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Die politische Besitzergreifung

Paul von Lettow-Vorbeck

Der deutsche Soldat

Die Moskitos begannen jetzt ihr sirrendes Lied, aber durch die heiße Luft wehte ein leichter Hauch, der von naher Abkühlung flüsterte. Hoch oben reckten sich die phantastisch verrenkten Zweige eines Affenbrotbaumes, und ihre Schmarotzerpflanzen hingen gleich Seilen fast bis zum Boden herab. Die zehn Soldaten des Goldküstenregiments hockten schwatzend um ihr Feuer, und abseits schnatterten die sechzig Träger durcheinander.

Dicht an dem ungeheuren Stamme stand das grüne Zelt, und vor seinem Eingange saß ein südafrikanischer Soldat auf seinem Tropenstuhle, während auf einer Bahre ein gefangener deutscher Soldat lag, der im letzten Gefecht einen Beinschuß abbekommen hatte. Beide hatten gegessen, der eine viel, der andere wenig, und jetzt rauchten sie zu dampfendem Tee ihre Pfeifen. Der Deutsche sog den Duft des Navy Cut als langentbehrten Genuß ein.

[296] "Well," meinte der Südafrikaner, "mein Großvater ist auch einmal einer von euch Germans gewesen. Er kam mit der German Legion nach South Africa, das war nach dem Krimkriege. Er hatte sich in Helgoland anwerben lassen und erhielt eine Farm in einem Dorfe in Kaffraria, das sie Brunswik nannten. Feines Land sage ich dir, good hunting. Vor der Ausreise von London mußte mein Großvater, wie alle seine companions, die noch keine Lady hatten, eine Engländerin heiraten, und so bin ich Englishman geworden. Ist auch besser so, lieber selber jagen, als gejagt werden, und du weißt wohl auch, trotzdem du nur ein damned German bist, daß the world is rapidly becoming English."

Der Verwundete regte sich: "Das wollen wir erst einmal abwarten. Hier in Deutsch-Ost scheint sie es gar nicht so eilig zu haben."

Der Südafrikaner zischte den Tabaksaft haarscharf an des andern Nase vorbei – es war das so seine Art, und er war stolz darauf, daß er niemals aus Versehen einen Menschen traf. Er knurrte: "Du meinst, weil ihr uns immer schlagt? Never mind. Zurück müßt ihr doch stets. Was willst du, jetzt haben wir ihn schon über die Grenze zu den Dagos, zu diesen verfluchten Portugiesen abgedrängt. Eure Kolonie seid ihr los, und ihr bekommt sie nie wieder. Ich habe mir schon bei Moschi eine Farm gesichert, so groß wie halb Kaffraria und noch viel schöner. Ich bin Monteur von Beruf, aber sobald der Krieg aus ist, werde ich farmer und reite auf einem Pferde über die Felder und schwinge den Kiboko. Das allein ist eines Englishmans würdig. Und du? Du kommst erst nach Indien hinter Stacheldraht, und dann wirst du irgendwann einmal nach Germany ausgeliefert, wo ihr euch vor Hunger gegenseitig auffressen müßt. That's so, yes."

Wieder ein wunderbar gezielter Spritzer schräg über die Bahre hinweg auf die Spitze eines Grashalmes, der sich schwer vornüberbog.

Beide stopften die Pfeifen neu. Der Südafrikaner rief mit barscher Kolonialstimme: "Boy, whisky!" Dann schänkte er [297] zwei Gläser voll, drückte das eine dem Deutschen in die Hand und sagte: "Trink, stranger, es ist die beste Arzenei für weiße Männer in heißem Lande. Meide das Wasser, du wirst krank davon. Sieh mich an, ich habe es seit zwanzig Jahren nicht mehr getrunken, selbst die Zähne putze ich mir frühmorgens schon mit Whisky. Dann bekommst du nicht Typhus, nicht Dysenterie."

Der Deutsche seufzte, denn er bedachte, wie sie vor Durst sich oft über eine Lache grünbraunen Wassers gestürzt und sich den Tod an den Hals getrunken hatten – gehetzt, umstellt, ausgepumpt vom Stürmen und Schießen, vom Rennen und Ausweichen vor der Übermacht.

Der redselige Sieger fing wieder an: "Well, ihr dauert mich, denn, die Wahrheit zu sagen, ihr hättet ein besseres Los verdient. Wenn ich dich ansehe, dann erbarmt es mich. Du hast doch eigentlich nur noch Lumpen an, und ich sehe, daß es sogar eine englische Uniform ist. Dein Tropenhelm ist englisch, dein Gewehr ist englisch, dein Lederzeug ist englisch, deine Beinwickel scheinen portugiesisch zu sein, deine Stiefel auch. Sag mal, was ist eigentlich noch deutsch an euch?"

Der Verwundete sog stärker an seiner Pfeife. "Wir selber sind deutsch", stieß er hervor, "und das werden wir bleiben."

Der Gegner lachte überlegen: "Du jedenfalls, wie ich dich daliegen sehe, bist jetzt nur ein englischer Gefangener. Oder bist du etwa nicht?"

"Der General ist noch da, und die anderen. Den werdet ihr nie kriegen."

"Euer general – ja wirklich, das ist ein fellow! Wenn wir an den denken, dann lachen wir über unsere generals. Krieg zu führen, das versteht ihr wirklich besser, viel besser als unsere damned bloody generals. Eure Hindenburg und Mackensen und eure Lettow – so etwas gibt es bei uns really not. Aber wir sind euch doch zu viele. Hör einmal her. Your general ist ein fine old boy, er muß the second sight haben, denn er sieht immer voraus, wie unsere generals marschieren, um ihn einzukreisen. Er läßt sie ruhig herankommen, und dann stürzt [298] er sich auf einen von diesen blockheads, verhaut ihn und bricht im letzten Augenblick aus. Wir aber haben das Nachsehen. Haha, das ist very splendid indeed. Weißt du, stranger, ich war vor zwei Jahren mit in Südwest und habe da geholfen, euch zusammenzuhauen, es war das ein Picknick, machte uns plenty of jokes. Aber hier in Ostafrika – damned, das hatten wir uns anders vorgestellt. It's a long way. Du trittst an und rückst ab. The enemy steckt irgendwo im bush, einer eurer Träger hat es uns verraten. Diesmal müssen wir euch abfassen. Sikhs und Cape Rifles und Boers und Goldcoasts, und was du noch willst. Du trottest durch den bush, die rifle umgehängt, die Hemdsärmel aufgekrempelt und die Pfeife frisch gestopft. Auf einmal gehts tack-tack-tack – eure damned bloody machine guns, ganz tief und ernst, genau so pedantisch wie ihr Germans alle. Und dann keckern unsere los, hastig, aufgeregt – na ja, wir haben ja auch plenty of munition. Und schon fällt dein companion links, dann der rechts, und die niggers reißen aus. Hinter ihnen drein springt so ein German devil in Khakiuniform und schreit Hurra und reißt die Askari mit, die wie die Tiere brüllen und nur danach lechzen, uns die Hälse abzuschneiden. Aber dazu empfangen wir unsern Sold nicht, wir wollen lebendig aus diesem Kriege herauskommen und die Farm am Kilimandscharo erben."

Der deutsche Soldat hörte verwundert zu und stöhnte: "Von Begeisterung ist bei euch wohl keine Rede?"

"Begeisterung? What do you mean? I wish to make my fortune in this little war, nothing else. Ich will Land und Vieh. Ich will keinen Ruhm, der ist was für euch. Your general ist viel berühmter als unsere Smuts und Deventer und Bever und Edwards und alle die anderen, aber paß auf, die bekommen hinterher viel Geld, und er, euer Lettow, wird in Gefangenschaft abgeführt werden. Will you bet? I bet you ten to one. Lettow gewinnt die Schlachten und Deventer den Krieg. Be sure, my boy."

