standen. Wenn es einen
Beweis gibt, daß ihre Behandlung der Eingeborenen die richtige war, wenn
irgendein Volk seine eminente kolonisatorische Befähigung in dieser
Hinsicht dargetan hat, so sind es wir Deutsche gewesen. In wenigen Jahrzehnten
hat der Deutsche in Ostafrika Schätze zu heben verstanden, materieller Art,
die ihm trotz völliger Absperrung die vierjährige
Kriegsführung ermöglichten, und mehr noch ideeller Art, die ihm
Anhänglichkeit und Liebe der braven Schwarzen erwarb, die diese ihren
weißen Herren in Not und Tod, in Elend und Entbehrung und in
unbekannte, fremde Länder mit unbegrenztem Vertrauen folgen ließ.
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