Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
[413]
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
Major Erich Prigge
Am 29. Oktober [Scriptorium merkt an: 1914] trat die
Türkei, die seit Kriegsausbruch zugunsten
Deutschlands ihre Neutralität gewahrt hatte, offen an seine Seite. Sie hat
ihm, allen Bemühungen der Entente trotzend, unter den schwersten Opfern
die Bündnistreue gewahrt. Nach dem Zusammenbruch der deutschen
Westfront hielt es der Groß-Vezier, Marschall Izzet-Pascha, für seine
vornehmste Pflicht, bei den Waffenstillstandsverhandlungen auf Mudros
für die deutschen, in der Türkei kämpfenden Truppen einen
freien, ehrenvollen Abzug in die Heimat durchzusetzen. Hierdurch ist wohl der
Beweis von der hohen Wertschätzung, die die deutschen Truppen sich in
der Türkei erworben haben, erbracht.
Ohne das Eingreifen der Türkei auf deutscher Seite in den Weltkrieg
wäre es der Entente früher oder später sicherlich gelungen,
Rußland die geforderte Unterstützung durch die Dardanellen
zukommen zu lassen. Die Unterwerfung dieses mächtigsten östlichen
Feindes wäre niemals gelungen; vielmehr haben die türkischen
Unternehmungen im Kaukasus, wo die russische Armee zeitweise unter dem
genialen Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch kämpfte, die
deutsche Ostfront erheblich entlastet.
Auf Gallipoli, in Persien, Mesopotamien, am Suezkanal, in Palästina,
Syrien und an der kleinasiatischen Küste haben türkische Truppen
der ganzen farbigen Musterkarte der Entente-Krieger, wie auch englischen und
französischen Eliteregimentern gegenübergestanden, ihnen die
blutigsten Verluste beigebracht und sie der deutschen Westfront ferngehalten.
Die Kriegstätigkeit der Türkei und der nach dort entsandten
deutschen Truppen hat somit zweifellos ein Anrecht darauf, in einer Schilderung
des "Großen Krieges" eine kurze Würdigung zu erfahren.
1. Regierung und Heer der Türkei vor
Beginn des Weltkrieges.
Der uneingeschränkte Absolutismus des Sultans Abdul Hamid war im Jahre
1908 gebrochen worden. - Der Juli dieses Jahres hatte der Türkei
unter dem Drucke der Jungtürken die erstrebte Verfassung gebracht. Die
tatsächliche Macht lag nunmehr in ihrer Hand, insbesondere in der des in
Saloniki entstandenen Komitees "Union et Progrès", welches von
patriotischen Männern mit der idealen Absicht gegründet war, das
Osmanische Reich einer geordneten und modernen Entwicklung
zuzuführen. - Der Sultan blieb als Kalif ein heiliger Mann, aber ein
Mann ohne die Kraft politischer Betätigung.
Durch den ungünstigen Ausgang des Balkankrieges wurde zwar der
bedingungslose Glaube an das von den Jungtürken zu erwartende Heil
erschüttert, [414] aber nicht gebrochen.
Die Jungtürken verstanden in der öffentlichen Meinung die Ursachen
der Niederlagen auf die Folgen des alten Regimes
zurückzuführen.
Da aber das Osmanische Reich einen Teil seines europäischen Besitzes
hatte einbüßen müssen und die Hauptstadt mit knapper Not der
Eroberung durch die Bulgaren entgangen war, lastete im Jahre 1913 auf
Regierung, Volk und Heer eine sehr gedrückte
Stimmung. - Die Zukunft drohte mit neuem Unheil. Jedermann
wußte, daß Rußland mit eiserner Zähigkeit den Besitz der
Meerengen anstrebte, und viele glaubten auch an baldige erneute kriegerische
Verwicklungen mit Bulgarien. Dazu hörten die Aufstände der Araber
in Yemen nicht auf und erforderten fortgesetzt die Entsendung von
Truppen. - Der Ruf nach starken Männern, die das Vaterland in der
Stunde der Gefahr vor dem Untergange retten konnten, wurde allerorten laut. Bis
gegen Ende des Jahres 1913 hatten in der Regierung die Vertreter eines
gemäßigten Fortschrittes noch die Oberhand und boten dem
ausschließlichen Einflusse des Komitees ein gewisses Gleichgewicht. Es
waren dies der ägyptische Prinz Said Halim als
Groß-Vezier, der Verteidiger der Tschataldja-Linie Izzet Pascha als
Kriegsminister und Mahmoud Pascha als Marineminister.
Noch unter ihrer Regierung war die Berufung der deutschen
Militär-Mission zur Reorganisation der osmanischen Armee erfolgt, deren
erster Teil, mit General Liman v. Sanders als Chef, im Dezember 1913 ihren Dienst übernommen hatte. Der deutsche Botschafter, Freiherr
v. Wangenheim, hatte ihre Berufung angeregt und durchgesetzt, um jene
Stimmen zum Schweigen zu bringen, welche die bisherige Arbeit der vereinzelten
deutschen Reform-Offiziere und das Kruppsche Artilleriematerial, gänzlich
ungerechtfertigt, für den unbefriedigenden Ausgang des Balkankrieges
verantwortlich machen wollten.
Dem Komitee genügte aber das beabsichtigte Tempo der Heeresreform
nicht; es mußte im Januar 1914 als erster Izzet Pascha weichen, um dem
damals vierunddreißigjährigen Enver als Kriegsminister Platz zu
machen.