Der deutsche Soldat hüllte sich in eine Rauchwolke und schloß die Augen. Er sah den General in fleckiger Hose und [299] Negersandalen, den verdrückten Hut über dem tiefernsten Gesichte, die Linke am Gewehrriemen, den Urwaldpfad daherschreiten, mitten in seiner immer mehr sich lichtenden Truppe, die in Reihe zu einem sich nach Süden bewegt. Alle sind vom letzten Gefecht und Marsch todmüde, aber sie schleppen sich dahin. Ein kleiner schwarzer Signalschüler liegt zur Seite, er kann nicht mehr. Aber jetzt hebt er sich empor und ruft mit seiner schrillen Knabenstimme: "Bana Generali, ich nach Berlin!" Der General lächelt zerstreut. Er hat scharf nachzudenken, wo er erneut Stellung nehmen kann. Er ist sehr müde, aber seine Augen blitzen und schauen durchbohrend, in seinem Geiste ordnen sich die wirren und einander widersprechenden Meldungen zu einem geschlossenen Ganzen, das ihm taktische Klarheit gibt. Und alle, die vor ihm und hinter ihm durch die afrikanische Nacht humpeln, wissen, daß nur sein Wille es ist, der sie aufrecht hält und rücksichtslos immer wieder weiterschiebt, immer wieder ins Gefecht führt, immer wieder aus den schwierigsten Lagen herausreißt. Deutschland? Wie weit ist es fort, fast schon wesenlos. Aber hier, Lettow, der ist für sie Deutschland, der ist Kaiser und Hindenburg und Familie und Vaterland, der ist alles für sie, der ist der hoch über ihnen stehende Führer.

Dem Südafrikaner wird das Schweigen seines Gefangenen langweilig. Er klopft seine Pfeife aus, reckt sich mit knackenden Knochen und deckt jenen warm zu. Der sagt kein Wort, er muß sich innerlich festklammern, so stark ist seine Bewegung.

 
Die Laufbahn

Neben die Forschungsreisenden und neben die Kolonialgründer tritt nun als letzter unserer Reihe der koloniale Stratege, der Verteidiger unserer größten und schönsten Kolonie Deutsch-Ostafrika. Dieser Mann hat gar nichts mit Wissenschaft zu tun, er hat sich auch nicht in der Erforschungsgeschichte Afrikas ausgezeichnet, er ist auch nicht Gouverneur gewesen – er war nur Kommandeur der Schutztruppe und bekleidete damit einen vergleichsweise bescheidenen Posten, denn die Truppe zählte 1914 nicht mehr als 2750 Mann. [300] Wäre der Weltkrieg nicht gekommen, nie hätte die Öffentlichkeit den Namen Lettow gehört. Es ist das Schicksal der Generale, daß der Friede ihren Namen der Nachwelt verborgen hält und die Feldherrneigenschaften auch des Tüchtigsten nicht zur Auswirkung gelangen läßt. Dem Oberstleutnant von Lettow sind die Lose glücklicher geworfen worden. Das Geschick stellte ihn ein halbes Jahr vor Ausbruch des Krieges auf eine so exponierte Stelle, daß es dann nur noch an ihm selber lag, ob er aus dieser Gunst etwas zu machen verstand oder nicht. Und er hat es verstanden! Wäre es nach anderen gegangen, dann hätte die Schutztruppe wohl in absehbarer Zeit den aussichtslosen Kampf gegen Übermacht aufgegeben, aber er setzte sich über alle behördlichen Hemmungen hinweg, nahm das Geschehen entschlossen und immer mehr in seine eigenen Hände und führte den Krieg länger als vier Jahre gegen einen, nehmt alles nur in allem, zwanzigfach überlegenen Gegner, ohne daß sein eiserner Wille auch nur einen Augenblick ermattet wäre. Ganz auf sich selber gestellt, denn er überragte alle seine Kameraden turmhoch, und mit denkbar schlechter und unmoderner Bewaffnung hat er sich geschlagen und immer wieder geschlagen, hat angegriffen und ist ausgewichen und hat sich wieder und wieder gestellt – wo sonst hat der Weltkrieg, hat Afrika je solches Heldentum, solche klare Strategie, solche taktische Sicherheit gezeitigt wie hier!

In diesem Manne streckt die große Welt- und Kriegsgeschichte ihr Haupt ganz persönlich in unser Buch hinein. Lettow ist es, der bewiesen hat, was auch der ganz auf sich allein gestellte deutsche Mensch in der Welt zu leisten vermag, und daß er zu verteidigen versteht, was er einmal gewonnen hat.

Paul von Lettow-Vorbeck ist am 20. März 1870 in Saarlouis als Sohn des Kompaniechefs Paul von Lettow-Vorbeck, späteren Generals, geboren. Während der Vater nach dem Kriege mit der Okkupationsarmee etliche Jahre in Frankreich blieb, wohnte die Mutter mit dem Kinde in der hinterpommerschen Heimat. Im Jahre 1874 wurde der Vater als Bataillonskommandeur nach Brandenburg versetzt, wo der [301] Knabe im Alter von fünf Jahren in eine Privatschule kam. Im Jahre 1877 mußte die Familie nach Königsberg in der Neumark übersiedeln, und schon im folgenden Jahre nach Berlin, wo der Vater den Landwehrregimentsbezirk erhielt und der Knabe auf das Französische Gymnasium eingeschult wurde. Nach wiederum zwei Jahren wurde der Vater Regimentskommandeur in Frankfurt a. d. O., und der Sohn besuchte hier das Gymnasium.

Endlich im Jahre 1881 kam Stetigkeit in die Entwicklung, denn der Knabe trat in das Kadettenkorps zu Potsdam ein und nach zwei Jahren in Lichterfelde. In Potsdam wurde er Leibpage beim Kronprinzen Friedrich Wilhelm, auch wirkte er als Thronpage am neunzigsten Geburtstage des alten Kaisers. Im Jahre 1888 bestand er in Lichterfelde mit allerhöchster Belobigung die Reifeprüfung. Die Schulleistungen waren gewöhnlich gut; Lieblingsfächer waren Geschichte, auch Erdkunde, worin er gerne Karten zeichnete, aber im Turnen war er nur mittelmäßig. Daß er Offizier werden würde, galt ihm wie auch der Familie von vornherein als selbstverständlich.

Im Februar 1888 trat er als Portepeefähnrich in das 4. Garderegiment zu Fuß ein und wurde im folgenden Jahre, wegen guter Prüfung ein Jahr vorpatentiert, zum Leutnant befördert. Unter Leitung seines Regimentskommandeurs, des im Weltkriege anfangs so vielgenannten K. von Bülow, konnte er sich trefflich in die Aufgaben der Taktik einarbeiten. Nachdem er die Kriegsakademie besucht hatte, wurde er 1899 zum Großen Generalstab kommandiert, wo er mehrere kleine Länder und auch die Kolonien zu bearbeiten hatte.

Im August 1900 trat der Oberleutnant von Lettow – nicht so sehr von einem Verlangen nach fremden Ländern getrieben, als vielmehr aus rein soldatischem Interesse – als Brigadeadjutant zu dem nach China abgehenden Expeditionskorps und wurde später Ordonnanzoffizier beim Oberkommando. Nachdem er in Peking den großen Brand des Kaiserpalastes erlebt hatte, trat er im April 1901 als Adjutant zur 1. Ostasiatischen Brigade. Zum ersten Male ins Feuer kam Lettow bei dem [302] nächtlichen Überfall auf einen Boxerort. Im August 1901 in die Heimat zurückgekehrt, wurde er Hauptmann und erhielt eine Kompanie im 3. Gardegrenadierregiment, das unter Befehl des Obersten Fritz von Below stand, eines guten Taktikers und späteren Armeeführers im Weltkriege. Wie Bülow, so hielt auch Below auf starke Initiative und Aktivität; aber hier besonders ging dem Hauptmann von Lettow ein Licht darüber auf, was eigentlich Kampf ist, und diese Schule hat er später in Ostafrika glänzend bewährt.

Im Jahre 1904 kam Lettow als Adjutant in das Oberkommando des Generals von Trotha, der in Peking sein Brigadekommandeur gewesen war und ihn jetzt dazu ermunterte, nach Deutsch-Südwestafrika in den Herero- und Hottentottenaufstand zu ziehen. Nach einem Jahre erhielt er eine Kompanie und führte sie im Süden des Schutzgebietes. Hier erhielt er bei Duurdrift im Januar 1906 einen Schuß ins linke Auge und war ein Vierteljahr lang blind, da die Entzündung auch auf das rechte übergriff. Auf einem Eselskarren wurde er eine Woche lang über Upington zur Eisenbahn und dann nach Kapstadt gefahren. Hier kam er in Behandlung eines deutschen Augenarztes, der ihn nach vierzehn Tagen für transportfähig erklärte. Über Daressalam und Tanga, wo er zum ersten Male Schauplätze seiner späteren Tätigkeit sah, fuhr er heim nach Deutschland.

Lettow hatte in Ostasien Truppen anderer Länder, namentlich auch englische, kennengelernt, in Südwest war ihm afrikanischer Kleinkrieg in Busch und Steppe vertraut geworden, und mit Buren und Negern wußte er jetzt auch umzugehen. Er brachte die Empfindung mit heim, ein tüchtiges Stück von der Welt gesehen und Weitblick erworben zu haben. Vor allem aber ließ er die Heimat auf sich wirken und wurde sich ihrer Schönheit und ihrer Bedeutung noch mehr als vorher bewußt.

Nachdem der Hauptmann von Lettow im Winter 1906/07 im Generalstabe in der französischen Abteilung tätig gewesen war, wurde er im Frühling 1907 als Major und Korpsadjutant zum 11. AK. nach Kassel versetzt. Auf zahlreichen Besich- [303] tigungsreisen des Generals von Scheffer-Boyadel konnte er hier sein kritisches Urteil durch Vergleich der verschiedenen Truppenteile entwickeln. Besonders aber lernte er viel Grundsätzliches über taktischen Einsatz der Truppe, Verwendung der Reserven und Führung des Gefechtes.

Von Frühling 1909 bis Ende 1913 kommandierte er in Wilhelmshaven das 2. Seebataillon – eine besondere Auszeichnung, da er dort eine ganz selbständige Stellung einnahm. Hierin fand seine innere Selbstheit große Befriedigung, freilich kam sein Wunsch nach höherer militärischer Fortbildung schließlich nicht ganz auf seine Rechnung. Dafür aber gewann er guten Einblick in die Kriegsmarine, nahm an vielen Fahrten teil und lernte die norwegische Fjordlandschaft kennen.

Im Oktober 1913 wurde Lettow durch A. K. O. zum Kommandeur der Schutztruppe für Kamerun ernannt, aber noch vor seiner Ausreise, nämlich im Dezember, wurde er zur Vertretung des beurlaubten Kommandeurs der Schutztruppe für Ostafrika kommandiert; die eigentliche Ernennung zum Kommandeur dieser Schutztruppe erfolgte erst im April 1914.

Die Drahtung des Kaisers über die Versetzung nach Ostafrika kam für Lettow völlig überraschend. Möglicherweise hatte er diese Auszeichnung dem damaligen Chef des Militärkabinetts, dem Grafen Hülsen-Haeseler, zu verdanken, den er selber übrigens nicht näher kannte. Wenn je eine Kommandierung, dann war diese am richtigen Platze.

In Deutsch-Ostafrika trat Oberstleutnant von Lettow eine Stellung an, in der er sich manches anders gedacht hatte. Wie alle zur Schutztruppe übergehenden Soldaten, hatte er aus dem Heeresdienst ausscheiden und unter Befehl des Oberkommandos der Schutztruppe im Reichskolonialamte treten müssen. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war nicht ein Soldat, sondern ein Zivilist, nämlich der Gouverneur, der Generalsrang bekleidete. Diese Unterstellung eines Kommandeurs unter eine Zivilperson mußte einem Soldaten von Lettows Selbständigkeitsgefühl unnatürlich erscheinen, und er bemühte sich sehr bald, über das Verhalten der Schutztruppe im Kriegsfall [304] in Berlin eine Klärung herbeizuführen. Die Mobilmachungsvorschriften, die Lettow vorfand, sahen eine im allgemeinen passive Verteidigung des Schutzgebietes vor, wobei die weit über das Riesengebiet verteilten einzelnen Kompanien in ihren Bezirken verbleiben sollten, da man mit Aufständen der Eingeborenen rechnete. Lettow hielt diese Pläne für verfehlt und schlug Zusammenziehung des größten Teiles der Truppe sowie angriffsweises Vorgehen vor, weil er das Schutzgebiet dadurch am besten glaubte sichern zu können. Der Gouverneur, der sich zunächst streng an die bestehenden Vorschriften der Mobilmachung hielt, lehnte Lettows Vorschläge ab. Hierauf suchte Lettow die Entscheidung des Reichskolonialamtes herbeizuführen, doch traf eine solche bis Kriegsausbruch nicht mehr ein. Aus dem Gegensatze zwischen den Ansichten des Gouverneurs und des Kommandeurs ergaben sich schwere Zerwürfnisse, welche die militärischen Entschließungen zu hemmen geeignet waren; aber seit der siegreichen Schlacht von Tanga hat der Gouverneur unmittelbare Eingriffe fast durchweg vermieden; der Papierkrieg freilich schlief selbst nach Überschreiten der portugiesischen Grenze nicht ein.

Im Januar 1914 in Daressalam eingetroffen, fand Lettow eine schwache Schutztruppe von nur 215 Weißen und 2540 farbigen Soldaten vor, die vorwiegend noch mit dem völlig veralteten, rauchstarken Einzelladegewehr Mod. 71 bewaffnet und wegen ihrer Verteilung über das riesige Gebiet in Bewegung größerer Verbände ganz ungeübt war; auch die ausschließlich auf den Eingeborenenkampf abgestellte Schießausbildung ließ viel zu wünschen übrig. Für grundlegende Veränderungen, wenigstens soweit sie über die Fragen eines Krieges mit den Eingeborenen hinausgingen, war der Gouverneur nicht leicht zu haben, da er an einen Krieg mit England, der an die Truppen ganz andere Anforderungen stellen mußte, nicht glaubte.

Es war dem Oberstleutnant von Lettow sehr wohl bewußt, daß in einem großen europäischen Kriege das Schicksal der deutschen Kolonien auf den dortigen Schlachtfeldern würde [305] entschieden werden, Ostafrika konnte nur die Rolle eines Nebenkriegsschauplatzes spielen. Aber er lebte der Ansicht, daß die Kolonie trotzdem tun müßte, was sie nur tun konnte, um dem Vaterlande in seiner gewaltigen Not einige Erleichterung zu verschaffen und um dem Feinde beim Friedensschlusse nicht als sichere Beute zu gehören. Für ihn gab es nicht die Frage: soll die Kolonie sich hübsch stillverhalten oder selber fechten, sondern nur die andere: durch welche Kampfmaßnahmen kann die Kolonie die europäische Entscheidung für Deutschland günstig beeinflussen, indem sie möglichst viele Feindtruppen auf sich zieht und ihnen Abbruch tut?

 
Der Heldenkampf Deutsch-Ostafrikas

Oberstleutnant von Lettow, der noch im Frieden auf der Nordbahn und auf der Zentralbahn einen leidlichen Einblick in Landschaft und Bevölkerung der Kolonie getan hatte und bis zum Tanganjika- und Njassasee gelangt war, gab sich über die Ungunst der militärgeographischen Lage keinem Zweifel hin. Es handelte sich um ein Gebiet von 995 000 qkm Fläche mit einer Umgrenzung von etwa 5000 km Luftlinie, wovon über 800 km auf die Küste und mindestens 700 km auf die Nordostgrenze, die beiden durch die Engländer am meisten gefährdeten Einfallspforten, entfielen. Würde Lettow – es sei als rein statistische Spielerei angeführt – die gesamte Grenze im August 1914 mit seinen Leuten haben besetzen wollen, so würde er auf jedem Kilometer Luftlinie einen Mann haben aufstellen können. Es würde ihm aber unmöglich geworden sein, diese Leute an einem besonders bedrängten Punkte der Grenze rasch zusammenzuziehen, denn dazu fehlte es an modernen Verkehrsmitteln. Es waren nur zwei Eisenbahnen vorhanden und wenig Kraftwagen. Die Nordbahn erschloß vom Hafen Tanga aus das fruchtbare, gesunde und dicht besiedelte, auch an europäischen Pflanzungen reiche Kilimandscharogebiet; ihr parallel und sie westwärts schon weit überflügelnd lief jenseits der Grenze die britische Ugandabahn. Die Zentralbahn erschloß das Innere der Kolonie und war bei Kriegsanfang grade bis zum [306] Tanganjikasee fertig geworden. Aber es fehlte eine Bahnverbindung zwischen beiden; die im Frieden hierfür Ersatz bietende Küstenschiffahrtslinie Daressalam–Tanga fiel natürlich im Kriege sofort aus, und die Karawanenstraße Morogoro–Korogwe zwischen beiden Bahnen stellte an Kraft und Zeit sehr starke Anforderungen. Trotzdem faßte Lettow den Entschluß, die Kolonie angriffsweise zu verteidigen, und als bestes Mittel hierzu sah er den Angriff auf Britisch-Ostafrika an, dessen Ugandabahn ein sehr empfindliches Angriffsziel bot. Der Gouverneur aber wies solche Ideen weit von sich und verhinderte, daß Lettow gleich von Anfang an seine Truppen im Kilimandscharogebiete zusammenzog; er gestattete nur, daß der Kommandeur die Mehrzahl der Kompanien in Pugi, westlich von Daressalam, aufstellte. Der Gouverneur wünschte, daß eine Beschießung der Küstenplätze durch die englische Flotte vermieden werde, und ließ sie deshalb räumen, doch wußte Lettow es schließlich durch schnelles Zugreifen zu verhindern, daß Daressalam und Tanga, d. h. die Kopfpunkte der beiden Bahnlinien, vom Feinde besetzt werden konnten.