Enver hatte in der Revolution eine Rolle gespielt, sich dann im italienischen
Kriege in der Cyrenaika zusammen mit Mustapha Kemal ausgezeichnet, und hatte
am 23. Januar 1913 in schnellem Ritt das bereits von den Bulgaren
geräumte Adrianopel seinem Vaterlande
wiedergewonnen. - Er galt als der berufene Führer einer
militärischen Wiedergeburt des osmanischen
Heeres. - Fast gleichzeitig mit Enver trat Djemal, zuerst als Minister der
öffentlichen Arbeiten, dann als Marineminister, in das Ministerium ein.
Talaat war bereits Minister des Innern. Die genannten drei Männer gaben
nunmehr in allen wichtigen Fragen den Ausschlag. Daß der Prinz Said
Halim vorläufig Groß-Vezier blieb, war einesteils ein
Zugeständnis an das Ausland und auch an den Sultan, andernteils wollte
wohl noch keine der drei genannten maßgebenden Persönlichkeiten
der anderen die absolute politische Führung als
Groß-Vezier zu- [415] gestehen. - Die
anderen Minister wurden von jetzt ab nach Bedarf zur Seite geschoben und durch
willfährige Nachfolger ersetzt.
Auch die Mitglieder des Parlaments, zu welchem die mohammedanische
Geistlichkeit ein erhebliches Kontingent stellte, war nach dem Wunsche des
Komitees gewählt. Eine irgendwie ernstliche Opposition war damals von
dieser Seite nicht zu fürchten.
Alle höheren Verwaltungsposten in den Provinzen gingen allmählich
in die Hände von Komitee-Mitgliedern oder deren ergebenen
Anhängern über, soweit dies nicht schon vorher der Fall gewesen
war.
So kann die türkische Regierung vor Beginn des Weltkrieges mit vollem
Fug und Recht als eine jungtürkische
Komitee-Regierung bezeichnet werden.
Das türkische Heer war in einem überaus traurigen Zustande aus dem
Balkankriege zurückgekehrt. Es herrschte weder Vertrauen zu den
Führern noch zur Heeresverwaltung. Der Generalstab hatte vielfach, die
Verpflegung und der Sanitätsdienst hatten zumeist versagt. Im
Offizierkorps wurde viel politisiert. - Die Truppenausbildung wurde ganz
schematisch betrieben. - Überall fehlte es an Geld zu
Neubeschaffungen und die Bekleidungskammern waren leer.
In der ganzen Armee mußte neu aufgebaut werden, wenn diese ein
brauchbares Werkzeug in der Hand ihrer Führer bilden
sollte. - Hier hat die deutsche Militär-Mission in den etwa zehn
Monaten, die ihr nur zur Arbeit vor dem Weltkriege verblieben sind,
Außerordentliches geleistet. Sie wurde
dabei - wenn auch zahlreiche Gegensätze
auftraten - von Enver Pascha auf das wirksamste
unterstützt. - Während noch zu Beginn des Jahres 1914
Faulheit und Gleichgültigkeit jeden entscheidenden Fortschritt verhindert
hatten, zeigten sich nach wenigen Monaten bereits zahlreiche Truppen in einem
Zustande, der eine gewisse Kriegsfähigkeit und eine gesteigerte Disziplin
deutlich zur Erscheinung brachte.
Selbstredend konnte die Schulung der Führer in der kurzen zu Gebote
stehenden Zeit nur notdürftig ergänzt werden. Aber es wurde zum
wenigsten erreicht, daß sie ihre Truppen einigermaßen zum Gefecht
ansetzen konnten. - Gerade in dieser Richtung ließen sich die
Jahrzehnte währenden Versäumnisse am schwersten ausgleichen.
Als Fehler hat sich später erwiesen, daß Enver bei Antritt seines
Amtes einen großen Teil der länger gedienten älteren Offiziere
verabschiedete. - Jugend und guter Wille können in ernsten Lagen
häufig nicht die Erfahrung
ersetzen. - Es darf bei dem Urteil über den Zustand der
türkischen Armee im Sommer 1914 aber nicht übersehen werden,
daß durch die Kriege, welche die Türkei fast dauernd geführt
hatte, in den meisten Truppen ein gewisses Maß von Kriegserfahrung und
Kriegsgewohnheiten vorhanden war. Wennschon dieses auch zumeist nur in
Äußerlichkeiten in Erscheinung trat, so konnte es doch später
in geschickter Hand für die Gefechtsausbildung verwertet werden.
[416] Die Schwäche
der Armee lag im ungenügend und unregelmäßig besoldeten
Offizierkorps, dem jede Einheitlichkeit des Ersatzes und das Gefühl
erhöhter Verantwortlichkeit fehlte. Ihre Stärke lag in dem
vortrefflichen Soldatenmaterial, soweit dieses sich aus den Kernländern der
Türkei - dieses sind die weiten anatolischen Landstriche zwischen
Taurus und Schwarzem Meer - rekrutierte. - Die
Bedürfnislosigkeit des hier in hartem, einfachem Leben aufgewachsenen
Mannes und der durch die mohammedanische Religion tief eingepflanzte
Fatalismus ergaben die denkbar günstigsten Vorbedingungen für die
Erziehung zum Feldsoldaten.
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