Lettows Streitkräfte waren lächerlich gering. Die Schutztruppe hatte einen Bestand von 215 Weißen und 2540 farbigen Askari. Hierzu trat die Polizeitruppe, die, unter ziviler Verwaltung stehend, anfangs geringen Kampfwert hatte; sie zählte 45 Weiße und 2140 Farbige. Dazu kamen die Besatzungen der beiden Kriegsschiffe Königsberg und Möwe mit 424 Weißen sowie der Beurlaubtenstand und die Kriegsfreiwilligen der weißen Ansiedler. Die Höchstzahl betrug etwa 3000 Weiße und 11 000 Askari. Demgegenüber hat der Feind – Engländer, Belgier und später auch Portugiesen – insgesamt 33 Generale und 240 000 Mann aufgeboten! Die in Lettows Buche angegebenen viel höheren Feindzahlen beruhen auf Annahmen der Kriegszeit, sind aber inzwischen durch amtliche englische Veröffentlichungen richtiggestellt worden. Dadurch, daß er sehr häufig Ablösungen vornahm, hatte der Feind stets frische Truppen im Felde, während das deutsche Häuflein, das im November 1918 nur noch aus 155 Weißen und 1168 As- [307] kari bestand, den ganzen Krieg bei Hitze und Tropenregen, bei Malaria und Ruhr pausenlos durchzustehen hatte! Es scheint, daß der Feind sein Abenteuer mit rund 60 000 weißen und farbigen Toten, mit 40 000 verreckten Pferden und Maultieren und etlichen Milliarden Mark Kosten bezahlt hat. Würde England die deutsche Kolonie nicht angegriffen haben, dann hätte es an der Westfront oder in der Türkei erfolgreicher auftreten können. Es hatte sich das Picknick am wunderschönen Kilimandscharo wohl etwas leichter vorgestellt.

Die erste Kampfhandlung ging von England aus, indem zwei kleine Kreuzer am 8. August 1914 den Funkturm von Daressalam beschossen; als sie ihn nicht trafen, wurde er von der Zivilverwaltung selber gesprengt. Als Antwort auf die englische Geste drangen am 15. August mehrere Kompanien unter dem alten Kolonialhelden Hauptmann a. D. von Prince im Kilimandscharogebiete nach Tavete; Gouverneur Schnee stimmte der Verlegung der Hauptstreitkräfte nach Norden zu, so daß die Nordbahn ausreichend gesichert werden konnte.

Die erste Schlacht – neben Mahiva das erfolgreichste von mehr als tausend Gefechten – fand am 4. November 1914 in Tanga statt. Am 1. November erschienen zwei englische Kreuzer und 14 Transportdampfer in der Hafenbucht und begannen nach wenigen Tagen mindestens 8000 Mann zu landen. Lettow hatte aber schon mit der Nordbahn eine Anzahl Kompanien herangezogen und schob sie an den Ostrand der Stadt vor; freilich standen ihm nur ungefähr 1000 Mann zur Verfügung. Nach anfänglichem Erfolge wichen das Lancashireregiment und eine indische Brigade vor zwei Europäer- und einer Askarikompanie zurück. Und als Lettow nunmehr eine Kompanie umfassend auf die linke Flanke des Feindes ansetzte, da warf sich die ganze deutsche Front mit wildem Hurra auf den Feind, der in flankierendem MG.-Feuer in völliger Auflösung zu seinem Ausschiffungsplatze am Kap Kasone zurückfloh. Namentlich die indischen Regimenter hatten den Anforderungen eines Waldgefechtes in einbrechender Dämmerung nicht standgehalten. Die Engländer hatten gewiß über 1000 Tote, wir [308] zählten nur 16 Europäer und 48 Askari tot. Die Beute war groß – dies war für die von der Heimat abgeschnittene Truppe stets von höchster Wichtigkeit; so konnten 3 Kompanien sofort mit modernen Gewehren bewaffnet werden, und der Truppe fielen 600 000 Patronen in die Hände. Die Schutztruppe hatte ihre Feuertaufe bestanden, und jeder ihrer Angehörigen fühlte sich fortan als alter Krieger, dem solch ein Feind nicht mehr imponieren konnte. Lettow selber hatte sich zum ersten Male als Truppenführer bewährt, die Leute begannen mit Vertrauen zu ihm aufzusehen, und auch dem Gouverneur gegenüber hatte er fortan leichteres Spiel.

Der Angriff auf Tanga war übrigens keine vereinzelte Kampfhandlung der Engländer, sondern nur ein Teil von auch am Longidoberge und am Viktoriasee einsetzenden Angriffen. Von jetzt an fanden an der Nordgrenze zahlreiche Unternehmungen statt, die meistens erfolgreich waren. Im Januar 1915 nahm Lettow, trotz Abratens wegen anfänglich hoher Verluste, das stark befestigte Jassini in der Nordostecke der Kolonie, aber er zog hieraus doch die Lehre, daß er mit seinen Kräften haushalten und größeren Gefahren ausweichen müsse. So beschloß er, mehr den Kleinkrieg zu pflegen und dem Feinde durch Patrouillen Schaden zuzufügen. Er wandte sein Augenmerk jetzt auch den Versuchen zu, die fehlende Einfuhr durch neue Industrien zu ersetzen. Er führte Spinnerei und Weberei ein, für welche die einheimische Baumwolle und auch andere Faserpflanzen den Rohstoff und die Baumwurzel Ndaa die Farbe liefern mußten. Das Pflanzengummi wurde durch Schwefelzusatz vulkanisiert und zur Bereifung von Kraftwagen und Fahrrädern verwertet. Aus Kokos wurde ein benzolähnliches Treibmittel namens Trebol hergestellt, für Schuhwerk gab es genügend Vieh- und Wildhäute, deren Gerbstoff den Mangroven der Küste entnommen wurde. Korn und Gemüse, Butter und Käse, Wurst- und Räucherwaren wurden geliefert. Sogar Kinin lernte man aus Kinarindenbäumen des Nordens anzufertigen, denn ohne solches hätten die Europäer die lange Kriegszeit gesundheitlich nicht durchhalten können.

[309] Trotz manchem günstigen Gefechte – das bei Makatau am 14. Juli 1915 lieferte wieder reiche Beute, die eine feindliche Brigade zurückließ – mußte Lettow aber vom August an seine Bestände langsam auf der Nordbahn abtransportieren, da ein englischer Großangriff an mehreren Stellen der Nordgrenze drohte. Immerhin erreichte die Stärke der Schutztruppe Ende 1915 ihren höchsten Stand mit 3000 Europäern und 11 300 Askari in 60 Kompanien.

Aber was half das alles gegen die feindliche Übermacht! [310] Stets mußte Lettow in Sorge sein, daß der Feind irgendwo bis an die Nordbahn vorstieß und damit die Verbindung zur Küste abschnitt. Um sich gegen die beiden vom Longidoberge und von Makatau heranmarschierenden Gruppen zu halten, sah er nur die Möglichkeit, über jede einzeln herzufallen und zu versuchen, sie zurückzudrängen; er hoffte, daß es ihm dank der unverkennbar ungewandten feindlichen Führung gelingen würde. Bei Reata glückte dieser Plan am 11. März 1916, so daß der Feind nach einem sehr blutigen Nachtgefecht im Busch auf Tavete zurückwich. Trotzdem aber mußte Lettow seine Stellung räumen, weil ihm die vom Longido vorgehende Division in den Rücken kam. Auch gegenüber der anderen Feindgruppe, die vom Longido heranrückte, mußte zurückgegangen werden, hierdurch aber wurde dem Feinde der Karawanenweg von Aruscha nach Süden freigegeben. Um hier die Zentralbahn zu sichern, mußte Lettow den Hauptteil seiner Kräfte, 17 Kompanien, jetzt nach Süden werfen und im Mai 1916 gegen Kondoa-Irangi führen.

Doch jetzt im Sommer 1916 rückten feindliche Streitkräfte von Westen, Südwesten und Nordwesten gegen Tabora heran, und auch gegen die nur noch schwach besetzte Nordbahn fühlte der Feind vor. Lettow erkannte rechtzeitig, daß er vor solcher konzentrisch auf ihn zukriechenden Übermacht nach Süden ausbiegen müsse, etwa in den wegen seiner Zerrissenheit für Kleinkrieg günstigen Raum von Mehange. Vorher aber mußte er versuchen, die an der Zentralbahn aufgestapelten Lagerbestände gegen den an der Nordbahn vorrückenden Feind zu schützen und ihren Abtransport nach Süden zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke beließ er vor Kondoa nur 5 Kompanien und warf seine Hauptkräfte in die Gegend von Morogoro. Jene schwache Truppe wurde von der Division des Generals van Deventer bald südwärts gedrängt, so daß der Feind am 31. Juli 1916 bei Dodoma die Zentralbahn erreichte. Lettow selber vermochte sich gegen den von der Nordbahn anrückenden General Smuts ebenfalls nicht auf die Dauer zu halten, zumal Deventer von Westen nachdrückte und im Osten Bagamojo besetzt [311] wurde. Nach verschiedenen Rückzugsgefechten bezog Lettow bei Kissaki Stellung, um hier möglichst lange Widerstand zu leisten, und schlug hier am 7. September 1916 Teile der Division des Generals Brits, die ihn umfassend angriffen, dabei aber selber in eine geschickt gestellte Zange gerieten. Und schon am folgenden Tage schlug er eine andere von Norden heranrückende Brigade vollständig.

Hierauf bezog er weiter südwärts im Gebiete Kiderengwa für mehrere Monate ein befestigtes Lager. Der weit ausholenden konzentrischen Bewegung des Feindes war er geschickt entschlüpft. Als General Smuts ihn jetzt aufforderte, sich zu ergeben, wußte Lettow, daß der Feind am Ende seines Könnens und seiner Kräfte war.

Lettow benutzte die Ermattung des Gegners, nun mit der Haupttruppe zum unteren Rufidschi zu marschieren, um sich dieses wichtige Verpflegsgebiet zu sichern. Hier brachte er in die Etappe Schwung, ließ Nahrungsmittelpflanzen aussäen, um sich für weiteres Ausweichen nach Süden zu verproviantieren, stieß etliche tausend Träger und Arbeiter sowie zahlreiche Europäerboys als unnütze Esser ab und setzte schließlich, zum Mißvergnügen mancher Leute, die Verpflegssätze herunter, ein grade Farbigen gegenüber nicht unbedenkliches Verfahren. Für wie wichtig er diese Sparmaßnahmen ansah, zeigt sich daran, daß er eigenhändig von Tag zu Tag die Bestände der Magazine notierte.

Im Sommer 1917 verschob er Teile der Truppe südwärts in das reiche Verpflegsgebiet von Lindi und hatte eine Anzahl glücklicher Gefechte. Am 18. Oktober 1917 schlug er in viertägigem Gefechte die vierfach überlegene Division des Generals Beves bei Mahiva vollständig. In diesem neben Tanga glänzendsten Siege Lettows verloren die Engländer weit über 1500 Tote, während er selber nur 14 weiße und 81 schwarze Gefallene hatte. Wegen anderweitiger Bedrohung von Süden her vermochte er den Sieg leider nicht auszunützen. Ja, er mußte sofort nach Lukuledi marschieren, um dort zu fechten. Anfang November 1917 stand Lettow bei Chiwata, im Besitz [312] von nur noch 400 000 Patronen für 2500 Gewehre und 50 Maschinengewehre, die grade für ein ernsthaftes Gefecht einigermaßen ausreichten. Und dabei rückte der Feind von Norden, Westen und Süden heran! Nochmals setzte er die Kopfzahl der Weißen und Farbigen herab, so daß er von ersteren nur noch 300, von letzteren 1700 bei sich behielt.

Es blieb nichts anderes übrig, als jetzt auf portugiesisches Gebiet, das sich ja auch im Kriege mit Deutschland befand, überzutreten. Hier fehlten natürlich alle festen Magazine sowie jeder Nachschub, und die verfügbaren Karten waren ganz schlecht. Aber für eine entschlossene kleine Truppe gab es dort mehr Bewegungsfreiheit gegenüber einem schwerfällig operierenden Feinde, so daß sich allerhand taktische Erfolge würden ableiten lassen. Der weite Raum mußte auch Gelegenheit bieten, überlegenem Feinde leichter auszuweichen. Schließlich mußten die portugiesischen Lager hinreichend Waffen und Schießbedarf liefern können, wenn man sie energisch angriff. Noch einen Vorteil ersah er aus dem Übertritt auf das Portugiesische: dort hatte die oberste Befehlsgewalt des Gouverneurs, der bei der Truppe war, ein Ende, so daß Lettow vollständig unumschränkt befehlen konnte.

Am 25. November 1917 überschritt Lettow – zur Enttäuschung des Generals van Deventer – mit 300 Weißen, 1700 Askari und 3000 schwarzen Trägern den Grenzfluß Rovuma. Drüben erstürmte er sofort das befestigte portugiesische Lager Ngomano, das viele Gewehre und eine Viertelmillion Patronen lieferte. Sehr bald nahm er noch drei andere portugiesische Lager. Verpflegung suchend, marschierte er den Lujendafluß aufwärts, gelegentlich mit dem Feinde fechtend, der zu Beginn des Jahres 1918 anfing, zersetzende Propaganda unter den Farbigen der Truppe zu treiben, die sich jetzt fern der Heimat recht verlassen fühlten, so daß verschiedentlich Desertionen vorkamen.

Um sich erneut drohender Einkreisung zu entziehen, wich Lettow nach Osten aus und sicherte dadurch der Truppe etliche Wochen Ruhe. Einer im Mai 1918 bevorstehenden Einschließung [313] von Westen und Osten her entzog er sich dadurch, daß er sich auf die westliche Gruppe warf und sie am Kirekaberge so entscheidend schlug, daß sie sich zurückzog. Auf dem Weitermarsche gegen Süden wurden jetzt von Zeit zu Zeit Kranke und Verwundete unter ärztlicher Aufsicht zurückgelassen, deren sich dann der nachrückende Feind annehmen mußte; die eigenen Transportmittel reichten nicht mehr aus. Anfang Juli 1918 nahm Lettow den portugiesischen Platz Kokosani und erreichte damit seinen südlichsten Punkt, schon nicht mehr weit vom Sambesi entfernt; hier erbeutete er große Munitionsvorräte, viele Waffen und reichlich Verpflegung; leider besaß er zu wenig Träger.

Jetzt wandte er sich Anfang Juli nordostwärts in Richtung Mosambik, um den Feind für den Verlust dieses wichtigen Hafenplatzes besorgt zu machen und von seinem wirklich geplanten Wege zurück nach Norden abzulenken. Deshalb bog er, von drei feindlichen Kolonnen bedroht, am 7. August hinter Chalou westwärts, nahm den Engländern in Numarroe gute Beute ab und rückte dann wieder gen Norden, mehrfach von feindlichen Truppen bedrängt. Er zog jetzt durch die Gebiete östlich des Njassasees möglichst schnell hindurch, da sie nur wenig Verpflegung lieferten und da der Feind auf dem Njassasee Truppen nach Norden beförderte, um ihm dort den Weg abzuschneiden. Die Truppe war jetzt auf 176 Weiße und 1487 Askari zusammengeschmolzen, von denen viele an Lungenseuche und Luftröhrenkatarrh litten.

Am 28. September 1918 überschritt Lettow abermals den Rovuma und betrat wieder den Boden Deutsch-Ostafrikas. Von Westen her durch Engländer angegriffen, holte er weit nordwärts um das Nordende des Njassasees aus und marschierte dann mitten zwischen Njassa- und Tanganjikasee gen Südwesten auf das Gebiet von Britisch-Rhodesien, jetzt schon sehr bemüht, größere Gefechte zu vermeiden.

Am 9. November nahm er noch den Ort Kasema und war auf dem Weitermarsche zum Sambesiflusse begriffen, als ihn am 13. November 1918 die Nachricht vom Waffenstillstand in Frankreich erreichte. Und kurz darauf erhielt Lettow [314] ein Schreiben des Generals van Deventer, daß in dem Waffenstillstand bedingungslose Übergabe aller in Ostafrika fechtenden Truppen einbegriffen sei. Deventer verlangte im Siegertone sofortige Freigabe der englischen Gefangenen und den Abmarsch der Schutztruppe nach dem unweit vom Südende des Tanganjikasees gelegenen Orte Abercorn, wo sie die Waffen abliefern sollten. Lettow fügte sich in die Notlage des Vaterlandes und erkannte, daß er sich in die Bedingungen werde schicken müssen. Am 14. November sandte er dem Kaiser eine Drahtnachricht, daß er entsprechend verfahren werde, hörte dann aber, daß in der Heimat Revolution ausgebrochen sei und der Kaiser abgedankt habe. Allein monatelang hat er diese Ungeheuerlichkeit nicht glauben wollen und erst auf der Rückreise sich darein gefunden.

Die Schutztruppe wurde auf dem Tanganjikasee zur Zentralbahn und dann auf dieser ostwärts gebracht. Die Weißen kamen nach Daressalam hinter Stacheldraht, die Askari wurden anderswo interniert.

Die Stärke der Truppe in Abercorn bei der Waffenabgabe am 25. November 1918 betrug: 155 Europäer, 1168 Askari und 3000 andere Farbige. Die Zahl der abgegebenen Waffen belief sich auf: 1 portugiesisches Geschütz, 37 Maschinengewehre, worunter nur noch 7 deutsche, 1071 Gewehre ausschließlich englischer und portugiesischer Herkunft sowie 208 000 Patronen und 40 Schuß Artilleriemunition. Lettow meint, er hätte den Krieg noch wenigstens ein Jahr lang fortsetzen können.

Am 17. Januar 1919, am gleichen Tage, an dem er fünf Jahre vorher hier gelandet war, konnte der Generalmajor von Lettow auf einem von den Engländern gestohlenen deutschen Dampfer die Heimkehr über Kapstadt und Rotterdam antreten, wo er Ende Februar eintraf. —

Lettow heiratete gleich nach der Heimkehr, trat in die Reichswehr über, stellte eine Freiwilligendivision auf und warf im Juni 1919 den in Hamburg ausgebrochenen Kommunistenaufstand nieder. Im März 1920 nahm er am Kapp-Putsch teil und siegte zu Schwerin in Straßenkämpfen über die Gegner. [315] Infolgedessen erhielt er im Mai des gleichen Jahres den Abschied.

Er zog sich dann auf das Gut Nieder-Görne in der Altmark zurück, das einem Freunde gehörte. Da das Vermögen von der Inflation verschlungen war und die Pension verspätet und entwertet ausgezahlt wurde, so fand sich der im Anfang der fünfziger Jahre stehende General einer verzweifelten Lage gegenüber. Aber er war nicht der Mann dazu, den Mut sinken zu lassen, sondern fühlte sich frisch und willensstark genug, sein Leben auf neue Füße zu stellen.

Bremer Freunde luden ihn 1923 ein, nach Bremen zu übersiedeln, und bauten ihm dort ein Haus, das er später für ein Ei und ein Butterbrot erwerben konnte. Dann ging der Verteidiger Deutsch-Ostafrikas zum Bremer Bank-Verein und lernte von der Pike auf, bis er nach einem halben Jahre Abteilungschef wurde. Aber im Frühling 1924 bot sich etwas Besseres, er trat in die Großhandelsfirma Konrad Keller, wo er die Filialen einer weiten Umgegend bearbeitete.

Im Jahre 1928 stellte der Wahlkreis München-Angsburg ihn als Kandidaten für den Reichstag auf, weshalb Lettow aus jener Firma austrat. Er gehörte dem Reichstage bis zu dessen Auflösung 1930 an. Seine Tätigkeit galt in jenen Jahren der Politik, der Erneuerung Deutschlands aus nationalem Geiste heraus.

Seit 1930 lebt Lettow in Bremen, von seinen Mitbürgern hochgeehrt, und beschäftigt sich mit kolonialen Fragen.

 
Das Charakterbild

General von Lettow ist nicht nur der tüchtige afrikanische Soldat wie Major von Wissmann, sondern er ist der große afrikanische Feldherr, unser größter afrikanischer Feldherr und, wir möchten das hier ungescheut aussprechen, seit Bonaparte der bedeutendste Feldherr auf afrikanischem Boden überhaupt. Kitchener ist gar nicht mit ihm zu vergleichen, denn seine Erfolge führen nicht auf höhere Strategie und auf Kampf gegen Übermacht zurück, sondern lediglich auf die schwerfällige Lösung einer militärischen Organisationsaufgabe [316] gegen einen sowohl im Mahdi- wie im Burenkriege nach Zahl und Bewaffnung weit unterlegenen Feind. Nie hat ein Feldherr in Afrika mit so wenigen und so schlecht ausgerüsteten Truppen und unter so ungünstigen Verhältnissen gegen konzentrisch auf ihn eindringende Übermacht kämpfen müssen wie Lettow, dem aus der Heimat fast nichts zukam. Das Stärkeverhältnis zum Feinde war im Durchschnitte das von einer oder zwei Kompanien zu einer Brigade. Aber er verstand den Gegner psychologisch ausgezeichnet einzuschätzen, und er stellte dessen ungewandtem Operationsdilettantismus seine eigene strategische Meisterschaft, seine Gabe des Erkennens und blitzschnellen Ausnutzens gegebener Lagen sowie seinen rücksichtslos stürmischen Angriffswillen entgegen. Während der Feind weitausholende langsame Umgehungsmanöver in Gang brachte, vermochte Lettow sich sofort auf neue Lagen umzustellen und ihre sich bietenden Möglichkeiten zu durchdenken. Stets handelte er, bevor es dem Gegner gelungen war, seine aus verschiedenen Richtungen heranmarschierenden Abteilungen zu vereinigen, warf sich auf eine von ihnen, schlug sie und öffnete sich auf diese Weise in letzter Minute einen Ausweg. Die erfolgreiche Verteidigung Deutsch-Ostafrikas war einzig und allein das Werk dieses seltenen Mannes.

Paul von Lettow stammt sowohl in väterlicher wie in mütterlicher Reihe aus altem pommerschen Adel, und zwar vorwiegend aus der Gegend von Naugard. Die Lettows sind um 1300 mit dem Deutschen Ritterorden aus Mähren gekommen; sie können ihre Abstammung urkundlich bis auf die Zeit von 1200 zurückführen. Später waren sie Gutsbesitzer, denen es aber zeitweise nicht gut ging, bis sie durch die preußischen Könige wieder zu Wohlstand gelangten. Seitdem waren sie meistens Offiziere; einer, der sich in den Schlesischen Kriegen ausgezeichnet hatte, gehörte als Flügeladjutant des Großen Königs sogar dessen Tafelrunde an. In jener Zeit erhielt die Familie zu Naugard in Pommern neuen Landbesitz. Infolge von Heirat ist unter den Vorfahren des Generals so ziemlich der ganze pommersche Adel vertreten. Was die Vorbecks an- [317] langt, so sind sie schon im 14. Jahrhundert ausgestorben, die letzte Vorbeck heiratete damals einen Lettow. Die mütterliche Familie des Generals sind die Eisenhart-Rothe. Die Eisenharts können ihre Herkunft vielleicht auch auf Österreich zurückführen; Ende des 18. Jahrhunderts erhielt einer von ihnen als Polizeipräsident von Berlin den Adel; sein Sohn wurde Offizier und heiratete eine von Rothe.

Paul von Lettow-Vorbeck
[zwischen S. 304 u. 305]      Paul von Lettow-Vorbeck
Lettow selber ist ein hochgewachsener, gut gebauter Mann von noch heute blendender militärischer Erscheinung, ganz das Vorbild eines nordrassischen preußischen Offiziers. Kopf und Gesicht sind ziemlich lang, das Hinterhaupt ausladend, der Nasenrücken ganz leicht gebogen, was neben den großen blauen Augen, die noch jetzt von Kühnheit blitzen können, einen besonders unternehmenden Eindruck macht. Ein Beobachter der Kriegszeit berichtet, seine leuchtenden Augen hatten öfters einen mehr fragenden als energischen Ausdruck gezeigt, aber das gilt wohl mehr von Stunden der Überanstrengung. Der Gesamteindruck ist der eines groß und klar gezeichneten Gesichtes, das früher vom Ausgriff in die Weite beherrscht wurde und heute bei dem ungebeugten Siebziger abgeklärte Festigkeit und Ruhe atmet. Wer genauer hinblickt, wird in den Augenwinkeln den Schalk blinken sehen.

Die Gefühligkeit dieses Mannes ist rein, tief und stark, sein Wesen schlicht und einfach, sein Familiensinn ganz ausgesprochen. So streng er aus Pflichtgefühl im Dienst und in den Anforderungen des Feldes war, stets scharf durchgreifend, so sah er seine Soldaten doch mit einer Art Liebe an und konnte ganz kameradschaftlich zu ihnen sein. In dem letzten Kriegsjahre tat es ihm von Herzen leid, wenn er jetzt öfters gedrückt und wenig rücksichtsvoll gegen seine Umgebung war. Dabei steht er unverbrüchlich zu jedem, den er seiner Freundschaft gewürdigt hat. Soviel er auch von anderen verlangte, am meisten verlangte er von sich selber. Schlemmerei gab es bei ihm nicht, und seine Kleidung im Felde unterschied sich in Einfachheit, um nicht zu sagen Schäbigkeit in nichts von der seiner Soldaten. Er ist ein Mann von vollendet ritterlicher [318] Gesinnung, und er hat diese auch dem Feinde gegenüber oft genug bewiesen. Selbst der Feind hatte dies erkannt, und es ist ein Beweis für Lettows Ansehen, daß der aus bremischer Familie stammende englische Captain Meinertzhagen in Ostafrika zwölfmal auf ihn angelegt, aber nie auf ihn abgedrückt hat; als der Schreiber dieser Zeilen bei Lettow in Bremen weilte, kam grade der jetzige Colonel Meinertzhagen zu ihm zu Besuch. Auf dem Boden einer so graden und ehrlichen Gefühligkeit wächst auch ein nicht geringer Humor. Neben Lettows Ritterlichkeit spielt sein Humor eine Rolle. Der erfaßt das Absonderliche einer Lage und gibt sich dem Lachen darüber hin, bringt sich aber nur maßvoll zum Ausdruck. In Ostafrika verzeichnete er bei sich mit stillem Schmunzeln manchen komischen Vorfall, vielleicht ohne daß er selbst seiner nächsten Umgebung sich erschloß. So vernahm er, ohne ein Wort dazu zu sagen, auf den unablässigen, ins Endlose führenden Märschen in Portugiesisch-Ostafrika den Klageruf eines seiner Herren: "Geht es denn noch immer weiter? Der Kerl stammt wohl von einer Landbriefträgerfamilie?" Seine Frau verriet dem Schreiber dieser Zeilen, daß er sehr gern und gar nicht schlecht Karikaturen zeichnet und sogar die Verse dazu macht.

Lettows Willenhaftigkeit wurzelt in dem Boden einer starken Ichheit und deren Pflichtbewußsein gegenüber seinem Vaterlande. Dieser Mann, dessen Persönlichkeit früh in sich selber gesammelt und um ihren Lebensgang nie einen Augenblick im Zweifel war, dieser Mann, der im ostafrikanischen Kriege oft und allein stundenweite Wege machte, so daß seine Umgebung in schwerer Sorge schwebte – dieser Mann lebte nur der Aufgabe, seinem Vaterlande nach Kräften zu dienen. Als der ihm vorgesetzte Gouverneur Handlungen forderte, die unserem Lettow nicht richtig zu sein schienen, da geriet er in schwere Gewissenskämpfe, denn er sagte sich, daß der Gouverneur zwar die formale Verantwortung habe, daß aber das Vaterland schließlich doch ihm als dem führenden Soldaten die moralische Verantwortung auferlegen werde. Und vielleicht war Lettow als verantwortungsbewußte Persönlichkeit [319] – außer bei Tanga, wo er gegen den ausdrücklichen und mehrfach wiederholten Befehl des Gouverneurs handelte – nie größer als in dem Augenblicke, da er auf portugiesisches Gebiet übertrat und sich hier sofort von der Befehlsgewalt seines Vorgesetzten frei wußte und auch sogleich danach verfuhr.

Weitere Kennzeichen von Lettows Willenhaftigkeit sind sein Mut, seine Beharrlichkeit und seine Entschlußfähigkeit. Sein persönlicher Mut war über jeden Verdacht erhaben, wie schon seine schwere Verwundung in Südwest und mehrere Verwundungen in Ostafrika beweisen. Um sich über eine Gegend und über die Aufstellung des Feindes zu unterrichten, ging er sehr oft selber Patrouille. Unmittelbar vor der Schlacht von Tanga wagte er sich mit nur zwei Begleitern auf Fahrrädern bei heller Mondnacht in die verlassene Stadt, die soeben von den Kompanien geräumt worden war. Als er am Hafen festgestellt hatte, daß die dicht vor ihm liegenden englischen Troßschiffe Anstalten zum Ausschiffen der Landungstruppen trafen, gab er den Kompanien sofort Befehl, wieder in die Stadt einzurücken.

Lettows Beharrlichkeit hing mit seinem ausgeprägten Selbstbewußtsein und seinem unzerstörbaren Optimismus zusammen. In ihm, vielleicht nur im Unterbewußten, lebte die Vorstellung, daß er jeder Gefahr Trotz zu bieten vermöge, und er ließ nie die Überzeugung fallen, daß der Krieg für Deutschland gut auslaufen werde; manche in seiner Umgebung waren sich nicht klar darüber, ob dieser Optimismus Überzeugung oder nur eine Maßnahme zur Ermutigung der Truppe war. Jedenfalls pflanzte Lettow seiner Truppe schon innerhalb des ersten Jahres und mit dem Siege von Tanga beginnend ein Gefühl der Unbesiegbarkeit ein. Mit nicht unterzukriegender Zähigkeit verfolgte er stets sein Ziel. Im Gefecht von Jassini Mitte November 1914 brach er trotz allem Zureden seiner Umgebung nicht ab, sondern hielt noch die ganze Nacht und den andern Morgen durch, worauf der Feind die weiße Fahne zeigte. Im März 1918 konnte Lettow, dessen linkes Auge ja schon von [320] Südwest her ziemlich ausfiel, wegen einer Verletzung auch mit dem rechten eine Zeitlang sehr schlecht sehen, trotzdem aber ließ er nicht nach, seine Tätigkeit als Feldherr voll aufrechtzuerhalten. Und noch im November 1918 war er überzeugt, mindestens noch ein Jahr lang Krieg führen zu können. Das Schicksal stellte schier übermenschliche Anforderungen an seine Willenskraft, er sah zuletzt oft abgespannt aus, aber seine Augen blitzten in alter Lebendigkeit. Kaltblütig auch in allerschwierigsten Lagen, niemals den Kopf verlierend, trotzte er dem Schicksal, und wie er von der Truppe Äußerstes forderte, so forderte er auch von sich die allerletzte Hingabe. Selber bedürfnislos und einsatzbereit, nahm er auf schwache Gefühlsregungen anderer keinerlei Rücksicht. Was er einmal als richtig und notwendig erkannt hatte, das mußte unbedingt, und zwar sofort durchgeführt werden. Im Winter 1916/17 setzte er es durch Entlassung überflüssiger Esser und durch empfindliche Verminderung der Rationen durch, daß die sehr bescheidenen Verpflegungsvorräte derart gestreckt wurden, daß sie reichten. Kaltblütig eine Lage ins Auge fassend und schnell entschlossen zum Eingreifen, kam ihm oft eine sehr erfinderische Ader zur Hilfe. Selbst im kleinsten sann er viel auf Aushilfen. So z. B. kam er im Anfang 1917 durch einen Zufall darauf, unreife Maiskörner notzutrocknen und zu Mehl zu verarbeiten, wodurch die schwierige Zeit bis zur Ernte überbrückt werden konnte. Im Frühling 1917 machte er in Ermangelung von Mehl eigenhändig Backversuche mit verschiedenen Früchten, und als Stiefelnot in Sicht war, da erprobte er, barfuß zu gehen und ließ sich im Anfertigen von Schuhen sowie im Gerben von Leder unterweisen.

Mit dem Verhältnis zwischen Führer und Truppe scheint es folgendermaßen bestellt gewesen zu sein. Für die Farbigen war er der unfehlbare Allerhöchste, der Kriegsgott schlechthin. Bei den Weißen war er nicht sonderlich beliebt, denn sie fürchteten seine Rücksichtslosigkeit, seine Härte und Strenge. Zeitweise war Lettow sogar der bestgehaßte Mann in der Kolonie. Einsam stand er allen anderen gegenüber, in stolzer Unerbittlichkeit [321] und in heldischer Pflichtauffassung, die keinerlei Kompromiß kannte. Je länger der Krieg dauerte und je offenkundiger Lettows Unnachgiebigkeit wurde, um so einsamer wurde dieser Mann, der von niemandem Zuspruch forderte, von niemandem Rat annahm. Zuletzt waren ihrer wohl nur noch wenige, die für den Höhenflug seines Wollens und für die Ausschließlichkeit seines Handelns Verständnis aufzubringen und mit ihm Schritt zu halten vermochten. Er war für die Masse zu groß, als daß sie ihn hätte lieben, und er war ihr doch gleichzeitig zu nahe, als daß sie ihn hätte vergöttern können.

Dieser dem Reiten und besonders der Jagd hingegebene Mann, in dem die Jagdleidenschaft heute mit siebzig Jahren womöglich noch zunimmt, dieser kühne und kaltblütige Tatmensch ist in seiner Geistigkeit durch seine militärischen Belange bestimmt. Gewiß, er liest gern geschichtliche, militärische und politische Bücher, aber für Romane und Theater hat er nichts übrig. Sein Kriegsbuch Meine Erinnerungen aus Ostafrika, 1920 erschienen, ist knapp, sachlich und klar gehalten, unzweifelhaft bestrebt, die Geschehnisse in schlichter Wahrhaftigkeit darzustellen. Es zeichnet in nüchternen Umrißlinien, kennt aber keine eindrucksvollen, leidenschaftlichen Farben. Und doch fühlt man dahinter die mächtige nationale Bewegtheit seines allertiefsten Empfindens, das der preußische Offizier hinter gelassener Haltung verbirgt.

Denn dieser Mann ist Soldat und nur Soldat. Die Dinge der Welt haben im Grunde bloß soweit Interesse für ihn, wie sie seinem Verlangen entgegenkommen, dem Vaterlande mit seinem militärischen Können zu dienen. In diesen Gesichtswinkel ordnet sich ihm alles ein, oft wohl ohne daß er es planmäßig will. Er ist z. B. ein guter Beobachter der Negerseele geworden, wahrscheinlich nicht weil er sich für Psychologie interessiert, sondern weil er als Verteidiger einer Kolonie sie kennen mußte. Sein Verfahren ist auch hier klar und im Grunde einfach: seine Erfahrungen mit dem kriegerischen Sinne der Hereros übertrug er auch auf die Ostafrikaner, weil sie ebenfalls Bantus seien, und behielt mit dieser Auffassung gegen- [322] über anfänglichen Warnungen alter Ostafrikaner recht. Aber auch die Psychologie des Gegners erkannte er sicher und setzte sie in seine militärischen Erwägungen als Größe ein. Noch vom Boxerkriege her mit der Schwerfälligkeit englischer Truppenbewegung und Gefechtsführung bekannt, vermochte er schon bei Tanga und dann auch westlich von Tavete im März 1916 erfolgreich damit zu rechnen; auch sein glänzender Sieg bei Mahiva am 18. Oktober 1917 gelang nur dadurch, daß Lettow die ihm schon von Reata her bekannte Taktik, frontal und in immer neuen Wellen anzugreifen, dahin ausnutzte, daß er den Feind sich verbluten ließ.

Lettow hatte bei seiner Verteidigung Deutsch-Ostafrikas gegen gewaltige Überlegenheit des Feindes mit großer Unzulänglichkeit der eigenen Macht- und Hilfsmittel zu kämpfen. Der Feind hatte eigentlich stets eine acht- bis zehnfache oder noch größere Übermacht, dazu eine durchaus moderne und im Laufe des Krieges immer mehr verbesserte Bewaffnung, und er vermochte stets mit frischen, ausgeruhten sowie gut ernährten und gekleideten Kräften zu operieren; viele seiner Truppenteile hatten sogar den neuzeitlichen Krieg an der Westfront kennengelernt. Er verfügte nicht nur durchweg über rauchlose Mehrladegewehre und überlegene Artillerie, sondern auch über Handgranaten, über Minenwerfer, über Panzerautos und Kavallerie, über Flieger zur Aufklärung und zum Bombenabwurf sowie über große Kraftwagenkolonnen für den Nachschub, natürlich auch über sehr gutes Sanitätswesen. Wie ärmlich war demgegenüber die Ausrüstung der kleinen deutschen Truppe, die von einem Gefecht ins andere, von einem Buschmarsch in den nächsten, von einem Malariaanfall in den folgenden stürzen mußte. Der rauchstarke 71er-Einzellader erlaubte keine hohe Feuergeschwindigkeit und verriet durch seine Wolke den Standort des Schützen, während moderne Gewehre anfangs in der Minderzahl waren, und von Geschützen nur eine lächerlich kleine Zahl vorhanden war. Andere Waffen aber fehlten vollkommen, es fehlte auch jede Kenntnis des modernen Krieges, wie er sich auf den europäischen Schlachtfeldern entwickelte; [323] aber Lettow verzagte nicht, die fehlenden Gewehre und Patronen hatte eben der Feind zu liefen. Selbst an guten Karten war Mangel, und für das portugiesische Gebiet fand man nur solche kleinen Maßstabes, so daß die Topographie einer für Kampfhandlungen in Aussicht genommenen Gegend gewöhnlich erst, nicht selten durch Lettow persönlich, erkundet werden mußte.

Lettows Verbündete waren der weite Raum, der ihm häufiges Ausweichen vor drohender Umklammerung ermöglichte, und die operative Schwerfälligkeit, um nicht zu sagen Unbehilflichkeit des Feindes. Mit beiden rechnend, wußte seine kühne Besonnenheit, sein Blick für strategische Lagen und seine Fähigkeit, sich in Neues hineinzufinden, aller seiner Feinde Herr zu werden. Der Gegner operierte stets mit weitausholenden Umgehungen, die den deutschen General von mehreren Seiten her einkreisen sollten; anscheinend hoffte er, der General werde ihm den Gefallen tun, in irgendeiner Stellung auf die Vereinigung der verschiedenen Kolonnen zu warten, um sich von ihnen zerdrücken zu lassen. Lettow aber erkannte diese Manöver sehr schnell und entzog sich stets geschickt der gefährlichen Umflügelung, indem er sich entweder auf eine der Kolonnen warf und sie schlug oder indem er einfach entschlüpfte. Die Lage am Kilimandscharo im Frühling 1916 war das erste Schulbeispiel dafür, indem er seine Kräfte gegen die von Ost und West heranrückenden Feinde nicht zersplitterte, sondern nacheinander gegen sie focht. Wie mancher andere hätte seine ohnehin schon schwachen Kräfte zweigeteilt und wäre sicher geschlagen worden, oder aber er wäre einfach auf der Nordbahn abgezogen. Und im August/September 1916 ließ er sich durch den von West und Ost heranrückenden Gegner nicht in Gegend Morogoro einschließen, sondern schlug einen Teil bei Kissaki und entwich nach Süden. Sich rasch in neue Lagen zu finden, wozu ihn schon vor dem Kriege der häufige Wechsel von Front- und Stabsdienst in Heimat, Ostasien und Südwest erzogen hatte, war ein besonderer Charakterzug Lettows, in dem keiner der vielen Generale, die gegen ihn gekämpft haben, mit ihm wetteifern konnte.

[324] Lettows Operationen zerfallen zeitlich in zwei große Abschnitte. Der erste umfaßt die Zeit bis zum Frühling 1916 und bildet die Verteidigung der Nordgrenze gegen den Einmarsch britischer Truppen. Er wird eingeleitet durch seine gegen den Gouverneur verfochtene und durchgesetzte Erkenntnis, daß er den Feind an der Besetzung des Anfangs- und Endpunktes der Nordbahn, also Tangas und Moschis, hindern müsse; der Sieg bei Tanga gibt ihm recht. Der andere Abschnitt umfaßt die zweite Kriegshälfte, die nach Räumung des Nordens der Kolonie einsetzt. In ihr kann von einem so durchschlagenden Erfolge, daß der Feind die Kolonie räumen mußte, nicht mehr die Rede sein. Lettows Strategie läuft jetzt nur noch darauf hinaus, die Schutztruppe bis zum Friedensschluß und damit auch unsern Anspruch auf Deutsch-Ostafrika aufrechtzuerhalten. Seine Operationen bezwecken jetzt zweierlei; einmal sich der immer erneut drohenden Umklammerung durch übermächtigen Feind zu entziehen, und andermal die Truppe in Gegenden zu führen, wo sie sich einige Zeit erholen, verpflegen und neu bewaffnen kann.

Diese Aufgabe aber hat der General von Lettow so vorbildlich gelöst, daß sein Name zu denen der großen Heerführer des Weltkrieges gerechnet werden darf. Auf verlorenem Posten kämpfend, hat ganz allein er unsere größte und schönste Kolonie verteidigt.








Unsere großen Afrikaner
Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere

Ewald Banse